L 14 KG 9/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 KG 42/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 KG 9/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 9. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf nachträgliche Zahlung des Kindergelds für ein Kind im Zeitraum vom 01.01. bis 30.04.2002.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte (in folgendem nur als Klägerin bezeichnet), eine italienische Staatsangehörige mit Wohnsitz in ihrem Heimatland, bezog als Witwe ihres in der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeiter versicherten und im Oktober 1991 verstorbenen Ehegatten große Witwenrente und (neben Waisenrenten) Kindergeld für zunächst zwei Kinder und ab 01.03.1999 nur noch Kindergeld für den 1986 geborenen G. (Bescheid vom 13.03.2000).

Mit Schreiben vom 14.09.2001 übersandte die Beklagte und Berufungsklägerin (im folgenden nur Beklagte genannt) dem P. , das seit 1991 für die Klägerin im Hinterbliebenenverfahren und seit 1994 in Kindergeldangelegenheiten tätig gewesen ist (Vollmacht für die Kindergeldangelegenheit vom 17.08.1994), zur Kontrolle der weiteren Kindergeldberechtigung der Klägerin den zweisprachigen Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld (von der Klägerin auszufüllendes und zu unterschreibendes Formblatt KG 71 R-I) und das zweisprachige Formblatt E 401-I (von der Wohngemeinde auszustellende bzw. zu bestätigende Familienstandsbescheinigung) mit der Bitte um Erledigung bis zum 30.10.2001. Mit Schreiben vom 31.10.2001 mahnte die Beklagte die Einreichung der Unterlagen an und wies darauf hin, dass das "beantragte" (?) Kindergeld gemäß § 66 Abs.1 und Abs.3 Sozialgesetzbuch Teil I (SGB I) entzogen und die Zahlung insoweit eingestellt werde, wenn das Schreiben vom 14.09.2001 nicht bis zum 30.11.2001 erledigt werde. Nachdem kein Eingang bei der Beklagten zu verzeichnen war, teilte diese der Klägerin mit Bescheid vom 14.12.2001 mit, das Kindergeld werde nunmehr ab Januar 2002 ganz entzogen, und zwar solange, bis sie die erforderlichen Nachweise erbracht habe (§ 66 SGB I). Bei einer späteren Nachholung der Mitwirkung komme eine Nachzahlung des Kindergelds nur in Ausnahmefällen in Betracht. Diese Entscheidung ergehe im pflichtgemäßen Ermessen unter gebührender Berücksichtigung des Einzelfalles. Wegen Verstoßes gegen die Mitwirkungspflicht sei die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert worden (Rechtsmittelbelehrung: binnen drei Monaten einzulegender Widerspruch).

Am 10.05.2002 ging bei der Beklagten das Schreiben des P. vom 30.04.2002 ein, mit dem unter Bezug auf "Ihr Schreiben vom 14.12.2001" der von der Klägerin ausgefüllte und unter dem 04.04.2002 unterschriebene Fragebogen und die von der Gemeindeverwaltung L. am 19.12.2001 ausgestellte Familienstandsbescheinigung übersandt wurden.

Die Beklagte erteilte daraufhin den das Kindergeld für G. ab 01.05.2002 in Höhe von 154,00 EUR monatlich bewilligenden Bescheid vom 02.07.2002 (Rechtsbehelfsfrist: drei Monate). Zugleich erging gesondert das Schreiben vom 02.07.2002, in dem mitgeteilt wurde, dass die Zahlung ab Mai 2002 erfolge, weil die Klägerin die erforderliche Mitwirkung nunmehr nachgeholt habe. Eine rückwirkende Zahlung des Kindergelds für die Zeit von Januar bis April 2002 komme in Betracht, wenn die Klägerin für die Versäumung der rechtzeitigen Mitwirkung einen wichtigen Grund gehabt habe oder wenn die Versagung der rückwirkenden Kindergeldbewilligung zu einer wirtschaftlichen Notlage führen würde (§ 67 SGB I). Es werde ihr Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern und im Falle einer wirtschaftlichen Notlage die Einkommens- und Vermögensverhältnisse darzulegen.

Die Klägerin äußerte sich hierzu nicht, sondern brachte im Hinblick auf ein weiteres Schreiben der Beklagten mit anderem Datum Unterlagen für die Weiterzahlung des Kindergelds ab Januar 2003 bei.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 08.11.2002 lehnte die Beklagte die rückwirkende Zahlung des Kindergelds gemäß § 67 SGB I ab, weil die Klägerin für die Versäumung keinen wichtigen Grund gehabt habe. Nach Aktenlage bestünden keine Anhaltspunkte, dass sie durch die Versagung des Kindergelds in wirtschaftliche Not geraten sei (Rechtsbehelfsbelehrung: binnen drei Monaten einzulegender Widerspruch). Der Bescheid wurde dem P. mit Begleitschreiben vom 08.11.2002 zur Kenntnisnahme mit der Bitte um Weiterleitung an die Klägerin gesandt.

Daraufhin bat das P. die Beklagte, den Bescheid vom 08.11.2002 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Teil X (SGB X) zurückzunehmen, weil das Recht unrichtig angewandt worden sei. Die Klägerin treffe keine Säumnis; es sei allbekannt, dass es nicht leicht sei, vom I. die Vordrucke E 411 ausfüllen zu lassen (Schreiben vom 18.12.2002, eingegangen bei der Beklagten am 19.12.2002). Dies wertete die Beklagte als Widerspruch. Ihre Rechtsbehelfsstelle erteilte den ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 20.11.2003, der sich darauf stützt, dass die ehemals der Klägerin übersandte Familienstandsbescheinigung von der Gemeinde am 19.12.2001 bestätigt worden und der nur von der Klägerin auszufüllende und zu unterschreibende Fragebogen von dieser am 04.04.2002 unterzeichnet worden sei; beides sei erst am 10.05.2002 eingereicht worden. Das I. habe mit der Ausfüllung oder Bestätigung der Unterlagen nichts zu tun gehabt.

Die anschließende Klage vor dem Sozialgericht Nürnberg stützte der Bevollmächtigte der KLägerin erneut auf die Behauptung, die der Klägerin angelastete Pflichtverletzung liege nicht vor; der Beklagten habe der ausgefüllte Vordruck E 411 gefehlt, ein Vordruck, den die Beklagte beim I. und nicht bei der Klägerin hätte anfordern müssen. Dieser Vordruck E 411 habe die Klägerin tatsächlich mit Schreiben vom 06.10.2003 (?) verspätet eingereicht. Infolgedessen lägen die Voraussetzungen für die Versagung der Leistung nicht vor.

Das Sozialgericht hob den Bescheid vom 08.11.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2003 auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin Kindergeld von Januar bis April 2002 in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Es begründete seine Entscheidung damit, dass bei nachgeholter Mitwirkung in Fällen der Auslandsberührung, z.B. bei verspätet vorgelegter Familienstandsbescheinigung, die entzogene oder versagte Leistung grundsätzlich zu gewähren sei, wenn aufgrund der nachgeholten Mitwirkung erkennbar sei, dass der Anspruch bestehe. Sei kein (aufwendiges) Verwaltungsverfahren durchzuführen, um die Leistungsvoraussetzungen in dem Zeitraum, in dem die Leistung entzogen wurde, festzustellen und liege - wie hier - eine erstmalige Versäumung der Mitwirkungspflicht vor, bestehe kein Grund zur endgültigen Versagung der Leistung. Die von Seiten der Beklagten in den Vordergrund gestellten Voraussetzungen, es müsse für die Verletzung der Mitwirkungspflicht "ein wichtiger Grund" vorgelegen haben oder die endgültige Versagung der Leistung müsse zu einer "wirtschaftlichen Notlage" geführt haben, fänden in der Gesetzesfassung des § 67 SGB I keinen Niederschlag. Es sei vielmehr so, dass in jedem Fall die Leistung erbracht werden müsse, wenn ein wichtiger Grund für die verspätete Mitwirkung vorliege bzw. eine wirtschaftliche Notlage durch die Versagung der Leistung eingetreten sei. Die vorbezeichneten Umstände seien jedoch keine Tatbestandsvoraussetzungen, sondern Umstände, die im Rahmen der Ermessensausübung eine Rolle spielten. Im vorliegenden Fall liege jedoch kein Umstand vor, der im Ergebnis zu Lasten der Klägerin gehe; § 67 SGB I sei keine Sanktionsvorschrift, mit der Antragsteller oder Leistungsbezieher für ein aufwendiges Verwaltungsverfahren bestraft werden dürften. Vorliegend sei das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert, und diese müsse die versagte Leistung nachträglich erbringen.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung bringt die Beklagte vor, § 67 Abs.1 SGB I erfordere eine Ermessensentscheidung über die rückwirkende Bewilligung, wobei alle Umstände des Einzelfalles abzuwägen seien. Grundsätzlich könne die Ablehnung einer rückwirkenden Leistungserbringung angebracht sein, wenn die Kindergeldberechtigte das Unterlassen der fristgerechten Mitwirkung nicht ausreichend begründen könne und keine Anhaltspunkte vorlägen, dass sie durch die zeitweise Unterbrechung der Leistung in wirtschaftliche Not geraten sei (Bundesverwaltungsgericht = BVerwG vom 17.01.1985 - 5 C 133.81). Hinweisen des Senats auf nicht beachtete Ermessensgesichtspunkte stimmt die Beklagte nicht zu: sie legt auf Aufforderung ihre internen Verwaltungsvorschriften zur Ausübung des Ermessens (DA 109.65 vom Juni 2000) vor. Die Klagepartei trägt nunmehr vor, das P. habe sich am 01.10.2001 und am 27.11.2001 an die Klägerin gewandt, weil die Klägerin den Nichterhalt des Schreibens vom 01.10.2001 mitgeteilt habe. Die Unterlagen (E 401) seien beim P. am 28.01.2002 eingegangen, aber nicht vollständig und richtig ausgefüllt gewesen. Am 05.02.2002 habe die Klägerin nochmals geschrieben, unter dem 18.03.2002 sei sie vom P. erneut wegen Unrichtigkeit und Unvollständigkeit der Angaben angeschrieben worden. Erst am 15.04.2002 seien dann die Unterlagen beim P. eingegangen und an die Beklagte weitergeleitet worden. Hierzu legt das P. Kopien seines Schreibens vom 27.11.2001 (hierin ist als Anlage erwähnt das Formblatt E 401), den Vermerk eines Anrufs der Klägerin vom 05.02.2002, dass sie den Brief der Kindergeldkasse vom 01.10.2001 nicht erhalten habe, und seines Schreibens vom 18.03.2002 (hierin ist als Anlage erwähnt der Fragebogen für das Kindergeldrecht) vor. Aus Letzterem geht die nochmalige Übersendung des Antrags auf Familienleistungen mit der Bitte um Unterschrift an der Stelle, wo sich das Kreuz befinde, hervor, weiterhin die Frage, ob die Klägerin in Arbeit stehe oder von Italien aus Familienleistungen beziehe.

Die Beklagte meint hierzu, die Klägerin müsse sich im maßgebenden Zeitraum das zögerliche Verhalten ihres Bevollmächtigten zurechnen lassen. Die rechtzeitige Vorlage der Unterlagen oder zumindest die Angabe des Hinderungsgrundes wäre bei jeweiliger unverzüglicher Weitergabe der Unterlagen und Antwort möglich gewesen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts vom 09.02.2004 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 08.11.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2003 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß), die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat lagen zur Entscheidung die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die zu Beweiszwecken beigezogene Kindergeldakte der Beklagten und zwei Witwenrentenakten der Deutschen Rentenversicherung Schwaben vor.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte (§§ 143 ff., 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Hierüber konnte der Senat mit dem von beiden Beteiligten erklärten Einverständnis ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs.2 SGG).

Streitgegenständlich war der Bescheid vom 08.11.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2003. Das Schreiben des P. vom 18.(19.)12.2002, den Bescheid vom 08.11.2002 gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen, war (u.a.) als Widerspruch zu werten. Es ist innerhalb der im Bescheid vom 08.11.2002 vorgesehenen Rechtsbehelfsfrist von drei Monaten (wenn nicht ohnehin die Einjahresfrist gelten würde) bei der Beklagten eingegangen und zeigte erkenntlich den Willen auf, sich gegen die Ablehnung der rückwirkenden Bewilligung des Kindergelds zu richten. Nicht auszugehen war hingegen davon, dass das P. einen (unter besonderen Umständen noch rechtzeitigen) Widerspruch gegen den Entziehungsbescheid vom 14.12.2001 oder einen Antrag auf Rücknahme dieses Bescheids gemäß § 44 SGB X (mit der Begründung der Unrichtigkeit des Bescheids wegen des Vorbringens, es fehle an einer schuldhaften Säumnis) einlegen wollte. Das P. hat sich weder gegen den Bescheid vom 14.12.2001 (Entziehung mit Wirkung ab 01.01.2002 wegen bisher nicht beigebrachter Unterlagen) noch gegen den Bescheid vom 02.07.2002 (Wiederaufnahme der Zahlungen ab 01.05.2002) gewendet, sondern erkenntlich gegen den Bescheid vom 08.11.2002, dem - von der Thematik her inhaltlich gleich - das Anhörungsschreiben vom 02.07.2002 über den "wichtigen Grund für die Versäumung der Mitwirkung" oder alternativ die "wirtschaftliche Notlage" vorausging.

Auszugehen ist weiterhin davon, dass das P. Vollmacht für das Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren besaß. Für den Rechtsstreit ergibt sich das ohne Weiteres aus der dem Sozialgericht vorgelegten Prozessvollmacht "wegen Sozialgerichtsverfahren" vom 12.12.2003. Für das Widerspruchsverfahren hingegen bestand anfänglich keine Vollmacht. Im Verwaltungsverfahren lag nur eine Vollmacht "wegen Kindergelds" vom 17.08.1994 vor, die in dem Zusammenhang mit dem erstmals ausdrücklich im August 1994 gestellten Antrag auf Kindergeld zu sehen ist (wobei erst später das vom P. im Jahre 1991 betriebene Witwen- und Waisenrentenverfahren aufgrund der Angabe von Kindern im Renten-Formblatt E 203-I zur Annahme eines im Jahre 1991 konkludent gestellten Kindergeldantrags führte). Das ab dem Jahre 1994 betriebene Verwaltungsverfahren wegen Kindergelds wurde endgültig erst mit Bescheid vom 13.03.2000 abgeschlossen. Damit war auch die Vollmacht vom 17.08.1994 erloschen. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Klägerin dem P. im Jahre 1994 eine Dauervollmacht für alle künftigen Kindergeldangelegenheiten ausstellen wollte. Hierfür fehlt es an den erforderlichen Hinweisen in der genannten Vollmacht oder in den damit erkenntlich in Zusammenhang stehenden Umständen.

Offensichtlich hat auch die Beklagte im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren keine Vollmacht des P. gesehen, denn es hatte ab September 2001 diesem zwar "Kindergeldunterlagen zur Weiterleitung an den Berechtigten mit der Bitte um Erledigung" und die Bescheide über Kindergeld teils mit der "Bitte um Kenntnisnahme und Weiterleitung an den Berechtigten" (z.B. den Bescheid vom 08.11.2002) und teils nur mit der "Bitte um Weiterleitung des beiliegenden Schreibens" (so z.B. den Bescheid vom 14.12.2001 und den Bescheid vom 02.07.2002) übersandt, und zwar alle Bescheide stets mit einer Rechtsbehelfsbelehrung von drei Monaten. Hätte die Beklagte das P. als Bevollmächtigten angesehen, hätte eine Bekanntgabe von Bescheiden allein an diesen im Inland mit einer Rechtsbehelfsbelehrung von einem Monat erfolgen müssen. So hatte die Beklagte das P. aber eher in der Vereinsrolle als Betreuer, Übermittler von Schrift-stücken und Übersetzer gesehen und sich dessen weiterhin bedient, obwohl die Aufgabe des P. als Bevollmächtigter ab 1994 im Jahre 2000 abgeschlossen war; insoweit ist durchaus zu sehen, dass sich nach Erteilung des die Kindergeldangelegenheit abschließenden Bescheids vom 13.03.2000 zunächst und zuerst die Beklagte über das P. an die Klägerin gewandt hatte, woraufhin die Klägerin - wohl dankbar um eine Anlaufstelle, wohin sie auf Italienisch schreiben konnte - sich auch an den P. wandte. Der Senat kann insoweit eine Vermittler- und Botenstellung des P. sehen, aber noch nicht die Rolle eines Bevollmächtigten der Klägerin im Verwaltungsverfahren. Es mag zwar sein, dass die erst in Bezug auf das Klageverfahren erteilte Vollmacht der Klägerin für das P. auch das notwendige Vorverfahren umfasst oder die Genehmigung der Führung des Widerspruchs enthält; sie gilt aber sicherlich nicht als Handlungs- und Empfangsvollmacht für die zeitlich noch weiter zurückliegenden Verwaltungsverfahren bzw. erteilten Bescheide der Beklagten. Dies deutet bereits an, dass der eine rückwirkende Leistung ablehnende Bescheid vom 08.11.2002 mindestens ermessensfehlerhaft gewesen sein muss, weil die Beklagte zuletzt ein säumiges Verhalten des (angeblich) Bevollmächtigten der Klägerin aus der Zeit bis 10.05.2002 als von der Klägerin zu vertretendes Verhalten behandelte.

Abgesehen von der fehlenden Vollmacht des P. erscheint der streitgegenständliche Bescheid auch aus sonstigen Gründen ermessensfehlerhaft. Hierbei ist davon auszugehen, dass die der Klägerin übermittelte Familienstandsbescheinigung E 401 - I von ihr auszufüllen (hier sind zwei verschiedene Personen tätig geworden) und auf der Rückseite von der Gemeinde zu bestätigen war, was am 19.12. 2001 geschehen ist. Das weitere Formblatt KG 71 R - I war nur von der Klägerin auszufüllen (hier ist die Verwendung eines anderen Kugelschreibers für die Fragen 4 bis 7 von 8 Fragen ersichtlich) und ist mit dem Datum vom 04.04.2002 und einem Kreuz an der für die Unterschrift vorgesehenen Stelle versehen. Anhand der Unterlagen ist ersichtlich, dass es nicht um Ausfüllung von Formblättern im Rentenverfahren von Seiten des I. ging; insoweit ist dem Bevollmächtigten der Klägerin, der diese in Rentenangelegenheiten vertreten hat, ein Irrtum - u.a. Verwechslung des Renten-Formblatts E 411 mit dem im Kindergeldrecht und Rentenrecht verwendeten Formblatt E 401 - unterlaufen.

Glaubhaft erscheint u.a. aufgrund der vom P. in Kopie vorgelegten Schreiben an die Klägerin, dass diese nicht so recht mit den Formblättern der Beklagten zurecht kam; so hat schließlich das P. selbst in einem Schreiben ausdrücklich Fragen an die Klägerin gestellt, die im Fragebogen von der Klägerin mit Ankreuzen hätten beantwortet werden müssen. Mithin ist einerseits das Verschulden der Klägerin (im Übrigen ohne Zurechnung des Verschuldens des P.) bei Weitem nicht so gravierend zu sehen, wie es anfangs den Anschein hatte, wenn auch eine gewisse "gemächliche Gangart" nicht zu übersehen ist. Andererseits sind der Beklagten bis zum Ergehen des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2002 nicht die richtigen näheren Umstände für die Verzögerung dargelegt worden; das P. ging damals immer noch irrtümlich von einem vom I. auszufüllenden bzw. zu bestätigenden Formblatt E 411 aus.

Vom Grundsätzlichen her spricht viel dafür, dass die Ausführungen des Sozialgerichts zum Ermessensgebrauch im Rahmen des § 67 SGB I weitgehend zutreffend sind. Die genannte Vorschrift bestimmt, dass der Leistungsträger, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird und die Leistungsvoraussetzungen vorliegen, die nach § 66 SGB I versagten oder entzogenen Sozialleistungen nachträglich ganz oder teilweise erbringen kann. Die von der Beklagten in ihrem Anhörungsschreiben vom 02.07.2002 und in den später erteilten Bescheiden genannten Ermessensgründe ("wichtiger Grund für die Versäumung der rechtzeitigen Mitwirkung" und "wirtschaftliche Notlage infolge des Ausbleibens der Sozialleistungen") sind für eine Ermessensentscheidung nicht ausreichend. Besteht ein "wichtiger Grund", wäre bereits der Bescheid über die Versagung oder Entziehung von Sozialleistungen rechtswidrig gewesen und hätte nicht erteilt werden dürfen. § 66 Abs.1 SGB I setzt u.a. voraus, dass ein Bürger seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62 und 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Schverhalts erheblich erschwert wird. Gemäß § 65 Abs.1 Nr.2 SGB I besteht eine Mitwirkungspflicht nicht, soweit ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann, wobei durch das Wort "soweit" auch eine zeitweise Nichterfüllung (Verzögerung) von Pflichten erfasst wird. Sinngemäß können die Entschuldigungsgründe im Sinne von § 67 SGB I nicht bzw. nicht nur solche sein, die zur Aufhebung oder Rücknahme des entziehenden oder versagenden Bescheids führen müssten. Die Beklagte hat dann nur noch einen einzigen weiteren "echten" Ermessensgesichtspunkt (wirtschaftliche Notlage) in ihre Erwägungen eingestellt, wobei sie mangels eines Vortrags der angehörten Partei hierzu nichts ermitteln musste und diesen verneinen konnte.

Nicht beachtet hatte die Beklagte aber in ihrem Bescheid vom 08.11.2002, dass in das Ermessen alle bedeutsamen Umstände des Einzelfalles einzubeziehen sind. Nichts Anderes besagen die Dienstanweisungen der Beklagten: "Äußert sich der Antragsteller bzw. Kindergeldempfänger zu den Gründen für die unterlassene Mitwirkung bzw. seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, sind bei der zu treffenden Ermessensentscheidung alle Umstände des Einzelfalles abzuwägen. Grundsätzlich kann nach dem Zweck der Ermessensvorschrift die Ablehnung einer rückwirkenden Leistungserbringung angebracht sein, wenn der Antragsteller bzw. Kindergeldempfänger das Unterlassen der fristgerechten Mitwirkung nicht ausreichend begründen kann und keine Anhaltspunkte vorliegen, dass er durch die zeitweise Unterbrechung der Leistung in wirtschaftliche Not geraten ist (BVerwG, Urteil vom 17.01.1985 - 5 C 133.81 -, DBlR 3099a SGB I/§ 67)."

Dem ist nur hinzuzufügen, dass auch bei Nichtäußerung des Bürgers im Rahmen der Anhörung alle bekannten Umstände des Einzelfalles abzuwägen sind; das zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat im Übrigen die Ermessensgründe nur flüchtig erwähnt und sich hiermit nicht besonders befasst, weil es sich nur im Hinblick auf eine hypothetisch unterstellte Klage gegen einen Bescheid gemäß § 67 SGB I wegen nachträglicher Versagung von Ausbildungsförderung kurz äußerte. Insoweit sind die Gründe für das Urteil nicht tragend, und fundierte Ausführungen über ein anzustellendes Ermessen sowie Ermessensgesichtspunkte fehlen ohnehin.

Laut Ansicht des Senats sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, wozu u.a. Zweck und Art der Sozialleistung, Grad der Pflichtwidrigkeit, wirtschaftliche Situation des Betroffenen, Bedeutung der Leistung für ihn und alle Angehörigen, Gründe für die zeitweise Verweigerung der Mitwirkung usw. zählen; zu vermeiden bei der Abwägung ist der Anschein der Bestrafung/Sanktion (Seewald im Kasseler Kommentar Rzn.8 und 9 zu § 67 SGB I); Grenzen setzt ohnehin die Verjährung (und eine Verzinsung der nachträglich erbrachten Leistungen hat in der Regel zu unterbleiben), so dass das Ermessen (zugunsten des Bürgers) weitgehend eingeschränkt ist (Seewald, a.a.O.). Ähnlich sind in anderen Urteilen Ermessensgründe umschrieben. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nennt im Urteil vom 11.07.2002 - 12 B 01.200 (Pflegegeld) neben der wirtschaftlichen Not alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die Dauer der fehlenden Mitwirkung und die Motive hierfür.

In der praktischen Handhabung hat die Beklagte nur beschränkt Ermessensgesichtspunkte gesehen. Der Senat stimmt dem Sozialgericht insoweit zu, als die Beklagte nicht die relativ kurze Zeit der fehlenden Mitwirkung sowie den Umstand berücksichtigt hat, dass mit Nachholung der Mitwirkung sofort eine Entscheidung der Beklagten über den Anspruch möglich gewesen ist. Der Gesetzgeber hat des Öfteren in spezialgesetzlichen Regelungen deutlich gemacht, dass er im Rahmen bestimmter Leistungen und Fallgestaltungen bei Verletzung der Mitwirkungspflicht eine wirksame Sanktion für geboten hält und nachträglich die Leistungen nicht mehr erbracht werden sollen (vgl. BSG vom 24.07.2003 - B 3 P 4/02 R in Breithaupt 2004, 21 zum Fall der wiederholten Versäumung des Pflegeeinsatzes; vgl. weiterhin BSG vom 17.08.2000 - B 10 LW 8/00 R in BSGE 87, 76 zum Ruhen von Beitragszuschüssen zur Alterssicherung der Landwirte bis zur Vorlage des benötigten, aber schuldhaft nicht vorgelegten Einkommensteuerbescheids gemäß der strengeren Regelung in § 32 ALG im Gegensatz zu § 67 SGB I). Liegt ein solcher besonderer Fall nicht vor, gilt § 67 Abs.1 SGB I mit dem darin enthaltenen Rechtsgedanken, dass die Verletzung von Mitwirkungspflichten keine endgültigen Rechtsverluste zur Folge haben soll, wenn der verhaltensssteuernde Effekt mit der Nachholung der Mitwirkung eingetreten ist (BSG vom 24.07.2003, a.a.O.). Grundsatz und nicht Ausnahme ist die rückwirkende Bewilligung bei Nachholung der Mitwirkung. Das BSG äußerte in seinem Urteil vom 14.12.1982 - 10 RKg 29/81 in SozR 5870 § 20 Nr.3 sogar erhebliche Zweifel, ob das nachträgliche Erbringen einer vom Grundgesetz (Art.6 GG) und von § 25 SGB I gebotenen Leistung wie das Kindergeld vom Ermessen der Verwaltung abhängig sein dürfe. Dem ist anzufügen, dass § 2 Abs.2 SGB I eine möglichst weitgehende bürgerfreundliche Ermessenshandhabung gebietet.

Eine unverzügliche Nachholung der Mitwirkung wurde von der Rechtsprechung nicht gefordert. Die Zwei-Wochen-Frist für die Nachreichung einer Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung für Leistungen der Haushaltshilfe (BSG vom 10.07.1986 - 11a RLw 3/85 in SozR 5850 § 7 Nr.2) betraf einen Fall, in dem die allgemeinen Rechtsgrundsätze der §§ 60 ff. SGB I nicht anwendbar waren. Vorliegend ist auch nicht der Fall einer Erschwerung (für die Entscheidungsfindung der Beklagten) durch eine erhebliche zeitliche Verzögerung (vgl. BSG in SozR 1200 § 66 Nr.10) gegeben. Insgesamt gesehen ist davon auszugehen, dass vom Entzug des Kindergelds mit Bescheid vom 14.12.2001 (maßgebend wäre allerdings der Zeitpunkt des späteren Zugangs bei der Klägerin persönlich) bis zum Eingang der Unterlagen bei der Beklagten am 10.05.2002 keine allzu große Verzögerung vorlag, abgesehen davon, dass eine gewisse Zeit auf das Handeln des P. als vermittelnde Stelle fiel und Bedienstete des P. (der Verein selbst kann nicht als Vollmachtnehmer auftreten - § 13 i.V.m. § 11 Abs.1 SGB X) nicht (mehr) Bevollmächtigte der Klägerin waren. Die anschließende Entscheidung der Beklagten war allein nach Lesen der von der Klägerin nachgereichten Unterlagen möglich.

Der Senat hält daher bereits aus den dargelegten Gründen einen Ermessensfehler der Beklagten für gegeben. Nicht in Frage kam aber die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids und die Verpflichtung der Beklagten zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats. Vielmehr bestand ein weiterer Gesichtspunkt, so dass das in § 67 SGB I vorgesehene Ermessen der Beklagten auf Null geschrumpft war und diese zur Zahlung der Leistung verurteilt werden musste. Der Senat hat sich hierbei an den Fristen orientiert, die bei Erst- und Neuanträgen auf Leistungen gelten. Bei Kindergeldanträgen war ehemals eine Frist von sechs Kalendermonaten vor dem Antragsmonat für die rückwirkende Erbringung von Leistungen vorgesehen (§ 9 Abs.2 BKGG a.F., § 5 Abs.2 BKGG n.F. in der ab 01.01.1996 geltenden Fassung: Ausschlussfrist für weiter zurückliegende Zeiträume); die Leistungen mussten für die ersten sechs Monate nachgezahlt werden, wenn nur die materiell-rechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt waren. Dasselbe hat der Senat angenommen, wenn zugleich mit einem Neuantrag (oder anstelle eines Neuantrags) entweder ein Antrag auf Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakts (z.B. Versagung oder Entziehung von Kindergeld) und auf rückwirkende Erbringung von Leistungen (§ 44 SGB X) oder ein Antrag auf rückwirkende Leistungserbringung gemäß § 67 Abs.1 SGB I gestellt worden ist. In beiden der genannten Fälle sieht das Gesetz eine Ermessensentscheidung für die rückwirkende Leistungsgewährung vor. Dies ergibt sich in den Fällen fehlender Mitwirkung unmittelbar aus § 67 SGB I ("kann"); im Bereich der Rücknahme folgt die Ermessensentscheidung aus § 44 Abs.1 Satz 2 SGB X und vor allem aus § 44 Abs.1 SGB X in Verbindung mit § 20 Abs.5 BKGG a.F. bzw. § 11 Abs.4 BKGG n.F.

Die rückwirkend für bis zu vier Kalenderjahre vor dem Jahr des Antrags (oder vor einer Entscheidung von Amts wegen) mögliche Ermessensleistung gemäß § 44 Abs.4 SGB X sah der 14. Senat in seiner ständigen Rechtsprechung zum BKGG insoweit als eingeschränkt an, als sie stets rückwirkend für sechs Monate vor der Antragstellung zu erbringen war (Ermessensreduzierung auf Null). Sofern nicht ohnehin (mit dem Begehren auf gegenwärtiges/zukünftiges Kindergeld) zugleich neben dem Antrag gemäß § 44 SGB X ein eindeutiger Neuantrag vorlag, war ein solcher Antrag oft im Wege der Auslegung festzustellen. Wer Kindergeld rückwirkend (u.a.) bis zu sechs Monaten vor dem Monat der Antragstellung begehrt, wird dies vernünftigerweise auf die einfachste und mit den wenigsten Risiken behaftete Weise, nämlich mit einem Neuantrag, tun und nicht auf dem insoweit nicht erforderlichen und unter Umständen dornenreichen Weg des § 44 Abs.1 und Abs.2 SGB X (die anfängliche Unrichtigkeit eines früheren Bescheids muss nachweislich festgestellt werden) mit der Schwäche, dass selbst Leistungen für sechs Monate zurück einer Ermessensentscheidung unterliegen. Zuletzt hat der 14. Senat dann, wenn eine Auslegung (auch) im Sinne eines Neuantrags nicht möglich gewesen ist, für die Verwaltungsentscheidung über einen Antrag gemäß § 44 SGB X eine Ermessensreduzierung auf Null in Bezug auf die ersten sechs Kalendermonate vor dem Monat der Antragstellung angenommen. Es bestand kein rechtfertigender Grund, die Bürger, die nicht besonders fach- und sachgerecht vorgingen und die dann gegebenenfalls sofort von der Behörde auf einen offenkundig bestehenden günstigeren Weg zum Erhalt von Leistungen (z.B. Neuantrag anstelle der Nachholung einer Mitwirkung im Sinne einer Realleistung) hinzuweisen wären, schlechter zu behandeln als andere, die ausnahmsweise fachlich gut beraten waren.

Ähnliche Überlegungen sind auch im Rahmen des § 67 SGB I angebracht. Begehrte ein Bürger u.a. Kindergeld für die Gegenwart und/oder Zukunft, lag ein Neuantrag vor, der nach § 9 Abs.2 BKGG a.F., § 5 Abs.2 BKGG n.F. für die letzten sechs Kalendermonate zurückwirkte. Von einem Neuantrag war ebenfalls auszugehen, sofern sich ein Antrag auf Kindergeld auf die Vergangenheit bezog, und zwar hinsichtlich der vorausgehenden sechs Monate. Insoweit sah und sieht das Gesetz keine Ermessensentscheidung hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen vor, vielmehr müssen diese gewährt werden, wenn die Anspruchsvoraussetzungen nachweislich erfüllt sind. Sollte es aber dennnoch hinsichtlich der vorausgehenden sechs Monate zu einer Entscheidung gemäß § 67 SGB I kommen (vorliegend hatte die Beklagte die Entscheidung über Kindergeld in einen Bescheid für die Zeit ab 01.05.2002 und in einen Bescheid von Januar bis April 2002 aufgeteilt; denkbar ist es auch, dass die nachgeholte Mitwirkung nur in einem Realakt besteht und ein Leistungsbegehren = Antrag nicht ersichtlich ist), verbleibt es dabei, dass auch § 67 SGB I keine Ermessensleistungen für die ersten sechs Kalendermonate vor Nachholung der Mitwirkung zulässt.

Dies wird z.B. dann besonders deutlich, wenn zwischen dem Zeitpunkt der Entziehung von Leistungen gemäß § 67 SGB I und dem erneuten Antrag auf Kindergeld für die Zukunft und die Vergangenheit mehr als sechs Monate liegen. Die ehemalige Entziehung von Kindergeld soll ja keine Strafaktion darstellen und beinhaltet keinen Ausschluss von Kindergeldleistungen für alle Zukunft. Nicht einmal der alte Kindergeldantrag gilt durch einen bestandskräftigen Bescheid gemäß § 66 SGB I als verbraucht; die betroffenen Leistungsansprüche, die mangels Mitwirkung in Zweifel stehen, sind nicht untergegangen, und letztlich hat die Beklagte bis zur Klärung der Angelegenheit bei erforderlicher Mitwirkung des Bürgers lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht. Dieses kann und darf sich aber nur auf einen Antrag beziehen, Leistungen für die Vergangenheit gemäß § 67 SGB I zu erbringen, bzw. auf den Umstand, dass die Beklagte aus Anlass der Nachholung der Mitwirkung von Amts wegen über Leistungen für die Vergangenheit entscheidet. Der Bürger kann sich aber z.B. auf einen "Neuantrag" (mit Rückwirkung für die vorausgehenden sechs Monate) beschränken, und hinsichtlich eines solchen Antrags können sich Folgen aus einem vorausgehenden Verhalten, das sich auf einen anderen, früher gestellten Antrag bezieht, nicht auswirken.

Ebensogut ist es möglich, bei einem Kindergeldbegehren, das Leistungen für Vergangenheit und Zukunft betrifft, zu differenzieren zwischen einem Neuantrag für Leistungen für die vorausgehenden sechs Monate und die Zukunft und einem Antrag gemäß § 67 SGB I für Leistungen für die ferner liegende Vergangenheit. Zu Recht hat daher das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 30.03.1995 - L 5 KG 101/94 entschieden: "Holt der Kindergeldberechtigte mehr als sechs Monate nach Entziehung des Kindergelds gemäß § 66 Abs.1 SGB I nicht nur die fehlende Mitwirkung nach, sondern beantragt darüber hinaus erneut Kindergeld, ist vorbehaltlich einer weitergehenden nachträglichen Zahlung gemäß § 67 SGB I in jedem Fall die Rückwirkung des Antrags nach § 9 Abs.2 BKGG zu beachten".

Hierzu anzumerken bleibt nur, dass in den meisten Fällen der nachgeholten Mitwirkung im Kindergeldrecht - hier geht es fast ausschließlich um Beantwortung von Fragen, Ausfüllen von Formularen und vor allem Beibringen von Unterlagen - ein Begehren auf Leistungen für die Zeit bis zur Nachholung (für die Vergangenheit von sechs Monaten und mehr) und ab der Nachholung erkenntlich wird, so dass in der Regel ein Antrag vorliegen wird. In solchen Fällen kann in sachgerechter Vereinfachung eine Entscheidung gemäß § 67 SGB I als gebundene Entscheidung für die vorausgehenden sechs Kalendermonate und die Zukunft und als Ermessensentscheidung für darüber hinaus liegende Zeiten in der Vergangenheit angesehen werden.

Der Fall ist nicht anders zu lösen, wenn - wie vorliegend - die unterlassene Mitwirkung (mit dem Begehren auf Kindergeld) noch innerhalb der Fristen des § 9 Abs.2 BKGG a.F. bzw. des § 5 Abs.2 BKGG n.F. nachgeholt wird. Insoweit liegt dann - aufgrund eines nicht allzu lange verzögerten Handelns des Bürgers - kein Leistungszeitraum außerhalb der Sechs-Monats-Frist für eine Ermessensentscheidung vor.

Die Beklagte hat zwar auf entsprechende Hinweise des Senats mit Zitierung von BSG-Urteilen eingewendet, aus dem u.a. erwähnten Urteil des BSG vom 28.02.1990 - 10 RKg 17/89 gehe hervor, dass eine Wertung der nach einer Versagung von Kindergeld aufgrund fehlender Mitwirkung später vorgelegten Unterlagen als Neuantrag nicht möglich sei. Die Beklagte hat aber das BSG-Urteil missverstanden. Einmal hat das BSG zur Ermessensentscheidung bei der Rücknahme für die Vergangenheit nach § 44 Abs.1 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 20 Abs.5 BKGG ausgeführt, dass das Ermessen vorliegend auf Null reduziert sei, weil die Beklagte § 9 Abs.2 BKGG (zu Unrecht!) als leistungsversagenden Grund angesehen habe und sonstige Ermessensgründe, die gegen die Rücknahme des Bescheids sprächen, nicht ersichtlich seien (die rückwirkende Bewilligung von Leistungen wird hier als Regelfall und nicht als Ausnahmefall dargestellt). Angesprochen hat das BSG damit vor vor allem, dass im Rahmen der möglichen rückwirkenden Leistungsgewährung für vier Jahre (§ 44 Abs.1 und Abs.4 SGB X) nicht zu Ungunsten des Bürgers § 9 Abs.2 BKGG mit seinem Ausschluss von Ansprüchen für mehr als sechs Kalendermonate vor dem Antrag angewendet werden dürfe, also das grundsätzliche Ermessen bei rückwirkenden Leistungen nicht auf Null reduziert sei im Sinne der zwingenden Ablehnung von Leistungen für dreieinhalb von vier Jahren. Weiterhin hat das BSG auch im Rahmen der nachträglichen Leistungsgewährung gemäß § 67 SGB I entschieden, dass § 9 Abs.2 BKGG die Entscheidung über Leistungen für den gesamten zurückliegenden Zeitraum nicht dahingehend einschränke, dass die Bewilligung nachträglicher Leistungen für mehr als sechs Monate vor Nachholung der Mitwirkung stets abgelehnt werden müsse. § 9 Abs.2 BKGG gelte nur für Neuanträge ("neue Leistungsanträge"), wohingegen im Rahmen des § 67 SGB I ein Antrag auf Leistungen bei Nachholung der Mitwirkung nicht einmal erforderlich sei; ein Bescheid gemäß § 66 SGB X habe schließlich den alten Antrag nicht verbraucht. Außerdem sei § 9 Abs.2 BKGG auch nicht (Anmerkung: zu Ungunsten des Bürgers) analog anzuwenden.

Diese Ansicht des BSG (a.a.O.) kann die Meinung der Beklagten im jetzigen Rechtsstreit nicht stützen. Vorliegend geht es darum, das für die ersten sechs Kalendermonate vor Nachholung der Mitwirkung (mit dem hierin deutlich gewordenen Leistungsbegehren = Antrag) das Ermessen der Beklagten sich zugunsten der Klägerin auf Null reduziert, so dass die Leistungen für diesen Zeitraum zu erbringen sind, wohingegen es für die über sechs Monate hinaus gehende Zeit in der Vergangenheit zu einer Ermessensentscheidung käme. In dem vom BSG entschiedenen Fall ist lediglich die Rechtshandhabung der Beklagten beanstandet worden, dass hinsichtlich der Leistungen für die unmittelbar vorausgehenden sechs Kalendermonate nach Ermessen entschieden wird und für die noch länger zurückliegende Zeit Leistungen zwingend abzulehnen seien, weil die Ansprüche bereits untergegangen sein sollen.

Die Meinung des jetzt entscheidenden Senats wird weiterhin dadurch bestärkt, dass der Gesetzgeber durch Art.30 des Gesetzes vom 16.12.1997 (Bundesgesetzblatt I S. 2970) den § 5 Abs.2 BKGG (Nachfolgervorschrift des § 9 Abs.2 BKGG) mit Wirkung ab 01.01.1998 aufgehoben hat, wobei § 20 Abs.2 BKGG n.F. zur Klarstellung darlegt, dass § 5 Abs.2 BKGG a.F. letztmals für das Kalenderjahr 1997 anzuwenden ist, so dass Kindergeld auf einen nach dem 31.12.1997 gestellten Antrag rückwirkend längstens bis einschließlich Juli 1997 gezahlt wird. Damit gibt es für das Kindergeld nach dem BKGG im Zeitraum ab 01.07.1997 keine Antrags- bzw. Ausschlussfristen mehr; die rückwirkende Gewährung von Leistung wird lediglich durch die Verjährung begrenzt. Dadurch hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er Leistungen für Kinder auch für die Vergangenheit erhebliches, ganz besonderes Gewicht beimessen und nach Art und Zweck der Leistung keinen Ausschluss bei (schuldhaft wie auch unverschuldet) verspätetem Leistungsantrag der Eltern vorsehen wollte. Im Kindergeldrecht geht der Gesetzgeber wesentlich weiter als z.B. bei der existenzsichernden Rente der gesetzlichen Rentenversicherung (aus eigener Versicherung), die unter bestimmten Umständen nur für drei Monate rückwirkend vor dem Antragsmonat gewährt wird und bei länger zurückliegender Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen ab dem Antragsmonat (§ 99 Abs.1 SGB VI), und bei den Hinterbliebenenrenten, die rückwirkend lediglich für zwölf Kalendermonate vor dem Antragsmonat geleistet werden. Die Kindergeldleistungen sind seit 1997 in außergewöhnlichem Maße privilegiert.

Dem (auch schuldhaft) an sich verspätet gestellten Antrag auf Kindergeld ist der Fall vergleichbar, dass verspätet Unterlagen zu einem Antrag nachgereicht werden. Grundsätzlich müssen rückwirkend Leistungen erbracht werden. Ganz besondere Gründe, die dies vorliegend ausnahmsweise ausschließen könnten, sind nicht ersichtlich.

Daher war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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