L 10 U 352/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 2794/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 352/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 04.12.2003 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 16.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2001 verurteilt, der Klägerin ab 26.07.2001 Verletztenrente nach einer MdE von 60 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten insbesondere über die Folgen der Heilbehandlung vom Februar 2000 im Gefolge des Wegeunfalls vom 09.02.1998 und deren Entschädigung.

Die am 1967 geborene Klägerin stieß am 09.02.1998 auf dem Weg zur Arbeit bei der Firma H. , wo sie als Einrichtungsberaterin arbeitete, mit einem Lastwagen zusammen, der ihr die Vorfahrt genommen hatte. Kurz nach dem Unfall trat bei der Klägerin ein Geräusch im linken Ohr auf, einige Stunden später eine Steifigkeit des Halses. Nach dem Unfall arbeitete die Klägerin weiter bis zum 15.02.1998. Anschließend war sie wegen eines Ohrgeräusches und eines verzerrten Hörempfindens links bis zum 23.03.1998 arbeitsunfähig erkrankt. Weiter war die Klägerin nach dem Unfall u.a. mehrmals in der Behandlung des Neurochirurgen Dr. K. wegen Verspannungen und Verkrampfungen im Nackenbereich mit Ausbreitung der Beschwerdesymptomatik bis in die Schultern und entlang des gesamten Rückens. Direkte traumatische Veränderungen waren weder klinisch, neurophysiologisch noch neuroradiologisch nachweisbar.

Die Klägerin befand sich auf Veranlassung der Beklagten vom 26.01. bis 22.02.2000 in stationärer Behandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BG-Klinik) T ... Im Rahmen der stationären Behandlung erstattete der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. M. ein Gutachten. Er fand auf seinem Fachgebiet keine Unfallfolgen und auch keinerlei Anhaltspunkte für eine posttraumatische psychoreaktive Störung mit Fehlverarbeitung des Unfalls.

Prof. Dr. W. , Ärztlicher Direktor der BG-Klinik, kam in seinem unfallchirurgischen Gutachten auf Grund der während des stationären Aufenthalts vom 26.01. bis 22.02.2000 erhobenen Diagnostik zu dem Ergebnis, die Klägerin habe sich bei dem Wegeunfall eine HWS-Distorsion 1. Grades zugezogen. Derzeit bestehe noch eine Bewegungseinschränkung an der HWS sowie subjektive Beschwerden. Ein einschlägiger Vorschaden sei nicht dokumentiert. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätze er seit Wegfall der Arbeitsfähigkeit auf seinem Fachgebiet für drei Monate auf 20 v.H., danach auf 10 v.H.

Außerdem erstattete Prof. Dr. Z. , Direktor der Universitäts-Hals-Nasen-Ohren-Klinik T. , auf Grund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 02.02.2000 ein Gutachten. Er führte zusammenfassend aus, durch den Unfall am 09.02.1998 sei es zu einem akustischen Trauma auf der linken Seite gekommen. Die von der Klägerin geschilderte Hörminderung auf der linken Seite sowie die begleitenden Ohrgeräusche seien mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen. Die MdE schätze er aufgrund des gut kompensierten Ohrgeräusches auf 5 v.H. In seiner abschließenden Stellungnahme vom 18.05.2000 schätzte Prof. Dr. W. die Gesamt-MdE unter Einbeziehung des HNO-ärztlichen Gutachtens für drei Monate auf 25 v.H., danach auf 15 v.H.

Am 24. und 25.02.2000 wurden bei der Klägerin in der BG-Klinik T. ambulante physiotherapeutische Behandlungen u.a. nach Vojta vorgenommen. Hierbei kam es zu einem Taubheitsgefühl sowie zu einer dystonen Bewegungsstörung im Bereich der HWS und zu einer Bewegungsstörung im Bereich des gesamten rechten Armes mit Muskelzittern und gleichzeitigem Kältegefühl bei vermehrtem Schwitzen (Durchgangsarztbericht Prof. Dr. W. vom 18.04.2000). Anschließend in der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums T. durchgeführte elektrophysiologische Untersuchungen ergaben keinen Anhalt für eine strukturelle Läsion des peripheren oder zentralen Nervensystems (Bericht von PD Dr. T. , Oberarzt der Klinik). Der Beurteilung des behandelnden Chirurgen Dr. Z. , es handle sich unzweifelhaft um einen Behandlungsunfall im Rahmen der Therapie, der schwerwiegende neurologische Folgen gezeitigt habe, widersprach PD Dr. T.: Alle durchgeführten Untersuchungen hätten unauffällige Befunde zeigten, sodass eine organische Genese der von der Klägerin geklagten Bewegungsstörung nicht habe nachgewiesen werden können. Nach seiner Kenntnis seien krankengymnastische Übungsbehandlungen nach Vojta kaum in der Lage, eine strukturelle Läsion des Nervensystems herbeizuführen.

Die Klägerin war ab 26.01.2000 arbeitsunfähig und bezog von der IKK im Auftrag der Beklagten vom 26.01.2000 bis zur Aussteuerung am 25.07.2001 Verletztengeld (bestandskräftiger Bescheid vom 05.06.2001).

Am 12.07.2000 berichtete Prof. Dr. G. , Direktor der Abteilung Orthopädie II am Universitätsklinikum H. , über die ambulante Untersuchung der Klägerin am 10.07.2000. Im Bereich der rechten Hand bestehe bei der Klägerin eine spastische Beugestellung der Langfinger mit Beugung in den Mittel- und Endgelenken, aktiv sei keine vollständige Streckung der Finger möglich. Im Vergleich zur linken Seite sei die rechte Hand und der rechte Unterarm kühler. Festzustellen sei ein vermehrtes Schwitzen bei aktiver Öffnung der Langfinger und eine Verstärkung der athetotischen Bewegungsstörung des Unterarmes. Die Genese der athetotischen Bewegungsstörung sei nicht eindeutig zu klären.

Die Beklagte holte die Stellungnahme nach Aktenlage des Arztes für Neurologische und Psychiatrie Dr. J. vom 08.11.2000 ein. Er führte zusammenfassend aus, er halte die Entstehung einer extrapyramidalen Störung durch die Vojta-Therapie für völlig unwahrscheinlich. Es handle sich bei den geschilderten Symptomen entweder um eine völlig unabhängige Erkrankung oder um eine psychogene Reaktion. Er empfehle eine mehrtätige stationäre Beobachtung in der Neurologischen Universitätsklinik T ...

Am 07.05.2001 erstattete Prof. Dr. M. , Oberarzt der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum H. , aufgrund einer stationären Untersuchung der Klägerin vom 29.01. bis 01.02.2001 sowie einer weiteren ambulanten Untersuchung ein Gutachten. Er hat zusammenfassend ausgeführt, die von ihm durchgeführten Untersuchungen (FDG-PET, funktionelles MRT, polygraphisches EMG) hätten keinen Hinweis für einen organischen Tremor geliefert. Er diagnostiziere eine somatoforme posttraumatische Bewegungsstörung mit Tremor und Dystonie. Es bestehe kein Zusammenhang zwischen Unfall bzw. Vojta-Therapiesitzung und der Ausbildung der somatoformen posttraumatischen Bewegungsstörung. Es müsse aber angemerkt werden, dass über den Zusammenhang zwischen dystonen Bewegungsstörungen und peripheren Traumata in der neurologischen Wissenschaft kein Konsens bestehe.

Mit Bescheid vom 16.08.2001 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente auf Grund des Arbeitsunfalles ab.

Mit Schreiben vom 16.08.2001 teilte Dr. Z. der Beklagten mit, die Klägerin werde derzeit in der Universitätsklinik H. mit Botulinum-Toxin behandelt. Diese Behandlung habe bereits zu einem Sistieren des Tremors geführt, die Spastik der Finger der rechten Hand sei gebessert. Bei einem psychogenen Tremor, wie im Befundbericht der Neurologischen Klinik H. angenommen, sei aber zu erwarten, dass sich die Bewegungsstörungen weiter proximal am Arm zeigten, was nicht der Fall sei.

Mit ihrer Widerspruchsbegründung legte die Klägerin den Arztbrief von Dr. N. , Oberarzt der Neurologischen Klinik der B. J.-M. -Universität, vom 12.07.2001 vor. Er sah die derzeitige Handstellung am ehesten als Folge eines komplexregionalen Schmerzsyndroms - CRPS - (Sudeck) des rechten Armes, möglicherweise auf Grund des vorangegangenen Unfalls. Die Ätiologie des zusätzlich vorhandenen Tremors bleibe in der Klassifikation unklar und entspreche keinem der klassischen Tremortypen. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2001 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 19.11.2001 Klage zum Sozialgericht Heilbronn erhoben und ergänzend ausgeführt, sie könne das Gutachten von Prof. Dr. M. nicht akzeptieren. Er habe seine Diagnose auf einfachste Art in den psychischen Bereich verlagert, weil keine organische Ursache habe gefunden werden können. Bereits Prof. Dr. Dr. M. habe aber in seinem Gutachten vom 28.01.2000 geschrieben, dass bei ihr keine psychischen Störungen von Krankheitswert und auch keine posttraumatisch-psychoreaktiven Störungen bestünden. Sie hat u.a. ein im Auftrag der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte von der Neurologin und Psychiaterin A. erstattetes Gutachten vom 06.03.2002 (die dystone Bewegungseinschränkung der rechten Hand sei Folge des HWS-Schleudertraumas) vorgelegt, den Arztbrief von Dr. V. , Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie am Krankenhaus B. , vom 03.06.2002 (Zustand nach Rotationstrauma der HWS 1998, CRPS I) sowie die Arztbriefe von Dr. R. , Oberarzt der Abteilung Schmerztherapie an der Klinik für Anästhesiologie am Klinikum S. , vom 10.01., 12.02. und 10.04.2003 (ambulante Erstvorstellung am 07.01.2003, stationäre Behandlung vom 27.01. bis 07.02.2003 und vom 24.03. bis 17.04.2003 - Diagnose: CRPS Typ I rechte obere Extremität).

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht das Gutachten des Orthopäden Dr. Z: vom 16.11.2002 eingeholt. Er hat zusammenfassend ausgeführt, bei der Klägerin bestehe eine schwere fokale Dystonie der rechten Hand und ein schwerer neuromeningialer Reizzustand der rechten oberen Extremität sowie eine Fehlhaltung des Kopfes bei spastischer Reaktion der rechtsseitigen Halsmuskulatur infolge krankengymnastischer Fehlbehandlung bei Zustand nach Halswirbelsäulen-Beschleunigungsverletzung Grad 1. Ursache der jetzigen Problematik der rechten oberen Extremität sowie der Fehlreaktion der Halsmuskulatur sei die Fehlbehandlung vom Februar 2000. Körpereigene Bedingungen seien für die Entstehung oder Verschlimmerung nicht auszumachen. Insbesondere lägen bei der Klägerin keine seelischen Fehlsteuerungen vor. Die reinen Folgen des Unfalls vom 09.02.1998 seien bei Außerachtlassung des Hörverlusts hinsichtlich der Situation des Bewegungsapparates als gering einzustufen. Hierfür schätze er die MdE allerhöchstens auf 10 v.H. Seit der Behandlung am 24.02.2000 sei die Klägerin arbeitsunfähig. Die MdE infolge der Fehlbehandlung schätze er auf 50 v.H.

Mit Urteil vom 04.12.2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich der Beurteilung von Prof. Dr. W. und Prof. Dr. M. angeschlossen. Der Auffassung von Dr. Z: könne nicht gefolgt werden, weil er in seinem Gutachten im Wesentlichen mit pauschalen Argumenten ohne konkreten Bezug zum Fall der Klägerin gearbeitet habe.

Gegen das am 27.12.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27.01.2004 Berufung eingelegt und insbesondere gerügt, dass das Sozialgericht nicht auf die Arztbriefe vom Klinikum S. eingegangen sei, die die aktuellen Diagnosen enthielten, nämlich das Vorliegen eines CRPS Typ I, früher auch als Morbus Sudeck bezeichnet, das durch mechanische Einwirkungen ausgelöst wurde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 04.12.2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 26.07.2001 eine Verletztenrente nach einer MdE um 60 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat das Gutachten von Dr. R. vom 31.07.2006 eingeholt. Die Klägerin habe am 09.02.1998 ein HWS-Beschleunigungstrauma mit Schweregrad IIb nach der Quebec Klassifikation erlitten. Es sei dann zu einer chronischen Schmerzerkrankung mit eingeschränkter HWS-Beweglichkeit, Druckschmerz, Muskelhartspann und Myogelosen gekommen. Für dieses HWS-Beschleunigungstrauma schätze er die MdE auf 20 v.H. Außerdem habe sich bei der Klägerin bedingt durch die Vojta-Therapie im Februar 2000 ein CRPS Typ I mit chronischem Verlauf entwickelt. Es bestehe im Wesentlichen eine Flexion des Kopfes nach rechts sowie ein Schulterhochstand rechts mit diskreter Schwellung der rechten Wange und der rechten Hand. Die Haut der rechten Hand sei glänzend und diskret gerötet. Am rechten Unterarm bestehe ein vermehrtes Haarwachstum. Der Arm im Ellenbogen sei gebeugt, nach innen rotiert. Außerdem zeige sich eine Beugekontraktur der Langfinger DIII bis DV und der Langfinger DII sei ebenfalls im Mittelgelenk gebeugt. Zudem finde sich eine deutliche Muskelatrophie der Unterarmmuskulatur sowie der Muskeln der Hand. Es bestünden eine Überempfindlichkeit und Parästhesien im Bereich des Unterarms ulnarseits sowie ein Berührungsschmerz auf stärkeren Druck im Bereich des Handrückens und eine Hyperhidrosis der rechten Hand, eine signifikante Seitendifferenz für Kältereize im Sinne einer Kälteallodynie rechts und eine mäßige Seitendifferenz für Wärmereize im Sinne einer mäßigen Wärmeallodynie. Nach dem bisherigen Verlauf sei von einem Dauerzustand auszugehen, so dass eine MdE von 60 v.H. und unter Einbeziehung des HWS-Beschleunigungstraumas eine Gesamt-MdE von 60 v.H. vorliege.

Die Beklagte hat die Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. vorgelegt, der sich den Auffassungen von Dr. Z: und Dr. R. nicht angeschlossen hat. Von einer direkten traumatischen Schädigung der Klägerin durch den Unfall sei nicht auszugehen und die im Gefolge der Vojta-Therapie aufgetretene Bewegungsstörung an der rechten oberen Extremität sei aus neurologischer Sicht nicht ursächlich auf die krankengymnastische Vojta-Therapie zurückzuführen.

Die Berichterstatterin hat am 12.07.2007 Dr. R. ergänzend mündlich als Sachverständigen vernommen. Bezüglich den Angaben der ebenfalls anwesenden Klägerin und den Angaben von Dr. R. wird auf den Inhalt des Protokolls verwiesen.

Hierzu hat die Beklagte die Stellungnahme nach Aktenlage von Prof. Dr. T. , Arzt für Neurologie und Nervenheilkunde, vorgelegt, der den Ausführungen von Dr. R. widersprochen hat. Der von Dr. R. bejahte Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis bzw. der Vojta-Behandlung und dem jetzt vorhandenen Gesundheitsschaden sei in keinster W. nachvollziehbar. Die Durchführung einer Vojta-Therapie sei nicht geeignet, eine relevante traumatische Läsion hervorzurufen. Die Annahme, dass ein etwa zwei Jahre zurückliegendes HWS-Beschleunigungstrauma zu einer offensichtlich bleibenden Sensibilisierung des Reizleitungssystems im Bereich der oberen Extremitäten geführt habe, erscheine grotesk.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet.

Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 60 v.H. ab 26.07.2001.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Anspruch auf eine Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Versicherte Tätigkeiten sind nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Dementsprechend stand die Klägerin im Zeitpunkt des Verkehrsunfalles am 09.02.2008 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Folgen eines Versicherungsfalls sind auch Gesundheitsschäden infolge der Durchführung einer Heilbehandlung einschließlich der dazu notwendigen Wege (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Damit hat die Beklagte auch und gerade die Folgen der im Februar durchgeführten Physiotherapie zu entschädigen. Denn diese Physiotherapie wurde wegen der nach dem Verkehrsunfall verbliebenen schmerzhaften Bewegungseinschränkungen insbesondere der HWS, zunächst stationär durchgeführt (Entlassungsbericht Prof. Dr. W. vom 08.03.2000), am 24. und 25.02.2000 ambulant (D-Arzt-Bericht Prof. Dr. W. vom 18.04.2000). Der ursächliche Zusammenhang zwischen Verkehrsunfall und der Physiotherapie am 24. und 25.02.2000 ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten. Im Vordergrund des Rechtsstreits steht vielmehr die Frage, ob die bei der Klägerin vorhandene Schmerz- und Bewegungsstörung des rechten Armes auf diese Physiotherapie zurückzuführen und damit von der Beklagten zu entschädigten ist.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. Berufskrankheit) und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Gemessen an den vorstehend dargelegten Voraussetzungen ist der Senat davon überzeugt, dass sich die Klägerin durch den Wegeunfall vom 09.02.1998 eine Halswirbelsäulendistorsion Schweregrad I (nach Erdmann, s. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 556; Schluckschmerzen waren bei der Klägerin nicht vorhanden, ebenfalls keine starken Nacken- und Hinterkopfschmerzen. Primäre und auch sekundäre Verletzungsmerkmale im Röntgenbild der HWS fehlten) zuzog, die eine MdE von höchstens 10 v.H. - unter Einbeziehung des unfallbedingten Ohrgeräusches - eine MdE von höchstens 15 v.H. bedingt. Dies ergibt sich für den Senat insbesondere aus dem Gutachten von Prof. Dr. W. vom 08.03.2000 mit ergänzender Stellungnahme vom 18.05.2000 sowie der Beurteilung von Dr. Z. ("allerhöchstens" 10 v.H.) für die HWS und - hinsichtlich des ohrenärztlichen Fachgebiets - aus dem Gutachten von Prof. Dr. Z ... Der Einschätzung von Dr. R. vermag sich der Senat nicht anzuschließen, weil seine Einschätzung der MdE mit 20 v.H. sogar über die von der herrschenden medizinischen Literatur angenommenen MdE für eine Distorsion mit einem Schweregrad II nach Erdman (20 v.H. im ersten Jahr, danach 10 v.H., vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.) hinausgeht. Ein solcher Schweregrad lag jedoch nicht vor. Auch die Klägerin behauptet für die Zeit bis Februar 2000 keine höhere MdE.

Der Senat ist jedoch davon überzeugt, dass bei der Klägerin auf Grund der am 24. und 25.02.2000 durchgeführten Vojta-Therapie ein CRPS Typ I (D-Arzt-Bericht Prof. Dr. W. vom 18.04.2000) aufgetreten ist und dieses nach dem Ende der Zahlung von Verletztengeld (26.01.2000 bis 25.07.2001, danach Aussteuerung) eine MdE von 60 v.H. bedingt. Dies ergibt sich für den Senat überzeugend insbesondere aus dem Gutachten von Dr. R. vom 31.07.2006 sowie dessen Ausführungen im Termin zur Beweisaufnahme am 12.07.2007. Dr. R. forscht mit seiner Abteilung im Klinikum S. gemeinsam mit der Universitätsklinik T. und der H.-Universität in P. seit 1996 am CRPS Typ I und ist daher auf diesem Gebiet ein ausgewiesener Fachmann. Er vermittelt dem Senat den derzeitigen internationalen Kenntnisstand zur Diagnose und Ätiologie eines CRPS Typ I und vermag diese Erkenntnisse auf den vorliegenden Fall umzusetzen.

Danach handelt es sich bei dem CRPS Typ I um eine neuropathische Schmerzerkrankung. Auslöser hierfür sind meist ein Trauma der distalen Extremität oder auch banale Verletzungen. Die klinischen Zeichen sind äußerst variabel und beinhalten 1. sensible Störungen einschließlich spontaner Brennschmerz und schmerzhafte Berührungsempfindlichkeit (Allodynie), 2. Veränderungen des Blutflusses und des Schwitzens im Bereich der betroffenen Extremität und eine Schwellung, 3. Störungen des motorischen Systems, hauptsächlich eine aktive und passive Funktionseinschränkung, seltener ein Tremor und Dystonie sowie 4. trophische Störungen an der Haut, den Hautanhangsgebilden, Gelenken und Knochen.

Bei der Klägerin liegen diese Voraussetzungen - so zutreffend Dr. R. - vor. Nach ihren glaubhaften Angaben trat in der BG-Klinik T. im Verlauf der ambulanten Physiotherapie am 24.02.2000 ein Taubheitsgefühl sowie eine dystone Bewegungsstörung im Bereich der Halswirbelsäule auf. Am 25.02.2000 kam es im Rahmen einer erneuten physiotherapeutischen Behandlung zu einer Bewegungsstörung im Bereich des rechten Armes. Dies wird durch den D-Arzt-Bericht von Prof. Dr. W. vom 18.04.2000 bestätigt. Im weiteren Verlauf kam eine Hyperhidrosis im Bereich der rechten Hand sowie eine Schwellung und Veränderungen des Hautkolorits hinzu, ebenso ein anhaltender dumpfer, ziehender, teilweise auch stechender Schmerz im Bereich der rechten Hand und ein Tremor der Hand und Finger rechts. Diese Symptome sind typisch für ein CRPS Typ I.

Der Umstand, dass die apparatemedizinischen Befunde negativ blieben, widerlegt diese Diagnose nicht. Das CRPS Typ I ist - so Dr. R. - in erster Linie eine auf klinische Befunde gestützte Diagnose. Die apparative Diagnostik beinhaltet in der Regel das Röntgenbild. Typische fleckige Knochenentkalkungen im Bereich der betroffenen Extremitäten sind im Röntgenbild aber erst nach Wochen bis Monaten sichtbar, aber bei mehr als 50% der Patienten mit einem CRPS Typ I nicht nachweisbar. Ebenso enttäuschend ist die diagnostische Sensitivität der Kernspin- und Computertomographie. Diese Verfahren dienen eher zur Suche nach nicht entdeckten Frakturen oder Weichteilverletzungen. Als wichtigstes radiologisches Untersuchungsverfahren gilt das Dreiphasenskelettszintigramm. Allerdings nimmt auch bei diesem Verfahren die Sensitivität nach acht bis zwölf Monaten ab. Die diagnostische Wertigkeit der radiologischen Verfahren ist also eingeschränkt. Ein positiver Befund untermauert die klinische Diagnose eines CRPS Typ I, ein negativer Befund schließt ein CRPS Typ I nicht aus. Ebenso können die neurologischen Symptome eines CRPS Typ I mit der elektrophysiologischen Routinediagnostik praktisch nicht erfasst werden. Da beim CRPS Typ I keine messbaren Nervenschädigungen vorliegen, findet man mit der Neurographie und Myographie auch kein Korrelat für die Paresen und die Sensibilitätsstörungen. In der Regel sind auch die somatosensorischen Potentiale normal. Auch Tremoranalysen sind nicht spezifisch. Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass die derzeitig übliche apparative Diagnostik nicht dazu geeignet ist, ein CRPS Typ I zu beweisen bzw. auszuschließen. Neurophysiologische Untersuchungen (EMG, NLG) sind für die Diagnostik eines CRPS Typ I nicht geeignet, da keine pathologischen Veränderungen zu erwarten sind.

Dieses bei der Klägerin vorliegende CRPS Typ I ist auch mit Wahrscheinlichkeit auf die bei der Klägerin am 24. und 25.02.2000 in Gefolge der am 09.02.1998 erlittenen HWS-Distorsion durchgeführte Physiotherapie zurückzuführen.

Das CRPS zählt - wie erwähnt - zu den neuropathischen Schmerzerkrankungen. Dabei kann - so zutreffend Dr. R. - nicht von einer psychischen Genese ausgegangen werden. Es gibt keine Erfahrungen dahingehend, dass für die Entstehung eines CRPS Typ I eine anlagebedingte Disposition bestehen könnte. Beim CRPS Typ I können zwar psychische Auffälligkeiten auftreten, aber nicht mehr als bei anderen chronischen Schmerzerkrankungen auch, so Dr. R ...

Auslöser des CRPS sind - so Dr. R. weiter - meist ein Trauma der distalen Extremität (Quetschungen, Frakturen, Verstauchungen) oder auch banale Verletzungen, wie beispielsweise Punktionen oder schmerzhafte Manipulationen. Damit kommen physiotherapeutische Maßnahmen grundsätzlich als Ursache eines CRPS Typ I in Betracht. Der Senat folgt auch der Einschätzung von Dr. R. , wonach angesichts des bei der Klägerin damals vorliegenden HWS-Beschleunigungstraumas davon ausgegangen werden muss, dass eine Sensibilisierung des Reizleitungssystems im Bereich der oberen Extremitäten stattgefunden hatte und in einem solchen sensibilisierten Nervensystem sogar durch geringe Manipulationen ein CRPS Typ I ausgelöst werden kann. Dies gilt insbesondere auch für die hier bei der Klägerin angewandte Vojta-Therapie, bei der Druck gerade auf die Nervenleitungsbahnen ausgeübt wird. Damit besteht ein unmittelbarer "örtlicher" Zusammenhang zwischen physiotherapeutischer Manipulation und aufgetretener Störung.

Die für die Diagnose eines CRPS Typ I relevanten klinischen Störungen traten auch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit den physiotherapeutischen Maßnahmen, insbesondere der Vojta-Therapie, auf. Dies folgt nicht nur aus den entsprechenden Angaben der Klägerin, sondern auch aus dem D-Arzt-Bericht des Prof. Dr. W. vom 18.04.2000 und der zu den SG-Akten gelangten Stellungnahme der die Klägerin behandelnden Physiotherapeutin.

Im Ergebnis spricht für den Senat damit mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der bei der Klägerin vorliegenden Schmerz- und Bewegungsstörung des rechten Armes und der im Februar 2000 wegen der Folgen der HWS-Distorsion durchgeführten Physiotherapie.

Diese Einschätzung teilen auch behandelnde Ärzte. So vertrat der behandelnde Chirurg Dr. Z. in seinen Stellungnahmen vom 26.04.2000 und 16.08.2001 die Auffassung, dass die Störungen am rechten Arm und an der rechten Hand der Klägerin auf die physiotherapeutische Behandlung in der BG-Klinik T. am 24. und 25.02.2000 zurückzuführen sei. Dr. N. , Oberarzt an der Neurologischen Universitätsklinik in W., äußerte in seinem Arztbrief vom 12.07.2001 den Verdacht auf Vorliegen eines CRPS I mit posttraumatischer Handdystonie und sah als mögliche Ursache den vorangegangenen Unfall an. Ebenso hat Dr. Z: in seinem Gutachten vom 16.11.2002 einen wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der physiotherapeutischen Behandlung vom 24. und 25.02.2002 bejaht, wenn auch kein CRPS Typ I diagnostiziert.

Soweit Privatdozent Dr. T. in seinem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 15.05.2000 einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den krankengymnastischen Übungsbehandlungen und den Beschwerden der Klägerin verneint hat, kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen stützt er seine Auffassung auf die durchgeführten elektrophysiologischen sowie immunpathologischen Untersuchungen und zum anderen darauf, dass krankengymnastische Übungsbehandlungen kaum in der Lage seien, eine strukturelle Läsion des Nervensystems herbeizuführen. Dies ist insoweit fehlerhaft, als die neurologischen Symptome eines CRPS Typ I mit der elektrophysiologischen Routinediagnostik - so überzeugend Dr. R. - praktisch nicht erfasst werden können. Da beim CRPS Typ I keine messbaren Nervenschädigungen vorliegen, kann mit der Neurographie und Myographie auch kein Korrelat für die Paresen und die Sensibilitätsstörungen gefunden werden. Außerdem liegt beim CRPS Typ I - im Gegensatz zum CRPS Typ II - keine apparativ feststellbare Nervenverletzung vor.

Ferner kann die Stellungnahme von Dr. J. vom 08.11.2000 den Senat nicht überzeugen, denn er begründet seine Auffassung, es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der physiotherapeutischen Behandlung und der extrapyramidalen Störung, nicht, vielmehr besteht seine Stellungnahme aus einer Zusammenfassung früherer ärztlicher Untersuchungen und Meinungen.

Nicht zu überzeugen vermögen auch die Ausführungen von Prof. Dr. M. in seinem Gutachten. Er stellt die Diagnose einer somatoformen posttraumatischen Bewegungsstörung mit Tremor und Dystonie und verneint einen ursächlichen Zusammenhang zwischen physiotherapeutischer Behandlung und den Beschwerden der Klägerin. Er stützt seine Auffassung vor allem auf die einseitige Gewichtung der apparativen Diagnostik. Eine Bewertung der in zahlreichen Vorbefunden dokumentierten typischen klinischen Zeichen eines CRPS Typ I erfolgt nicht. Zudem ist, wie oben ausgeführt, die derzeitig übliche apparative Diagnostik nicht dazu geeignet, ein CRPS Typ I zu beweisen bzw. auszuschließen. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass bei der Diagnose einer somatoformen posttraumatischen Bewegungsstörung statt einer Psychotherapie am Universitätsklinikum H. ausschließlich eine Botulinum-Toxin-Therapie durchgeführt wurde. Weiter ist es für den Senat keineswegs überzeugend, wenn er das Vorliegen eines psychogenen Tremors bei der Klägerin aufgrund der EMG-Untersuchung annimmt. Zum einen kann mit der Untersuchungsmethode EMG ein CRPS Typ I nicht diagnostiziert werden, weil - so Dr. R. - beim CRPS Typ I keine messbaren Nervenschädigungen vorliegen und im EMG nur die dicken Nervenfasern erfasst werden, die beim CRPS Typ I nicht geschädigt sind. Zum anderen ergeben sich aus den gesamten Akten keine Hinweise für das Vorliegen von psychischen Auffälligkeiten bei der Klägerin. So hat bereits Prof. Dr. Dr. M. in seinem Gutachten vom 28.01.2000 geschrieben, es gebe keinerlei Anhaltspunkte für eine posttraumatische psychoreaktive Störung mit Fehlverarbeitung des Unfalls. Außerdem sind Dr. R. während der zwei stationären Aufenthalte der Klägerin im Klinikum S. keine psychischen Auffälligkeiten bei der Klägerin aufgefallen.

Nicht gefolgt werden kann auch den Ausführungen von Dr. M. in der Stellungnahme vom 10.09.2006. Er bedauert im Hinblick auf den von verschiedenen Kollegen geäußerten Verdacht des Vorliegens einer psychogenen Genese der dystonen Bewegungsstörung das Fehlen einer genauen biographischen Darstellung der Vorgeschichte der Klägerin. Eine derartige Darstellung befindet sich allerdings in dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. M. vom 28.01.2000 und diese ergibt keinerlei Hinweise auf eine psychogene Störung. Weiter hält er es für nicht nachvollziehbar, dass die athetoide Bewegungsstörung (wurmartig) der rechten Hand bei Kontrolluntersuchungen auch auf die linke Hand übergegriffen hat. Hierzu hat Dr. R. bei seiner Vernehmung am 12.07.2007 jedoch überzeugend dargelegt, dass es sich beim CRPS Typ I um eine zentrale Schmerzerkrankung handelt, die nicht nur auf eine Extremität beschränkt bleibt, sondern unabhängig vom Ort der Einwirkung sich ausbreiten kann, auch auf andere Körperabschnitte. Schließlich empfiehlt Dr. M. eine genaue Abklärung der psychogenen bzw. psychoreaktiven Ätiologie, wofür der Senat auf Grund der oben genannten Äußerungen von Prof. Dr. Dr. M. und Dr. R. bezüglich etwaiger psychischer Auffälligkeiten bei der Klägerin keinen Anlass sieht.

Nicht zu überzeugen vermögen den Senat auch die Ausführungen von Prof. Dr. T. in seiner Stellungnahme nach Aktenlage vom 06.08.2007, der bereits Zweifel an der Diagnose eines CRPS hat und einen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis bzw. der Vojta-Behandlung und der jetzt vorhandenen Bewegungsstörung der Klägerin verneint. Zunächst besteht die Stellungnahme von Prof. Dr. T. zum weit überwiegenden Teil aus einer Zusammenstellung des bisherigen Behandlungsverlaufs bei der Klägerin und außerdem stützt er seine Einschätzung zum einen auf die fehlende diagnostische Einordnung zeitnah zum Auftreten der entsprechenden Symptomatik und zum anderen auf fehlende diagnostische radiologische Maßnahmen. Die Tatsache, dass keiner der behandelnden Ärzte der Klägerin zeitnah zum Auftreten der Beschwerden nach der physiotherapeutischen Behandlung die Diagnose eines CRPS Typ I stellte, ist für den Senat ohne Bedeutung. Maßgebend ist nicht der Zeitpunkt, sondern die Richtigkeit der Diagnose. Wie ausgeführt entsprechen die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der physiotherapeutischen Behandlung bei der Klägerin aufgetretenen Symptome, wie sie auf Grund der Untersuchungen in der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums T. am 25.02., 28.02. und 08.03.2001 festgehalten sind (Auftreten athetotischer Bewegungen aller Finger der rechten Hand begleitet von massivem, attackenweise auftretendem Schwitzen dieser Hand bei kühlen Akren) den von Dr. R. in seinem Gutachten geschilderten typischen klinischen Zeichen bei einer CRPS Typ I. Bezüglich der von Prof. Dr. T. gerügten fehlenden diagnostischen radiologischen Maßnahmen ist auf die überzeugenden Ausführungen von Dr. R. zur Diagnose des CRPS Typ I hinzuweisen, wonach typische fleckige Knochenentkalkungen im Bereich der betroffenen Extremitäten im Röntgenbild erst nach Wochen bis Monaten sichtbar sind und bei mehr als 50% der Patienten mit einem CRPS nicht nachweisbar sind. Außerdem ist die diagnostische Sensitivität der Kernspin- und Computertomographie nicht weiterführend, vielmehr dienen diese Verfahren eher zur Suche nach nicht entdeckten Frakturen oder Weichteilverletzungen. Das wichtigste radiologische Untersuchungsverfahren, das Drei-Phasen-Skelettszintigramm, wurde bei der Klägerin nicht durchgeführt. Insgesamt ist die diagnostische Wertigkeit der radiologischen Verfahren eingeschränkt. Ein positiver Befund untermauert die klinische Diagnose eines CRPS Typ I, ein negativer Befund schließt ein CRPS Typ I nicht aus. Soweit Prof. Dr. T. die von Dr. R. angenommene Sensibilisierung des Reizleitungssystems im Bereich der oberen Extremitäten als grotesk bezeichnet, vermag der Senat dies nicht nachzuvollziehen. Träfe diese Wertung zu, wäre eine entsprechende einleuchtende Begründung zu erwarten. Stattdessen verweist Prof. Dr. T. auf statistische Daten, wonach solche Störungen, wie sie bei der Klägerin aufgetreten sind, gerade nicht gehäuft aufträten. Damit lässt sich aber ein Kausalzusammenhang im Einzelfall nicht beurteilen. Prof. Dr. T. unterscheidet in diesem Zusammenhang auch nicht zwischen der von ihm ohne Begründung in Abrede gestellten Sensibilisierung und der Frage der generell zu fordernden Qualität einer als Auslöser für ein CRPS Typ I möglichen Einwirkung. Demgegenüber kann für die Ansicht von Dr. R. angeführt werden, dass auch zwei Jahre nach dem Autounfall noch unfallbedingte Beschwerden an der HWS bestanden, die einen stationären Aufenthalt in der BG-Klinik und entsprechende physiotherapeutische Maßnahmen erforderlich machten. Dies lässt Prof. Dr. T. ebenso außer Betracht, wie die Tatsache, dass gerade auch relativ banale Einwirkungen ein CRPS Typ I verursachen.

Der Senat hält die von Dr. R. für die bei der Klägerin vorliegenden unfallbedingten Beschwerden im Bereich des rechten Armes (Schmerzen, Gefühlsstörungen, massive Bewegungseinschränkung des Armes und der Finger) und des Kopfes (Schmerzen und ständige Rechtsneigung) geschätzte MdE von 60 v.H. für angemessen. In der unfallmedizinischen Literatur (z.B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 759) wird für den Verlust des Armes im Schultergelenk eine MdE von 80 v.H. und für den Verlust des Armes im Unterarm eine MdE von 60 v.H. angenommen sowie für den Verlust der Hand eine MdE von 60 v.H. Funktionell besteht bei der Klägerin eine Gebrauchsunfähigkeit des gesamten rechten Armes einschließlich der Hand sowie eine ständige Kopfneigung nach rechts. Hinzu kommen die Schmerzen im Bereich des rechten Armes und der Hand, weshalb danach eine MdE von 60 v.H. angemessen erscheint. Das gilt auch für eine Gesamt-MdE von 60 v.H. unter Berücksichtigung der von Prof. Dr. W. geschätzten MdE von (aus Sicht des Senats höchstens) 15 v.H. für die Folgen der HWS-Be-schleunigungs¬verletzung. Selbst Dr. R. hat - in der Annahme einer MdE von 20 v.H. für die HWS - keine Erhöhung der Gesamt-MdE vorgenommen. Dies ist auch nachvollziehbar, sind doch bei der Bewertung der MdE für das CRPS Typ I bereits die Schmerzen und die ständige Seitneigung des Kopfes eingeflossen. Insoweit überschneiden sich die Unfallfolgen.

Gem. § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII werden Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet. Die Klägerin hat somit Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente ab 26.07.2001, denn nach dem bestandskräftigen Bescheid vom 05.06.2001 stand ihr Verletztengeld für die Zeit vom 26.01.2000 bis 25.07.2001 zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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