Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 2240/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 666/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalles und dessen Folgen.
Die am 1951 geborene Klägerin war als Lagerarbeiterin bei der Firma F. K. GmbH & Co. KG beschäftigt. Nach ihren Angaben nahm sie am 4. September 1998 gegen 11.30 Uhr alleine ein 20 kg schweres Kunststoffteil mit Aluminiumschiene, Bestandteil der Verpackung einer Waschanlage, aus einem Regal über ihrem Kopf. Es rutschte ihr dabei aus den Händen nach hinten über sie hinweg und - was zwischen den Beteiligten umstritten ist - traf sie am Kopf. Die Klägerin arbeitete weiter (Ende der Arbeitszeit 13.00 Uhr).
Am 5. September 1998 begab sich die Klägerin mit Lähmungserscheinungen der rechten Hand, die sie ab 11.30 Uhr bemerkt hatte, zu dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B ... Äußere Verletzungszeichen wurden nicht festgestellt. Von einem Arbeitsunfall berichtete die Klägerin nicht. Mit weiteren Lähmungserscheinungen begab sie sich am 6. September 1998 in die Universitätsklinik T., wo (in der neurologischen Klinik) ein Aorta spinalis anterior-Syndrom in Höhe Halswirbelkörper (HWK) 4/5 bis 6/7 bei gemischter discogener und spondylogener Spinalkanalstenose im Segment HWK 5/6 (Kernspintomographie vom 7. September 1998) diagnostiziert wurde. Die Klägerin wurde am 17. September 1998 (in der neurochirurgischen Abteilung) operiert (ventrale Discektomie, Spondylophytektomie und Fusion mit Titandübel). Nach dem Operationsbericht wurden ein "völlig degeneriertes" Bandscheibengewebe und ein "Spondylophyt" an der Oberkante des HWK 6 festgestellt und die postoperative Diagnose einer cervikalen Myelopathie bei Harddisc HWK 5/6 gestellt. Es ist eine inkomplette Tetraspastik verblieben.
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2000 teilte die Klägerin der Beklagten den Vorfall mit, die Unfallanzeige der Arbeitgeberin (das Teil sei nach hinten weggerutscht, der Klägerin sei es in den Hals gefahren) erfolgte im Januar 2001. Die Beklagte lehnte nach Einholung einer Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. K. mit Bescheid vom 7. Juni 2001 und Widerspruchsbescheid vom 7. August 2001 die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen ab.
Die Klägerin hat am 21. August 2001 Klage bei dem Sozialgericht Reutlingen erhoben. Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme von Dr. K. vorgelegt, wonach sich bei einer Gewalteinwirkung auf den Kopf äußere Verletzungszeichen hätten ergeben müssen. Mit Urteil vom 23. Januar 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Unfallereignis sei nicht nachgewiesen, jedenfalls sei der Wirbelsäulenschäden hierdurch nicht verursacht worden.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 17. Februar 2003 zugestellte Urteil am 21. Februar 2003 Berufung eingelegt. Dass ihr das Kunststoffteil auf den Hinterkopf gefallen sei, habe sie unmittelbar nach dem Vorfall einer Mitarbeiterin und der Sekretärin ihres Arbeitgebers mitgeteilt. Ihr Lebensgefährte habe am nächsten Tag eine Beule am Kopf bemerkt.
Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme von Dr. K. vorgelegt, wonach der Operationsbericht auf ein degeneratives und nicht verletzungsspezifisches Schadensbild (Degeneration, Spondylophyt, keine Hinweise auf Verletzungen der knöchernen und ligamentären Strukturen) hindeute.
Prof. Dr. Dr. D., Direktor der Neurologischen Klinik des Städtischen Klinikums K., hat sich in seinem auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten Gutachten gegen einen ursächlichen Zusammenhang ausgesprochen. Prof. Dr. K., Abteilung für Querschnittsgelähmte, Orthopädie und Rehabilitationsmedizin der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T., ist in seinem auf Antrag der Kläger nach § 109 SGG eingeholten Gutachten zum gleichen Ergebnis gekommen. Auf seine Anregung ("zur Erhöhung der Rechtssicherheit") ist, ebenfalls auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG, ein neuroradiologisches Zusatzgutachten bei Prof. Dr. V. zu den Röntgen- und Kernspintomografieaufnahmen vom September 1998 eingeholt worden. Ein Myelon-Ödem HWK 5/6 könne traumabedingt sein. Prof. Dr. Dr. D. hat hierzu ausgeführt, dass - wenn man von einer contusio spinalis und einem kontusionsbedingten Ödem des 5. und 6. HWK ausgehe - ein belangvolles Trauma mit einer entsprechenden Schmerzsymptomatik im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) zu fordern sei, wofür jegliche Anhaltspunkte fehlten. Prof. Dr. K. hat sich nun dahingehend geäußert, dass er sich durch Prof. Dr. V. in seiner Annahme bestätigte sehe, dass es bei vorbestehender Spinalkanal-Stenose durch das Unfallereignis zu einer Contusio spinalis gekommen sei und in Zusammenschau aller Befunde die Operation und die heutigen Beschwerden Folge der am 4. September 1998 erlittenen contusio spinalis sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. Januar 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2001 aufzuheben und festzustellen, dass der Zustand nach ventraler Diskektomie HWK 5/6 und Fusion mit einem Titandübel Folge des Arbeitsunfalls vom 4. September 1998 ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII (zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt) ist danach in der Regel erforderlich (BSG, Urteil vom 12. April 2005, B 2 U 11/04 R in SozR 4 - 2700 § 8 Nr. 14), dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zum Unfallereignis geführt hat und letzteres einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30. April 1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 2. Mai 2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Hiervon ausgehend kann nicht festgestellt werden, dass der Zustand nach ventraler Diskektomie HWK 6 und Fusion mit einem Titandübel Folge eines Arbeitsunfalls vom 4. September 1998 ist. Dass der von der Klägerin geschilderte Hergang zu einer Schädigung der Wirbelsäule führte, ist nur möglich, nicht wahrscheinlich.
Unstreitig lagen erhebliche degenerative Vorschäden an der HWS vor, nämlich eine knöcherne Einengung im betroffenen Segment, das im Operationsbericht beschriebene völlig degenerierte Bandscheibengewebe und der Spondylophyt. Dies ergibt sich aus den insoweit übereinstimmenden Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. und Prof. Dr. K ... Nach dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. sprechen die im Operationsbericht vom 17. September 1998 wiedergegebenen Befunde gegen einen frischen Bandscheibenvorfall. Gegen eine ursächliche Schädigung am 5. September 1998 spricht weiterhin das Fehlen sowohl äußerer Verletzungszeichen wie Verletzungen der Bänder und knöchernen Strukturen, worauf Dr. K. hingewiesen hat (vgl. auch Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 529). Es wäre auch zu erwarten gewesen, dass sich unmittelbar nach dem Vorfall die Erstsymptomatik eines Bandscheibenvorfalls oder sonstigen Rückenmarksschädigung gezeigt hätte, insbesondere dass die Klägerin sofort und nicht erst später eine Taubheit bzw. Schwäche der rechten Hand bemerkt hätte. Die Klägerin gab solche Beschwerden erst für den Folgetag an (Bericht der Universität T. vom 14. September 1998), am 4. September 1998 selbst arbeitete sie weiter. Ihre gegenteiligen Angaben im Rechtsstreit, insbesondere gegenüber Prof. Dr. Dr. D., sind vor diesem Hintergrund zweifelhaft und können der Beurteilung nicht zu Grunde gelegt werden.
Die Kernspintomographien vom 7. und vom 15. September 1998 lassen keine sicheren Aussagen über eine etwaige traumatische Schädigung zu. Insbesondere hat das Gutachten von Prof. Dr. V. keine klaren Hinweise für traumatische Veränderungen ergeben. Lediglich ein relativ unscharf begrenztes Myelon-Ödem in Höhe HWK 5/6 kann seiner Beurteilung nach ursächlich als Traumafolge im Sinne einer Contusio spinalis bestehen. Signalintensitätsveränderungen des Myelons auf Höhe des Bandscheibenfaches HWK 6/7 sind auf Grund ihrer Randschärfe im Sinne einer chronischen Myelomalazie zu werten und stehen ursächlich nicht im Zusammenhang mit einem Trauma am 4. September 1998. Das floride Knochenmarksödem von HWK 5/6 kann ebenfalls ursächlich mit einer Contusio spinalis in Zusammenhang stehen; differenzialdiagnostisch kommt aber auch eine floride Osteochondrose in Betracht. Allerdings steht die gutachtliche Einschätzung von Prof. Dr. V. im Widerspruch zu der Erstbefundung des Kernspintomogramms vom 7. September 1998, wo - mit einer gewissen Unsicherheit ("am ehesten") - auf eine "errosive Osteochondrose" im Segment HWK 5/6 geschlossen wurde. Möglicherweise lassen die Kernspintomografieaufnahmen keine eindeutigen Schlüsse zu. Jedenfalls aber hat auch Prof. Dr. V. lediglich die Auffassung vertreten, dass das Myelon-Ödem mit einem Trauma in ursächlichem Zusammenhang stehen kann. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit ist damit gerade nicht gegeben.
Der Unfallhergang ist im Einzelnen weiterhin unklar. Nicht entscheidend ist es dabei aber, ob das Kunststoffteil der Klägerin auf den Hinterkopf gefallen oder (nur) über den Kopf hinweg gerutscht ist. Der Senat kann die entsprechenden Angaben der Klägerin daher als wahr unterstellen; es bedarf keiner Vernehmung von Zeugen. Diese wären zudem allenfalls in der Lage, als mittelbare Zeugen Angaben der Klägerin zu bestätigen. Selbst gesehen haben sie den Vorfall nicht. Damit ist jedenfalls kein "belangvolles Trauma" nachgewiesen, wie es nach dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. auch für ein Myelon-Ödem notwendig wäre. Das gilt auch für den Fall, dass der Lebensgefährte der Klägerin eine "Beule" bemerkte. Diese kann auch auf eine geringgradige Einwirkung hindeuten, nachdem weder von Dr. B. noch von den nachfolgend behandelnden Ärzten äußere Verletzungszeichen dokumentiert worden sind. Eine akute Krafteinwirkung auf die Halswirbelsäule mit über das physiologische Maß hinausgehender Flektion, wie sie Prof. Dr. K. unterstellt, ist für den Senat jedenfalls nicht erwiesen.
Der letzten Äußerung von Prof. Dr. K. kann sich der Senat schon deshalb nicht anschließen. Im Übrigen hat er sich in seinem Gutachten zunächst - auf breiter Argumentationsgrundlage - gegen einen ursächlichen Zusammenhang ausgesprochen und lediglich zur Abklärung letzter Zweifel eine gutachtliche Beurteilung der Kernspintomografieaufnahmen angeregt. Nunmehr kommt er, allein auf das Gutachten von Prof. Dr. V. gestützt, zum gegenteiligen Ergebnis, ohne sich mit seinen früheren Äußerungen, insbesondere dem auch von ihm für wesentlich erachteten zeitlichen Verlauf der neurologischen Symptomatik und der Bewertung von Prof. Dr. D. kritisch auseinander zu setzen. Dass das Gutachten von Prof. Dr. V. solche Folgerungen letztlich nicht zulässt, ist bereits ausgeführt worden.
Der Senat sieht die (zuletzt geäußerte) Ansicht von Prof. Dr. K. dabei als klar und nicht weiter erläuterungsbedürftig an, so dass es seiner Einbestellung und ergänzenden Befragung (§ 118 Abs. 1 i. V. m. § 411 Abs. 3 Zivilprozessordnung) nicht bedarf, zumal Prof. Dr. K. auf von der Klägerin formulierte Beweisfragen bereits schriftlich geantwortet hat. Inhaltlich schließt sich der Senat aber dessen gutachtlicher Meinung, wie dargelegt, nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist das Vorliegen eines Arbeitsunfalles und dessen Folgen.
Die am 1951 geborene Klägerin war als Lagerarbeiterin bei der Firma F. K. GmbH & Co. KG beschäftigt. Nach ihren Angaben nahm sie am 4. September 1998 gegen 11.30 Uhr alleine ein 20 kg schweres Kunststoffteil mit Aluminiumschiene, Bestandteil der Verpackung einer Waschanlage, aus einem Regal über ihrem Kopf. Es rutschte ihr dabei aus den Händen nach hinten über sie hinweg und - was zwischen den Beteiligten umstritten ist - traf sie am Kopf. Die Klägerin arbeitete weiter (Ende der Arbeitszeit 13.00 Uhr).
Am 5. September 1998 begab sich die Klägerin mit Lähmungserscheinungen der rechten Hand, die sie ab 11.30 Uhr bemerkt hatte, zu dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. B ... Äußere Verletzungszeichen wurden nicht festgestellt. Von einem Arbeitsunfall berichtete die Klägerin nicht. Mit weiteren Lähmungserscheinungen begab sie sich am 6. September 1998 in die Universitätsklinik T., wo (in der neurologischen Klinik) ein Aorta spinalis anterior-Syndrom in Höhe Halswirbelkörper (HWK) 4/5 bis 6/7 bei gemischter discogener und spondylogener Spinalkanalstenose im Segment HWK 5/6 (Kernspintomographie vom 7. September 1998) diagnostiziert wurde. Die Klägerin wurde am 17. September 1998 (in der neurochirurgischen Abteilung) operiert (ventrale Discektomie, Spondylophytektomie und Fusion mit Titandübel). Nach dem Operationsbericht wurden ein "völlig degeneriertes" Bandscheibengewebe und ein "Spondylophyt" an der Oberkante des HWK 6 festgestellt und die postoperative Diagnose einer cervikalen Myelopathie bei Harddisc HWK 5/6 gestellt. Es ist eine inkomplette Tetraspastik verblieben.
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2000 teilte die Klägerin der Beklagten den Vorfall mit, die Unfallanzeige der Arbeitgeberin (das Teil sei nach hinten weggerutscht, der Klägerin sei es in den Hals gefahren) erfolgte im Januar 2001. Die Beklagte lehnte nach Einholung einer Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. K. mit Bescheid vom 7. Juni 2001 und Widerspruchsbescheid vom 7. August 2001 die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen ab.
Die Klägerin hat am 21. August 2001 Klage bei dem Sozialgericht Reutlingen erhoben. Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme von Dr. K. vorgelegt, wonach sich bei einer Gewalteinwirkung auf den Kopf äußere Verletzungszeichen hätten ergeben müssen. Mit Urteil vom 23. Januar 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Unfallereignis sei nicht nachgewiesen, jedenfalls sei der Wirbelsäulenschäden hierdurch nicht verursacht worden.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 17. Februar 2003 zugestellte Urteil am 21. Februar 2003 Berufung eingelegt. Dass ihr das Kunststoffteil auf den Hinterkopf gefallen sei, habe sie unmittelbar nach dem Vorfall einer Mitarbeiterin und der Sekretärin ihres Arbeitgebers mitgeteilt. Ihr Lebensgefährte habe am nächsten Tag eine Beule am Kopf bemerkt.
Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme von Dr. K. vorgelegt, wonach der Operationsbericht auf ein degeneratives und nicht verletzungsspezifisches Schadensbild (Degeneration, Spondylophyt, keine Hinweise auf Verletzungen der knöchernen und ligamentären Strukturen) hindeute.
Prof. Dr. Dr. D., Direktor der Neurologischen Klinik des Städtischen Klinikums K., hat sich in seinem auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten Gutachten gegen einen ursächlichen Zusammenhang ausgesprochen. Prof. Dr. K., Abteilung für Querschnittsgelähmte, Orthopädie und Rehabilitationsmedizin der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T., ist in seinem auf Antrag der Kläger nach § 109 SGG eingeholten Gutachten zum gleichen Ergebnis gekommen. Auf seine Anregung ("zur Erhöhung der Rechtssicherheit") ist, ebenfalls auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG, ein neuroradiologisches Zusatzgutachten bei Prof. Dr. V. zu den Röntgen- und Kernspintomografieaufnahmen vom September 1998 eingeholt worden. Ein Myelon-Ödem HWK 5/6 könne traumabedingt sein. Prof. Dr. Dr. D. hat hierzu ausgeführt, dass - wenn man von einer contusio spinalis und einem kontusionsbedingten Ödem des 5. und 6. HWK ausgehe - ein belangvolles Trauma mit einer entsprechenden Schmerzsymptomatik im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) zu fordern sei, wofür jegliche Anhaltspunkte fehlten. Prof. Dr. K. hat sich nun dahingehend geäußert, dass er sich durch Prof. Dr. V. in seiner Annahme bestätigte sehe, dass es bei vorbestehender Spinalkanal-Stenose durch das Unfallereignis zu einer Contusio spinalis gekommen sei und in Zusammenschau aller Befunde die Operation und die heutigen Beschwerden Folge der am 4. September 1998 erlittenen contusio spinalis sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. Januar 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2001 aufzuheben und festzustellen, dass der Zustand nach ventraler Diskektomie HWK 5/6 und Fusion mit einem Titandübel Folge des Arbeitsunfalls vom 4. September 1998 ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung ist unbegründet.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII (zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt) ist danach in der Regel erforderlich (BSG, Urteil vom 12. April 2005, B 2 U 11/04 R in SozR 4 - 2700 § 8 Nr. 14), dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zum Unfallereignis geführt hat und letzteres einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30. April 1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. (vgl. BSG, Urteil vom 2. November 1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 2. Mai 2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
Hiervon ausgehend kann nicht festgestellt werden, dass der Zustand nach ventraler Diskektomie HWK 6 und Fusion mit einem Titandübel Folge eines Arbeitsunfalls vom 4. September 1998 ist. Dass der von der Klägerin geschilderte Hergang zu einer Schädigung der Wirbelsäule führte, ist nur möglich, nicht wahrscheinlich.
Unstreitig lagen erhebliche degenerative Vorschäden an der HWS vor, nämlich eine knöcherne Einengung im betroffenen Segment, das im Operationsbericht beschriebene völlig degenerierte Bandscheibengewebe und der Spondylophyt. Dies ergibt sich aus den insoweit übereinstimmenden Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. und Prof. Dr. K ... Nach dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. sprechen die im Operationsbericht vom 17. September 1998 wiedergegebenen Befunde gegen einen frischen Bandscheibenvorfall. Gegen eine ursächliche Schädigung am 5. September 1998 spricht weiterhin das Fehlen sowohl äußerer Verletzungszeichen wie Verletzungen der Bänder und knöchernen Strukturen, worauf Dr. K. hingewiesen hat (vgl. auch Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 529). Es wäre auch zu erwarten gewesen, dass sich unmittelbar nach dem Vorfall die Erstsymptomatik eines Bandscheibenvorfalls oder sonstigen Rückenmarksschädigung gezeigt hätte, insbesondere dass die Klägerin sofort und nicht erst später eine Taubheit bzw. Schwäche der rechten Hand bemerkt hätte. Die Klägerin gab solche Beschwerden erst für den Folgetag an (Bericht der Universität T. vom 14. September 1998), am 4. September 1998 selbst arbeitete sie weiter. Ihre gegenteiligen Angaben im Rechtsstreit, insbesondere gegenüber Prof. Dr. Dr. D., sind vor diesem Hintergrund zweifelhaft und können der Beurteilung nicht zu Grunde gelegt werden.
Die Kernspintomographien vom 7. und vom 15. September 1998 lassen keine sicheren Aussagen über eine etwaige traumatische Schädigung zu. Insbesondere hat das Gutachten von Prof. Dr. V. keine klaren Hinweise für traumatische Veränderungen ergeben. Lediglich ein relativ unscharf begrenztes Myelon-Ödem in Höhe HWK 5/6 kann seiner Beurteilung nach ursächlich als Traumafolge im Sinne einer Contusio spinalis bestehen. Signalintensitätsveränderungen des Myelons auf Höhe des Bandscheibenfaches HWK 6/7 sind auf Grund ihrer Randschärfe im Sinne einer chronischen Myelomalazie zu werten und stehen ursächlich nicht im Zusammenhang mit einem Trauma am 4. September 1998. Das floride Knochenmarksödem von HWK 5/6 kann ebenfalls ursächlich mit einer Contusio spinalis in Zusammenhang stehen; differenzialdiagnostisch kommt aber auch eine floride Osteochondrose in Betracht. Allerdings steht die gutachtliche Einschätzung von Prof. Dr. V. im Widerspruch zu der Erstbefundung des Kernspintomogramms vom 7. September 1998, wo - mit einer gewissen Unsicherheit ("am ehesten") - auf eine "errosive Osteochondrose" im Segment HWK 5/6 geschlossen wurde. Möglicherweise lassen die Kernspintomografieaufnahmen keine eindeutigen Schlüsse zu. Jedenfalls aber hat auch Prof. Dr. V. lediglich die Auffassung vertreten, dass das Myelon-Ödem mit einem Trauma in ursächlichem Zusammenhang stehen kann. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit ist damit gerade nicht gegeben.
Der Unfallhergang ist im Einzelnen weiterhin unklar. Nicht entscheidend ist es dabei aber, ob das Kunststoffteil der Klägerin auf den Hinterkopf gefallen oder (nur) über den Kopf hinweg gerutscht ist. Der Senat kann die entsprechenden Angaben der Klägerin daher als wahr unterstellen; es bedarf keiner Vernehmung von Zeugen. Diese wären zudem allenfalls in der Lage, als mittelbare Zeugen Angaben der Klägerin zu bestätigen. Selbst gesehen haben sie den Vorfall nicht. Damit ist jedenfalls kein "belangvolles Trauma" nachgewiesen, wie es nach dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. auch für ein Myelon-Ödem notwendig wäre. Das gilt auch für den Fall, dass der Lebensgefährte der Klägerin eine "Beule" bemerkte. Diese kann auch auf eine geringgradige Einwirkung hindeuten, nachdem weder von Dr. B. noch von den nachfolgend behandelnden Ärzten äußere Verletzungszeichen dokumentiert worden sind. Eine akute Krafteinwirkung auf die Halswirbelsäule mit über das physiologische Maß hinausgehender Flektion, wie sie Prof. Dr. K. unterstellt, ist für den Senat jedenfalls nicht erwiesen.
Der letzten Äußerung von Prof. Dr. K. kann sich der Senat schon deshalb nicht anschließen. Im Übrigen hat er sich in seinem Gutachten zunächst - auf breiter Argumentationsgrundlage - gegen einen ursächlichen Zusammenhang ausgesprochen und lediglich zur Abklärung letzter Zweifel eine gutachtliche Beurteilung der Kernspintomografieaufnahmen angeregt. Nunmehr kommt er, allein auf das Gutachten von Prof. Dr. V. gestützt, zum gegenteiligen Ergebnis, ohne sich mit seinen früheren Äußerungen, insbesondere dem auch von ihm für wesentlich erachteten zeitlichen Verlauf der neurologischen Symptomatik und der Bewertung von Prof. Dr. D. kritisch auseinander zu setzen. Dass das Gutachten von Prof. Dr. V. solche Folgerungen letztlich nicht zulässt, ist bereits ausgeführt worden.
Der Senat sieht die (zuletzt geäußerte) Ansicht von Prof. Dr. K. dabei als klar und nicht weiter erläuterungsbedürftig an, so dass es seiner Einbestellung und ergänzenden Befragung (§ 118 Abs. 1 i. V. m. § 411 Abs. 3 Zivilprozessordnung) nicht bedarf, zumal Prof. Dr. K. auf von der Klägerin formulierte Beweisfragen bereits schriftlich geantwortet hat. Inhaltlich schließt sich der Senat aber dessen gutachtlicher Meinung, wie dargelegt, nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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