L 12 AS 618/07 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 AS 3941/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 618/07 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 28.11.2006 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist im Streit, ob die Beklagte nach § 22 Abs.1 (Sozialgesetzbuch Zweites Buch) SGB II als Kosten der Unterkunft auch die Kosten einer Nebenkosten-Nachforderung des Vermieters der Klägerin zu übernehmen hat. Die Klägerin bezog 2004 Sozialhilfe und im Anschluss hieran Arbeitslosengeld II. Der Vermieter der Klägerin hat - wegen der gestiegenen Heizkosten - für die Abrechnungsperiode April 2004 bis März 2005 mit Schreiben vom 23.11.2005 eine Nebenkosten-Nachzahlung in Höhe von 437,50 EUR gefordert und gleichzeitig die monatlich zu zahlenden Nebenkosten-Vorauszahlungen von 150 EUR auf 190 EUR monatlich heraufgesetzt.

Die Klägerin hat die Forderung am 31.01.2006 bei der Beklagten vorgelegt und die Erstattung beantragt. Die Beklagte hat dies mit Bescheid vom 14.02.2006 und Widerspruchsbescheid vom 11.07.2006 abgelehnt, weil es sich nicht um einen gegenwärtigen Bedarf handele.

Das Sozialgericht Freiburg (SG) hat die Beklagte mit Urteil vom 28.11.2006, in dem es die Berufung nicht zugelassen hat, zur Zahlung der Nebenkosten-Nachforderung in Höhe von 437,50 EUR verurteilt. Entgegen der Auffassung der Beklagten handele es sich um einen gegenwärtigen Bedarf, weil die Nachforderung des Vermieters erst mit der Abrechnung der Nebenkosten entstanden sei und die Fälligkeit dieser Forderung somit in den Bewilligungszeitraum falle, in welchem die Beklagte für die Gewährung der Kosten der Unterkunft zuständig sei. Das Urteil des SG wurde der Beklagten am 05.01.2007 zugestellt.

Die Beklagte hat am 05.02.2007 beim Landessozialgericht Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Sie begründet ihre Beschwerde damit, dass die Entscheidung des SG den Richtlinien zum SGB II für Baden-Württemberg widerspreche und damit eine grundsätzliche Bedeutung der Sache vorliege. Es handele sich nicht um einen gegenwärtigen Bedarf, sondern um Schulden der Vergangenheit, weswegen vorliegend eine Pflicht zur Übernahme der Nachforderung von Nebenkosten nach den strengeren Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 SGB II nicht vorgelegen habe.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.

II.

Die nach § 145 Abs. 1 SGG zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500,00 Euro nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2 a.a.O.). Beide Voraussetzungen sind in Anbetracht des Beschwerdewerts und des Zeitraums, für den Leistungen geltend gemacht werden, unstreitig nicht gegeben.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder (2.) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Zulassungsgründe des § 144 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 liegen ersichtlich nicht vor und werden auch von der Beklagten nicht geltend gemacht.

Entsprechend den zu § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG entwickelten Grundsätzen ist eine Rechtssache grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG, wenn sie eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich ist (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Berufungsverfahren zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es dann, wenn sich eine Antwort auf dieselbe bereits aus der vorliegenden obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt, also zur Auslegung der anzuwendenden gesetzlichen Begriffe schon Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben. In diesem Fall geht es nämlich lediglich um die Anwendung der von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze auf den der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt (vgl. zu § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG: BSG, Beschlüsse vom 20.09.2001 - B 11 AL 135/01 B -, zit. nach juris, und vom 09.12.1998 - B 9 VS 6/98 B -, NVwZ-RR 1999, 323). Die aufgeworfene Rechtsfrage ist indes bereits höchstgerichtlich entschieden.

Nach § 22 SGB II in der bis zum 31.03.2006 geltenden Fassung Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

Das SG ist vorliegend zu Recht davon ausgegangen, dass die Nachforderung des Vermieters der Kläger einen aktuellen Bedarf im Sinne von Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II darstellt. Deswegen kann die Beklagte sich nicht mit Erfolg auf die Regelung in § 22 Abs. 5 SGB II berufen, wonach Mietschulden lediglich als Darlehen übernommen werden können, wenn sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht und hierdurch die Aufnahme einer konkret in Aussicht stehenden Beschäftigung verhindert würde.

Es ergibt sich aus dem das Sozialhilferecht prägenden und vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in ständiger Rechtsprechung hervorgehobenen Grundsatz, dass die Sozialhilfe dazu dient, eine gegenwärtige Notlage zu beheben (z.B. Urteil vom 19. Juni 1980 ( BVerwGE 60, 236 ) und Urteil vom 9. Februar 1984 ( BVerwGE 69, 5 )), wobei "Gegenwart" den Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Notlage - ggf. durch eine Antragstellung des Hilfesuchenden - bei dem Träger der Sozialhilfe bedeutet (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1983 (BVerwGE 66, 335)). Diese Erwägungen gelten auch für Leistungen nach dem SGB II an erwerbsfähige Hilfebedürftige.

Das BVerwG hat daher entschieden, dass für eine nach dem Ablauf der Heizperiode vom Vermieter geforderte Nachzahlung von Heizungskosten Sozialhilfe nur zu leisten ist, wenn im Zeitpunkt der Nachforderung die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorliegen (Urteil vom 04.02.1988 - 5 C 89/85 - mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dies hat das BVerwG wie folgt begründet:

"Der Träger der Sozialhilfe kann die notwendige Wärme nicht in natura bereitstellen, namentlich dann nicht, wenn der Hilfesuchende eine zentralbeheizte Unterkunft bewohnt. Der "Bedarf" besteht daher gerade in diesem Fall darin, dass der Träger der Sozialhilfe dem Hilfesuchenden Geldmittel zur Verfügung stellt, die dieser benötigt, um die Lieferung der Wärme durch den Vermieter bezahlen zu können (vgl. auch § 3 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG vom 20. Juli 1962 (BGBl. I S. 515)). Da sich im vorhinein weder die in der kalten Jahreszeit zum Zwecke ausreichender Erwärmung der Unterkunft erforderliche Wärmemenge noch der dafür erforderliche Kostenaufwand feststellen lassen, beschränken sich die Berechtigung des Vermieters und die Verpflichtung des Mieters auf die Forderung bzw. Zahlung von Vorausleistungen (vgl. dazu § 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe = Art. 3 des Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes vom 18. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3603)), und zwar sogar während der Monate, in denen eine Beheizung der Unterkunft tatsächlich nicht erforderlich ist. Das bestätigt, dass auch aus der Sicht des Hilfesuchenden der sozialhilferechtliche Bedarf in der Übernahme der von der Jahreszeit unabhängig regelmäßig zu leistenden Geldbeträge besteht, nicht aber in dem realen Bedarf an Wärme. Dieser Umstand und der weitere Umstand, dass in den jeweiligen Zeitpunkten der Leistung der Vorauszahlungen ungewiss ist, ob diese zu niedrig oder zu hoch bemessen sind, zwingen dazu, die "Gegenwärtigkeit" der Bedarfslage nach dem jeweiligen Zeitpunkt des Entstehens und der Fälligkeit der Vorauszahlungen einerseits und der Nachzahlung andererseits zu beurteilen. Der Anspruch des Vermieters auf Nachzahlung von Kosten der Beheizung kann erst entstehen (und fällig werden), wenn er sich am Ende der vereinbarten Rechnungsperiode anhand der dann bekannten Daten feststellen lässt. Diese Betrachtung wird dadurch bestätigt, dass im umgekehrten Fall - die Vorauszahlungen haben sich im nachhinein als zu hoch bemessen erwiesen - die Forderung des Mieters auf Erstattung erst mit der Feststellung der tatsächlichen Kosten entstehen (fällig werden) kann; es handelt sich nicht um auf die Monate der Vorauszahlungen rückwirkend verteilte Zuvielzahlungen mit der Folge, dass sich im Fall einer Übernahme der zu hohen Vorausleistungen auf die Heizkosten durch den Träger der Sozialhilfe die Hilfegewährung rückwirkend als zum Teil rechtswidrig herausstellt. Eine gegenteilige Betrachtung wäre auch mit der im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 1979 (BVerwGE 58, 146) vertretenen Auffassung nicht zu vereinbaren."

Diese tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen gelten auch für die Gewährung der Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGG, weil es sich um den gleichen Lebenssachverhalt handelt und die Vorschriften des BSHG bzw. nunmehr des SGB XII und des SGB II insofern im wesentlichen den gleichen Regelungsgehalt haben.

Angesichts dieser Rechtslage kann eine grundsätzliche Bedeutung der Sache nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG nicht darauf gestützt werden, dass die Richtlinien des Landkreistages und des Städtetages zur Umsetzung des SGB II in Baden-Württemberg eine Berücksichtigung von Nebenkosten-Nachforderungen gegebenenfalls nicht in der vorliegend nach § 22 SGB II für rechtmäßig erkannten Form zulassen.

Abgesehen hiervon ist auch in Ziff. 22.19 der Richtlinien die Rede davon, dass "angemessene Nachzahlungsbeträge, die sich bei der Heizkostenabrechnung ergeben, ( ...) im Monat der Abrechnung bzw. Beschaffung als Bedarf zu berücksichtigen sind". Die Abrechnung ist aber vorliegend im November 2005 und damit zu einem Zeitpunkt erfolgt, als ebenfalls die Beklagte für die Gewährung von Leistungen zuständig war. Es wäre aber für die Beklagte nichts gewonnen, wenn vorliegend eine geringfügige Korrektur dergestalt erfolgen würde, dass ein Anfallen der Nachzahlungsschuld als gegenwärtiger Bedarf im November 2005 - statt im Monat der Einreichung der Rechnung im Januar 2006 - vorgenommen würde und die Beklagte nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verpflichtet wäre, die Leistung vorliegend für November 2005 und nicht für Januar 2006 zu gewähren.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Diese vorliegenden Nichtzulassungsentscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG. Das angefochtene Urteil des SG vom 28.11.2006 wird hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 5 SGG).
Rechtskraft
Aus
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