L 4 KR 1757/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 5487/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 1757/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 08. März 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte den Kläger von den Kosten für ein paar dynamische Fußorthesen nach Nancy-Hylton (Fußorthesen) freizustellen hat.

Der am 1983 geborene Kläger, bei dem Betreuung durch seine Mutter Christiane Mechold angeordnet ist, ist bei der Beklagten krankenversichert und bei deren Pflegekasse, von der er seit 01. April 1995 Pflegegeld nach Pflegestufe III bezieht, pflegeversichert. Nach dem früheren Schwerbehindertengesetz (SchwbG) besteht beim Kläger wegen operierter Ösephagusatresie, cerebraler Koordinationsstörung, motorischer und Sprachentwicklungsstörung, Essstörung, Hodenerkrankung, Sehbehinderung, Autismus und Neurodermitis ein Grad der Behinderung (GdB) von 100; ferner sind die Merkzeichen G, B, H, aG und RF festgestellt. Bei ebenfalls vorliegender Skoliose, einer Beinverkürzung rechts und eines Senk-Knick-Fußes beidseits versorgte die Beklagte den Kläger 1996, 1998 und 1999 mit ärztlich verordneten Fußorthesen. Am 20. März 2001 verordnete der Arzt für Orthopädie Dr. S. dem Kläger wegen Knickfüßen und Koordinationsstörung "1 Paar dynamische Fußorthesen nach Gipsabdruck nach Nancy-Hilton". Diese Verordnung ging zusammen mit einem Kostenvoranschlag des Sanitätshauses Maisch GmbH (GmbH) vom 30. März 2001 über die Orthesen zum Preis von DM 1.173,59 (= EUR 600,05) am 03. April 2001 bei der Beklagten ein. Die Orthesen wurden dem Kläger, nachdem der Auftrag dafür am 22. März 2001 erteilt und am 17. April 2001 ein Gipsabdruck gefertigt worden war, am 02. Mai 2001 ausgehändigt. Mit Bescheid vom 10. Mai 2001 lehnte die Beklagte gegenüber dem Kläger die Kostenübernahme ab, da es sich bei den Fußorthesen nicht um ein Hilfsmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) handle. Davon wurde auch die GmbH mit Schreiben vom 10. Mai 2001 unterrichtet. Dagegen ließ der Kläger am 15. Mai 2001 Widerspruch einlegen; er machte geltend, die Ablehnung sei für ihn völlig unverständlich. Bei den Orthesen handle es sich um Hilfsmittel, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern bzw. eine Behinderung auszugleichen. Auch die GmbH wandte sich mit Schreiben vom 08. August 2001 an die Beklagte und wies ebenfalls darauf hin, dass die Orthesen ein Hilfsmittel im Sinne der GKV seien. Sie seien nicht nur geeignet, die Fußfehlform auszugleichen und das Gangbild zu verbessern; sie seien vielmehr auch Bestandteil der Therapie des behandelnden Arztes. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Dr. L. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg in E. vom 14. August 2001 ein, in der ausgeführt wurde, die streitigen Fußorthesen seien nicht als Hilfsmittel im Hilfsmittel-Verzeichnis aufgeführt. Zu keiner der für dynamische Sprunggelenksorthesen diskutierten Indikationen lägen bisher klinisch kontrollierte Studien vor. Die Versorgung mit Einlagen sei medizinisch begründet bei Knick-Senk-Plattfuß. Zweckmäßig, ausreichend und wirtschaftlich sei die Versorgung mit orthopädischen Einlagen nach der Produktgruppe 08.03. Die verordneten Orthesen seien keine Hilfsmittel im Sinne des § 33 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V). Der Widerspruch des Klägers blieb danach erfolglos (Widerspruchsbescheid des bei der Beklagten gebildeten Widerspruchsausschusses vom 18. Oktober 2001).

Deswegen erhob der Kläger am 29. Oktober 2001 beim Sozialgericht (SG) Stuttgart Klage. Er reichte zahlreiche Unterlagen über seine Erkrankungen ein und wiederholte, auch unter Bezugnahme auf das Schreiben der GmbH vom 08. August 2001, dass es sich bei den verordneten Fußorthesen um Hilfsmittel im Sinne des Gesetzes handle. Bei ihm liege eine Mehrfachbehinderung vor. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass die Fußorthesen nicht hätten ärztlich verordnet werden dürfen. Ebenso habe er nicht gewusst, dass die ärztliche Verordnung einer vorherigen Genehmigung durch die Kasse bedurft hätte, zumal ihm die Fußorthesen nicht erstmalig verordnet worden seien. Im Übrigen sei auch das Hilfsmittelverzeichnis nicht verbindlich. Der Umstand, dass er mit der ärztlichen Verordnung zur GmbH gegangen sei, sei ein ganz normaler Vorgang gewesen. Fachleute wüssten genau, was jeweils zu verordnen und zu fertigen sei. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass er sowie seine Mutter Sozialhilfeempfänger seien.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage ihrer Verwaltungsakten entgegen. Es sei die Aufgabe des Klägers bzw. seiner Mutter gewesen, sich vor der Erteilung des Auftrags an die GmbH um die Klärung der Kostenübernahme durch die Kasse zu bemühen. Im Übrigen ergebe sich aus dem vorgelegten Grundsatzgutachten des MDK Schleswig-Holstein/Niedersachsen/Nordrhein zur "Orthesen- und Einlagenverordnung nach Nancy-Hylton" vom Juli 2001, dass sich die Behandlung mit den Orthesen noch in einem bisher nicht sehr weit vorangeschrittenen Stadium der Erforschung befinde. Auch habe der behandelnde Orthopäde Dr. S. in der eingeholten schriftlichen Auskunft als sachverständiger Zeuge vom 15. Januar 2003 selbst eingeräumt, dass die Behandlung mit den Orthesen lediglich ein Versuch sei, der nicht absolut lebensnotwendig sei.

Das SG erhob schriftliche Auskünfte als sachverständige Zeugen des Arztes für Innere Medizin Dr. F. vom 12. Januar 2003 sowie des Dr. S. vom 15. Januar 2003. Mit Urteil vom 08. März 2004, das dem Kläger mit Einschreiben per Rückschein am 03. Mai 2004 zugestellt wurde, wies das SG die Klage ab. Ein geltend gemachter Kostenerstattungsanspruch bestehe nicht. Dieser setze voraus, dass es sich bei der Versorgung des Klägers mit den Fußorthesen um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt hätte oder dass diese Versorgung rechtswidrig abgelehnt worden sei. In beiden Fällen sei Voraussetzung, dass die streitgegenständliche Leistung den materiell-rechtlichen Anforderungen an die Leistungserbringung seitens der Beklagten genüge. Es habe sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt. Auch habe die Beklagte die Versorgung mit den Fußorthesen nicht zu Unrecht abgelehnt. Das Gericht sei unter Zugrundelegung der Auskünfte der behandelnden Ärzte zu der Überzeugung gelangt, dass die Orthesen beim Kläger nicht erforderlich gewesen seien, um das Ziel der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen.

Gegen das Urteil des SG hat der Kläger am 05. Mai 2004 schriftlich Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Der Kläger wiederholt sein bisheriges Vorbringen, dass die Leistungsgewährung zu Unrecht abgelehnt worden sei. Wie immer habe der Orthopäde die Orthesen verordnet und die GmbH diese ohne Weiteres hergestellt und ausgeliefert. Von einem vorherigen Genehmigungsantrag sei ihm nichts bekannt gewesen. Darüber sei er nicht aufgeklärt worden, denn ansonsten hätte er den Antrag bei der zuständigen Geschäftsstelle der Beklagten eingereicht und wäre nicht ohne Genehmigung zur GmbH gegangen. Ein Kostenvoranschlag der GmbH sei ihm nicht bekannt. Der Kläger hat erneut verschiedene Unterlagen eingereicht.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom08. März 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 2001 zu verurteilen, ihn von den Kosten für Fußorthesen nach Nancy-Hilton in Höhe von EUR 600,05 freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend.

Der Berichterstatter des Senats hat eine Auskunft der GmbH vom 24. Mai 2005 eingeholt. Ferner hat der Berichterstatter des Senats die Beteiligten mit Schreiben vom 25. Mai 2004 und 24. Januar 2007 auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hingewiesen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG entschieden hat, ist statthaft und zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 2001 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Ein Anspruch auf Kostenfreistellung steht ihm nicht zu.

Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V gilt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Da, wie der Senat der Auskunft der GmbH vom 24. Mai 2004 entnimmt, diese dem Kläger bisher noch keine Rechnung über die am 02. Mai 2001 ausgelieferten Fußorthesen gestellt, mithin der Kläger bzw. seine Mutter bisher auch noch keine Kosten aufgewandt hat, käme im Rahmen des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V nur ein Anspruch auf Freistellung von den Kosten für die am 02. Mai 2001 ausgelieferten Fußorthesen in Betracht. Eine unaufschiebbare Leistung hatte der Kläger insoweit nicht in Anspruch genommen.

Ein auf die unrechtmäßige Verweigerung eine Sachleistung gestützter Erstattungs- bzw. Freistellungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) regelmäßig aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse zuvor einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten. § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V gewährt einen Erstattungs- bzw. Freistellungsanspruch nur für den Ausnahmefall, dass eine von der Krankenkasse geschuldete Leistung, was auch für die Gewährung eines Hilfsmittels nach § 33 SGB V gilt, infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung stellen konnte. Nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung, auch unter dem Gesichtspunkt, dass sie den Versicherten zu beraten hätte, mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre, und die Entscheidung der Krankenkasse nicht abgewartet wurde (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteil vom 20. Mai 2003, SozR 4-2500 § 13 Nr. 1 m.w.N.). Hier war der Leistungsantrag des Klägers, der sich mit der ärztlichen Verordnung vom 20. März 2001 unmittelbar an die GmbH gewandt hatte, zwar am 03. April 2004 mit Übersendung des Kostenvoranschlags durch die GmbH bei der Beklagten eingegangen. Vor der Erteilung des Auftrags bereits am 22. März 2001, der Anfertigung des Gipsabdrucks am 17. April 2001 und der Auslieferung der Fußorthesen am 02. Mai 2001 hatte der Kläger jedoch die ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 10. Mai 2005 nicht abgewartet, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Damit fehlte es an dem Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung und der möglichen Kostenlast des Klägers, sofern die GmbH einen Zahlungsanspruch gegen ihn noch realisieren wollte.

Darauf, dass die Beklagte beim Kläger in der Vergangenheit Kosten für ärztlich verordnete Fußorthesen übernommen hat, kann er sich ebenso wenig berufen wie darauf, dass ihm die Fußorthesen am 20. März 2001 vertragsärztlich durch Dr. S. verordnet worden sind und auch die GmbH ihn vor Ausführung des Auftrags nicht darauf hingewiesen haben mag, dass zunächst eine Genehmigung durch die Beklagte erforderlich sei. Unerheblich ist auch, dass die GmbH bei der Ausführung des Auftrags davon ausgegangen sein mag, dass es sich bei den Fußorthesen um Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V gehandelt haben mag.

Danach bestand ein Anspruch auf Kostenfreistellung nicht. Darauf, ob die Beklagte die Leistung im Übrigen auch zu Recht abgelehnt hat, weil es sich bei den Orthesen nicht um notwendige Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V gehandelt hat, wozu das SG Ausführungen gemacht hat, kommt es nicht an.

Die Berufung war danach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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