S 13 SO 66/06 ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
13
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 13 SO 66/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Behinderte Menschen können im Einzelfall bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch dann Anspruch auf Leistungen zur Eingliederung nach den §§ 53, 54 SGB XII (hier: teilstationäre Betreuung in einer Tagesstätte für seelisch Behinderte infolge Sucht) haben, wenn sie erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II sind und Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende beziehen. Insbesondere entfällt der Anspruch auf Eingliederungsleistungen nicht generell durch den in § 2 Abs. 1 SGB XII normierten Nachrang der Sozialhilfe. Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB XII sind umfassender als die in § 16 SGB II geregelten Leistungen, die vordergründig der Eingliederung in Arbeit dienen sollen. Zweck der Leistungen der Eingliederungshilfe nach den §§ 53, 54 SGB XII ist die Verhütung einer drohenden Behinderung oder die Beseitigung einer Behinderung oder deren Folgen und die Eingliederung der behinderten Menschen in die Gesellschaft.
Die Antragsgegnerin wird vorläufig bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides in der Sache verpflichtet, der Antragstellerin ab dem 24.07.2006 Sozialhilfe in Form der Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für den Besuch der Tagesstätte 06667 Weißenfels zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin sind zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Weg des einstweiligen Rechtsschutzes die Weitergewährung von Leistungen der teilstationären Eingliederungshilfe in der Tagesstätte für seelisch behinderte Menschen infolge Sucht in Weißenfels.

Die am geborene Antragstellerin leidet unter einer Alkoholabhängigkeit. Sie bezieht zurzeit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch- Zweites Buch (SGB II).

Nach einem Sozialbericht des Deutschen Roten Kreuzes vom 19.07.2004 besteht bei der Antragstellerin ein seit Jahren bekanntes Alkoholproblem. Zum damaligen Zeitpunkt habe die Klägerin ca. 8 – 10 Flaschen Bier, gelegentlich auch Schnaps über den Tag verteilt getrunken. Vom 06.09.2004 bis 27.12.2004 befand sich die Antragstellerin in einer stationärer Entwöhnungsbehandlung und vom 10.02.2005 bis 05.05.2005 in einer stationären Adaptionsbehandlung in der Rehabilitationsfachklinik in Magdeburg. Bereits am 08.11.2004 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Aufnahme in die Tagesstätte für seelisch Behinderte infolge Sucht. Mit Schreiben vom 09.12.2004 der Rehabilitationsfachklinik wurde auf den Antrag Bezug genommen und ausgeführt, dass der Besuch der Tagesstätte mit Beschäftigungsangeboten, Abstinenzkontrollen und therapeutischen Hilfen zur weiteren Stabilisierung beitragen und den Rückfall in alte Verhaltensmuster – wie dem Alkoholmissbrauch – vorbeugen würde. Aus ärztlicher und therapeutischer Sicht sei der Besuch der Tagesstätte indiziert. Eine Woche nach Entlassung aus der Rehabilitationsfachklinik begann die Antragstellerin wieder, Alkohol zu konsumieren. Daraufhin kam es am 28.05.2005 zu einer stationären Aufnahme in das Krankenhaus Weißenfels mit den Aufnahmediagnosen Alkoholabhängigkeit und Gastritis. Anschließend erfolgte eine stationäre psychiatrische Behandlung im Klinikum in Naumburg. Die behandelnden Ärzte des Klinikums empfahlen im Entlassungsbericht vom 05.07.2005 regelmäßige Kontakte zur Suchtberatungsstelle und zur Tagesstätte in Weißenfels. Perspektivisch solle für die Antragstellerin, deren Ressourcen hinsichtlich einer längerfristigen Alkoholabstinenz in ungeschützter Umgebung eher als begrenzt einzuschätzen sei, eine Therapie in einer Übergangseinrichtung in Betracht gezogen werden. Am 06.06.2005 erfolgte die Aufnahme der Antragstellerin in die teilstationäre Betreuung der Tagesstätte. Nach der von der Antragsgegnerin eingeholten amtsärztlichen Stellungnahme des Gesundheitsamtes vom 26.07.2005 hat die Antragstellerin angegeben, dass sie seit dem 15. Lebensjahr regelmäßig Alkohol trinke. Dabei sei es zu einer kontinuierlichen Steigerung der Trinkmenge gekommen, so dass sie bis zu einem Kasten Bier und eine halbe Flasche Schnaps pro Tag trinken könne. Es seien zahlreiche Entgiftungsbehandlungen, auch mehrere stationäre Aufenthalte wegen Alkoholvergiftungen erfolgt. Die Klägerin leide an einem chronischen Alkoholismus. Es bestehe eine wesentliche Behinderung infolge Sucht, wobei momentan davon auszugehen sei, dass die Antragstellerin seit Ende Mai 2005 "trocken" sei. Die Antragstellerin sei aus eigener Kraft, auch unter ständiger Hilfe der Suchtberatung, nicht in der Lage, alkoholabstinent zu bleiben. Eine Eingliederung in die Tagesstätte für suchtkranke Menschen sei zu empfehlen, wobei das Ziel sein müsse, der Betroffenen eine feste Tagesstrukturierung ohne Alkohol zu vermitteln. Zugleich müsse sie lernen, gezielt sinnvolle soziale Kontakte wieder aufzubauen.

Mit Bescheid vom 02.08.2005 sagte die Antragsgegnerin die Übernahme der Kosten für die Betreuung der Antragstellerin in der Tagesstätte im Rahmen der Eingliederungshilfe in Form von Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, gemäß §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch (SGB XII) i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch (SGB IX) für den Zeitraum vom 06.06.2005 bis 30.06.2006 zu.

Am 01.06.2006 beantragte die Antragstellerin die Verlängerung der Kostenzusage für den Besuch der Tagesstätte. Dem Antrag war ein Schreiben vom 30.05.2006 der Tagesstätte , Dr. , sowie ein Entwicklungsbericht vom 15.05.2006 für den Zeitraum vom 01.07.2005 bis zum 15.06.2006 beigefügt. In dem Schreiben vom 30.05.2006 führt Dr. aus, dass der weitere Besuch der Tagesstätte für die Antragstellerin unbedingt notwendig sei. Die Antragstellerin benötige eine speziell auf ihre seelische Behinderung ausgerichtete Hilfe, um den erreichten Stand zu sichern. Es bestehe anderenfalls die begründete Gefahr einer Verschlechterung ihres Zustandes. Die Gewährung von Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sei eine Leistung für seelisch behinderte Menschen und sei neben der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II notwendig. Hilfe zur Teilhabe am Arbeitsleben nach dem SGB II gingen am Hilfebedarf für Behinderte völlig vorbei und seien für diese auch nicht gedacht. In dem Entwicklungsbericht der Tagesstätte vom 15.06.2006 wird unter anderem ausgeführt, dass die Antragstellerin im Hinblick auf ihre Alkoholkrankheit stark rückfallgefährdet sei. Suchttherapeutische Einzelgespräche müssten verstärkt mit ihr durchgeführtwerden, um ihr Verhalten besser reflektieren zu können. Zur weiteren Stabilisierung des Gesundheitszustandes sei der weitere Besuch der Tagesstätte für die Antragstellerin unablässig.

Mit Bescheid vom 27.06.2006 lehnte die Antragsgegnerin die Verlängerung der Gewährung von Sozialhilfe in Form von teilstationärer Eingliederungshilfe in der Tagesstätte ab. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass die Antragstellerin nunmehr von der ARGE SGB II Weißenfels Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgestzbuch - Zweites Buch (SGB II) erhalte. Damit sei die Antragstellerin nach § 8 SGB II erwerbsfähig und gehöre zum Personenkreis der Leistungsberechtigten für die Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Rahmen der Eingliederungshilfe für Erwachsene mit wesentlichen seelischen Behinderungen infolge Sucht seien nur an solche Personen zu erbringen, bei denen unter anderem unter Beachtung des § 2 SGB XII medizinische wie berufliche Rehabilitationsmaßnahmen noch nicht oder nicht mehr in Frage kämen und eine berufliche Eingliederung nicht oder noch nicht möglich sei. Zu diesem Personenkreis gehöre die Antragstellerin nicht mehr; sie könne entsprechend ihrer Befindlichkeit gegenwärtig grundsätzlich auf dem ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. Es könnten nunmehr Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach § 16 SGB II erbracht werden, die im Falle der Antragstellerin auch ausreichend seien, um eine Teilhabe am Arbeitsleben zu erreichen. Leistungen nach § 55 SGB IX seien zudem ausgeschlossen, wenn sie nach Kapitel 4 bis 6, das heißt als Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht würden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am 24.07.2006 Widerspruch. Sie sei in der Bewältigung lebenspraktischer Tätigkeiten, der eigenständigen Strukturierung ihres Tagesablaufes, im psychosozialen Bereich, in der Bewältigung ihres Suchtproblems, bei der Konzentration, Ausdauer und Ausführung von praktischen Arbeiten auf Hilfe angewiesen. Damit sei sie zur Zeit auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht zu vermitteln.

Die Antragstellerin hat am 24.07.2006 das erkennende Gericht um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Die Notwendigkeit für eine Weiterbewilligung der Eingliederungshilfe in Form der teilstationären Betreuung in der Tagesstätte sei durch den Entwicklungsbericht der Tagesstätte festgestellt worden. Die Bewilligung von Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II sei kein Ausschlusskriterium für die Gewährung von Eingliederungshilfe für seelisch Behinderte nach dem SGB XII. Es sei nicht zuzumuten, die Entscheidung im Widerspruchsverfahren abzuwarten. Die Antragstellerin sei stark rückfallgefährdet und benötige weiterhin die bisherige Hilfeform, da sie unbedingt den erreichten Stand der Alkoholabstinenz erhalten und verbessern müsse und eine Verschlimmerung der Folgen der Behinderung vermeiden wolle. Ohne die kontrollierte Umgebung der Tagesstätte sei eine umgehende Verschlechterung des Zustandes der Antragstellerin zu erwarten.

Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, der Antragstellerin die beantragte Eingliederungshilfe für den Besuch der Tagesstätte für seelisch Behinderte infolge Sucht in Weißenfels ab dem 01.07.2006 weiter zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie trägt vor, dass die Gewährung von Sozialhilfe in Form von teilstationärer Eingliederungshilfe in der Tagesstätte nicht in Betracht komme. Die Antragstellerin beziehe Leistungen nach dem SGB II, so dass davon auszugehen sei, dass sie dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe. Da eine Erwerbsfähigkeit gemäß § 8 Abs. 1 SGB II festgestellt worden sei, sei eine berufliche Eingliederung möglich und angezeigt. Die Aufnahme in eine Tagesstätte für Menschen mit wesentlichen seelischen oder seelischen und mehrfachen Behinderungen infolge Sucht setze voraus, dass eine berufliche Eingliederung nicht oder noch nicht möglich sei. Dies sei bei der Antragstellerin jedoch eben nicht der Fall. Aufgrund des Leistungsbezuges nach dem SGB II bestehe wegen der Nachrangigkeit der Sozialhilfe gemäß § 2 SGB XII kein sozialhilferechtlicher Bedarf. Eine Eilbedürftigkeit sei im vorliegenden Verfahren ebenfalls nicht glaubhaft gemacht worden, da die Antragstellerin auf andere Mittel in Form von Leistungen zur Eingliederung gemäß § 16 SGB II zurückgreifen könne.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat insoweit Erfolg, als dass die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten ist, die begehrte Leistung ab dem Tage des Eingangs des Eilantrages bei Gericht am 24.07.2006 zu gewähren.

Der Antrag ist zulässig.

Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen. Gemäß § 86 b Abs. 3 SGG ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits vor Klageerhebung zulässig.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch teilweise begründet.

Das Gericht der Hauptsache kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG). Voraussetzung für die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz ist dabei das Vorliegen eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes, wobei der Anordnungsanspruch den materiellen Anspruch auf die Regelung an sich beinhaltet und der Anordnungsgrund ein besonderes Eilbedürfnis, also die Dringlichkeit der begehrten Regelung für den Antragsteller voraussetzt (vgl. u. a. Finkenburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, Rnr. 175). Die Regelung ist für den Antragsteller dringlich, wenn ohne diese schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglichen Beseitigung die Entscheidung der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Rechtlicher Anknüpfungspunkt sind die §§ 53, 54, 56 SGB XII in Verbindung mit § 55 SGB IX. Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe zu gewähren, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist nach § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten, oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen hat somit eine doppelte Zielsetzung. Zum einen soll eine drohende Behinderung verhütet oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen beseitigt oder gemildert werden, andererseits dient die Hilfe dem Ziel, den Hilfesuchenden in die Gesellschaft einzugliedern (vgl. Rothkegel, Sozialhilferecht, Kap. 22, Rn. 6; Hauck/Noftz, SGB XII, K, § 53 Rn 27, 28).

Nach diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin einen Anspruch auf Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die weitere teilstationäre Maßnahme in der Tagesstätte in Weißenfels glaubhaft gemacht.

Bei der Antragstellerin liegt nach summarischer Prüfung eine seelische Behinderung infolge Suchterkrankung mit der Aussicht vor, dass die Folgen der Behinderung gemildert werden können und die Antragstellerin in die Gesellschaft eingegliedert werden kann.

Nach der amtsärztlichen Stellungnahme vom 26.07.2005 besteht bei der Antragstellerin eine wesentliche Behinderung infolge Sucht. Die Eingliederung in eine Tagesstätte für Suchtkranke sei zu empfehlen, wobei das Ziel sein müsse, der Antragstellerin eine feste Tagesstrukturierung ohne Alkohol zu vermitteln. Sie sei aus eigener Kraft auch unter ständiger Hilfe der Suchtberatung nicht in der Lage, alkoholabstinent zu bleiben. Auch die behandelnden Ärzte des Unstrut Klinikums empfahlen regelmäßige Kontakte zur Tagesstätte und hielten daneben berufsförderndes Maßnahmen für erforderlich (Epikrise vom 05.07.2005). Perspektivisch seien die Ressourcen der Antragstellerin hinsichtlich einer längerfristigen alkoholabstinenten Lebensführung in ungeschützter Umgebung eher als begrenzt einzuschätzen. Nach dem Schreiben des Dr. 30.05.2006 liegt bei der Antragstellerin auch aktuell noch eine seelische Behinderung vor. Die Antragstellerin benötige eine speziell auf ihre seelische Behinderung ausgerichtete Hilfe, um den erreichten Stand zu sichern. Dies ergibt sich auch aus dem Entwicklungsbericht der Tagesstätte vom 15.05.2006. Danach ist der weitere Besuch der Tagesstätte für die Antragstellerin zur weiteren Stabilisierung unerlässlich, da sie u.a. stark rückfallgefährdet sei. Sie benötige unbedingt weiterhin die intensive und umfassende Hilfestellung durch die Therapeuten. Der Anspruch auf Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53, 54 SGB XII entfällt nicht durch den Nachrang der Sozialhilfe nach § 2 SGB XII. Hiernach erhält derjenige Sozialhilfe nicht, wer es sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Allein in Betracht käme hier eine Leistung zur Eingliederung nach § 16 SGB II, da die Antragstellerin unstreitig erwerbsfähig nach § 8 SGB II ist und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht. Nach § 5 Abs. 2 SGB II schließt der Anspruch auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II Leistung nach dem 3. Kapitel des SGB XII aus. Die Vorschriften des § 5 SGB II schließt somit nicht Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem 6. Kapitel des SGB XII aus.

Ferner ist auch aus der Vorschrift des § 16 SGB II kein Ausschluss oder ein Nachrang der Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem §§ 53, 54 SGB XII zu entnehmen. Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 kann die Agentur für Arbeit als Leistung zur Eingliederung in Arbeit alle im 3. Kapitel, im 1. bis 3. und 6. Abschnitt des 4. Kapitels, im 5. Kapitel, im 1., 5. und 7. Abschnitt des 6. Kapitels und die in den §§ 417, 421 g, 421 i, 421 k und 421 m des 3. Buches geregelten Leistungen erbringen. Nach § 16 Abs. 2 SGB II können über die in Absatz 1 genannten Leistungen weitere Leistungen erbracht werden, die für die Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen des Erwerbsleben erforderlich sind. Dazu gehören nach § 16 Abs. 2 Satz 2 insbesondere die psychosoziale Betreuung (Nr. 3) und die Suchtberatung (Nr. 4). Aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 16 SGB II ist eindeutig zu entnehmen, dass im Vordergrund dieser Leistung die Eingliederung in Arbeit steht. Demgegenüber ist Regelinhalt und Zweck der §§ 53, 54 SGB XII eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB XII sind damit umfassender als die Eingliederungshilfeleistung nach § 16 SGB II, da hier ausdrücklich nur Bezug auf die Eingliederung in Arbeit genommen wird. Somit schließt § 16 SGB II Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 53,54 SGB XII nicht aus, wenn diese erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II sind und Leistungen beziehen.

Die Antragstellerin kann auch nicht gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII auf vorrangige andere Hilfemöglichkeiten, hier offene Kontakt- und Beratungsangebote, verwiesen werden. Es ist nach derzeitiger Erkenntnis davon auszugehen, dass der spezielle, hier streitige Hilfebedarf der Antragstellerin - Erhalt und Stabilisierung ihrer Alkoholabstinenz durch den Abbau ihrer Defizite hinsichtlich ihrer sozialen Kompetenz und der Fähigkeit zur Tagesstrukturierung - nur durch die teilstationären Besuch der Tagesstätte gedeckt werden kann. Denn hierbei ist ein hohes Maß an Anleitung und Hilfestellung bei der Antragstellerin erforderlich. Angebote der Selbsthilfe und Suchtberatung genügen dem Hilfebedarf der Antragstellerin nicht.

Die nach summarischer Prüfung notwendige Eingliederungshilfe in Form der Betreuung in der Tagesstätte fällt auch offensichtlich nicht unter die im 5. Kapitel des SGB IX aufgeführten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die nach § 55 Abs. 1 a.E. nicht als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht werden.

Die Antragstellerin hat weiterhin einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dieser besteht hier in der besonderen Eilbedürftigkeit der Hilfe. Das Gericht geht davon aus, dass die Antragstellerin ihr Leben noch nicht soweit stabilisiert hat, dass sie ohne die Hilfe der Tagesstätte auskommen kann. Dies ergibt sich aus den in der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin enthaltenen medizinischen Unterlagen und dem Entwicklungsbericht der Tagesstätte vom 15.05.2006 (s.o.). Ohne die begehrte einstweilige Anordnung steht zu befürchten, dass die teilstationäre Betreuung in der Tagesstätte mangels Kostenübernahme durch die Antragsgegnerin beendet werden muss. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach § 16 SGB II reichen – wie bereits ausgeführt – alleine nicht aus, um den Hilfebedarf der Antragstellerin – auch nicht vorerst - zu decken. Die Hilfe ist wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zunächst bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides zu befristen.

Für den Zeitraum 01.07.2006 bis 23.07.2006 war der Antrag mangels Anordnungsgrund abzulehnen. Die begehrte Hilfe steht der Antragstellerin ab dem Tag der Antragstellung bei Gericht – dem 24.07.2006 - zu, da Sozialhilfeleistungen im Eilverfahren grundsätzlich - so auch hier - nicht für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum zugesprochen werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved