L 3 RA 20/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 20 RA 287/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 RA 20/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 131/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.03.2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab Juni 1999.

Die im ... 1945 geborene Klägerin hat eine dreijährige Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau, Fachrichtung Lebensmittel, erfolgreich durchlaufen. Zuletzt war sie von 1995 bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im März 1999 halbschichtig als Verkäuferin an der Fleisch-, Wurst- und Käsetheke in einem "e." Verbrauchermarkt in M. a. d. R. versicherungspflichtig beschäftigt. Diese körperlich schwere Tätigkeit, bei der sie Fleischstücke mit einem Gewicht bis zu 25 kg heben und tragen musste, verrichtete sie überwiegend stehend mit leichten Wirbelsäulenzwangshaltungen und entsprechender Belastung der Arme beim Verpacken und Portionieren. Seitdem geht sie keiner Beschäftigung mehr nach. Bis November 1999 bezog sie Krankengeld. Vom Versorgungsamt in Düsseldorf ist ein Grad der Behinderung von 40 anerkannt.

Im März 1999 nahm die Klägerin an einem vierwöchigen stationären Heilverfahren in der Klinik L. in Bad S. teil. In ihrem Kurentlassungsbericht vom 06. Mai 1999 schlossen die Kurärzte die Tätigkeit als Metzgereiverkäuferin aus, trauten der Klägerin aber noch leichte Arbeiten in wechselnder, jedoch überwiegend sitzender Körperhaltung unter Vermeidung von Zwangshaltungen vollschichtig zu.

Den Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus Mai 1999 lehnte die Beklagte unter Hinweis auf den Kurentlassungsbericht ab, weil die Klägerin danach noch als Kassiererin an Packtisch- und Sammelkassen in Kaufhäusern vollschichtig arbeiten könne (Bescheid vom 15. Juli 1999).

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte ein Gutachten des niedergelassenen Orthopäden Dr. v. S. aus W. vom 10. September 1999 ein, der der Klägerin noch leichte "Frauenarbeiten" bei weiteren Einschränkungen vollschichtig zumutete. Als Metzgereiverkäuferin sei sie nicht mehr einsetzbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 02. November 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 25. November 1999 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben und vorgetragen, sie könne keine zumutbare Verweisungstätigkeit mehr ausüben. Dem hielt die Beklagte entgegen, sie könne noch als Kassiererin an Sammelkassen bzw. Etagenkassen in Kaufhäusern oder größeren Bekleidungsgeschäften nach Gehaltsgruppe K 2 und K 3 im Einzelhandel sowie als Einzelhandelskauffrau im kaufmännisch-verwaltenden Bereich von Handels- und Wirtschaftsunternehmen vollschichtig arbeiten.

Das SG hat zur Sachaufklärung zunächst einen Befundbericht des niedergelassenen Orthopäden Dr. d. J. aus W. vom 10. April 2000 beigezogen, wonach die Erwerbsfähigkeit der Klägerin deutlich eingeschränkt sei.

Anschließend hat es von Amts wegen weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens des niedergelassenen Orthopäden Dr. F. aus M ... Dieser ist in seinem Gutachten vom 21. Juli 2000 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin noch leichte Arbeiten bei weiteren Einschränkungen vollschichtig verrichten kann. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens wird auf Bl. 35 bis 51 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Durch Urteil vom 14. März 2001 hat das SG die Klage abgewiesen: Mit dem verbliebenen Leistungsvermögen könne die Klägerin noch als Kassiererin an einer Sammel- bzw. Bereichskasse (z.B. in der Textilabteilung eines Kaufhauses) vollschichtig arbeiten. Dieser Beruf sei ihr als Angestellte mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren auch sozial zumutbar. Denn es handele sich um eine Angestelltentätigkeit, die erweiterte Fachkenntnisse und eine größere Verantwortung erfordere, und deshalb nach Gehaltsgruppe II des Gehaltstarifvertrags für den Einzelhandel in Nordrhein- Westfalen entlohnt werde. Aufgrund ihrer Berufserfahrung als Verkäuferin könne sie diese Verweisungstätigkeit nach einer Einweisungszeit von maximal 3 Monaten vollwertig ausüben.

Nach Zustellung am 11. April 2001 hat die Klägerin hiergegen am 08. Mai 2001 Berufung eingelegt und vorgetragen, dass Sammelkassenkassiererinnen überwiegend im Stehen arbeiten müssten. Dies könne ihr nicht mehr abverlangt werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. März 2001 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 02. November 1999 zu verurteilen, ihr Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab 01. Juni 1999 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, die Klägerin könne noch als Kassiererin an Etagenkassen in größeren Bekleidungsgeschäften nach Gehaltsgruppe K 2 oder K 3 arbeiten und hat hierzu folgende Unterlagen vorgelegt, auf die jeweils verwiesen wird: - Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. Juni 1999, Az.: L 6 RA 116/97 (Bl. 139 bis 148 der Gerichtsakte),

- Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Sachsen-Anhalt-Thüringen vom 21. Januar 1998 aus dem Verfahren L 2 An 116/97 vor dem LSG Thüringen (Bl. 151 f. der Gerichtsakte),

- Stellungnahme der Fa. C & A Mode Hauptverwaltung in Düsseldorf vom 27. Juli 1998 aus dem Verfahren L 2 RA 116/97 vor dem LSG Thüringen (Bl. 155 f. der Gerichtsakte)

- Stellungnahme der Fa. Peek & Cloppenburg in Düsseldorf vom 05. August 1998 aus demselben Verfahren (Bl. 159 f. der Gerichtsakte) sowie

- Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel in Berlin (Bl. 161 bis 165 der Gerichtsakte).

Der Senat hat ein berufskundliches Gutachten sowie eine ergänzende Stellungnahme des D. Organisationsleiters der K. Warenhaus AG, D. W., eingeholt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 22. Januar 2002, Bl. 122 bis 126 der Gerichtsakte, und auf die ergänzende Stellungnahme vom 28. September 2002, Bl. 175 bis 176 der Gerichtsakte, verwiesen. Außerdem hat der Senat den Beteiligten folgende Unterlagen zugänglich gemacht, auf die jeweils Bezug genommen wird: - Kopie des Gehaltstarifvertrags für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen, in Kraft seit dem 01. April 2001 (Bl. 198 bis 209 der Gerichtsakte),

- Auskunft der Fa. P & C vom 03. August 2001 an das Sozialgericht Gelsenkirchen in dem Verfahren S 8 (3, 8, 24) RA 1/98 (Bl. 194 der Gerichtsakte) und

- Auskunft der Fa. P & C vom 23. Juli 2002 an den Senat in dem Verfahren L 3 RA 9/02 (Bl. 197 der Gerichtsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte (Versicherungsnummer: ...) verwiesen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), weil sie keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit hat.

Ihr Rentenanspruch richtet sich noch nach §§ 43, 44 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (a.F.), weil er auch Zeiten vor diesem Zeitpunkt erfasst. Die ab dem 01. Januar 2001 geltende Neuregelung durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I, 1827) ist allerdings heranzuziehen, soweit ein Anspruch am 31. Dezember 2000 nicht bestand, aber für die nachfolgende Zeit in Betracht kommt (§ 300 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB VI; BSG, Urteile vom 28. August 2002, Az.: B 5 RJ 12/02 R und B 5 RJ 14/02 R).

Die Klägerin ist nicht einmal berufsunfähig.

Denn ihre Erwerbsfähigkeit ist nicht auf weniger als die Hälfte einer gesunden Vergleichsperson mit ähnlicher Ausbildung, gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F.). Um ihre Berufsunfähigkeit abzuwenden kann die Klägerin auf alle Tätigkeiten verwiesen werden, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihr sozial zugemutet werden können; dabei sind Dauer und Umfang der Ausbildung und des bisherigen Berufs ebenso zu berücksichtigen, wie die besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Ausgangspunkt für die Frage einer zumutbaren Verweisung ist der qualitative Wert des bisherigen Berufs. Um den Verweisungsrahmen zu konkretisieren, hat das Bundessozialgericht (BSG) ein Mehrstufenschema entwickelt, das auch der Senat zugrunde legt, und die Angestelltenberufe - ausgehend von Umfang und Dauer der Ausbildung - in verschiedene Gruppen eingeteilt (BSG, Urteil vom 14. Mai 1996, Az.: 4 RA 60/94, SozR 3-2600 § 43 Nr. 13). Sie sind charakterisiert durch die Leitberufe der Ungelernten, der Angelernten und der Ausgebildeten in einem anerkannten Ausbildungs beruf mit einer Ausbildungsdauer von mehr als 2 Jahren sowie - basierend auf den besonderen Anforderungen der bisherigen Tätigkeit - durch die Berufe der Angestellten mit Vorgesetztenfunktion und mit besonders hoher (akademischer) Qualifikation. In diesem Rahmen kann die Klägerin im Vergleich zu ihrem bisherigen Beruf allenfalls auf die nächst niedrigere Berufsgruppe verwiesen werden (BSG, Urteil vom 02. Dezember 1987, Az.: 1 RA 11/86, DAngVers1988, 126). "Bisheriger Beruf" ist in der Regel die Beschäftigung, die die Versicherte zuletzt versicherungspflichtig ausgeübt hat (BSG, Urteil vom 03. Juli 2002, Az.: B 5 RJ 18/01 R).

Legt man diese Kriterien zugrunde, genießt die Klägerin als (gelernte) Fleischfachverkäuferin Berufsschutz als ausgebildete Angestellte mit einer Ausbildungsdauer von mehr als 2 Jahren. Diesen körperlich schweren Beruf kann sie nicht mehr ausüben.

Denn sie kann nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme nur noch körperlich leichte Arbeiten in regelmäßig wechselnder, jedoch vorzugsweise sitzender Körperhaltung unter Meidung von Zwangshaltungen und starken einseitigen körperlichen Belastungen vollschichtig und regelmäßig verrichten. Auszuschließen sind das Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 5 kg, das Arbeiten in gebeugter Körperhaltung sowie außerhalb geschlossener Räume unter Einwirkung von Kälte und Feuchtigkeit. Diese Leistungsbeurteilung beruht auf einem chronischen Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom ohne Hinweis auf Nervenwurzelreizerscheinungen bei Fehlstatik und Übergewicht, auf einem Kniegelenksverschleißleiden bds. sowie auf Senk-Spreizfüßen mit Ausbildung einer leichten Ballenzehe rechts. Der Senat entnimmt diese Feststellungen zum Gesundheitszustand und zum Leistungsvermögen dem Gesamtergebnis der Ermittlungen und der Beweisaufnahme, insbesondere dem überzeugenden Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. F. vom 21. Juli 2000.

Dessen Leistungsbeurteilung ist schlüssig und unter Beachtung der vom Sachverständigen erhobenen Befunde folgerichtig. Anlass zu Zweifeln hat der Senat nicht, zumal auch die Klägerin selbst gegen die ärztliche Beurteilung keine Einwände erhoben oder eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes geltend gemacht hat.

Um Berufsunfähigkeit abzuwenden, kann die Klägerin aber auf solche angelernten Tätigkeiten verwiesen werden, die eine echte betriebliche Ausbildung von wenigstens 3 Monaten erfordern (BSG, Urteile vom 30. September 1987, Az.: 5b RJ 20/86, SozR 2200 § 1246 Nr. 147 und vom 12. November 1991, Az.: 5 RJ 34/90, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17) oder die angelernten Tätigkeiten zumindest tarifvertraglich gleichgestellt sind (BSG, Urteil vom 12. Oktober 1993, Az.: 13 RJ 71/93, SozR 3-2200 § 1246 Rn. 38).

Mit dem verbliebenen Leistungsvermögen kann die Klägerin noch als Kassiererin an Etagenkassen in größeren Bekleidungsgeschäften arbeiten. Die Kassiererin erfasst die Warenpreise per Handscanner, nimmt Bargeld oder Schecks an, erstellt bei Einkäufen mit Euroscheckkarte den Abbuchungsbeleg und lässt ihn unterschreiben, gibt Wechselgeld sowie den Kassenbon heraus, den der Kunde am Packtisch vorlegen muss, um die Ware zu erhalten.

Diese Tätigkeit entspricht dem Restleistungsvermögen der Klägerin. Denn es handelt sich nach den Angaben der Fa. P & C um eine körperlich leichte Arbeit in sitzender Körperhaltung ohne besondere körperliche Anforderungen und ohne Zwangshaltungen. Da Kassiererinnen zeitweise auch am Packtisch eingesetzt werden, ist ein Wechsel der Körperhaltung (zum Gehen und Stehen) gewährleistet. Nach dem Kurentlassungsbericht sowie den Gutachten der Orthopäden Dr. v. Sch. und Dr. F. kann die Klägerin noch körperlich leichte Arbeiten in wechselnder, jedoch überwiegend sitzender Körperhaltung vollschichtig ausüben. Da Textilien in jedem Fall weniger als 5 kg wiegen, wäre die Klägerin am Packtisch auch keinesfalls mit Hebe- und Tragebelastungen überfordert. Das erforderliche Anpassungs- und Umstellungsvermögen liegt vor.

Die Kritik des Sachverständigen Wisbar an der Beschreibung des Belastungsprofils ist nicht berechtigt. Seine Annahme, dass der Kassiervorgang "sicherlich" im Sitzen und nicht im Stehen ausgeübt werde, trifft zu und stimmt mit den Angaben der Fa. P & C überein. Nicht zutreffend ist aber seine Behauptung, dass die Klägerin zu einer "überwiegend" sitzenden Tätigkeit nicht mehr in der Lage ist. Das Gegenteil ist richtig. Falsch ist auch seine Annahme, dass die Klägerin ihre Körperhaltung "in kurzen Zeitabständen" wechseln müsse. Dafür findet sich in den ärztlichen Gutachten kein Anhaltspunkt. Schließlich überdehnt der Sachverständige den Begriff der Zwangshaltung, wenn er ihn mit überwiegend sitzenden Körperhaltungen gleichsetzt. Jedenfalls haben die medizinischen Sachverständigen beide Begriffe keinesfalls gleichstellen wollen, weil sie sonst nicht "vorzugsweise" sitzende Körperpositionen empfohlen und andererseits Zwangshaltungen ausgeschlossen hätten. Im Übrigen sind unter "Zwangshaltungen" nur länger andauernde Arbeiten in ungünstiger Körperhaltung zu verstehen, die mit statischer Muskelarbeit verbunden sind (z.B. Arbeiten im Knien, Hocken, Bücken sowie Überkopf oder mit Armvorhalte). Derart ungünstige Körperhaltungen kommen aber an der Etagenkasse bei P & C nicht vor.

In diesen Berufsbereich kann sich die Klägerin auch innerhalb von höchstens drei Monaten einarbeiten (vgl. zu diesem Erfordernis BSG, Urteile vom 03. November 1994, Az.: 13 RJ 77/93, SozR 3-2000 § 1246 Nr. 49 und vom 29. März 1994, Az.: 13 RJ 35/93, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Nach Angaben der Fa. P & C reicht eine Einweisungszeit von 1 Woche aus; der Sachverständige hält eine Einarbeitung von bis zu 3 Monaten für erforderlich. Als berufserfahrene und gelernte Verkäuferin besitzt die Klägerin die theoretischen Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten, um sich innerhalb von längstens 3 Monaten in den Berufsbereich einer Etagenkassiererin einzuarbeiten.

Diese Tätigkeit ist der Klägerin auch im Übrigen zumutbar.

Die Anlernzeit von 1 Woche spricht zwar eigentlich dafür, den Beruf der Kassiererin an Etagenkassen in größeren Bekleidungsgeschäften als ungelernte Tätigkeit zu qualifizieren, auf die "Gelernte" nicht verwiesen werden dürfen. Zweifel an dieser kurzen Einarbeitungszeit hat auch der Sachverständige W. geäußert. Letztlich kann die Frage nach der Länge der Einarbeitungszeit aber offen bleiben. Denn die Tätigkeit einer Kassiererin an Etagenkassen in größeren Bekleidungsgeschäften ist zumindest dem Leitberuf des Angelernten mit einer Ausbildungsdauer von bis zu 2 Jahren tarifvertraglich gleichgestellt.

Die tarifvertragliche Einstufung durch die Tarifvertragsparteien ist in der Regel bindend (st. Rspr. des BSG, Urteile vom 14. Mai 1991, Az.: 5 RJ 82/89, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 13 und zuletzt vom 03. Juli 2002, Az.: 5 RJ 18/01 R): Die Gerichte sind mangels eigener Sachkunde an die Einschätzung der Tarifvertragsparteien gebunden, wenn der maßgebliche Tarifvertrag nach Qualitätsstufen gegliedert ist, den Verweisungsberuf als solchen ausdrücklich aufführt und einer bestimmten Berufsgruppe zuordnet, die vom Leitberuf des Facharbeiters geprägt ist und diese Zuordnung nicht ausnahmsweise auf qualitätsfremden Gründen beruht. Diese Voraussetzungen liegen sowohl für den Berliner als auch für den nordrhein-westfälischen Einzelhandelstarifvertrag vor.

Die Gehaltsgruppenverzeichnisse beider Tarifverträge sind nach Qualitätsstufen gegliedert. Der Kassiererberuf (mit einfacher Tätigkeit) und der Beruf eines Kontrolleurs an Packtischen bzw. Warenausgaben wird in beiden Tarifverträgen ausdrücklich genannt.

In Berlin werden beide Berufe der Vergütungsgruppe K2 zugeordnet. Diese Tarifgruppe ist zumindest vom Leitberuf des Angelernten im oberen Bereich geprägt. Denn sie erfasst (abstrakt) Angestellte mit Tätigkeiten, für die in der Regel eine abgeschlossene 2- oder 3-jährige Ausbildung im Beruf erforderlich ist. Dass Angestellte mit einer Abschlussprüfung nach dem Berufsbild "Einzelhandelskaufmann/-frau" direkt in die Gruppe K 2 mit dem Tarifgehalt des 5. Berufsjahres eingestuft werden (vgl. Abschnitt A lit. c Nr. 2 des Tarifvertrags), spricht sogar dafür, diese Vergütungsgruppe noch höher zu bewerten und dem Leitberuf des Angestellten mit einer mehr als 2jährigen Ausbildung zuzuordnen. Diese Frage kann aber auf sich beruhen, weil die Klägerin als gelernte Fleisch fachverkäuferin jedenfalls auch auf Anlerntätigkeiten (erst recht im oberen Bereich) verwiesen werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass diese Einstufung durch die Berliner Tarifvertragsparteien auf qualitätsfremden Gründen beruht, sind nicht ersichtlich.

In Nordrhein-Westfalen werden Kassierer und Kontrolleure an Packtischen bzw. Warenausgaben dem § 3, Abschnitt B, Gehaltsgruppe I zugeordnet. Der Abschnitt B erfasst nach seiner Überschrift "Angestellte m i t abgeschlossener Ausbildung". Die Gehaltsgruppe I erfasst (abstrakt) Angestellte mit einfacher kaufmännischer Tätigkeit. Aus § 2 Abs. 3 des Tarifvertrags geht zudem hervor, dass die Gehaltsgruppen I bis IV der Beschäftigungsgruppen B des § 3 kaufmännische Tätigkeiten umfassen, für die in der Regel eine abgeschlossene kaufmännische Berufsausbildung (zwei bzw. dreijährige Ausbildungszeit mit Abschlussprüfung) erforderlich ist. Dies rechtfertigt - ähnlich wie beim Berliner Einzelhandelstarifvertrag - zumindest die Zuordnung der Gehaltsgruppe I zum Leitberuf des Angelernten im oberen Bereich. Ob es sich dabei sogar um einen Facharbeiter- bzw. Gelerntenberuf handelt, kann offen bleiben. Anhaltspunkte für eine qualitätsfremde Einstufung der Verweisungsberufe sind nicht erkennbar.

Bei der Kassiererinnentätigkeit handelt es sich schließlich auch nicht um typische Schonarbeitsplätze, die regelmäßig nur leistungsgeminderten Angehörigen des eigenen Betriebs vorbehalten bleiben und nicht für Betriebsfremde zur Verfügung stehen. Denn nach der Auskunft der Fa. P & C vom 23. Juli 2002 sind fast alle bei P & C beschäftigten Kassiererinnen vorher bei anderen Unternehmen tätig gewesen und über den (allgemeinen) Arbeitsmarkt eingestellt worden.

Die Tätigkeit ist auch nicht nur in geringfügiger Zahl vorhanden. Denn nach den Auskünften der Fa. P & C vom 03. August 2001 an das Sozialgericht Gelsenkirchen beschäftigt allein die Fa. P & C bundesweit etwa 300 Kassiererinnen. Dies schließt die Annahme eines Seltenheitsfalles aus, wie das BSG zur Sammelkassenkassiererin bereits entschieden hat (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 13). Für eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen spricht auch die Tatsache, dass Kassiererinnen sowie Kontrolleure an Packtischen in den Berliner und nordrhein-westfälischen Tarifverträgen für den Einzelhandel ausdrücklich erwähnt werden.

Unerheblich ist, dass nach Auskunft der Fa. P & C ca. 80 % der Kassiererinnen teilzeitbeschäftigt sind. Denn die Fa. P & C gibt in ihrem Schreiben vom 23. Juli 2002 an, dass die Zahl der Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse deshalb so groß ist, weil familiengebundene Hausfrauen neben ihren häuslichen Pflichten nur stundenweise berufstätig sein möchten. Grundsätzlich können Kassiererstellen auch mit Vollzeitkräften besetzt werden.

Da die Klägerin nicht berufsunfähig ist, kann sie erst recht nicht erwerbsunfähig oder gar erwerbsgemindert sein. Denn sowohl die Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI a.F. als auch die teilweise bzw. volle Erwerbsminderung im Sinne der §§ 43, 240 SGB VI n.F. setzen im Vergleich zur Berufsunfähigkeit eine noch weitergehendere Herabsetzung der beruflichen Belastbarkeit voraus.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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