L 9 U 1863/05 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 4081/04 A
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1863/05 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 31. März 2005 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Vorliegend geht es um die Ablehnung eines gerichtlichen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit. In der Hauptsache ist streitig, ob eine Wirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit gemäß Nr. 2108 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen ist.

Den Antrag des Klägers auf Anerkennung einer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit lehnte die Beklagte nach arbeitstechnischen und medizinischen Ermittlungen mit Bescheid vom 15.11.2002 und Widerspruchsbescheid vom 23.09.2003 ab.

Im Rahmen des anschließenden Klageverfahrens S 9 U 3389/03 vor dem Sozialgericht (SG) Freiburg trug der Kläger vor, er habe während seiner beruflichen Tätigkeit Kisten mit einem Gewicht von 30 bis 40 kg tragen müssen bzw. auf die Waschanlage setzen müssen. Es seien nicht lediglich 110 bis 130 Rohrbündel pro Schicht verlastet worden, sondern ca. 200 Bündel pro Schicht mit einem Gewicht von jeweils 15 bis 20 kg. Zu berücksichtigen sei weiter, dass durch das Auflegen der Rohrbündel auf die Rohrsäge eine besonders rückenbelastende Art der Bewegung erforderlich und deshalb eine ungleich größere Gewichtsbelastung auf das Skelettsystem ausgeübt worden sei. Auch seien in einer Schicht nicht 30 bis 40, sondern 150 Schäferkisten verarbeitet worden.

Das SG beauftragte den Arzt für Arbeitsmedizin Dr. F. mit der Erstattung eines Gutachtens. Im Gutachtensauftrag wird u.a. ausgeführt: Bitte prüfen Sie die arbeitstechnischen Voraussetzungen möglichst am angeschuldigten Arbeitsplatz und unter Beteiligung des Klägers sowie der von ihm benannten Zeugen.

Am 02.07.2004 führte Dr. F. ein Anamnesegespräch mit dem Kläger, in welchem dieser seine seit 1995 ausgeübte Tätigkeit bei der Firma A. als Maschinenbediener schilderte, welche ausweislich dieser Aussage maßgeblich darin bestand, Aluminiumrohrbündel mit einer Rohrlänge von bis zu 6 Meter in die Säge einzulegen und die dann mit den Rohrstücken gefüllten Schäferkisten auf Paletten abzusetzen.

Am 18.08.2004 suchte Dr. F. den früheren Arbeitsplatz des Klägers auf. Hierbei anwesend waren der Leiter der Abteilung Herr G. und die Betriebsärztin Dr. K. Dabei wurde festgestellt, dass der alte Arbeitsplatz bei der Firma A., heute E., seit anderthalb Jahren nicht mehr existiere, da die Rohre nun woanders in Lohnfertigung geschnitten würden. Personen, die den alten Arbeitsplatz noch kannten, waren nicht anwesend. Da auch die Säge nicht mehr vorhanden war, konnte das Einlegen der Aluminiumrohre in die Säge nur beispielhaft vorgeführt werden. Im Gutachten vom 04.09.2004 führte Dr. F. aus, ein Lokaltermin im Beisein des Klägers sei leider nicht zustande gekommen. Dies tue ihm persönlich Leid, da er aufgrund einer Terminverwechslung den mit Herrn Y. ursprünglich vereinbarten Lokaltermin nicht wahrgenommen habe. Allerdings habe dieser auch auf seine telefonische Kontaktaufnahme und auf seine SMS-Kontaktaufnahme nicht wieder reagiert. Andererseits sei aufgrund des Fehlens des alten Arbeitsplatzes im Betrieb seine Anwesenheit auch nicht zur Erkenntnisfindung notwendig gewesen. Dr. F. führte weiter aus, der Aussage des Klägers, die Schäferkisten seien zu 100 % gefüllt gewesen, könne Glauben geschenkt werden, da beim Lokaltermin festgestellt worden sei, dass die Schäferkisten auch bei einer hundertprozentigen Füllung stapelbar seien. Damit sei jedoch gleichwohl das kritische Gewicht von 15 kg pro Kiste nicht erreicht.

Nachdem das Gutachten am 27.09.2004 den Beteiligten übersandt worden war, lehnte der Kläger mit Schreiben vom 12.10.2004 den Gutachter Dr. F. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug er vor, den Termin am 02.08.2004, der seinem Bevollmächtigten nicht mitgeteilt worden sei, habe der Sachverständige ohne Angabe von Gründen nicht wahrgenommen. Von einem weiteren für den 16.08.2004 vereinbarten Termin sei der Bevollmächtigte nicht in Kenntnis gesetzt worden. Auch zu diesem Termin sei der Gutachter nicht erschienen. Von dem Termin am 18.08.2004 sei weder er noch sein Bevollmächtigter unterrichtet worden. Es bestehe der Verdacht, dass sich der Gutachter durch die bewusste Nichtinformation des Bevollmächtigten des Klägers und letztlich auch durch die Nichtinformation des Klägers kritischen Auseinandersetzungen mit den Gegebenheiten vor Ort habe entziehen wollen.

In seiner Stellungnahme vom 05.12.2004 trug Dr. F. vor, an der Wahrnehmung des am 02.07.2004 mit dem Kläger ausgemachten Termins am 02.08.2004 sei er wegen eines Motorschadens verhindert gewesen. Den Ersatztermin für den 16.08.2004 habe er dem Kläger per SMS und Handy mitgeteilt. Auf Wunsch der Betriebsärztin sei der Termin kurzfristig auf den 18.08. verlegt worden, was er dem Kläger telefonisch durch mehrfache Aufsprache auf dessen Mailbox mitgeteilt habe. Dieser habe ihn trotz Bitte nicht zurückgerufen. In seinem Gutachten habe er im Übrigen die Angaben des Klägers über Arbeitsschwere und Füllungsgrad der Kisten zugrunde gelegt. Maßgeblich für das Ergebnis für das Gutachtens seien allerdings nicht die strittigen Angaben des Klägers zur Gewichtsbelastung am Arbeitsplatz, sondern die nicht ausreichende Expositionszeit und Kausalität gewesen.

Mit Beschluss vom 31.03.2005 wies das SG das Ablehnungsgesuch zurück. Gegen den am 08.04.2005 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 18.04.2005 Beschwerde beim SG eingelegt, das dieser nicht abgeholfen und dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat. Zur Begründung trägt er vor, die fehlende Unterrichtung seines Bevollmächtigten über einen Ortstermin begründe die Besorgnis der Befangenheit.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 31. März 2005 aufzuheben und seinem Antrag auf Ablehnung von Dr. F. wegen Besorgnis der Befangenheit stattzugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung ist eine Befangenheit von Dr. F. nicht ersichtlich.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

I.

Die form- und fristgemäß erhobene Beschwerde des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Gemäß § 118 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 406 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Sachverständiger unter den gleichen Voraussetzungen wie ein Richter abgelehnt werden. Nach § 60 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Sachverständigen zu rechtfertigen. Eine Besorgnis der Befangenheit ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit und der Unabhängigkeit des Sachverständigen aufkommen lassen. Geeignet, Misstrauen gegen eine unparteiliche Gutachtenserstattung zu rechtfertigen, sind nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber; rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus. Nicht erforderlich ist, dass der Sachverständige tatsächlich befangen ist; unerheblich ist auch, ob er sich für befangen hält; entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu zweifeln (Zöller, Zivilprozessordnung, 23. Aufl., Anm. 8 und 9 zu § 42). Ein Fehlverhalten eines Sachverständigen begründet nur dann die Besorgnis der Befangenheit, wenn es bei Würdigung aller Umstände den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt (BayVGH NJW 04, 90).

Das SG hat den Antrag des Klägers zurecht abgelehnt, da die vom Kläger vorgetragenen Gründe eine Besorgnis der Befangenheit des vom SG bestellten Sachverständigen Dr. F. nicht zu begründen vermögen.

Die Ladung und die Anwesenheit der Beteiligten bei einem Ortstermin des Sachverständigen folgt aus den Grundsätzen der Waffengleichheit und des fairen Verfahrens. Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist der Grundsatz des fairen Verfahrens insbesondere dann verletzt, wenn der abwesende Beteiligte keine Gelegenheit bekommt, die Fragen des Sachverständigen kennen zu lernen und seinerseits zur Information des Sachverständigen beizutragen (BGH, Beschluss v. 15.04.1975 - NJW 1975 S. 1363). An den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit i.S.d. § 357 ZPO ist der Sachverständige dagegen nicht gebunden. Es ist nicht seine Sache darüber zu entscheiden, ob er die Parteien hinzuzieht oder nicht, sondern gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 404a Abs. 4 ZPO Sache des Gerichts (OLG Dresden, Beschluss v. 25.11.1996 - 7 U 1608/95, NJW-RR 1997, 1354, 1355; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage, § 118 Rn. 11 b).

Das SG hat zwar im Gutachtensauftrag vom 24.05.2004 nach Maßgabe der Bestimmung des § 404a Abs. 4 ZPO angeordnet, dass der Sachverständige unter Beteiligung des Klägers die arbeitstechnischen Voraussetzungen möglichst am angeschuldigten Arbeitsplatz prüfen sollte. Diese Anordnung gelangte sowohl dem Bevollmächtigten des Klägers als auch der Beklagten zur Kenntnis. Ihr konnte der Sachverständige aber nicht eindeutig entnehmen, dass er vom Ortstermin auch den Bevollmächtigten des Klägers und die Beklagte zu unterrichten hatte. Wenn nun der Sachverständige weder den Bevollmächtigten des Klägers noch die Beklagte über den mehrfach verlegten Ortstermin unterrichtete, kann hieraus eine Voreingenommenheit des Sachverständigen gegenüber dem Kläger nicht abgeleitet werden kann. Nachdem keiner der Beteiligten am Ortstermin teilnahm, wird auch das Gebot der Waffengleichheit nicht verletzt.

Der Senat kann ebenso wenig wie das SG feststellen, dass der Sachverständige die Abwesenheit des Klägers im Ortstermin am 18.08.2004 beabsichtigt oder billigend in Kauf genommen und damit das Gebot eines fairen Verfahrens verletzt hat. Dagegen spricht, dass der erste Termin am 02.08.2004 mit dem Kläger beim Anamnesegespräch am 02.07.2004 vereinbart worden war. Nachdem dieser Termin fehlgeschlagen war und der Kläger deshalb mit dem Sachverständigen telefonischen Kontakt aufgenommen hatte, unterrichtete dieser den Kläger über den Termin vom 16.08.2004 per Mobiltelefon und SMS. Schließlich hat er auch versucht, den Kläger telefonisch über den neuen Termin am 18.08.2004 zu informieren.

Schließlich kann auch aus der Tatsache, dass der Sachverständige trotz der Abwesenheit des Klägers am 18.08.2004 den Ortstermin durchführte, keine Voreingenommenheit abgeleitet werden. Hier fällt vor allem ins Gewicht, dass der Arbeitsplatz des Klägers in seiner ursprünglichen Form, wie er während der Tätigkeit des Klägers bestand, nicht mehr existierte. Der Kläger war im Wesentlichen an der Rohrsäge beschäftigt. Zum Zeitpunkt des Ortstermins war die Säge nicht mehr im Betrieb, die Sägearbeiten wurden vielmehr außerhalb des Betriebes in einer Lohnsägerei durchgeführt. Die Demonstration des Arbeitsablaufes konnte deshalb nicht mehr an der konkreten Maschine vorgeführt werden, an welcher der Kläger gearbeitet hatte. Mithin war dem Sachverständigen die Feststellung von weiteren arbeitstechnischen Gegebenheiten im Sinne des Auftrages des SG gar nicht mehr möglich. Schließlich ist zu beachten, dass der Sachverständige vor der Besichtigung des Arbeitsplatzes den Kläger eingehend zu der von ihm verrichteten Tätigkeit befragt und dessen Angaben auch dem Gutachten zugrundelegt hat

Da somit Gründe für eine Besorgnis der Befangenheit des vom SG bestellten Sachverständigen Dr. F. nicht vorliegen, war die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg zurückzuweisen.

Dieser Beschluss ist gem. § 177 SGG nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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