L 3 RA 31/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 4 RA 223/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 RA 31/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 58/01 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.03.2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin bereits für die Zeit ab 01.09.1994 eine höhere Altersrente zusteht.

Die am ...1929 geborene Klägerin bezog seit 01.07.1990 eine Altersrente für Frauen, die nach dem damals geltenden Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) auf der Grundlage von Werteinheiten berechnet worden war (vgl. Bescheid vom 20.06.1990). Die Rente wurde in den Folgejahren jeweils zum 01. Juli angepasst; mit der Anpassung zum 01.07.1992 wurde die Rente nach § 307 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) umgewertet. Erstmals am 16.12.1996 beantragte die Klägerin ihr "aufgrund des Rentenreformgesetzes 1992" an Stelle ihrer bisherigen vorgezogenen Rente eine "richtige Altersrente mit 63 oder 65 Jahren" zu zahlen. Die Beklagte bewilligte ab 01.12.1996 Regelaltersrente. Hierbei ergab sich eine um ca. 42,00 DM höhere Rente, errechnet aus 60,3196 Entgeltpunkten nach dem SGB VI gegenüber (umgerechnet) 59,3388 Entgeltpunkten nach dem AVG. Die Erhöhung der Entgeltpunkte beruhte auf einer höheren Bewertung der ersten Jahre mit Pflichtbeiträgen sowie der beitragsfreien Zeit im Rahmen der neu eingeführten Gesamtleistungsbewertung.

Die Anspruchsvoraussetzungen seien zwar schon seit dem 16.08.1994 erfüllt gewesen. Da der Antrag jedoch erst im Dezember 1996 gestellt worden sei, habe die Rentenzahlung gemäß § 99 SGB VI erst mit dem Antragsmonat einsetzen können (Bescheid vom 04.03.1997, Widerspruchsbescheid vom 05.06.1997).

Mit der am 30.06.1997 beim Sozialgericht Dortmund erhoben Klage hat die Klägerin Zahlung der Rente schon ab 01.09.1994 verlangt und gemeint, die Beklagte sei nach inzwischen ergangener Rechtsprechung zu § 115 Abs. 6 SGB VI verpflichtet gewesen, die betroffenen Versicherten darauf hinzuweisen, dass ein Antrag auf Rente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres gestellt werden müsse, um innerhalb der Frist des § 99 SGB VI den frühestmöglichen Rentenbeginn zu erreichen. Die Verletzung dieser Hinweispflicht begründe einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch und als Folge ihren Anspruch ab 01.09.1994.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.03.2000 abgewiesen. Da der nach § 99 SGB VI erforderliche Rentenantrag verspätet gestellt worden sei, erfülle die Klägerin die Voraussetzungen der Regelaltersrente nicht bereits ab 01.09.1994. Es liege kein geeigneter Fall im Sinne der Rechtspechung des Bundessozialgerichts zu § 115 Abs. 6 SGB VI vor. Eine abweichende Rentenhöhe ergebe sich bei der Klägerin nur deshalb, weil zwischen dem Beginn der vorgezogenen Leistung und der Regelaltersrente eine Rechtsänderung durch Inkrafttreten des SGB VI erfolgt sei. 0b sich die Rentenberechnung nach neuem Recht günstiger oder ungünstiger darstelle, hänge von individuellen Faktoren ab.

Gegen das ihr am 25.04.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12.05.2000 Berufung eingelegt. Sie ist der Ansicht, es habe bereits eine Pflicht der Beklagten im Hinblick auf den Rentenbescheid vom 20.06.1990 bestanden, sie darüber zu beraten und zu unterrichten, dass nach dem SGB VI die Regelaltersrente des § 35 SGB VI mit Vollendung des 65. Lebensjahres grundsätzlich nur auf Antrag bewilligt werde. Weiter müsse der Rentenversicherungsträger darauf hinweisen, dass ein Wechsel zur Regelaltersrente des § 35 SGB VI aufgrund der sonstigen geänderten gesetzlichen Bestimmungen zu einer Erhöhung der Altersrente führen könne, und dabei eine Herabsetzung der bisherigen Rente wegen Besitzstandsregelungen nicht in Betracht komme. Das BSG (Urt. v. 09.12.1997, 8 RKn 1/97, SozR 3-2600 § 115 Nr. 2) habe die Regelung des § 70 Abs. 3 SGB VI als mögliche "typische" Fallgruppe für eine Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI gesehen. Darüber hinaus könne nach diesem Urteil des BSG eine typische Fallgruppe noch dahin entwickelt werden, dass bei einem Wechsel zu einer anderen Rentenart die Gesamtleistungsbewertung beeinflusst werde. Die weitergehenden Ausführungen der Beklagten zeigten, dass sich jedenfalls in Fällen mit einer hohen Beitragsdichte im Versicherungsleben die mit dem SGB VI ab 01.01.1992 verbundenen Änderungen von Rechtsvorschriften positiv auf die für eine Regelaltersrente zu errechnende Summe an Entgeltpunkten auswirkten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.03.2000 abzuändern und nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat ausgeführt, sie könne der Rechtsprechung des 4. Senat des Bundessozialgerichts zu einem einheitlichen Versicherungsfall des Alters (Urteil vom 02.08.2000 - B 4 RA 40/99) nicht folgen. Nach der Konzeption des SGB VI könne im Anschluss an eine bereits bindend zuerkannte Altersrente durchaus eine neue, weitere Altersrente bewilligt werden. Andernfalls hätte es ausdrücklicher Regelungen dafür bedurft, dass - abweichend vom Grundsatz des § 306 SGB VI - bestimmte potenziell rentenwerterhöhende Neuregelungen in der (bereits zuerkannten) Altersrente Berücksichtigung finden könnten. Für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch könne sich die Klägerin nicht auf § 115 Abs. 6 SGB VI berufen, da der Begriff des "geeigneten Falls" gerichtlich schon nicht überprüfbar sei, und Versicherte aus dieser Vorschrift keinerlei Rechte ableiten könnten. Im übrigen komme den "Gemeinsamen Richtlinien der RV-Träger gem. § 115 Abs. 6 Satz 2 SGB VI" nicht erst seit ihrem Inkrafttreten am 01.07.1998 sondern seit dem 01.01.1992 Bedeutung zu.

Auf Nachfrage des Senats hat die Beklagte ausgehend von einem dem Versicherungsverlauf der Klägerin ähnlichen Berechnungsbeispiel anhand von Probeberechnungen dargelegt, in welcher Weise sich die Bewertung der pauschalen Anrechnungszeit unter Berücksichtigung unterschiedlicher Beitragshöhen verändern kann.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin kann unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt von der Beklagten die Bewilligung der höheren Altersrente für Zeiten vor dem 01.12.1996 beanspruchen.

Die Beklagte hat unter Anwendung des § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI den Beginn der am 16.12.1996 erstmals beantragten und festzustellenden Regelaltersrente zutreffend auf den Beginn des Antragsmonats, den 01.12.1996 gelegt (1). Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (2) oder eines Herstellungsanspruchs (3) sind nicht erfüllt.

(1) Bei Inkrafttreten des SGB VI bezog die Klägerin wegen Vollendung des 60. Lebensjahres Altersruhegeld nach § 25 Abs. 3 AVG, welches ihr auf der Grundlage des bindenden Bescheides vom 20.06.1990 in unveränderter Höhe unter dem neuen Begriff der Altersrente für Frauen weiterhin als eigentumsrechtlich geschütztes Stammrecht mit monatlich fällig werdenden Einzelansprüchen in unveränderter Höhe geleistet wurde (§ 300 Abs. 4 Satz 2 SGB VI). Es erfolgte lediglich eine Umwertung der persönlichen Entgeltpunkte nach § 307 SGB VI; hingegen war die Rente aus dem Grund des Inkrafttretens des SGB VI zum 01.01.1992 (Art. 82 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 85 Abs. 1 RRG 1992 - BGBl. I. 1989, 2261) nicht neu festzustellen, wie dies die im vom Gesetzgeber ausdrücklich im Zweiten Abschnitt des SGB VI so benannten "Ausnahmen von der Anwendung neuen Rechts" in den §§ 300 Abs. 2, 300 Abs. 5 und 306 Abs. 1 SGB VI bestimmen.

Die Anwendung der hier zu einer Erhöhung der Rente führenden Berechnungsvorschriften des SGB VI mit einer neuen Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte war vielmehr erst mit der Bewilligung der Regelaltersrente als eigenständiger weiterer Altersrentenart möglich. Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass sie eine weitere Rente wegen Alters bewilligen konnte und insbesondere ein "einheitlicher Versicherungsfall des Alters" nicht vorliegt.

Nach Auffassung des Senats geht das SGB VI von mehreren eigenständigen Altersrentenarten und nicht von einem einheitlichen Versicherungsfall des Alters aus. Diese Konzeption des SGB VI wird schon in dem Zusammenwirken der Übergangsvorschriften des § 300 SGB VI mit der Regelung des § 88 SGB VI deutlich. Nach der Grundregel des § 300 Abs. 1 SGB VI sind die Vorschriften des SGB VI, die von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen am 01.01.1992 in Kraft getreten sind (Art. 85 Abs. 1 RRG 1992, BGBl. I 1989, 2261), "auch" auf Sachverhalte und Ansprüche anzuwenden, die bereits vorher vorgelegen haben. Für bereits bewilligte Renten bestimmt § 300 Abs. 3 SGB VI, dass neues Recht auch dann Anwendung findet, wenn nach dem maßgebenden Zeitpunkt eine bereits geleistete Rente neu festzustellen ist und dabei die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind. Unter Berücksichtigung der Regelung des § 88 Abs. 1 SGB VI, nach der einem Versicherten, der eine Rente wegen Alters bezogen hat, für eine spätere Rente mindestens die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, sind die Renten wegen Alters eigenständige Renten im Sinne der besitzgeschützten "bisherigen Rente" und der neu festzustellenden "späteren Rente" (vgl. hierzu und zum Folgenden Urteile des 2. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 05.04.2001 - L 2 KN 47/98 - und vom 09.08.2001 - L 2 KN 69/98 -; Schulin in: Handbuch des Sozialversicherungsrechts, 1999, § 38 Rdnr. 305). Diese Regelung schafft Raum, beim Wechsel von der einen in die andere Altersrente mindestens die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte zugrunde zu legen, wobei nach Bewilligung einer Altersrente auch die Bewilligung einer weiteren Altersrente möglich ist (Niesel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand März 2001 § 88 SGB VI Rdnr. 3). Entsprechend geht § 89 Abs. 1 SGB VI in Satz 2 von sechs Arten der Altersrente aus. Diese werden als "mehrere Renten aus eigener Versicherung" bezeichnet. Es wird eine Rangfolge auch zwischen den verschiedenen Altersrentenarten für den Fall aufgestellt, dass diese in gleicher Höhe zu zahlen sind (in diesem Sinn wohl auch BSG, Urt. v. 29.07.1997, 4 RA 41/96, SozR 3-2600 § 307 a Nr. 8).

Soweit nun der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 02.08.2000 (B 4 RA 40/99 R) die einer Neufeststellung der persönlichen Entgeltpunkte aus Anlass der Bewilligung einer Regelaltersrente als weitere Rentenart entgegenstehende Auffassung vertreten hat, es treffe nicht zu, dass das SGB VI verschiedene Arten von "Renten wegen Alters" eingeführt habe, vermag dem der Senat nicht zu folgen. Neben dem Wortlaut des § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB VI spricht auch die Gesetzesbegründung dafür, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass die Versicherten die verschiedenen Renten wegen Alters gesondert beantragen können, wenn es dort heißt: "Die in Abs. 1 Satz 2 SGB VI bezeichnete Rangfolge kommt nur zum Tragen, wenn es sich um gleich hohe Renten handelt und von Berechtigten der Rentenantrag nicht auf eine bestimmte Rentenart beschränkt wird" (BTDrs. 11/4124, S. 174). Es entbehrt der Rechtssystematik, § 89 Abs. 1 SGB VI auf Fälle zu reduzieren, in denen ein Recht auf eine "Beitrittsgebietsrente" wegen Alters mit einer Altersrente aus der originären bundesrechtlichen Rentenversicherung zusammentrifft (vgl. Urteile des 2. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen aaO unter Bezugnahme auf BSG SozR 3-2600 § 307a SGB VI Nr. 8).

In Übereinstimmung mit der Regelung des § 89 Abs. 1 SGB VI geht § 33 Abs. 2 SGB VI von sechs verschiedenen Arten der Altersrente aus (vgl. auch BTDrs. a.a.O., S 161), die entsprechend der wortgleichen Formulierung in § 33 Abs. 3 und 4 SGB VI als eigenständige Renten unter dem Oberbegriff der "Renten wegen Alters" aufgeführt werden (vgl. Verbandskommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, Stand Juni 2001, Anm. 2 zu § 33, wonach durch § 33 SGB VI nicht nur die Übersichtlichkeit erhöht, sondern erstmals die Selbständigkeit der einzelnen Altersrenten betont wird). Auch aus den Berechnungsvorschriften des SGB VI ergibt sich, dass der gesetzlichen Konzeption ein System verschiedener Altersrenten immanent ist. So sieht § 77 SGB VI unterschiedliche Zugangsfaktoren für vorzeitig in Anspruch genommene Renten wegen Alters vor und geht entsprechend § 88 Abs. 1 SGB VI nach seinem Wortlaut davon aus, dass einer vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente eine weitere Rente wegen Alters mit Vollendung des 65. Lebensjahres folgen kann.

Ist demnach die Bewilligung der Regelaltesrente als weitere Altersrente möglich, findet § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Anwendung. Nach dieser Vorschrift wird eine Rente, wenn sie nicht bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt ist, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird. Während der Antrag bei Rechten auf Regelaltesrente nach der Vorgängervorschrift des § 67 Abs. 1 Satz 1 AVG ausschließlich die "verfahrensrechtliche" Bedeutung einer Feststellbarkeits- und Erfüllbarkeitsbedingung hatte, hat § 99 Abs. 1 SGB VI den materiell-rechtlichen Antragseinwand damit auch auf Rentenansprüche aus dem Recht auf Regelaltersrente ausgedehnt (BSG, Urteil vom 02.08.2000, B 4 RA 54/99 R). Da das Recht der Klägerin auf Regelaltersrente erst mit Vollendung ihres 65. Lebensjahres im September 1994 und damit nach dem 01.01.1992 entstanden ist, findet diese Vorschrift in gleicher Weise auf sie Anwendung, als wenn nach dem Inkrafttreten des SGB VI erstmals über einen Rentenanspruch der Klägerin auf eine Altersrentenart zu entscheiden gewesen wäre. Bei einer hier erst im Dezember 1996 erfolgten Rentenantragstellung konnte die Regelaltersrente erst ab Beginn desselben Monats bewilligt werden.

Bis zum Wirksamwerden des die Regelaltersrente bewilligenden Bescheides vom 04.03.1997 musste es bei der bisherigen, mit dem Bescheid vom 20.06.1990 bindend bewilligten Rentenhöhe mit den benannten Anpassungen verbleiben. Dies ergibt sich aus dem Zusammenwirken von § 300 SGB VI und § 306 SGB VI. Im Ergebnis schieben diese Vorschriften den Beginn der materiell-rechtlichen Wirksamkeit von Rechtsänderungen für die Gruppe der Bestandsrentner, zu denen die Klägerin zählt, bis zur Neufeststellung der bindend bewilligten Rente aus anderen Gründen als der durch die Vorschriften des SGB VI bewirkten Rechtsänderungen hinaus. Als wichtige Ausnahmeregelung zu den Übergangsvorschriften in § 300 SGB VI bestimmt § 306 Abs. 1 SGB VI:

"Bestand Anspruch auf Leistung einer Rente vor dem Zeitpunkt der Änderung rentenrechtlicher Vorschriften, werden aus Anlass der Rechtsänderung die einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte nicht neu bestimmt."

Diese Vorschrift, für die Gründe der Verwaltungspraktikabilität genannt wurden (BTDrs. 11/4124 S. 207 zu § 297), ist auf den vorliegenden Sachverhalt, in dem es nicht um die Anrechnung weiterer Versicherungszeiten, sondern um die Neubestimmung der bereits bei der Berechnung zugrunde gelegten Entgeltpunkte geht, anzuwenden. Allein die Besserstellung durch neues Recht sollte keine Überprüfung und Neubestimmung der einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte ermöglichen (BSG, Urteil vom 01.12.1999, B 5 RJ 20/98 R, SozR 3-2600 § 300 Nr. 15 mit Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG; KassKomm-Niesel § 306 SGB VI Rdnr. 3). Nach der gesetzgeberischen Konzeption stellt die Änderung von Rechtsvorschriften als solche grundsätzlich keine "wesentliche" Änderung, d.h. rechtserhebliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X), dar (BSG, Urteil vom 23.05.1995, B 13/4 RA 35/95, SozR 3-2600 § 306 Nr. 1; BSG, Urteil vom 18.07.1996, B 4 RA 108/94, SozR 3-2600 § 300 SGB VI Nr. 7). Entgegen der vom 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 02.08.2000 (B 4 RA 40/99) vertretenen Auffassung hat § 306 SGB VI damit nicht (nur) den Regelungsgehalt, gesetzesunmittelbare Rentenerhöhungen den Berechtigten abweichend von § 48 Abs. 1 SGB X grundsätzlich nicht von Amts wegen aufzudrängen. Die Vorschrift ist vielmehr auch bei Anträgen von Bestandsrentnern anwendbar und fordert das Vorliegen von anderen, sich aus den gesetzlichen Vorschriften des SGB VI ergebenden Neufeststellungsgründen.

Solche Gründe liegen hier nicht vor. Insbesondere existiert keine gesetzliche Vorschrift, nach der bei Bestandsrentnern aus Anlass des 65. Lebensjahres eine Neufeststellung der persönlichen Entgeltpunkte nach dem SGB VI erfolgen soll (anders offenbar BSG, Urteil vom 02.08.2000, B 4 RA 40/99 R: Vollendung des 65. Lebensjahres als "Neubewertungsfall"). Dies bestätigt die Ausnahmevorschrift des § 302 Abs. 1 SGB VI, nach deren Wortlaut den vor dem 02.12.1996 geborenen Versicherten mit Anspruch auf eine Rente aus eigener Versicherung die Rente ohne eine Neuberechnung vom 01.01.1992 ausschließlich als Regelaltersrente zu leisten war. Umgekehrt sollten die bei Inkrafttreten des SGB VI noch nicht 65jährigen die Vorteile der abgestuften Rentenfälle nach dem neuen Recht (auf Antrag) in Anspruch nehmen können (BSG, Urteil vom 09.12.1997 - 8 RKn 1/97 -). Die Beklagte hat insofern zu Recht darauf hingewiesen, dass die Auffassung, es gebe nur eine Art der Altersrente in SGB VI bei konsequenter Anwendung des in § 306 Abs. 1 SGB VI niedergelegten Grundsatzes zu dem Ergebnis führen würde, dass es für Bestandsrentner bei der Rentenhöhe vor Inkrafttreten des SGB VI verbleibt.

Die Klägerin kann ihr Begehren auf Zahlung einer höheren Altersrente bereits ab Vollendung des 65. Lebensjahres auch nicht auf § 100 Abs. 1 SGB VI stützen. Nach dieser Vorschrift wird die Rente in neuer Höhe von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Änderung wirksam wird, wenn sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe einer Rente nach ihrem Beginn ändern. Zwar sieht die Vorschrift - anders als die Vorgängervorschrift des § 67 Abs. 3 Satz 1 AVG - nicht mehr vor, dass Rentenerhöhungen nur vom Beginn des Antragsmonats an verlangt werden können. § 100 Abs. 1 SGB VI erfasst jedoch keinen von der einschlägigen Übergangsvorschrift des § 306 Abs. 1 i.V.m. § 300 Abs. 3 SGB VI abweichenden Beginn einer höheren Rente aus Anlass von Rechtsänderungen. Nach dem Inhalt der Gesetzesbegründung soll sie lediglich in Abgrenzung zu der in diesem Zusammenhang anwendbaren Vorschrift des § 48 SGB X regeln, dass als Zeitpunkt des Beginns der geänderten Rente jeweils nur der Monatsbeginn in Frage kommt, auch wenn die maßgebliche Änderung der Verhältnisse im Laufe des Monats eintritt (BTDrs. 11/4124, S. 176).

Insgesamt kommt für die Klägerin danach eine höhere Rentenleistung im Rahmen der Regelaltersrente erst vom Antragsmonat an in Betracht, da sie nicht bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Ablauf des Monats August 1994, sondern erst im Dezember 1996 einen Rentenantrag auf diese Rentenart gestellt hat (§ 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Dem entspricht es, dass die Beklagte der Klägerin ab 01.12.1996 Regelaltersrente bewilligt hat.

(2) Ein früherer Rentenbeginn der Regelaltersrente der Klägerin ergibt sich nicht daraus, dass dem Antrag vom 16.12.1996 im Wege der Wiedereinsetzung die Wirkung eines früher gestellten Antrags beizumessen wäre. Der Klägerin kann schon deshalb gegen die Versäumung der Antragsfrist des § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X gewährt werden, weil sie jedenfalls nicht ohne Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Nach dem Grundsatz der formellen Publizität bei der Verkündung von Gesetzen gelten diese mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann diese davon tatsächlich Kenntnis erhalten haben (BSG, Urteil vom 22.10.1998 - B 5 RJ 56/97 R).

(3) Die Klägerin ist auch nicht aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Verbindung mit § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI so zu stellen, als hätte sie den Antrag auf Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres, deren übrige Voraussetzungen im August 1994 vorlagen (§§ 35, 50 SGB VI), rechtzeitig gestellt. Nach dieser Vorschrift sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung beantragen können, wenn sie diese beantragen.

In Erweiterung und Ergänzung zur spontanen Hinweispflicht bei einem konkreten Anlass nach § 14 SGB I - ein solcher ist hier nicht zu erkennen - besteht nach § 115 Abs. 6 SGB VI eine Beratungspflicht auch ohne konkreten Anlass bei typischen Sachverhalten gegenüber einer (z.B. mit Mitteln der EDV) abgrenzbaren Gruppe von Versicherten, sobald es dem Versicherungsträger ohne Probeberechnung im Einzelfall möglich ist, zu erkennen, dass ihre Angehörigen den Rentenantrag aus Unwissenheit nicht stellen, die Antragstellung in der Regel jedoch zu höheren Leistungen führt (BSG, Urteil vom 09.12.1997, 8 RKn 1/97, BSGE 81, 251). Dabei kann ein geeigneter Fall auch angenommen werden, wenn eine abgrenzbare Gruppe von Versicherten bereits eine Rente bezieht und der Wechsel von der einen zur anderen Art der Rente in der Regel zu höheren Leistungen führt, wobei Verwaltungsverfahren um ihrer selbst willen nicht initiiert werden müssen (BSG, Urteil vom 09.12.1997 a.a.O. und vom 22.10.1998, B 5 RJ 62/97 R - SozR 3-2600 § 115 Nr. 4). Da § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI anspruchsgewährenden Charakter hat (Urteil des Senats vom 10.09.1999 - L 3 RA 45/98 -), ist eine Verletzung der sich hieraus ergebenden Hinweispflicht grundsätzlich geeignet, einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu begründen. Das damalige Fehlen der erst am 01.07.1998 in Kraft getretenen Richtlinien nach § 115 Abs. 6 Satz 2 SGB VI ist dabei unschädlich. Bei dem Tatbestandsmerkmal "in geeigneten Fällen" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Wege der Auslegung bestimmbar ist (BSG, Urteil vom 22.10.1996 - 13 RJ 23/95 - BSGE 79, 168; BSG, Urteil vom 09.12.1997 aaO; BSG, Urteil vom 22.10.1998 aaO; BSG, Urteil vom 01.09.1999 - B 13 RJ 73/98 R - SozR 3-2600 § 115 Nr. 4). Da der Gesetzgeber die Regelung des § 115 Abs. 6 SGB VI als Korrektiv zu der Vorschrift des § 99 SGB VI einführte, kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht davon ausgegangen werden, dass es dessen Willen entspricht, die Konstituierung der Hinweispflicht der Rentenversicherungsträger selbst aus der Hand zu geben und vom Tätigwerden der Selbstverwaltung abhängig zu machen (BSG, Urteil vom 22.10.1996 aaO). Bei der Konkretisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs hat der Senat in seinem Urteil vom 10.09.1999 (aaO) in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22.10.1998 - B 5 RJ 62/97 R -) u.a. darauf abgestellt, dass die dortige Klägerin zu dem Personenkreis gehörte, der nach dem in den Materialien zur Rentenreform niedergelegten Absichten des Gesetzgebers durch die Zielsetzung der entsprechenden Regelungen des SGB VI im Verhältnis zu der nach dem AVG bestehenden Rechtslage habe besser gestellt werden sollen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann hier kein geeigneter Fall für die Annahme eines Herstellungsanspruchs wegen Verletzung der aus § 115 Abs. 6 SGB VI resultierenden Hinweispflicht angenommen werden. Die bei der Klägerin zu einer Rentenerhöhung führenden Gründe sind keine genereller Art, bei denen "typischerweise" mit einer Besserstellung zu rechnen war. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug, denen er sich nach eigener Sach- und Rechtsprüfung gemäß § 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) anschließt.

Ergänzend weist er auf Folgendes hin: Ohne konkreten Beratungsanlass kann allein die Möglichkeit, dass sich nach den Neuregelungen des SGB VI eine Rentenerhöhung ergeben kann, keine Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI begründen. Die Vorschriften, auf deren Grundlage der konkrete Versicherungsverlauf der Klägerin zu einer Rentenerhöhung nach SGB VI-Recht führt, sind solche, die sich je nach zugrundeliegendem Lebenssachverhalt ambivalent auswirken können. Sie sind auf alle Versicherten anwendbar und gelten nicht nur für eine bestimmte Gruppe von Versicherten (wie z.B. die Regelungen zur Berücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung). So sind grundsätzlich alle Versicherten von der veränderten Bewertung der ersten Berufsjahre nach § 70 Abs. 3 SGB VI in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 25.09.1996 (BGBl. I 1461) geltenden Fassung (a.F.) erfasst. Anstelle der bisher rein nach Kalenderablauf berechneten ersten 60 Monate mit einer höheren Mindestbewertung (entsprechend 0,0872 Entgeltpunkten) werden nach § 70 Abs. 3 SGB VI a.F. nun unabhängig von der zeitlichen Lage und Unterbrechung der Beitragszeiten diese bis zu einer Dauer von 48 Monaten mit einer niedrigeren Mindestbewertung (0,075 Entgeltpunkte) zugrunde gelegt. Die Neuregelung kann sich tendenziell werterhöhend oder wertmindernd auswirken. Die von der Klägerin herangezogene Rechtsprechung des 8. Senats des Bundessozialgerichts, die unter Bezug auf § 70 Abs. 3 SGB VI a.F. und eine bestimmte Gruppe von Knappschaftsrentnern eine Hinweispflicht für möglich hält (BSG, Urteil vom 09.12.1997 aaO; vgl. die weiterführenden Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 05.04.2001 - L 2 Kn 47/98 - und vom 09.08.2001 - L 2 Kn 69/98 -) ist nicht einschlägig, da sie auf Besonderheiten der knappschaftlichen Rentenversicherung beruht. Der 13. Senat des BSG, der in seinem Urteil vom 23.05.1995 (- B 13/4 RA 13/94 -, DAngVers 1995, S. 373) über einen Sachverhalt zu entscheiden hatte, bei dem sich die gesetzliche Neuregelung negativ auswirkte, hat zutreffend darauf hingewiesen, dass entsprechend der gesetzgeberischen Zielsetzung eine Konzentration auf Zeiten beruflicher Ausbildung beabsichtigt gewesen sei (Hinweis auf BTDrs. 11/4124, S. 136 ff., 143). Im Falle der Klägerin führt die neue Bewertung der ersten Berufsjahre in Abweichung von der gesetzgeberischen Intention nur deshalb zu höheren Entgeltpunkten, weil sie in den ersten fünf Kalenderjahren lediglich 30 Monate mit Beitragszeiten zurückgelegt hatte.

Auch bei der daneben zur Rentenerhöhung führenden Gesamtleistungsbewertung hängt es von dem konkreten Versicherungsverlauf und nicht von dem Vorliegen eines generell abgrenzbaren Personenkreises ab, ob es gegenüber der nach dem AVG berechneten Rente zu einer Erhöhung kommen kann. Berücksichtigt man ergänzend den konkreten Versicherungsverlauf der Klägerin, ergeben sich keine Gründe genereller Art, bei denen typischerweise mit einer Besserstellung durch die Regelungen des SGB VI zu rechnen war. Insbesondere konnte aus der fast durchgehenden Beitragsleistung im Versicherungsleben der Klägerin nicht geschlossen werden, dass die Bewertung nach dem SGB VI günstiger war. Neben der Belegungsdichte mit Beiträgen kommt es insbesondere auf die Höhe der geleisteten Beiträge an. Dies hat die Beklagte in ihrem ausführlichen Schreiben vom 14.08.2001 umfassend dargelegt, wobei sie ein Berechnungsbeispiel wählte, das dem Versicherungsverlauf der Klägerin vergleichbar ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision im Hinblick auf die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (Urteile vom 02.08.2000) gemäß § 160 Abs. 2 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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