L 9 AL 287/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 36 AL 1037/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 287/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 5. April 2000 wird verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten des 2. Rechtszuges sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe und die Erstattung von Leistungen.

Die Klägerin meldete sich nach einer Beschäftigung als kaufmännische Leiterin bei der Firma C ... GmbH in T ... ab 01.01.1998 arbeitslos beim Arbeitsamt München. Das Arbeitsamt bewilligte ihr mit Bescheid vom 23.04.1998 Arbeitslosengeld für 364 Tage und mit Bescheid vom 15.12.1998 Anschluss-Arbeitslosenhilfe vom 31.12.1998 bis 30.12.1999.

Als Anschrift gab die Klägerin die M ...straße 33, später 53, in München an.

Mit Bescheid vom 15.06.1999 hob das Arbeitsamt die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe wegen Nichterreichbarkeit der Klägerin ab 04.06.1999 auf. Die Klägerin erhob hiergegen am 09.07.1999 schriftlich Widerspruch. Der Eingang ihres Widerspruchs wurde unter der Nr.3987/99 bestätigt.

Mit Schreiben vom 18.07.1999, das am 19.07.1999 einging, erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht München "zu dem o.g.Widerspruch" (W.3987/99).

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 07.09.1999 hob das Arbeitsamt die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe wegen Nichterreichbarkeit der Klägerin rückwirkend ab 14.11.1998 auf und forderte 14.827,17 DM Arbeitslosenhilfe sowie 5.342,06 DM Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zurück. Der Bescheid werde, so die Belehrung, nach § 86 SGG Gegenstand des anhängigen Vorverfahrens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.1999 wies das Arbeitsamt den Widerspruch der Klägerin vom 09.07.1999 gegen den Aufhebungsbescheid vom 15.06.1999 in Gestalt des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 07.09.1999 als unbegründet zurück. Die Zustellung des an die M ...str.53 adressierten Widerspruchsbescheides erfolgte durch Niederlegung bei der Post; die Sendung wurde aber nicht abgeholt.

Seit 16.12.1999 lebte die Klägerin auf Kosten des Bezirks beim E ... Beratungsdienst in der H ...str.12. Mit Schreiben vom 29.12.1999, das am 04.01.2000 einging, unterrichtete der Bezirk das Arbeitsamt hierüber und meldete Ansprüche auf Erstattung nach §§ 112 ff. SGB X an.

Das SG erhielt nach erfolglosem Anschreiben der Klägerin unter der Anschrift M ...str. 53 vom Einwohnermeldeamt der Stadt München am 14.02.2000 die Mitteilung, dass die derzeitige Anschrift der Klägerin dort nicht bekannt sei.

Am 27.02.2000 setzte der Kammervorsitzende Termin zur mündlichen Verhandlung für den 05.04.2000 an. Die Klägerin wurde hierzu im Wege der öffentlichen Zustellung geladen.

Zur mündlichen Verhandlung am 05.04.2000 erschien die Klägerin nicht und war auch nicht vertreten. Das SG verurteilte die Beklagte mit Urteil vom selben Tage, der Klägerin den Widerspruchsbescheid vom 17.12.1999 rechtswirksam zuzustellen. Bei der Klage vom 18.07.1999 mit Bezugnahme auf den Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 15.06.1999 habe es sich um eine Untätigkeitsklage gehandelt. Diese sei sachlich begründet, da die Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 09.07.1999 nicht innerhalb der Monatsfrist des § 88 Abs.2 SGG rechtswirksam verbeschieden habe. Der Widerspruchsbescheid vom 17.12.1999 sei der Klägerin nämlich bisher nicht rechtswirksam zugestellt worden.

Das Urteil wurde der Klägerin gleichfalls öffentlich zugestellt.

Das Arbeitsamt stellte der Klägerin in Ausführung des Urteils des SG den Widerspruchsbescheid vom 17.12.1999 mit PZU vom 20.07.2000 an die H ...str.12 beim E ... Beratungsdienst zu. Beigelegt war eine Kopie des Urteils des SG vom 05.04.2000.

Die Klägerin richtete am 21.08.2000 ein Fax an das SG. Darin erhob sie "Klage" gegen den das Widerspruchsverfahren W.3987/ 99 betreffenden Widerspruchsbescheid vom 17.12.1999. Zugleich legte sie "vorsorglich Berufung" gegen das Urteil des SG vom 05.04.2000 ein.

Die Berufung wurde an das LSG weitergeleitet.

Äußerungen zur Frist oder zur Sache erfolgten seitens der Klägerin trotz Aufforderung durch den Senat nicht.

Desgleichen stellte die Klägerin keinen Antrag.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten erster Instanz und die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin war als unzulässig zu verwerfen.

Allerdings scheitert die Zulässigkeit der Berufung nicht an der Monatsfrist des § 151 Abs.1 SGG.

Zwar hat das SG die Vorschriften über die äußerliche Durchführung einer öffentlichen Zustellung beachtet. Das Urteil wurde am 09.06.2000 im Gerichtsgebäude ausgehängt und am 29.06.2000 abgenommen. Nach §§ 63 Abs.2 SGG, 15 Abs.3 Satz 2 VwZG wäre der hierdurch bewirkte Tag der Zustellung der 24.06.2000 gewesen mit der Folge des Endes der Berufungsfrist mit Ablauf des 24.07.2000 (§ 64 Abs.1 und 2 SGG).

Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung des Urteils des SG vom 05.04.2000 lagen aber nicht vor. Der Aufenthaltsort der Klägerin war nicht unbekannt, wie dies § 15 Abs.1 Buchst.a VwZG erfordert. Dem Arbeitsamt war seit dem 04.01.2000 bekannt,dass die Klägerin seit 16.12.1999 im Wohnheim des E ... Beratungsdienstes in der H ...str.12 in München wohnte. Die Klägerin war unter dieser Anschrift auch schriftlich zu ereichen. Das SG hätte durch Rückfrage bei der Beklagten, ob dort zwischenzeitlich eine Anschrift der Klägerin bekannt sei, diese Anschrift noch vor der öffentlichen Zustellung erfragen können (zu den Anforderungen an eine öffentliche Zustellung s.Engelhardt/App Anm.1 zu § 15 VwZG, Zoeller-Stöber Rdz.2 zu § 203 ZPO).

Welche Folgen es hat, wenn die Voraussetzungen für eine äußerlich korrekt ausgeführte öffentliche Zustellung nicht vorgelegen haben, ist umstritten. Zum Teil wird die Meinung vertreten, dass die öffentliche Zustellung wirksam ist, jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (Zoeller-Stöber, Rdz.9 zu § 204 ZPO unter Hinweis auf BGH NJW 92, 2280).

Von anderer Seite wird dies abgelehnt. Die Zustellung sei in einem solchen Fall nicht ordnungsgemäß bewirkt. Entweder trete mit dem Zeitpunkt des nachgewiesenen tatsächlichen Zugangs des Schriftstücks eine Heilung nach § 9 Abs.1 VwZG ein, oder aber die Frist beginne nach § 9 Abs.2 VwZG nicht zu laufen, wenn mit der Zustellung eine Rechtsmittel- oder Rechtsmittel-Begründungsfrist in Gang gesetzt werden solle (Engelhardt/App Anm.2c und 5 zu § 15 VwZG, vgl. auch Mayer-Ladewig, Rdz.10 zu § 63 SGG).

Die unterschiedlichen Auffassungen wirken sich auf den Fall der Klägerin nicht aus. Der Klägerin, die innerhalb eines Monats nach Erhalt des SG-Urteils vom 05.04.2000 am Montag, den 21.08.2000, Berufung eingelegt hat, ist zumindest Wiedereinsetzung zu gewähren.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch wegen Fehlens der Beschwer nicht zulässig. Die Klägerin hat nämlich durch das sozialgerichtliche Urteil alles erhalten, was sie mit ihrer Untätigkeitsklage angestrebt hat. Jedenfalls aber fehlt es an der instanziellen Zuständigkeit des LSG. Nachdem die Klägerin den Widerspruchsbescheid vom 17.12.1999 erhalten hat, könnte ihr Begehren zwar möglicherweise dahingehend auszulegen sein, dass sie die gerichtliche Aufhebung des mit Widerspruch angefochtenen Bescheides vom 15.06.1999 in Gestalt des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 07.09.1999 und des Widerspruchsbescheides vom 17.12.1999 begehrt. Auch kann ein Kläger von der ursprünglichen Untätigkeitsklage auf die Anfechtungsklage übergehen (Meyer-Ladewig Rdz. 2b zu § 99 SGG), mit Zustimmung der Beklagten ist dies auch in zweiter Instanz möglich (Meyer-Ladewig, Rdz.12 zu § 99 SGG). Die Klägerin hat aber in ein und demselben Schriftsatz vom 21.08.2000 Berufung sowie gegen den Widerspruchsbescheid vom 17.12.1999 zugleich Klage beim Sozialgericht erhoben. Daraus und aus der nur vorsorglichen Einlegung der Berufung ist zu schließen, dass die Klägerin ihr nunmehriges prozessuales Ziel allenfalls hilfsweise im Wege einer Klageänderung im Rahmen des ursprünglichen, mittlerweile in zweiter Instanz anhängigen Verfahrens verfolgen will. Auch hat bei doppelter erstmaliger und zeitgleich bewirkter Rechtshängigkeit des gleichen Streitgegenstandes der gerichtliche Rechtsschutz in erster Instanz Vorrang.

Die Berufung der Klägerin war daher als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Anlass zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nr.1 oder Nr.2 SGG bestand nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Das Urteil des Senats weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassngsgericht ab und beruht auf dieser Abweichung.
Rechtskraft
Aus
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