L 3 SB 937/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 1194/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 937/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 60 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) im Wege der Neufeststellung.

Der am 10.07.1952 geborene Kläger stellte am 04.03.1998 beim Versorgungsamt Freiburg den Antrag auf Feststellung von Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz und auf Ausstellung eines Ausweises.

Nach Auswertung der vorgelegten medizinischen Unterlagen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 30.07.1998 einen GdB von 20 seit dem 04.03.1998 wegen folgender Behinderungen fest: Chronisches Schmerzsyndrom nach Halswirbelsäulenschleudertrauma, Tinnitus. Auf den Widerspruch des Klägers stellte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.1998 einen GdB von 30 ab dem 04.03.1998 fest und wies im Übrigen den Widerspruch zurück.

Am 15.03.2000 stellte der Kläger den Antrag auf Neufeststellung des GdB. Nach Auswertung weiterer medizinischer Unterlagen in der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11.04.2000 den Antrag ab. Hiergegen legte der Kläger am 26.04.2000 Widerspruch ein. Daraufhin stellte der Beklagte mit Abhilfebescheid vom 10.10.2000 einen GdB von 50 ab dem 15.03.2000 mit folgenden Behinderungen fest: - Posttraumatische Belastungsstörung - Chronisches Schmerzsyndrom nach Halswirbelsäulen-Schleudertrauma mit Tinnitus - Sehstörung bei psychovegetativer Labilität.

Am 07.07.2003 stellte der Kläger, der eine Rente der schweizerischen Invalidenversicherung sowie vom deutschen Rentenversicherungsträger zunächst eine Rente wegen Berufsunfähigkeit und seit dem 01.03.2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht, einen weiteren Antrag auf Neufeststellung nach dem SGB IX.

Der Beklagte zog medizinische Unterlagen bei, u.a. einen Arztbrief des Orthopäden Dr. B. vom 01.04.2003 mit dem Hauptbefund einer Spondylarthrose LWK 4/LWK 5 und LWK 5/SWK 1 beidseits ohne Nachweis eines die Wurzeln komprimierenden Agens sowie einer nur mäßigen Iliosacralgelenksarthrose beidseits rechts betont, des Urologen Dr. H. vom 07.08.2002 mit der Diagnose einer Reizblasensymptomatik und Hodenschmerzen ohne organischen Befund sowie den Arztbrief des Augenarztes Dr. S. vom 18.06.2002 mit den Diagnosen Myopie, Heterophorie, Presbyopie, Asthenopie, Amaurosis fugax. Ein ophtalmologischer Grund für das vom Kläger angegebene Schwarzwerden vor den Augen bestehe nicht. Ein am 14.01.2001 gefertigtes MRT der LWS ergab eine degenerative Dehydratation der Bandscheiben L 1/L 2 und L5 /S 1, eine geringfügige Bandscheibenprotrusion ohne Bandscheibenvorfall in den Segmenten L 4/L5 sowie L 5/S 1 und ein kleines WK-Hämangiom L 3.

Mit Bescheid vom 19.09.2003 setzte der Beklagte den Grad der Behinderung seit dem 07.07.2003 mit 60 fest. Die Anerkennung der geltend gemachten Merkzeichen G und RF wurde abgelehnt. Folgende Funktionsbeeinträchtigungen lagen dem zugrunde: - Posttraumatische Belastungsstörung, Depression. - Chronisches Schmerzsyndrom, Schwindel, Ohrgeräusche (Tinnitus), Sehbehinderung, psychovegetative Störungen, funktionelle Organbeschwerden. - Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Schulter-Arm-Syndrom.

Hiergegen legte der Kläger am 07.10.2003 Widerspruch ein mit der Begründung, in der Schweiz sei ihm eine Behinderung von 70 % zuerkannt worden.

Der Beklagte zog das im Rentenverfahren von OMR B. am 03.02.2004 erstattete Gutachten mit den Diagnosen chronifiziertes Schmerzsyndrom Stad. III, mittelgradige depressive Episode bei depressiver Entwicklung mit ausgeprägter Somatisierung, chronische Cervicocephalgie und Cervicobrachialgie beidseits nach HWS-Distorsionstrauma 1992, chronisch rezidivierende Lumboischialgie mit pseudoradikulärer Irritation in Richtung Leisten und Scrotum beidseits bei schweren degenerativen Veränderungen der LWS sowie Tinnitus und Hochtonschwerhörigkeit beidseits bei. Weiter beigezogen wurde das von Dr. L., Ärztliches Begutachtungsinstitut GmbH Basel (ABI), am 14.06.2004 für die schweizerische Invaliden-Versicherungs-Stelle für Versicherte im Ausland erstattete Gutachten.

Nach Auswertung dieser Gutachten wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2005 den Widerspruch zurück mit der Begründung, die vorgenommene Erhöhung des GdB auf 60 gebe das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Änderung des Gesundheitszustandes gegenüber den Feststellungen im Bescheid vom 10.10.2000 wieder. Sowohl die Beurteilung der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit als auch die Bewertung der schweizerischen Invaliden-Versicherung erfolge nicht auf der Grundlage der Anhaltspunkte, die für die Festlegung des GdB maßgeblich seien.

Am 29.03.2005 hat der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben. Zur Begründung hat er sich auf das Gutachten des ABI Basel bezogen, wonach bei ihm eine Invalidität von 100 % und eine Behinderung von 77 Grad vorliege. Sein Gesundheitszustand habe sich überdies verschlechtert. Hierzu hat er den Arztbrief von Dr. Z., Abteilungschefarzt Angiologie des Herzzentrums, vom 17.01.2005 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, eine relevante Koronarsklerose könne aufgrund der negativen Ergebnisse des Belastungstests und Angina pectoris-untypischer thorakaler Beschwerden weitgehend ausgeschlossen werden. Auch ein Cardio-CT vom 30.11.2004 habe keine Hinweise auf eine relevante Koronarsklerose ergeben.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines neuro-psychiatrischen Gutachtens durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. G ... Im Gutachten vom 26.07.2005 hat Dr. G. ausgeführt, die neurologische Untersuchung habe keine gravierenden Befunde von Krankheitswert ergeben. Auffällig sei die allgemeine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS passend zur Schmerzangabe in Bezug auf Wirbelsäule und alle Extremitäten. Auf psychiatrischem Gebiet bestehe eine ausgeprägte somatoforme Schmerzstörung vor dem Hintergrund einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung. Eine manifeste Depression oder eine krankheitswertige Angststörung liege derzeit nicht vor. Der Schweregrad der Beschwerden sei mit stärker behindernden mittelschweren Störungen einzuschätzen. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit Ausgabe 1996 sei ein Grad der Behinderung für stärker behindernde Störungen mit hypochondrischen, asthenischen und phobischen Störungen von 30 bis 40 angemessen. Hinzu kämen mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten. Dies ergebe einen GdB von 50. Dieser umfasse sowohl die psychischen als auch die somatoformen Beschwerden.

In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20.09.2005 hat Dr. Wolf ausgeführt, ein GdB von 50 entspreche auch der bisherigen versorgungsärztlichen Beurteilung.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2006 hat das SG die auf Feststellung eines GdB von mehr als 60 ab dem 07.07.2003 gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf einen höheren GdB als 60. Hinsichtlich der psychischen und somatoformen Störungen sei ein Einzel-GdB von 30 bis 40 anzunehmen. Hinzu kämen mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten, so dass insgesamt hinsichtlich der neuropsychiatrischen Beschwerden des Klägers ein Einzel-GdB von 50 gerechtfertigt erscheine. Hinsichtlich der Erkrankungen auf orthopädischem Gebiet sei ein Einzel-GdB von 20 angemessen. Weitere GdB-relevante Behinderungen lägen beim Kläger nicht vor, wie insbesondere dem augenärztlichen Befundbericht von Dr. S. vom 18.06.2002 entnommen werden könne. Die festgestellten Behinderungen seien mit einem Gesamt-GdB von 60 ab dem 07.07.2003 angemessen bewertet.

Gegen den am 23.01.2006 zur Post gegebenen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 13.02.2006 über das SG Freiburg Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, es gebe nicht viel Neues mitzuteilen. Er betreibe das Verfahren, weil die Berufsgenossenschaft einen Arbeitsunfall (Wegeunfall) nicht anerkenne. Darüber hinaus spreche gegen das Gutachten von Dr. G., dass dieses auf einer unzutreffenden Tatsachenbasis beruhe, da er nicht 500 Seiten Ärzteprotokolle und Gutachten in zweieinhalb Stunden bewältigen könne.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 20. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. März 2005 zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von mehr als 60 ab dem 07. Juli 2003 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 60.

Wegen der rechtlichen Voraussetzungen der zu treffenden Entscheidung, der bei der Feststellung des GdB anzuwendenden Maßstäbe sowie der danach für die von der neuropsychiatrischen Erkrankung und den Gesundheitsstörungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen anzusetzenden Einzel-GdB verweist der Senat auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angegriffenen Gerichtsbescheid (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist auszuführen, dass sich der Sachverständige Dr. G. eingehend mit den medizinischen Unterlagen auseinandergesetzt hat. So sind auf den Seiten 2 bis 9 des Gutachtens sämtliche für die Begutachtung auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet relevanten Vorbefunde aufgelistet. Dr. G. ist weiter in nicht zu beanstandender Weise zu der Beurteilung gelangt, dass beim Kläger auf neurologischem und neurophysiologischem Gebiet keine gravierenden Befunde von Krankheitswert vorliegen. Für eine traumatische Hirnverletzung, wie sie Dr. M. im neurologisch-neuropsychologischen Gutachten vom 11.05.1998 auf Grund der Angaben des Klägers angenommen hat, liegen keine Anhaltspunkte vor. Diesem Gutachten kann vielmehr entnommen werden, dass der Neurologe Dr. E. bei der neurologischen und elektrophysiologischen Untersuchung des Klägers am 23.04.1992 und somit zeitnah zu dem Unfall des Klägers am 09.04.1992 keine Hinweise auf eine Hirnsubstanzschädigung gefunden hat und neurologisch und elektrophysiologisch keine pathologischen Befunde erheben konnte.

Der Senat macht sich deshalb die Beurteilung durch Dr. G. zu eigen, dass beim Kläger eine ausgeprägte somatoforme Schmerzstörung vor dem Hintergrund einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung, nicht jedoch eine manifeste Depression oder eine krankheitswertige Angststörung vorliegen. Dies wird auch bestätigt durch die Beurteilung von Dr. L., der im Gutachten des Ärztlichen Begutachtungsinstituts Basel vom 14.06.2004 lediglich die Diagnose einer leichten depressiven Episode gestellt, eine Angststörung jedoch nicht beschrieben hat.

Soweit der Kläger zur Berufungsbegründung weiter vorgetragen hat, er betreibe das Verfahren deshalb weiter, weil die zuständige Berufsgenossenschaft einen Arbeitsunfall (Wegeunfall) nicht anerkennen wolle, ist darauf hinzuweisen, dass im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung die Beurteilung eines Wegeunfalls nach anderen Kriterien erfolgt als die Bemessung des GdB im Schwerbehindertenrecht und deshalb aus einer Festsetzung des GdB keine Rückschlüsse auf die unfallversicherungsrechtliche Beurteilung gezogen werden können, zumal die dort oftmals maßgebliche Kausalitätsbeurteilung im Schwerbehindertenrecht ohne Bedeutung ist.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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