L 13 RJ 94/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 10 RJ 83/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 RJ 94/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RJ 62/02 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. August 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Altersrente des Klägers, insbesondere um die Verminderung des Zugangsfaktors von 1,0 auf 0,856.

Der am.1940 geborene Kläger war bis zum 31.08.1997 bei der Firma C Germany GmbH (C GmbH) in deren N Werk beschäftigt.

Nachdem die C GmbH beschlossen hatte, den gesamten Produktionsbereich in N zu schliessen, traf sie zum Abbau sämtlicher Stellen des N Werks mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und Vereinbarung über Sozialplanvolumen vom 18.02.1994. Unter dessen Punkt 1 heißt es, dass der Schliessungstermin nicht vor dem 30.06.1996, aber voraussichtlich nicht nach dem 31.12.1996 liegen solle. Außerdem wurde im Sozialplan vom 15.03.1994 unter Bezugnahme auf den Interessenausgleich vom 18.02.1994 insbesondere die Höhe der Abfindungsleistungen geregelt. Des Weiteren geht aus dem Sozialplan und dem Interessenausgleich hervor, dass die von der Werksstillegung betroffenen Arbeitnehmer jeweils zu einem späteren Zeitpunkt durch individuelle firmenseitige Kündigung oder durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses im gegenseitigen Einvernehmen aus dem Betrieb ausscheiden sollten. Eine weitere Betriebsvereinbarung vom 07.03. bzw. 13.03.1996, wurde erforderlich, weil aufgrund unvorhergesehener Entwicklungen innerhalb der internationalen C -Gruppe sich der Termin für die Schließung des Produktionsstandorts N in das Jahr 1997 verschoben und dies Änderungen bezüglich der Abfindungen, etc. erforderlich gemacht hatte.

Mit Schreiben vom 04.12.1996 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis des Klägers unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 31.08.1997 sowie unter Bezugnahme auf die "Konzernentscheidung zur Restruktuierung von C , sowie auf der Grundlage des Interessenausgleiches/Vereinbarung über Sozialplanvolumen vom 18.02.1994 und Sozialplan vom 15.03.1994/BV vom 13.03.1996". Seit dem 01.09.1997 war der Kläger arbeitslos.

Mit Bescheid vom 25.01.2001 bewilligte die Beklagte ihm antragsgemäß Altersrente wegen Arbeitslosigkeit als Vollrente. Hierbei verminderte sie im Hinblick darauf, dass der Kläger die Rente vorzeitig in Anspruch genommen hatte, den Zugangsfaktor von 1,0 um 0,003 je Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme auf 0,856. Damit wurde nicht der erreichte Rangstellenwert von 49,9188 Entgeltenpunkten (EP) zugrundegelegt, sondern 40,1625 EP.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, der Zugangsfaktor habe nicht vermindert werden dürfen, weil er Vertrauensschutz nach § 237 des sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) genieße. Bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans/Interessenausgleichs vom 18.02.1994 habe festgestanden, dass der gesamte Produktionsbereich N geschlossen werde. Der Sozialplan/Interessenausgleich stelle eine Vereinbarung i.S.d. genannten Vorschrift dar. Hiermit habe bereits vor dem Stichtag des 14.02.1996 fest gestanden, dass das Arbeitsverhältnis nach der in der Regelung festgehaltenen Terminierung habe enden sollen. Er, der Kläger, habe keine Möglichkeit gehabt, das Arbeitsverhältnis über die im Interessenausgleich/Sozialplan genannten Zeitpunkte hinaus fortzusetzen.

Die Beklagte wies mit Bescheid vom 12.04.2001 den Widerspruch zurück:

Die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung lägen nur dann vor, wenn eine konkrete Vereinbarung im Einzelfall getroffen worden sei, welche bis zum Stichtag wirksam zustande gekommen sei. Im Falle der C GmbH habe es offensichtlich vor dem Stichtag noch keine konkreten Absprachen hinsichtlich der Beendigung der einzelnen Beschäftigungsverhältnisse gegeben. Vielmehr hätten die verschiedenen Abteilungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschlossen werden sollen. Die Verhältnisse seien bei jedem Mitarbeiter individuell verschieden gewesen und mit jedem einzelnen individuell geregelt worden. Der Sozialplan stelle keine Vereinbarung i.S.d. gesetzlichen Vorschrift dar, denn er reiche nicht aus, um die Beendigung einzelner Beschäftigungsverhältnisse abzuwickeln. Dies gelte selbst dann, wenn die Beschäftigten aufgrund der Werkstillegung keine andere Wahl gehabt hätten. Schließlich sei die Kündigung des Klägers erst zum 31.08.1997 erfolgt.

Der Kläger hat am 09.05.2001 Klage zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben, zu deren Begründung er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft hat.

Das SG hat mit Urteil vom 31.08.2001 die Klage abgewiesen:

Die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI greife hier nicht ein, weil das Arbeitsverhältnis erst nach dem 13.02.1996 beendet worden sei. Ein Sozialplan, welcher noch nicht zu einer konkreten individuellen Veränderung des Arbeitsverhältnisses des betroffenen Arbeitnehmers geführt habe, genüge den Erfordernissen für die Anwendung der Vertrauensschutzregelung nicht. Bei ihm handele es sich nicht um eine Vereinbarung i.S.d. Vorschrift, denn als eine solche sei nur ein individualrechtlicher Vertrag anzusehen. Der Sozialplan vom 18.02.1994 treffe nur allgemeine Regelungen, insbesondere über die Abfindungsleistungen an die ausscheidenden Arbeitnehmer.

Der Kläger hat gegen das ihm am 12.09.2001 zugestellte Urteil am 10.10.2001 Berufung eingelegt. Er weist ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen darauf hin, dass die arbeitgeberseitige Kündigung des Arbeitsverhältnisses sich bzgl. des Kündigungsgrundes auf den Sozialplan vom 18.02.1994 bezogen habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31.08.2001 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 25.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2001 zu verurteilen, den Wert des Rechts auf Altersrente unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,000 statt von 0,856 festzustellen und ihm hieraus ab 01.01.2001 eine entsprechend höhere Rente zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Die Beklagte hat zu Recht bei der Berechnung der dem Kläger zu leistenden Rente den Zugangsfaktor von 1,0 auf 0,856 vermindert.

Der Rentenanspruch des Klägers wegen Arbeitslosigkeit bestimmt sich nach § 237 Abs. 1 SGB VI, nachdem § 38 SGB VI, welcher die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit früher geregelt hatte, zum 01.01.2000 durch Art. 1 des Rentenreformgesetzes 1999 aufgehoben worden ist. Nach § 77 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI in der seit dem 01.01.2001 geltenden Fassung ist der Zugangsfaktor für EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 (Abs. 2 Nr. 2 a). Eine vorzeitige Inanspruchnahme von Altersrente ist damit grundsätzlich nur unter Minderung des Zugangsfaktors möglich.

Die sich aus den genannten Bestimmungen ergebende Anhebung der Altersgrenze wird vorliegend auch nicht durch die Übergangsregelung des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI (früher: § 237 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI) ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift wird bei Versicherten, die vor dem 14.02.1941 geboren sind, die Altersgrenze von 60 Jahren nicht angehoben, wenn deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, nach dem 13. Februar 1996 beendet worden ist und die daran anschließend arbeitslos geworden sind oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben.

Zwar ist der Kläger vor dem 14.02.1941 geboren und war auch nach dem 13.02.1996 bis zum Bezug der Altersrente arbeitslos. Sein Arbeitsverhältnis ist aber nicht aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung vor dem Stichtag 14.02.1996 beendet worden. Es endete vielmehr erst durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 04.12.1996.

Grundlage und Anknüpfung für diese Kündigung waren zwar der Interessenausgleich und Vereinbarung über Sozialplanvolumen sowie der Sozialplan vom 18.02 bzw. 15.03.1994. Diese Vereinbarungen sind jedoch keine solche i.S.d. gesetzlichen Vertrauensschutzregelung. Zwar können auch kollektive Vereinbarungen unter den Anwendungsbereich des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI fallen (so auch Bundessozialgericht - BSG - im Urteil vom 30.10.2001, B 4 RA 15/00 R in SozR 3-2600 § 237 Nr. 1). Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Arbeitnehmer auf Grund der kollektiven Vereinbarung unmittelbar einen bindenden Antrag auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Arbeitgeber gestellt hatte, der ohne die Möglichkeit des Widerrufs zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hatte.

Der Interessenausgleich bzw. Sozialplan der C GmbH enthielt nicht einmal ein Angebot der Arbeitgeberin auf individuelle Vertragsaufhebung, welches bereits vor der formellen Kündigung vom 04.12.1996 unmittelbar zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers hätte führen können. Nach Wortlaut und Interessenlage der Vereinbarungen ist vielmehr davon auszugehen, dass sich die Arbeitgeberin nicht bereits abschließend individuell bzgl. des genauen Beendigungszeitpunktes der einzelnen Arbeitsverhältnisse binden wollte. Vielmehr sollten diese später durch arbeitgeberseitige Kündigung oder einvernehmliche individuelle Vereinbarung zu unterschiedlichen Zeitpunkten beendet werden.

Der Kläger hat zudem vor dem Stichtag auch keine individualrechtliche Vereinbarung zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit der Arbeitgeberin abgeschlossen oder einen ihn bindenden Antrag auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses gestellt.

Auch nach dem Schutzzweck der gesetzlichen Vorschrift des § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 b SGB VI ist es nicht gerechtfertigt, die Vertrauensschutzregelung vorliegend anzuwenden. Die Norm dient nur dem Vertrauensschutz von Versicherten, die am 14.02.1996 ein bestimmtes Lebensalter erreicht hatten und zu diesem Zeitpunkt bereits arbeitslos waren oder die aufgrund der Rentenanwartschaft und im Vertrauen auf die damaligen gesetzlichen Regelungen, wegen Arbeitslosigkeit das Recht auf eine Altersrente bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres erlangen zu können, Dispositionen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen hatten, die nicht mehr rückgängig gemacht werden konnten und später zur Arbeitslosigkeit geführt hatten (BSG aaO.). Geschützt werden sollten damit alle diejenigen älteren Arbeitnehmer, die voraussichtlich nicht mehr flexibel auf die neue Gesetzeslage reagieren konnten, weil sie am Stichtag bereits eine individuelle Vereinbarung über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses getroffen hatten oder aufgrund einer wirksamen kollektiven Frühverrentungsvereinbarung einen sie bindenden Antrag auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitgeberin unterbreitet hatten. Ohne Bedeutung ist es allerdings entgegen der Meinung der Beklagten, ob in diesen Fällen am Stichtag bereits feststand, wann das Arbeitsverhältnis beendet werden sollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Zu der vorliegenden Fallgestaltung liegt noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor, weil das Urteil des BSG vom 30.10.2001 (aaO) sich auf eine andere Fallgestaltung bezieht.
Rechtskraft
Aus
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