Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 20 U 622/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 457/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.09.2004 aufgehoben, soweit darin als Folge des Unfalls vom 21.10.1988 eine dissoziative Störung festgestellt wird. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
II. Auf die Anschlussberufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.09.2004 und die Bescheide der Beklagten vom 25.11.1995 und vom 27.05.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2000 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19.12.1990 abgeändert und als weitere Folgen des Unfalls vom 21.10.1988 eine organisch gemischte affektive Störung festgestellt und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von 75 v.H. ab 01.01.1991 zu gewähren.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt wegen der Folgen des Wegeunfalls vom 21.10.1988 die Anerkennung weiterer Unfallfolgen und Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 v.H ...
Die 1957 geborene Klägerin, zum Zeitpunkt des Unfalls Inhaberin eines Bekleidungsgeschäfts, verunglückte am 21.10.1988 auf der Fahrt von ihrer Arbeitsstätte nach Hause als Führerin ihres Pkw, indem sie mit einem entgegenkommenden Pkw frontal zusammenstieß. Dabei wurde die Klägerin schwer verletzt, der Unfallverursacher erlitt tödliche Verletzungen.
Mit bindenden Bescheid vom 19.12.1990 (Bl.100 BA) erkannte die Beklagte als Unfallfolgen an: 1. Verdickung der rechten Wange 2. leicht Zurückgesunkensein des rechten Augapfels, dadurch bedingtes Auftreten von Doppelbildern am oberen Rand des beidäugigen Blickfeldes 3. Hautgefühlstörungen im Bereich der rechten Wange und der rechten Oberkieferzähne 14 und 15 nach operativ versorgter knöcherner Verletzung des rechten Jochbeines, des rechten Orbitabodens, der rechten Kieferhöhlenwand und nach Schädi gung des zweiten Astes des Trigeminus- nerves rechts 4. Einschränkung der Verschmelzungsbreite der von beiden Augen gelieferten Bilder nach Gehirnerschütterung (Commotio cere bri)
und gewährte nach Einholung von Gutachten des Dr.A. , Arzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, vom 15.12.1989, Dr. L. , Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 06.02.1990 und Dr.S. , Augenarzt, vom 20.11.1990 für die Zeit vom 06.02.1989 bis zum 01.10.1989 eine Rente nach einer MdE von 30 v.H., ab dem 01.11.1989 nach einer MdE von 20 v.H ...
Am 10.11.1995 stellte die Klägerin einen Verschlimmerungsantrag unter Vorlage von Auszügen aus einem nervenärztlichen Zusatzgutachten für die A. Versicherung von Prof.Dr.N./ T. vom 21.07.1993.
Mit Bescheid vom 27.11.1995 ohne Rechtsbehelfsbelehrung lehnte die Beklagte die Durchführung eines Neufeststellungsverfahrens ab. Der Bescheid vom 19.12.1990 sei nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe sich neurologisch eine folgenlos abgeheilte Gehirnerschütterung zugezogen.
Mit Schreiben vom 11.10.1996 legte die Klägerin dagegen Widerspruch ein mit weiteren ärztlichen Berichten. Daraufhin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 21.11.1996 mit, dass nunmehr ein Neufeststellungsverfahren nach § 44 SGB X durchgeführt werde.
Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte die Krankenunterlagen des Bezirksklinikums K. , Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie, über die dort erfolgten stationären Behandlungen der Klägerin und die Unterlagen des Städtischen Krankenhauses L. von Dr.O. , Chefarzt der Chirurgischen Abteilung, über die stationäre Behandlung vom 21.10.1988 bis 11.11.1988 bei. Weiterhin holte sie Befundberichte von Dr.U. , Arzt, Psychotherapie, vom 09.05.1996 und von Dr.P. , Neurologe und Psychiater, vom 16.03.1990 ein und zog die im Auftrag der A. Versicherung erstellten Gutachten von Prof.Dr.B./Prof.Dr.A./Dr.D. vom 02.11.1992, von Prof.Dr.N./T. vom 21.07.1993 mit testpsychologischem Zusatzgutachten von Dr.W. , klinische und forensische Psychologie, vom 01.07.1993 sowie ein augenärztliches Gutachten von Prof.Dr.K./Dr.M. vom 16.03.1992 bei. Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten von Dr.N. , Neurologe und Psychiater/Dr.W. , Neurologin, vom 11.02.1998 und ein radiologisches Zusatzgutachten von Dr.E. vom 12.02.1998 ein. Darin wurde ausgeführt, dass die bei der Klägerin vorliegende schubförmig verlaufende organische Psychose bzw. schizoaffektive Psychose nicht ursächlich auf den Unfall vom 21.10.1988 zurückzuführen sei, es handle sich um eine eigenständige psychiatrische Erkrankung. Als Folge des Unfallereignisses bestünde ein Zustand nach Commotio cerebri ohne nachweisbare Substanzschädigung des Gehirns, zwischenzeitlich folgenlos ausgeheilt. Die außerdem bestehende Gefühlsminderung und schmerzhafte Missempfindung im Versorgungsgebiet des Nervus maxilaris rechts sei unverändert mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten. Der Auffassung von Prof.Dr.N. und Dr.W. sei nicht zu folgen. Es ergäbe sich kein Hinweis darauf, dass bei dem Unfallereignis eine über eine Gehirnerschütterung hinausgehende Hirnschädigung erfolgt wäre. Nur bei einer stattgehabten kontusionellen Hirnschädigung könne aber überhaupt die Diskussion eines hirnorganischen Psychosyndroms aufgeworfen werden. Da zudem lediglich eine Bewusstlosigkeit von einigen Sekunden bestanden habe und auch psychopathologische Phänomene im Sinne eines "Durchgangssyndroms" während des stationären Aufenthalts in L. nicht beobachtet worden seien, sei davon auszugehen, dass lediglich eine Commotio cerebri bestanden habe.
Mit Bescheid vom 27.05.1998 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rentenerhöhung ab. Eine wesentliche Verschlimmerung liege nicht vor.
Den dagegen mit Schreiben vom 23.06.1998 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin unter Bezugnahme auf die bereits vorgelegten Gutachten und unter Beibringung weiterer Gutachten, die für die A. Versicherung erstellt wurden: Ein hals-nasen-ohren-fachärztliches Gutachten von Prof.Dr.K./ Dr.S. , ein computertomographisches Zusatzgutachten von Prof.Dr.R./Dr.H. vom 11.11.1991 sowie ein fachorthopädisches Gutachten von Dr.K. vom 19.07.1991.
Die Beklagte holte zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein Gutachten von Dr.K. , Augenärztin, vom 22.12.1999 und ein Gutachten von Dr.G. , Hals-Nasen-Ohren-Arzt, vom 04.01.2000 mit ergänzender Stellungnahme vom 15.03.2000 ein. Eine Änderung ergab sich durch diese Gutachten insoweit, als Dr.G. als weitere Unfallfolge eine geringe Verbreiterung des Nasenrückens nach Nasenbeinbruch und Scheidewandverbiegung feststellte, jedoch ohne Wirkung auf die Höhe der MdE. Eine Fraktur des rechten Felsenbeines sei unwahrscheinlich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2000 erkannte die Beklagte als weitere Unfallfolge eine geringe Verbreiterung des Nasenrückens nach Nasenbeinbruch und Scheidewandverbiegung an. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück. Es sei weder eine Verschlimmerung nachgewiesen noch sei zum Unfallzeitpunkt eine substanzielle Hirnschädigung eingetreten.
Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und beantragt, als weitere Folge des Unfalls vom 21.10.1988 ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma sowie eine dissoziative Störung festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01.04.1993 eine Teilrente in Höhe von 60 v.H. der Vollrente wegen der Folgen des Unfalls vom 21.10.1988 zu gewähren.
Das SG hat die einschlägigen Röntgenaufnahmen und CT-Aufnahmen, Befundberichte von Dr.Dr.med.dent.S. vom 16.10.2000 und des Bezirkskrankenhauses K. vom 12.10.2000 beigezogen und ein Gutachten von Privatdozent Dr.W. , Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Leiter der Psychiatrischen Forensik im M.-Institut für Psychiatrie/Dr.H. , vom 30.01.2002, mit ergänzender Stellungnahme vom 19.12.2002 und vom 21.07.2004 sowie ein neuroradiologisches Gutachten von Prof. Dr. E. , Leiterin der Abteilung für Neuroradiologie im Klinikum R. , vom 26.03.2004 eingeholt. Die Beklagte hat eine gutachterliche Stellungnahme von Dr.K. , Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 18.04.2002 und vom 18.02.2003 eingeholt. Die Klägerin hat eine Stellungnahme von Dr.V. , Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie des Bezirkskrankenhauses K./Dipl.Psych. S. vom 08.06.2004 vorgelegt.
Dr.W./Dr.H. haben als Unfallfolgen ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma sowie eine dissoziative Störung festgestellt. Unfallunabhängig bestehe eine schizoaffektive Erkrankung. Die gesamte unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei auf 60 v.H. einzuschätzen. Aus der Untersuchung der Klägerin sowie aus der Aktenlage und aus der neuropsychologischen Untersuchung ergebe sich die Diagnose eines organischen Psychosydroms nach Schädel-Hirn-Trauma. Technische Untersuchungen wie EEG, evozierte Hirnstammpotenziale, bildgebende Verfahren und Elektronystagmografie könnten objektive Nachweise liefern. Oft seien diese Befunde jedoch negativ, so dass ein unauffälliger NMR-Befund die Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms nach Schädel-Hirn-Trauma keineswegs in Frage stelle. Nach heutiger wissenschaftlicher Definition zur Diagnosestellung bedürfe es keiner pathologischen Befunde in den technischen Untersuchungsverfahren. Dementsprechend träfe es auch nicht zu, dass die Diagnose nur gestellt werden dürfe bei einer stattgehabten kontusionellen Hirnschädigung. Dies sei hinsichtlich der heute gültigen ICD-10-Kriterien nicht mehr haltbar. Die bei der Klägerin im psychopathologischen Untersuchungsbefund aufgefallenen massiven Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen hätten sich in der durchgeführten neuropsychologischen Testung objektivieren lassen. Da persistierende Störungen der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses nach Schädel-Hirn-Trauma bekannt seien, sei mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die zweifelsfrei vorhandenen kognitiven Funktionseinbußen auf das Schädel-Hirn-Trauma von 1988 zurückzuführen seien.
Prof.Dr. E. hat in ihrem neuroradiologischen Gutachten festgestellt, dass das Schädel-Hirn-Trauma vom 21.10.1988 zu keiner erkennbaren strukturellen Hirnschädigung geführt hat.
Dr.K. hat in seinen gutachterlichen Stellungnahmen für die Beklagte ausgeführt, dass die gestellte Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms dem Unfallereignis nicht zugerechnet werden könne. Der Verlauf der Erkrankung lasse an eine nicht klassisch ausgeprägte endogene Psychose denken, ohne dass eine solche beweisbar wäre.
Mit Urteil vom 09.09.2004 hat das SG den Bescheid vom 27.05.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2000 abgeändert und festgestellt, dass als weitere Folge des Unfalls vom 21.10.1988 ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma sowie eine dissoziative Störung besteht, und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 01.04.1993 eine Teilrente in Höhe von 60 % der Vollrente wegen der Folgen des Unfalls vom 21.10.1988 zu gewähren. Es hat sich dabei auf das Gutachten des Dr.W. und ergänzend auf das Gutachten des Prof.Dr.N./ Prof.Dr.A. und die Feststellungen des Prof.Dr.Z. in dem neuropsychologischen Zusatzgutachten vom 30.10.2001 gestützt.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Gegen das Vorliegen eines traumatisch bedingten organischen Psychosyndroms spreche das völlige Fehlen sowohl einschlägiger bildtechnischer Befunde sowie auch einer typischen klinischen Symptomatik im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis. Erforderlich für die Annahme eines Unfallzusammenhangs sei das Vorliegen einer substanziellen Hirnschädigung, und diese müsse mit Gewissheit nachgewiesen sein. Der Feststellung einer dissoziativen Störung als weiterer Unfallfolge stehe entgegen, dass diese im Gutachten von Dr.W. lediglich als Verdachtsdiagnose geäußert worden sei.
Der Senat hat die einschlägigen Röntgen- und Kernspinaufnahmen beigezogen und ein Gutachten von Dr.C. , Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie/Dr.W. , Universitätsklinik U., vom 10.01.2006 mit neuropsychologischem Zusatzgutachten von PD Dr.G. , Neuropsychologe, vom 15.11.2005 eingeholt. Die Beklagte hat eine gutachterliche Stellungnahme von Prof.Dr.F. , Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik T./Dr.B. , Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, vom 28.04.2006 sowie eine Stellungnahme von Dr.med.Dipl.-Psych. M., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 21.05.2006 und vom 02.01.2006 vorgelegt. Die Klägerin hat eine Stellungnahme von Dr.V./ Dipl.Psych.S. des Bezirkskrankenhauses K. vom 03.08.2006 vorgelegt.
Dr.C./Dr.W. kommen zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma sowie eine organische gemischte affektive Störung bestehen. Die Differenzialdiagnose einer (unfallunabhängigen) schizoaffektiven Störung sei auf Grund der für eine schizoaffektive Störung ungewöhnlichen Psychopathologie und der zusätzlich bestehenden neuropsychologischen Defizite nicht gegeben. Der Unfall, der unstreitig zu einer Trümmerfraktur des Gesichtsschädels rechts geführt hat, habe dieses Krankheitsbild verursacht. Die Tatsache, dass eine morphologische Schädigung des Gehirns durch konventionelle Bildgebung nicht nachgewiesen werden konnte, stehe dem nicht entgegen. Der Nachweis eines kontusionellen Herdes sei weder hinreichend noch erforderlich für die gestellte fachpsychiatrische Diagnose. Das Vorliegen einer "Contusio cerebri" sei für die Stellung der fachpsychiatrischen Diagnosen gemäß ICD-10 und DSM-IV-TR ebenfalls nicht erforderlich, ebenfalls keine klinischen Befunde, die in "einem direkten Unfallzusammenhang" gefunden werden, um eine "feingewebliche Hirnschädigung" als gesichert annehmen zu können. Die gesamte MdE sei auf insgesamt 75 v.H. einzuschätzen.
Prof.Dr.F./Dr.B. stimmen in ihrer gutachterlichen Stellungnahme für die Beklagte den Ausführungen des Gutachtens Dr.C./Dr.W. zu. Die Diskussion werde verkürzt, wenn eine Unfallabhängigkeit verneint werde, weil auf Grund der gegebenen Befunde eine "Contusio cerebri" nicht vorgelegen habe. Im Gegenteil könne es auch ohne nachweisbare strukturelle Läsionen zu sog. mikrostrukturellen Schädigungen kommen, die in der gegenwärtigen Bildgebung typischerweise nicht in Erscheinung treten würden, gleichwohl aber zu erheblichen funktionellen Ausfällen führen könnten. Ein Schädel-Hirn-Trauma, bei dem es zu den geschilderten Gesichtsschädelfrakturen gekommen sei, sei als geeignet anzusehen, eine derartige diffuse Hirnschädigung ursächlich zu begründen. Die alternative Hypothese, es handle sich um eine unfallunabhängige endogene schizoaffektive Psychose, die zufällig in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis aufgetreten sei, sei in Anbetracht der angegebenen unauffälligen Familienanamnese und der zumindest diesbezüglich unauffälligen psychiatrischen Vorgeschichte vor dem Unfallereignis wenig überzeugend.
Dr.M. ist demgegenüber in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen für die Beklagte der Überzeugung, dass ein organisches Psychosyndrom auf Grund der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht belegt sei. Auch die Diagnose einer organisch gemischten affektiven Störung sei zu bezweifeln.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.09.2004 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.09.2004 zurückzuweisen und die Beklagte im Wege der Anschlussberufung zu verurteilen, als weitere Folge des Unfalls vom 21.10.1988 eine organische gemischte affektive Störung festzustellen und ihr auf ihren Antrag vom 10.11.1995 hin Verletztenrente nach einer MdE von 75 v.H. zu gewähren.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der Gerichtsakten und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist überwiegend unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide der Beklagten geändert und der Klägerin eine höhere Verletztenrente zugesprochen. Die - unselbständige - Anschlussberufung der Klägerin hat Erfolg. Die Klägerin hat Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls vom 21.10.1988 ab 01.01.1991 nach einer MdE von 75 v.H. Infolge des Unfalls vom 21.10.1988 kam es auch zu einem organischen Psychosyndrom nach einem SchädelHirn-Trauma und einer organischen gemischten affektiven Störung. Eine dissoziative Bewegungsstörung kann nicht als Unfallfolge anerkannt werden. Die Klägerin hat in Abänderung des Urteils des SG München Anspruch auf Abänderung des Bescheids vom 27.05.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2000 sowie auf Abänderung des Bescheids vom 19.12.1990.
Gemäß § 44 Abs.1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind - der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin erfüllt.
Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der Arbeitsunfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten ist (Art.36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes - UVEG -, § 212 SGB VII).
Die Klägerin hat am 21.10.1988 einen Arbeitsunfall im Sinne von § 548 Abs.1 RVO erlitten. Anspruch auf Verletztenrente besteht gemäß § 580 Abs.1 RVO dann, wenn die zu entschädigende MdE (MdE) über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert. Verletztenrente wird nach § 581 Abs.1 RVO gewährt, solange infolge des Arbeitsunfalls die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Als Verletztenrente wird nach § 581 Abs.1 Nr.2 RVO der Teil der Vollrente gewährt, der dem Grade der MdE entspricht.
Nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlung ist der Senat der Überzeugung, dass der Wegeunfall weitere bleibende Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet hinterlassen hat.
Gesundheits- oder Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und Körperschäden "voll", das heißt mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung. Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (vgl. BSGE 1, 254, 256; 12, 242, 245; 61, 127, 129). Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, d. h. nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl BSGE 32, 303, 309; 45, 285, 286).
Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen erfüllt. Die Klägerin ist im nahen Anschluss an den Unfall an einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (1) und einer organisch-gemischten affektiven Störung bzw. affektiven Störung auf Grund eines Schädel-Hirn-Traumas (2) erkrankt. Diese Gesundheitsstörungen sind kausal auf den Unfall zurückzuführen. Nicht bewiesen ist das zusätzliche Vorliegen einer dissoziativen Bewegungsstörung (3). Zu dieser Feststellung gelangt der Senat in Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere der Ausführungen der gehörten Sachverständigen Dr.C./Dr.W ...
(1) Es steht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die Klägerin an einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma erkrankt ist. Das Syndrom besteht aus einer Reihe unterschiedlicher Symptome, etwa Kopfschmerzen, Schwindel, Reizbarkeit, Erschöpfbarkeit, Konzentrationsstörungen und Störungen des globalen geistigen Leistungsvermögens sowie des Gedächtnisses. Weiterhin beinhaltet das Syndrom Schlafstörungen unterschiedlich ausgeprägten Schweregrades sowie eine verminderte Belastungsfähigkeit bei Stress, emotionalen Reizen oder nach dem Genuss von Alkohol. Die Symptome eines organischen Psychosyndroms können dabei von Depressivität oder Angst begleitet sein. Bei der Klägerin ist zur Überzeugung des Senats ein organisches Psychosyndrom in einer klinisch vollständigen Ausprägung vorzufinden. Die testpsychologischen Untersuchungen bestätigen die bei der Klägerin bestehenden neuropsychologischen Defizite. Die Auswertung der vorliegenden testpsychologischen Gutachten durch Dr.C./Dr.W. hat ergeben, dass von einer konstanten Ausprägung persistierender Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen auszugehen ist. Die entsprechenden Kriterien nach ICD-10 für das Vorliegen eines Psychosyndroms sind nach dem überzeugenden Gutachten von Dr.C./ Dr.W. erfüllt. Auch PD Dr.W./Dr.H. haben dies entsprechend dargelegt und begründet. Die Stellungnahme von Dr.F./Dr.B. bestätigt dieses Ergebnis.
Das organische Psychosyndrom ist auch ursächlich auf das Unfallereignis vom 21.10.1988 zurückzuführen. Das Gutachten des Dr.N. und die Stellungnahme des Dr.K. und des Dr.M. sind nicht überzeugend.
Infolge des schweren PKW-Unfalles am 21.10.1988 kam es zunächst zu einer geschlossenen Kopfverletzung mit Frakturen des Gesichtsschädels. Posttraumatisch traten im Verlauf ausgeprägte kognitive Defizite auf, insbesondere im Bereich der Aufmerksamkeit, Konzentration, Aufmerksamkeitsfokussierung sowie in der Simultanbearbeitung eines kognitiven Sets. Diese Defizite konnten in allen neuropsychologischen Zusatzuntersuchungen in der Vergangenheit zweifelsfrei nachgewiesen werden. Dr.C./ Dr.W. haben zudem überzeugend dargelegt, dass es auch ohne nachweisbare strukturelle Läsionen im Sinne der klassischen Kontusionsherde bei Schädel-Hirn-Traumata zu sog. mikrostrukturellen Schädigungen kommen kann, die in der (gegenwärtigen) Bildgebung typischerweise nicht in Erscheinung treten, gleichwohl aber zu erheblichen funktionellen Ausfällen führen können. Der Unfallhergang kann grundsätzlich als geeignet angesehen werden, die vorliegenden Gesundheitsstörungen ursächlich zu begründen. Dies bestätigen auch Dr.F./Dr.B. in ihrer Stellungnahme für die Beklagte.
Soweit Dr.N. und Dr.M. die Auffassung vertreten, dass die Frage eines Vorliegens eines hirnorganischen Psychosyndroms lediglich vor einer überhaupt stattgehabten kontusionellen Hirnschädigung aufgeworfen werden könne, kann dies nicht überzeugen. Sie stützen ihre Auffassung im Wesentlichen darauf, dass in dem bildgebenden Verfahren eine rechtstemporale Hirnschädigung nicht dargestellt habe werden können. Zur apparativen Nachweisbarkeit einer Gehirnläsion nach Schädel-Hirn-Traumata haben Dr.C./Dr.W. ausgeführt, dass apparative Zusatzuntersuchungen zur Feststellung eines "organisch" objektivierbaren Defektes, etwa mittels konventioneller kranialer Computertomografie oder Magnetresonanztomografie des Gehirns, wie auch eine routinemäßig durchgeführte neurologische Befunderhebung, negativ sein können. Aus diesem Grund wird auch der Nachweis einer strukturellen Gehirnläsion mittels bildgebender elektrophysiologischer Verfahren in den diagnostischen Kriterien des ICD-10 explizit nicht gefordert. Der Nachweis eines kontusionellen Herdes ist somit weder hinreichend noch erforderlich für die gestellte fachpsychiatrische Diagnose. Das Vorliegen einer "Contusio cerebri", also eine fokale Schädigung des Gehirns, die sich in der Regel mit Hilfe der gegenwärtig zur Verfügung stehenden strukturellen Bildgebung des Gehirns nachweisen lässt, ist für die Stellung der fachpsychiatrischen Diagnosen gemäß ICD-10 und DSM-IV-TR nicht erforderlich. Darauf hat auch der Sachverständige Dr.W. in seinem Gutachten ausführlich hingewiesen. Nach heutiger wissenschaftlicher Definition zur Diagnosestellung bedarf es auch keiner klinischen Befunde, die in "einem direkten Unfallzusammenhang" gefunden werden, um eine "feingewebliche Hirnschädigung" als gesichert annehmen zu können. Das Auftreten fokal-neurologischer Herdsymptome, beispielsweise epileptische Anfälle oder andere initial anzutreffende hirnorganische Befunde, ist für die fachpsychiatrische Diagnosestellung unerheblich. Nach gegenwärtigem wissenschaftlichem Erkenntnisstand erfolgt nach einem Schädel-Hirn-Trauma eine Vielzahl von Prozessen auf neuronaler Ebene, die den Funktionszustand des Gehirns nachhaltig beeinträchtigen können. Diese neuronalen Störungen können unter Umständen nicht auf CT- oder MRT-Aufnahmen dargestellt werden. Der negative Nachweis einer strukturellen Hirnparenchymläsion schließt jedoch eine mikrostrukturelle Störung auf neuronaler Ebene keineswegs aus. Auch wenn ein direkter Nachweis mittels bildgebender Verfahren einer "feingeweblichen Hirnschädigung" daher bei der Klägerin nicht geführt werden kann, kann der indirekte Nachweis auf Grund von Anamnese, klinischer Präsentation und der Feststellung neuropsychologischer Defizite erbracht werden.
Soweit Dr.N. außerdem den Schweregrad des Unfallereignisses anhand der Dauer der Bewusstlosigkeit diskutiert, kann dies ebenfalls nicht überzeugen. Dr.N. geht davon aus, dass lediglich eine Bewusstlosigkeit von allenfalls einigen Sekunden mit einer nachfolgenden retrograden Amnesie bestanden habe. Daraus schließt er auf das Vorliegen nur einer Commotio cerebri, die folgenlos ausgeheilt sei. Darauf kann aber bereits deshalb nicht abgestellt werden, da die Frage der vorliegenden Bewusstlosigkeit letztlich nur unzureichend geklärt ist, worauf sowohl Dr.C./Dr.W. als auch Dr.W. hingewiesen haben. Dr.N. hat lediglich die Angabe von "Sekunden" von Dr.K. in seinem Untersuchungsbericht vom 21.10.1988 übernommen, ohne die verschiedenen weiteren Angaben zu diskutieren, wie etwa den Notarzteinsatzbericht vom 21.10.1988, in dem keine Bewusstlosigkeit festgestellt wurde, dem Gutachten von Dr. L. , der eine Bewusstlosigkeit von ca. 15 bis 20 Minuten angenommen hat, oder den Angaben der Klägerin, die von einer Bewusstlosigkeit bis zum Eintreffen des Notarztes als möglich erachtet. Unabhängig davon ist die Frage der Dauer der Bewusstlosigkeit nicht richtunggebend. Nach den ICD - 10 Kriterien wird zwar das organische Psychosyndrom einem Schädeltrauma zugeschrieben, das in der Regel schwer genug ist, um zur Bewusstlosigkeit zu führen. In die Bewertung des Schweregrades fließt die Dauer der Bewusstlosigkeit aber nicht ein. Dr.C./ Dr.W. haben überzeugend dargelegt, dass zur Frage des Schweregrades festzustellen ist, dass bestimmte Korrelationen zwischen der Dauer komatöser Symptome, posttraumatischer Amnesie, Bewusstseinsverlust sowie anderen klinischen Schweregradmaßen und neuropsychiatrischer und kognitiver Folgebeschwerden zwar existieren, dass zwischen diesen Phänomenen jedoch keine einfache Proportionalität besteht. Auch (scheinbar) geringfügige Schädel-Hirn-Traumen können zu neuropathologischen Veränderungen führen, die in ihrer qualitativen Ausprägung einem schweren Schädel-Hirn-Trauma mit Substanzbeteiligung ähnlich sind. Die Ausführungen von Dr.N. , wonach sich eine Schädel-Hirn-Verletzung mit Mitbeteiligung des Gehirns in aller Regel durch den sofortigen Eintritt einer Bewusstlosigkeit äußert, und Dauer und Tiefe der Bewusstseinstörung grundsätzlich die Schwere eines stumpfen Hirntraumas kennzeichneten, stehen daher nicht in Übereinstimmung mit der heutigen wissenschaftlichen Sicht. Dr.C./Dr.W. haben anhand der derzeit gängigen Kriterien für das Vorliegen eines Schädel-Hirn-Traumas ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, dass bei der Klägerin zumindest ein leichtes bis mäßiggradiges Schädel-Hirn-Trauma bestanden hat.
Auch die zeitliche Kontingenz der Symptomatik in der Folgezeit des Unfallereignisses spricht für einen Kausalzusammenhang. Bei der Klägerin ist es nach den Berichten ihrer Schwester etwa im Frühjahr 1989, also wenige Monate nach dem Unfall, zur Entwicklung massiver Ängste, diffuser Verfolgungsideen, einer wenig zielorientierten Antriebsteigerung sowie psychotisch anmutenden Inhalten gekommen. Auch in dem neurologischen Zusatzgutachten von Dr.L. wird beschrieben, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung einen "Nervenzusammenbruch" erlitten habe. Die dort beschriebenen Symptome sind auch mit einem organischem Psychosyndrom zu vereinbaren, worauf Dr. W. hinweist. Die Klägerin hat zum Zeitpunkt der Begutachtung beklagt, ihren Aufgaben als Ladenbesitzerin und Mutter eines kleinen Sohnes nicht mehr gewachsen zu sein. Dem Arztbericht von Dr.P. vom 16.03.1990 ist zu entnehmen, dass die Klägerin anlässlich der Vorstellung von diffusen Angstzuständen gesprochen hat. Die Behandlungen im Bezirkskrankenhaus K. lassen sich im Wesentlichen auf eine gemischte affektive Symptomatik zurückführen. Der psychopathologische Zustand der Klägerin hat sich im Längsschnitt bis 2005 nach den Angaben von Dr.C. , Bezirkskrankenhaus K. , nur unwesentlich verändert. Die bei der Klägerin vorliegenden neuropsychologischen Defizite sind nach dem Gutachten Dr.C./Dr.W. im Zusammenhang mit dem diagnostizierten organischen Psychosyndrom zu sehen. Die Stabilität der vorbeschriebenen kognitiven Defizite bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt stellt dabei keinen Widerspruch dar, sie belegt allenfalls eine fehlende bis unwesentlich ausgeprägte Progredienz der Störung, eine ausbleibende psychopathologische Remission, den fehlenden, klar abgrenzbaren episodischen Charakter der Störung, letztlich die Persistenz der Beschwerden bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
Soweit Dr.N. dagegen anmerkt, psychopathologische Phänomene im Sinne eines "Durchgangssyndroms" seien während des stationären Aufenthalts in L. nicht beobachtet worden, ist dies ebenfalls nicht maßgebend. Dr.C./Dr.W. weisen darauf hin, dass ein Kausalzusammenhang von Unfallereignis und Beschwerdepräsentation im posttraumatischen Verlauf nicht allein aufgrund einer Abwesenheit bestimmter Symptome in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Trauma bestritten werden kann. Die zeitliche Unmittelbarkeit neurologischer Symptome, etwa fokalneurologische Zeichen oder ein sog. Durchgangssyndrom besitzen letztlich hinsichtlich neuropsychiatrischer Folgesymptome keinen gesicherten prädiktiven Wert.
Von einer vorbestehenden Erkrankung bzw. Persönlichkeitsstörung der Klägerin kann nicht ausgegangen werden. Insbesondere ist eine verminderte Belastbarkeit der Klägerin vor dem Autounfall nicht anzunehmen. Sie hat nach ihrem Schulabschluss eine Lehre als Werbekauffrau absolviert und 1981 ein eigenes erfolgreiches Modefachgeschäft in L. eröffnet. Zusätzlich zu ihrer beruflichen Belastung arbeitete sie zwei Jahre vor dem Unfallereignis in einer Arbeitsgruppe für Einzelhändler bei der Industrie- und Handelskammer. Erst nach dem Unfallereignis 1988 ist von der Klägerin sowie fremdanamnestisch durch die Schwester der Klägerin glaubhaft berichtet worden, dass sie unter erheblichen kognitiven Defiziten litt und nicht mehr in der Lage war, komplexe Sachverhalte zu verstehen oder Zusammenhänge darzustellen. Insbesondere war sie in der Konzentrationsfähigkeit stark beeinträchtigt. So sind ihr auch viele Fehler in der Geschäftsabwicklung unterlaufen. 1990 war die Klägerin gezwungen, ihren Laden, den sie bis zum Unfallzeitpunkt mit großem Engagement und Freude geführt hatte, aufzugeben. Von einer prämorbiden Persönlichkeitsstörung kann nicht ausgegangen werden. Es sind bei der Klägerin keine Anhaltspunkte für eine psychiatrisch relevante prämorbide Pathologie der Persönlichkeitsstruktur zu objektivieren. Ein Aufenthalt im Bezirkkrankenhaus K. im Jahre 1973 nach einem Suizidversuch mit Schlaftabletten im Zusammenhang mit einem Partnerschaftskonflikt stellte ein einmaliges Ereignis dar, das es nicht rechtfertigt, eine entsprechende Persönlichkeitsdiagnose zu stellen.
(2) Bei der Klägerin besteht zur Überzeugung des Senats zudem eine organische gemischte affektive Störung bzw. eine affektive Störung auf Grund eines Schädel-Hirn-Traumas. Die Klägerin erfüllt die ICD-10-Kriterien einer organischen affektiven Störung. Diese ist charakterisiert durch Veränderung von Stimmung und Affekt, meist zusammen mit einer Änderung der gesamten Aktivitätslage. Diese Erkrankung manifestiert sich bei der Klägerin fluktuierend maniform-psychotisch und ist gekennzeichnet durch überwertige Ideen und Halluzinationen, Dysphorie, Gereiztheit und Aggressivität, aber auch durch ausgeprägte depressive Phasen von wechselnder Dauer und Intensität, die von einer massiven Antriebsstörung, Apathie sowie Ein- und Durchschlafstörungen charakterisiert sind. Insgesamt ist das emotionale Verhalten deutlich verändert, gekennzeichnet durch emotionale Labilität einerseits und Affektverflachung sowie in adäquatem Affekt andererseits, des Weiteren treten ausgeprägte Angstzustände auf. Die bei der Klägerin bestehende affektive Störung weist daher sowohl depressive als auch manische und psychotische Merkmale auf.
Die Annahme des Vorliegens der Differentialdiagnose einer (unfallunabhängigen) schizoaffektiven Störung kann den Senat nicht überzeugen. Das Gutachten von Dr.W./Dr. H. ist insoweit nicht ausreichend begründet und wird durch die kriterien-geleiteten Ausführungen im Gutachten Dr.C./Dr.W. entkräftet. Dr.W. folgt insoweit dem Gutachten von Prof.Dr.N. , der ebenfalls von einer schizoaffektiven Psychose ausgeht. Explizite Ausführungen zur Diagnosebegründung finden sich aber in beiden Gutachten nicht. Beide gehen jeweils davon aus, dass sich zum Zeitpunkt der Untersuchung die schizoaffektive Störung in Remission befunden habe. Diese Ausführungen stehen jedoch im Widerspruch zur beschriebenen Befundlage, worauf Dr.C./ Dr.W. zu Recht hinweisen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung bei Prof.Dr.N. war die Klägerin affektiv depressiv herabgestimmt, der Antrieb und die Psychomotorik imponierten insgesamt gehemmt. Beschrieben wurden primäre visuelle halluzinatorische Phänomene, etwa das Sehen von Blitzen oder Mehrfarbigkeit (Regenbogenfarben) sowie wahnhaftes Erleben. Im psychopathologischen Längsschnitt über mehrere Jahre stellten die behandelnden Ärzte zusammenfassend fest, dass die Klägerin unter deutlichen kognitiven Defiziten leidet. Hierzu gehörten Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, eine assoziative Verlangsamung und eine Beeinträchtigung der kognitiven Flexibilität. Im formalen Denken wurden Gedankenabbrüche und Wortfindungsstörungen beschrieben. Die Klägerin zeigte intermittierend auftretende psychotische Zustände mit überwertigen Ideen, die als Grenze zur Wahnhaftigkeit beschrieben wurden. Wiederholt werden mittelgradig ausgeprägte depressive Zustände angegeben, die über Tage, aber auch länger andauern könnten. Dabei zeigte die Klägerin einen deutlichen sozialen Rückzug, Apathie, sie lag überwiegend im Bett. Das Bezirkskrankenhaus K. weist explizit darauf hin, dass der psychopathologische Längsschnittbefund sich bis zum heutigen Tag nicht wesentlich geändert hat. Eingeordnet werden die Beschwerden dort ebenfalls als chronisches hirnorganisches Psychosyndrom bei Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma sowie als organisch-gemischte affektive Störung. Dr.W./Dr.H. erschließen die Diagnose einer schizoaffektiven Störung ebenfalls aus dem Vorliegen einer Vollremission, weisen aber gleichzeitig auf Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen sowie eine veränderte Stimmungslage hin, die einer Vollremission widersprechen. Weitere explizite Ausführungen zur Diagnosebegründung einer schizoaffektiven Störung finden sich nicht. Dr.W./Dr.H. schließen sich insoweit den Ausführungen von Prof.Dr.N. an und sind daher aus den gleichen Gründen nicht überzeugend. Der ICD-10 definiert schizoaffektive Störungen als episodische Störungen, bei denen sowohl affektive als auch schizophrene Symptome in derselben Krankheitsphase auftreten können. Die Diagnose sollte nur dann gestellt werden, wenn sowohl eindeutig schizophrene als auch eindeutig affektive Symptome gleichzeitig oder nur durch wenige Tage getrennt während derselben Krankheitsepisode vorhanden sind. Im Hinblick auf schizophrene Symptome wurden bei der Klägerin sowohl Halluzinationen als auch überwertige Ideen von wahnhaftem Charakter beschrieben. Dr.C./Dr.W. weisen jedoch überzeugend darauf hin, dass eindeutig schizophrene Symptome anhand der Anamnese nicht bestätigt werden und sich anhand der vorliegenden Datenlage auch nicht objektivieren lassen. Bei der Klägerin liegt ein affektives Mischbild vor, das durch depressive und maniforme Abschnitte wesentlich charakterisiert ist. In letzteren kann es zu einer Koexistenz psychotischer Phänomene kommen. Die Diagnose einer genuinen schizoaffektiven Störung, das heißt einer "endogenen Psychose" sollte aber nur dann gestellt werden, wenn eine "organische" Verursachung ausgeschlossen werden kann bzw. diese als unwahrscheinlich gilt. Bei der Klägerin sind jedoch nach den überzeugenden Ausführungen von Dr.C./Dr.W. die Voraussetzungen für die fachpsychiatrische Diagnose einer organischen Störung erfüllt, so dass die vorliegenden Beschwerden und das in der Vergangenheit beschriebene psychiatrische Syndrom besser durch eine organische gemischte affektive Störung erklärt werden kann. Eine gleichzeitige Diagnosestellung ist weder zulässig noch sinnvoll. Die Diagnose einer schizoaffektiven Störung ergibt sich weder aus der psychopathologischen Gesamtbeurteilung oder des psychopathologischen Längsschnittes noch werden die Diagnosekriterien nach ICD-10 und DSM-IV-TR erfüllt.
Die bei der Klägerin vorliegende organisch-gemischte affektive Störung ist ursächlich auf das Unfallereignis vom 21.10.1988 zurückzuführen. Nach den Ausführungen von Dr.C./Dr.W. sind sowohl kognitive als auch affektive Symptome anhand der Eigen- und Fremdanamnese in ihrer zeitlichen Abfolge an das Unfallereignis geknüpft. Dr.C./Dr.W. haben gezeigt, dass anhand epidemiologischer Daten hervorgeht, dass selbst mild ausgeprägte Schädel-Hirn-Traumen das Risiko für das Auftreten einer affektiven Erkrankung deutlich erhöhen. Da bei der Klägerin keine Anhaltspunkte für eine prämorbide Persönlichkeitsstruktur bestehen, ist nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen das Vorliegen einer posttraumatischen affektiven Störung mindestens wahrscheinlich.
Es steht somit mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass es als Folge des Unfallereignisses zu einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma und einer organisch-gemischten affektiven Störung gekommen ist.
Die Stellungnahme von Dr.med.Dipl.Psych.M. kann nicht überzeugen. Dr.M. reduziert die Problematik, indem er wiederum darauf hinweist, dass die Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms ausgeschlossen ist, wenn substanzielle Hirnschädigungen wie auch die klinische Symptomatik einer Contusio nicht nachgewiesen werden können. Dr.C./Dr.W. haben anhand der ICD-10-Kriterien und anhand der DSM-IV-TR-Kriterien ausführlich dargelegt, dass diese Sichtweise nicht dem gegenwärtigen medizinischen Kenntnisstand entspricht. Dr. F./Dr. B. haben dem ausdrücklich zugestimmt. Soweit Dr.M. unter Bezugnahme auf die Behandlungen in der Psychiatrischen Klinik in K. darauf hinweist, es müsse bei der Klägerin vielmehr die Differenzialdiagnose einer schizophrenen Psychose mit Residualsymptomatik in Betracht gezogen werden, ist dem entgegenzuhalten, dass das Krankheitsbild durch die vorliegenden Fachgutachten abgeklärt ist. Zudem ist auf die Stellungnahme von Dr.V.-/Dipl.Psych. S. hinzuweisen, der ebenfalls der Auffassung ist, dass die Zurückführung der Symptomatik auf Residualzustände der Art der Erkrankung im Alltag der Klägerin widerspricht, ebenso wie den Ergebnissen der ausführlichen neuropsychologischen Testung. Die Diskussion über die Möglichkeit einer schizophrenen Symptomatik fand danach auch im Krankenhaus statt und hat zu dem Ergebnis geführt, dass eine hirnorganisch bedingte Störung vorliegt. Soweit Dr.M. moniert, das allgemeine soziale Funktionsniveau bei der Klägerin sei zu wenig berücksichtigt worden, weisen die behandelnden Ärzte zu Recht darauf hin, dass eine Minderung, regelrecht ein "Absturz" im sozialen Funktionsniveau kaum deutlicher und offensichtlich ins Auge fallen kann. Die Klägerin war vor dem Unfall eine aktive, dynamische Persönlichkeit. Nach dem Unfall zerbrach die Familie/Ehe, die Klägerin musste ihr Geschäft aufgeben, ist arbeitsunfähig, verlor einen Großteil ihres sozialen Umfeldes, ist im sozialen Verhalten auffällig und bei der Bewältigung ihres Alltags massiv beeinträchtigt, wobei es Phasen eines relativen Gelingens ebenso wie Phasen des gänzlichen Versagens gibt. Hinsichtlich der zeitlichen Kontingenz von Unfall und Störung weisen die behandelnden Ärzte ebenfalls darauf hin, dass sämtliche selbst- und fremdanamnestischen Aussagen sowie auch die objektivierbaren Daten der Geschäftszahlen oder Geschäftsaufgabe für einen unmittelbaren Zusammenhang sprechen. Die von Dr.M. ebenfalls aufgeworfene Frage nach der Fahrerlaubnis bzw Fahrfähigkeit der Klägerin kommt nach der Auffassung des Senats in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. Die Frage ist auch nicht geeignet, dass Schwerebild der Erkrankung zu relativieren.
(3) Eine dissoziative Bewegungsstörung kann nicht als Unfallfolge anerkannt werden. Es besteht insoweit lediglich ein Verdacht auf diese Erkrankung, der gekennzeichnet ist durch das vermehrte Auftreten passagerer Lähmungserscheinungen der rechten Körperhälfte, die gelegentlich auf den gesamten Körper übergreifen können und sowohl mit einer Bewegungseinschränkung als auch mit einer Beeinträchtigung kommunikativer Fertigkeiten einhergehen kann. Diese Diagnose lässt sich nicht im Sinne des Vollbeweises belegen. Auch im Gutachten von Dr.W. wird insoweit von einer Verdachtsdiagnose gesprochen. Nach allen vorliegenden Gutachten ist diese Erkrankung somit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
Die Höhe der MdE (MdE) ist aus Sicht des Senats mit 75 v.H. richtig festgestellt. Die Entscheidung der Frage, in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten gemindert ist, ist eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147, 149; BSGE 6, 267, 268; BSG, Urteil vom 23.04.1987 - 2 RU 42/86). Die Bemessung des Grades der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und nach dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, betrifft in erster Linie das ärztlich-wissenschaftliche Gebiet. Doch ist die Frage, welche MdE vorliegt, eine Rechtsfrage. Sie ist ohne Bindung an ärztliche Gutachten unter Berücksichtigung der Einzelumstände nach der Lebenserfahrung zu entscheiden. Ärztliche Meinungsäußerungen hinsichtlich der Bewertung der MdE sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Einschätzung des Grades der MdE, vor allem soweit sich diese darauf bezieht, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG, SozR 2200 § 581 Nrn.23, 27).
Bei Hirnschädigungen mit mittelschweren Leistungsbeeinträchtigungen beträgt die MdE 30 bis 50 v.H., bei schweren Leistungsbeeinträchtigungen 60 v.H. bis 100 (Schönberger/Mehrtens/Valentin 7. Auflage, S.275). Davon sind auch Dr.C./Dr.W. zutreffend ausgegangen und haben auf psychiatrischem Gebiet die MdE auf Grund des organischen Psychosyndroms nach Schädel-Hirn-Trauma und der organischen gemischten affektiven Störung auf 40 bzw. 70 v.H. eingeschätzt. Dabei wurden die Beeinträchtigungen im ersten Fall als mittelgradig, im zweiten Fall als schwer eingestuft. Die Sachverständigen weisen darauf hin, dass die Klägerin auf Grund ihrer kognitiven und affektiven Einschränkungen nicht mehr hinreichend in der Lage ist, komplexe Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum durchzuführen. Die testpsychologisch objektivierte Aufmerksamkeitsstörung sowie eine deutliche kognitive Verlangsamung erschweren eine adäquate Verarbeitung alltagsrelevanter Informationen. Die affektive Störung besitzt hierbei insofern eine Relevanz als dass eine adäquate soziale Interaktion deutlich erschwert wird. Insgesamt sind nur einfachste Tätigkeiten durchführbar, wobei die Zuverlässigkeit und das Durchhaltevermögen, die für eine erwerbsrelevante Tätigkeit erforderlich sind, nur schwer erreicht werden können. Unter Berücksichtigung einer integrierenden "Gesamtschau der Gesamteinwirkungen" (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S.158) aller Funktionseinschränkungen gehen Dr.C./ Dr.W. von einem Schaden mit mittelschwerer bis schwerer Leistungsbeeinträchtigung auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens vor. Die gesamte MdE ist auf insgesamt 75 v.H. einzuschätzen. Das geringgradige Residuum der Orbitabodenfraktur mit einer subjektiven kosmetischen Einschränkung ging dabei auf Grund von Geringfügigkeit in die Schätzung der gesamten unfallbedingten MdE nicht mit ein.
Die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen waren nach dem Gutachten von Dr.C./Dr.W. in der Vergangenheit im Wesentlichen konstant vorliegend. Der Bescheid vom 19.12.1990 ist daher rechtswidrig und mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben bzw. abzuändern. Zusätzlich sind die Gesundheitsstörungen "organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma" und "organisch-gemischte affektive Störung" als Folge des Unfallereignisses festzustellen. Der Antrag der Klägerin vom 10.11.1995, der ausdrücklich lediglich als Verschlimmerungsantrag bezeichnet wurde, ist aufgrund der Gesamtumstände, insbesondere der Übersendung der Gutachten, die im Auftrag der privaten Unfallversicherung erstellt wurden, als Überprüfungsantrag zu werten. Die Beklagte hat dies auch so ausgelegt und mit Bescheid vom 27.11.1995 die Durchführung eines Verfahrens nach § 44 SGB X abgelehnt. Mit Schreiben vom 21.11.1996 hat sie insoweit abgeholfen, als nunmehr mitgeteilt wurde, dass ein Neufeststellungsverfahren nach § 44 SGB X durchgeführt wird. Im Bescheid vom 27.05.1998 hat die Beklagte lediglich das Vorliegen einer Verschlimmerung abgelehnt. Über den Anspruch nach § 44 SGB X kann grundsätzlich auch dann entschieden werden, wenn von der Beklagten ausdrücklich (fälschlicherweise) nur über einen Neuantrag ein Bescheid erteilt wurde. Einer Ergänzung des angefochtenen Bescheides oder gar Erhebung der Untätigkeitsklage bedarf es nicht (BSGE 65, 84, 85 ff.; Kasseler Kommentar/Steinwedel § 44 SGB X Rdnr.17). Vorliegend umfasst indessen der Widerspruchsbescheid vom 20.07.2000, wenn auch nicht ausdrücklich, so zumindest sinngemäß auch die Ablehnung einer Rücknahme nach § 44 SGB X, indem darauf hingewiesen wurde, dass zum Unfallzeitpunkt eine substanzielle Hirnschädigung nicht eingetreten sei.
Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden nach § 44 Abs IV SGB X Sozialleistungen längstens bis zu einem Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Verletztenrente ist daher aufgrund des Antrags vom 10.11.1995 ab 01.01.1991 zu gewähren.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Da die Beklagte nur geringfügig obsiegt hat, trägt sie auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Auf die Anschlussberufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.09.2004 und die Bescheide der Beklagten vom 25.11.1995 und vom 27.05.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2000 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19.12.1990 abgeändert und als weitere Folgen des Unfalls vom 21.10.1988 eine organisch gemischte affektive Störung festgestellt und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von 75 v.H. ab 01.01.1991 zu gewähren.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt wegen der Folgen des Wegeunfalls vom 21.10.1988 die Anerkennung weiterer Unfallfolgen und Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 v.H ...
Die 1957 geborene Klägerin, zum Zeitpunkt des Unfalls Inhaberin eines Bekleidungsgeschäfts, verunglückte am 21.10.1988 auf der Fahrt von ihrer Arbeitsstätte nach Hause als Führerin ihres Pkw, indem sie mit einem entgegenkommenden Pkw frontal zusammenstieß. Dabei wurde die Klägerin schwer verletzt, der Unfallverursacher erlitt tödliche Verletzungen.
Mit bindenden Bescheid vom 19.12.1990 (Bl.100 BA) erkannte die Beklagte als Unfallfolgen an: 1. Verdickung der rechten Wange 2. leicht Zurückgesunkensein des rechten Augapfels, dadurch bedingtes Auftreten von Doppelbildern am oberen Rand des beidäugigen Blickfeldes 3. Hautgefühlstörungen im Bereich der rechten Wange und der rechten Oberkieferzähne 14 und 15 nach operativ versorgter knöcherner Verletzung des rechten Jochbeines, des rechten Orbitabodens, der rechten Kieferhöhlenwand und nach Schädi gung des zweiten Astes des Trigeminus- nerves rechts 4. Einschränkung der Verschmelzungsbreite der von beiden Augen gelieferten Bilder nach Gehirnerschütterung (Commotio cere bri)
und gewährte nach Einholung von Gutachten des Dr.A. , Arzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, vom 15.12.1989, Dr. L. , Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 06.02.1990 und Dr.S. , Augenarzt, vom 20.11.1990 für die Zeit vom 06.02.1989 bis zum 01.10.1989 eine Rente nach einer MdE von 30 v.H., ab dem 01.11.1989 nach einer MdE von 20 v.H ...
Am 10.11.1995 stellte die Klägerin einen Verschlimmerungsantrag unter Vorlage von Auszügen aus einem nervenärztlichen Zusatzgutachten für die A. Versicherung von Prof.Dr.N./ T. vom 21.07.1993.
Mit Bescheid vom 27.11.1995 ohne Rechtsbehelfsbelehrung lehnte die Beklagte die Durchführung eines Neufeststellungsverfahrens ab. Der Bescheid vom 19.12.1990 sei nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe sich neurologisch eine folgenlos abgeheilte Gehirnerschütterung zugezogen.
Mit Schreiben vom 11.10.1996 legte die Klägerin dagegen Widerspruch ein mit weiteren ärztlichen Berichten. Daraufhin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 21.11.1996 mit, dass nunmehr ein Neufeststellungsverfahren nach § 44 SGB X durchgeführt werde.
Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte die Krankenunterlagen des Bezirksklinikums K. , Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie, über die dort erfolgten stationären Behandlungen der Klägerin und die Unterlagen des Städtischen Krankenhauses L. von Dr.O. , Chefarzt der Chirurgischen Abteilung, über die stationäre Behandlung vom 21.10.1988 bis 11.11.1988 bei. Weiterhin holte sie Befundberichte von Dr.U. , Arzt, Psychotherapie, vom 09.05.1996 und von Dr.P. , Neurologe und Psychiater, vom 16.03.1990 ein und zog die im Auftrag der A. Versicherung erstellten Gutachten von Prof.Dr.B./Prof.Dr.A./Dr.D. vom 02.11.1992, von Prof.Dr.N./T. vom 21.07.1993 mit testpsychologischem Zusatzgutachten von Dr.W. , klinische und forensische Psychologie, vom 01.07.1993 sowie ein augenärztliches Gutachten von Prof.Dr.K./Dr.M. vom 16.03.1992 bei. Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten von Dr.N. , Neurologe und Psychiater/Dr.W. , Neurologin, vom 11.02.1998 und ein radiologisches Zusatzgutachten von Dr.E. vom 12.02.1998 ein. Darin wurde ausgeführt, dass die bei der Klägerin vorliegende schubförmig verlaufende organische Psychose bzw. schizoaffektive Psychose nicht ursächlich auf den Unfall vom 21.10.1988 zurückzuführen sei, es handle sich um eine eigenständige psychiatrische Erkrankung. Als Folge des Unfallereignisses bestünde ein Zustand nach Commotio cerebri ohne nachweisbare Substanzschädigung des Gehirns, zwischenzeitlich folgenlos ausgeheilt. Die außerdem bestehende Gefühlsminderung und schmerzhafte Missempfindung im Versorgungsgebiet des Nervus maxilaris rechts sei unverändert mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten. Der Auffassung von Prof.Dr.N. und Dr.W. sei nicht zu folgen. Es ergäbe sich kein Hinweis darauf, dass bei dem Unfallereignis eine über eine Gehirnerschütterung hinausgehende Hirnschädigung erfolgt wäre. Nur bei einer stattgehabten kontusionellen Hirnschädigung könne aber überhaupt die Diskussion eines hirnorganischen Psychosyndroms aufgeworfen werden. Da zudem lediglich eine Bewusstlosigkeit von einigen Sekunden bestanden habe und auch psychopathologische Phänomene im Sinne eines "Durchgangssyndroms" während des stationären Aufenthalts in L. nicht beobachtet worden seien, sei davon auszugehen, dass lediglich eine Commotio cerebri bestanden habe.
Mit Bescheid vom 27.05.1998 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rentenerhöhung ab. Eine wesentliche Verschlimmerung liege nicht vor.
Den dagegen mit Schreiben vom 23.06.1998 eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin unter Bezugnahme auf die bereits vorgelegten Gutachten und unter Beibringung weiterer Gutachten, die für die A. Versicherung erstellt wurden: Ein hals-nasen-ohren-fachärztliches Gutachten von Prof.Dr.K./ Dr.S. , ein computertomographisches Zusatzgutachten von Prof.Dr.R./Dr.H. vom 11.11.1991 sowie ein fachorthopädisches Gutachten von Dr.K. vom 19.07.1991.
Die Beklagte holte zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein Gutachten von Dr.K. , Augenärztin, vom 22.12.1999 und ein Gutachten von Dr.G. , Hals-Nasen-Ohren-Arzt, vom 04.01.2000 mit ergänzender Stellungnahme vom 15.03.2000 ein. Eine Änderung ergab sich durch diese Gutachten insoweit, als Dr.G. als weitere Unfallfolge eine geringe Verbreiterung des Nasenrückens nach Nasenbeinbruch und Scheidewandverbiegung feststellte, jedoch ohne Wirkung auf die Höhe der MdE. Eine Fraktur des rechten Felsenbeines sei unwahrscheinlich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2000 erkannte die Beklagte als weitere Unfallfolge eine geringe Verbreiterung des Nasenrückens nach Nasenbeinbruch und Scheidewandverbiegung an. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück. Es sei weder eine Verschlimmerung nachgewiesen noch sei zum Unfallzeitpunkt eine substanzielle Hirnschädigung eingetreten.
Gegen diese Bescheide hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und beantragt, als weitere Folge des Unfalls vom 21.10.1988 ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma sowie eine dissoziative Störung festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01.04.1993 eine Teilrente in Höhe von 60 v.H. der Vollrente wegen der Folgen des Unfalls vom 21.10.1988 zu gewähren.
Das SG hat die einschlägigen Röntgenaufnahmen und CT-Aufnahmen, Befundberichte von Dr.Dr.med.dent.S. vom 16.10.2000 und des Bezirkskrankenhauses K. vom 12.10.2000 beigezogen und ein Gutachten von Privatdozent Dr.W. , Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Leiter der Psychiatrischen Forensik im M.-Institut für Psychiatrie/Dr.H. , vom 30.01.2002, mit ergänzender Stellungnahme vom 19.12.2002 und vom 21.07.2004 sowie ein neuroradiologisches Gutachten von Prof. Dr. E. , Leiterin der Abteilung für Neuroradiologie im Klinikum R. , vom 26.03.2004 eingeholt. Die Beklagte hat eine gutachterliche Stellungnahme von Dr.K. , Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 18.04.2002 und vom 18.02.2003 eingeholt. Die Klägerin hat eine Stellungnahme von Dr.V. , Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie des Bezirkskrankenhauses K./Dipl.Psych. S. vom 08.06.2004 vorgelegt.
Dr.W./Dr.H. haben als Unfallfolgen ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma sowie eine dissoziative Störung festgestellt. Unfallunabhängig bestehe eine schizoaffektive Erkrankung. Die gesamte unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei auf 60 v.H. einzuschätzen. Aus der Untersuchung der Klägerin sowie aus der Aktenlage und aus der neuropsychologischen Untersuchung ergebe sich die Diagnose eines organischen Psychosydroms nach Schädel-Hirn-Trauma. Technische Untersuchungen wie EEG, evozierte Hirnstammpotenziale, bildgebende Verfahren und Elektronystagmografie könnten objektive Nachweise liefern. Oft seien diese Befunde jedoch negativ, so dass ein unauffälliger NMR-Befund die Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms nach Schädel-Hirn-Trauma keineswegs in Frage stelle. Nach heutiger wissenschaftlicher Definition zur Diagnosestellung bedürfe es keiner pathologischen Befunde in den technischen Untersuchungsverfahren. Dementsprechend träfe es auch nicht zu, dass die Diagnose nur gestellt werden dürfe bei einer stattgehabten kontusionellen Hirnschädigung. Dies sei hinsichtlich der heute gültigen ICD-10-Kriterien nicht mehr haltbar. Die bei der Klägerin im psychopathologischen Untersuchungsbefund aufgefallenen massiven Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen hätten sich in der durchgeführten neuropsychologischen Testung objektivieren lassen. Da persistierende Störungen der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses nach Schädel-Hirn-Trauma bekannt seien, sei mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die zweifelsfrei vorhandenen kognitiven Funktionseinbußen auf das Schädel-Hirn-Trauma von 1988 zurückzuführen seien.
Prof.Dr. E. hat in ihrem neuroradiologischen Gutachten festgestellt, dass das Schädel-Hirn-Trauma vom 21.10.1988 zu keiner erkennbaren strukturellen Hirnschädigung geführt hat.
Dr.K. hat in seinen gutachterlichen Stellungnahmen für die Beklagte ausgeführt, dass die gestellte Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms dem Unfallereignis nicht zugerechnet werden könne. Der Verlauf der Erkrankung lasse an eine nicht klassisch ausgeprägte endogene Psychose denken, ohne dass eine solche beweisbar wäre.
Mit Urteil vom 09.09.2004 hat das SG den Bescheid vom 27.05.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2000 abgeändert und festgestellt, dass als weitere Folge des Unfalls vom 21.10.1988 ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma sowie eine dissoziative Störung besteht, und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 01.04.1993 eine Teilrente in Höhe von 60 % der Vollrente wegen der Folgen des Unfalls vom 21.10.1988 zu gewähren. Es hat sich dabei auf das Gutachten des Dr.W. und ergänzend auf das Gutachten des Prof.Dr.N./ Prof.Dr.A. und die Feststellungen des Prof.Dr.Z. in dem neuropsychologischen Zusatzgutachten vom 30.10.2001 gestützt.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Gegen das Vorliegen eines traumatisch bedingten organischen Psychosyndroms spreche das völlige Fehlen sowohl einschlägiger bildtechnischer Befunde sowie auch einer typischen klinischen Symptomatik im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis. Erforderlich für die Annahme eines Unfallzusammenhangs sei das Vorliegen einer substanziellen Hirnschädigung, und diese müsse mit Gewissheit nachgewiesen sein. Der Feststellung einer dissoziativen Störung als weiterer Unfallfolge stehe entgegen, dass diese im Gutachten von Dr.W. lediglich als Verdachtsdiagnose geäußert worden sei.
Der Senat hat die einschlägigen Röntgen- und Kernspinaufnahmen beigezogen und ein Gutachten von Dr.C. , Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie/Dr.W. , Universitätsklinik U., vom 10.01.2006 mit neuropsychologischem Zusatzgutachten von PD Dr.G. , Neuropsychologe, vom 15.11.2005 eingeholt. Die Beklagte hat eine gutachterliche Stellungnahme von Prof.Dr.F. , Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik T./Dr.B. , Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, vom 28.04.2006 sowie eine Stellungnahme von Dr.med.Dipl.-Psych. M., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 21.05.2006 und vom 02.01.2006 vorgelegt. Die Klägerin hat eine Stellungnahme von Dr.V./ Dipl.Psych.S. des Bezirkskrankenhauses K. vom 03.08.2006 vorgelegt.
Dr.C./Dr.W. kommen zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma sowie eine organische gemischte affektive Störung bestehen. Die Differenzialdiagnose einer (unfallunabhängigen) schizoaffektiven Störung sei auf Grund der für eine schizoaffektive Störung ungewöhnlichen Psychopathologie und der zusätzlich bestehenden neuropsychologischen Defizite nicht gegeben. Der Unfall, der unstreitig zu einer Trümmerfraktur des Gesichtsschädels rechts geführt hat, habe dieses Krankheitsbild verursacht. Die Tatsache, dass eine morphologische Schädigung des Gehirns durch konventionelle Bildgebung nicht nachgewiesen werden konnte, stehe dem nicht entgegen. Der Nachweis eines kontusionellen Herdes sei weder hinreichend noch erforderlich für die gestellte fachpsychiatrische Diagnose. Das Vorliegen einer "Contusio cerebri" sei für die Stellung der fachpsychiatrischen Diagnosen gemäß ICD-10 und DSM-IV-TR ebenfalls nicht erforderlich, ebenfalls keine klinischen Befunde, die in "einem direkten Unfallzusammenhang" gefunden werden, um eine "feingewebliche Hirnschädigung" als gesichert annehmen zu können. Die gesamte MdE sei auf insgesamt 75 v.H. einzuschätzen.
Prof.Dr.F./Dr.B. stimmen in ihrer gutachterlichen Stellungnahme für die Beklagte den Ausführungen des Gutachtens Dr.C./Dr.W. zu. Die Diskussion werde verkürzt, wenn eine Unfallabhängigkeit verneint werde, weil auf Grund der gegebenen Befunde eine "Contusio cerebri" nicht vorgelegen habe. Im Gegenteil könne es auch ohne nachweisbare strukturelle Läsionen zu sog. mikrostrukturellen Schädigungen kommen, die in der gegenwärtigen Bildgebung typischerweise nicht in Erscheinung treten würden, gleichwohl aber zu erheblichen funktionellen Ausfällen führen könnten. Ein Schädel-Hirn-Trauma, bei dem es zu den geschilderten Gesichtsschädelfrakturen gekommen sei, sei als geeignet anzusehen, eine derartige diffuse Hirnschädigung ursächlich zu begründen. Die alternative Hypothese, es handle sich um eine unfallunabhängige endogene schizoaffektive Psychose, die zufällig in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis aufgetreten sei, sei in Anbetracht der angegebenen unauffälligen Familienanamnese und der zumindest diesbezüglich unauffälligen psychiatrischen Vorgeschichte vor dem Unfallereignis wenig überzeugend.
Dr.M. ist demgegenüber in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen für die Beklagte der Überzeugung, dass ein organisches Psychosyndrom auf Grund der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht belegt sei. Auch die Diagnose einer organisch gemischten affektiven Störung sei zu bezweifeln.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.09.2004 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 09.09.2004 zurückzuweisen und die Beklagte im Wege der Anschlussberufung zu verurteilen, als weitere Folge des Unfalls vom 21.10.1988 eine organische gemischte affektive Störung festzustellen und ihr auf ihren Antrag vom 10.11.1995 hin Verletztenrente nach einer MdE von 75 v.H. zu gewähren.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der Gerichtsakten und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist überwiegend unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide der Beklagten geändert und der Klägerin eine höhere Verletztenrente zugesprochen. Die - unselbständige - Anschlussberufung der Klägerin hat Erfolg. Die Klägerin hat Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls vom 21.10.1988 ab 01.01.1991 nach einer MdE von 75 v.H. Infolge des Unfalls vom 21.10.1988 kam es auch zu einem organischen Psychosyndrom nach einem SchädelHirn-Trauma und einer organischen gemischten affektiven Störung. Eine dissoziative Bewegungsstörung kann nicht als Unfallfolge anerkannt werden. Die Klägerin hat in Abänderung des Urteils des SG München Anspruch auf Abänderung des Bescheids vom 27.05.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2000 sowie auf Abänderung des Bescheids vom 19.12.1990.
Gemäß § 44 Abs.1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind - der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin erfüllt.
Der Anspruch der Klägerin richtet sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der Arbeitsunfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten ist (Art.36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes - UVEG -, § 212 SGB VII).
Die Klägerin hat am 21.10.1988 einen Arbeitsunfall im Sinne von § 548 Abs.1 RVO erlitten. Anspruch auf Verletztenrente besteht gemäß § 580 Abs.1 RVO dann, wenn die zu entschädigende MdE (MdE) über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert. Verletztenrente wird nach § 581 Abs.1 RVO gewährt, solange infolge des Arbeitsunfalls die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Als Verletztenrente wird nach § 581 Abs.1 Nr.2 RVO der Teil der Vollrente gewährt, der dem Grade der MdE entspricht.
Nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlung ist der Senat der Überzeugung, dass der Wegeunfall weitere bleibende Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet hinterlassen hat.
Gesundheits- oder Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und Körperschäden "voll", das heißt mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung. Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (vgl. BSGE 1, 254, 256; 12, 242, 245; 61, 127, 129). Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, d. h. nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl BSGE 32, 303, 309; 45, 285, 286).
Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen erfüllt. Die Klägerin ist im nahen Anschluss an den Unfall an einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (1) und einer organisch-gemischten affektiven Störung bzw. affektiven Störung auf Grund eines Schädel-Hirn-Traumas (2) erkrankt. Diese Gesundheitsstörungen sind kausal auf den Unfall zurückzuführen. Nicht bewiesen ist das zusätzliche Vorliegen einer dissoziativen Bewegungsstörung (3). Zu dieser Feststellung gelangt der Senat in Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere der Ausführungen der gehörten Sachverständigen Dr.C./Dr.W ...
(1) Es steht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die Klägerin an einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma erkrankt ist. Das Syndrom besteht aus einer Reihe unterschiedlicher Symptome, etwa Kopfschmerzen, Schwindel, Reizbarkeit, Erschöpfbarkeit, Konzentrationsstörungen und Störungen des globalen geistigen Leistungsvermögens sowie des Gedächtnisses. Weiterhin beinhaltet das Syndrom Schlafstörungen unterschiedlich ausgeprägten Schweregrades sowie eine verminderte Belastungsfähigkeit bei Stress, emotionalen Reizen oder nach dem Genuss von Alkohol. Die Symptome eines organischen Psychosyndroms können dabei von Depressivität oder Angst begleitet sein. Bei der Klägerin ist zur Überzeugung des Senats ein organisches Psychosyndrom in einer klinisch vollständigen Ausprägung vorzufinden. Die testpsychologischen Untersuchungen bestätigen die bei der Klägerin bestehenden neuropsychologischen Defizite. Die Auswertung der vorliegenden testpsychologischen Gutachten durch Dr.C./Dr.W. hat ergeben, dass von einer konstanten Ausprägung persistierender Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen auszugehen ist. Die entsprechenden Kriterien nach ICD-10 für das Vorliegen eines Psychosyndroms sind nach dem überzeugenden Gutachten von Dr.C./ Dr.W. erfüllt. Auch PD Dr.W./Dr.H. haben dies entsprechend dargelegt und begründet. Die Stellungnahme von Dr.F./Dr.B. bestätigt dieses Ergebnis.
Das organische Psychosyndrom ist auch ursächlich auf das Unfallereignis vom 21.10.1988 zurückzuführen. Das Gutachten des Dr.N. und die Stellungnahme des Dr.K. und des Dr.M. sind nicht überzeugend.
Infolge des schweren PKW-Unfalles am 21.10.1988 kam es zunächst zu einer geschlossenen Kopfverletzung mit Frakturen des Gesichtsschädels. Posttraumatisch traten im Verlauf ausgeprägte kognitive Defizite auf, insbesondere im Bereich der Aufmerksamkeit, Konzentration, Aufmerksamkeitsfokussierung sowie in der Simultanbearbeitung eines kognitiven Sets. Diese Defizite konnten in allen neuropsychologischen Zusatzuntersuchungen in der Vergangenheit zweifelsfrei nachgewiesen werden. Dr.C./ Dr.W. haben zudem überzeugend dargelegt, dass es auch ohne nachweisbare strukturelle Läsionen im Sinne der klassischen Kontusionsherde bei Schädel-Hirn-Traumata zu sog. mikrostrukturellen Schädigungen kommen kann, die in der (gegenwärtigen) Bildgebung typischerweise nicht in Erscheinung treten, gleichwohl aber zu erheblichen funktionellen Ausfällen führen können. Der Unfallhergang kann grundsätzlich als geeignet angesehen werden, die vorliegenden Gesundheitsstörungen ursächlich zu begründen. Dies bestätigen auch Dr.F./Dr.B. in ihrer Stellungnahme für die Beklagte.
Soweit Dr.N. und Dr.M. die Auffassung vertreten, dass die Frage eines Vorliegens eines hirnorganischen Psychosyndroms lediglich vor einer überhaupt stattgehabten kontusionellen Hirnschädigung aufgeworfen werden könne, kann dies nicht überzeugen. Sie stützen ihre Auffassung im Wesentlichen darauf, dass in dem bildgebenden Verfahren eine rechtstemporale Hirnschädigung nicht dargestellt habe werden können. Zur apparativen Nachweisbarkeit einer Gehirnläsion nach Schädel-Hirn-Traumata haben Dr.C./Dr.W. ausgeführt, dass apparative Zusatzuntersuchungen zur Feststellung eines "organisch" objektivierbaren Defektes, etwa mittels konventioneller kranialer Computertomografie oder Magnetresonanztomografie des Gehirns, wie auch eine routinemäßig durchgeführte neurologische Befunderhebung, negativ sein können. Aus diesem Grund wird auch der Nachweis einer strukturellen Gehirnläsion mittels bildgebender elektrophysiologischer Verfahren in den diagnostischen Kriterien des ICD-10 explizit nicht gefordert. Der Nachweis eines kontusionellen Herdes ist somit weder hinreichend noch erforderlich für die gestellte fachpsychiatrische Diagnose. Das Vorliegen einer "Contusio cerebri", also eine fokale Schädigung des Gehirns, die sich in der Regel mit Hilfe der gegenwärtig zur Verfügung stehenden strukturellen Bildgebung des Gehirns nachweisen lässt, ist für die Stellung der fachpsychiatrischen Diagnosen gemäß ICD-10 und DSM-IV-TR nicht erforderlich. Darauf hat auch der Sachverständige Dr.W. in seinem Gutachten ausführlich hingewiesen. Nach heutiger wissenschaftlicher Definition zur Diagnosestellung bedarf es auch keiner klinischen Befunde, die in "einem direkten Unfallzusammenhang" gefunden werden, um eine "feingewebliche Hirnschädigung" als gesichert annehmen zu können. Das Auftreten fokal-neurologischer Herdsymptome, beispielsweise epileptische Anfälle oder andere initial anzutreffende hirnorganische Befunde, ist für die fachpsychiatrische Diagnosestellung unerheblich. Nach gegenwärtigem wissenschaftlichem Erkenntnisstand erfolgt nach einem Schädel-Hirn-Trauma eine Vielzahl von Prozessen auf neuronaler Ebene, die den Funktionszustand des Gehirns nachhaltig beeinträchtigen können. Diese neuronalen Störungen können unter Umständen nicht auf CT- oder MRT-Aufnahmen dargestellt werden. Der negative Nachweis einer strukturellen Hirnparenchymläsion schließt jedoch eine mikrostrukturelle Störung auf neuronaler Ebene keineswegs aus. Auch wenn ein direkter Nachweis mittels bildgebender Verfahren einer "feingeweblichen Hirnschädigung" daher bei der Klägerin nicht geführt werden kann, kann der indirekte Nachweis auf Grund von Anamnese, klinischer Präsentation und der Feststellung neuropsychologischer Defizite erbracht werden.
Soweit Dr.N. außerdem den Schweregrad des Unfallereignisses anhand der Dauer der Bewusstlosigkeit diskutiert, kann dies ebenfalls nicht überzeugen. Dr.N. geht davon aus, dass lediglich eine Bewusstlosigkeit von allenfalls einigen Sekunden mit einer nachfolgenden retrograden Amnesie bestanden habe. Daraus schließt er auf das Vorliegen nur einer Commotio cerebri, die folgenlos ausgeheilt sei. Darauf kann aber bereits deshalb nicht abgestellt werden, da die Frage der vorliegenden Bewusstlosigkeit letztlich nur unzureichend geklärt ist, worauf sowohl Dr.C./Dr.W. als auch Dr.W. hingewiesen haben. Dr.N. hat lediglich die Angabe von "Sekunden" von Dr.K. in seinem Untersuchungsbericht vom 21.10.1988 übernommen, ohne die verschiedenen weiteren Angaben zu diskutieren, wie etwa den Notarzteinsatzbericht vom 21.10.1988, in dem keine Bewusstlosigkeit festgestellt wurde, dem Gutachten von Dr. L. , der eine Bewusstlosigkeit von ca. 15 bis 20 Minuten angenommen hat, oder den Angaben der Klägerin, die von einer Bewusstlosigkeit bis zum Eintreffen des Notarztes als möglich erachtet. Unabhängig davon ist die Frage der Dauer der Bewusstlosigkeit nicht richtunggebend. Nach den ICD - 10 Kriterien wird zwar das organische Psychosyndrom einem Schädeltrauma zugeschrieben, das in der Regel schwer genug ist, um zur Bewusstlosigkeit zu führen. In die Bewertung des Schweregrades fließt die Dauer der Bewusstlosigkeit aber nicht ein. Dr.C./ Dr.W. haben überzeugend dargelegt, dass zur Frage des Schweregrades festzustellen ist, dass bestimmte Korrelationen zwischen der Dauer komatöser Symptome, posttraumatischer Amnesie, Bewusstseinsverlust sowie anderen klinischen Schweregradmaßen und neuropsychiatrischer und kognitiver Folgebeschwerden zwar existieren, dass zwischen diesen Phänomenen jedoch keine einfache Proportionalität besteht. Auch (scheinbar) geringfügige Schädel-Hirn-Traumen können zu neuropathologischen Veränderungen führen, die in ihrer qualitativen Ausprägung einem schweren Schädel-Hirn-Trauma mit Substanzbeteiligung ähnlich sind. Die Ausführungen von Dr.N. , wonach sich eine Schädel-Hirn-Verletzung mit Mitbeteiligung des Gehirns in aller Regel durch den sofortigen Eintritt einer Bewusstlosigkeit äußert, und Dauer und Tiefe der Bewusstseinstörung grundsätzlich die Schwere eines stumpfen Hirntraumas kennzeichneten, stehen daher nicht in Übereinstimmung mit der heutigen wissenschaftlichen Sicht. Dr.C./Dr.W. haben anhand der derzeit gängigen Kriterien für das Vorliegen eines Schädel-Hirn-Traumas ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, dass bei der Klägerin zumindest ein leichtes bis mäßiggradiges Schädel-Hirn-Trauma bestanden hat.
Auch die zeitliche Kontingenz der Symptomatik in der Folgezeit des Unfallereignisses spricht für einen Kausalzusammenhang. Bei der Klägerin ist es nach den Berichten ihrer Schwester etwa im Frühjahr 1989, also wenige Monate nach dem Unfall, zur Entwicklung massiver Ängste, diffuser Verfolgungsideen, einer wenig zielorientierten Antriebsteigerung sowie psychotisch anmutenden Inhalten gekommen. Auch in dem neurologischen Zusatzgutachten von Dr.L. wird beschrieben, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung einen "Nervenzusammenbruch" erlitten habe. Die dort beschriebenen Symptome sind auch mit einem organischem Psychosyndrom zu vereinbaren, worauf Dr. W. hinweist. Die Klägerin hat zum Zeitpunkt der Begutachtung beklagt, ihren Aufgaben als Ladenbesitzerin und Mutter eines kleinen Sohnes nicht mehr gewachsen zu sein. Dem Arztbericht von Dr.P. vom 16.03.1990 ist zu entnehmen, dass die Klägerin anlässlich der Vorstellung von diffusen Angstzuständen gesprochen hat. Die Behandlungen im Bezirkskrankenhaus K. lassen sich im Wesentlichen auf eine gemischte affektive Symptomatik zurückführen. Der psychopathologische Zustand der Klägerin hat sich im Längsschnitt bis 2005 nach den Angaben von Dr.C. , Bezirkskrankenhaus K. , nur unwesentlich verändert. Die bei der Klägerin vorliegenden neuropsychologischen Defizite sind nach dem Gutachten Dr.C./Dr.W. im Zusammenhang mit dem diagnostizierten organischen Psychosyndrom zu sehen. Die Stabilität der vorbeschriebenen kognitiven Defizite bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt stellt dabei keinen Widerspruch dar, sie belegt allenfalls eine fehlende bis unwesentlich ausgeprägte Progredienz der Störung, eine ausbleibende psychopathologische Remission, den fehlenden, klar abgrenzbaren episodischen Charakter der Störung, letztlich die Persistenz der Beschwerden bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
Soweit Dr.N. dagegen anmerkt, psychopathologische Phänomene im Sinne eines "Durchgangssyndroms" seien während des stationären Aufenthalts in L. nicht beobachtet worden, ist dies ebenfalls nicht maßgebend. Dr.C./Dr.W. weisen darauf hin, dass ein Kausalzusammenhang von Unfallereignis und Beschwerdepräsentation im posttraumatischen Verlauf nicht allein aufgrund einer Abwesenheit bestimmter Symptome in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Trauma bestritten werden kann. Die zeitliche Unmittelbarkeit neurologischer Symptome, etwa fokalneurologische Zeichen oder ein sog. Durchgangssyndrom besitzen letztlich hinsichtlich neuropsychiatrischer Folgesymptome keinen gesicherten prädiktiven Wert.
Von einer vorbestehenden Erkrankung bzw. Persönlichkeitsstörung der Klägerin kann nicht ausgegangen werden. Insbesondere ist eine verminderte Belastbarkeit der Klägerin vor dem Autounfall nicht anzunehmen. Sie hat nach ihrem Schulabschluss eine Lehre als Werbekauffrau absolviert und 1981 ein eigenes erfolgreiches Modefachgeschäft in L. eröffnet. Zusätzlich zu ihrer beruflichen Belastung arbeitete sie zwei Jahre vor dem Unfallereignis in einer Arbeitsgruppe für Einzelhändler bei der Industrie- und Handelskammer. Erst nach dem Unfallereignis 1988 ist von der Klägerin sowie fremdanamnestisch durch die Schwester der Klägerin glaubhaft berichtet worden, dass sie unter erheblichen kognitiven Defiziten litt und nicht mehr in der Lage war, komplexe Sachverhalte zu verstehen oder Zusammenhänge darzustellen. Insbesondere war sie in der Konzentrationsfähigkeit stark beeinträchtigt. So sind ihr auch viele Fehler in der Geschäftsabwicklung unterlaufen. 1990 war die Klägerin gezwungen, ihren Laden, den sie bis zum Unfallzeitpunkt mit großem Engagement und Freude geführt hatte, aufzugeben. Von einer prämorbiden Persönlichkeitsstörung kann nicht ausgegangen werden. Es sind bei der Klägerin keine Anhaltspunkte für eine psychiatrisch relevante prämorbide Pathologie der Persönlichkeitsstruktur zu objektivieren. Ein Aufenthalt im Bezirkkrankenhaus K. im Jahre 1973 nach einem Suizidversuch mit Schlaftabletten im Zusammenhang mit einem Partnerschaftskonflikt stellte ein einmaliges Ereignis dar, das es nicht rechtfertigt, eine entsprechende Persönlichkeitsdiagnose zu stellen.
(2) Bei der Klägerin besteht zur Überzeugung des Senats zudem eine organische gemischte affektive Störung bzw. eine affektive Störung auf Grund eines Schädel-Hirn-Traumas. Die Klägerin erfüllt die ICD-10-Kriterien einer organischen affektiven Störung. Diese ist charakterisiert durch Veränderung von Stimmung und Affekt, meist zusammen mit einer Änderung der gesamten Aktivitätslage. Diese Erkrankung manifestiert sich bei der Klägerin fluktuierend maniform-psychotisch und ist gekennzeichnet durch überwertige Ideen und Halluzinationen, Dysphorie, Gereiztheit und Aggressivität, aber auch durch ausgeprägte depressive Phasen von wechselnder Dauer und Intensität, die von einer massiven Antriebsstörung, Apathie sowie Ein- und Durchschlafstörungen charakterisiert sind. Insgesamt ist das emotionale Verhalten deutlich verändert, gekennzeichnet durch emotionale Labilität einerseits und Affektverflachung sowie in adäquatem Affekt andererseits, des Weiteren treten ausgeprägte Angstzustände auf. Die bei der Klägerin bestehende affektive Störung weist daher sowohl depressive als auch manische und psychotische Merkmale auf.
Die Annahme des Vorliegens der Differentialdiagnose einer (unfallunabhängigen) schizoaffektiven Störung kann den Senat nicht überzeugen. Das Gutachten von Dr.W./Dr. H. ist insoweit nicht ausreichend begründet und wird durch die kriterien-geleiteten Ausführungen im Gutachten Dr.C./Dr.W. entkräftet. Dr.W. folgt insoweit dem Gutachten von Prof.Dr.N. , der ebenfalls von einer schizoaffektiven Psychose ausgeht. Explizite Ausführungen zur Diagnosebegründung finden sich aber in beiden Gutachten nicht. Beide gehen jeweils davon aus, dass sich zum Zeitpunkt der Untersuchung die schizoaffektive Störung in Remission befunden habe. Diese Ausführungen stehen jedoch im Widerspruch zur beschriebenen Befundlage, worauf Dr.C./ Dr.W. zu Recht hinweisen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung bei Prof.Dr.N. war die Klägerin affektiv depressiv herabgestimmt, der Antrieb und die Psychomotorik imponierten insgesamt gehemmt. Beschrieben wurden primäre visuelle halluzinatorische Phänomene, etwa das Sehen von Blitzen oder Mehrfarbigkeit (Regenbogenfarben) sowie wahnhaftes Erleben. Im psychopathologischen Längsschnitt über mehrere Jahre stellten die behandelnden Ärzte zusammenfassend fest, dass die Klägerin unter deutlichen kognitiven Defiziten leidet. Hierzu gehörten Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, eine assoziative Verlangsamung und eine Beeinträchtigung der kognitiven Flexibilität. Im formalen Denken wurden Gedankenabbrüche und Wortfindungsstörungen beschrieben. Die Klägerin zeigte intermittierend auftretende psychotische Zustände mit überwertigen Ideen, die als Grenze zur Wahnhaftigkeit beschrieben wurden. Wiederholt werden mittelgradig ausgeprägte depressive Zustände angegeben, die über Tage, aber auch länger andauern könnten. Dabei zeigte die Klägerin einen deutlichen sozialen Rückzug, Apathie, sie lag überwiegend im Bett. Das Bezirkskrankenhaus K. weist explizit darauf hin, dass der psychopathologische Längsschnittbefund sich bis zum heutigen Tag nicht wesentlich geändert hat. Eingeordnet werden die Beschwerden dort ebenfalls als chronisches hirnorganisches Psychosyndrom bei Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma sowie als organisch-gemischte affektive Störung. Dr.W./Dr.H. erschließen die Diagnose einer schizoaffektiven Störung ebenfalls aus dem Vorliegen einer Vollremission, weisen aber gleichzeitig auf Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen sowie eine veränderte Stimmungslage hin, die einer Vollremission widersprechen. Weitere explizite Ausführungen zur Diagnosebegründung einer schizoaffektiven Störung finden sich nicht. Dr.W./Dr.H. schließen sich insoweit den Ausführungen von Prof.Dr.N. an und sind daher aus den gleichen Gründen nicht überzeugend. Der ICD-10 definiert schizoaffektive Störungen als episodische Störungen, bei denen sowohl affektive als auch schizophrene Symptome in derselben Krankheitsphase auftreten können. Die Diagnose sollte nur dann gestellt werden, wenn sowohl eindeutig schizophrene als auch eindeutig affektive Symptome gleichzeitig oder nur durch wenige Tage getrennt während derselben Krankheitsepisode vorhanden sind. Im Hinblick auf schizophrene Symptome wurden bei der Klägerin sowohl Halluzinationen als auch überwertige Ideen von wahnhaftem Charakter beschrieben. Dr.C./Dr.W. weisen jedoch überzeugend darauf hin, dass eindeutig schizophrene Symptome anhand der Anamnese nicht bestätigt werden und sich anhand der vorliegenden Datenlage auch nicht objektivieren lassen. Bei der Klägerin liegt ein affektives Mischbild vor, das durch depressive und maniforme Abschnitte wesentlich charakterisiert ist. In letzteren kann es zu einer Koexistenz psychotischer Phänomene kommen. Die Diagnose einer genuinen schizoaffektiven Störung, das heißt einer "endogenen Psychose" sollte aber nur dann gestellt werden, wenn eine "organische" Verursachung ausgeschlossen werden kann bzw. diese als unwahrscheinlich gilt. Bei der Klägerin sind jedoch nach den überzeugenden Ausführungen von Dr.C./Dr.W. die Voraussetzungen für die fachpsychiatrische Diagnose einer organischen Störung erfüllt, so dass die vorliegenden Beschwerden und das in der Vergangenheit beschriebene psychiatrische Syndrom besser durch eine organische gemischte affektive Störung erklärt werden kann. Eine gleichzeitige Diagnosestellung ist weder zulässig noch sinnvoll. Die Diagnose einer schizoaffektiven Störung ergibt sich weder aus der psychopathologischen Gesamtbeurteilung oder des psychopathologischen Längsschnittes noch werden die Diagnosekriterien nach ICD-10 und DSM-IV-TR erfüllt.
Die bei der Klägerin vorliegende organisch-gemischte affektive Störung ist ursächlich auf das Unfallereignis vom 21.10.1988 zurückzuführen. Nach den Ausführungen von Dr.C./Dr.W. sind sowohl kognitive als auch affektive Symptome anhand der Eigen- und Fremdanamnese in ihrer zeitlichen Abfolge an das Unfallereignis geknüpft. Dr.C./Dr.W. haben gezeigt, dass anhand epidemiologischer Daten hervorgeht, dass selbst mild ausgeprägte Schädel-Hirn-Traumen das Risiko für das Auftreten einer affektiven Erkrankung deutlich erhöhen. Da bei der Klägerin keine Anhaltspunkte für eine prämorbide Persönlichkeitsstruktur bestehen, ist nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen das Vorliegen einer posttraumatischen affektiven Störung mindestens wahrscheinlich.
Es steht somit mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass es als Folge des Unfallereignisses zu einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma und einer organisch-gemischten affektiven Störung gekommen ist.
Die Stellungnahme von Dr.med.Dipl.Psych.M. kann nicht überzeugen. Dr.M. reduziert die Problematik, indem er wiederum darauf hinweist, dass die Diagnose eines hirnorganischen Psychosyndroms ausgeschlossen ist, wenn substanzielle Hirnschädigungen wie auch die klinische Symptomatik einer Contusio nicht nachgewiesen werden können. Dr.C./Dr.W. haben anhand der ICD-10-Kriterien und anhand der DSM-IV-TR-Kriterien ausführlich dargelegt, dass diese Sichtweise nicht dem gegenwärtigen medizinischen Kenntnisstand entspricht. Dr. F./Dr. B. haben dem ausdrücklich zugestimmt. Soweit Dr.M. unter Bezugnahme auf die Behandlungen in der Psychiatrischen Klinik in K. darauf hinweist, es müsse bei der Klägerin vielmehr die Differenzialdiagnose einer schizophrenen Psychose mit Residualsymptomatik in Betracht gezogen werden, ist dem entgegenzuhalten, dass das Krankheitsbild durch die vorliegenden Fachgutachten abgeklärt ist. Zudem ist auf die Stellungnahme von Dr.V.-/Dipl.Psych. S. hinzuweisen, der ebenfalls der Auffassung ist, dass die Zurückführung der Symptomatik auf Residualzustände der Art der Erkrankung im Alltag der Klägerin widerspricht, ebenso wie den Ergebnissen der ausführlichen neuropsychologischen Testung. Die Diskussion über die Möglichkeit einer schizophrenen Symptomatik fand danach auch im Krankenhaus statt und hat zu dem Ergebnis geführt, dass eine hirnorganisch bedingte Störung vorliegt. Soweit Dr.M. moniert, das allgemeine soziale Funktionsniveau bei der Klägerin sei zu wenig berücksichtigt worden, weisen die behandelnden Ärzte zu Recht darauf hin, dass eine Minderung, regelrecht ein "Absturz" im sozialen Funktionsniveau kaum deutlicher und offensichtlich ins Auge fallen kann. Die Klägerin war vor dem Unfall eine aktive, dynamische Persönlichkeit. Nach dem Unfall zerbrach die Familie/Ehe, die Klägerin musste ihr Geschäft aufgeben, ist arbeitsunfähig, verlor einen Großteil ihres sozialen Umfeldes, ist im sozialen Verhalten auffällig und bei der Bewältigung ihres Alltags massiv beeinträchtigt, wobei es Phasen eines relativen Gelingens ebenso wie Phasen des gänzlichen Versagens gibt. Hinsichtlich der zeitlichen Kontingenz von Unfall und Störung weisen die behandelnden Ärzte ebenfalls darauf hin, dass sämtliche selbst- und fremdanamnestischen Aussagen sowie auch die objektivierbaren Daten der Geschäftszahlen oder Geschäftsaufgabe für einen unmittelbaren Zusammenhang sprechen. Die von Dr.M. ebenfalls aufgeworfene Frage nach der Fahrerlaubnis bzw Fahrfähigkeit der Klägerin kommt nach der Auffassung des Senats in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. Die Frage ist auch nicht geeignet, dass Schwerebild der Erkrankung zu relativieren.
(3) Eine dissoziative Bewegungsstörung kann nicht als Unfallfolge anerkannt werden. Es besteht insoweit lediglich ein Verdacht auf diese Erkrankung, der gekennzeichnet ist durch das vermehrte Auftreten passagerer Lähmungserscheinungen der rechten Körperhälfte, die gelegentlich auf den gesamten Körper übergreifen können und sowohl mit einer Bewegungseinschränkung als auch mit einer Beeinträchtigung kommunikativer Fertigkeiten einhergehen kann. Diese Diagnose lässt sich nicht im Sinne des Vollbeweises belegen. Auch im Gutachten von Dr.W. wird insoweit von einer Verdachtsdiagnose gesprochen. Nach allen vorliegenden Gutachten ist diese Erkrankung somit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
Die Höhe der MdE (MdE) ist aus Sicht des Senats mit 75 v.H. richtig festgestellt. Die Entscheidung der Frage, in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten gemindert ist, ist eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147, 149; BSGE 6, 267, 268; BSG, Urteil vom 23.04.1987 - 2 RU 42/86). Die Bemessung des Grades der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und nach dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, betrifft in erster Linie das ärztlich-wissenschaftliche Gebiet. Doch ist die Frage, welche MdE vorliegt, eine Rechtsfrage. Sie ist ohne Bindung an ärztliche Gutachten unter Berücksichtigung der Einzelumstände nach der Lebenserfahrung zu entscheiden. Ärztliche Meinungsäußerungen hinsichtlich der Bewertung der MdE sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Einschätzung des Grades der MdE, vor allem soweit sich diese darauf bezieht, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG, SozR 2200 § 581 Nrn.23, 27).
Bei Hirnschädigungen mit mittelschweren Leistungsbeeinträchtigungen beträgt die MdE 30 bis 50 v.H., bei schweren Leistungsbeeinträchtigungen 60 v.H. bis 100 (Schönberger/Mehrtens/Valentin 7. Auflage, S.275). Davon sind auch Dr.C./Dr.W. zutreffend ausgegangen und haben auf psychiatrischem Gebiet die MdE auf Grund des organischen Psychosyndroms nach Schädel-Hirn-Trauma und der organischen gemischten affektiven Störung auf 40 bzw. 70 v.H. eingeschätzt. Dabei wurden die Beeinträchtigungen im ersten Fall als mittelgradig, im zweiten Fall als schwer eingestuft. Die Sachverständigen weisen darauf hin, dass die Klägerin auf Grund ihrer kognitiven und affektiven Einschränkungen nicht mehr hinreichend in der Lage ist, komplexe Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum durchzuführen. Die testpsychologisch objektivierte Aufmerksamkeitsstörung sowie eine deutliche kognitive Verlangsamung erschweren eine adäquate Verarbeitung alltagsrelevanter Informationen. Die affektive Störung besitzt hierbei insofern eine Relevanz als dass eine adäquate soziale Interaktion deutlich erschwert wird. Insgesamt sind nur einfachste Tätigkeiten durchführbar, wobei die Zuverlässigkeit und das Durchhaltevermögen, die für eine erwerbsrelevante Tätigkeit erforderlich sind, nur schwer erreicht werden können. Unter Berücksichtigung einer integrierenden "Gesamtschau der Gesamteinwirkungen" (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S.158) aller Funktionseinschränkungen gehen Dr.C./ Dr.W. von einem Schaden mit mittelschwerer bis schwerer Leistungsbeeinträchtigung auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens vor. Die gesamte MdE ist auf insgesamt 75 v.H. einzuschätzen. Das geringgradige Residuum der Orbitabodenfraktur mit einer subjektiven kosmetischen Einschränkung ging dabei auf Grund von Geringfügigkeit in die Schätzung der gesamten unfallbedingten MdE nicht mit ein.
Die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen waren nach dem Gutachten von Dr.C./Dr.W. in der Vergangenheit im Wesentlichen konstant vorliegend. Der Bescheid vom 19.12.1990 ist daher rechtswidrig und mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben bzw. abzuändern. Zusätzlich sind die Gesundheitsstörungen "organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma" und "organisch-gemischte affektive Störung" als Folge des Unfallereignisses festzustellen. Der Antrag der Klägerin vom 10.11.1995, der ausdrücklich lediglich als Verschlimmerungsantrag bezeichnet wurde, ist aufgrund der Gesamtumstände, insbesondere der Übersendung der Gutachten, die im Auftrag der privaten Unfallversicherung erstellt wurden, als Überprüfungsantrag zu werten. Die Beklagte hat dies auch so ausgelegt und mit Bescheid vom 27.11.1995 die Durchführung eines Verfahrens nach § 44 SGB X abgelehnt. Mit Schreiben vom 21.11.1996 hat sie insoweit abgeholfen, als nunmehr mitgeteilt wurde, dass ein Neufeststellungsverfahren nach § 44 SGB X durchgeführt wird. Im Bescheid vom 27.05.1998 hat die Beklagte lediglich das Vorliegen einer Verschlimmerung abgelehnt. Über den Anspruch nach § 44 SGB X kann grundsätzlich auch dann entschieden werden, wenn von der Beklagten ausdrücklich (fälschlicherweise) nur über einen Neuantrag ein Bescheid erteilt wurde. Einer Ergänzung des angefochtenen Bescheides oder gar Erhebung der Untätigkeitsklage bedarf es nicht (BSGE 65, 84, 85 ff.; Kasseler Kommentar/Steinwedel § 44 SGB X Rdnr.17). Vorliegend umfasst indessen der Widerspruchsbescheid vom 20.07.2000, wenn auch nicht ausdrücklich, so zumindest sinngemäß auch die Ablehnung einer Rücknahme nach § 44 SGB X, indem darauf hingewiesen wurde, dass zum Unfallzeitpunkt eine substanzielle Hirnschädigung nicht eingetreten sei.
Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden nach § 44 Abs IV SGB X Sozialleistungen längstens bis zu einem Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Verletztenrente ist daher aufgrund des Antrags vom 10.11.1995 ab 01.01.1991 zu gewähren.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Da die Beklagte nur geringfügig obsiegt hat, trägt sie auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
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