S 28 (23) AS 199/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 28 (23) AS 199/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger begehren von der Beklagten Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung.

Die 1956 geborene Klägerin zu 1) und der 1960 geborene Kläger zu 2) sind verheiratet und beziehen als Bedarfsgemeinschaft seit dem 01.01.2005 von der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch –Grundsicherung für Arbeitssuchende- (SGB II).

Mit dem Leistungsantrag vom 08.09.2004 legten sie zwecks Gewährung von Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung der Beklagten ärztliche Bescheinigungen von I, D und N, Allgemeinmediziner aus X, vom 17.09.2004 vor. Die Ärzte teilten mit, die Klägerin zu 1) leide an einem Diabetes mellitus Typ II b mit Übergewicht und benötige eine Diabetes-Reduktionskost. Im Falle des Klägers zu 2) sei aufgrund einer Hyperlipidämie eine lidpidsenkende Kost, aufgrund einer Leberinsuffizienz/Niereninsuffizienz eine eiweißdefinierte Kost und aufgrund des Diabetes mellitus Typ II b mit Übergewicht eine Diabetes- Reduktionskost angezeigt.

Mit Bescheid vom 26.11.2004 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.05.2005 in Höhe von 1045, 86 Euro monatlich. Die Leistungen umfassten einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung zugunsten des Klägers zu 2) in Höhe von 35,79 Euro monatlich.

Mit ihrem Widerspruchsschreiben vom 02.12.2004 –eingegangen am 06.12.2004- machten die Kläger im wesentlichen geltend, sie hätten im Rahmen des früheren Sozialhilfebezuges nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) aufgrund ihrer Diabetes-Erkrankungen jeden Monat 51,50 Euro pro Person für Krankenkost erhalten. Nunmehr sei die Krankenkostzulage für den Kläger zu 2) gekürzt und für die Klägerin zu 1) gänzlich gestrichen worden. Dies sei unverständlich. Die Klägerin zu 1) müsse mehrmals am Tag ihren Zuckerspiegel überprüfen und benötige Zuckermessstäbchen. Dies verursache einen Kostenmehraufwand von ca. 70,00 Euro monatlich, denn sie erhalten die Stäbchen nicht auf Rezept.

Mit Änderungsbescheid vom 10.01.2005 berechnete die Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.05.2005 vor dem Hintergrund einer Mietänderung neu. Hinsichtlich des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung verblieb es bei dem Betrag, wie mit Bescheid vom 26.11.2004 anerkannt.

Im Rahmen einer persönlichen Anhörung am 01.02.2005 teilten die Kläger weiterhin mit, sie litten beide nicht an Diabetes mellitus des Typs II b, sondern des Typs II a. Daraufhin bat die Beklagte die behandelnden Ärzte I, D und N erneut um Auskunft. Mit Bescheinigungen vom 04.02.2005 attestierten die Ärzte beiden Klägern einen Diabetes Typ II a und die Notwendigkeit von Diabeteskost. Diese Angaben revidierten die Ärzte mit Bescheinigungen vom 11.03.2005, in denen beiden Klägern erneut ein Diabetes Typ II b attestiert wurde.

Mit Bescheid vom 17.03.2005 teilte die Beklagte die Kläger mit, dass aufgrund der Diabetes-Erkrankung kein Anspruch auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung besteht. Durch die behandelnden Ärzte sei eine korrigierte Bescheinigung zur Anerkennung eines Mehrbedarfs vorgelegt worden. Die vorletzte Bescheinigung über einen Diabetes Typ II a sei versehentlich falsch ausgefüllt worden. In der neuen und letzten Bescheinigung sei nunmehr ein Diabetes Typ II b angekreuzt worden.

Nachdem die Kläger daraufhin geltend gemacht hatten, ihren Widerspruch aufrechterhalten zu wollen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2004 den Widerspruch zurück. Sie führte im wesentlichen aus, die von den Ärzten bescheinigte Erkrankung eines Diabetes mellitus Typ II b erfordere gegenüber einer Normalernährung keine Mehrkosten. Im Falle des Klägers zu 2) sei nach den "Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" (Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentlichen und private Fürsorge, 2. völlig neu bearbeitete Auflage 1997) ("Empfehlungen des Deutschen Vereins") für die Erkrankung Hyperlipidämie eine Krankenkostzulage in Höhe von 35,79 Euro zu gewähren, für die Erkrankung Leberinsuffizienz eine Zulage in Höhe von 30,68 Euro und für die Erkrankung Diabetes Typ II b kein Mehrbedarf. Sofern mehrere Erkrankungen die Voraussetzung für die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung erfüllen, sei der Mehrbedarf zu gewähren, der der höchstens Krankenkostzulage entspräche. Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung, dem Kläger zu 2) einen Mehrbedarf in Höhe von 35,79 Euro zu gewähren, nicht zu beanstanden.

Die Kläger haben am 31.05.2005 Klage erhoben und erstreben weiterhin die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung vor dem Hintergrund ihrer Diabetes- Erkrankungen. Sie wiederholen im wesentlichen ihren Vortrag aus dem Widerspruchsschreiben vom 02.12.2004 und äußern ihr Unverständnis, dass ihnen der Mehrbedarf jahrelang genehmigt worden sei, jetzt seit der Einführung von Hartz IV wegfalle bzw. nur gekürzt bewilligt worden sei.

Die Kläger beantragen schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter teilweiser Abänderung des Bescheides vom 26.11.2004 unter Einbeziehung des Bescheides vom 10.1.2005 und unter Aufhebung des Bescheides vom 17.03.2005, alle in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2005 zu verurteilen, ihnen aufgrund ihrer Diabetes-Erkrankungen einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 09.05.2005.

Das Gericht hat Beweis erhoben und P, Facharzt für Innere Medizin und Sportmedizin aus O, mit der Untersuchung der Kläger beauftragt. In dem Gutachten vom 10.1.2006, welches die Klägerin zu 1) betrifft, hat der Sachverständige der Klägerin auf internistischem Gebiet einen Diabetes mellitus Typ II a attestiert. Der Diabetes der Klägerin zu 1) sei im Erwachsenenalter aufgetreten. Da die Klägerin nicht adipös sei und keine Hinweise auf eine Adipositas in der zeitlich relevanten Vorgeschichte vorlägen, sei von einem Diabetes Typ II a auszugehen. Der Diabetes der Klägerin zu 1) könne erfolgreich mit einer angepassten Kost und einer Glibenclamid-Therapie (oral-medikamentöse Therapie) behandelt werden. Eine spezielle auf den Diabetes mellitus gerichtete Ernährung werde von der Klägerin nicht betrieben. Unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Standes sei die Notwendigkeit einer speziellen (in ihrer Zusammensetzung geänderten) Ernährung im Vergleich zu der der Durchschnittsbevölkerung empfohlenen Ernährung nicht gegeben und infolgedessen auch keine kostenaufwändigere Ernährung im Vergleich zu der für die Durchschnittsbevölkerung empfohlenen Kost. Soweit die "Empfehlungen des Deutschen Vereins" im Falle eines Diabetes Typ II a von der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung und einer Krankenkostzulage in Höhe von 100,00 DM ausgingen, stehe dies nicht im Einklang mit dem aktuellen Stand der medizinischen Ernährungswissenschaft. Aus der wissenschaftlichen Literatur ergebe sich, dass der Diabetiker im Vergleich zur Normalbevölkerung für seine Ernährung keinen Kostenmehraufwand zu betreiben habe, um seine Erkrankung günstig zu beeinflussen.

Im Falle des Klägers zu 2) hat der Sachverständige P im Gutachten vom 17.01.2006 folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert:

- Diabetes mellitus Typ II a mit Glibenclamid und Insulin behandelt, - toxischer Leberschaden, Ausschluss einer Lebersyntheseleistungsstörung, - Ausschluss einer Niereninsuffizienz.

Der Kläger nehme normale Kost, fettreduziert, zu sich, wobei er Haushaltszucker vermeide und Jodsalz benutze. Die Vermeidung von Haushaltszucker und die Aufnahme von Jodsalz dürfte im Hinblick auf die Diabeteserkrankung aufgrund des erheblichen Alkoholkonsums des Klägers ohne messbaren Nutzen bleiben. In Bezug auf die Diabeteserkrankung ergebe sich nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen keine Notwendigkeit für eine Krankenkostzulage. Zur Begründung verweist der Sachverständige auf seine entsprechenden Ausführungen im Gutachten über die Klägerin zu 1) vom 10.01.2006. Weiter hat der Sachverständige mitgeteilt, selbst bei Anwendung der Anlage 1 der "Empfehlungen des Deutschen Vereins" könnte im Fall des Klägers zu 2) keine Krankenkostzulage empfohlen werden, weil ihr Zweck –nämlich Verbesserung der Ernährungssituation- bei dem Kläger zu 2), der einen regelmäßigen und erheblichen Alkoholkonsum betreibe, nicht erreicht werden könnte. Weiterhin hat der Sachverständige festgestellt, dass bei dem Kläger zu 2) weder eine Leber- und noch Niereninsuffizienz vorlägen, so dass in dieser Hinsicht unter Berücksichtigung der "Empfehlungen des Deutschen Vereins" die Notwendigkeit für eine spezielle Krankenkost nicht zu bestätigen sei.

Der Sachverständige hat u.a. folgende Unterlagen den Gutachten beigefügt:

Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft zum Thema "Mehraufwand für Diabeteskost" von M und L vom 14.12.2004, Das Rationalisierungsschema 2004 des Berufsverbandes Deutscher Ernährungsmediziner e.V., der Deutschen Adipositas Gesellschaft e.V., der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin e.V., der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V., der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V., des Verbandes der Diätassistenten - Deutscher Berufsverband und des Verbandes der Diplom-Oecotrophologen e.V.

Mit Schreiben vom 07.02.2006 haben die Kläger Einwände gegen die Untersuchung von P sowie Angaben in den Gutachten erhoben. Neben den Mehrkosten für die Zuckermessstäbchen in Höhe von 70,00 Euro fielen weitere Kosten für Medikamente an, die nicht mehr rezeptiert würden, so wie beispielsweise für die Salben des Klägers zu 2).

Wegen weiterer Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakten sowie der von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten (Gz. 000/ 0000000).

Entscheidungsgründe:

Die Kläger haben mit Schreiben vom 14.08.2006 und die Beklagte mit Schreiben 25.07.2006 einer Entscheidung des Gerichtes ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Das Gericht konnte daher ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz –SGG-).

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide vom 26.11.2004, 10.01.2005 und 17.03.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2005 erweisen sich im Hinblick auf die Ablehnung von (weitergehende) Mehrbedarfe wegen kostenaufwändiger Ernährung als rechtmäßig und beschweren die Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin zu 1) einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bzw. dem Kläger zu 2) einen höheren Mehrbedarf als den bereits bewilligten in Höhe von 35,79 Euro im Rahmen der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren. Die Klage war daher abzuweisen.

Nach § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Die Gewährung des Mehrbedarfes setzt voraus, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige aus medizinischen Gründen einer gegenüber dem "Normalfall" kostenaufwändigeren Ernährung bedarf, die wegen des erhöhten Kostenaufwandes nicht aus der Regelleistung gesichert werden kann. Das liegt im Fall der Kläger nach Überzeugung des Gerichtes nicht vor. Sie können die Kosten für die im Hinblick auf ihre Diabetes-Erkrankung erforderliche Vollkost (Mischkost) aus den ihnen gewährten Regelleistungen vollumfänglich decken.

Nach dem Ergebnis der eingeholten Sachverständigengutachten von P vom 10.01.2006 bzw. 17.01.2006 leiden beide Kläger an einem Diabetes mellitus Typ II a, ohne übergewichtig zu sein. Der Diabetes kann nach Feststellung des internistischen Sachverständigen im Falle der Klägerin zu 1) erfolgreich mit einer angepassten Vollkost (vollwertige Kost) und einer Clibenclamid Therapie behandelt werden. Im Fall des Klägers zu 2) gilt im wesentlich Gleiches mit der Ergänzung der Notwendigkeit einer Insulinbehandlung. Eine spezielle auf den Diabetes mellitus Typ II a gerichtete Ernährung müssen die Kläger nicht betreiben: einen speziellen Ernährungsplan mit bestimmten festgelegten Lebensmitteln (Diabetesdiätprodukte), welche zwingend besondere Kosten auslösen würden, haben die Kläger nicht zu beachten. Vielmehr können sie sich –wie die Durchschnittsbevölkerung- mit einer normalen Vollkost (Mischkost), die einer gesunden Normalkost entspricht, ernähren. Der Sachverständige P weist insoweit darauf hin, dass im Fall der Kläger die wesentliche diätetische Notwendigkeit allein darin besteht, die zugeführten Kohlenhydrate so über den Tag zu verteilen, dass Blutzucker-Spitzen vermieden würden. Hierzu bedarf es der Kenntnis, welche in der Nahrung enthaltenen Stoffe den Blutzucker steigern (Kohlenhydrate) und einer Vorstellung davon, in welchen Nahrungsmittel Kohlendydrate enthalten sind und in welcher Zeit diese verstoffwechselt werden. Mehrkosten für die Ernährung entstehen hierdurch naturgemäß nicht. Der Sachverständige P hat in seinem Gutachten vom 10.01.2006 nachvollziehbar dargelegt, dass in Bezug auf die Frage eines Kostenmehraufwands für die Ernährung von Diabetiker ein erheblicher wissenschaftlicher Wandel eingetreten ist und nach dem aktuellen Stand der medizinischen Ernährungswissenschaft der Diabetiker (Typ II a) im Vergleich zur Normalbevölkerung keinen Kostenmehraufwand hinsichtlich seiner Ernährung betreiben muss, um seine Erkrankung günstig zu beeinflussen. Dieser Auffassung schließt sich das Gericht nach eigener Überzeugungsbildung an. Das Gericht nimmt insoweit insbesondere Bezug auf die dem Gutachten vom 10.01.2006 beigefügte und den Beteiligten zur Kenntnis gegebene Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft zum Thema "Mehraufwand für Diabeteskost" vom 14.12.2004. Die Stellungnahme führt aus, dass die am 01.10.2004 anwesenden Mitglieder des Ausschusses Ernährung Deutsche Diabetes Gesellschaft einstimmig der Meinung waren, dass gestützt auf aktuelle, wissenschaftlich gesicherte und evidenz-basierte Empfehlungen, Mehrkosten zur Ernährung von Typ I und Typ II Diabetiker nicht entstehen. Dies beruht nicht zuletzt auf der von allen größeren nationalen und internationalen Diabetes-Fachgesellschaften akzeptierten Feststellung, dass es keine Nahrungsmittel gibt, die für die Ernährung von Diabetikern besonders vorteilhaft sind. Die Ernährung eines Patienten mit Diabetes kann daher mit den gleichen Nahrungsmitteln erfolgen wie bei Gesunden. Das Gericht misst diesen Feststellungen des Ausschusses für Ernährung Deutsche Diabetes Gesellschaft aufgrund seiner exponierten Stellung und seiner Zusammensetzung mit namhaften Wissenschaftlern eine besondere Bedeutung zu. Darüber hinaus hat Gewicht, dass die Feststellungen von dem Ausschuss einstimmig (also ohne Minderheitenvoten) gefasst worden sind. Gestützt wird die Auffassung der Deutschen Diabetes Gesellschaft vom 14.12.2004 durch das Rationalisierungsschema 2004 des Berufsverbandes Deutscher Ernährungsmediziner e.V., der Deutschen Adipositas Gesellschaft e.V., der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin e.V., der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V., der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V., des Verbandes der Diätassistenten - Deutscher Berufsverband und des Verbandes der Diplom-Oecotrophologen e.V." (Rationalisierungsschema 2004), welches den Beteiligten ebenfalls zur Kenntnis gegeben worden ist. Diesem kann entnommen werden, dass die Basiskost in der Ernährung bei Diabetes mellitus sich in ihrer Zusammensetzung nicht von der im Rahmen der Primärprävention zur Gesunderhaltung empfohlenen Ernährungsweise unterscheidet, d.h. die Vollkost erfüllt die Bedingungen der Ernährungstherapie bei Diabetes mellitus Typ II. Ausgehend vom Prinzip der Vollkost sind folgende zusätzliche Maßnahmen angezeigt: "- ( ...), - mäßiger Verzehr von Saccharose (bis zu 10% der Gesamtenergiemenge), der aber nur in "verpackter Form" in festen Lebensmitteln, nicht in Getränken erfolgen sollte, - ( ...), - bei Patientenwunsch und unter individueller Risikoabschätzung Alkoholkonsum von bis zu 20 g (10g bei Frauen) pro Tag, möglichst in Zusammenhang mit kohlenhydrathaltigen Mahlzeiten zur Vermeidung einer Hypoglykämiegefahr. ( ...) Bei Gabe von hypoglykämisierenden Substanzen müssen die Wirkungen blutzuckersenkender Medikamente und blutzuckererhöhender Mahlzeiten zeitlich und quantitativ aufeinander abgestimmt werden. ( ...) Energiefreie Süßstoffe können in Getränken großzügig verwendet werden. Fruktose und andere kalorienhaltige Zuckeraustauschstoffe haben gegenüber der Verwendung von Saccharose keine entscheidenden Vorteile. Viele Lebensmittel, die als "geeignet für Diabetiker" deklariert sind, haben einen hohen Fett- und damit Energiegehalt und sind deshalb insbesondere für übergewichtige Diabetiker nicht zu empfehlen." Auch diese weitergehenden Maßnahmen bedingen keine Mehrkosten in Bezug auf die Diabetikern empfohlene Vollkosternährung.

Das Gericht nimmt an dieser Stelle zudem Bezug auf neuere sozialgerichtliche Rechtsprechung, die sich ebenfalls von der Richtigkeit der Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft vom 14.12.2004 überzeugt hat und vor diesem Hintergrund –zusätzlich gestützt auf das Rationalisierungsschema 2004- die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung im Fall von Diabetiker ablehnt (Schleswig-Holsteinisches LSG Beschluss vom 06.09.2005 –L 9 B 186/05 SO ER- und Beschluss vom 24.11.2005 –L 9 B 259/05 SO PKH-; SG Dresden Beschluss vom 30.08.2006 –S 23 AS 1372/06 ER-; vgl. auch LSG NRW Beschluss vom 23.06.2006 –L 20 B 109/06 AS-). Auch im Bereich des Sozialhilferechts nach dem BSHG ergangene verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung im Fall von Diabetiker abgelehnt und die Auffassung vertreten, dass nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen davon ausgegangen werden kann, dass soweit sich Diabetiker wie Gesunde ausgewogen ernähren, eine besondere, kostenaufwändige Diät nicht erforderlich sei (so bspw. VG Münster Urteil vom 04.11.2003 -5 K 4689/03- mit Verweis auf VG Münster Urteil vom 06.10.2003 -11 K 3182/00-).

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die "Empfehlungen des Deutschen Vereins" aus dem Jahre 1997, in denen für den Fall der Erkrankung eines Diabetes mellitus Typ II a eine Diabetesdiät für angezeigt erachtet und eine Krankenkostzulage in Höhe von 100,00 DM (=51,13 Euro) vertreten wird. Zwar stellen die "Empfehlungen des Deutschen Vereins" nach weit verbreiteter Auffassung antizipierte Sachverständigengutachten dar, die verlässliche Informationen zwecks einheitlicher Verwaltungshandhabung geben. Von diesen soll bzw. kann aber abgewichen werden, wenn die dort zugrunde gelegten Annahmen durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse erschüttert oder die dort festgelegten Mehrbeträge aufgrund der Preisentwicklung überholt sind (OVG Schleswig, Beschluss vom 26.03.2003 -2 MV 159/02-). Sowohl die Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft vom 14.12.2004 als auch das Rationalisierungsschema 2004 stellen solche neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse dar, die ein Abweichen von den "Empfehlungen des Deutschen Vereins" rechtfertigen. Dies insbesondere aufgrund ihrer größeren Aktualität aus dem Jahr 2004, wogegen den aus dem Jahre 1997 stammenden "Empfehlungen des Deutschen Vereins" Gutachten aus den Jahren 1991 bis 1996 (Rationalisierungsschema 1994 der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin; Gutachten zum Kostenaufwand für Langzeitdiäten vom 29.11.1994; Krankenkostzulagen nach dem BSHG bei Krebs, Multipler Sklerose, Diabetes mellitus und anderen Erkrankungen vom 02.04.1991; Zur Gewährung von Krankenkostzulagen aus ernährungsmedizinischer Sicht vom 22.01.1996) zugrunde liegen und diese somit einen anderen Erkenntnisstand haben als die dem Jahre 2004 entstammenden wissenschaftlichen Unterlagen (ähnlich Schleswig-Holsteinische LSG 24.11.2005, aaO). So geht das den Empfehlungen zugrunde liegende Gutachten des Bundesgesundheitsamtes vom 02.04.1991 trotz Feststellung, dass für Diabetiker grundsätzlich die gleichen Nährstoffbedürfnisse gelten wie für Gesunde, noch davon aus, dass diätetische Lebensmittel für Diabetiker wissenschaftlich anerkannt seien und die Diätführung von Diabetiker erleichtern, das gelte insbesondere für Produkte, die mit Zuckeraustauschstoffe oder Süßstoffe hergestellt seien. Diese diätetischen Lebensmittel seien in der Regel teurer als Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs. Aus diesem Grunde könnten für Diabetiker Mehrkosten entstehen, die über denen einer vollwertigen Normalkost liegen. Diese ernährungswissenschaftliche Position ist überholt. Schon in dem ebenfalls den "Empfehlungen des Deutschen Vereins" zugrunde liegenden Gutachten zur "Gewährung von Krankenkostzulagen aus ernährungsmedizinischer Sicht" aus dem Jahre 1996 wird festgestellt, dass Zuckeraustauschstoffe entbehrlich sind und Diabetiker von der Verwendung diätetischer Lebensmittel abgeraten wird. Darüber hinaus sind die Daten für die in den "Empfehlungen des Deutschen Vereins" vertretenen Mehrkosten in dem "Gutachten zum Kostenaufwand für Langzeit-Diäten" aus 1991 auf der Basis von Kostenberechnungen im Jahr 1978 erstellter Tagesspeisepläne ermittelt worden. Zu jener Zeit bestand noch die Auffassung, dass bei einer Diabetes-Diät eine gegenüber der Normalkost geänderte Zusammensetzung der Nährstoffrelation bestehen müsse, dahingehend, dass Proteine und Fette im Vergleich zur Normalkost beim Diabetiker vermehrt angeboten und dafür Kohlenhydrate vermindert werden sollten. Diese Annahme der Nahrungszusammensetzung entspricht nicht mehr dem aktuellen wissenschaftlichen Stand und die damaligen Kostenermittlungen sind infolgedessen nicht mehr als aktuell einzuschätzen.

Ungeachtet dieser Überlegungen setzt ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II stets voraus, dass im individuellen Fall des Hilfesuchenden ein Mehrbedarf tatsächlich anfällt bzw. angefallen ist. Einen abstrakten Mehrbedarf beim Vorliegen einer Krankheit gibt es nicht. Vielmehr knüpft ein Mehrbedarf allein an die Tatsache an, dass wegen einer Krankheit oder Behinderung eine kostenaufwändigere Ernährung als üblich erforderlich ist bzw. geworden ist (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches LSG, 06.09.2005, aaO). Hieran fehlt es im Fall der Kläger, denn diesen sind in der streitgegenständlichen Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.05.2005 keine Mehrkosten für eine besondere Diabetesdiät entstanden. Die Kläger haben insoweit gegenüber dem Sachverständigen angegeben, normale, fettreduzierte Kost zu sich zu nehmen, wobei der Kläger zu 2) zusätzlich Haushaltszucker vermeidet und Jodsalz benutzt. Eine spezielle, besondere Kosten auslösende Diät haben sie nicht durchgeführt. Der Sachverständige P hat zudem in Bezug auf den Kläger zu 2) darauf hingewiesen, dass angesichts seines Alkoholabusus mit den daraus resultierenden negativen Auswirkungen auf den Diabetes mellitus der Zweck der Krankenkostzulage, nämlich die Verbesserung der Ernährungssituation zur positiven Beeinflussung der Erkrankung bzw. Vermeidung einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes, bei ihm derzeit ohnehin nicht erreicht werden könnte. Soweit die Klägerin zu 1) meint, den Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 51,13 Euro im Hinblick auf die anfallenden Kosten für den Erwerb von Zuckermessstäbchen zu benötigen, handelt es sich bei Zuckermessstäbchen um ein Hilfsmittel zur Ermittlung des Zuckerspiegels. Die hierfür entstehenden Kosten unterfallen nicht der Regelung des § 21 Abs. 5 SGB II hinsichtlich eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. Kosten für Hilfsmittel bzw. Medikamente zur Behandlung bzw. Linderung eines pathologischen Zustandes unterfallen grundsätzlich der Zuständigkeit der Krankenkasse. Werden diese Kosten nachweislich nicht von der Krankenkasse übernommen, könnte ggf. geprüft werden, ob sie ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 SGB II als unabweisbarer Bedarf zu übernehmen sind. Ähnliches gilt für die vom Kläger zu 2) geltend gemachten Kosten für Salben. Diese Fragen können nicht Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens sein, da eine behördliche, vom Gericht überprüfbare Entscheidung zur Übernahme von Kosten für Zuckermessstäbchen bzw. Salben als unabweisbarer Bedarf bislang nicht vorliegt.

Abschließend weist das Gericht darauf hin, dass die Kläger auch aus dem möglichen Umstand, dass sie –wie sie vortragen- in der Vergangenheit aufgrund ihres Diabetes vom Sozialhilfeträger einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung ("Diabetes-Pauschale") bezogen haben, keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung eines entsprechenden Mehrbedarfs herleiten können. Insoweit besteht kein anspruchsbegründender Bestandsschutz. Der Hilfebedürftige hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass ihm einmal gewährte Sozialhilfeleistungen auch zukünftig in gleicher Art bzw. Höhe vom zuständigen Sozialhilfeleistungsträger zugesprochen werden. Im vorliegenden hatte die Beklagte als ab dem 01.01.2005 für die erwerbsfähigen Kläger zuständiger Leistungsträger nach dem SGB II zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der maßgebenden Regelung des § 21 Abs. 5 SGB II im Falle der Kläger vorliegen. Soweit die Beklagte daraufhin, gegenüber den Klägern die Gewährung eines Mehrbedarfs für Krankenkost abgelehnt hat, ist diese Entscheidung –wie oben gezeigt- nicht zu beanstanden. (Ob dem Kläger zu 2) der Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 35,79 Euro (wegen Hyperlipidämie) zu Recht zuerkannt worden ist, hat das Gericht vor dem Hintergrund des Verbotes einer reformatio peius im Klageverfahren ungeprüft gelassen.)

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Berufung bedarf nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG, denn die Kläger erstreiten mit der vorliegenden Klage für die streitgegenständliche Zeit Januar 2005 bis Mai 2005 Mehrbedarfe in Höhe von 51,13 Euro pro Person und Monat, so dass die Klage Geldleistungen im Werte von über 500 Euro (2 x 51,13 Euro =102,26 Euro x 5 Monate = 511,30 Euro) betrifft. Hierbei lässt das Gericht unbeachtet, ob ggf. im Fall des Klägers zu 2) von dem begehrten Mehrbedarf für Diabeteskost in Höhe von 51,13 Euro monatlich der bereits wegen Hyperlipidämie bewilligte Mehrbedarf in Höhe von 35,79 Euro zum Abzug zu bringen ist. Insoweit ist die von der Beklagten geübte und auch in den "Empfehlungen des Deutschen Vereins" vertretene Vorgehensweise, bei mehreren Krankenkostzulagen grundsätzlich nur eine Zulage, nämlich die höchste zu gewähren, mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht zwingend.
Rechtskraft
Aus
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