L 2 U 59/99

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 15 U 110/94
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 59/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 1999 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe der dem Kläger wegen der Folgen eines im Jahre 1960 im Beitrittsgebiet erlittenen Arbeitsunfalls gewährten Verletztenrente.

Vor der Aufnahme seines Chemiestudiums im September 1960 erlitt der 1941 geborene Kläger in dem chemischen Laboratorium der Deutschen Akademie der Wissenschaften (DAW), wo er als Angestellter beschäftigt war, am 9. März 1960 einen von ihm als Explosionstrauma bezeichneten Arbeitsunfall. In dem Schriftsatz vom 9. November 1999 beschrieb der Kläger das Ereignis wie folgt: Ein frischbereiteter Sprengstoff aus getrocknetem feinstzerkleinerten Kaliumchlorat und Schwefelblüte, auf einer glatten Labortischfläche liegend, sei plötzlich und unvorbereitet detoniert. Der von ihm in der rechten Hand gehaltene Hornspatel sei in viele Teile zersplittert, die die Hände und das Gesicht nebst Augen verletzt hätten. Er sei unverzüglich in das Krankenhaus im Friedrichshain eingeliefert und dort bis 30. April 1960 stationär behandelt worden. Durch Bescheid der Verwaltung der Sozialversicherung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) vom 16. September 1960 war dem Kläger aus Anlass des Unfalls vom 9. März 1960 vom 11. Juli 1960 an - dem Tag nach Wegfall des Krankengeldes - bis auf weiteres eine Verletztenrente in Höhe von 30 vH der Vollrente gewährt worden. Als Unfallfolgen waren nach dem Gutachten des Dr. M vom 23. August 1960 „Verlust der Mittel- und Endglieder der Fi 2 + 3 rechts; Durchblutungsstörungen; Empfindlichkeit der Fingerstümpfe; rechts Hörstörungen“ anerkannt worden. Nach der Wende wurde dem Kläger ab 1. Juli 1990 Unfallrente in Höhe von 228,- DM von der Verwaltung der Sozialversicherung gewährt.

Mit Schreiben vom 5. November 1992 führte der Kläger u.a. aus, „dass eine neue amtsärztliche Überprüfung des Unfallschadens der Höhe nach anzustreben ist, hierdurch gelänge erst die Harmonisierung mit dem Recht der BRD“. In einem weiteren Schreiben vom 25. März 1993 machte der Kläger eine Verschlimmerung der Unfallfolgen betreffs der am 9. März 1960 erlit-tenen Augenverletzungen geltend. Er trug vor, bei der Verpuffung an diesem Tage seien Splitter in beide Augen gedrungen, die im Krankenhaus im Friedrichshain entfernt worden seien. Später sei eine Sehschwäche aufgetreten, er müsse seit Jahren eine Brille tragen.

Das Krankenhaus im Friedrichshain und die Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin teilten der Beklagten auf Anfrage mit, dass Unterlagen über den Kläger nicht mehr vorhanden seien. Die Beklagte ließ den Kläger von mehreren medizinischen Sachverständigen begutachten. Der Augenarzt Dr. K kam in seinem Gutachten vom 29. April 1993 zu dem Ergebnis, durch den Unfall sei es zum Auftreten von Hornhautnarben gekommen, die links zu einer Verziehung der Hornhautoberfläche geführt hätten. Dadurch sei das Sehvermögen links auf 50 % der Norm herabgesetzt. Die Hornhautnarben hätten die Blendungsempfindlichkeit erhöht. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vonseiten der Augen betrage deswegen 10 vH.

Der Chirurg Dr. H bewertete in seinem Gutachten vom 27. Mai 1993 die bei dem Kläger auf chirurgischem Gebiet vorliegenden unfallbedingten Gesundheitsstörungen mit einem Grad der MdE von 20 vH und schätzte die Gesamt-MdE mit 30 vH ein.

In dem HNO-ärztlichen Gutachten vom 30. September 1993 führte Prof. Dr. N (Chefarzt der HNO-Klinik im Krankenhaus Neukölln) aus, bei dem Kläger bestehe beidseits eine praktische Normalhörigkeit mit einem rechts etwas stärker ausgeprägten Hochtonabfall, ein nach audiologischer Analyse relativ leises, nach Angaben des Klägers erträgliches Ohrgeräusch, das eine MdE von höchstens 5 vH bedinge sowie kein besonderer Schwindel. Es liege nach den vestibulospinalen Prüfungen

eine Unsicherheit im Posturogramm vor. Dieser Schwindel sei in die Belastungsstufe 4 und die Intensitätsstufe 0 einzuordnen, so dass die MdE ebenfalls unter 10 vH liege.

Insgesamt verursachten die Unfallfolgen auf HNO-ärztlichem Gebiet, selbst wenn man den Schwindel als Unfallfolge ansähe, eine MdE von weniger als 10 vH.

Durch Bescheid vom 15. November 1993 erkannte die Beklagte „Hornhautnarben auf dem linken Auge mit einer erhöhten Blendungsempfindlichkeit“ als weitere Unfallfolge an und entschied, dass es bei der bisher festgestellten MdE von 30 vH verbleibe, weil die MdE durch das Augenleiden nicht wesentlich erhöht werde. Den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser eine Erhöhung der MdE auf mindestens 40 vH begehrte, wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 1994 zurück.

Mit der gegen diese Entscheidung erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Beklagte habe zusätzliche Unfallfolgen anerkannt, diese jedoch bei der Bildung der MdE nicht berück-sichtigt. Da die Augenschäden eine MdE von 10 vH bedingten und eine merkliche Einschränkung der groben Kraft der rechten Hand eingetreten sei, betrage die unfallbedingte MdE mindestens 40 vH.

Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte Dr. L (Ärztin für Allgemeinmedizin) vom 25. April 1994 und der Augenärztin Dr. Sch vom 16. August 1994 eingeholt, die einen Visus mit Korrektur rechts 1.0 und links 0.7 angegeben hat. Weiterhin hat das Sozialgericht aus dem Rechtsstreit S 47 Vs 909/94 (später L 13 Vs 34/97) das von dem Internisten Prof. Dr. D am 29. Mai 1995 erstattete Gutachten zur Gerichtsakte genommen. Der Sachverständige hatte u.a. „Teilverlust des II. und III. Fingers der rechten Hand, mit Einschränkung der groben Kraft“ als mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 20 zu bewertende Behinderung festgestellt und vorgeschlagen, den Gesamt-GdB des Klägers auf 20 festzusetzen, wobei er davon ausging, dass bei diesem - neben drei weiteren Behinderungen - auch eine Sehbehinderung vorliege, die mit einem GdB von 10 zu bewerten sei.

Der Kläger machte nunmehr geltend, er leide seit dem Unfall 1960 an einer chronischen Mit-telohrentzündung, die zusätzlich als Unfallfolge anzuerkennen sei. Zu berücksichtigen sei, dass nach den Feststellungen des chirurgischen Gutachters die grobe Kraft der rechten Hand und ihre Geschicklichkeit deutlich eingeschränkt seien, was für den chirurgischen Bereich eine Teil-MdE von 25 bis 30 vH rechtfertige, so dass von einer Gesamt-MdE von 35 vH auszugehen sei.

Das Sozialgericht führte weitere medizinische Ermittlungen durch. Es holte Befundberichte des Chefarztes der HNO-Abteilung des St. Hedwig-Krankenhauses Dr. Ma vom 15. Mai 1996 und des HNO-Arztes Dr. R vom 28. Mai 1996 ein, der 1994 „Tinnitus, geringer Hochtonverlust, altersentsprechend“ sowie 1995 „akute Otitis media re“, die gebessert sei, als von ihm erhobene Befunde angab. Anschließend beauftragte es Prof. Dr. N mit der Abgabe einer gutachterlichen Stellungnahme nach Auswertung der neuen Erkenntnisse auf HNO-ärztlichem Gebiet. In seiner Rückäußerung vom 21. Juni 1996 kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die MdE aus den Unfallfolgen selbst unter Berücksichtigung der Schriftsätze des Klägers und der Mitteilungen der ihn behandelnden HNO-Ärzte eine MdE von 10 vH weiterhin nicht erreiche.

Der Kläger, der am 11. November 1995 einen Schlaganfall erlitten hatte, inzwischen mit einem GdB von 100 als Schwerbehinderter anerkannt ist und von der Pflegekasse der DAK Leistungen nach der Pflegestufe II erhält, wies darauf hin, dass die Beklagte an die in dem Bescheid vom 16. September 1960 festgestellten Unfallfolgen und die damals getroffene MdE-Bewertung gebunden sei. Da inzwischen weitere Unfallfolgen eingetreten seien, die die MdE erhöhten, müsse die Gesamt-MdE auf mindestens 40 vH neu festgestellt werden.

Auf Veranlassung des Sozialgerichts erstattete daraufhin der Arzt für Chirurgie Dr. Schw am 28. Juli 1998 ein unfallchirurgisches Sachverständigengutachten über den Kläger. Er kam zu dem Ergebnis, dass die durch den Unfall bedingte Gebrauchsminderung der rechten Hand durch Verlust der Mittel- und Endglieder von Zeige- und Mittelfinger sich im Laufe der Jahre nicht verschlimmert habe, es insbesondere nicht zu einer Arthroseentwicklung der verbliebenen Finger und des Daumens gekommen sei. Der Grad der MdE sei mit 30 vH zu bewerten; er werde durch die eine MdE von je 10 vH bedingenden Unfallfolgen im HNO-ärztlichen Bereich und auf augenärztlichem Gebiet nicht erhöht, so dass es bei einer Gesamt-MdE von 30 vH verbleibe.

In einem weiteren auf Veranlassung des Sozialgerichts erstatteten Gutachten vom 16. Dezember 1998 kam der HNO-Arzt Prof. Dr. G zu dem Ergebnis, dass die Gesamt-MdE auf HNO-ärztlichem Gebiet maximal 10 vH betrage. Die Teil-MdE für den Hörverlust sei mit ( 10 vH, eigentlich Null vH und für den Tinnitus mit 5 vH, mit Sicherheit ( als 10 vH, anzusetzen. Eine chronische Otitis media oder Sinusitis habe nicht nachgewiesen werden können. Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfall von 1960 und den geklagten Schwindelbeschwerden sei nicht zu verifizieren.

Das Sozialgericht hat die Klage, mit der der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 40 vH ab 1. November 1992 beantragt hat, durch Urteil vom 31. Mai 1999 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Eine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Klägers, die es rechtfertige, den in Ansatz gebrachten Grad der MdE von 30 auf 40 vH zu erhöhen, sei nicht eingetreten. Die chirurgischen Unfallfolgen bedingten nur eine MdE von 20 vH, auf HNO-ärztlichem Gebiet bestehe eine MdE von maximal 10 vH, die MdE vonseiten der Augen betrage 10 vH. Hiernach sei die Gesamt-MdE aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 9. März 1960 mit 30 vH zutreffend bestimmt.

Gegen das am 19. August 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger (bereits) am 5. Juli 1999 Berufung eingelegt. Er hält an seiner Auffassung fest, dass der Grad der MdE 40 vH, mindestens jedoch 35 vH betrage. Hierbei seien gemäß § 581 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) die beruflichen Nachteile zu berücksichtigen, die er infolge des Arbeitsunfalls erlitten habe. Die Unfallfolgen bedingten ein besonderes berufliches Betroffensein.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 1999 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 15. November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 1994 zu verurteilen, ihm ab 1. November 1992 Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 40 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Akteninhalt verwiesen. Der den Kläger betreffende Verwaltungsvorgang der Beklagten lag dem Senat vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Ihm steht, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, keine höhere Verletztenrente zu. Der Bescheid der Beklagten vom 15. November 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 1994 hält einer rechtlichen Überprüfung stand, denn die bei dem Kläger vorliegenden Folgen des am 9. März 1960 erlittenen Arbeitsunfalls bedingen keine höhere MdE als 30 vH.

Nach Art. 19 Satz 1 und 3 des Einigungsvertrages (EinigVtr) vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889) ist der dem Kläger erteilte Bescheid des DDR-Leistungsträgers vom 16. September 1960, durch welchen dem Kläger im Beitrittsgebiet wegen des am 9. März 1960 erlittenen Arbeitsunfalls ab 11. Juli 1960 eine Verletztenrente nach einem Körperschaden von 30 vH bewilligt worden ist, über den 2. Oktober 1990 hinaus wirksam geblieben. Der Bescheid hat im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten als der nach Anlage I Kap. VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr. 1 Buchst. c Abs. 8 Nr. 2 EinigVtr zuständigen Rechtsnachfolgerin Bestandskraft im Sinne von § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erlangt (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 11. Mai 1995 - 2 RU 24/94 - veröffentlicht in BSGE 76, 124, unter Hinweis auf BSGE 72, 50, 55 = SozR 3-8570 § 10 Nr. 1).

Der von dem Kläger in dem Schreiben vom 5. November 1992 begehrten Überprüfung des Unfallschadens zwecks „Harmonisierung mit dem Recht der BRD“ bedurfte es nicht. Die Beklagte war aufgrund der Rechtswirkung des DDR-Rentenbescheides zur Weitergewährung der Unfallrente nach dem festgestellten Grad der MdE von 30 vH verpflichtet.

Als Rechtsgrundlage für die von dem Kläger begehrte Gewährung von Verletztenrente nach einer höheren MdE kommt nur der im Beitrittsgebiet nach Art. 8, 19 Satz 3 EinigVtr und Anlage I Kap. VIII Sachgeb. D Abschnitt III Nr. 2 EinigVtr seit dem 1. Januar 1991 anwendbare § 48 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch (SGB X) in Betracht. Nach Abs. 1 dieser Vor-schrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben bzw. zu ändern, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Nach § 73 Abs. 3 des Siebenten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII), der gemäß § 214 Abs. 3 Satz 2 SGB VII auch für Versicherungsfälle gilt, die vor dem Inkrafttreten des SGB VII (am 1. Januar 1997) eingetreten sind, ist bei der Feststellung der MdE eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 vH beträgt. Diese Regelung entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), das bereits mit Urteil vom 2. März 1971 (2 RU 39/70 - veröffentlicht in BSGE 32, 245) zu § 622 Abs. 1 RVO a.F. entschieden hatte, dass eine Besserung oder Verschlimmerung von Unfallfolgen nur dann eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne dieser Norm bedeute, wenn sich hierdurch der Grad der MdE um mehr als 5 vH senke bzw. erhöhe. Hiernach besteht nach § 48 Abs. 1 SGB X kein Anspruch auf Neufeststellung, wenn sich die MdE nur um 5 vH, beispielsweise von 30 auf 35 vH, erhöht hat.

Ebenso wie das Sozialgericht ist auch der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass die bei dem Kläger vorliegenden Folgen des am 9. März 1960 erlittenen Unfalls zu keinem Zeitpunkt bis zum heutigen Tage eine höhere MdE als die ihm bisher zuerkannte von 30 vH bedingten. Die unfallbedingte MdE bemisst sich nach dem Umfang der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung des Verletzten durch die Unfallfolgen und den Umfang der ihm dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 27). Das die gesetzliche Unfallversicherung beherrschende Prinzip der abstrakten Schadensbemessung besagt, dass die Entschädigung nach dem Unterschied der auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten des Versicherten vor und nach dem Arbeitsunfall zu bemessen ist (vgl. aus der umfangreichen Rechtsprechung z.B. BSGE 31, 185; SozR 2200 § 581 Nr. 6). Es kommt also nicht maßgeblich darauf an, in welchem Umfang der Verletzte in der Ausübung der versicherten Tätigkeit beeinträchtigt ist. Für die Bemessung der MdE ist ausschlaggebend, welche Arbeiten der Verletzte nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten vor dem Unfall leisten konnte und welche Tätigkeiten er nach dem Unfall bei seinem nun vorliegenden Gesundheitszustand noch verrichten kann. Der Grad der MdE ergibt sich somit aus einem Vergleich der vor dem Unfall vorhandenen und der nach dem Unfall verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten (BSGE 1, 174). Dies verkennt der Kläger, wenn er im Berufungsverfahren auf eine besondere berufliche Betroffenheit hinweist. Fehl geht insbesondere sein Hinweis auf § 581 Abs. 2 RVO, denn der Kläger hatte im Zeitpunkt des Unfalls am 9. März 1960, den er im Alter von 18 Jahren erlitten hatte, noch keine „besonderen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen“ erworben, deren Nutzung wegen der Folgen des Unfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang möglich war.

Die Beklagte hatte, nachdem der Kläger die Neufeststellung beantragt und ein Augenleiden als weitere Unfallfolge geltend gemacht hatte, eine umfassende medizinische Prüfung auf allen in Betracht kommenden Fachgebieten veranlasst. Die von den Ärzten Dr. K, Dr. H und Prof. Dr. N in Bezug auf die anzuerkennenden Unfallfolgen, die hierdurch bedingten Einzelgrade der MdE und die Gesamt-MdE getroffenen Feststellungen haben durch die im gerichtlichen Verfahren durchgeführten umfangreichen medizinischen Ermittlungen im Wesentlichen ihre Bestätigung gefunden.

Abweichungen ergeben sich lediglich insoweit, als der gerichtliche Sachverständige Dr. Schw für die Gebrauchsminderung der rechten Hand durch Verlust der Mittel- und Endglieder von Zeige- und Mittelfinger eine MdE von 30 vH angenommen hat, weil sich das Verbleiben der Grundglieder nicht funktionsverbessernd auswirke bzw. nicht als die Gebrauchsfähigkeit verbessernde Situation gewertet werden könne. Ebenso wie dem Sozialgericht erscheint auch dem Senat diese Einschätzung des Sachverständigen zweifelhaft. Soweit dieser sich hierfür auf die Kommentierung von Izbicki/Neumann/Spohr beruft, ist dort (auf S. 131 der 9. Auflage und im Anhang 1 Tafel IV Abb. 44 und Tafel VIII Abb. 90) für den vollständigen Verlust des 2. und 3. Strahls der rechten Hand eine MdE von 30 vH vorgesehen, für den Verlust der beiden oberen Glieder eine MdE von 20 vH. Da Dr. Schw ausgeführt hat, durch den überwiegenden Gebrauch des Daumens sowie des vierten und fünften Fingers sei es nicht zu einer unfallbedingten Arthroseentwicklung gekommen, so dass keine Verschlimmerung feststellbar sei, hält auch der Senat den von ihm für die Gebrauchsminderung der rechten Hand angenommenen Grad der MdE von 30 vH für zu hoch.

Jedoch würde, wie das Sozialgericht zutreffend erkannt hat, ein Gesamtgrad der MdE von mehr als 30 vH selbst dann nicht gebildet werden können, wenn man den „chirurgischen“ Grad der MdE - wie Dr. Schw - mit 30 vH beurteilte. Dem Sachverständigen und dem Sozialgericht ist nämlich insoweit zu folgen, als dargelegt wurde, dass die auf HNO-ärztlichem und augenärztlichem Bereich vorliegenden unfallbedingten Gesundheitsstörungen nicht geeignet sind, den Gesamtgrad der MdE zu erhöhen.

Das Sozialgericht hat auf den Seiten 7 und 8 des angefochtenen Urteils ausführlich und überzeugend unter eingehender Erörterung der Gutachten der HNO-Ärzte Prof. Dr. N und Prof. Dr. G sowie des Augenarztes Dr. K dargelegt, dass die MdE auf HNO-ärztlichem Gebiet maximal 10 vH und für den augenärztlichen Bereich 10 vH beträgt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf diese Ausführungen des Sozialgerichts (§ 153 Abs. 2 SGG), die er für zutreffend hält.

Hat ein Arbeitsunfall, wie im vorliegenden Fall, Schäden an mehreren Körperteilen hinterlassen, so ist die MdE im Ganzen zu würdigen. Das schematische Zusammenrechnen der für die einzelnen Körperschäden in Ansatz gebrachten MdE-Sätze verbietet sich auch, wenn sich die Unfallfolgen nicht überschneiden. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSGE 9, 104, 110; 21, 63, 65; 48, 82, 86) ist (ähnlich wie im Schwerbehindertenrecht) die Gesamt-MdE nicht rechnerisch aus den Einzel-MdE-Graden zu ermitteln, sondern es ist eine Gesamtwürdigung des Gesundheitszustandes unter Berücksichtigung des Zusammenwirkens der einzelnen Gesundheitsstörungen vorzunehmen, also deren Gesamteinwirkung auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten zu würdigen. Eine Gesundheitsstörung, die nur eine MdE von 10 vH bedingt, wirkt sich im Regelfall auf eine mit einem höheren MdE-Grad zu bewertende schwerere Schädigung nicht aus. Selbst wenn man im vorliegenden Fall zugunsten des Klägers von einem Grad der MdE von 30 vH für die Gebrauchsminderung der rechten Hand ausgehen und zusätzlich annehmen würde, die übrigen Gesundheitsstörungen erhöhten die MdE um 5 vH, wie der Kläger hilfsweise geltend macht, käme, wie oben dargelegt wurde, eine Erhöhung der MdE im Neufeststellungsverfahren nach §§ 48 Abs. 1 SGB X, 73 Abs. 3 SGB VII nicht in Betracht, weil es an einer wesentlichen Verschlimmerung im Sinne dieser Vorschriften fehlte.

Die Berufung des Klägers konnte daher unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved