L 1 R 1888/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 26 R 2842/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 R 1888/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Minderung der Erwerbsfähigkeit.

Sie ist 1958 geboren und absolvierte nach dem Realschulabschluss von April 1975 bis März 1978 eine Ausbildung zur Kauffrau der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft. Ihre Tochter ist 1984 geboren. Ab 1. August 1989 war sie selbständig tätig. Sie lebt seit dem 8. November 1994 in den USA.

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 30. April 1996 neben Ausbildungs- und Anrechnungszeiten den Zeitraum 1. Juli 1984 bis 30. Juli 1985 als Kindererziehungszeit an, ferner die Zeit vom 4. Juli 1984 bis 30. Juni 1994 als Berücksichtigungszeit unter Vorbehalt. Hierzu führte sie aus, die Klägerin habe in der Zeit vom 1. August 1989 bis 24. April 1996 eine selbständige Tätigkeit ausgeübt, die mehr als nur geringfügig gewesen sei. Berücksichtigungszeiten, die mit diesen Zeiten zusammenträfen, könnten nur eingeschränkt angerechnet werden (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 27. März 1997). Gleichzeitig erstellte die Beklagte eine Rentenauskunft.

Am 4. April 2000 erlitt die Klägerin bei einem Arbeitsunfall an ihrer Arbeitsstelle eine Lendenwirbelverletzung.

Am 31. August 2004 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer vorgezogenen Altersrente bzw. Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Eine zwischenzeitlich begonnene Umschulung zur Anwaltsgehilfin (paralegal) hatte sie wegen einer weiteren Erkrankung (Gürtelrose = shingel) abbrechen müssen. Die Gürtelrose führte zu Nervenschmerzen (postzosterische Neuralgie).

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 3. März 2005 ab. Die Klägerin erfülle die Anforderungen an eine Altersrente nach § 237 a Sozialgesetzbuch 6. Buch (SGB VI) erst ab dem 16. September 2018. Eine Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung scheitere daran, dass nicht im erforderlichen Umfang in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI entrichtet worden seien. Der maßgebliche Zeitraum hierfür sei der vom 4. April 1995 bis 3. April 2000. Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren sei auch nicht nach § 241 SGB VI entbehrlich. Diese Übergangsvorschrift setze u. a. voraus, dass in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung jeder Kalendermonat mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt sei. Auch dies sei nicht der Fall.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, weil die Erwerbsminderung unberücksichtigt gelassen worden sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 12. Mai 2005 zurück. Dabei wies sie zur weiteren Begründung darauf hin, dass Anhaltspunkte für eine Verlängerung des Fünf-Jahres-Zeitraumes für das Erfordernis von drei Jahren Pflichtbeitragszeiten nicht ersichtlich seien. Anwartschaftserhaltungszeiten im Sinne des § 241 SGB VI fehlten für die Zeit vom 1. August 1989 bis 31. Dezember 1998. Für diese Zeiten sei auch eine nachträgliche Zahlung freiwilliger Beiträge nicht mehr möglich. Vom Erfordernis der Entrichtung von Pflichtbeiträgen könne auch nicht nach § 53 SGB VI (vorzeitige Wartezeiterfüllung bei Minderung der Erwerbsfähigkeit – u. a. aufgrund eines Arbeitsunfalls möglich-) abgesehen werden. Ein Arbeitsunfall im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI liege nur vor, wenn es sich um einen Unfall im Sinne der Vorschriften der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung handele. Ein Arbeitsunfall in den USA sei kein solcher Unfall.

Die Klägerin hat hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Fehlerhaft seien die Berücksichtigungszeiten unberücksichtigt geblieben. Anzurechnen seien 16 Monate amerikanische Versicherungszeiten vom 4. April 1995 bis 30. April 2000 sowie 46 Monate deutsche Versicherungszeiten vom 4. April 1990 bis 3. April 1995. Sie sei geschockt, dass das deutsche Sozialsystem nicht in der Lage sei, die ihr zustehende Rente zu zahlen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31. August 2005 abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, in welcher sie ihre Auffassung wiederholt, Berücksichtigungszeiten müssten vom 4. Juni 1984 bis 3. Juni 1994 berücksichtigt werden. Auch sei der Tatbestand der vorzeitigen Erfüllung der Wartezeit erfüllt, weil sie in den letzten zwei Jahren vor dem Arbeitsunfall mindestens ein Jahr amerikanische Pflichtbeiträge belegt habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. August 2005 sowie den Bescheid vom 3. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung oder hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür sind nicht erfüllt.

Eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung setzt zunächst die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (§§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI; also die "Mindestversicherungszeit") sowie das Vorhandensein von drei Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung voraus (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI "Mindestbeitragspflichterfüllung").

Die Voraussetzungen dieser so genannten Drei-Fünftel-Belegung sind nicht erfüllt. Die Beklagte hat hierfür zutreffend auf einen maßgeblichen Rahmenzeitraum vom 4. April 1995 bis 3. April 2000 abgestellt. In diesem Zeitraum sind hier als Pflichtbeiträge nur 18 Monate (aus Umrechung von sechs Trimestern) Beitragszeiten in den Vereinigten Staaten vom 1. Januar 1999 bis 30. Juni 2000 gem. Art. 7 Abs. 1 des Deutsch-Amerikanischen Sozialversicherungsabkommens (DASVA vom 7. Januar 1976, BGBl II S. 1358 in der Fassung des Zweiten Zusatzabkommens vom 6. März 1995, BGBl 1996 II S. 302) zu berücksichtigen. Damit hat die Klägerin zu wenige Pflichtbeiträge einbezahlt, um eine Erwerbsminderungsrente beanspruchen zu können.

Der Zeitraum von fünf Jahren hat sich nicht nach § 43 Abs. 4 SGB VI verlängert. Verlängerungszeiten sind -Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezuges einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (Abs. 4 Nr. 1), -Berücksichtigungszeiten (Nr. 2), -Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nr. 1 oder 2 vorliegt (Nr. 3) und -Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung (Nr. 4).

Anrechnungszeiten in diesem Sinne wiederum sind Zeiten nach § 58 SGB VI (Krankheit, Schwangerschaft oder Mutterschaft, gemeldete Arbeitslosigkeit, gemeldete Arbeitsuche, Zeiten einer schulischen Ausbildung sowie Rentenbezugszeiten). Über solche Tatbestände mindestens unmittelbar vor April 1995 ist hier nichts vorgetragen oder ersichtlich. Gleiches gilt für die Übergangsvorschrift des § 252 SGB VI, welche weitere Tatbestände von Anrechnungszeiten aufzählt, welche hier ebenfalls nicht einschlägig sind.

Eine Verlängerung wegen Berücksichtigungszeiten im Sinne des § 43 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI kann nicht erfolgen. Für die Zeit der Erziehung eines Kindes ist im Gesetz nur bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr eine Berücksichtigungszeit normiert, § 57 SGB VI. Die Tochter der Klägerin hatte ihren zehnten Geburtstag bereits am 4. Juni 1994.

Die anderen Verlängerungstatbestände des § 43 Abs. 4 SGB VI scheiden von vorneherein aus.

Die Klägerin hat für die Zeit ab 1. Januar 1984 auch nicht durchgehend Anwartschaftserhaltungszeiten im Sinne des § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI zurückgelegt. Nach dieser Vorschrift sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung für Versicherte nicht erforderlich, die

-vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn -jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit Beitragszeiten, beitragsfreien Zeiten, Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine der nachfolgenden Zeiten liegt, Berücksichtigungszeiten, Zeiten des Bezuges einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992 belegt ist.

Die Voraussetzung einer vollständigen Belegung mit vorgenannten Anwartschaftserhaltungszeiten nach dieser Übergangsvorschrift liegt nicht vollständig vor, ohne dass es darauf ankommt, ob in diesem Sinne Berücksichtigungszeiten vorliegen. Es besteht nämlich auch in der Zeit nach dem zehnten Geburtstag der Tochter bis zum Beginn der Beitragsentrichtung in den USA ab Januar 1999 eine Lücke. Der Vorbehalt der Beklagten im Bescheid vom 30. April 1996 (keine Berücksichtigungszeit, wenn während der Zeit der Kindererziehung eine selbstständige Tätigkeit nicht nur geringen Umfangs ohne Pflichtbeitragsentrichtung ausgeübt wurde, § 57 Satz 2 SGB VI) kann deshalb dahingestellt bleiben.

Vom Erfordernis einer Pflichtbeitragszeit von drei Jahren war schließlich auch nicht nach §§ 43 Abs. 5, 53 Abs. 1 Satz 1 SGB VI abzusehen. Nach § 43 Abs. 5 SGB VI ist die Pflichtbeitragszeit nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist. Einzig hierfür möglicherweise einschlägige Vorschrift ist § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, wonach die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist, wenn der Versicherte wegen eines Arbeitsunfalls vermindert erwerbsfähig geworden oder gestorben ist. Ein Arbeitsunfall in diesem Sinne ist allerdings nur ein nach deutschem Sozialversicherungsrecht versicherter Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Sozialgesetzbuch VII. Buch (SGB VII). Arbeitsunfälle sind nur Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Aufgrund der Bestimmungen über den räumlichen Geltungsbereich des SGB (§§ 1, 3 des Sozialgesetzbuch 4. Buch) kann daher die Wartezeit nur durch einen nach deutschen Vorschriften versicherten Arbeitsunfall vorzeitig erfüllt werden (so Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 1. Dezember 1982, BSGE 54, 199; im Grundsatz bestätigt durch BSG, Urteil vom 8. Dezember 2005 – B 13 RJ 40/04 RBSGE 95, 293 mit der Einschränkung [nur] für Arbeitsunfälle im EU-Ausland aufgrund insoweit vorrangigem Recht der Europäischen Union).

Im Ergebnis musste die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ablehnen. Dass der Klägerin vor ihrem Arbeitsunfall nicht bewusst gewesen ist, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit nicht abgesichert zu sein, kann nicht berücksichtigt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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