L 2 U 145/02

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 8 U 20/00
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 145/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Voraussetzungen der Anerkennung einer BK-Nr. 2108 BKV nach den Konsensempfehlungen 2. Zuständigkeit für das Feststellungs- und Entschädigungsverfahren
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 24.09.2002 sowie der Bescheid der Beklagten vom 06.01.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.1999 aufgehoben und festgestellt, dass beim Kläger seit 01.12.1995 eine Berufskrankheit der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung vorliegt.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über das Vorliegen einer Berufskrankheit der Nr. 2108 der Anlage der Berufskrankheitenverordnung (BK-Nr. 2108 BKV) bzw. einer BK-Nr. 2108/2110 BKV.

Der 1953 geborene Kläger begann im Jahr 1970 seine Lehre im Heizkraftwerk der Energieversorgung K. als Kesselwärter und Bekohlungsmaschinist und war auch im Anschluss daran bis 1990 in dem erlernten Beruf, später als Brigadier und Meister, tätig. Un-terbrochen war diese Tätigkeit durch den Wehrdienst von November 1973 bis Oktober 1976. Vom 12.02.1990 bis 29.11.1990 ging er einer Beschäftigung als Fleischer nach, be-vor er bis 24.01.1991 als Kassierer und in der Folge bis 21.05.1991 als Handelsvertreter arbeitete. Nach einer Umschulung in den Jahren 1992 bis 1993 war er vom 07.06.1993 bis zum 30.11.1995 mit jeweils kurzen Unterbrechungen als Berufskraftfahrer tätig.

Am 19.03.1997 verfasste Dr. R1 , Facharzt für Orthopädie, eine ärztliche Anzeige über eine BK. Bei dem Kläger lägen lumbale Rückenschmerzen vor, die sich seit Juni 1996 verschlimmert hätten. Der Kläger führe die Beschwerden auf die schwere körperliche Arbeit bei der Energieversorgung zurück. Es bestehe eine rezidivierende Lumboischialgie bei degenerativen Veränderungen und Spondylolisthesis L5/S1. Am 26.11.1996 erfolgte eine interkorporale Fusion nach Reposition des Segments L5/S1.

Die Beklagte holte Stellungnahmen ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) ein, wonach eine erhebliche Belastung der Wirbelsäule durch die kombinierte Belastung des Hebens und Tragens und der Einwirkung von Ganzkörpervibrationen vorgelegen habe. Da die Tätigkeit langjährig ausgeübt worden sei, lägen die arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Entstehen einer Erkrankung der LWS vor. Für die Zeit nach 1990 sei nach der Beurteilung des TAD der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen bezüglich der Tätig-keit als Berufskraftfahrer keine gefährdende Schwingungsbelastung aufdeckbar.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung bei Dr. R2 und Oberarzt Dr. F1 , Fachärzte für Orthopädie und Rheumatologie am Krankenhaus für Orthopädie D ... Im Gutachten vom 22.09.1998 führten die Sachverständigen aus, die Spondylolisthesis L5/S1, die zur Spondylodese L5/S1 geführt habe, sei nicht auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückzuführen, es handele sich vielmehr um eine eigengesetzliche Erkrankung. Eine BK liege nicht vor.

Nach gewerbeärztlicher Stellungnahme durch Dipl.-Med. G1 vom 28.10.1998 verneinte die Beklagte mit Bescheid vom 06.01.1999 das Vorliegen der BK-Nrn. Nrn. 2108, 2109 und 2110 BKV.

Im Widerspruchsverfahren fertigte die Orthopädin Dr. F2 auf Veranlassung der Beklagten am 07.10.1999 ein weiteres Gutachten. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) liege bei dem Kläger nicht vor. Vielmehr leide der Kläger an einer Spondylolisthesis (Wirbelgleiten) im Bewegungssegment L5/S1. Dieser Gefügestörung liege eine Kontinuitätsunterbrechung der Interartikularportion zugrunde, was auf den Röntgenaufnahmen von 1986 zu erkennen sei. Es könne sich dabei um einen angeborenen Defekt handeln, wogegen jedoch die Abschrift eines Röntgenbefundes von 1972 spreche. Ätiologisch wahrscheinlicher sei aber eine anlagebedingte oder im Wachstum auftretende Formveränderung, die zu einer geringeren biomechanischen Belastbarkeit geführt habe. Die sich einstellende Verschmälerung des Zwischenwirbelraumes, die auch vor der opera-tiven Stabilisierung des Bewegungssegments vorgelegen habe, sei sekundärer Natur und als Folge des Gleitvorgangs zu interpretieren. Eine BK liege nicht vor.

Die Beklagte wies auf dieser Grundlage den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.1999 zurück.

Mit seiner am 20.01.2000 zum Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Sowohl seine Halswirbelsäulen(HWS) als auch seine LWS-Erkrankung sei durch die berufliche Tätigkeit verursacht. Noch 1975 seien Veränderungen der Wirbelsäule nicht nachweisbar gewesen. Seine Rückenschmerzen in den 1970er Jahren seien auf Attacken eines "Hexenschusses" zurückzuführen. Hierbei handele es sich um einen Muskelrheumatismus, der in keinem Zusammenhang mit dem 1986 diagnostizierten Wirbelgleiten stehe.

Für das SG hat Dr. L1 , Chefarzt der Klinik für Orthopädie des Klinikums A. , am 15.05.2002 ein Gutachten erstattet. Im Ergebnis der Begutachtung hat Dr. L1 einen Zustand nach spondylolytischer Spondylolisthesis L5/S1 Stadium II und operativer Versorgung im Sinne einer Reposition und intersomatischen Fusion diagnostiziert, ferner eine degenerativ bedingte zervikale Spinalkanalstenose bei Zustand nach Dekompression und ventrodorsaler Versteifung C3 bis C6 mit Residuen eines Radikulärsyndroms C5/C6 links. Bei der zuerst genannten Diagnose handele es sich um eine sekundäre monosegmentale Bandscheibenerkrankung im Segment L5/S1, die durch ein Gleiten des 5. Lendenwirbelkörpers (LWK) entstanden sei. Auch ohne zusätzliche äußere Einwirkungen führe das eingetretene Ventralgleiten des Wirbelkörpers zu einer Fehl- und Überlastung der Bandscheibe L5/S1 mit dem Ergebnis eines frühzeitigen Verschleißes. Es handele sich nicht um eine primäre Bandscheibenerkrankung der LWS, die ebenfalls ein Wirbelgleiten hervorrufen könne. Die LWS-Erkrankung sei nicht Folge der berufsbedingten Wirbelsäulenbelastung.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24.09.2002 abgewiesen. Unabhängig davon, ob eine BK unter Anwendung des Rechts der DDR oder des gesamtdeutschen Rechts geltend gemacht werde, lägen die entsprechenden Voraussetzungen nicht vor. Für das Recht der DDR (BK-Nr. 70 BKV/DDR) sei eine durch die Funktionsstörung erzwungene Aufgabe der Tätigkeit für das Jahr 1990 nicht belegt. Bei Anwendung des gesamtdeutschen Rechts (BK-Nrn. 2108 bis 2110 BKV) spreche gegen eine BK, dass zwischen der Aufgabe der letzten wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit zum 09.02.1990 und dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 11.07.1996 eine große Zeitspanne gelegen habe. Ferner spreche hinsichtlich der Erkrankung der LWS der dokumentierte Krankheitsverlauf seit den 1970er Jahren bei nachgewiesener Spondylolisthesis gegen einen Zusammenhang der sekundären, monosegmentalen Bandscheibenschädigung mit der beruflichen Belastung.

Gegen das dem Kläger am 28.10.2002 zugestellte Urteil hat dieser am 25.11.2002 Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt. Das SG habe die Voraussetzungen einer BK-Nr. 70 BKV/DDR fehlerhaft benannt. Zudem läge eine anlagebedingte Vorschä-digung nicht vor. Berufsbedingte Beschwerden seien erst ab 1986 aufgetreten. Ein anlage-bedingter Vorschaden sei nicht nachgewiesen.

Auf Veranlassung des Senats hat Prof. Dr. K1 , Facharzt für Chirurgie, am 30.08.2004 ein weiteres Gutachten erstattet. Da bei dem Kläger bis zum 22. Lebensjahr (1975) und mit Wahrscheinlichkeit auch bis zum 30. Lebensjahr (Oktober 1983) kein Wirbelgleiten bestanden habe, müsse die Möglichkeit der Einleitung des Gleitvorgangs durch wirbelsäu-lenbelastende Tätigkeiten bei der Kausalitätsbetrachtung in Betracht gezogen werden. Wiederholte Flexions- und Extensionsbewegungen und wiederholte Haltungen der LWS in verstärkter Lordose in Kombination mit Wirbelsäulenrotationen könnten als Ursache für die Entwicklung einer Spondylolyse im Erwachsenenalter angenommen werden. Aufgrund von Fehl- und Überbelastungen stellten sich Ermüdungsfrakturen der Wirbelbögen ein, aus denen bei Fortdauer der Überlastung Pseudoarthrosen oder Spondylolysen hervorgingen. Der Kläger habe die Türen der entladenen Kohlenwagen unter hohem Kraftaufwand durch ein ruckartiges Aufschwingen aus zunächst nach vorn gebeugter Haltung durch ruckartig kräftige Streckung und nach folgender Überstreckung der Wirbelsäule öffnen müssen. Ferner seien weitere Tätigkeiten auszuüben gewesen, die eine plötzliche Überstreckung der Wirbelsäule beinhalteten. Die Voraussetzungen einer BK-Nr. 70 BKV/DDR lägen beim Kläger vor, ebenso seien die Voraussetzungen für die BK-Nrn. 2108 und 2110 BKV zu bejahen. Nicht gegeben seien hingegen die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Ent-stehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der HWS im Sinne einer BK-Nr. 2109 BKV. Der Kläger habe nicht fortgesetzt schwere Lasten über 50 kg auf der Schulter getragen. Zudem bestehe eine knöcherne zervikale Spinalstenose.

Am 05.03.2005 hat Prof. Dr. K1 ergänzend Stellung genommen und ausgeführt, 1996 habe nicht nur eine primäre Bandscheibenschädigung im Bewegungssegment L5/S1 vorgelegen, vielmehr habe ausweislich der CT-Aufnahmen vom 11.07.1996 ebenfalls eine Protrusion der Bandscheibe im Segment L 4/5 bestanden. Als belastungsreaktive Veränderungen hätten sich bereits 1996 eine ventrale Spondylose Grad I an den Deckplatten des 4. und 5. LWK und eine Spondylarthrose im Segment L 3/4 ausgebildet. 1975 und 1983 sei bei dem Kläger kein ventrales Gleiten des 5. LWK nachweisbar gewesen, erstmalig am 07.05.1986 – mithin 15 Jahre nach Beginn der lendenwirbelsäulenbelastenden Tätigkeit – sei röntgenologisch ein ventrales Wirbelgleiten von 6 mm im Segment L5/S1 festgestellt worden. Die primäre Schädigung der Zwischenwirbelscheibe L5/S1 sei mit Wahrscheinlichkeit durch die berufsbedingte Über- und Fehlbelastung mit täglich wiederholten forcierten Hyperextensions- und Flexionsbewegungen der LWS und vertikaler Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen in jeder Arbeitsschicht eingetreten. Durch das Fortbestehen der schweren Hebetätigkeit, der abnormen Extensions- und Flexionsbewegungen und der vertikalen Einwirkungen von Ganzkörperschwingungen im Sitzen sei es zu einer Zermürbung der Zwischenwirbelscheiben im Bewegungssegment L5/S1 und in der Bandscheibe im Segment L4/5 in der Folgezeit gekommen. Hierdurch sei ein Wirbelgleiten eingetreten.

Am 26.05.2007 hat Prof. Dr. K1 erneut Stellung genommen und die vom Senat beigezogenen Röntgenaufnahmen auf der Grundlage der u.a. von Bolm-Audorff herausgegebenen "Medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule" (Trauma und Berufskrankheit 2005, S.211 – Konsensempfehlungen -) ausgewertet. Danach liege beim Kläger eine seit 1996 nachgewiesene altersuntypische Chondrose III. Grades im Segment L5/S1, eine bandscheibenerkrankungsbedingte Protrusion im Segment L4/5 und eine operative Ausräumung der Bandscheibe im Segment L5/S1 vor. Da bei dem Kläger bis zum 18. Lebensjahr eine Spondylolisthesis nicht nachgewiesen werden könne und bis zum 25. Lebensjahr keine Symptome eines lumbalen Wirbelgleitens bestanden hätten, sei eine BK anzuerkennen. Die 1972 aufgetretenen Beschwerden seien Folge eines Sturzes gewesen und auch die 1975 vorhandenen Gesäß- und LWS-Beschwerden seien unfallbedingt nach dem Sturz in einem Panzer aufgetreten. Erst 11 Jahre nach Beginn der beruflichen Ausbildung und im 27. Lebensjahr seien Rückenschmerzen dokumentiert, die nach einer beruflichen Tätigkeit aufgetreten seien, der Kläger habe sich dabei verhoben. Aus dem Röntgenbefund des Jahres 1975 sei eine degenerative Veränderung der Wirbelsäule nicht abzuleiten. Eine anlage-bedingte Störung im Bereich der Wirbelbögen und/oder ein Wirbelgleiten wäre mit Sicherheit erkannt worden. Unter Zugrundelegung der Konsensempfehlungen sei die Konstellation B2 anzunehmen. Erkennbare konkurrierende Ursachenfaktoren seien nicht gegeben, eine Begleitspondylose liege nicht vor. Die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS sei durch die berufsbedingte Exposition im Sinne der BK-Nrn. 2108 und 2110 BKV wesentlich verursacht. In der mündlichen Verhandlung vom 30.08.2007 hat der Senat Prof. Dr. K1 gehört. Am 15.09.2007, 15.12.2007 und 08.01.2008 hat der Sachverständige erneut ergänzend Stellung genommen.

Auf Veranlassung des Senats hat der TAD der Beklagten am 11.09.2007 eingeschätzt, der Kläger sei vom 01.01.1970 bis 31.12.1990 einer Gesamtbelastungsdosis im Sinne der BK-Nr. 2108 BKV von 29,3 x 106 Nh ausgesetzt gewesen. Eine zu berücksichtigende Einwir-kung im Sinne der BK-Nr. 2110 BKV könne dagegen nicht bestätigt werden. In seiner Stellungnahme vom 03.12.2007 hat er auf Nachfrage des Senats angegeben, angesichts der Tatsache, dass die höchste Belastung des Klägers im Zeitraum vom 01.01.1984 bis 31.12.1990 (16,8 x 106 Nh in sieben Jahren) stattgefunden habe, könne von einer beson-ders intensiven Belastung im Sinne der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen gesprochen werden.

Veranlasst durch den Senat hat der Orthopäde Dr. W1 am 15.10.2007 ein Gutachten nach Aktenlage gefertigt. Beim Kläger liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Segment L5/S1 vor. Hierbei handle es sich jedoch nicht um einen primären Bandschei-benschaden. Vielmehr sei dieser Bandscheibenschaden Folge der Spondylolisthesis Grad I. Da die Röntgenaufnahmen von 1975 nicht auffindbar seien, sei die Diagnose der Spondy-lolisthesis erst aufgrund der Röntgenaufnahmen von 1986 sicher diagnostizierbar. Wann die Spondylolisthesis tatsächlich aufgetreten sei, bleibe Spekulation. Sicher sei, dass das Ventralgleiten von 1986 bis 1996 von 6 mm auf 10 mm zugenommen habe. Es wäre denkbar, dass im Jahre 1975 nur eine Spondylolyse bei L5/S1 ohne jegliches Wirbelgleiten vorgelegen habe. Ein Zwang zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit habe seit der Verstei-fungsoperation 1996 bestanden. Die berufliche Wirbelsäulenbelastung des Klägers sei nicht wesentliche Ursache der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Zwar spreche der Bandscheibenschaden am Segment L5/S1 für eine beruflich verursachte Erkrankung. Gegen eine berufliche Verursachung spreche jedoch, dass die degenerativen Veränderun-gen der HWS größer als die der LWS seien. Zudem bestehe keine Begleitspondylose. Auch betreffe die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS lediglich das Segment, in dem auch das Wirbelgleiten auftrete. Eine sekundäre Spondylolyse bei primärem Bandscheibenschaden wäre eine Rarität, die nur dann anzunehmen wäre, wenn zunächst ein wesentlicher Bandscheibenschaden ohne Spondylolyse gesichert wäre und erst später eine Spondylolyse sichtbar geworden wäre. Die Praxis zeige jedoch bei wesentlichen degenerativen Veränderungen regelmäßig eine Pseudospondylolisthesis (Gleiten ohne Spondylolyse). Das lasse mit überwiegender Wahrscheinlichkeit lediglich den Schluss zu, dass eine Spondylolyse primär bestanden habe. Es sei vorliegend eine Konstellation B5 nach den Konsensempfehlungen gegeben. Der Kausalzusammenhang zur beruflichen Tätigkeit sei ausgeschlossen. Angesichts der Spondylolisthesis komme jedoch auch die Konstellation B10 in Betracht.

Der TAD der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen hat am 08.11.2007 eingeschätzt, der Kläger sei im Zeitraum vom 07.06.1993 bis 30.04.1994 gefährdend im Sinne der BK-Nr. 2110 BKV tätig gewesen. Es sei eine Gesamtbelastungsdosis von 109 erreicht worden. Der Richtwert liege bei 1450. Im Zeitraum vom 01.08.1994 bis 30.11.1995 sei er einer Gesamtbelastungsdosis i.S.d. BK-Nr. 2108 NKV von 1,3 x 106 Nh ausgesetzt gewesen. Am 21.12.2007 hat der o.g. TAD auf Veranlassung des Senats angegeben, der Kläger habe im Zeitraum vom 07.06.1993 bis 30.11.1995 keine schweren Lasten i.S.d. Merkblatts zur BK-Nr. 2108 BKV gehoben und getragen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 24.09.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 06.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.1999 aufzuheben und festzustellen, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung des Klägers eine Berufskrankheit der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung ist, hilfsweise eine Berufskrankheit der Nr. 2108/2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung darstellt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte erachtet das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis für zutreffend.

Dem Senat liegen die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vor. Ihr Inhalt war Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Daher sind das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 24.09.2002 sowie der Bescheid der Beklagten vom 06.01.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.1999 aufzuheben. Es ist festzustellen, dass beim Kläger eine Berufskrankheit der Nr. 2108 der Anlage zur Be-rufskrankheitenverordnung vorliegt.

I.

Die Berufung des Klägers ist begründet. Die Klage war zulässig. Die auf Feststellung einer BK gerichtete Klage ist bei sinnentsprechender Auslegung nicht als Leistungsklage, sondern als Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG aufzufassen, mit der die gerichtli-che Feststellung erreicht werden soll, dass die streitige Erkrankung eine BK ist (BSG SozR 2200 § 551 Nr. 35 S. 67 f.; SozR 4-2700 § 2 Nr. 2 Rn. 4; SozR 4-2700 § 2 Nr. 3 Rn. 4-5; SozR 4-2700 § 8 Nr. 16 Rn. 10). Eine Verurteilung des Versicherungsträgers darüber hinaus, etwa "die gesetzlichen Leistungen zu erbringen", kommt nicht in Betracht, hierbei handelt es sich um ein unzulässiges Grundurteil ohne vollstreckungsfähigen Inhalt, dem neben dem Feststellungsausspruch keine eigenständige Bedeutung zukommt (siehe zu al-ledem BSG, Urteil vom 07.09. 2004 - SozR 4-2700 § 8 Nr. 6 Rn. 6 m.w.N. und BSG, Urteil vom 30.01.2007, Az.: B 2 U 6/06 R).

II.

Die Klage war auch begründet. Beim Kläger liegt seit 01.12.1995 der Versicherungsfall einer BK-Nr. 2108 BKV vor. Die Chondrose III. Grades am Segment L 5/S1 ist Folge die-ser BK.

Vorliegend ist die BK-Nr. 2108 BKV i. V. m. § 551 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) maßgeblich, weil der Versicherungsfall am 01.12.1995, mithin vor dem 01.01.1997, eingetreten ist.

Der Kläger hat die gefährdende Tätigkeit am 01.12.1995 völlig aufgegeben. Ab diesem Zeitpunkt war er arbeitsunfähig erkrankt und hat hiernach auch nicht wieder eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit ausgeübt, so dass als Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungs-falls nur der 01.12.1995 in Betracht kommt. Die vollständige Aufgabe der schädigenden Tätigkeit (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 19.08.2003 – B 2 U 27/02 R -) lag nicht bereits 1990 vor. Ausweislich der Stellungnahme des TAD der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen vom 05.11.2007 war der Kläger im Zeitraum vom 01.08.1994 bis 30.11.1995 Belastungen im Sinne der BK-Nr. 2108 BKV ausgesetzt. Zudem hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 30.08.2007 glaubhaft angegeben, von 1993 bis 1995 noch Käselaibe eines Gewichts bis 70 kg hin und wieder getragen zu haben. Ferner war der Kläger ausweislich der Stellungnahme des TAD der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen im Zeitraum vom 07.06.1993 bis 30.04.1994 gegenüber ausreichenden Belastungen im Sinne einer BK-Nr. 2110 BKV, die dasselbe Zielorgan wie die BK-Nr. 2108 BKV hat, exponiert.

Eine Berufskrankheit nach BK-Nr. 2108 BKV liegt vor, wenn der Versicherte an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS leidet, die durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verursacht worden ist, und der Versicherte durch die Erkrankung gezwungen wird, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die ursächlich für die Entstehung oder die Verschlimmerung dieser Erkrankung waren oder noch ursächlich sein können.

Für das Vorliegen der BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (so genannte haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Tätigkeit und der Erkrankung andererseits (so genannte haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht gel-tenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2000 - B 2 U 34/99 R -).

1. Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben war der Kläger einer ausreichenden beruflichen Einwirkung i.S.d. BK-Nr. 2108 BKV ausgesetzt. Die Feststellungen der TAD haben ergeben, dass die Voraussetzung eines langjährigen Hebens und Tragens schwerer Lasten im Sinne der BK-Nr. 2108 BKV beim Kläger erfüllt ist. Aufgrund der Ermittlungen der TAD und der Angaben des Klägers ist der Senat im Sinne des Vollbeweises davon überzeugt, dass der Kläger von 1970 bis 1990 und vom 01.08.1994 bis 30.11.1995 langjährig schwer gehoben und getragen hat und die Dosis im als gesundheitsschädigend anzusehenden Bereich liegt. Nach den Ermittlungen der TAD war der Kläger einer beruflichen Gesamtbelastungsdosis von 30,6 x 106 Nh (29,3 + 1,3 x 106 Nh) ausgesetzt. Damit wurde der Richtwert deutlich überschritten. Ernsthafte Gesichtspunkte, die hiergegen sprechen könnten, sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht dargetan worden. Daneben war der Kläger von 1984 bis 1990 und vom 07.06.1993 bis 30.04.1994 gegenüber Ganzkörperschwingungen exponiert.

Der Kläger war jedoch ausweislich der Feststellungen des TAD der Beklagten nicht langjährig im Sinne einer BK-Nr. 2110 BKV Ganzkörperschwingungen ausgesetzt. Zwar bestanden ausweislich der Stellungnahme des TAD der Beklagten vom 18.09.2007 im Zeitraum von 1984 bis 1990 Ganzkörperschwingungen, diese erreichten jedoch nicht die für die BK-Nr. 2110 BKV geforderte Beurteilungsbeschleunigung (vgl. Mehrtens/Bran-denburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand: 11/2006, M 2110, S. 9). Daher kommt eine BK-Nr. 2110 BKV nicht in Betracht.

2. Der Kläger leidet auch an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Dies haben die Gutachter Prof. Dr. K1 und Dr. W1 übereinstimmend zur vollen Überzeugung des Senats festgestellt. Hiernach besteht beim Kläger eine Chondrose III. Grades im Segment L5/S1. Die Sachverständigen Prof. Dr. K1 und Dr. W1 gehen übereinstimmend davon aus, dass der Kläger bereits zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit unter dieser bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS litt. Aus dem Gutachten von Dr. W1 geht das insoweit hervor, als er eine Konstellation B 10 oder B 5 des Konsensempfehlungen annimmt, die beide eine zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit bestehende bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS voraussetzen.

3. Diese bandscheibenbedingte Erkrankung ist schließlich mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit des Klägers wesentlich (mit)verursacht. Maßgeblich bei der Beurteilung ist der Befund zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit (hier: 01.12.1995, vgl. Bolm-Audorff u. a., Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211, 214). Zu diesem Zeitpunkt war der 1953 geborene Kläger 42 Jahre alt. Nach übereinstimmender Auswertung der zeitnah zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit erstellten Röntgenaufnahmen vom 18.11.1996 durch Prof. Dr. K1 und Dr. W1 litt der Kläger – wie oben bereits ausgeführt – an einer Chondrose III. Grades des Segments L5/S1.

a) Eine gegenüber der beruflichen Verursachung konkurrierende Ursache liegt nicht im Sinne des Vollbeweises vor. Der Kläger litt nach den übereinstimmenden Feststellungen von Prof. Dr. K1 in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, Dr. W1 sowie Dr. F2 an einer seit 07.05.1986 röntgenologisch nachgewiesenen Spondylolisthesis L5/S1 I. Grades. Diese lag nach den ebenso übereinstimmenden Feststellungen von Prof. Dr. K1 , Dr. W1 und Dr. F2 auch zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit noch vor. Nach den Konsensempfehlungen ist eine Spondylolisthesis größer/gleich Schweregrad II nach Meyerding regelmäßig nicht Folge einer BK. Eine Spondylolisthesis vom Typ Meyerding größer/gleich Schweregrad II lag beim Kläger nach den übereinstimmenden abschließenden Stellungnahmen von Prof. Dr. K1 , Dr. F2 und Dr. W1 nicht vor. Viel-mehr litt der Kläger lediglich an einer Spondylolisthesis Schweregrad I. Bei einer solchen kommt nach den Konsensempfehlungen, sofern bis zum 25. Lebensjahr keine Symptome bestanden, die Anerkennung einer BK in Betracht (Bolm-Audorff, a. a. O., S. 230).

Bei dem am 28.05.1953 geborenen Kläger sind zwar bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres (28.05.1978) Symptome im Sinne eines lokalen LWS-Syndroms aufgetreten. Ausweislich der Krankenunterlagen der Betriebsärztin des Klägers ist am 31.01.1972 ein "Schmerz im Kreuz seit 1 Woche" vermerkt. Unter dem 10.02.1972 sind "Kreuzschmerzen" angegeben. Unter dem 19.05.1977 wird von "rezid. Kreuzschmerzen" berichtet. Zudem ist bei der betriebsärztlichen Reihenuntersuchung vom 02.06.1977 ein "rezid. Lumbago" diagnostiziert worden. Ausweislich der Sozialversicherungsausweise des Klägers be-stand vom 06.12.1977 bis 14.12.1977 Arbeitsunfähigkeit wegen nicht näher bezeichneter Krankheiten des Rückens (Diagnose-Nr. 724). Nach dem Gutachten und den Erläuterungen von Prof. Dr. K1 in der mündlichen Verhandlung vom 30.08.2007 war den Behandlun-gen im Jahr 1972 jedoch ein Sturz auf das Gesäß im Januar 1972 vorausgegangen. Ein weiterer Sturz auf das Gesäß hatte sich im April 1975 ereignet.

Tatsache ist zudem, dass die Spondylolisthesis erst im Rahmen der Röntgenuntersuchung vom 07.05.1986 festgestellt wurde. Bei der Röntgenuntersuchung am 30.04.1975 konnte ausweislich des Befundes von Dr. S1 keine derartige Erkrankung erhoben werden. Dass eine Spondylolisthesis vor 1986 bereits vorlag und die aufgetretenen Symptome ihr zuzuordnen sind, ist folglich nicht sicher feststellbar. Im Übrigen hat die Betriebsärztin des Klägers die Beschwerden auf die beim Kläger bestehende s-förmige Skoliose zurückgeführt.

Als Ursache einer Spondylolisthesis kommt neben einer prädiskotischen Deformität (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Auflage, S. 1571; Krämer, Bandscheibenbedingte Erkrankungen, 4. Auflage, S. 57) auch eine mechanische Überbeanspruchung in Betracht (Pschyrembel, a. a. O.). 1986 war der Kläger bereits seit 15 Jahren einer erheblichen beruflichen Belastung im Sinne einer BK-Nr. 2108 BKV ausgesetzt. Das steht zur Überzeugung des Senats auf Grund der Stellungnahme des TAD vom 11.09.2007 fest.

Da folglich nicht im Sinne des Vollbeweises festzustellen ist, dass die Spondylolisthesis bereits bis zum 25. Lebensjahr vorhanden war und darauf das in diesem Zeitraum aufgetretene lokale Lumbalsyndrom zurückzuführen ist, hat die Beklagte – es handelt sich um eine anspruchshindernde Einwendung – die Nachteile hieraus zu tragen (BSG, Urteil vom 06.12.1989 – 2 RU 7/89 –; Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 5. Auflage, S.80).

b) Der Senat ist gestützt auf die schlüssigen und nachvollziehbaren Einschätzungen von Prof. Dr. K1 davon überzeugt, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS des Klägers – mangels alternativer Ursache – wesentlich durch die berufliche Tätigkeit des Klä-gers verursacht ist.

aa) Das steht in Übereinstimmung mit den Konsensempfehlungen. Diese stellen für den Senat eine für die Beurteilung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS relevante Grundlage dar, indem sie den derzeit aktuellen Stand der medizinischen Lehrmeinung auf diesem Gebiet wiedergeben. Es ist vorliegend von einer B-Konstellation (Bolm-Audorff u.a., a.a.O., S. 217 f.) auszugehen, weil die bandscheibenbedingte Erkrankung lediglich das Segment L5/S1 betrifft und der Ausprägungsgrad der Chondrose mindestens Grad II ist (Bolm-Audorff, a. a. O., S. 217).

bb) Eine Begleitspondylose (vgl. zur Definition Bolm-Audorff, a. a. O., S. 216 f.) lag zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit nicht vor. Das haben zur Überzeugung des Senats übereinstimmend Prof. Dr. K1 und Dr. W1 festgestellt.

cc) Ein "black disk" konnte zwar zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit nicht nachgewiesen werden. Jedoch bestand ausweislich der Stellungnahme des TAD vom 11.09.2007 ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen (Konstel-lation B2, 3. Anstrich). So betrug die Tagesdosis vom 01.01.1976 bis 31.12.1983 7,1 x 103 Nh. Vom 01.01.1984 bis 31.12.1990 bei der Bekohlung im Sommerbau lag sie bei 7 x 103 Nh und bei der Bekohlung im Winterbau im gleichen Zeitraum sogar bei 14,8 x 103 Nh (vgl. Bolm-Audorff, a. a. O., S. 217). Zudem bestand – wie vom TAD der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 03.12.2007 ausgeführt – eine besonders intensive Belastung des Klägers im Sinne des 2. Anstriches der Konstellation B2 der Konsensempfehlungen im Zeitraum vom 01.01.1984 bis 31.12.1990. In sieben Jahren wurde eine Belastungsdosis von 16,8 x 106 Nh erreicht. Diese Belastung reicht nach der ständigen Rechtsprechung des Sächsischen LSG bereits aus, um eine ausreichende Einwirkung im Sinne der BK-Nr. 2108 BKV zu bejahen (Sächsisches LSG, Teilurteil vom 24.06.2004 – L 2 U 54/03 –; vgl. auch BSG, Urteil vom 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R –).

dd) Es kann schließlich nicht i.S.d. Vollbeweises nachgewiesen werden, dass beim Kläger zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit an der HWS ein Bandscheibenschaden bestand, der stärker oder gleich stark ausgeprägt war wie derjenige an der LWS. Das steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. K1 vom 08.01.2007 fest. Für den Vergleich des Befalls der LWS und der HWS sind nach den Konsensempfehlungen die Chondrosen und Vorfälle maßgeblich (Bolm-Audorff, a. a. O., S. 220).

Auf der Röntgenaufnahme vom 16.09.1997 hat Prof. Dr. K1 "degenerative Veränderungen in den Segmenten C4 bis C7 mit Verschmälerung des ZWR, eine Osteochondrose im Segment C5/6 und ventrale sowie dorsale Randzackenbildungen" diagnostiziert. Die Rönt-genaufnahmen vom 30.09.1997 zeigen nach der Auswertung von Prof. Dr. K1 lediglich eine Chondrose I. Grades der Segmente C 3/4 und C 4/5. Die CT-Aufnahmen vom 27.05.1997 und 10.09.1997 wertete Prof. Dr. K1 in Übereinstimmung mit den Radiologen 1 Dr. A1 und G2 dahingehend aus, es sei ein Bandscheibenvorfall am Segment C 4/5 sichtbar. Das MRT der HWS vom 16.09.1997 zeigte ausweislich der Auswertung durch Prof. Dr. K1 hingegen keine Bandscheibenveränderung. Diese Auswertung deckt sich mit dem im Arztbrief der Zentralklinik B. vom 19.11.1997 wiedergegebenen Befund.

In dem genannten Arztbrief wird ferner von einer am 30.09.1997 durchgeführten cervikalen Myelografie berichtet, bei der ein Bandscheibenvorfall an der HWS ebenfalls nicht gefunden werden konnte.

Dr. F2 hat auf der Röntgenaufnahme der HWS vom 22.02.1992 eine Kyphose der mittleren HWS, deutliche degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke C4 bis C6 und eine Osteochondrose C5/6 erkannt. Auf der HWS-Aufnahme vom 18.11.1996 hat er eine deutliche Zunahme der degenerativen Veränderungen am Segment C5/6 diagnostiziert, "an der sich ausladende ventrale Osteophyten ausgebildet haben". Er hat auf der Röntgenaufnahme der HWS vom 08.07.1998 zudem eine Zwischenwirbelraumverschmälerung C6/7 erkannt.

Dr. L1 hat in Auswertung der Röntgenaufnahme der HWS vom 18.11.1996 eine knöcherne Spinalkanalstenose, eine Osteochondrose intervertebralis, eine Spondylosis deformans und eine Uncovertebralarthrose der Segmente C4 abwärts festgestellt.

Gestützt auf die Stellungnahme von Prof. Dr. K1 vom 08.01.2008 geht der Senat davon aus, dass beim Kläger zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit ein Bandscheibenprolaps am Segment C 4/5 nicht i.S.d. Vollbeweises nachgewiesen ist, weil die Diagnostik mittels MRT der mittels CT überlegen ist. Bei der MRT-Untersuchung handelt es sich ausweislich der o.g. Stellungnahme von Prof. Dr. K1 um das spezifischere Verfahren mit einer dem CT überlegenen Weichteildifferenzierung. Zudem konnte auch die cervikale Myelografie einen Bandscheibenprolaps nicht bestätigen.

Beim Kläger lag daher zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit mithin eine Chondrose III. Grades der LWS am Segment L5/S1 vor, während an der HWS lediglich alterstypische Chondrosen I. Grades an zwei Segmenten nachgewiesen waren. ee) Angesichts dessen überzeugt die Einschätzung von Prof. Dr. K1 , der eine wesentliche Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS des Klägers durch seine berufliche Tätigkeit annimmt, den Senat. Sie steht in Übereinstimmung mit den Konsensempfehlungen (Konstellation B 4).

ff) Die Tatsache, dass der Kläger die schädigende Tätigkeit zum 01.12.1995 aufgegeben hat, und erst auf den Röntgenaufnahmen vom 18.11.1996 eine Chondrose III. Grades nachweisbar ist, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Nach den Konsensempfehlungen ist der Befund zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit maßgebend (Bolm-Audorff u.a., a.a.O., S.214). Das bedeutet, dass bei der Feststellung einer bandscheibenbedingten Erekrankung der LWS auf die Röntgenaufnahme, die am zeitnahesten zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit erstellt wurde, abzustellen ist. Das ist vorliegend die Aufnahme vom 18.11.1996.

Dieses Ergebnis wird auch dadurch bestätigt, dass bei der CT-Untersuchung vom 11.07.1996 ausweislich der übereinstimmenden Auswertung durch Prof. Dr. K1 und Dr. F2 ebenfalls eine "massive Bandscheibenerniedrigung" bei L5/S1 festgestellt wurde. Zudem war der Kläger nach den Krankenunterlagen seines Hausarztes im Zeitraum von 1992 bis 1996 in regelmäßiger Behandlung wegen seiner LWS-Erkrankung. Für den Senat besteht daher keinerlei Zweifel daran, dass beim Kläger in diesem Zeitraum auch ein klini-sches Beschwerdebild vorhanden war.

Aus dem von der Beklagten zitierten Urteil des BSG vom 31.05.2005 –B 2 U 12/04 R–- ergibt sich nichts anders. Zudem sind nach der Verkündung dieses Urteils die Konsensempfehlungen, die eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Einzelnen definieren, veröf-fentlicht worden. Diese geben auch nach der Rechtsprechung des BSG den derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse zu den BK-Nrn. 2108 und 2110 BKV wieder (BSG, Urteil vom 27.06.2007 – B 2 U 13/05 R –).

4. Beim Kläger bestand nach den schlüssigen Ausführungen von Prof. Dr. K1 ein Zwang zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22.08.2000 – B 2 U 34/00 –, zitiert nach Juris, Rdnr. 24) setzt ein solcher voraus, dass die Tätigkeit, die zu der Erkrankung geführt hat, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden soll und der Versicherte die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich objektiv aufgegeben hat, wobei es auf das Motiv des Versicherten nicht ankommt. Diese Voraussetzungen sind beim Kläger seit 01.12.1995 erfüllt, weil der Kläger zu diesem Zeitpunkt die schädigende Tätigkeit aufgegeben hat. Für seine bis dahin ausgeübte Tätigkeit war er nur noch unter starken Einschränkungen ein-setzbar. Bereits am 03.10.1988 hatte die Betriebsärztin den Gesundheitszustand des Klägers wegen des Gleitwirbels mit chronischem Lumbago als nur noch bedingt tauglich für den Meisterberuf eingeschätzt. Sie hatte Rückenschmerzen beim längeren Stehen, beim Raupenfahren und beim schweren Heben (ca. 15 kg) dokumentiert. Zum Zeitpunkt der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit war der Kläger häufig wegen Lumbago in ärztlicher Behandlung. Für mehre Zeiträume vor dem 01.12.1995 lagen Arbeitsunfähigkeitsbeschei-nigungen wegen Erkrankungen des Rückens bzw. Bandscheibenkrankheit vor. Am 26.11.1996 erfolgte schließlich die Operation des Segments L5/S1.

III.

Für das Feststellungs- und Entschädigungsverfahren ist die Beklagte zuständig, weil sie gemäß § 3 der Vereinbarung über die Zuständigkeit bei Berufskrankheiten vom 01.04.1994 in der Fassung vom 01.01.1997 (in: Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand: 11/2006, F 1) der Versicherungsträger ist, auf den die letzte gefährdende Tätigkeit (§ 134 SGB VII) vor der Meldung im Sinne dieser Vereinbarung entfällt. Beschäftigungsverhältnisse von weniger als drei Monaten bleiben außer Betracht, es sei denn, es handelt sich um die ausschließliche Gefährdungszeit. Als gefährdende Tätigkeiten im Sinne der Vereinbarung gelten gemäß § 2 der Vereinbarung alle Arbeiten in einem Unternehmen unter Einwirkungen/Bedingungen, die ihrer Art nach geeignet waren, die BK zu verursachen. Die Beurtei-lung erfolgt nach objektiven Kriterien entsprechend dem aktuellen Stand der wissenschaft-lichen Erkenntnisse.

Da der Versicherungsfall der Beklagten vor dem 01.04.2002 (vgl. hierzu Punkt 5.1 der Arbeitsanleitung zur o.g. Vereinbarung, a. a. O., S. 7) – hier: 15.04.2007 – gemeldet worden ist, sind nach Punkt 5.2 der Arbeitsanleitung die im Merkblatt genannten Lastgewich-te/Arbeitsbedingungen maßgeblich. Nach dem Merkblatt zur BK-Nr. 2108 BKV lagen die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK vor, wenn Männer zwischen dem 18. und 39. Lebensjahr Lasten von größer/gleich 25 kg, ab dem 50. Lebensjahr von 20 kg gehoben oder getragen haben.

Der Kläger hat ausweislich der Stellungnahme des TAD der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen vom 21.12.2007 im Zeitraum vom 07.06.1993 bis 30.11.1995 nicht in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten Lasten von 20 kg und mehr gehoben bzw. getragen. Damit lag die letzte gefährdende Tätigkeit im Sinne der Kriterien des Merkblatts im Zeitraum bis 30.12.1990 vor (Stellungnahmen des TAD der Beklagten vom 11.09.2007 und 11.12.1997). Daher ist die Beklagte der für das Feststellungs- und Entschädigungsverfahren zuständige Unfallversicherungsträger

Nach alledem waren Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben und festzustellen, dass beim Kläger seit 01.12.1995 eine BK-Nr. 2108 BKV vorliegt.

IV.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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