L 3 RJ 46/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 10 J 111/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 RJ 46/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 15.12.1998 geändert. Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung der Bescheide vom 29.12.1994, 05.01.1996 und 18.10.1996 verurteilt, die Beschäftigungszeit vom 01.09.1968 bis zum 19.03.1973 der Qualifikationsgruppe 4 nach der Anlage 13 des SGB VI zuzuordnen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu 3/4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die rentenrechtliche Bewertung von Beitragszeiten, die der Kläger in der ehemaligen UdSSR im Bereich der metallverarbeitenden Industrie zurückgelegt hat.

Der im Jahr 1943 geborene Kläger lebt seit dem 10.08.1976 in der Bundesrepublik Deutschland; er ist als Vertriebener an erkannt. In der ehemaligen UdSSR besuchte er bis zum Februar 1961 die zehnklassige Mittelschule, war anschließend zwei Jahre als Zimmermann beschäftigt und absolvierte vom 01.03.1963 bis 27.12.1963 eine Ausbildung zum Fräser an der Technischen Lehranstalt Nr. 3 für Maschinen- und Fahrzeugbau in F ... Der Rüstungsbetrieb "Organisation des Postfaches 43" stellte den Kläger am 25.01.1964 ein. Seit Mai 1966 ar beitete er dort als Fräser der 4. Lohnklasse. Ab Oktober 1968 erhielt er ein Entgelt nach der 5. Lohnklasse und wurde vom 05.04.1973 bis zu seinem Ausscheiden am 11.03.1974 als Fräser der 6. Lohnklasse geführt. Vor seiner Ausreise arbei tete der Kläger zuletzt vom 28.03.1974 bis 28.07.1976 als Schlosser der 5. Lohnklasse im Kombinat des Tustes Chumpromstroj).

Neben seiner beruflichen Tätigkeit absolvierte der Kläger in der Zeit vom 01.09.1968 bis 20.03.1973 erfolgreich ein Studium an dem Maschinenbau-Technikum in F ... (Zuerkennung der Qualifikation eines Technikers/Technologen).

Mit den Bescheiden vom 07.09.1977 und 14.02.1989 stellte die Beklagte die bei dem Kläger zu berücksichtigenden rentenrechtlichen Zeiten fest. Sie bewertete die in der ehemaligen UdSSR in der Zeit von Januar 1964 bis März 1974 zurückgelegten Beitragszeiten mit den in den Bescheiden eingetragenen Beitragsklassen bzw. Entgelten nach der Leistungsgruppe 12 nach dem Fremdrentengesetz a.F. (FRG).

Mit den Bescheiden vom 29.12.1994 und 05.01.1996 stellte die Beklagte die im Versicherungsverlauf des Klägers enthaltenen Daten neu fest. Die in den (bisherigen) Bescheiden enthaltenen Feststellungen hob sie nach § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) entsprechend auf. Sie ordnete die Beitragszeiten des Klägers den Qualifikationsstufen der Anlage 13 zum SGB VI zu. Dabei berücksichtigte sie für die Zeit vom 17.02.1961 bis 26.02.1963 sowie für die Zeit vom 25.01.1964 bis 19.03.1973 die Qualifikationsstufe 5 (Gruppe der an- und ungelernten Tätigkeiten). Für die Zeit vom 20.03.1973 bis 11.03.1974 legte sie die Qualifikationsstufe 2 (Gruppe der Fachschulabsolventen) zugrunde.

Mit seinem Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die von der Beklagten vorgenommene Einstufung seiner in der Zeit ab 17.02.1961 zurückgelegten Beitragszeiten in die Qualifikationsgruppe 5. Er machte geltend, nach dem Abschluss seiner Ausbildung sei er in der Präzisionswerkzeugabteilung des Rüstungsbetriebes eingesetzt worden, wo er im Laufe eines Jahres mit allen anfallenden Arbeiten vertraut gemacht worden sei und sich bis zur 6. Lohngruppe qualifiziert habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.1996 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie führte aus, eine Ausbildungszeit von weniger als zwei Jahren rechtfertige auch nach dreijähriger Berufsausübung in dieser Tätigkeit nicht die Einstufung in die Qualifikationsgruppe 4. Da mit der Einstufung in die Qualifikationsgruppen die Verhältnisse in der ehemaligen DDR nachvollzogen werden sollten, müsse man sich bei der Auslegung des Begriffs der "langjährigen Berufserfahrung" an den entsprechenden Bestimmungen der ehemaligen DDR orientieren. Auch ohne übliche Ausbildung habe berufserfahrenen Beschäftigten in der ehemaligen DDR die Facharbeiterqualifikation zuerkannt werden können, wenn sie eine solche Facharbeitertätigkeit seit 10 Jahren ausgeübt hätten. Der Kläger habe jedoch nicht mindestens 10 Jahre als Fräser gearbeitet.

Mit seiner am 07.11.1996 zum Sozialgericht (SG) Detmold erhobenen Klage hat der Kläger ausgeführt, er habe eine sehr intensive theoretisch-praktische Ausbildung an der Lehranstalt in F ... durchlaufen und anschließend fortlaufend innerbetriebliche Fortbildungskurse erfolgreich abgeschlossen, die ihn schließlich nach dem Ausbildungssystem der ehe maligen UdSSR zum Ingenieur-Studium berechtigt hätten. Im übrigen sei zu beanstanden, dass Versicherte aus den Vertreibungsländern außerhalb des Beitrittsgebietes pauschal nach den Kriterien bewertet würden, die allenfalls auf das Beitrittsgebiet (frühere DDR) anwendbar seien, nicht aber auf die übrigen Vertreibungsgebiete mit ihren sehr unterschiedlichen Schul-, Ausbildungs- und Beschäftigungssystemen.

Mit Urteil vom 15.12.1998 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Änderung der Einstufung der Beschäftigungszeit vom 25.01.1964 bis zum 19.03.1973 von der Qualifikationsstufe 5 in die Qualifikationsstufe 4 (Gruppe der Facharbeiter). Nach der gesetzlichen Definition zählten Personen, die im Rahmen der Berufsausbildung oder der Erwachsenenqualifizierung nur für Teilgebiete eines Ausbildungsberufes entsprechend der Systematik der Ausbildungsberufe im Beitrittsgebiet ausgebildet worden seien, nicht zu denjenigen mit Facharbeiterqualifikation. Orientiert an den Gegebenheiten in der ehemaligen DDR werde grundsätzlich eine abgeschlossene Berufsausbildung mit einer Dauer von zwei bis drei Jahren vorausgesetzt, deren erfolg reicher Abschluss durch das Facharbeiterzeugnis oder den Facharbeiterbrief dokumentiert werde. Eine solche Berufsausbildung habe der Kläger nicht absolviert. Der Beschäftigung als Fräser sei lediglich eine zehnmonatige Ausbildung vorausgegangen. Der Kläger erfülle auch nicht die Voraussetzungen des Kriteriums einer "langjährigen Berufserfahrung", nach dem in Ausnahmefällen ebenfalls die Qualifikation eines Facharbeiters angenommen werden könne. Zwar habe der Gesetzgeber den Begriff der langjährigen Berufserfahrung nicht definiert, es sei aber unter Berücksichtigung der Verhältnisse in der ehemaligen DDR (§ 24 Abs. 3 der Anordnung über die Facharbeiterprüfung vom 15.05 1986) davon auszugehen, dass eine langjährige Berufserfahrung in einer höherwertigen Tätigkeit in der Regel dann vorliege, wenn die höherwertige Tätigkeit seit mindestens 10 Jahren tatsächlich ausgeübt werde. In dem geltend gemachten Zeitraum von 1964 bis 1973 habe der Kläger die Tätigkeit als Fräser nicht mindestens 10 Jahre ausgeübt. Auch wenn er im Verlaufe seines Berufslebens in den jeweiligen Lohnklassen aufgestiegen und in der streitigen Zeit zuletzt ab 1968 in der 5. Lohnklasse eingestuft gewesen sei, ergebe sich hieraus kein sicherer Anhalt dafür, dass der Kläger einem Facharbeiter entsprechende Tätigkeiten ausgeführt habe.

Gegen das ihm am am 18.01.1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.02.1999 Berufung eingelegt und vorgetragen, die Ausbildung an der Technischen Lehranstalt für Maschinen- und Fahrzeugbau in F ... habe vorausgesetzt, dass er vorab aufgrund seiner qualifizierten Schulausbildung an der Mittelschule die Hochschulreife habe nachweisen können. Nach Beendigung seiner Facharbeiterausbildung an der Technischen Lehranstalt habe er betriebsinterne Qualifikationslehrgänge mit einer Gesamtdauer von mindestens eineinhalb Jahren durchlaufen. Der Einstufung in die nächsthöhere Lohngruppe sei jeweils eine sechsmonatige innerbetriebliche Weiterbildungsmaßnahme mit neben der Arbeit stattfindenden täglichem Unterricht vorausgegangen. Die Einstufung sei durch eine innerbetriebliche Kommission vorgenommen worden, der auch leitende Ingenieure des Unternehmens angehört hätten. Nach Beginn seiner Beschäftigung als Fräser in der Abteilung Werkzeugbau im Jahr 1964 sei er mit der Planung des Fertigungsablaufes bei der Herstellung von Pressformen und Stanzwerkzeugen für die bisherige Fertigung von Teilen sowie in deren praktischer Herstellung beschäftigt gewesen. Er habe mit Fertigungszeichnungen, mit Werk- und Hilfsstoffen sowie mit verschiedenen Typen von Fräsmaschinen umgehen müssen. Seine erste sechsmonatige Fortbildung sei im Bereich Qualitätssicherung erfolgt. Danach habe er ab März 1966 zunehmend kompliziertere Werkstücke zur eigenständigen Bearbeitung übertragen bekommen und anspruchsvollere Fertigungsaufgaben verrichtet. Während seiner zweiten sechsmonatigen Fortbildung im Jahre 1968 habe er sich über die im Betrieb zu verarbeitenden Metalle spezialisiert und Methoden der Materialbehandlung kennengelernt. Er habe Kenntnisse in der praktischen und theoretischen Mechanik erworben sowie Methoden der Untersuchung von Metallbelastbarkeit, Maßfestigkeit und Druckfestigkeit erlernt. Ihm seien weiter pädagogische und psychologische Kenntnisse für die Lehrlingsausbildung vermittelt worden. Ab 1968 habe er schwierigere Tätigkeiten übernommen. Bei den Hochpräzisionswerkzeugen sei zunehmend die Maßgenauigkeit der zu bearbeitenden Werkzeuge durch Präzisionsmessinstrumente geprüft worden. Bei auftretenden Schwierigkeiten seien selbständige Lösungen zu entwickeln gewesen. Er habe die sechsmonatige praktische Ausbildung der Lehrlinge betreut.

Der Kläger beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 29.12.1994 und 05.01.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.10.1996 teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Beschäftigungszeit ab Mai 1966 bis 20.03.1973 der Qualifikationsgruppe 4 nach der Anlage 13 des SGB VI zuzuordnen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Das Bundesminsiterium für Arbeit und Sozialordnung, dem die von dem Kläger erstellte Tätigkeitsbeschreibung zur Verfügung gestellt wurde, hat auf Anfrage des Senats mit Schreiben vom 08.09.2000 mitgeteilt, aus dem Tarifregister der ehemaligen DDR ergebe sich, dass im Beitrittsgebiet für die beschriebene Arbeitsaufgabe eines "Fräser" in jedem Fall ein Facharbeiterabschluss erforderlich gewesen sei. Weiter hat der Senat die Sonderveröffentlichung des Bundesinstituts für Berufsbildung von Hans Göring, Anerkennung von Aussiedlerzeugnissen, Berufliche Bildung und berufliche Qualifikation in der UdSSR, 1992, beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Rentenakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 29.12.1994 und 05.01.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.1996 (§ 95 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) sind rechtswidrig, soweit die Beklagte die Beitragszeiten des Klägers in der Zeit vom 01.09.1968 bis zum 19.03.1973 ledig lich der Qualifikationsgruppe 5 nach der Anlage 13 zum SGB VI zugeordnet hat.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Einstufung dieser Zeiten in die Qualifikationsgruppe 4 der genannten Anlage. Dagegen ist die Einstufung der darüber hinaus im Berufungsverfahren vom Kläger noch begehrten Zeit vom Mai 1966 bis zum Beginn des Studiums des Klägers an dem Maschinenbau-Technikum in F ... in die Qualifikationsgruppe 5 nicht zu beanstanden.

Gemäß § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - hiervon wird auch die Anerkennung oder Vormerkung von Beitrags- oder Ersatzzeiten erfasst (BSGE 56, 165) - mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder recht lichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach Art. 38 Satz 1 des Renten-Überleitungsgesetzes (RÜG) vom 25.07.1991 (BGBl. I S. 1606) sind Bescheide, die außerhalb einer Rentenbewilligung aufgrund der Versicherungsunterlagen-Verordnung oder des Fremdrentenrechts Feststellungen getroffen haben, zu überprüfen, ob sie mit den zum Zeitpunkt des Rentenbeginns geltenden Vorschriften des SGB VI und des Fremdrentenrechts übereinstimmen.

Eine zur teilweisen Aufhebung der Feststellungsbescheide vom 07.09.1997 und 14.02.1989 berechtigende Änderung liegt hier in der Einführung eines neuen Bewertungsmodells für die Bewertung der im Herkunftsland ausgeübten Beschäftigung.

Für anerkannte Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach den §§ 15 und 16 FRG sind Entgeltpunkte nach § 22 FRG in der seit 01. Januar 1992 geltenden Fassung durch das RÜG und das Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz vom 24. Juni 1993 (BGBl. I S. 1038) zu ermitteln. § 22 Abs. 1 Satz 1 FRG verweist hinsichtlich der für die Zeiten nach dem 31. Dezember 1949 zugrunde zu legenden Durchschnittsjahresverdienste auf § 256 b Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz SGB VI. Danach werden Entgeltpunkte nach Einstufung der Beschäftigung in eine der Qualifikationsgruppen der Anlage 13 und deren Zuordnung zu einem Wirtschaftsbereich der Anlage 14 zum SGB VI ermittelt; auf dieser Grundlage werden die sich aus Anlage 14 zum SGB VI ergebenden Tabellenwerte, die sich auch für den Kläger pauschalierend an der Lohnstruktur im Beitrittsgebiet orientieren, festgestellt.

Die Anlage 13 zum SGB VI kennt die fünf Qualifikationsgruppen der Hochschulabsolventen (Qualifikationsgruppe 1), der Fachschulabsolventen (Qualifikationsgruppe 2), der Meister (Qualifikationsgruppe 3), der Facharbeiter (Qualifikationsgruppe 4) und der an- und ungelernten Tätigkeiten (Qualifikationsgruppe 5). Nach der in der Anlage 13 zum SGB VI vorangestellten allgemeinen Definition der Qualifikationsgruppen sind Versicherte in eine der nachstehenden Qualifikationsgruppen einzustufen, wenn sie deren Qualifikationsmerkmale erfüllen und eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben. Haben Versicherte aufgrund langjähriger Berufserfahrung Fähigkeiten erworben, die üblicherweise denen von Versicherten einer höheren Qualifikationsgruppe entsprechen, sind sie in diese Qualifikationsgruppe einzustufen.

Die Qualifikation eines Facharbeiters im Sinne der Qualifikationsstufe 4 ist nach der gesetzlichen Definition bei den Personen gegeben, die über die Berufsausbildung oder im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung nach abgeschlossener Ausbildung in einem Ausbildungsberuf die Facharbeiterpüfung bestanden haben und im Besitz eines Facharbeiterzeugnisses (Facharbeiterbrief) sind oder denen aufgrund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet die Facharbeiterqualifikation zuerkannt worden ist. Die fünf Qualifikationsstufen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers als Eingliederungsmodell die Verhältnisse des Beitrittsgebietes auf der Grundlage der Ausbildungsstrukturen in der ehemaligen DDR spiegeln (Bundestags-Drucksache 197/91). Bei tatsächlich ausgeübter Facharbeitertätigkeit soll unter Berücksichtigung der Verhältnisse in der ehemaligen DDR erst eine Berufserfahrung von 10 Jahren die Einstufung in die Qualifikationsgruppe 4 rechtfertigen (VDR, Kommentar zum Recht der Gesetzlichen Rentenversicherung, Stand 6/2000, Anm. 7.2. zu § 22 FRG). Vorrang vor dieser Pauschalierung haben jedoch immer die tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall (Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand August 2000, KassKomm-Polster, § 256 b Rdnr. 18).

Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber selbst den Begriff der langjährigen Berufserfahrung nicht näher definiert hat, und das geltende Recht der ehemaligen DDR für den hier streitigen Zeitraum bis März 1973 keine Regelung zur Zuerkennung einer Facharbeiterqualifikation an Beschäftigte mit 10jähriger Facharbeitertätigkeit enthielt (Diel in Hauck, Gesetzliche Rentenversicherung, Kommentar, Stand August 2000, SGB VI, § 256 b Rdnr. 26). Erst mit der "Anordnung über die Facharbeiterprüfung in der sozialistischen Berufsausbildung" vom 07.08.1973 (Gesetzblatt der DDR, Teil I, 1973, S. 409 ff.) wurde eine Regelung eingeführt, die es berufserfahrenen Werktätigen nach zehnjähriger Facharbeitertätigkeit ermöglichte, einen Nachweis der Facharbeiterqualifikation von der für den Ausbildungsberuf zuständigen Prüfungskommission zu erhalten (§ 10 der genannten Anordnung). Zuvor galt für längjährig Werktätige mit hervorragenden Leistungen die Sonderbestimmung des § 15 Abs. 3 der Anordnung über die Prüfungsordnung für die sozialistische Berufsbildung vom 26.11.1965 (Gesetzblatt der DDR, Teil 1, 1965, S. 827) sowie des § 12 der entsprechenden Anordnung vom 31.07.1970 (Gesetzblatt der DDR, Teil 1, 1970, S. 515). Unter der Voraussetzung, dass die Berufspraxis mindestens der Dauer der Berufsausbildung in dem zu prüfenden Beruf entsprach, die Betreffenden sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit im Ausbildungsberuf bewährt und entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen beendet hatten, konnte die Facharbeiterqualifikation ohne Anfertigung von schriftlichen Prüfungsarbeiten erworben werden. In einem Prüfungsgespräch mussten die Betreffenden nachweisen, dass sie die für die Ausübung des Berufes erforderlichen Kenntnisse besaßen.

Die Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall ist auch deshalb geboten, weil die dem System der beruflichen Bildung der DDR entnommenen konkreten Tatbestandsmerkmale der Qualifikationsgruppen in dieser Form in den verschiedenen Herkunftsländern der FRG-Berechtigten nicht (immer) anzutreffen sind. Hier sind die Besonderheiten des sowjetischen Systems der Berufsqualifikation zu beachten. Zwar hat der Kläger mit dem Besuch der Technischen Lehranstalt in Frunse nur eine berufliche Grundausbildung absolviert, seine berufliche Bildung wurde jedoch - wie dies noch bis Anfang der siebziger Jahre möglich und üblich war - im Betrieb fortgesetzt. Im Unterschied zu den Verhältnissen in der ehemaligen DDR erfolgte die Ausbildung in der Sowjetunion nicht überwiegend an Berufsschulen (vgl. hierzu und zum folgenden Müller, Die Qual mit den Qualifikationsgruppen, DAngVers 1995, S. 354 ff.; Göring, a.a.O., S. 55 ff., 147 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.10.1997 - L 11 J 1714/97).

Nach den Ausführungen von Göring (a.a.O.) und Müller (a.a.O.), welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, bestand in der ehemaligen UdSSR eine enge Verzahnung von Berufsqualifikation und Tarifeinstufung, die Lohn- und Qualifikationsstufe miteinander verband. Am Ende einer Berufsausbildung oder betrieblichen (Weiter-)Bildung wurde nicht nur die Qualifikation bestätigt, sondern auch gleich zeitig die Eingruppierung in eine Tarif-/Lohnkategorie vorgenommen. Die hier interessierende Gruppe der "qualifizierten Arbeiter" umfasste die unterste Ebene der "wenig qualifizierten Arbeiter (Lohnkategorie 1 und 2)", die mittlere Ebene der "qualifizierten Arbeiter (Lohnkategorie 3 und 4)" und die obere Ebene der "hochqualifizierten Arbeiter (Lohnkategorie 5 und 6)". Personen, die über die unteren Lohnkategorien hinaus gekommen waren, konnten regelmäßig als Facharbeiter im Sinne der Qualifikationsgruppe 4 angesehen werden (Göring, a.a.O., S. 152). Sowohl die mittlere als auch die obere Qualifikationsstufe konnte durch betriebliche Erstausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen erreicht werden. Auch wenn diese zum Teil kürzer als entsprechende Schulausbildungen waren, kann im Ergebnis eine Gleichwertig keit nicht abgesprochen werden, da sie im sowjetischen Lohn- und Qualifikationssystem als gleichwertig anerkannt und in erster Linie Arbeiter mit jahrelanger Berufspraxis und Betriebszugehörigkeit delegiert wurden. Die nach der "Muster ordnung für die Ausbildung und Weiterqualifizierung von Arbeitern unmittelbar in der Produktion" durchgeführten Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen der Betriebe zur Erhöhung des Qualifikationsniveaus dauerten unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten des Berufs sowie des Umfanges der zu erwerbenden Kenntnisse und Fertigkeiten ohne Unterbrechung der Berufstätigkeit und mit begrenzter Freistellung bis zu sechs Monaten. Ein wichtiges Prüfungsergebnis der von einer betrieblichen Qualifikationskommission auf Werks- und Abteilungsebene abgenommenen Qualifikationsprüfungen (Probearbeiten und mündliche Prüfung) war die Festlegung der Qualifikationsgruppe und damit auch der Lohnkategorie (Göring,a.a.O., S 58, 149).

Nach den Angaben des Klägers, an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln der Senat keinen Anlass hat, hat er an den beschriebenen betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen. Er hat eine zweite sechsmonatige Fortbildung im Jahre 1968 durchlaufen, nach deren erfolgreichem Abschluss er in die Lohnkategorie 5 übernommen wurde. Unter Berücksichtigung des weiteren Umstandes, dass der Kläger wegen seiner qualifizierten Berufsausübung auf Vorschlag des Arbeitgebers ab September 1968 ein Studium an dem Maschinenbau-Technikum aufnahm, ist die von dem Kläger verrichtete Tätigkeit als Fräser ab diesem Zeitpunkt nach der Qualifikationsgruppe 4 der Anlage 13 zum SGB VI zu bewerten.

Hinsichtlich der weiter streitgegenständlichen Zeit von Mai 1966 bis zum Beginn des Studiums konnte der Senat sich nicht vom Vorliegen der Facharbeiterqualifikation des Klägers überzeugen, da dieser in diesem Zeitraum noch nicht die zweite betriebliche Qualifizierungsmaßnahme absolviert hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das weitgehende Obsiegen des Klägers.

Die Voraussetzung für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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