L 5 KR 1461/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 4593/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1461/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 1. März 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger mit intravenösem Immunglobulin (IVIG) (hier konkret mit Octagam 20 g/Monat) im Wege des Off-Label-Use zu versorgen.

Der 1947 geborene Kläger bezieht Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit einem Auszahlungsbetrag von 1154 EUR netto. Er erkrankte 1975 an Multipler Sklerose. Nach anfänglich schubförmigem Verlauf ging die Erkrankung um 1985 in einen sekundär-progredienten Verlauf über. Seitdem liegt beim Kläger eine so genannte sekundär-progrediente Multiple Sklerose vor. Bei ihm besteht eine deutliche spastische Paraparese, das Aufrichten aus dem Rollstuhl sowie Stehen und einzelne Schritte mit beidseitigen Gehstützen sind nur unter großen Mühen möglich (Gehstrecke 7,6 m mit zwei Unterarmgehstützen in einer Minute und 50 Sekunden). Daneben liegen auch deutliche funktionelle Einschränkungen der oberen Extremitäten vor. Der Kläger ist Schwerbehinderter mit einer GdB um 100, ihm sind die Merkzeichen G, aG, H und RF zuerkannt worden.

Erstmals im März 2000 stellte der Leitende Arzt der Neurologischen Abteilung des Klinikums am Weißenhof, Dr. E., die medikamentöse Behandlung wegen des günstigeren Nebenwirkungsprofils auf die Gabe von 20 g intravenösen Immunglobulins um. Der Kläger habe während eines Klinikaufenthalts Immunglobuline gut vertragen, er denke, eine immunmodulierende Therapie werde eine mögliche (wahrscheinliche) Progredienz günstig beeinflussen (Arztbrief vom 30.03.2000).

Intravenös verabreichte Immunglobuline in Form des Medikaments Octagam wurden dem Kläger zu Lasten der Beklagten bis einschließlich April 2002 verordnet. Danach verweigerte Dr. E. die weitere Verschreibung von Immunglobulinen. Für Immunglobuline (z. B. Octagam oder Polyglobin) gebe es keine Forschungsergebnisse, die erwarten ließen, dass diese Substanz für die sekundär-progrediente Multiple Sklerose (arzneimittelrechtlich) zugelassen werde. Auf einem Kongress sei kürzlich eine umfangreiche Studie veröffentlicht worden, die bei sekundär-progredienter Multipler Sklerose keinen Nutzen der Immunglobulin-Behandlung erbracht habe (Arztbrief vom 9.4.2002). Die im Anschluss daran erfolgte vorübergehende Absetzung der Medikation mit Octagam hatte beim Kläger Mitte 2002 eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes zur Folge, sodass der Kläger seitdem auch im Wohnbereich auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Octagam wurde ihm von Dr. E. in der Folge auf Privatrezept verschrieben; der Kläger muss sich dieses Medikament seitdem auf eigene Kosten (derzeit monatlich 816,40 EUR) beschaffen.

Die Bemühungen des Klägers, Immunglobuline mit Hilfe der Sozialgerichte weiter zu Lasten der Beklagten zu erhalten, blieben erfolglos. Der am 17.10.2002 bei dem Sozialgericht Heilbronn (SG) gestellte Antrag auf Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung wurde mit Beschluss vom 06.12.2002 - S 9 KR 2744/02 ER abgewiesen, die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Beschluss vom 28.05.2003 - L 4 KR 175/03 ER-B zurück. Auch im Klageverfahren S 9 KR 3309/02 (klagabweisendes Urteil vom 13.02.2004) vermochte der Kläger mit seinem Begehren ebenso wenig durchzudringen wie im anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg L 4 KR 1094/04. Das LSG begründete die Zurückweisung der Berufung im Urteil vom 16.09.2005 damit, entscheidend sei, dass sich bei der Behandlung mit Octagam auch nach den jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen, jedenfalls bei der Verlaufsform der Multiplen Sklerose, die beim Kläger vorliege, eine Wirksamkeit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen lasse. Die Auslegung des Klägers, eine Wirksamkeit sei nicht ausgeschlossen, sei zwar zutreffend, eine derartige Feststellung reiche aber gerade nicht aus, um die Anforderungen zu erfüllen, die das BSG für die Zulässigkeit eines Off-Label-Use aufgestellt habe. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Nachdem der Kläger im Herbst 2005 erneut die intravenösen Immunglobuline abgesetzt hatte, trat wiederum eine Verschlechterung des Krankheitsbildes ein, der EDSS verschlechterte sich von 6,5 auf 8. Der Kläger war deswegen vom 16.11.2005 bis 25.11.2006 in stationärer Behandlung im Klinikum am Weißenhof (vgl. Bericht Dr. E. vom 25.1.2006). Er beantragte danach am 28.12.2005 die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens L 4 KR 1094/04, diesen Antrag nahm er jedoch bereits mit Erklärung vom 23.01.2006 auf richterliche Empfehlung zurück (Verfahren L 4 KR 3/06 ).

Am 09.01.2006 hatte der Kläger erneut bei der Beklagten die Versorgung mit intravenösen Immunglobulinen beantragt. Er wies zum einen auf die eingetretene Verschlechterung seit Absetzen von Octagam hin, zum anderen vertrat er die Auffassung, das Bundesverfassungsgericht habe mit Beschluss vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 - die bisherige Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit korrigiert. Wenn eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung vorliege und keine allgemein anerkannte Therapie zur Verfügung stehe, verstoße die Ablehnung einer neuen Behandlungsmethode, die eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf spürbare positive Einwirkungen auf den Krankheitsverlauf verspreche, gegen das grundgesetzliche Grundrecht auf Leben und Gesundheit. Er erfülle genau die Kriterien des Bundesverfassungsgerichtes. Ergänzend legte der Kläger den Kurzbericht des Klinikums am Weißenhof vom 25.11.2005 über seinen stationären Aufenthalt vom 16.11.2005 bis 25.11.2005 vor (Verschlechterung von EDSS 6,5 auf 8 seit Absetzen der IVIG), den die Beklagte dem MDK vorlegte. Dr. B. vertrat im Gutachten vom 09.03.2006 die Auffassung, eine sekundär-progrediente MS könne sich naturgemäß auch einmal schnell verschlechtern. Auffällig sei vorliegend in der Tat der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Absetzen der i.v. Immunglobulin-Behandlung und der eingetretenen Verschlechterung. Eine solche Verschlechterung könne aber nicht kausal auf das Absetzen der i.v. Immunglobulin-Behandlung, zumindest nach derzeitigem Kenntnisstand, zurückgeführt werden. Die subjektive Wahrnehmung des Versicherten werde auf jeden Fall so sein, dass er der Meinung sei, dass nur wegen der Absetzung die Verschlechterung entstanden sei. Wissenschaftlich relevante Daten, die für eine Behandlung mit IVIG bei der sekundär-progredienten MS sprechen würden, lägen unverändert nicht vor, im Gegenteil, es seien in der letzten Zeit weitere detaillierte Auswertungen der ESIMS-Studie hinzugekommen, die gegen eine Wirksamkeit sprächen. Für den Kläger komme eine Immunprophylaxe mit Betaferon in Frage. Betaferon könne die primäre Erfolgsgröße "Zeit bis zum nachweislichen Fortschreiten der Erkrankung", d. h. eine Verschlimmerung des Bewegungsgrads, hinauszögern. Diese Therapieoption stehe dem Kläger in jedem Fall offen. Anders als bei Immunglobulinen bestehe hier immerhin ein Hinweis auf Wirksamkeit, der sogar zur Zulassung geführt habe.

Die Beklagte zog weiterhin eine Übersicht der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband e.V. vom 09.12.2005 über hoch dosierte intravenöse Immunglobuline in der Behandlung der Multiplen Sklerose bei. Danach bleibe es auch nach neuesten Studien bei der Aussage, dass IVIG in der sekundär-progredienten Phase der MS keine Wirksamkeit hätten. Bisherige Studien hätten keinen Effekt auf EDSS-Progression, Schubrate, MRT oder andere klinischen Parameter gezeigt. Es bleibe bei der Empfehlung, bei sekundär-progredienter MS IVIG nicht einzusetzen.

Mit Bescheid vom 03.04.2006 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten des Medikamentes Octagam für den Kläger ab. Sie erklärte sich allerdings bereit, die Kosten eines individuellen Heilversuchs in einem auf die Behandlung von Multiple Sklerose-Erkrankungen spezialisierten Instituts zu übernehmen. In der Folge stellte sich der Kläger am 11.07.2006 in der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg vor. Wie aus dem Arztbrief von Assistentin Dr. B. und Oberarzt Prof. Dr. R. vom 17.07.2006 hervorgeht, wurde eine durchgehende Befundkonstanz seit 2000 konstatiert. Bereits im Arztbrief von Dr. E. vom 30.03.2000 sei die auch hier vorgefundene eingeschränkte Gehfähigkeit beschrieben. Da nach zweimaligem Aussetzen der Immunglobulintherapie jeweils kurzfristige Verschlechterungen aufgetreten seien, lasse sich bei der Beurteilung der individuellen Wirksamkeit ein positiver Effekt der Immunglobulin-Gabe feststellen. Andere Therapiemaßnahmen seien bei der unter Immunglobulin-Therapie anhaltenden Stabilität nicht indiziert. Es bestehe keine Indikation für das potenziell kardiotoxische Mitoxantron. Eine Behandlung mit einem Betaferonpräparat würde in der konkreten Situation ebenfalls unter den Off-Label-Status fallen und wäre auch nicht richtliniengestützt. Empfohlen werde eine Kombinationsbehandlung mit Azathioprin, damit nach einiger Zeit ein langsames Ausschleichen der Immunglobulin-Therapie mit der Zielsetzung einer langfristigen Monotherapie unter Azathioprin erfolgen könne.

Dieser Beurteilung widersprach Dr. B. vom MDK Baden-Württemberg im Gutachten vom 25.10.2006. Betaferon habe die Indikation zur Behandlung von Patienten mit sekundär-progredient verlaufender MS, die sich in einem akuten Krankheitsstadium befänden, d. h. klinische Schübe erfahren. Interferon-Beta habe bei sekundär-progredienter MS zumindest bei Sekundärparametern einen positiven Effekt. Es stehe dem Kläger deshalb als Behandlungsalternative zur Verfügung. Dasselbe gelte für das Mitoxantron. Mitoxantron sei ein zugelassenes und verkehrsfähiges Mittel, das dem Kläger ebenfalls zur Verfügung stehe.

In der Folge zeigte sich die Beklagte vergleichsbereit und bot dem Kläger ohne Anerkennung einer Rechtsverpflichtung an, Octagam befristet auf ein Jahr mit anschließend neuer, absolut offener Entscheidung zu übernehmen. Der Kläger konnte sich damit nicht anfreunden (Schreiben vom 13.11.2006). Er bestand darauf, dass die Kriterien des Bundesverfassungsgerichtes erfüllt seien, er leide an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, weil MS, jedenfalls unbehandelt, die Lebenserwartung verkürze. Eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf (Heilung oder) spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf sei durch die Gabe von intravenösen Immunglobulinen gegeben, wie aus dem Schreiben von Prof. Dr. R. folge. Dr. B. sei fachlich nicht kompetent. Anerkannte Behandlungsalternativen stünden laut Prof. Dr. R. ebenfalls nicht zur Verfügung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger leide zwar an einer schwerwiegenden, die Lebensführung nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung, nicht aber an einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vom 06.12.2005 sei bereits deswegen nicht anwendbar. Die allgemeine wissenschaftliche Meinung gehe trotz einiger Hinweise in anderen Studien eindeutig davon aus, dass ein Wirkungszusammenhang von Immunglobulinen mit Erfolgen in der Behandlung der sekundär-progredient verlaufenden Multiplen Sklerose nicht bestehe. Die Voraussetzungen der seitherigen "Off-Label-Use-Rechtsprechung" des BSG lägen deshalb nicht vor.

Der Kläger hat hiergegen am 12.12.2006 Klage bei dem Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Er bringt vor, die Gabe von intravenösen Immunglobulinen sei eine für bestimmte Nervenkrankheiten zugelassene Behandlungsmethode, sie sei zwar für MS noch nicht förmlich zugelassen, bei schubförmiger MS jedoch als Off-Label-Behandlung bei Kontraindikation oder Unwirksamkeit der zugelassenen Mittel etabliert. Der diese Behandlungsmethode ablehnende Widerspruchsbescheid beruhe auf einer unzulässig restriktiven Auslegung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 06.12.2005. In seinem Falle lägen ganz konkrete Indizien für eine spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf vor, die der Kläger im Einzelnen darstellte. Auch sonst gebe es Erfahrungsberichte über positive Ergebnisse einer IVIG-Behandlung bei Patienten mit sekundär-progredienter MS. Er gehöre einer relativ kleinen Subgruppe der sekundär-progredienten MS an, den "best responders" auf IVIG. Konkrete wissenschaftliche Ergebnisse lägen insoweit noch nicht vor. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vom 06.12.2005 ermögliche es ihm aber, nicht auf die Ergebnisse dieser Forschungen warten zu müssen. Eine "allgemein anerkannte", dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung stehe für ihn nicht zur Verfügung. Mitoxantron könne wegen seiner hohen Toxizität höchstens zwei Jahre pro Menschenleben gegeben werden und sei bei ihm bereits in den 80er Jahren eingesetzt worden.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat ihre Argumentation aus dem Widerspruchsbescheid im Wesentlichen wiederholt und verstärkt. Sie legte ergänzend einen Auszug aus den Behandlungsleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Stand September 2006) vor. Darin heißt es, aufgrund einer negativ verlaufenden Studie von intravenösen Immunglobulinen bei sekundär-progredienter MS könne diese Therapieoption für diese Verlaufsform der MS nicht empfohlen werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 01.03.2007 wies das SG die Klage ab. Es nahm zur Begründung Bezug auf die zutreffenden Gründe des Widerspruchsbescheides und auf das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 13.02.2004 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16.09.2005. Beide Entscheidungen hätten weiterhin Gültigkeit. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 ändere daran nichts. Eine schwerwiegende lebensbedrohliche Erkrankung, die nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes Voraussetzung für den Einsatz der beschriebenen, nicht zugelassenen Arzneimittel sei, sei bei der Erkrankung des Klägers nicht gegeben.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 09.03.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.03.2007 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren mit der bisherigen Begründung weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 1. März 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 3. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten seiner Behandlung mit Octagam zu übernehmen und ihm die Kosten der Selbstbeschaffung von Dezember 2005 bis Mai 2008 in Höhe von 24.492 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf ein neueres Urteil des Bundessozialgerichtes vom 27.03.2007 - B 1 KR 17/06 R, das ihre Rechtsauffassung zur Übernahme der Kosten einer Behandlung mit Imunglobulin bei sekundär-progredient verlaufender Multipler Sklerose eindeutig bestätige.

Die Beklagte hat auf Aufforderung des Senates eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme des MDK, Dr. B. vom 16.01.2008, vorgelegt. Danach hätten auch neuere Studien aus dem Jahr 2007 keinen signifikanten Wirkungsnachweis von IVIG für die Vermeidung weiterer Schübe ergeben. Ob das Medikament Octagam bezüglich des Medikaments "Polyglobin 10 %" identisch sei, könne nicht direkt beantwortet werden. Die Herstellungsformen der Immunglobuline differierten. Bezüglich der verschiedenen Immunglobuline fehle es allerdings bereits an einer hinreichenden Datenlage. Existiere nun keine hinreichende Datenlage, so könne nicht ohne jegliche Daten postuliert werden, dass dann eine Wirksamkeit vorhanden wäre, die Wirksamkeit wäre im Gegenteil für das einzelne Präparat jeweils nachzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten, die Vorakten des SG S 9 KR 2744/02 ER, S 9 KR 3309/02, S 9 KR 944/06 ER, bzw. des Senats L 4 KR 175/03 ER-B, L 4 KR 2411/06 ER-B, L 4 KR 1094/04 und L4 KR 3/06 sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihm die Kosten für das selbst beschaffte Medikament Octagam 20 g/Monat zu erstatten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem Medikament.

Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V, auf den der Kläger sich hinsichtlich der von ihm bisher verauslagten Kosten für das Medikament Octagam beruft, reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zur erbringen hat (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R Idebenone). Dies ist bezüglich Octagam bei sekundär-progredienter Multipler Sklerose nicht der Fall. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit intravenösen Immunglobulinen, wie etwa dem Medikament Octagam. Er kann die Versorgung mit diesem Medikament nicht für die Zukunft beanspruchen und hat auch für die Vergangenheit keinen entsprechenden Kostenerstattungsanspruch. Arzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 Satz 1, § 12 Abs 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt ( vgl zB BSG, Urteil vom 4.4.2006 - B 1 KR 12/04 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 7 RdNr 22 mwN - D-Ribose ). Dies ist hier der Fall, weil "Octagam 20 g" für die Behandlung der MS nicht zugelassen ist. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Octagam 20 g, das nur über eine Zulassung für die Behandlung anderer Krankheiten als diejenige verfügt, an welcher der Kläger leidet, muss ebenfalls ausscheiden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (vgl. dazu BSG Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/07 R) kommt ein "Off-Label-Use" nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.

Die erste dieser Voraussetzungen erfüllt der Kläger mit der bestehenden sekundär-progredienten MS, da es sich dabei um eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Krankheit handelt. Ob es vorliegend zumutbare Behandlungsalternativen (etwa durch die Gabe von Betaferon) gibt oder ob solche Behandlungsalternativen in Wirklichkeit nicht bestehen, kann hier offen bleiben. Denn die für den erlaubten Off-Label-Use auf Kosten der GKV erforderlichen Aussichten auf einen Behandlungserfolg sind hier nicht gegeben. Wie das Bundessozialgericht mehrfach (vgl. Urteil vom 26.9.2006 - B 1 KR 1/06 R - Rdnr. 19) dargelegt hat, kann von in diesem Sinne hinreichenden Erfolgsaussichten dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Letzteres kann nur angenommen werden, wenn die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Plazebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb des Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht. Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Unstreitig ist, dass eine Phase III-Studie mit positiven Ergebnissen bei der Behandlung von Patienten mit sekundär-progredienter MS nicht vorliegt. Die in der Vergangenheit durchgeführten Studien zeigen im Gegenteil, wie für den Senat aus den Darlegungen von Dr. B. hervorgeht, dass eine Behandlung mit Immunglobulinen diesem Personenkreis weder hinsichtlich der primären Erkrankung noch hinsichtlich der sekundären Erkrankungsfolgen irgendwelche messbaren Vorteile gebracht hat. Soweit der Bevollmächtigte des Klägers in seinen Berufungsschriftsätzen zuletzt erneut verschiedene Studien erwähnt, handelt es sich nicht um Phase III-Studien, sondern um Erfahrungsberichte über positive Ergebnisse einer IVIG-Behandlung bei Patienten mit sekundär-progredienter MS im Einzelfall bzw. mit einer für eine Phase III-Studie nicht ausreichenden Kohorte von lediglich 20 Patienten. Diesen vom Kläger vorgetragenen zwei positiven Studien stehen andererseits die von Dr. B. in der Stellungnahme vom 16.1.2008 aufgeführten 12 Arbeiten aus den Jahren 2006 bis 2008 entgegen, in denen eine positive Wirkung einer Behandlung mit IVIG bei Patienten mit sekundär-progredienter MS nicht gefunden wird. Die letzte große Studie habe die Wirkung von IVIG bei schubförmiger MS weder bestätigt noch widerlegt. Nach Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 01.07.2007 sind die Voraussetzungen für die Erteilung einer Zulassung zur Indikation "schubförmige MS" nicht gegeben.

Auch die weitere Voraussetzung, die des Konsenses in den einschlägigen Fachkreisen im Sinne eines voraussichtlichen Nutzens, liegt nicht vor. Das Gegenteil ist der Fall. In den einschlägigen Fachkreisen besteht Konsens darüber, dass die Gabe von Immunglobulinen keine wirksamen Effekte bei der Behandlung von sekundär-progredienter Multipler Sklerose hat. Dies folgt für den Senat aus den zahlreichen aktenkundigen Äußerungen, beginnend bei Dr. E. in dem Attest vom 20.03.2000, der Aussage von Dr. Pöhlau im Verfahren L 4 KR 1094/04 vom 23.05.2005, der Einschätzung von Prof. Dr. R. von der Neurologischen Universitätsklinik Würzburg in dessen Arztbrief vom 17.07.2006, dem Arztbrief von Dr. E. vom 25.01.2006 sowie den allgemeinen Aussagen auf der Homepage der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft e.V. vom 09.12.2005 sowie der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Stand September 2006). Neuere, auf die Vergangenheit rückwirkende (für den Kläger günstige) Erkenntnisse liegen dem Senat nicht vor, zumal Dr. B. in der Stellungnahme vom 16.1.2008 auf die Anfrage des Senates in seiner Literaturrecherche Publikationen sogar aus dem Jahr 2008 noch herangezogen hat.

Soweit der Bevollmächtigte des Klägers die Auffassung vertreten hat, der Kläger gehöre zu einer MS-Subgruppe, die als best responder auf IVIG reagieren, was zwar klinisch gesichert, medizinisch theoretisch aber nicht erklärbar sei, so handelt es sich um nicht mehr und nicht weniger als um eine Spekulation. Solche Überlegungen mögen als Arbeitshypothesen für die weiteren Forschungen sinnvoll sein, von einem gesicherten Konsens in den einschlägigen Fachkreisen kann indes keine Rede sein. Der Bevollmächtigte des Klägers hat seine These auch als wissenschaftlich nicht belegt bezeichnet. Die Auffassung des Bevollmächtigten des Klägers wurde auch von keinem der behandelnden oder in diesem Verfahren Stellungnahmen abgebenden Ärzte geteilt.

Zutreffend ist allerdings, dass sowohl Dr. E. in den Attesten vom 20.03.2000 und 25.01.2006 als auch Prof. Dr. R. in dem Arztbrief vom 17.07.2006 die Auffassung vertreten, die Behandlung des Klägers mit Octagam habe seinem Falle einen positiven Effekt mit individueller Wirksamkeit gezeigt. Beide Ärzte hielten deshalb die weitergehende Gabe von Immunglobulinen für vertretbar und sinnvoll. Dies kann nach der Rechtsprechung des BSG zugunsten des Klägers allerdings nicht berücksichtigt werden. Das BSG hat in der Entscheidung vom 27.03.2007, wo es sich mit der Anwendung von Polyglobin 10 % bei Patienten mit progredient-sekundärer MS auseinander gesetzt hat, wörtlich formuliert "Der von der Klägerin speziell für ihren Einzelfall geltend gemachte Behandlungserfolg ist unerheblich, weil die streitige Therapie wissenschaftlich anerkannt wirksam sein muss, um den sich für den Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen genügen zu können; der Anspruch umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Hierzu genügt es nicht, dass die Arzneimitteltherapie bei einem Versicherten nach seiner eigenen Ansicht oder derjenigen seiner Ärzte positiv gewirkt haben soll und ggf herkömmlichen Arzneimitteln vorzuziehen ist ( vgl zB BSGE 76, 194, 198 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 S 11 - Remedacen ). Zu Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels muss es vielmehr grundsätzlich zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist ( vgl zB BSGE 93, 1, 2 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, jeweils RdNr 7 mwN - Immucothel; zuletzt BSGE 95, 132 RdNr 18 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 25 mwN - Wobe-Mugos E ). Auch bei einer erfolgten Arzneimittelanwendung sind Spontanheilungen und wirkstoffunabhängige Effekte mit in Rechnung zu stellen ( vgl BSG, Urteil vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 4 RdNr 42 mwN - Tomudex (auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) )."

Auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 vermag dem Kläger nicht weiter zu helfen. Das BSG hat hierzu im Einzelnen ausgeführt:

"Zu keinem anderen Ergebnis führt schließlich aufgrund des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 ( 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 = NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891 = MedR 2006, 164 - immunbiologische Therapie ) die verfassungskonforme Auslegung derjenigen Normen des SGB V, die einem verfassungsrechtlich begründeten Anspruch auf Arzneimittelversorgung entgegenstehen ( vgl dazu BSG, Urteil vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R, SozR aaO RdNr 23 - Tomudex ).19 Diese Auslegung hat zur Folge, dass im Rahmen der Anspruchsvoraussetzungen von § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 und § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ausnahmsweise bejaht werden müssen, obwohl ein Mittel bzw eine Behandlungsmethode an sich von der Versorgung zu Lasten der GKV ausgeschlossen ist. Die verfassungskonforme Auslegung setzt ua voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende ( vgl BSG, ebenda RdNr 21 und 30 mwN ) oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt ( vgl BSG, Urteil vom 4.4.2006 - B 1 KR 12/04 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 7 RdNr 31 f - D-Ribose ). Daran fehlt es. Der Senat hat insoweit zuletzt in seinem Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R ( Idebenone, RdNr 17 ff, zur Veröffentlichung vorgesehen ) ausgeführt, dass mit den genannten Krankheits-Kriterien des BVerfG eine strengere Voraussetzung umschrieben wird, als sie mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des Off-Label-Use formuliert ist. Denn hieran knüpfen weitergehende Folgen an. Ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig vom Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass das vom BVerfG herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu ergangenen untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen ( vgl auch BSG, Urteil vom 26.9.2006 - B 1 KR 3/06 R - RdNr 34 - Neuropsychologische Therapie ). Bereits die Anforderungen an das Bestehen einer "schwerwiegenden" Erkrankung für einen Off-Label-Use sind erheblich. Nicht jede Art von Erkrankung kann den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. Auch ein Off-Label-Use bedeutet nämlich, Arzneimittel für bestimmte Indikationen ohne die arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität einzusetzen, die in erster Linie Patienten vor inakzeptablen unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit schützen soll. Ausnahmen können schon insoweit nur in engen Grenzen aufgrund einer Güterabwägung anerkannt werden, die der Gefahr einer krankenversicherungsrechtlichen Umgehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse entgegenwirkt, die Anforderungen des Rechts der GKV an Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel (§ 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V) beachtet und den Funktionsdefiziten des Arzneimittelrechts in Fällen eines unabweisbaren, anders nicht zu befriedigenden Bedarfs Rechnung trägt ( so zum Ganzen BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R - RdNr 18 mwN - Idebenone) Der institutionelle Schutz, den das für Deutschland erforderliche Arzneimittelzulassungsverfahren bietet, fehlt auch bei einem systematisch betriebenen Off-Label-Use, weil in derartigen Fällen die gebotene indikationsbezogene Arzneimittelzulassungsprüfung nicht stattgefunden hat. Damit aber drohen den Versicherten auch hier Gesundheitsgefahren, vor denen sie das Zulassungsverfahren gerade schützen will. Soll trotzdem - noch hinausgehend über die dargestellten einschränkenden Voraussetzungen der Sandoglobulin-Rechtsprechung für einen Off-Label-Use - unter Berufung auf den verfassungsrechtlich gebotenen Gesundheitsschutz ein Anspruch auf die zulassungsüberschreitende Anwendung eines Arzneimittels zu Lasten der GKV begründet werden, ist auch darauf abzustellen, ob sich die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs schon in näherer oder erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit zu konkretisieren droht. Verbleibt durch einen langen, verzögerten Krankheitsverlauf jahrzehntelang Zeit zur Therapie, ist in Rechnung zu stellen, dass die im Zeitablauf typischerweise voranschreitenden medizinischen und pharmakologischen Erkenntnisse in Zukunft Therapiemöglichkeiten eröffnen und (positive wie negative) Ergebnisse zu Tage fördern können, welche aktuell noch nicht verfügbar sind. Dann aber ist es auch verfassungsrechtlich hinnehmbar, den von einer schweren Krankheit betroffenen Patienten bei fehlender Akut-Problematik trotz der damit verbundenen Belastungen und Unzuträglichkeiten in der Regel abzuverlangen, vor der Inanspruchnahme der GKV für unkonventionelle Pharmakotherapien zunächst das Vorliegen einer auf solchen Forschungsergebnissen gestützten Zulassung der beanspruchten Fertigarzneimittel abzuwarten. Dementsprechend hat das BSG die qualifizierten Erfordernisse einer lebensbedrohlichen Krankheit iS des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 ( aaO ) verneint zB bei einem Prostata-Karzinom im Anfangsstadium ( Urteil vom 4.4.2006 - B 1 KR 12/05 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 36 - Interstitielle Brachytherapie mit Permanent-Seeds ), bei einer in 20 bis 30 Jahren drohenden Erblindung ( Beschluss vom 26.9.2006 - B 1 KR 16/06 B ) sowie bei einer langsam progredient verlaufenden Friedreich schen Ataxie mit über Jahre hinweg möglichen stabilen Symptomen ( Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R - Idebenone ). Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den ggf gleichzustellenden, akut drohenden und nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten. Solches ist bei einer bestehenden MS in sekundär-progredienter Verlaufsform trotz der unbestreitbaren Schwere dieser Krankheit nicht anzunehmen. Wie die MDK-Ärzte Dres. Hanisch und Hoffmann in ihrem in den Beklagtenakten enthaltenen, der Klägerseite zur Kenntnis gegebenen Gutachten "Einsatz von Immunglobulinen bei MS" (Stand Dezember 2005, Seite 9/10) - gestützt auf umfangreiche medizinische Fachliteratur-Recherchen - ausgeführt haben, benötigen ca 50 % der MS-Patienten nach 15 Jahren Hilfe beim Laufen und beträgt die durchschnittliche Dauer vom Beginn der Krankheit bis zur Rollstuhlabhängigkeit 29,9 Jahre. Die durchschnittliche Zeit von Krankheitsbeginn bis zum Tod beträgt in der Regel mindestens 30-40 Jahre, ohne dass die MS dann selbst idR unmittelbare Todesursache ist; die durchschnittliche Überlebenswahrscheinlichkeit von MS-Patienten ist zehn Jahre nach Krankheitsbeginn im Vergleich mit der Normalbevölkerung noch um etwa zehn Jahre reduziert. Ausgehend von diesen auch von der Revision nicht beanstandeten Erkenntnissen handelt es sich bei der sekundär-progredienten MS nicht um eine Krankheit, die von ihrem akuten Behandlungsbedarf her derjenigen gleichsteht, welche dem vom BVerfG am 6.12.2005 entschiedenen Fall der Duchenneschen Muskeldystrophie zugrunde lag. Während die von diesem Leiden betroffenen Patienten zumeist das 20. Lebensjahr nicht erleben ( vgl BSGE 81, 54, 55 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 ), besteht für Patienten mit sekundär-progredienter MS eine deutlich andere Situation. Die letztgenannte Krankheit wird charakterisiert durch eine chronische, zT schubartig verlaufende Progredienz. Eine gezielt kausale Therapie gibt es insoweit nicht, vielmehr kann - auch mit den von der Klägerin begehrten, im Übrigen nicht nebenwirkungsfreien Immunglobulinen - nur versucht werden, die Schubrate bzw die Schwere der Schübe zu vermindern bzw die Progression der Behinderung zu hemmen (vgl MDK-Gutachten S 11, 14, 15 f). Die Klägerin ist im Falle auftretender Krankheitsschübe zudem nicht gänzlich unversorgt, sondern wird dann zur Linderung mit Cortison behandelt. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung von "Polyglobin 10 %" unter Lockerung der zum Schutz der Patienten und der Versicherten der GKV geschaffenen speziellen gesetzlichen Regelungen über die Arzneimittelversorgung muss vor diesem Hintergrund ausscheiden. Mit Hilfe des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 lässt sich auch nicht die rechtliche Schranke überwinden, dass für einen auf Kosten der GKV zulässigen Off-Label-Use bereits zum Zeitpunkt der Behandlung die oben dargestellten anspruchsauslösenden Erkenntnisse vorliegen müssen ( vgl dazu bereits BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 4 RdNr 31; zuvor außerhalb der Fälle grundrechtsorientierter Auslegung: stRspr, vgl BSGE 81, 54, 58 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 13 f; SozR 3-2500 § 135 Nr 12 S 56 f (für Festlegungen in den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen); BSGE 93, 236, 243 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 RdNr 19; BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27 mwN (für Pharmakotherapien) ). Diese allgemeine Voraussetzung des Leistungsrechts der GKV gilt unabhängig davon, ob die zu behandelnde Krankheit eine besondere Schwere und Lebensbedrohung aufweist. Das Verfassungsrecht gebietet es nicht, eine Krankenkasse für leistungspflichtig zu erklären und zur Kostenerstattung zu verurteilen, wenn sich eine zum Behandlungszeitpunkt aufgestellte, den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Prognose über die Erfolgsaussichten einer bestimmten Behandlung aufgrund zwischenzeitlich gewonnener neuer Erkenntnisse ex post als (möglicherweise) "medizinisch überholt" erweist.

Die vorgenannte Rechtsprechung des BSG, die zu dem Medikament Polyglobin 10 % ergangen ist, kann voll inhaltlich auf das vom Kläger begehrte Medikament Octagam 20 g/Monat übertragen werden. Der Kläger selbst wurde in der Anfangsphase von Dr. E. zunächst mit Polyglobin, allerdings in stärkerer Wirkstoffmenge behandelt. Soweit der Kläger meint, die Medikamente seien nicht vergleichbar, wirkt sich dies zu seinen Lasten aus. Dr. B. hat unter Berufung auf das Paul-Ehrlich Institut in seiner Stellungnahme vom 16. 1.2008 überzeugend darauf hingewiesen, dass an sich für jedes einzelne Immunglobulinpräparat ein Wirksamkeitsnachweis vor einem Einsatz bei MS-Kranken zu fordern ist. Solche Wirksamkeitsnachweise bestehen aber weder für einzelne Immunglobuline noch speziell für das Medikament Octagam. Existiert keine hinreichende Datenlage, so wirkt sich dies aber erst recht zu Lasten des Klägers aus. Bestehen nicht einmal bei möglicherweise vergleichbaren Medikamenten gesicherte Erkenntnisse über positive Wirkungseffekte, so liegen die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use erst recht nicht hinsichtlich des konkret begehrten Medikaments Octagam vor.

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die hier grundsätzlich zu beantwortenden Fragen wurden vom BSG im Urteil vom 27.03.2007 - B 1 KR 17/06 R bereits entschieden.
Rechtskraft
Aus
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