L 1 SB 6133/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 4176/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 SB 6133/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 3. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Streit steht ein Grad der Behinderung (GdB) von 50.

Die 1966 geborene Klägerin beantragte erstmals am 6. April 2004 die Feststellung eines GdB. Dem Antrag beigelegt war der Arztbrief des Universitätsklinikums H. vom 5. Februar 2004 mit der Diagnose Zustand nach Chorioretinitis (primäre Aderhautentzündung mit nachfolgender Netzhautentzündung) mit ausgeprägter retinaler Vernarbung. Bei der Klägerin liege eine ausgeprägte Sehbehinderung vor. Befragt wurde vom Versorgungsamt K. (VA) auch der behandelnde Arzt Dr. K., der das von der Klägerin weiter geltend gemachte depressive Syndrom bestätigte.

Nach Einholung einer versorgungsärztlichen (vä) Stellungnahme stellte das VA mit Bescheid vom 29. Juni 2004 einen GdB von 30 sowie eine dauerhafte Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest. Dieser Feststellung lagen als Funktionsbeeinträchtigung eine Sehminderung beidseits und eine seelische Störung zugrunde. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde durch den Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 20. September 2004 zurückgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin am 8. Oktober 2004 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und einen GdB von wenigstens 50 beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die festgestellten Behinderungen seien in ihrer Schwere verkannt worden. Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Prof. Dr. K. hat in seiner Auskunft vom 20. Dezember 2004 ausgeführt, neben der rezidivierenden Neigung zu Ulcus duodeni-Ausbildung bei chronischer familiärer und sozialer Konfliktlage stehe die Chorioretinitis mit erheblicher Beeinträchtigung des Sehvermögens und daraus resultierender psychischer Destabilisierung mit Depression mit zum Teil vitaler Komponente im Vordergrund. Beigefügt hat Prof. Dr. K. zahlreiche Arztbriefe und Befundberichte. Die Fachärztin für Augenheilkunde K. hat unter dem 11. Januar 2005 mitgeteilt, es bestehe ein Zustand nach Chorioretinitis beidseits, gesichert Hyperopie rechts, gesichert Myopie links, gesichert Astigmatismus beidseits. Das SG hat daraufhin den Arzt für Augenheilkunde Prof. Dr. L. mit der Erstellung eines augenärztlichen Zusatzgutachtens und Dr. L., Facharzt für Innere Medizin, mit der Erstellung des Hauptgutachtens beauftragt. Prof. Dr. L. hat als Diagnosen ausgedehnte choreoretinitische Narben der Netz- und Aderhaut, die in funktioneller Hinsicht am rechten Auge schwerwiegender sind als links, eine Herabsetzung der Sehschärfe des rechten Auges auf 0,1, Gesichtsfeldausfälle beider Augen und ein eingeschränktes räumliches Sehen diagnostiziert. Der GdB auf augenärztlichem Fachgebiet wird von ihm mit 40 vorgeschlagen. Im Hauptgutachten hat Dr. L. neben den von Prof. Dr. L. festgestellten Behinderungen ein rezidivierendes Zwölffingerdarmgeschwür und irritables Darmsyndrom (Teil-GdB 10), ein cervikales Wurzelreizsyndrom bei degenerativen Bandscheibenveränderungen (Teil-GdB 20) sowie eine seelische Störung (Teil-GdB 10) aufgeführt und den Gesamt-GdB mit 50 vorgeschlagen.

Unter dem 27. Oktober 2005 hat der Beklagte unter Vorlage einer vä Stellungnahme auf dem Vergleichsweg vorgeschlagen, einen GdB von 40 ab 6. April 2004 anzuerkennen. Das von Dr. L. mit einem Teil-GdB von 20 vorgeschlagene Wirbelsäulenleiden sei zu weitreichend bewertet worden und rechtfertige allenfalls einen GdB von 10.

Die Klägerin hat das Vergleichsangebot nicht angenommen, das SG Prof. Dr. K. ergänzend zu eventuellen neueren Befunden befragt. Dieser hat unter dem 19. Dezember 2005 weitere Befunde vorgelegt und mitgeteilt, dass im Vordergrund die Beschwerden seitens der Halswirbelsäule gestanden hätten, mit ausstrahlenden Schmerzen in beide Arme, links stärker als rechts, sowie zunehmende Missempfindungen im Bereich beider Arme. Die Vorstellung beim Neurochirurgen habe keine Operationsindikation ergeben. Beigefügt waren weitere Arztbriefe und Befundberichte. Die Klägerin hat weiter den Entlassungsbericht vom 21. Dezember 2005 über die vom 16. November bis 14. Dezember 2005 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme vorgelegt. Darin sind als Diagnosen ein chronisch rezidivierendes Cervikalsyndrom mit Cervikocephalgien und -brachialgien beidseits bei Dysbalancen der Schultergürtelmuskulatur, eine Osteochondrose und Bandscheibenprotrusion C 6/7, ein chronisch rezidivierendes Lumbalsyndrom bei muskulärer Haltungsinsuffizienz, eine allgemeine Hypermobilität und Depression aufgeführt.

Das SG hat daraufhin das orthopädische Gutachten vom 4. Juli 2006 bei Dr. M. in Auftrag gegeben. Dieser hat eine rückfällig auftretende Funktionsstörung der Halswirbelsäule (HWS), derzeit freie Funktion und ohne Wurzelreiz, eine Neigung zu Brustwirbelsäulenbeschwerden, derzeit ohne pathologischer Befund, rückfällig auftretende Lendenwirbelsäulenbeschwerden, derzeit ohne Funktionsstörung und ohne Hinweis auf Wurzelreizsymptomatik, subjektiv empfundene Kniegelenksbeschwerden ohne richtungweisenden objektivierbaren klinischen und röntgenologischen Befund diagnostiziert und zusammenfassend ausgeführt, die orthopädischen Funktionseinschränkungen seien mit einem Teil-GdB von 10 ausreichend gewürdigt.

Mit Gerichtsbescheid vom 3. November 2006 hat das SG die angefochtenen Bescheide abgeändert und ab 6. April 2004 einen GdB von 40 festgestellt, unter Klageabweisung im Übrigen.

Gegen den ihr am 9. November 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 8. Dezember 2006 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgebracht, insbesondere die orthopädischen Erkrankungen seien nicht ausreichend gewürdigt worden.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid vom 3. November 2006 sowie den Bescheid vom 29. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. September 2004 abzuändern und bei ihr einen GdB von wenigstens 50 v.H. ab 6. April 2004 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidungen.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht bei Dr. v. St. das fachorthopädische Gutachten, eingegangen bei Gericht am 4. Oktober 2007, eingeholt. Dr. v. St. hat darin zusammenfassend ausgeführt, bei der Klägerin bestehe ein degeneratives HWS-Syndrom mit intermittierenden Muskelverspannungen der paravertebralen Muskulatur und im Beschwerdeintervall auch anzunehmender schmerzhafter Bewegungseinschränkung der HWS bei degenerativen Bandscheibenveränderungen C 6/7, C 5/6 und C 7/Th 1 mit in diesem Bereich vorhandener bandscheibendegenerativ bedingter Gefügelockerung und intermittierenden Nervenwurzelreizerscheinungen (zum Untersuchungszeitpunkt nicht nachweisbar), ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit kernspintomografisch nachgewiesener Bandscheibenprotrusion L 4/5 und degenerativen Involutionsvorgängen in diesem Bereich sowie einem Baastrup-Phänomen und Spondylarthrose der unteren Lendenwirbelsäule mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung für die Reklination sowie intermittierenden Nervenwurzelreizerscheinungen L 5 rechts (zum Untersuchungszeitpunkt nicht nachweisbar), degenerative Involutionsvorgänge der Rotatorenmanschetten beidseits an den Schultergelenken ohne signifikante Bewegungseinschränkung zum Untersuchungszeitpunkt, retropatellare Knorpelschäden an beiden Kniegelenken sowie eine beginnende mediale Gelenkspaltverschmälerung bei Zustand nach Innenmeniskusteilresektion bei degenerativen Involutionsvorgängen. Die Funktionseinschränkung an der Lendenwirbelsäule sei als leicht bis mittelschwer, die der Kniegelenke als noch leicht einzuschätzen. Bewegungseinschränkungen lägen diesbezüglich nicht vor. Den GdB schätzt Dr. v. St. für die Beschwerden der HWS und Lendenwirbelsäule mit 20, für die Kniebeschwerden mit 10 ein, bei einem Gesamt-GdB auf orthopädischem Fachgebiet mit 20. Unter Berücksichtigung der Erkrankung des Dickdarms schlägt er einen GdB von 50 ab April 2004 vor.

Der Beklagte hat die vä Stellungnahme vom 7. Februar 2008 vorgelegt und hält an der bisherigen Rechtsauffassung fest.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG auch im Übrigen zulässige Berufung, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs. 2 SGG) ist unbegründet. Der GdB von 40 ist durch das SG zutreffend festgestellt worden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind insoweit seit 01.07.2001 die Vorschriften des 9. Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX), die an die Stelle der durch dieses Gesetz aufgehobenen Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) getreten sind (Artikel 63, 68 des SGB IX vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046).

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen auf Antrag des behinderten Menschen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden ebenfalls die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Auf Antrag stellen die Behörden einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale aus.

Diese Vorschriften sind weitgehend inhaltsgleich mit den bis zum 30.06.2001 geltenden Vorschriften der §§ 3 und 4 SchwbG, weshalb die bisherigen Grundsätze zur GdB-Bewertung weiter angewandt werden können. Inwieweit in Einzelfällen Gesundheitsstörungen über die damit verbundenen Funktionseinschränkungen hinaus Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft haben und auch diese Auswirkungen insoweit bei der GdB-Einschätzung zu berücksichtigten sind (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2001 - B 9 SB 1/01 R), kann dahinstehen, denn solche Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Feststellung des GdB ist eine rechtliche Wertung von Tatsachen, die mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Dabei orientiert sich der Senat im Interesse der Gleichbehandlung aller Behinderten an den Bewertungsmaßstäben, wie sie in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) niedergelegt sind (vgl. BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4; SozR 3 - 3870 § 4 SchwbG Nr. 19 und Urteil vom 07.11.2001 aaO). Die AP besitzen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhen. Sie sind vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, und haben deshalb normähnliche Auswirkungen. Auch sind sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3 - 3870 aaO; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R).

Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist nach den Grundsätzen zu verfahren, wie sie in den AP (Abschnitt 19) ihren Niederschlag gefunden haben. Danach sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB die Auswirkungen aller Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, führen nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung, auch wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB verursacht. Dann ist im Hinblick auf weitere Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung insgesamt größer wird und deshalb dem höchsten Einzel-GdB ein Behinderungsgrad von 10 oder 20 oder mehr hinzuzufügen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Mathematische Methoden, insbesondere eine Addition der einzelnen GdB-Werte, sind hierbei ausgeschlossen (BSG SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).

Unter Berücksichtigung der in den Anhaltspunkten niedergelegten Grundsätze ist im Fall der Klägerin ein GdB von 40 festzustellen.

Die Grundlage für die GdB/MdE-Beurteilung bei Herabsetzung der Sehschärfe bildet die MdE Tabelle der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) S. 50 ff AP Nr. 26.4. Die bei der Klägerin bestehenden Behinderungen im Bereich der Sehfähigkeit, nämlich ausgedehnte choreoretinitische Narben der Netz- und Aderhaut, die in funktioneller Hinsicht am rechten Auge schwerwiegender sind als links sowie insbesondere die Herabsetzung der Sehschärfe des rechten Auges auf 0,1 sind danach mit einem GdB von 20 zu bewerten. In diesem Teil-GdB ist auch das eingeschränkte räumliche Sehen berücksichtigt. Die weiter bestehenden Gesichtsfeldausfälle beider Augen, die teilweise an den Stellen des schärfsten Sehens angesiedelt sind, sind, wie Prof. Dr. L. auch insoweit in Übereinstimmung mit den AP S. 54 Nr. 26.4 mit einem weiteren Teil-GdB von 20 zu bewerten, so dass der für die Sehbehinderungen angesetzte Teil-GdB von 40 durchaus umfassend die bestehenden Behinderungen berücksichtigt.

Die Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet, wie sie zuletzt im Gutachten von Dr. v. St. beschrieben worden sind, rechtfertigen – abweichend von dessen Vorschlag und in Übereinstimmung mit der Beurteilung durch Dr. M. – allenfalls einen GdB von 10. Nach den AP Nr. 26.18 S. 116 ergibt sich der GdB -Grad bei angeborenen und erworbenen Wirbelsäulenschäden (einschl. Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylolisthesis, Spinalkanalstenose und sog. Postdiskotomiesyndrom) primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Der Begriff Instabilität beinhaltet die abnorme Beweglichkeit zweier Wirbel gegeneinander unter physiologischer Belastung und die daraus resultierenden Weichteilveränderungen und Schmerzen. Sogenannte Wirbelsäulensyndrome (wie Schulter-Arm-Syndrom, Lumbalsyndrom, Ischialgie, sowie andere Nerven- und Muskelreizerscheinungen) können bei Instabilität und bei Einengungen des Spinalkanals oder der Zwischenwirbellöcher auftreten. Für die Bewertung von chronisch-rezidivierenden Bandscheibensyndromen sind aussagekräftige anamnestische Daten und klinische Untersuchungsbefunde über einen ausreichend langen Zeitraum von besonderer Bedeutung. Im beschwerdefreien Intervall können die objektiven Untersuchungsbefunde nur gering ausgeprägt sein. Nach der GdB/MdE-Tabelle Nr. 26.18 sind nach Maßgabe dieser Grundsätze Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität mit einem GdB von 0, solche mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 30 und erst mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallserscheinungen – oder auch die intermittierenden Störungen bei der Spinalkanalstenose – sowie Auswirkungen auf die inneren Organe (z. B. Atemfunktionsstörungen) sind zusätzlich zu berücksichtigen.

Dr. v. St. hat in seinem Gutachten ausgeführt, bei der Klägerin liege ein degeneratives HWS-Syndrom mit intermittierenden Muskelverspannungen der paravertebralen Muskulatur und im Beschwerdeintervall auch anzunehmender schmerzhafter Bewegungseinschränkung der HWS bei degenerativen Bandscheibenveränderungen C 6/7, C 5/6 und C 7/Th 1 mit in diesem Bereich vorhandener bandscheibendegenerativ bedingter Gefügelockerung und intermittierenden Nervenwurzelreizerscheinungen (zum Untersuchungszeitpunkt nicht nachweisbar) vor, ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom mit kernspintomografisch nachgewiesener Bandscheibenprotrusion L 4/5 und degenerativen Involutionsvorgängen in diesem Bereich sowie einem Baastrup-Phänomen und Spondylarthrose der unteren Lendenwirbelsäule mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung für die Reklination sowie intermittierenden Nervenwurzelreizerscheinungen L 5 rechts (zum Untersuchungszeitpunkt nicht nachweisbar). Darüber hinaus bestünden degenerative Involutionsvorgänge der Rotatorenmanschetten beidseits an den Schultergelenken ohne signifikante Bewegungseinschränkung zum Untersuchungszeitpunkt, retropatellare Knorpelschäden an beiden Kniegelenken sowie eine beginnende mediale Gelenkspaltverschmälerung bei Zustand nach Innenmeniskusteilresektion bei degenerativen Involutionsvorgängen. Er hat die Funktionseinschränkung an der Lendenwirbelsäule als leicht bis mittelschwer eingestuft, die der Kniegelenke als noch leicht eingeschätzt. Bewegungseinschränkungen lägen diesbezüglich nicht vor.

Soweit Dr. v. St. für die im Bereich der Wirbelsäule bestehenden funktionellen Einschränkungen einen GdB von 20 vorgeschlagen hat, kann sich dem der Senat unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. M. und der vä Stellungnahme vom 7. Februar 2008 nicht anschließen. Wie insbesondere in der vä Stellungnahme zutreffend ausgeführt ist, hat sich der objektive Befund im Bereich der Wirbelsäule, verglichen mit dem Untersuchungsbefund von Dr. M. im Juli 2006, nicht wesentlich verändert. Dr. v. St. hat an der Rumpfwirbelsäule eine Fehlstatik mit verstärkter Lendenlordose und abgeflachter Brustkyphose und Verspannung der paravertebralen Muskulatur im gesamten LWS-Bereich mit Druck- und Klopfschmerz der Dornfortsatzreihe über die gesamte BWS und LWS beschrieben. Die Beweglichkeit wird als gut erhalten festgestellt und erscheint lediglich im Bereich der BWS durch kompensatorische Hyperlordose bei Vorneigung eingeschränkt. Die Reklination war ab 15 Grad schmerzhaft im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule beschrieben. Die Rumpfseitwärtsneigung und Rotation war altersentsprechend gut möglich, im Bereich der HWS konnte bei der Untersuchung lediglich eine muskuläre Verspannung festgestellt werden bei altersentsprechend guter bis sogar überproportional vorhandener Mobilität. Es liegen daher allenfalls endgradige Bewegungseinschränkungen vor bei zugleich bestehenden deutlichen Muskelverspannungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und mit mäßigen Muskelverspannungen im Bereich der Halswirbelsäule. Diesem Befund entsprechend konnten während des stationären Heilverfahrens Ende 2005 die bestehenden Beschwerden durch muskuläre Kräftigungsübungen und Entspannungstechniken deutlich gebessert werden. Neurologisch fanden sich bei der Untersuchung durch Dr. v. St. keine Zeichen einer Nervenwurzelkompression oder anderer Nervenreizerscheinungen. Deshalb ist, wie Dr. M. in seinem Gutachten schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt hat, auch von keinem Wurzelreizsymptom auszugehen, das über die orthopädisch bedingten funktionellen Einschränkungen hinaus weiter limitierende Wirkung auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin haben würde. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass die Klägerin bei der Untersuchung über Schmerzen klagte. Diese sind jedoch anhand der objektiven Untersuchungsbefunde so nicht nachvollziehbar. Weitere Behandlungsberichte oder Befunde, die einen maßgeblichen anderen objektiven Befund und damit auch eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.

Die Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule sind nach den Grundsätzen der AP daher mit einem GdB von 10 zu bemessen.

Gleiches gilt für die geklagten Beschwerden im Bereich der Kniegelenke. Dr. v. St. hat diesbezüglich retropatellare Knorpelschäden an beiden Kniegelenken sowie eine beginnende mediale Gelenkspaltverschmälerung bei Zustand nach Innenmeniskusteilresektion bei degenerativen Involutionsvorgängen diagnostiziert. Nach den AP Nr. 26.18 S. 126 sind Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0-0-90) einseitig mit einem GdB von 0 – 10, beidseitig mit einem GdB von10 – 20 und erst solche mittleren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0-10-90) einseitig mit einem GdB von 20 und beidseitig mit einem GdB von 40 zu bemessen. Die Beweglichkeit im Kniegelenk ist bei der Klägerin seitengleich uneingeschränkt möglich. Die Klägerin klagt lediglich über Beschwerden und intermittierende Reizerscheinungen der Gelenkinnenhaut. Diese sind als nur leichte Behinderungen nach den oben aufgeführten Grundsätzen mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten.

Bezüglich der seelischen Störung (Depression) und der Erkrankungen der Klägerin auf internistischem Fachgebiet (Zwölffingerdarmgeschwürsleiden und Colon irritabile) sind gegen die jeweils festgesetzten Teil-GdB-Werte von 10 keine Einwendungen vorgebracht worden bzw. auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die insoweit vorgenommene Bewertung die dadurch hervorgerufenen funktionellen Einschränkungen unzureichend berücksichtigt hätte.

Bei einem GdB von 40 für das Augenleiden und 4 GdB-Werten von je 10 für die übrigen Behinderungen ist der Gesamt-GdB nach den AP Nr. 19.4 mit insgesamt 40 zutreffend und umfassend bewertet worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Saved