L 4 KR 3654/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 1276/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3654/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 22. August 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte der Klägerin im Wege des Zugunstenverfahrens Kosten für die Durchführung einer Cranio Sacral-Therapie (CST) und einer Osteopathie durch die Therapeutin S. M. zu erstatten hat.

Die am 1964 geborene Klägerin ist bei der Beklagten im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) gesetzlich krankenversichert. Sie leidet an Wirbelsäulenbeschwerden und einem chronischen Schmerzsyndrom. Im August 2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für - neben anderen Behandlungen wie Progressive Muskelentspannung (PME) und Qi-Gong - CST sowie für Osteopathie. Mit Bescheid vom 08. Oktober 2002 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die zuletzt genannten Behandlungen seien keine Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung; sie seien nicht in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen. Zu der CST und der Osteopathie lägen Grundsatzgutachten des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände (MDS) vor. Nach Auffassung der Gutachter sei die Wirksamkeit an einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen - und zwar statistisch relevant - nicht nachgewiesen. Ein Großteil der osteopathischen Leistungen sei identisch mit den diagnostischen und therapeutischen Leistungen der Manuellen Medizin, die in Deutschland von Vertragsärzten mit der Zusatzbezeichnung "Chirotherapie" mit den Krankenkassen über den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abgerechnet werden könnten. Im Übrigen stünden bei medizinischer Notwendigkeit zahlreiche Heilmittel zur Behandlung von Wirbelsäulenschäden im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung. Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie machte geltend, sie habe der Beklagten bereits Unterlagen über die begehrten Therapien eingereicht, insbesondere auch von der Therapeutin S. M ... Bei ihr liege wegen der zahlreichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ein Sonderfall vor. Die erwähnte Chirotherapie sei bei ihr gerade nicht angezeigt. Sie habe die Befürchtung, was auch durch die genannte Therapeutin bestätigt worden sei, dass diese Therapie auch eine Lähmung bei ihr verursachen könnte. Mithin sei eine solche Behandlung nicht zumutbar. Der Umstand, dass die erstrebten Therapien nicht in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen worden seien, rechtfertige es nicht, dass dann auch Behandlungskosten nicht übernommen würden. Das Gegenteil sei vielmehr der Fall. Denn aus § 27 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) ergebe sich, dass es bei jedem Patienten auf die Umstände des Einzelfalls ankomme und die Behandlungs- oder Therapiemaßnahmen anerkannt werden müssten, die darauf ausgerichtet seien, eine Krankheit gezielt zu bekämpfen. Ausgenommen seien lediglich Methoden, die so unkonventionell seien, dass sie nicht zu einem Heilungserfolg oder zur Schmerzminderung führen könnten. Bei ihr sei aufgrund der Umstände ihres Falles eine Ausnahme gerechtfertigt. Es solle eine Auskunft bei der Therapeutin M. eingeholt werden. Auch die Qi Gong-Methode trage bei ihr wesentlich zur Schmerzlinderung bei. Da die Beklagte ihr bisher auch keinen Kostenvorschuss gewährt habe, habe sie bereits vereinbarte Termine absagen müssen. Ein Doppeltermin (= zwei bis drei volle Stunden alle 14 Tage) koste etwa EUR 140,00 bis 150,00. Sie wäre nicht in der Lage, diese Kosten selbst zu tragen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des bei der Beklagten bestehenden Widerspruchsausschusses II vom 27. November 2002).

Deswegen erhob die Klägerin am 03. Januar 2003 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG S 4 KR 11/03). Sie reichte u.a. Unterlagen zur Osteopathie ein und trug vor, sie habe von Januar bis Juni 2002 eine Therapie bei S. M. in H. durchführen wollen, was jedoch von der Beklagten abgelehnt worden sei. Es sei nicht zur Behandlung bei dieser Physiotherapeutin gekommen, die eine anerkannte Zusatzausbildung für diese Behandlung durchlaufen habe. Da die Klage verspätet erhoben worden war, nahm die Klägerin die Klage am 13. März 2003 zurück.

Bereits mit Schreiben vom 25. Februar 2003 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X). In diesem Überprüfungsantrag verwies die Klägerin auf den Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 22. November 2002 (1 BvR 1586/02) und machte geltend, ihr Leidenszustand entspreche dem Leidenszustand des Antragstellers in jenem Verfahren vor dem BVerfG. Insoweit sei auch bei ihr der Grundrechtsschutz mit zu berücksichtigen. Dies sei in den ablehnenden Bescheiden der Beklagten bisher nicht geschehen. Mithin gehe sie davon aus, dass die Beklagte das Recht der Krankenversicherung bei ihr unrichtig angewandt habe. Im Hinblick auf ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sei es bei ihrem Leidenszustand nicht zulässig, dass sich die Kasse lediglich auf das formale Argument beziehe, dass die von ihr begehrte Leistung von der kassenärztlichen Versorgung noch nicht erfasst sei. Der Grundrechtsschutz sei vorrangig und durchbreche einfache Gesetze bzw. darauf beruhende Versorgungswerke. § 27 SGB V müsse in dem Sinne ausgelegt werden, dass einem schwer leidenden Versicherten Heilmaßnahmen, die anerkannter Weise Linderung verschaffen würden, auch dann zuzuerkennen seien, wenn die gegenwärtige Gesetzes- bzw. Versorgungslage dies noch nicht vorsehe. Die Osteopathie rechne im Übrigen in den USA längst zum medizinischen Standardprogramm. Mit Bescheid vom 12. März 2003 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Sie habe Behandlungsmaßnahmen nicht zu Unrecht abgelehnt. Der Sachverhalt im Verfahren beim BVerfG stehe in keinem Zusammenhang mit dem Anliegen der Klägerin. Er sei auch mit diesem nicht vergleichbar, da angesichts der bei der Klägerin bestehenden Erkrankung keine akut lebensbedrohliche Situation eintreten würde, sofern ihr die Kostenübernahme für die CST bzw. die Osteopathie versagt bleibe. Die Maßnahmen der Osteopathie seien größtenteils identisch mit den diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen der Manuellen Medizin. Vertragsärzte mit der Zusatzbezeichnung "Chirotherapie" könnten diese Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich erbringen und die Kosten über die Krankenversicherungskarte abrechnen. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch berief sich die Klägerin erneut auf das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieses Grundrecht müsse bei der Auslegung des § 27 SGB V berücksichtigt werden und dieser je nach dem Einzelfall extensiv interpretiert werden, um eine möglichst vollständige Versorgung mit Heilmitteln und auch mit heilungsfördernden Maßnahmen herbeizuführen. Die Wertentscheidung des Grundgesetzes auf Leben und körperliche Unverehrtheit sei eine grundlegende objektive Wertentscheidung nach der Rechtsprechung des BVerfG und müsse Eingang in die gesetzliche Krankenversicherung erhalten. Auf dieser Grundlage sei § 27 SGB V im Rahmen einer Lückenergänzung so auszufüllen, dass sie mit ihren Bemühungen, sich körperlich mit der CST und der Osteopathie wieder aufzubauen bzw. ihre Schmerzen zu lindern, seitens der Beklagten unterstützt werden müsse. Insoweit habe die Beklagte die Behandlungskosten übernehmen. Eine solche Lückenausfüllung werde auch vom Bundessozialgericht (BSG) anerkannt, wie das Urteil vom 03. April 2001 (B 1 KR 40/00 R), belege. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des bei der Beklagten bestehenden Widerspruchsausschusses I vom 29. April 2003).

Am 13. Mai 2003 erhob die Klägerin deswegen Klage beim SG. Sie trug vor, sie sei auf die Benutzung des Rollstuhls angewiesen. Daher könne die Beklagte ihr die begehrten Leistungen nicht allein deswegen versagen, weil nach kassenärztlichen Vereinbarungen diese Heilbehandlungsmethoden nicht anerkannt seien. In den USA gehöre beispielsweise die Osteopathie längst zum medizinischen Standardprogramm. Dr. M.-S., Facharzt für Anästhesie, Spezielle Schmerztherapie, habe im vorgelegten Arztbrief vom 02. Juli 2001 dringend die Durchführung der streitigen Therapien empfohlen. Dieser Befundbericht mit der Empfehlung über die Heilbehandlungsmaßnahmen stelle eine Verordnung im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Dr. M.-S. habe sie und andere Schmerzpatienten durch Kurse beraten, wie man sich selbst helfen könne. Sie habe sich daher bemüht, sich durch Kurse selbst weiterzubilden, um sich selbst therapieren zu können. Eine Weiterbildung für die Selbsttherapie sei auch bei S. M. in H. vorgesehen gewesen, und zwar von Januar bis Juni 2002. Dafür wären für eine Doppelstunde EUR 150,00 erforderlich gewesen. Wegen ihrer Zusatzausbildung wäre die genannte Therapeutin bestens geeignet gewesen, sie zu unterstützen. Chiropraktizierende Ärzte bzw. Ärztinnen wären bei ihrer angeschlagenen Wirbelsäule nicht in der Lage, diese richtig medizinisch bzw. mittels Heilbehandlung zu versorgen. Die Gefahr einer Fehlbehandlung sei sehr groß. Deswegen habe sie die genannte Therapeutin besuchen und dort Hilfe bekommen wollen, auch Hilfe für eine Selbsttherapie. Nach den Ausführungen des Dr. M.-S. sei Behandlungsbedürftigkeit gegeben. Auch das Behandlungsziel, nämlich eine Verschlimmerung zu verhüten bzw. Schmerzen zu lindern, sei nach der Darstellung jenes Arztes gegeben. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass die genannten Therapien in der kassenärztlichen Versorgung nicht geregelt seien und damit eine Versorgung durch die Beklagte ausscheide. Ihre Behandlung sei dringend geboten. Sie sei auch geeignet, in Selbsttherapie durchgeführt zu werden. Dr. M.-S. habe das Programm aufgestellt, das sie in Selbsttherapie übernommen habe. Dieser Arzt sei daher als ärztlicher Betreuer bzw. richtungsweisender Ratgeber anzusehen, sodass aus dieser Sicht heraus eine Selbsttherapie mit dieser Oberaufsicht durchaus im Einklang mit der Krankenversorgung zu sehen sei. Die Einschaltung der Therapeutin M. sei an der ablehnenden Haltung der Beklagten gescheitert. Sie hätte es der Beklagten erspart, noch einen anderen Arzt bzw. eine Ärztin einzuschalten, die zusätzlich Kosten verursacht hätten. Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie verwies auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Mit Urteil vom 22. August 2003, das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 29. August 2003 zugestellt wurde, wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Kostenübernahme der CST bzw. der Osteopathie. Der Bescheid vom 08. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. November 2002 entspreche der Rechtslage. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V hätten Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasse dabei u.a. die Versorgung mit Heilmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V). Dabei sei zunächst ein bestimmter Verfahrensweg zu beachten, denn im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung gelte das Sachleistungsprinzip. Für Pflichtversicherte sei eine Kostenerstattung deshalb nur möglich, wenn einer der Tatbestände des § 13 Abs. 3 SGB V gegeben sei. Offensichtlich habe die Klägerin mit den geltend gemachten Therapien bereits begonnen, bevor die ablehnende Entscheidung der Beklagten ergangen sei. Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine Notfallbehandlung gehandelt habe, lägen nicht vor. Unabhängig davon habe die Beklagte die Leistung auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Grundsätzlich bestehe nämlich nur Anspruch auf Versorgung mit Heilmitteln, wenn diese ärztlich verordnet und durch zugelassene Leistungserbringer erbracht würden. Eine Verordnung der gewünschten Therapien durch einen Arzt sei nicht erfolgt; der vorgelegte Behandlungsbericht von Dr. M.-S. vom 02. Juli 2001 stelle keine Verordnung dar. Soweit die Leistungen dann durch die Physiotherapeutin M. erbracht worden seien, scheide eine Kostenerstattung schon deshalb aus, weil diese über keine Zulassung nach § 124 Abs. 2 SGB V verfüge. Selbst wenn der Verfahrensweg eingehalten worden wäre, eine ärztliche Verordnung ergangen und eine Leistung durch einen zugelassenen Leistungserbringer vorgenommen worden wäre, ergäbe sich keine Leistungspflicht der Beklagten. Insoweit habe es sich nämlich bei der CST und der Osteopathie jeweils um Therapien gehandelt, die nicht in die Richtlinie des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Versorgung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-Richtlinien) aufgenommen seien. Fehle es an einer solchen Anerkennung, dürften neue Heilmittel auch nicht durch an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte verordnet werden (§ 138 SGB V).

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 10. September 2003 schriftlich Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie macht geltend, die begehrten Behandlungen hätten bei ihr die Schmerzen bereits gelindert und auch Erfolge erbracht. Soweit Dr. M.-S. einen Therapievorschlag hinsichtlich chirotherapeutischer Behandlung als Eigenbehandlung vorsehe, sei dies als ärztliche Verordnung anzusehen. Sie habe die Behandlungen als Eigenbehandlung durchgeführt. Die Kosten für die zusätzliche Behandlung durch die Therapeutin M. habe sie bisher nicht aufbringen können. Eine solche zusätzliche Behandlung alle zwei Wochen, die EUR 150,00 für zwei volle Stunden gekostet hätte, sei sinnvoll, da der Körper dann auf die Therapie richtig reagieren könne. Es gebe zwar Übungen, die man selbst durchführen könne. Man müsse sie jedoch gezeigt bekommen und es müsse immer wieder überprüft werden, ob man sie richtig ausführe. Die Eigenübungen ersetzten nicht die Behandlungen durch einen extra dafür ausgebildeten Therapeuten. Sie ergänzten sich nur, was sinnvoll und erstrebenswert sei. Da sie die Termine bei der Therapeutin nicht habe bezahlen können, habe sie sie nach und nach absagen müssen. Es bestünden bei der Therapeutin lange Wartezeiten. Bei ihr sei wegen der Besonderheiten des Einzelfalls eine extensive Auslegung des § 27 SGB V angezeigt. Es müsse weiter berücksichtigt werden, dass die Osteopathie in den USA eine große Rolle spiele und dort als offizielle Heilbehandlungsmethode anerkannt sei. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass sich die Beklagte im Verfahren L 4 KR 1649/03, in dem es um die Behandlungsmethoden PME und Qi-Gong gegangen sei, am 02. März 2005 vergleichsweise bereiterklärt habe, ihr nach ärztlicher Verordnung Krankengymnastik auf neurophysiologischer Basis zu gewähren. Damit habe die Beklagte Behandlungsbedürftigkeit anerkannt. Solches müsse auch für die hier streitigen Behandlungen gelten. Jedenfalls müssten die Kosten für anerkannte Heilmethoden übernommen werden, welche einen gleichwertigen Erfolg versprächen, wie die CST und die Osteopathie. Ihr Anspruch sei auch aufgrund des Beschlusses des BVerfG vom 06. Dezember 2005 (1 BvR 347/98) begründet, welcher auch hier Rechtswirkungen entfalte. Sie sitze im Rollstuhl und sei schwer körperbehindert. Dieses Leiden verschwinde nicht mehr, sodass sie als Langzeiterkrankte mit einem besonders schweren Leiden anzusehen sei. Die streitigen Behandlungen seien geeignet, bei ihr Heilung zu verschaffen, sei es auch nur, indem der bestehende Zustand abgemildert bzw. zeitweise schmerzfrei werde.

Die Klägerin hat verschiedene Unterlagen eingereicht, darunter auch solche über die CST.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 22. August 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 12. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. April 2003 zu verurteilen, den Bescheid vom 08. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. November 2002 zurückzunehmen und die Kosten für die Cranio-Sacral-Therapie und die Osteopathie durch die Therapeutin M. zu übernehmen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die streitbefangenen Bescheide und das angegriffene Urteil für zutreffend. Der Befundbericht des Dr. M.-S. vom 02. Juli 2001 könne nicht als ärztliche Verordnung für die von der Klägerin begehrten Behandlungen angesehen werden. Es handle sich um einen Therapievorschlag. Des Weiteren empfehle Dr. M.-S. chirotherapeutische Behandlung, jedoch nicht die von der Klägerin beantragten Maßnahmen. Die chirotherapeutischen Behandlungen stünden im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung und könnten von den Vertragsärzten über die Krankenversicherungskarte abgerechnet werden. Für die CST und die Osteopathie liege bisher kein entsprechender Wirksamkeitsnachweis, wie er von der Rechtsprechung des BSG gefordert werde, vor. Behandlungserfolge im Einzelfall seien nicht ausreichend.

Der Berichterstatter des Senats hat eine Auskunft der S. M. vom 17. Januar 2004 eingeholt und die Beteiligten mit Verfügungen vom 23. Februar 2004, vom 21. März und 16. August 2005 vom 08. Mai 2006 sowie zuletzt vom 04. Juli 2007 auf die Möglichkeit einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hingewiesen. Dazu hat sich die Klägerin durch Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten vom 30. März, 12. August 2005, vom 20. April, 12. Mai, 19. Juni, 18. September und 21.November 2006 sowie vom 28. Juni 2007 geäußert.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten, der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der weiteren Akten des SG S 8 KR 2761/02 und S 4 KR 11/03 und der weiteren Akten des LSG L 4 KR 1648/03 Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens nach Anhörungen der Beteiligten, wobei auch die Stellungnahmen der Klägerin im Anhörungsverfahren keinen Anlass geben, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG entschieden hat, ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 12. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. April 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Recht die Rücknahme des bestandskräftig gewordenen Bescheids vom 08. Oktober 2002 (Widerspruchsbescheid vom 27. November 2002), mit dem die Beklagte es abgelehnt hatte, der Klägerin CST und Osteopathie als Krankenbehandlung zu gewähren, nach § 44 SGB X abgelehnt. Die Leistungsablehnung im Jahre 2002 war nicht rechtswidrig, mithin nicht zurückzunehmen.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der sich als unrichtig erweist, und insoweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Da der Ablehnungsbescheid vom 08. Oktober 2002 keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellte, muss sich die Prüfung der Rechtswidrigkeit bzw. Rechtmäßigkeit der Leistungsablehnung auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung beziehen. Maßgebend für die Beurteilung der Rücknahmevoraussetzungen, mithin der Rechtswidrigkeit, ist also der Zeitpunkt November 2002. Ob danach ein Leistungsanspruch auf Krankenbehandlung bzw. auf Kostenerstattung für selbst beschaffte Krankenbehandlung bestanden haben könnte, war dagegen in diesem Verfahren nicht zu prüfen.

Aufgrund der Angaben der Klägerin im Berufungsverfahren und der eingeholten Auskunft der Therapeutin M. geht der Senat entgegen der Ansicht des SG davon aus, dass die Klägerin die abgelehnte Krankenbehandlung bis November 2002 noch nicht hatte durchführen lassen, weshalb ihr auch für selbst beschaffte Leistungen Kosten nicht entstanden waren. Dem Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren lässt sich nur entnehmen, dass sie insoweit selbst Behandlungen durchgeführt hat. Der Senat vermag, abgesehen davon, dass die Klägerin ersichtlich bis November 2002 für selbst beschaffte Krankenbehandlung mit CST bzw. Osteopathie keine Kosten aufgewandt hat, um deren Erstattung es im Rahmen der Rücknahme nur gehen könnte, nicht festzustellen, dass die Beklagte im November 2002 das Recht unrichtig angewandt hat oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Die Klägerin hatte 2002 keinen Anspruch darauf, dass ihr die streitigen Krankenbehandlungen von der Beklagten als Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden mussten.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V hatten Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig war, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dabei umfasste die Krankenbehandlung nach Satz 2 Nr. 3 - neben der ärztlichen Behandlung (Nr. 1) - auch die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (zu den Heilmitteln vgl. die §§ 32, 34 SGB V). Die Heilmittelversorgung setzte eine vertragsärztliche Verordnung voraus, denn nach § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V umfasst die vertragsärztliche Versorgung die Verordnung von Heilmitteln. Dabei durften die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte neue Heilmittel nach § 138 SGB V nur verordnen, wenn der damalige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (seit 01. Januar 2004 Gemeinsamer Bundesausschuss) zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB V, d.h. den so genannten Heilmittel-Richtlinien, Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hatte. Entsprechendes galt für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V und der Richtlinie zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinie). Heilmittel, die als Dienstleistungen abgegeben wurden, insbesondere Leistungen der physikalischen Therapie, der Sprachtherapie oder der Beschäftigungstherapie, durften an Versicherte nach § 124 Abs. 1 SGB V nur von nach § 124 Abs. 2 SGB V zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden.

Der Leistungsanspruch der Klägerin hinsichtlich der streitigen Krankenbehandlung bestand im November 2002 schon deswegen nicht, weil eine entsprechende vertragsärztliche Verordnung über CST bzw. Osteopathie nicht vorgelegen hatte. Soweit der Vertragsarzt Dr. M.-S. im Arztbrief vom 02. Juli 2001 "chirotherapeutische Behandlung als Eigenbehandlung im Sinne von postisometischen Relaxationstechniken und Antigravitationstechniken zur Eigenmobilisation" empfohlen hat, stellte dies keine derartige vertragsärztliche Verordnung für CST bzw. für Osteopathie dar. Ferner war die Therapeutin M., wie der Senat deren Auskunft vom 17. Januar 2004 entnimmt, keine nach § 124 Abs. 2 SGB V zugelassene Leistungserbringerin. Im Übrigen stand dem Leistungsanspruch im November 2002 auch entgegen, dass die von der Klägerin damals beanspruchte Krankenbehandlung mittels Heilmittelverordnung sich auf neue Heilmittel im Sinne des § 138 SGB V bezog. Insoweit lag, was auch von der Klägerin nicht bestritten wird, eine positive Empfehlung des damaligen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zu diesen neuen Heilmitteln nicht vor, auch nicht als eine positive Empfehlung zu einer neuen Behandlungsmethode nach § 135 SGB V. Das Vorbringen der Klägerin, dass beispielsweise die Osteopathie in den USA ein anerkanntes Therapieverfahren dargestellt habe, ergibt auch keinen Systemmangel, der einen Leistungsanspruch hätte begründen können, zumal der Senat nicht festzustellen vermag, dass die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Überprüfung des neuen Heilmittels bzw. der neuen Behandlungsmethode vorgelegen haben. Es ergibt sich schon nicht, dass beim Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen im November 2002 Anträge auf Bewertung der CST bzw. der Osteopathie vorgelegen hatten.

Ein Leistungsanspruch bestand im November 2002 auch nicht unter Berücksichtigung des von der Klägerin angeführten Beschlusses des BVerfG vom 06. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 (= SozR 4-2500 § 27 Nr. 5), wonach es mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar sei, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Krankenbehandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Krankenbehandlung auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Einerseits vermag der Senat insoweit nicht festzustellen, dass, auch wenn die Klägerin an einer nachhaltigen, ihre Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigenden Krankheit leiden mag, diese als lebensbedrohend oder regelmäßig tödlich verlaufend einzustufen war (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 3/06 R -). Zum anderen ergibt sich nicht, dass andere allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Krankenbehandlung für die Klägerin nicht zur Verfügung stand. Die Beklagte hat insoweit darauf hingewiesen, dass die Maßnahmen der Osteopathie größtenteils identisch mit den diagnostischen und therapeutischen Leistungen der Manuellen Medizin seien, diese Leistungen jedoch von Vertragsärzten mit der Zusatzbezeichnung "Chirotherapie" im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich erbracht und deren Kosten über die Krankenversicherungskarte als Sachleistung abgerechnet werden konnten. Solche chirotherapeutischen Behandlungen hatte im Übrigen auch Dr. M.-S. empfohlen. Weiter kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Beklagte beispielsweise sich im Verfahren L 4 KR 1648/03 verpflichtet hat, der Klägerin nach ärztlicher Verordnung Krankengymnastik auf neurophysiologischer Basis zu gewähren. Weiter fehlte es hier auch an der Einschätzung eines Arztes, dass die von der Klägerin gewählte Krankenbehandlung erfolgreich sein würde.

Danach war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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