L 8/14 KR 148/02

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 KR 857/01
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8/14 KR 148/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 19. Dezember 2001 aufgehoben und der Bescheid vom 15. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2001 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin über die bereits gezahlten 14.725,21 EUR (dem entsprechen: 28.800,00 DM) weitere 9.620,51 EUR (dem entsprechen: 18.816,07 DM) für den am 22. November 2000 erhaltenen Blindenführhund S. zu zahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Übernahme der vollen Kosten für ihren selbst beschafften Blindenführhund S. streitig.

Die Klägerin, geboren 1958, beantragte im Mai 2000 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten eines von der Blindenführhundeschule X. auszubildenden Blindenführhundes in Höhe von 46.960,16 DM (dem entsprechen: 24.010,35 EUR). Zur Begründung ihres Antrages führte die Klägerin aus, nach einem Mobilitätstraining laufe sie seit ca. 25 Jahren mit einem Blinden-Langstock. Nach einem Gehörsturz trage sie seit einigen Jahren ein Hörgerät. Ihr Richtungshören sei deshalb nicht mehr zuverlässig. Deshalb sei für sie das Laufen mit dem Blinden-Langstock mit erheblichem Stress verbunden. Ein Blindenführhund würde ihr mehr Sicherheit bieten. Nachdem sie sich über verschiedene Blindenführhundeschulen informiert habe, habe sie sich für die Blindenführhundeschule X. in Y. entschieden. Sie habe sich davon überzeugt, dass die Hunde dort eine gute Ausbildung erfahren würden und sie eine qualifizierte Nachbetreuung erhalten werde.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 15. Juni 2000 die Übernahme von 28.800,00 DM (dem entsprechen: 14.725,21 EUR) der Gesamtkosten in Höhe von 46.960,16 DM (24.010,35 EUR). Der Eigenanteil der Klägerin betrage somit 18.160,16 DM (dem entsprechen: 9.285,14 EUR).

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und bat um eine Kopie der Bekanntmachung des Festbetrages für das Hilfsmittel Blindenführhund bzw. um Bekanntgabe einer Fundstelle.

Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 27. Juni 2000 und vom 18. Juli 2000 auf die D. in D-Stadt sowie auf die Blindenführhundeschule P. C. in Q. hin. Diese seien in der Lage, einen Blindenführhund für einen Betrag von 28.800,00 DM zur Verfügung zu stellen.

Mit Schreiben vom 11. September 2000 teilte die Beklagte der Klägerin mit, für das Hilfsmittel Blindenführhund seien keine Festbeträge gemäß § 127 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) festgelegt worden. Da sie aber über einen Vertragspartner in der Lage sei, eine sachgerechte und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung mit einem Blindenführhund für einen Gesamtkostenbetrag in Höhe von 28.800,00 DM sicherzustellen, könne dem Antrag der Klägerin nicht in vollem Umfange entsprochen werden.

Die Klägerin beantragte im September 2000 bei dem Sozialgericht Kassel (Az.: S 12 KR 1363/00 ER), die Beklagte im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Übernahme der vollen Kosten der Blindenführhundeschule X. zu verurteilen. Das Sozialgericht lehnte den Antrag der Klägerin mit Beschluss vom 9. November 2000 ab.

Die Klägerin legte der Beklagten die Rechnung der Blindenführhundeschule X. vom 1. Dezember 2000 vor. Danach wurde der Klägerin am 22. November 2000 der Blindenführhund S. zu einem Gesamtkostenpreis von 47.616,07 DM (dem entsprechen: 24.345,72 EUR) übergeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2001 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Dazu führte sie aus, die Grenze der Leistungspflicht nach §§ 33 Abs. 1 und 34 Abs. 4 SGB V werde in § 12 SGB V umrissen. Danach müsse die Leistung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfe das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. In der Bundesrepublik Deutschland existierten diverse Blindenführhundeschulen, die ausgebildete Blindenführhunde für einen Betrag bis zu 28.800,00 DM zur Verfügung stellten. Mit Schreiben vom 18. Juli 2000 seien der Klägerin beispielhaft zwei Blindenführhundeschulen benannt worden. Es sei nicht erkennbar, dass die benannten Blindenführhundeschulen keine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung bieten würden. Ergänzend wies die Beklagte auf das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 6. September 1996 (Az.: L 2 KR 1/96) hin. Danach bestehe keine uneingeschränkte Freiheit der Versicherten, sich Blindenführhunde privat und unter Außerachtlassung der Vorgaben der Krankenkasse zu beschaffen. Angesichts des Notwendigkeitsgebots des § 12 SGB V sei die persönliche Vorliebe des Versicherten für eine Führhundeschule nur dann ausschlaggebend, wenn es sich um Schulen mit gleichem Preisniveau handele.

Dagegen erhob die Klägerin am 14. Mai 2001 Klage vor dem Sozialgericht Kassel, mit der sie den geltend gemachten Anspruch weiterverfolgte. Ergänzend trug sie vor, es gehe ihr nicht um eine optimale Versorgung oder um die Inanspruchnahme von "Spitzenmedizin". Andererseits könne das preisgünstigste Angebot nicht das ausschlaggebende Kriterium für eine wirtschaftliche Versorgung sein. Vielmehr müssten in einer Gesamtschau die Maßgaben der "Qualitätskriterien für Blindenführhunde" nach der Bekanntmachung der Spitzenverbände des Krankenversicherungs-Hilfsmittelverzeichnisses vom 19. Mai 1993 beachtet werden. Angesichts des Spitzenpreises von rund 60.000,00 DM bewege sich die von ihr in Anspruch genommene Blindenführhundeschule im mittleren Preisniveau.

Die Beklagte führte aus, die Erfüllung der Kriterien der Qualitätsrichtlinien vom 19. Mai 1993 sei Voraussetzung für einen Vertragsabschluss zwischen ihr und einer Blindenführhundeschule. Die Klägerin sei auf zwei Blindenführhundeschulen hingewiesen worden, die diese Kriterien erfüllten und einen ausgebildeten Blindenführhund zu einem Betrag von 28.800,00 DM zur Verfügung hätten stellen können. Ein entsprechender Betrag sei der Klägerin überwiesen worden.

Das Sozialgericht wies mit Urteil vom 19. Dezember 2001 die Klage ab. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, die angefochtenen Bescheide seien sachlich nicht zu beanstanden. Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch komme allein § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf einen weiteren Erstattungsbetrag. Das Sozialgericht machte sich die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden zu Eigen. Ergänzend führte es aus, auch die abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Hauptsacheverfahren habe die Unbegründetheit der Klage ergeben. Bei dem geltend gemachten Hilfsmittelanspruch handele es sich um einen Sachleistungsanspruch, der allein durch vertragliche Leistungserbringer zu befriedigen sei. Kosten für selbstbeschaffte, jedoch von der Krankenkasse - wie vorliegend - vertraglich vorgehaltene Leistungen seien grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Zusätzlich scheitere der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch auch an der unzulässigen Verlagerung des Sachleistungsanspruchs in das Kostenerstattungsverfahren. Die Klägerin habe bereits aus diesem Grund keinen weiteren Erstattungs- oder Freistellungsanspruch. Sinn und Zweck des § 13 Abs. 3 SGB V bestehe darin, den Versicherten wie bei der Gewährung einer Sachleistung zu stellen. § 13 Abs. 3 SGB V erfasse lediglich solche Kosten, von denen der Versicherte bei regulärer Leistungserbringung befreit sei. Wenn der Versicherte mehr an Kosten aufwende als der Leistungserbringer zu beanspruchen habe, so sei nicht die Ablehnung der Krankenkasse, sondern das Verhalten des Versicherten wesentliche Ursache für die Entstehung der (Mehr-)Kosten und somit die Krankenkasse nicht zur (Mehr-)Leistung verpflichtet. Dementsprechend müsse bei einem Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unvermögen der Krankenkasse zur rechtzeitigen Leistungserbringung oder der rechtswidrigen Leistungsablehnung und den entstandenen Kosten bestehen. Diese Voraussetzung sei nur dann erfüllt, wenn die Krankenkasse die streitigen Kosten im Sinne einer wesentlichen Bedingung mitverursacht habe. Vorliegend fehle es an einer wesentlichen Mitverursachung der Beklagten an der Entstehung der streitigen Kosten. Die fehlende Ursächlichkeit sei darin zu sehen, dass die Klägerin die Versorgung mit einem Blindenführhund nicht von einer Kostenzusage der Beklagten bzw. von einer endgültigen Prüfung bzw. Abklärung durch die Beklagte abhängig gemacht habe. Sie habe sich vielmehr von Anfang an entschlossen, nur den von ihr ausgewählten Hund zu akzeptieren.

Gegen dieses ihr am 9. Januar 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. Februar 2002 Berufung eingelegt.

Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, ihr könne eine unrechtmäßige Verlagerung ihres Sachleistungsanspruchs in ein Kostenerstattungsverfahren nicht entgegengehalten werden. Die Beklagte habe zur Versorgung ihrer Versicherten mit Blindenführhunden keine Verträge mit entsprechenden Leistungserbringern gemäß § 127 SGB V abgeschlossen. Damit gäbe es keine zugelassenen Leistungserbringer im Sinne von §§ 126, 127 SGB V. Auch sei ein Festbetrag bisher nicht festgelegt worden. Da die Beklagte ihrer Versorgungsverpflichtung nicht nachgekommen sei, könne sie ihre Kostenzusage nicht auf 28.800,00 DM begrenzen. Aus alle dem folge, dass die Beklagte keinen Blindenführhund habe liefern können und führe zur Geltung des Kostenerstattungsprinzips nach § 13 Abs. 3 2. Alt. SGB V. Insoweit verweist die Klägerin auf das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21. Januar 2002 (Az.: S 25 KR 2166/99). In diesem Urteil habe das Sozialgericht ausgeführt, dass erhebliche Preisunterschiede nicht zu Lasten der Versicherten gehen können, solange die Beklagte keine Versorgungsverträge abgeschlossen habe, keine Qualitätskontrollen durchführe und einheitliche Qualitätsstandards für die Ausbildung von Blindenführhunden nicht garantiere. Nach den Feststellungen des Sozialgerichts Frankfurt am Main sei auf dem freien Markt eine Preisspanne von 8.000,00 bis 24.000,00 EUR festzustellen. Darüber hinaus seien die Leistungen der einzelnen Blindenführhundeschulen nicht identisch und nicht vergleichbar. Damit sei sie berechtigt gewesen, sich mit einem Blindenführhund einer Blindenführhundeschule ihres Vertrauens zu versorgen. Auf dieses Vertrauen sei sie wegen ihrer Erblindung angewiesen, da sie sozusagen blindes Vertrauen in die Blindenführhundeschule und deren Ausbildung haben müsse. Dies habe bereits das Sozialgericht Gießen mit Urteil vom 17. März 1993 (Az.: S 9 KR 577/92) ausgeführt. Auch habe die Beklagte die in Streit stehenden Kosten aufgrund ihrer Untätigkeit verursacht und somit in tatsächlich angefallener Höhe zu tragen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 19. Dezember 2001 aufzuheben und den Bescheid vom 15. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr über die bereits gezahlten 14.725,21 EUR (dem entsprechen: 28.800,00 DM) weitere 9.620,51 EUR (dem entsprechen: 18.816,07 DM) für den am 22. November 2000 erhaltenen Blindenführhund S. zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe mit dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden. Es liege weder ein Systemmangel noch eine Versorgungslücke vor. Zwischen ihr und zahlreichen Blindenführhundeschulen in Deutschland bestehe eine stillschweigende Übereinkunft, aufgrund der die Versorgung von Blinden mit einem Blindenführhund nach den Qualitätskriterien für Blindenführhunde zu einem Preis von 28.800,00 DM (14.725,21 EUR) sichergestellt werde. Damit werde die Versorgung mit Blindenführhunden als Sachleistungsanspruch im Rahmen des § 33 SGB V in angemessener Qualität sichergestellt. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum GRG sei mit § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V das Sachleistungsprinzip als Maxime der GKV festgelegt worden. Ergänzend legt sie die Qualitätskriterien des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände (MDS) vom 19. Januar 1999 sowie die gemeinsamen Empfehlungen des MDS gemäß § 126 Abs. 2 SGB V zur einheitlichen Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 126 Abs. 1 SGB V für Blindenführhunde-Ausbilder als Leistungserbringer zur Auswahl, Ausbildung und Abgabe von Blindenführhunden sowie zur Einarbeitung der Versicherten (Einführungslehrgang) vor.

Der Senat hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. Juni 2004 angehört und eine Auskunft der D. vom 10. August 2004 mit Kostenvoranschlag für die Ausbildung eines Blindenführhundes vom 20. Juni 2000 eingeholt. Nach dieser Auskunft kostete ein Blindenführhund dieser Schule im Mai 2000 24.270,00 DM zuzüglich 7 % Mehrwertsteuer. Der beigefügte Kostenvoranschlag vom 20. Juni 2000 sei an die Klägerin ergangen. Bei den dort ausgewiesenen Kosten handele es sich um - nach Erfahrungswerten - kalkulierte Durchschnittspreise. Die Ausbildung der Hunde dauere 8 bis 12 Monate, die Einarbeitung des Versicherten am Orte der Schule ca. drei Wochen und sechs bis acht Tage am Wohnort des Versicherten. Nach Kostenübernahmeerklärung sei ein Einarbeitungstermin für die Klägerin nicht vor April 2001 möglich gewesen. Die Kosten der Gespannsprüfung betrage 800,00 bis 1.000,00 EUR. Des Weiteren hat der Senat eine Auskunft der Q. Schule für Blindenführhunde X. vom 16. August 2004 nebst Kostenauflistung vom 20. Mai 2005 sowie Auskünfte vom 6., 13. und 20. Juni 2005 eingeholt. Danach habe sich die Klägerin im April 2000 bei einem Besuch der Blindenführhundeschule für einen Hund entschieden und Ende August/Anfang September 2000 die Zusage erklärt, die über die Kostenzusage der Beklagten liegenden Kosten zu übernehmen. Ein Blindenführhund habe im Mai 2000 46.960,16 DM gekostet. Wegen der zusätzlichen Hörbehinderung der Klägerin seien zusätzliche Kosten im Rahmen des Einarbeitungslehrgangs für eine spezielle Führhundeversorgung (655,91 DM) angefallen. Ein gut ausgebildeter Blindenführhund müsse mindestens sechs bis neun Monate trainiert werden. Bei einer zusätzlichen Behinderung des Versicherten könne die Ausbildungsdauer 9 bis 12 Monate betragen. Im Falle der Klägerin habe der Ausbildungszeitraum für den Blindenführhund über 16 Monate betragen. Die Gespannsprüfung koste zwischen 400,00 und 1.200,00 EUR. Diese Prüfung werde auf Verlangen der Krankenkasse durchgeführt und auch von dieser bezahlt. Diese Kosten seien in dem vorgelegten Kostenvoranschlag nicht berücksichtigt worden.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Az.: S 12 KR 1363/00 ER) beigezogen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts vom 19. Dezember 2001 und unter Abänderung des Bescheides vom 15. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2001 war die Beklagte zu verurteilen, die Kosten des von der Klägerin selbst beschafften Blindenführhundes S. in vollem Umfang zu übernehmen.

Gemäß § 13 Abs. 3 SGB V in der bis zum 30. Juni 2001 gültigen Fassung (BGBl. 1997 I S. 1520), haben Versicherte Anspruch auf Kostenerstattung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch Kosten für die selbstbeschaffte Leistung entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war. Vorliegend hat die Beklagte die Übernahme der vollen Kosten für den Blindenführhund der Klägerin zu Unrecht abgelehnt.

Versicherte haben gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V (in der ebenfalls bis 30. Juni 2001 gültigen Fassung) Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Die Versorgung eines Blinden mit einem Blindenführhund wird nach ständiger Rechtsprechung von der Leistungsverpflichtung der Krankenkassen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfasst (siehe dazu: Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, § 33 Rdnr. 25).

Im vorliegend zu entscheidenden Rechtsstreit ist die Notwendigkeit der Versorgung der Klägerin mit einem Blindenführhund unstreitig. Die Beklagte erkannte mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2001 die Notwendigkeit der Versorgung an, da sie der Klägerin die Übernahme der Kosten in Höhe von 28.800,00 DM bewilligte. Damit war vorliegend über den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten zu entscheiden.

Der Senat ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten des Blindenführhundes S. über die gezahlten 28.800,00 DM hinaus in dem tatsächlich entstandenen Umfang zu übernehmen. Die Leistungspflicht der Beklagten ist nicht auf 28.800,00 DM beschränkt, da im maßgeblichen Zeitraum weder eine Festbetragsregelung noch eine vertragliche Regelung mit einem zugelassenen Leistungserbringer zur Versorgung der blinden Versicherten der Beklagten mit einer Blindenführhundeschule bestand.

Zur Bestimmung des Umfangs der Leistungspflicht der Beklagten ist § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der bis zum 30. Juni 2001 anzuwendenden Fassung heranzuziehen; ist für ein erforderliches Hilfsmittel ein Festbetrag nach § 36 SGB V festgesetzt, trägt die Krankenkasse die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags. Dies entspricht dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 Abs. 2 SGB V. Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V bilden die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich Festbetragsgruppen für Hilfsmittel. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen setzen für diese Festbetragsgruppen gemeinsam einheitliche Festbeträge fest. Sinn und Zweck dieser Norm ist die Steuerung der Preise durch Setzung von Preisgrenzen für die Inanspruchnahme von verordneten Hilfsmitteln. Des Weiteren wird dadurch das medizinisch Notwendige definiert, die Leistungspflicht auf dieses beschränkt und der Wettbewerb der Leistungsanbieter gefördert. Die Zielsetzung dieser Norm umfasst somit die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Hilfsmittelversorgung zu möglichst günstigen Preisen (siehe dazu Wagner in Krauskopf, a.a.O., § 36 Rdnr. 2). Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 17. Dezember 2002, Az.: 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95, 1 BvL 30/95) nicht zu beanstanden. Nach dem Vortrag der Beklagten ist für die vorliegend maßgebliche Zeit eine Festbetragsregelung nicht erfolgt. Damit ist die Leistungspflicht der Beklagten nicht auf einen einheitlichen Festbetrag beschränkt.

Die Klägerin besitzt gegen die Beklagte einen Leistungsanspruch über den gewährten Betrag von 28.800,00 DM hinaus, da zwischen der Beklagten und einem Blindenführhunde-Ausbilder bzw. einer -schule keine vertragliche Regelung zur Versorgung der Versicherten der Beklagten mit Blindenführhunden bestand. Für andere Hilfsmittel - für die kein Festbetrag festgesetzt wurde - übernimmt die Krankenkasse gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 SGB V die jeweils vertraglich vereinbarten Preise. Gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen Hilfsmittel an Versicherte nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden. Als Leistungserbringer ist gemäß § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB V zuzulassen, wer eine ausreichende, zweckmäßige, funktionsgerechte und wirtschaftliche Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel gewährleistet und die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen anerkennt. Zwar haben die Spitzenverbände der Krankenkassen gemäß § 126 Abs. 2 SGB V gemeinsame Empfehlungen zur einheitlichen Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 126 Abs. 1 SGB V für Blindenführhunde-Ausbilder als Leistungserbringer zur Auswahl, Ausbildung und Abgabe von Blindenführhunden sowie zur Einarbeitung der Versicherten (Einführungslehrgang) abgegeben. Wie die Beklagte jedoch vorträgt, bestand nur eine "stillschweigende" Abrede aber keine vertragliche Beziehung mit einem Blindenführhunde-Ausbilder bzw. Blindenführhundeschule. Die von der Beklagten vorgetragene stillschweigende Abrede erfüllt nicht die Voraussetzungen einer vertraglichen Regelung mit einem zugelassenen Leistungserbringer nach § 126 i.V.m. § 127 SGB V.

Bei dieser Sachlage kann die Beklagte der Klägerin nicht entgegenhalten, sie habe ihr mit Schreiben vom 27. Juni 2000/18. Juli 2000 zwei Blindenführhundschulen benannt, die einen Blindenführhund für 28.800,00 DM abgeben würden. Der Senat ist zu der Überzeugung gekommen, dass sich die Klägerin nur dann auf diese beiden Blindenführhundeschulen hätte verweisen lassen müssen, wenn diese Leistungserbringer im Sinne von § 126 SGB V gewesen wären. Dabei stützt der Senat seine Auffassung auf § 126 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung. Danach dürfen Hilfsmittel an Versicherte nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden. Dies ist dadurch begründet, dass Leistungserbringer gemäß § 126 Abs. 2 Satz 2 SGB V zuzulassen sind, wenn sie eine ausreichende, zweckmäßige, funktionsgerechte und wirtschaftliche Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel gewährleisten und die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen anerkennen. Dies setzt eine entsprechende Prüfung durch die Krankenkasse voraus. Da die beiden von der Beklagten benannten Blindenführhundeschulen keine zugelassenen Leistungserbringer sind bzw. waren, kann mangels entsprechender Prüfung im Rahmen eines Zulassungsverfahrens nicht festgestellt werden, ob diese die Kriterien einer ausreichenden, zweckmäßigen, funktionsgerechten und wirtschaftlichen Versorgung blinder Versicherten mit einem Blindenführhund erfüllten. Allein der Vortrag der Beklagten, es seien keine Hinweise bekannt, die gegen eine Ausbildung entsprechend den Qualitätskriterien des MDS vom 19. Januar 1999 bzw. gegen die Empfehlung des MDS sprechen würden, kann eine Prüfung im Rahmen eines Zulassungsverfahrens nach § 126 Abs. 2 SGB V nicht ersetzen.

Des Weiteren kann die Beklagte ihrer Einstandspflicht für die vollen Kosten des Blindenführhundes S. der Klägerin nicht entgegenhalten, dass es sich dabei um eine "Spitzenmedizin" bzw. um einen nicht marktüblichen Preis für einen Blindenführhund handele und die Beschaffung damit gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V verstoße. Die Beklagte selbst hat keine Kriterien vorgetragen, aus denen sich ein marktüblicher Preis - i. S. des Gebotes des § 12 I SGB V - für einen Blindenführhund ergeben könnte. Nach dem Ergebnis der Anfragen des Senats bei den Blindenführhundeschulen X. und D. konnte nicht die Unwirtschaftlichkeit der von der Klägerin gewählten Schule X. festgestellt werden. Die Anfragen des Senats bei beiden Blindenführhundeschulen ergab, dass die Kostenaufstellungen beider Schulen nicht vergleichbar sind. Es fehlt an einer Grundlage für die Feststellung, die Versorgung der Klägerin mit dem gewählten Blindenführhund sei unwirtschaftlich, da es an der Basis eines Vergleichs fehlt. Die von beiden Schulen veranschlagten Kosten für Erwerb des Hundes, Ausbildung, Schulung der Klägerin am Ort der Schule und an ihrem Wohnort sind zu unterschiedlich um eine Vergleichbarkeit herstellen zu können. Selbst wenn unterstellt wird, dass die zwischenzeitlich nicht mehr bestehende Hundeführschule P. C. im Mai 2000 einen Blindenführhund zum Preis von ca. 28.800,00 DM angeboten hätte, bestätigt dies nur, dass zwei Blindenführhundeschulen ein entsprechendes Angebot hätten abgeben können. Allein die bereits veröffentlichten Urteile zur Kostentragungspflicht von gesetzlichen Krankenkassen für die Kosten eines Blindenführhundes zeigen, dass ein marktüblicher Preis sich nicht herausgebildet hat. Im Jahr 1991 wurden Kosten für einen Blindenhund in Höhe von 33.737,10 DM (Sozialgericht Gießen, Urteil vom 17. März 1993 – Az.: S 9 KR 577/92), im Jahr 1994 in Höhe von 36.050,00 DM (Landessozialgericht Bremen, Urteil vom 6. September 1996 – Az.: L 2 KR 1/96) und im Jahr 1999 in Höhe von 37.181,22 DM (Sozialgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 21. Januar 2002 - Az.: S 25 KR 2166/99) geltend gemacht. Der Beklagten ist insoweit zuzustimmen, dass die vorliegend im Jahr 2000 geltend gemachten Kosten in Höhe von insgesamt 47.616,07 DM recht hoch sind. Ein marktüblicher Preis konnte jedoch allein anhand der beiden von der Beklagten genannten Blindenführhundeschulen nicht festgestellt werden; weitere benannte die Beklagte nicht. Die Nichterweislichkeit eines marktüblichen Preises für einen Blindenführhund geht nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Beklagten. Der Grundsatz der objektiven Beweislast regelt, wer die Folgen zu tragen hat, wenn das Gericht eine bestimmte Tatsache - trotz Ausschöpfen aller Ermittlungsmöglichkeiten - nicht feststellen kann. In dieser Situation gilt der Grundsatz, dass derjenige die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch oder Einwand begründen. Die Beklagte wendet gegen den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ein, dass diese nicht notwendig im Sinne von unwirtschaftlich gewesen sei, da ein kostengünstigerer, marktüblicher Preis möglich gewesen wäre. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast hat die Beklagte die Folgen der Nichterweislichkeit eines niedrigeren marktüblichen Preis zu tragen.

Auch kann die Beklagte der Klägerin nicht entgegenhalten, sie habe sich für den Blindenführhund S. bereits vor ihrem Antrag auf Kostenübernahme in der Weise entscheiden, dass ihr eine Versorgung mit einem anderen – preisgünstigeren-Hund nicht mehr möglich gewesen wäre. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft der Blindenführhundeschule X. erteilte die Klägerin erst Ende August/Anfang September 2000 die Zusage, den über die Kostenübernahme der Beklagten hinausgehenden Restbetrag zu zahlen. Zuvor hatte die Klägerin nach Auskunft der D. einen Kostenvoranschlag von dieser Schule von Juni 2000 eingeholt. Auch wurde der Klägerin der Blindenführhund S. erst im November 2000 übergeben. Aus alledem kann nicht der Schluss gezogen werden, die Klägerin habe sich bereits im Zeitpunkt ihrer Anfrage im Mai 2000 für eine Versorgung mit einem Blindenführhund der Schule X. entschieden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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