L 6 SB 363/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 SB 6289/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 363/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 09.12.2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin der Nachteilsausgleich B ab 28.05.2004 weiterhin zusteht.

Die 1984 geborene Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Sie war seit dem 15. Lebensmonat mit Hörgeräten beidseits versorgt. Bis Juli 2002 besuchte sie die Schwerhörigenschule N. und ab September 2002 zunächst die gymnasiale Oberstufe der Staatlichen Schule für Gehörlose in S ... Im Juni 2003 wechselte sie auf das R.-W. Berufskolleg für Hörgeschädigte E ...

Mit Bescheiden vom 28.05.1986 und 17.07.1986 stellte das Versorgungsamt Freiburg (VA) einen Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach dem Schwerbehindertengesetz von 100 v. H. wegen einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beidseits sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen H, RF und B fest.

Am 26.09.1995 wurde die Klägerin in der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde F. operativ mit einem Cochlear-Implantat (CI) links versorgt.

Mit Bescheid vom 26.09.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2003 stellte der Beklagte u. a. fest, dass die Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B nicht mehr vorlägen. Die Bescheide wurden im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens S 18 SB 549/03 (aus formalen Gründen) zurückgenommen.

Mit Anhörungsschreiben vom 24.02.2004 teilte das VA der Klägerin mit, nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996" sei bei angeborener oder im Kindesalter erworbener Taubheit und an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit das Merkzeichen B in der Regel bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen. Das Merkzeichen H sei ab Beginn der Frühförderung und dann - insbesondere wegen des in dieser Zeit erhöhten Kommunikationsbedarfs - in der Regel bis zur Beendigung der Ausbildung anzunehmen. Zur Ausbildung zählten in diesem Zusammenhang der Schul-, Fachschulbesuch und der Hochschulbesuch, eine berufliche Erstausbildung und Weiterbildung sowie vergleichbare Maßnahmen der beruflichen Bildung. Da das 16. Lebensjahr inzwischen vollendet sei, könne das Merkzeichen B künftig nicht mehr festgestellt werden. Die Klägerin äußerte sich hierzu im Schriftsatz vom 22.04.2004. Sie vertrat die Auffassung, aufgrund der sehr starken Hörbehinderung mit Sprachstörung sei die gesteigerte Möglichkeit des Eintritts von Gefährdungen bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel gegeben. Dies reiche für die Zuerkennung des Merkzeichens B aus. Es könne auch nicht nachvollzogen werden, dass das Vorliegen einer Sehbehinderung nach den Anhaltspunkten anders beurteilt werde, als das Vorliegen einer starken Hörbehinderung.

Mit Bescheid vom 25.05.2004 hob das VA den Bescheid vom 28.05.1986 in der Gestalt des Bescheides vom 17.07.1986 gem. § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) insoweit auf, als es feststellte, dass die Voraussetzungen, des Merkzeichens B ab 28.05.2004 nicht mehr vorlägen. Weiterhin teilte es der Klägerin mit, mit der Einführung des SGB IX zum 01.07.2001, das unter anderem das Schwerbehindertengesetz abgelöst habe, sei die Möglichkeit geschaffen worden, für gehörlose schwerbehinderte Menschen das Merkzeichen Gl festzustellen. Daraus ergäben sich allerdings über die bereits bisher für Gehörlose bestehende Berechtigung zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr hinaus keine weiteren Nachteilsausgleiche. Da bei der Klägerin Gehörlosigkeit vorliege, sei das Merkzeichen Gl festzustellen. Die Merkzeichen H und RF blieben festgestellt, der Grad der Behinderung (GdB) betrage weiterhin 100.

Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.2004 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, unter Auswertung mehrerer Befunde der Universitätsklinik Freiburg sowie des behandelnden Arztes Dr. S. und der Unterlagen des R.-W. Berufskollegs für Hörgeschädigte E. sei die Entscheidung aus versorgungsärztlicher Sicht nicht zu beanstanden.

Hiergegen erhob die Klägerin am 21.09.2004 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG).

Das SG hörte den Hausarzt der Klägerin Dr. S., die HNO-Ärztin Dr. A., Oberärztin im Universitätsklinikum F. sowie J. R. vom Implantatcentrum der Universitätsklinik F. schriftlich als sachverständige Zeugen an. Dr. S. teilte unter dem 11.01.2005 mit, die angeborene Taubheit der Klägerin habe sich im Verlauf seiner Behandlung nicht verändert. Das Artikulationsvermögen reiche nur bedingt für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel aus. Sie sei schwer zu verstehen. Dr. A. teilte in ihrer auch von Prof. Dr. L., Direktor der Klinik, unterzeichneten Auskunft vom 11.01.2005 mit, bei der Klägerin bestehe eine Einschränkung der Sprech- und Verständnisfähigkeit aufgrund der angeborenen an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Da sie erst im Alter von 11 Jahren mit einem CI versorgt worden sei, sei das Sprachverständnis trotz dieses Hilfsmittels relativ schlecht. Die Klägerin leide weiterhin an einer Störung der Kommunikationsfähigkeit. Das Artikulationsvermögen reiche für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel prinzipiell aus, allerdings würden Ansagen durch Lautsprecher im Zug oder auf dem Bahnsteig mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht korrekt verstanden. J. R. berichtete unter dem 05.01.2005, dass sich für CI- Träger trotz ihres mitunter sehr guten Hör- und Sprachverständnisses im Alltag durchaus sehr schwere Beeinträchtigungen und Situationen ergeben könnten, die eine Begleitperson als nötig beurteilen ließen. Speziell beim Auftreten von Störlärm werde das Hör- und Sprachverständnis von CI-Trägern stark beeinträchtigt. Diese (Störlärm-) Situationen träten mitunter auch beim Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf. Er legte technische Abschlussberichte über die regelmäßigen Reha- und Kontrolltermine der Klägerin vor.

Der Beklagte legte hierzu die versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme von Dr. G. vom 03.05.2005 vor.

Das SG hörte in der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2005 die Klägerin in Anwesenheit einer Gebärdendolmetscherin persönlich an. Auf die Niederschrift wird inhaltlich verwiesen.

Mit Urteil vom 09.12.2005 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, unter Anwendung der in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (AP) enthaltenen Grundsätze habe der Beklagte das Merkzeichen B zu Recht entzogen. Danach und nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung hätten Hörbehinderte in der Regel nach Vollendung des 16. Lebensjahres und erfolgreichem Abschluss der Gehörlosenschule keinen Anspruch mehr auf das Merkzeichen B, auch nicht für die Dauer einer sich anschließenden Ausbildung. Lediglich im Einzelfall könne die Notwendigkeit ständiger Begleitung vorliegen, wenn zusätzlich eine erhebliche Störung der Ausgleichsfunktion vorliege. Die Klägerin könne jedoch die Nachteile, die sie infolge ihrer Behinderung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erfahre, in der Regel ausgleichen. Sie könne unvorhersehbare Ereignisse, wie Fahrplanänderungen, meistern, indem sie andere Zugreisende anspreche und sich mit Zetteln verständlich mache. Seltene Situationen, in denen die Artikulationsmöglichkeit nicht genüge, stellten Notfälle dar, die eine Zuerkennung des Merkzeichens B, das gerade die notwendige ständige Begleitung erfordere, nicht rechtfertigten. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) liege nicht vor, obwohl bei Blinden auch ohne erhebliche Störung der Ausgleichsfunktion der Nachteilsausgleich B anerkannt werde. Es fehle bereits an einer Gleichheit der Lebensverhältnisse beider Behindertengruppen.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 10.01.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23.01.2006 Berufung eingelegt. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, die Störung der Kommunikationsfähigkeit wirke sich auch auf die Orientierungsfähigkeit aus. Gerade in hektischen und schwierigen Situationen könne diese Einschränkung der Wahrnehmungsfähigkeit zu erheblichen Gefährdungstatbeständen führen. Sie hat darüber hinaus angeregt, Prof. Dr. L. bzw. Frau Dr. A. zu der vä Stellungnahme des Dr. G.ergänzend zu hören.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 09.12.2005 sowie den Bescheid vom 25.05.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2004 insoweit aufzuheben, als der Nachteilsausgleich B entzogen wurde.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Gutachten von Prof. Dr. Z., Direktor der Universitäts-Hals-Nasen-Ohren-Klinik T. vom 28.10.2006 eingeholt. Bei dessen Untersuchung am 23.10.2006 gab die Klägerin an, sie könne Lautsprecherdurchsagen und akustische Warnhinweise auf dem Bahnsteig nicht verstehen. Sie müsse dann andere Reisende fragen. Da diese häufig in Eile seien, sei für das Aufschreiben einer Frage und der Antwort oft nicht genug Zeit. Aufgrund der durchgeführten Hörprüfungen diagnostizierte Prof. Dr. Z. eine beidseitige Taubheit. Auch mit dem CI sei die Klägerin in ihrer Hörfähigkeit massiv eingeschränkt. Sie sei regelmäßig auf das Lippenablesen angewiesen. Zur Beurteilung führt Prof. Dr. Z. weiter aus, die Klägerin leide selbstverständlich durch ihre hochgradige Hörstörung an einer Störung der Kommunikationsfähigkeit. Die Orientierungsfähigkeit sei dann beeinträchtigt, wenn akustische Signale, die die Klägerin nicht wahrnehmen oder verstehen könne, von Bedeutung seien, z. B. akustische Warngeräusche oder Warndurchsagen. Das Artikulationsvermögen reiche seiner Einschätzung nach für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel aus.

Am 06.02.2007 hat die Berichterstatterin den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert und die Klägerin angehört. Dabei hat der begleitende Vater der Klägerin bei der Verständigung geholfen. Die Klägerin hat angegeben, sie absolviere seit September 2006 in Esslingen eine Ausbildung zur Technischen Zeichnerin. Zum Ausbildungsplatz und zur Berufsschule fahre sie in der Regel mit dem eigenen Pkw. Nach ausführlicher Erörterung des Sachverhalts haben der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sowie der Vertreter des Beklagten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG zu Protokoll erklärt.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin gab noch eine schriftliche Stellungnahme der Klägerin zu den Akten.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gem. §§ 143, 144 SGG statthaft und gem. § 151 SGG zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs B liegen bei der Klägerin jedenfalls seit Mai 2004 nicht mehr vor.

Nach § 146 Abs. 2 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) ist ständige Begleitung bei schwerbehinderten Menschen notwendig, die bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln infolge ihrer Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für diesen Nachteilsausgleich sind von den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden gem. § 69 Abs. 4 SGB IX festzustellen. Dabei sind die AP 2004 zu berücksichtigen, die jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides bereits vorlagen. Zwar besitzen die AP keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie haben jedoch normähnliche Auswirkungen, da sie als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen sind, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.09.2004, L 6 SB 122/04 m.w. N.). Nach Nr. 32 Abs. 2 Satz 2 der AP ist für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs B zu beachten, ob bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels notwendig ist oder bereit sein muss oder ob Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (z. B. bei Sehbehinderung, geistiger Behinderung) erforderlich sind. Nach Nr. 32 Abs. 3 der AP ist die Notwendigkeit ständiger Begleitung insbesondere anzunehmen bei

- Querschnittsgelähmten, - Ohnhändern, - Blinden und - den in Nr. 30 Abs. 4 und 5 genannten Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und geistig Kranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertig ist.

Nach Nr. 30 Abs. 5 der AP sind Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, bei allen Sehbehinderten mit einem GdB von wenigstens 70, bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beidseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderungen ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt.

Nach den früheren Fassungen der AP aus den Jahren 1983 und 1996 waren Störungen der Orientierungsfähigkeit bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit in der Regel "bis zum 16. Lebensjahr - Beendigung der Gehörlosenschule" anzunehmen.

In Übereinstimmung mit den Anhaltspunkten in der damals gültigen Fassung, hat das VA bei der seit Geburt an unter einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit leidenden Klägerin das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich B mit Bescheid vom 17.07.1986 festgestellt.

Diese Feststellung hat der Beklagte zu Recht mit den angefochtenen Bescheiden aufgehoben, da eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Rechtsgrundlage hierfür ist § 48 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen ist bei der Klägerin insoweit eingetreten, als sie das 16. Lebensjahr am 07.09.2000 vollendet und im Juli 2002 den Besuch der Schwerhörigenschule N. beendet hat. Damit lag sowohl nach den AP 1996 als auch nach den AP 2004 keine Taubheit bzw. an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit im Kindesalter mehr vor. Der Nachteilsausgleich B steht der Klägerin auch nicht deshalb weiterhin zu, weil die gesundheitlichen Voraussetzungen, unter denen Störungen der Orientierungsfähigkeit auch bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Erwachsenenalter anzunehmen sind, vorliegen würden. Über die vorliegende Behinderung hinaus, sind nämlich bei der Klägerin keine erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion zu erkennen. Dies hat das SG bereits zutreffend und mit Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeführt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Auch die Ausführungen von Prof. Dr. Z. in seinem auf Antrag der Klägerin eingeholten Gutachten sowie das weitere mündliche und schriftliche Vorbringen der Klägerin rechtfertigen keine andere Beurteilung. Prof. Dr. Z. beschreibt im Wesentlichen in Übereinstimmung mit den vom SG gehörten behandelnden Ärzten nochmals die hochgradige Hörstörung der Klägerin. Die Klägerin ist trotz des CI zur Verständigung mit Hörenden regelmäßig auf das Lippenablesen angewiesen. Ihr Artikulationsvermögen ist, wie dies für die seit Geburt bestehende schwere Hörstörung typisch ist, beeinträchtigt. Sie kann sich jedoch, wie auch während des Erörterungstermins deutlich wurde, sprachlich ausdrücken. Bei diesen Befunden handelt es sich um die typischen Auswirkungen der bei der Klägerin vorliegenden Behinderung. Eine darüber hinausgehende Störung der Ausgleichsfunktion, die nach den AP für die weitere Zuerkennung des Merkzeichens B erforderlich wäre, ergibt sich weder aus dem Gutachten noch aus dem Vorbringen der Klägerin. Insbesondere liegt weder eine Sehbehinderung, noch eine geistige Behinderung vor. Die Klägerin hat die allgemeine Hochschulreife erworben und ist auch im Besitz eines Kfz-Führerscheines. Sonstige Störungen der Ausgleichsfunktion sind ebenfalls nicht ersichtlich. Vielmehr resultieren sämtliche Nachteile, die die Klägerin bei der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im allgemeinen sowie der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel im besonderen hat, aus ihrer schweren Hörstörung. Wegen dieser Nachteile besteht weiterhin ein GdB von 100. Auch die Merkzeichen H, RF und Gl bleiben festgestellt. Der Nachteilsausgleich H ist nach den AP und der Rechtsprechung jedenfalls bis zum Abschluss der beruflichen Erstausbildung gerechtfertigt (BSG, Urteil vom 10.12.2003, B 9 SB 4/02 R). Hierdurch wird sichergestellt, dass die Klägerin die notwendigen finanziellen - insbesondere steuerlichen - Entlastungen sowie ggf. weitere Leistungen erhält, die ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft erleichtern und im Sinne des § 1 SGB IX behinderungsbedingte Benachteiligungen vermeiden helfen.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs B liegen dagegen trotz der von der Klägerin glaubhaft geschilderten Benachteiligungen durch ihre Behinderung, die sie nicht immer und vollständig durch das Sehen und den Einsatz ihrer Intelligenz ausgleichen kann, nicht mehr vor. Es ist zwar nachvollziehbar, dass eine Begleitperson der Klägerin beim Besuch von Großveranstaltungen und auch bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel Sicherheit gibt. Insbesondere bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel kann sie jedoch ihre Behinderung in der Regel ausgleichen, da sie die Fahrpläne, Anzeigetafeln und Aufschriften auf den Fahrzeugen lesen kann. Schwierigkeiten entstehen vor allem in Ausnahmesituationen wie z. B. bei Fahrplan- bzw. Gleisänderungen, die per Lautsprecher durchgesagt werden. Sie erkennt in solchen Fällen lediglich die Reaktion der anderen Fahrgäste und muss sich dann über Zeichen, Lippenablesen oder Schreiben verständigen. Dies kann, wie von der Klägerin vorgetragen, "in der Hektik" schwierig sein und zu Zeitverlusten führen. Da es sich hierbei jedoch um Ausnahmesituationen handelt, ändert dies nichts daran, dass die Klägerin regelmäßig in der Lage ist, selbständig öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels ist fremde Hilfe regelmäßig nicht erforderlich. Dies wird von der Klägerin auch nicht behauptet.

Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Hörgeschädigten gegenüber Blinden und Sehbehinderten liegt in der Anwendung der AP 2004 bzw. der AP in den vorangegangen Fassungen nicht. Insbesondere ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung nach Artikel 3 Abs. 1 GG keine für die Klägerin günstigere Rechtsstellung. Das BSG hat bereits entschieden, dass es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten ist, den Gehörlosen die gleiche Sonderstellung wie den Blinden einzuräumen. Eine Gleichsetzung aller Sinnesorgane kommt insoweit nicht in Betracht, weil sich die Gleichheit der Lebensverhältnisse gerade nicht von selbst versteht (BSG, aaO). Diese Rechtsprechung ist überzeugend. Die Auswirkungen einer Sehbehinderung bzw. Blindheit sind von den Auswirkungen einer Hörstörung, wie sie bei der Klägerin vorliegt, zu unterscheiden. Dabei geht es nicht darum, zu entscheiden, welche Behinderung die schwerwiegenderen psychosozialen Auswirkungen in Bezug auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft hat. In Bezug auf die hier vorliegende Fragestellung geht es nur darum, ob Hörgeschädigte ebenso wie Blinde und hochgradig Sehbehinderte eine ständige Begleitung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel benötigen. Dies ist, wie bereits dargelegt wurde, zu verneinen. Blinde und sehbehinderte Personen benötigen bereits beim Ein- und Aussteigen aus öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig Hilfe. Dies unterscheidet sie von hörgeschädigten Personen wie der Klägerin. Die Unterschiede zwischen den beiden Behinderungen zeigen sich auch darin, dass die Klägerin einen Führerschein erwerben konnte, was einem blinden Behinderten nicht möglich ist.

Aus den genannten Gründen war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht vor. Die Revision ist nach § 160 Abs. 2 SGG nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Wie bereits dargelegt, steht die Entscheidung mit der Rechtsprechung des BSG in Einklang. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt ebenfalls nicht vor (vgl. Meyer-Ladewig, § 160 SGG Randziff. 7).
Rechtskraft
Aus
Saved