L 4 KR 1325/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KR 2042/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1325/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin erhebt Anspruch auf Kostenübernahme für die Spezialnahrung "Neocate".

Die am 2002 geborene Klägerin leidet an einer schweren superinfizierten atopischen Dermatitis. Der Befund wurde in der stationären Behandlung in der Spezialklinik N. (Oberpfalz) vom 23. Juni bis 27. Juli 2003 gesichert (vgl. Entlassungsbericht vom 22. August 2003). Der Oberarzt dieser Klinik Dr. R. empfahl im Hinblick auf die Besserung des Hautzustandes durch die während der stationären Behandlung erfolgte Ernährung mit der Spezialnahrung Neocate für die nächsten sechs Monate eine Ernährung ausschließlich mit Neocate zur weiteren Stabilisierung des Hautbefunds (Empfehlung vom 25. Juli 2003). Am 22. September 2003 beantragte die Mutter der Klägerin, gestützt auf die "ärztliche Empfehlung" des Oberarztes Dr. R. von der Spezialklinik N. vom 25. Juli 2003 und eines Attests der behandelnden Kinderärztin Dr. S. vom 01. September 2003 Kostenübernahme und Kostenerstattung für die Spezialnahrung "Neocate". Laut Schreiben vom 14. August 2003 des Bundesverbandes Neurodermitiskranker in Deutschland e.V. habe der Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen unter Änderung seiner Richtlinien Hydrolysate bei Säuglingen mit Kuhmilch-Eiweiß-Allergien bei schwerwiegender Symptomatik jetzt als verordnungsfähig eingestuft; die Leistung sei auf das erste Lebensjahr begrenzt. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 02. Oktober 2003 ab. Nach den Arzneimittel-Richtlinien F Ziff. 17.1 dürften Würz- und Süßstoffe, Obstsäfte, Lebensmittel im Sinne des § 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes, Krankenkost und Diätpräparate von den Vertragsärzten nicht verordnet werden. Eine der anerkannten Ausnahmen liege nicht vor (Aminosäurenmischungen und Eiweißhydrolysate bei angeborenen Enzymmangelkrankheiten, Elementardiäten, Morbus Crohn, Kurzdarmsyndrom, stark untergewichtige Mukoviszidose, chronisch terminale Niereninsuffizienz oder medizinisch indizierte Sondennahrung). Die Versorgung mit Lebensmitteln besonderer Beschaffenheit gehöre nicht zu den Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Änderung der Richtlinien, wie im Schreiben des Bundesverbandes Neurodermitiskranker behauptet, sei tatsächlich nicht erfolgt. Letzteres wurde mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch angezweifelt. Der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss verblieb im zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 06. Mai 2004 bei der Begründung des Ausgangsbescheides; eine Ausnahmeindikation liege nicht vor.

Mit der am 25. Mai 2004 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage legte die Klägerin die Rechnungen der B.-Apotheke K.-I. vor (26. August 2003 Euro 144,65; 05. September 2003 Euro 265,80: 17. September 2003 Euro 506,25). Die Spezialnahrung "Neocate" sei beim Aufenthalt in der Spezialklinik N. wegen Kuhmilch-Eiwei߬Unverträglichkeit eingesetzt und dringend weiter empfohlen worden. Die Spezialnahrung verhindere erfolgreich Mangelernährung. Inzwischen sei zwar bekannt, dass das Bundesministerium für Gesundheit den erwähnten Empfehlungen des Bundesausschusses widersprochen habe. Dies könne jedoch angesichts der unbedingten Notwendigkeit der Spezialnahrung nicht akzeptiert werden. Das Bundesministerium müsse nach den Beweggründen für die Ablehnung befragt werden.

Die Beklagte trat der Klage unter Hinweis auf die Begründung der Bescheide entgegen.

Das SG befragte den Gemeinsamen Bundesausschuss zu dem umstrittenen Verfahren. Jener teilte mit Schreiben vom 04. Januar 2005 (Referentin Althoff) mit, die Beschlüsse des Bundesausschusses vom 26. Februar 2002 und vom 01. Dezember 2003 zur ausnahmsweisen Verordnungsfähigkeit von Aminosäurenmischungen, Eiweißhydrolysaten, elementaren Diäten und Sondennahrung seien vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung beanstandet worden. Inzwischen laufe ein neues Anhörungsverfahren.

Das SG wies durch Gerichtsbescheid vom 25. Februar 2005 die Klage ab. Zur Begründung legte es dar, der Gemeinsame Bundesausschuss (früher Bundesausschuss) habe in den Richtlinien festzulegen, in welchen Fällen etwa Elementardiäten ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen würden. Eine Ausnahmeindikation sei nicht erfüllt. Der Beschluss vom 26. Februar 2002 sei wegen der Beanstandung nicht wirksam geworden. Anhaltspunkte dafür, das Bundesministerium für Gesundheit hätte den ihm zustehenden Beanstandungsspielraum überschritten, seien nicht vorhanden, zumal der Gemeinsame Bundesausschuss am 16. März 2004 beschlossen habe, der Beanstandung durch ein zweites Anhörungsverfahren abzuhelfen.

Gegen den mit Übergabe-Einschreiben am 11. März 2005 zur Post gegebenen Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 01. April 2005 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie hat die bereits bekannten Berichte und Atteste vorgelegt und verbleibt dabei, rein wirtschaftliche Erwägungen seien für die Beanstandung durch das Ministerium ausschlaggebend gewesen. Das Bundesministerium müsse aufgefordert werden, seine Gründe darzulegen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 25. Februar 2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 02. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06. Mai 2004 zu verurteilen, ihr EUR 950,- zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und ihre Bescheide für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis beider Beteiligter gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Der Beschwerdewert von EUR 500,- (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) ist überschritten. Die Berufung kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben. Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden die Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung für die im ersten Lebensjahr der Klägerin beschaffte Spezialnahrung "Neocate" zu Recht ablehnte.

Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs. 3 Satz 1 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V). Danach sind dem Versicherten Kosten einer selbst beschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte. Der Anspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 1 und 2 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung vgl. z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 1/06 R - mwN).

1. Dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch steht schon entgegen, dass die Klägerin sich die Leistung selbst beschaffte, ohne sich vorher an die Beklagte gewandt zu haben. Denn ein auf die unrechtmäßige Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des BSG regelmäßig aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten. § 13 Abs. 3 SGB V gewährt einen Erstattungsanspruch für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden konnte. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Kasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (ständige Rechtsprechung; z.B. BSG, Urteil vom 20. Mai 2003, SozR 4-2500 § 13 Nr. 1 mwN). Auch kann ein Kostenerstattungsanspruch auf die Unfähigkeit der Krankenkasse, eine unaufschiebbare Leistung rechtzeitig zu erbringen, nur gestützt werden, wenn es dem Versicherten nicht möglich oder nicht zuzumuten war, sich vor der Leistungsbeschaffung mit der Kasse in Verbindung zu setzen (BSG, Urteil vom 25. September 2000 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 22). Nach den vorgelegten Rechnungen beschaffte sich die Klägerin die Spezialnahrung Neocate am 26. August 2003, 05. September 2003 und 17. September 2003. Wegen einer Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung wandte sie sich mit Schreiben vom 12. September 2003 an die Beklagte, das bei der Beklagten am 22. September 2003 einging. Die Beklagte konnte sich mithin mit der Frage, ob der Klägerin ein Sachleistungsanspruch hinsichtlich der Versorgung mit der Spezialnahrung Neocate zustand, erst befassen, als die Klägerin sich die Leistung bereits selbst beschafft hatte. Es sind keine Gründe erkennbar, die die Klägerin gehindert hätten, vor Beschaffung der Spezialnahrung sich an die Beklagte zu wenden. Die stationäre Behandlung, in der sich die positiven Wirkungen mit der Abgabe der Spezialnahrung Neocate zeigten, endete am 27. Juli 2003. Die zur Vorlage bei der Krankenkasse von Dr. R. gegebene ärztliche Empfehlung, die Kosten für die Spezialnahrung Neocate zu übernehmen, erfolgte mit dem Schreiben vom 25. Juli 2003. Demgemäß bestand zwischen dem Ende der stationären Behandlung und der ersten Beschaffung der Spezialnahrung Neocate am 26. August 2003 ein Zeitraum von gut einem Monat.

2. Die Beklagte war im August und September 2003 nicht verpflichtet, die Spezialnahrung Neocate als Sachleistung zu erbringen. Maßgeblich ist insoweit die Sach- und Rechtslage für den Zeitraum, für welchen die Erstattung von Kosten geltend gemacht wird (vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 12; SozR 3-2500 § 92 Nr. 12; BSG, Urteil vom 21. Februar 2006 - B 1 KR 22/05 R).

Nach § 31 Abs. 1 SGB V in der bis Dezember 2003 geltenden Fassung haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 ausgeschlossen sind, und auf Versorgung mit Verbandmitteln, Harn- und Blutteststreifen (Satz 1). Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden (Satz 2). Bei diesen Richtlinien handelt es sich um die Arzneimittel-Richtlinien. Diese sahen im streitigen Zeitraum eine Verordnungsfähigkeit der Spezialnahrung Neocate nicht vor, wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend darlegte. Dies wird von der Klägerin auch nicht in Frage gestellt. Der Senat nimmt deshalb insoweit auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Da maßgeblich die Sach- und Rechtslage im Zeitraum, für den Kostenerstattung begehrt wird, ist, ergibt sich eine andere Beurteilung nicht daraus, dass das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung im Wege der Ersatzvornahme, gegen die der Gemeinsame Bundesausschuss Klage erhoben hat, die Änderung des Kapitels E (Verordnungsfähigkeit von Aminosäurenmischungen, Eiweißhydrolysaten, Elementardiäten und Sondennahrung (Enterale Ernährung) am 25 August 2005 bekannt gemacht hat, die am 1. Oktober 2005 in Kraft getreten ist (Bundesanzeiger 2005 Nr. 165 vom 01. September 2005, Seite 13241 ff.). Den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen kommt rechtliche Bedeutung erst ab ihrer Bekanntmachung im Bundesanzeiger (§ 94 Abs. 2 SGB V) zu; der Zeitpunkt der Beschlussfassung ist nicht maßgebend (BSG, Urteil vom 19. Februar 2002 - B 1 KR 16/00 R -, SozR 3-2500 § 92 Nr. 12).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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