S 23 SO 236/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 23 SO 236/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

Der am 00.00.1999 geborene Kläger leidet an nichtketotischer Hyperglycinämie, einem Krampfleiden und Tonusstörungen wie Spastik und zentralbedingter Muskel-Hypotonie. Aufgrund seiner Gesundheitsstörungen sind ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen "G", "AG", "BL", "H" und "RF"anerkannt.

Nach erfolgloser Antragstellung gegenüber der Krankenkasse beantragte der Kläger gegenüber der Beklagten am 09.03.2005 die Übernahme der Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe. Der Kläger wies darauf hin, dass die Therapiekosten an seinem bisherigen Wohnort durch den Sozialhilfeträger übernommen worden seien. Er legte eine Heilmittelverordnung der Kinder- und Jugendärztinnen P und N vor, die als Therapieziele die "Regulierung des Muskeltonus, Vermeidung von Kontrakturen" angab.

Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme ihres Gesundheitsamtes. Dieses stellte unter dem 30.06.2005 fest, dass der Kläger nicht laufen könne, eine Sprachentwicklung nicht erfolgt sei, der Kläger wegen ausgeprägter Skoliose ein Korsett trage und eine cerebrale Blindheit bestehe. Der Kläger erhalte täglich Logopädie, einmal wöchentlich Ergotherapie und dreimal wöchentlich Krankengymnastik. In Florida sei eine längerfristige Delfintherapie durchgeführt worden. Der therapeutische Nutzen müsse zumindest als zweifelhaft angesehen werden und widerspreche dem Wirtschaftlichkeitsgebot, da die Hippotherapie regelmäßig krankengymnastische Behandlungen ergänze. Bei dem Kläger seien krankengymnastische Übungen zwar notwendig, aber auch ausreichend. Von einer zusätzlichen Hippotherapie sei nicht mit hinreichender Sicherheit ein zusätzlicher therapeutischer Nutzen zu erwarten, zumal die nichtketotische Hyperglycinämie eine Stoffwechselerkrankung darstelle, die nicht geheilt werden könne, und die Muskelhypotonie zum Krankheitsbild gehöre.

Mit Bescheid vom 04.07.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Dem Kläger sei zwar dem Grunde nach Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII zu gewähren. Nach amtsärztlicher Stellungnahme seien aber krankengymnastische Übungen ausreichend. Ein therapeutischer Nutzen sei von einer zusätzlichen Hippotherapie nicht mit hinreichender Sicherheit zu erwarten, zumal der Kläger unter einer nicht heilbaren Stoffwechselerkrankung leide, die mit der Muskelhypotonie einhergehe.

Der Kläger erhob am 25.07.2005 Widerspruch. Er trug vor, die Hippotherapie sei bestens geeignet, seine Muskelhypotonie zu mildern und einer Verschlimmerung, auch seiner Skoliose, entgegenzuwirken. Sie vermittele ihm auch in hervorragender Weise ein Gefühl im Raum und verbessere sein Gleichgewicht, den Tonus der Rumpfmuskulatur und der Extremitäten. Er habe in den vergangenen Jahren seine Kopfkontrolle stark verbessert. Unspezifische Verhaltensweisen wie Greifen und Tasten habe er bisher nur im Rahmen der Hippotherapie gezeigt. Der Kläger nahm Bezug auf ein Schreiben der Kinder- und Jugendärztin S vom 07.07.2005, nach dem durch intensive Förderung Fortschritte in der Statomotorik erzielt worden seien. Er könne sich jetzt selbständig drehen und verfüge über eine zufriedenstellende Kopfkontrolle. Die Tonisierung der Rumpfmuskulatur und die Kopfkontrolle seien elementare Voraussetzungen, um die tägliche Grundpflege seiner Eltern zu erleichtern.

Die Beklagte zog die Verwaltungsakte der Stadt W bei, die eine amtsärztliche Stellungnahme vom 24.09.2002 enthielt. Danach sei die Hippotherapie geeignet, die bei dem Kläger bestehenden Beeinträchtigungen zu mildern. Die Akte enthielt Bewilligungsbescheide vom 01.10.2002, 18.12.2003 und 30.06.2004, die auf der Grundlage des § 26 Abs. 2, 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) ergangen waren.

In einer weiteren Stellungnahme führte das Gesundheitsamt der Beklagten unter dem 01.09.2005 aus, die von dem Kläger derzeit in Anspruch genommene Therapie sei mehr als ausreichend. Wegen Mutterschutzes der Hippotherapeutin und aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten mit deren Nachfolger finde seit dem Monat September 2004 auch keine Hippotherapie mehr statt. Die Entwicklungsfortschritte im vergangenen Jahr seien daher auf Krankengymnastik, Ergotherapie und Logopädie zurückzuführen. Einen positiven Einfluss auf die Entwicklung des Klägers habe nach Angaben der Mutter auch eine medikamentöse Therapie.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.12.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zwar sei der Kläger Leistungsberechtigter im Sinne des § 53 SGB XII. Eine Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers sei aber nicht gegeben, da ein Vorrang anderer Leistungsträger bestehe. Nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII entsprächen die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Hippotherapie sei dem Bereich der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zuzuordnen. Der Umstand, dass die Krankenkasse eine Kostenübernahme für die Hippotherapie abgelehnt habe, bedeute jedoch nicht, dass sie sich als unzuständig angesehen habe. Die Ablehnung sei erfolgt, weil die Hippotherapie nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen als neue Behandlungsmethode anerkannt worden sei. Im Übrigen sei durch die Hippotherapie nicht mit hinreichender Sicherheit ein zusätzlicher therapeutischer Nutzen zu erwarten, zumal die Stoffwechselerkrankung nicht heilbar sei und die Muskelhypotonie zum Krankheitsbild gehöre. Krankengymnastische Übungen seien notwendig und ausreichend.

Der Kläger hat am 22.12.2005 Klage erhoben.

Der Kläger macht geltend, aufgrund des Bedarfsdeckungsprinzips müssten im Rahmen der Eingliederungshilfe Leistungen gewährt werden, die über das Spektrum anderer Rehabilitationsträger hinausgingen. Die Beklagte habe sich nur unzureichend mit § 26 SGB IX auseinandergesetzt. Dieser betreffe unter anderem die Früherkennung und Frühförderung behinderter Kinder, die wiederum nicht vom SGB V umfasst sei. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Hippotherapie ärztlicherseits für notwendig gehalten werde. Sie erziele über die Krankengymnastik hinausgehende Erfolge. Unterlassen habe die Beklagte schließlich eine Berücksichtigung des § 55 SGB IX.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 04.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm gegenüber die Kosten einer Hippotherapie einmal wöchentlich mit einer Dauer von jeweils 30 Minuten zu einem Preis von jeweils 27,00 EUR ab Antragstellung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf die angegriffenen Bescheide. Im Übrigen ist sie der Auffassung, die rechtlichen Ausführungen des Klägers seien unzutreffend. § 54 SGB XII nenne ausdrücklich auch § 26 SGB IX. Der Ausschluss nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII erfasse die darunter fallenden Leistungen. Zu diesen gehöre auch die Hippotherapie. Es handele sich um ein neues Heilmittel im Sinne des § 138 SGB V, das durch die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen sei. Diese Ablehnung stehe nach Auffassung des Bundessozialgerichts mit höherrangigem Recht in Einklang. Auch § 55 SGB IX werde von § 54 SGB XII umfasst. Ein Anspruch nach § 55 SGB IX bestehe jedoch nicht, da diese Bestimmung durch § 58 SGB IX konkretisiert werde und die Hippotherapie darunter nicht zu subsumieren sei.

Der Kläger hat ergänzend vorgetragen, die von ihm in Anspruch genommene Hippotherapie sei nicht den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zuzuordnen. Im Übrigen enthalte § 55 SGB IX keinen abschließenden Katalog von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Schließlich berücksichtige die Beklagte den Bericht der Praxis für Kinderkrankengymnastik und Krankengymnastik nicht ausreichend, nach dem gerade Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft geltend gemacht würden.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger ist durch den Bescheid vom 04.07.2005, mit dem die Beklagte die Übernahme der Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII ablehnte, und den Widerspruchsbescheid vom 02.12.2005, mit dem die Beklagte ihre Entscheidung bestätigte, nicht gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII.

Gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufhabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Menschen sind gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Aufgrund der Anerkennung eines Grades der Behinderung von 100 und der Merkzeichen "G", "AG", "BL", "H" und "RF" aufgrund einer nichtketotischen Hyperglycinämie, einem Krampfleiden und Tonusstörungen wie Spastik und zentralbedingter Muskel-Hypotonie hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe.

Die Kosten der von dem Kläger begehrten Hippotherapie sind jedoch nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe übernahmefähig.

Leistungen der Eingliederungshilfe sind nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII unter anderem Leistungen nach §§ 26 und 55 SGB IX. § 26 SGB IX betrifft Leistungen zur medizinischen Rehabilitation behinderter Menschen und umfasst insbesondere die Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder (§ 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX), die in § 30 SGB IX näher beschrieben sind. § 55 SGB IX betrifft Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder sichern oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege machen sollen. Sie umfassen insbesondere heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX).

Die Hippotherapie ist vom heilpädagogischen Reiten abzugrenzen, das eine pädagogisch fundierte Einflussnahme auf die gesamte Entwicklung eines Menschen in allen Bereichen enthält (VG Bayreuth, Urteil vom 19.05.2006, Az.: B 5 K 04.1222). Dessen primäre Zielrichtung ist eine andere als die der krankengymnastischen Heilbehandlung, der die Hippotherapie zuzurechnen ist, bei der es sich um reine Krankengymnastik auf dem Rücken eines Pferdes handelt (VG Bayreuth, a. a. O.). Während das heilpädagogische Reiten eine ganzheitliche Therapiemethode darstellt, deren Ziele sich über den emotionalen Bereich, den kognitiven Bereich, den motorischen Bereich und den sozialen Bereich erstrecken, und dieses unmittelbar an der Behinderung ansetzt, indem es durch ein positives Einwirken auf die Gesamtpersönlichkeit des Klägers dessen Behinderung bedingte Entwicklungsverzögerung und Verhaltensauffälligkeit unmittelbar zu therapieren versucht (VG Aachen, Urteil vom 21.06.2006, Az.: 6 K 103/04), setzt die Hippotherapie an den Ursachen einer Behinderung an (VG Aachen, Urteil vom 10.02.2006, Az.: 6 K 2480/04).

Während bezüglich des heilpädagogischen Reitens umstritten ist, ob es sich um eine heilpädagogische Leistung nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX handelt (VG Bayreuth, a. a. O.) oder um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation (VG Aachen, Urteil vom 21.06.2006, Az.: 6 K 103/04), stellt jedenfalls die Hippotherapie als besondere Form der Krankengymnastik eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation nach § 26 SGB IX dar.

Damit gilt § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII, nach dem die Leistungen zur medizinischen Rehabili-tation den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen.

Die Hippotherapie, die als medizinische Dienstleistung von nichtärztlichen Fachkräften erbracht wird, kann als Heilmittel im Sinne des § 32 SGB V von den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten jedoch nur verordnet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gemäß § 138 SGB V zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt hat. Dies ist hinsichtlich der Hippotherapie nicht erfolgt. In den Richtlinien über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung ist die Hippotherapie in der Anlage "Nichtverordnungsfähige Heilmittel" im Sinne dieser Richtlinien unter "a) Maßnahmen, deren therapeutischer Nutzen nach Maßgabe der BUBR nicht nachgewiesen ist" unter Nr. 1 aufgeführt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 19.03.2002, Az.: B 1 KR 36/00 R, ist Ablehnung, die sich auf höhere Kosten und die Erwägung stützt, eine Überlegenheit gegenüber der traditionellen Vorgehensweise sei nicht festzustellen, nicht zu beanstanden.

Sofern der Kläger einen Anspruch aus der Bewilligungspraxis des Sozialhilfeträgers seines früheren Wohnorts herleitet, dringt er damit nicht durch. Diesen Sachverhalt kann er der Beklagten nicht als anspruchsbegründenden Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz entgegenhalten, denn der Gleichheitsgrundsatz gilt nur gegenüber dem nach der Kompetenzordnung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt (VG Aachen, Urteil vom 10.02.2006, Az.: 6 K 2480/04).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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