Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 34 P 194/96
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 B 19/99 P
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.10.1999 abgeändert. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind gleichermaßen nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig war, ob beim vormaligen Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe III vorlagen. Die Beklagte hatte einen entsprechenden Antrag negativ beschieden. Auf den erfolglosen Widerspruch hat der Kläger das Sozialgericht Düsseldorf angerufen. Während des Verfahrens ist er am 09.02.1997 verstorben. Seine Ehefrau sowie seine Kinder haben den Rechtsstreit fortgesetzt.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 28.07.1999 erklärt, es könne davon ausgegangen werden, daß sich der Gesundheitszustand des verstorbenen Ehemannes der Klägerin fortlaufend verschlechtert habe. Da die rückwirkende Bestimmung der Hilfebedarfs nur schwerlich möglich sei, sei sie zu einer vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits auf der Grundlage bereit, daß der streitbefangene Zeitraum vom 01.04.1995 bis Februar 1997 geteilt und vom 01.03.1996 an Leitungen nach Pflegestufe III gewährt werden. Eine Übernahme der außergerichtlichen Kosten komme angesichts der Unsicherheiten bei Einstufung in die Pflegestufe III nicht in Betracht.
In der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts am 07.10.1999 haben die Beteiligten folgenden Vergleich geschlossen:
1. Die Beklagte erklärt sich unter Abänderung des Bescheides vom 01.12.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.1996 bereit, an die klagenden Ehefrau des Klägers als Rechtsnachfolgerin Pflegegeld gemäß § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SGB XI ab 01.03.1996 zu zahlen.
2. Die Beteiligten sind sich einig, dass das Gericht über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten an die Klägerin durch Beschluss entscheiden soll.
3. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist hiermit einverstanden und nimmt die Klage im übrigen zurück.
Mit Beschluss vom 13.10.1999 hat das Sozialgericht der Beklagten gem. § 193 Abs. 1 SGG die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) auferlegt. Die Vorschrift des § 195 SGG stehe dem nicht entgegen, denn die Beteiligten hätten deren Geltung ausgeschlossen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten. Sie macht geltend, der Rechtsstreit sei durch Vergleich vom 07.10.1999 beendet worden. Die Beteiligten hätten keine sachliche Bestimmung über die Kosten getroffen, so daß jeder Beteiligte seine Kosten zu tragen habe. Die Vorschrift des § 195 SGG könne nicht abbedungen werden.
Die Klägerin ist dem entgegengetreten. Sie bezieht sich auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Der Beschluss des Sozialgerichts vom 13.10.1999 ist aufzuheben, weil er gegen § 195 SGG verstößt. Eine gerichtliche Kostenentscheidung durfte nicht ergehen.
Die Beteiligten haben das Streitverfahren wirksam durch Vergleich (§ 101 Abs. 1 SGG) vom 07.10.1999 erledigt. Damit gilt für die Kostentragung die Vorschrift des § 195 SGG, weil die Beteiligten keine sachliche Bestimmung über die Kosten getroffen haben.
In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die von der Beklagten gerügte Verfahrensweise des Sozialgerichts zulässig ist. Einerseits wird die Auffassung vertreten, der § 98 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nachgebildete § 195 SGG lasse eine Bestimmung der Parteien über die Kosten in der Weise zu, daß darüber das Gericht entscheiden solle (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 195 Anmerkung 3a; Peters-Sautter-Wolff, SGG, § 195 mwN; Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, 1996, Rdn. 387; vgl. auch Bergerfurth NJW 1972, 1840; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, 56. Auflage, § 98 Rdn. 30; Thomas-Putzo, ZPO, 18. Auflage, § 98 Rdn. 4; einschränkend: Zöller, ZPO, 20. Auflage, § 98 Rdn. 3; OLG Oldenburg vom 11.06.1992 in NJW-RR 1992, 1466). Andererseits wird die Auffassung vertreten, die Rechtsfolge des § 195 SGG trete zwingend ein, sofern die Beteiligten keine positive abweichende Kostenregelung treffen (vgl. Zeihe, SGG, § 195 Anmerkung 5a mwN; LSG NRW in den Beschlüssen vom 16.01.1985 - L 11 S 30/84 -, vom 13.11.1985 - L 11 S 19/85 - und vom 14.10.1987 - L 11 S (Ka) 2/89 -; BayLSG in Breith 1956, 92; im Ergebnis auch LSG NRW vom 26.01.1982 - L 12 S 19/81 - in Breith 1982, 544 ff; für § 98 ZPO vgl. OLG Bamberg vom 10.08.1979 in MDR 1980, 60; OLG Hamburg MDR 1973, 1030; OLG Nürnberg MDR 1979, 1029 ).
Die erste Meinung führt zur Begründung im wesentlichen an, den Beteiligten stehe es frei, wegen der Hauptsache eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen oder sich zu vergleichen. Dies müsse auch für die Kosten des Verfahrens gelten. Sofern darüber keine Einigung zu erzielen sei, handele es sich lediglich um einen Teilvergleich. Es sei kein Grund ersichtlich, den Beteiligten die starre Kostenregelung des § 195 SGG (bzw. § 98 ZPO) aufzudrängen, zumal der Abschluß eines Vergleichs oftmals gerade am Kostenpunkt zu scheitern drohe.
Die gegenteilige Auffassung verweist auf den Wortlaut der Vorschriften sowie auf den Gedanken der Vereinfachung des Verfahrens. Die Verfahrensvereinfachung würde hinfällig, wenn das Gericht sich im Rahmen der Kostenentscheidung mit der materiellen Rechtslage auseinanderzusetzen hätte. Dabei könnte das Gericht auch in die Lage gebracht werden, eine Kostenentscheidung zu treffen, die mit der in materieller Hinsicht von den Beteiligten getroffenen Regelung nicht in Einklang stehe. Die Entscheidung hingegen nach dem Ergebnis des Vergleichs zu treffen, könne andererseits nicht Sinn der gesetzlichen Regelung sein, weil eine solche Regelung von den Beteiligten, gegebenenfalls unter Mitwirkung des Gerichts, auch selbst getroffen werden könne (vgl. Beschlüsse des 11. Senats vom 16.01.1985 - L 11 S 30/84 -, vom 13.11.1985 - L 11 S 19/85 -, vom 14.10.1987 - L 11 S (Ka) 2/89 - und vom 21.02.1997 - L 11 SKa 84/96 -). Der erkennende Senat tritt dem bei. Schon in dem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 13.09.1999 - L 10 B 15/99 P - hat er erwogen, letztgenannter Ansicht zu folgen.
Der Senat läßt sich dabei von folgenden Überlegungen leiten:
Die Vorschrift des § 195 SGG verknüpft zwei kumulative Tatbestands voraussetzungen, nämlich
- Erledigung des Rechtsstreits durch einen gerichtlichen Vergleich und
- keine Bestimmung über die Kosten mit einer (zwingenden) Rechtsfolge, nämlich
- jeder Beteiligte trägt seine Kosten.
Gerichtlicher Vergleich ist ein solcher, der unter den Voraussetzungen des § 101 Abs. 1 SGG geschlossen wird. Nur dieser ist Grundlage für § 195 SGG (Zeihe aaO; Peters-Sautter-Wolff, Anm. zu § 195 S. III/109-66; str.) und führt zum Ausschluß des § 193 SGG. Der außergerichtliche Vergleich beendet den Rechtsstreit nicht; dann bedarf es ergänzender prozeßbeendender Erklärungen gem. § 102 SGG; die Kostenentscheidung ist nach § 193 SGG zu treffen. Demgegenüber führt der gerichtliche Vergleich nach § 101 Abs. 1 SGG unmittelbar zur ganzen oder teilweisen Erledigung des geltend gemachten Anspruchs. Soweit hierzu die Auffassung wird, ein Vergleich ohne Kostenregelung sei nur ein Teilvergleich (Peters-Sautter-Wolff, § 195 III/109- 66), wird der Regelungsgehalt des § 101 Abs. 1 SGG verkannt. Geltend gemachter Anspruch ist das vom Kläger mit der Klage bestimmte Streitprogramm, also sein Klagebegehren (vgl. Meyer-Ladewig, 6. Auflage, § 123 Rdn. 3), das auf eine materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Besserstellung zielt (Zeihe aaO § 123 Rdn. 5a). Die Frage, ob und in welchem Umfang der Kläger Kosten zu tragen hat, ist demgegenüber sekundär; sie ist lediglich eine Folge davon, daß er Klage erhoben hat und auf diesem Weg versucht, den nach seiner Auffassung bestehenden Anspruch durchzusetzen. Die Kostenregelung ist damit vom eigentlichen Anspruch strikt zu trennen. Gleichwohl kann sie zu einem Anspruch im Sinn des § 101 Abs. 1 SGG dann erwachsen, wenn die Beteiligten im Berufungsrechtszug, ungeachtet dessen, ob dies zulässig ist (hierzu § 144 Abs. 4 SGG), nur um den Kostenausspruch eines erstinstanzlichen Urteils streiten. Da sonach der Vergleich in der Sache, d.h. über den geltend gemachten Anspruch im Sinn des § 101 Abs. 1 SGG, den Rechtsstreit erledigt, verbleibt für die Auffassung, hierbei handele es sich lediglich um einen Teilvergleich, keine Grundlage. Dies folgt auch aus dem Wortlaut des § 195 SGG, indem einerseits die Erledigung des Rechtsstreits und andererseits die Bestimmung über die Kosten behandelt wird (so zutreffend Zeihe aaO § 195 Rdn. 5a).
Die Beteiligten können über den Regelungsgehalt des § 192 SGG nicht disponieren; sie haben nur die Möglichkeit, selbst eine sachliche Kostenvereinbarung in den Vergleich aufzunehmen; fehlt es hieran, werden die Kosten durch Gesetz aufgehoben (vgl. Zeihe aa0 mwN). Daß die Beteiligten die Wirkungen des § 195 SGG nicht abdingen können, folgt schon daraus, daß die Vorschriften des SGG nicht disponibel sind. Dies gilt grundsätzlich zwar auch für andere Verfahrensordnungen, indessen hat der Gesetzgeber Ausnahmen zugelassen. So sieht die ZPO vor, daß die Parteien unter bestimmten Voraussetzungen Zuständigkeitsvereinbarungen treffen können (§ 38 ZPO) oder ein an sich unzuständiges Gericht durch rügelose Einlassung zuständig wird (§ 39 ZPO). Für alle öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten ist dieser Ausnahmefall indes ausgeschlossen worden (§ 59 SGG; vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 12. Auflage, § 52 Rdn 2 m.w.N.; Meyer-Ladewig, a.a.O., § 59 Rdnr. 1.) Hieraus wird der Wille des Gesetzgebers hinreichend deutlich, Prozeßordnungen als nicht disponibles Recht anzusehen. Für § 195 SGG gilt nicht anderes, zumal der Gesetzgeber es unterlassen hat, diese Vorschrift als abdingbar zu bezeichnen. Dies hätte nicht nur nahe gelegen, sondern wäre, da es sich dann hierbei um einen Ausnahmefall handeln würde, wie in den Fällen der §§ 38, 39 ZPO auch notwendig gewesen.
Soweit die Auffassung vertreten wird, eine Bestimmung über die Kosten im Sinn des § 195 SGG liege nicht nur dann vor, wenn die Vergleichspartner die Kostenfrage materiell geregelt haben, sondern auch, wenn der Vergleich ein Bestimmung in der Form enthält, daß eine Entscheidung des Gerichts nach § 193 SGG beantragt werden soll (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Auflage, 1997, XII Rdn. 71 mwN), führt dies nicht weiter. Dem steht schon entgegen, daß die Beteiligten in einem solchen Fall über die Kosten gerade keine Bestimmung getroffen haben, diese vielmehr dem Gericht überlassen. Daß die Bestimmung der Kosten durch das Gericht auf der Grundlage des § 193 SGG keine Bestimmung der Kosten durch die Beteiligten gem. § 195 SGG ist, sieht der Senat begrifflich als eindeutig an. Zudem kollidiert das zuvor skizzierte Verständnis des § 195 SGG damit, daß Ausnahmevorschriften eng auszulegen und einer erweiternden Auslegung grundsätzlich nicht zugänglich sind.
Im übrigen besteht auch kein praktisches Bedürfnis für die vom Sozialgericht vertretene Handhabung des § 195 SGG. Dem Senat erscheint die Gefahr, daß die zwingende Anwendung des § 195 SGG den Abschluß eines Vergleichs in der Hauptsache gefährden könnte, als zu vernachlässigen (so auch Beschluss des 11. Senats vom 21.02.1997 - L 11 SKa 84/96 -). An dieser Frage kann die Erledigung des Rechtsstreits nicht scheitern. Bei einem Hinweis auf die Rechtsfolge des § 195 SGG finden sich die Beteiligten entweder damit ab oder treffen ausdrücklich eine anderweitige Kostenregelung. Dabei ist das Gericht zur Hilfestellung aufgerufen. So hätte auch das Sozialgericht den Beteiligten im Termin vom 07.10.1999 darlegen können, mit welchem Inhalt eine Kostenregelung unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 193 SGG billigerweise zu vereinbaren gewesen wäre. Können sich die Beteiligten hierauf dennoch nicht einigen, verbleibt dem Gericht die Möglichkeit, auf die zwingende Kostenfolge des § 195 SGG hinzuweisen. Droht der Vergleich hieran ausnahmsweise zu scheitern, bleibt es den Beteiligten - ggf. auf Anregung des Gerichts - unbenommen, den Rechtsstreit durch angenommenes Anerkenntnis zu erledigen (§ 101 Abs. 2 SGG), nötigenfalls ein angenommenes Teilanerkenntnis dahin zu ergänzen, daß die Klage im übrigen zurückgenommen wird. Rechtlich stehen die Beteiligten dann nicht anders als bei Abschluß eines Vergleichs. Das angenommene Anerkenntnis und der gerichtliche Vergleich sind gleichermaßen vollstreckungsfähige Titel (§ 199 SGG). Sollte einer der Beteiligten aus lediglich "optischen" Gründen nicht bereit sein, den Rechtsstreit auf dieser Basis zu erledigen und begehrt er deswegen letztlich eine gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache, liegt ein Fall mutwilliger Prozeßführung vor, der die Verhängung von Kosten nach § 192 SGG als dringend angezeigt erscheinen läßt.
Die Beschwerde der Beklagten mußte nach alledem Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung der §§ 183 und 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Streitig war, ob beim vormaligen Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe III vorlagen. Die Beklagte hatte einen entsprechenden Antrag negativ beschieden. Auf den erfolglosen Widerspruch hat der Kläger das Sozialgericht Düsseldorf angerufen. Während des Verfahrens ist er am 09.02.1997 verstorben. Seine Ehefrau sowie seine Kinder haben den Rechtsstreit fortgesetzt.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 28.07.1999 erklärt, es könne davon ausgegangen werden, daß sich der Gesundheitszustand des verstorbenen Ehemannes der Klägerin fortlaufend verschlechtert habe. Da die rückwirkende Bestimmung der Hilfebedarfs nur schwerlich möglich sei, sei sie zu einer vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits auf der Grundlage bereit, daß der streitbefangene Zeitraum vom 01.04.1995 bis Februar 1997 geteilt und vom 01.03.1996 an Leitungen nach Pflegestufe III gewährt werden. Eine Übernahme der außergerichtlichen Kosten komme angesichts der Unsicherheiten bei Einstufung in die Pflegestufe III nicht in Betracht.
In der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts am 07.10.1999 haben die Beteiligten folgenden Vergleich geschlossen:
1. Die Beklagte erklärt sich unter Abänderung des Bescheides vom 01.12.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.1996 bereit, an die klagenden Ehefrau des Klägers als Rechtsnachfolgerin Pflegegeld gemäß § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SGB XI ab 01.03.1996 zu zahlen.
2. Die Beteiligten sind sich einig, dass das Gericht über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten an die Klägerin durch Beschluss entscheiden soll.
3. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist hiermit einverstanden und nimmt die Klage im übrigen zurück.
Mit Beschluss vom 13.10.1999 hat das Sozialgericht der Beklagten gem. § 193 Abs. 1 SGG die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) auferlegt. Die Vorschrift des § 195 SGG stehe dem nicht entgegen, denn die Beteiligten hätten deren Geltung ausgeschlossen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten. Sie macht geltend, der Rechtsstreit sei durch Vergleich vom 07.10.1999 beendet worden. Die Beteiligten hätten keine sachliche Bestimmung über die Kosten getroffen, so daß jeder Beteiligte seine Kosten zu tragen habe. Die Vorschrift des § 195 SGG könne nicht abbedungen werden.
Die Klägerin ist dem entgegengetreten. Sie bezieht sich auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Der Beschluss des Sozialgerichts vom 13.10.1999 ist aufzuheben, weil er gegen § 195 SGG verstößt. Eine gerichtliche Kostenentscheidung durfte nicht ergehen.
Die Beteiligten haben das Streitverfahren wirksam durch Vergleich (§ 101 Abs. 1 SGG) vom 07.10.1999 erledigt. Damit gilt für die Kostentragung die Vorschrift des § 195 SGG, weil die Beteiligten keine sachliche Bestimmung über die Kosten getroffen haben.
In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die von der Beklagten gerügte Verfahrensweise des Sozialgerichts zulässig ist. Einerseits wird die Auffassung vertreten, der § 98 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nachgebildete § 195 SGG lasse eine Bestimmung der Parteien über die Kosten in der Weise zu, daß darüber das Gericht entscheiden solle (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 195 Anmerkung 3a; Peters-Sautter-Wolff, SGG, § 195 mwN; Kummer, Das sozialgerichtliche Verfahren, 1996, Rdn. 387; vgl. auch Bergerfurth NJW 1972, 1840; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, 56. Auflage, § 98 Rdn. 30; Thomas-Putzo, ZPO, 18. Auflage, § 98 Rdn. 4; einschränkend: Zöller, ZPO, 20. Auflage, § 98 Rdn. 3; OLG Oldenburg vom 11.06.1992 in NJW-RR 1992, 1466). Andererseits wird die Auffassung vertreten, die Rechtsfolge des § 195 SGG trete zwingend ein, sofern die Beteiligten keine positive abweichende Kostenregelung treffen (vgl. Zeihe, SGG, § 195 Anmerkung 5a mwN; LSG NRW in den Beschlüssen vom 16.01.1985 - L 11 S 30/84 -, vom 13.11.1985 - L 11 S 19/85 - und vom 14.10.1987 - L 11 S (Ka) 2/89 -; BayLSG in Breith 1956, 92; im Ergebnis auch LSG NRW vom 26.01.1982 - L 12 S 19/81 - in Breith 1982, 544 ff; für § 98 ZPO vgl. OLG Bamberg vom 10.08.1979 in MDR 1980, 60; OLG Hamburg MDR 1973, 1030; OLG Nürnberg MDR 1979, 1029 ).
Die erste Meinung führt zur Begründung im wesentlichen an, den Beteiligten stehe es frei, wegen der Hauptsache eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen oder sich zu vergleichen. Dies müsse auch für die Kosten des Verfahrens gelten. Sofern darüber keine Einigung zu erzielen sei, handele es sich lediglich um einen Teilvergleich. Es sei kein Grund ersichtlich, den Beteiligten die starre Kostenregelung des § 195 SGG (bzw. § 98 ZPO) aufzudrängen, zumal der Abschluß eines Vergleichs oftmals gerade am Kostenpunkt zu scheitern drohe.
Die gegenteilige Auffassung verweist auf den Wortlaut der Vorschriften sowie auf den Gedanken der Vereinfachung des Verfahrens. Die Verfahrensvereinfachung würde hinfällig, wenn das Gericht sich im Rahmen der Kostenentscheidung mit der materiellen Rechtslage auseinanderzusetzen hätte. Dabei könnte das Gericht auch in die Lage gebracht werden, eine Kostenentscheidung zu treffen, die mit der in materieller Hinsicht von den Beteiligten getroffenen Regelung nicht in Einklang stehe. Die Entscheidung hingegen nach dem Ergebnis des Vergleichs zu treffen, könne andererseits nicht Sinn der gesetzlichen Regelung sein, weil eine solche Regelung von den Beteiligten, gegebenenfalls unter Mitwirkung des Gerichts, auch selbst getroffen werden könne (vgl. Beschlüsse des 11. Senats vom 16.01.1985 - L 11 S 30/84 -, vom 13.11.1985 - L 11 S 19/85 -, vom 14.10.1987 - L 11 S (Ka) 2/89 - und vom 21.02.1997 - L 11 SKa 84/96 -). Der erkennende Senat tritt dem bei. Schon in dem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 13.09.1999 - L 10 B 15/99 P - hat er erwogen, letztgenannter Ansicht zu folgen.
Der Senat läßt sich dabei von folgenden Überlegungen leiten:
Die Vorschrift des § 195 SGG verknüpft zwei kumulative Tatbestands voraussetzungen, nämlich
- Erledigung des Rechtsstreits durch einen gerichtlichen Vergleich und
- keine Bestimmung über die Kosten mit einer (zwingenden) Rechtsfolge, nämlich
- jeder Beteiligte trägt seine Kosten.
Gerichtlicher Vergleich ist ein solcher, der unter den Voraussetzungen des § 101 Abs. 1 SGG geschlossen wird. Nur dieser ist Grundlage für § 195 SGG (Zeihe aaO; Peters-Sautter-Wolff, Anm. zu § 195 S. III/109-66; str.) und führt zum Ausschluß des § 193 SGG. Der außergerichtliche Vergleich beendet den Rechtsstreit nicht; dann bedarf es ergänzender prozeßbeendender Erklärungen gem. § 102 SGG; die Kostenentscheidung ist nach § 193 SGG zu treffen. Demgegenüber führt der gerichtliche Vergleich nach § 101 Abs. 1 SGG unmittelbar zur ganzen oder teilweisen Erledigung des geltend gemachten Anspruchs. Soweit hierzu die Auffassung wird, ein Vergleich ohne Kostenregelung sei nur ein Teilvergleich (Peters-Sautter-Wolff, § 195 III/109- 66), wird der Regelungsgehalt des § 101 Abs. 1 SGG verkannt. Geltend gemachter Anspruch ist das vom Kläger mit der Klage bestimmte Streitprogramm, also sein Klagebegehren (vgl. Meyer-Ladewig, 6. Auflage, § 123 Rdn. 3), das auf eine materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Besserstellung zielt (Zeihe aaO § 123 Rdn. 5a). Die Frage, ob und in welchem Umfang der Kläger Kosten zu tragen hat, ist demgegenüber sekundär; sie ist lediglich eine Folge davon, daß er Klage erhoben hat und auf diesem Weg versucht, den nach seiner Auffassung bestehenden Anspruch durchzusetzen. Die Kostenregelung ist damit vom eigentlichen Anspruch strikt zu trennen. Gleichwohl kann sie zu einem Anspruch im Sinn des § 101 Abs. 1 SGG dann erwachsen, wenn die Beteiligten im Berufungsrechtszug, ungeachtet dessen, ob dies zulässig ist (hierzu § 144 Abs. 4 SGG), nur um den Kostenausspruch eines erstinstanzlichen Urteils streiten. Da sonach der Vergleich in der Sache, d.h. über den geltend gemachten Anspruch im Sinn des § 101 Abs. 1 SGG, den Rechtsstreit erledigt, verbleibt für die Auffassung, hierbei handele es sich lediglich um einen Teilvergleich, keine Grundlage. Dies folgt auch aus dem Wortlaut des § 195 SGG, indem einerseits die Erledigung des Rechtsstreits und andererseits die Bestimmung über die Kosten behandelt wird (so zutreffend Zeihe aaO § 195 Rdn. 5a).
Die Beteiligten können über den Regelungsgehalt des § 192 SGG nicht disponieren; sie haben nur die Möglichkeit, selbst eine sachliche Kostenvereinbarung in den Vergleich aufzunehmen; fehlt es hieran, werden die Kosten durch Gesetz aufgehoben (vgl. Zeihe aa0 mwN). Daß die Beteiligten die Wirkungen des § 195 SGG nicht abdingen können, folgt schon daraus, daß die Vorschriften des SGG nicht disponibel sind. Dies gilt grundsätzlich zwar auch für andere Verfahrensordnungen, indessen hat der Gesetzgeber Ausnahmen zugelassen. So sieht die ZPO vor, daß die Parteien unter bestimmten Voraussetzungen Zuständigkeitsvereinbarungen treffen können (§ 38 ZPO) oder ein an sich unzuständiges Gericht durch rügelose Einlassung zuständig wird (§ 39 ZPO). Für alle öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten ist dieser Ausnahmefall indes ausgeschlossen worden (§ 59 SGG; vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 12. Auflage, § 52 Rdn 2 m.w.N.; Meyer-Ladewig, a.a.O., § 59 Rdnr. 1.) Hieraus wird der Wille des Gesetzgebers hinreichend deutlich, Prozeßordnungen als nicht disponibles Recht anzusehen. Für § 195 SGG gilt nicht anderes, zumal der Gesetzgeber es unterlassen hat, diese Vorschrift als abdingbar zu bezeichnen. Dies hätte nicht nur nahe gelegen, sondern wäre, da es sich dann hierbei um einen Ausnahmefall handeln würde, wie in den Fällen der §§ 38, 39 ZPO auch notwendig gewesen.
Soweit die Auffassung vertreten wird, eine Bestimmung über die Kosten im Sinn des § 195 SGG liege nicht nur dann vor, wenn die Vergleichspartner die Kostenfrage materiell geregelt haben, sondern auch, wenn der Vergleich ein Bestimmung in der Form enthält, daß eine Entscheidung des Gerichts nach § 193 SGG beantragt werden soll (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Auflage, 1997, XII Rdn. 71 mwN), führt dies nicht weiter. Dem steht schon entgegen, daß die Beteiligten in einem solchen Fall über die Kosten gerade keine Bestimmung getroffen haben, diese vielmehr dem Gericht überlassen. Daß die Bestimmung der Kosten durch das Gericht auf der Grundlage des § 193 SGG keine Bestimmung der Kosten durch die Beteiligten gem. § 195 SGG ist, sieht der Senat begrifflich als eindeutig an. Zudem kollidiert das zuvor skizzierte Verständnis des § 195 SGG damit, daß Ausnahmevorschriften eng auszulegen und einer erweiternden Auslegung grundsätzlich nicht zugänglich sind.
Im übrigen besteht auch kein praktisches Bedürfnis für die vom Sozialgericht vertretene Handhabung des § 195 SGG. Dem Senat erscheint die Gefahr, daß die zwingende Anwendung des § 195 SGG den Abschluß eines Vergleichs in der Hauptsache gefährden könnte, als zu vernachlässigen (so auch Beschluss des 11. Senats vom 21.02.1997 - L 11 SKa 84/96 -). An dieser Frage kann die Erledigung des Rechtsstreits nicht scheitern. Bei einem Hinweis auf die Rechtsfolge des § 195 SGG finden sich die Beteiligten entweder damit ab oder treffen ausdrücklich eine anderweitige Kostenregelung. Dabei ist das Gericht zur Hilfestellung aufgerufen. So hätte auch das Sozialgericht den Beteiligten im Termin vom 07.10.1999 darlegen können, mit welchem Inhalt eine Kostenregelung unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 193 SGG billigerweise zu vereinbaren gewesen wäre. Können sich die Beteiligten hierauf dennoch nicht einigen, verbleibt dem Gericht die Möglichkeit, auf die zwingende Kostenfolge des § 195 SGG hinzuweisen. Droht der Vergleich hieran ausnahmsweise zu scheitern, bleibt es den Beteiligten - ggf. auf Anregung des Gerichts - unbenommen, den Rechtsstreit durch angenommenes Anerkenntnis zu erledigen (§ 101 Abs. 2 SGG), nötigenfalls ein angenommenes Teilanerkenntnis dahin zu ergänzen, daß die Klage im übrigen zurückgenommen wird. Rechtlich stehen die Beteiligten dann nicht anders als bei Abschluß eines Vergleichs. Das angenommene Anerkenntnis und der gerichtliche Vergleich sind gleichermaßen vollstreckungsfähige Titel (§ 199 SGG). Sollte einer der Beteiligten aus lediglich "optischen" Gründen nicht bereit sein, den Rechtsstreit auf dieser Basis zu erledigen und begehrt er deswegen letztlich eine gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache, liegt ein Fall mutwilliger Prozeßführung vor, der die Verhängung von Kosten nach § 192 SGG als dringend angezeigt erscheinen läßt.
Die Beschwerde der Beklagten mußte nach alledem Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung der §§ 183 und 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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