Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 EG 15/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 15. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2008 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, das Elterngeld unter Berücksichtigung des Lohnsteuerklassenwechsels im März 2007 neu zu berechnen und zu verbescheiden.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des Elterngeldes, insbesondere ob der Wechsel der Klägerin von der Lohnsteuerklasse V in die Lohnsteuerklasse III rechtsmissbräuchlich war. Die Klägerin ist die Mutter des am 2007 geborenen Kindes L ... Sie beantragte am 16.11.2007 die Gewährung von Elterngeld für die ersten 12. Monate nach der Geburt des Kindes. Im März 2007 wechselte sie von Lohnsteuerklasse V auf III. Dies begründete sie damit, dass dies auf Anraten der Mitarbeitervertretung des Arbeitgebers erfolgt sei, um ein höheres Elterngeld zu erlangen. Dass dies als rechtsmissbräuchlich angesehen werden könnte, wurde erst viel später publik. Sie hätte dann die Lohnsteuerklasse IV gewählt, wenn sie gewusst hätte, dass dies akzeptiert werde. Sie seien hier falsch beraten worden. Mit Bescheid vom 15.01.2008 wurde der Antrag bewilligt und ein Elterngeld in Höhe von 649,38 Euro/mtl., berechnet nach der Lohnsteuerklasse V, gezahlt. Da der Lohnsteuerklassenwechsel der Klägerin in die Steuerklasse III nicht im Sinne der Richtlinie zum Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) nachvollziehbar sei (der Ehemann verdiene immer noch mehr), könne er nicht berücksichtigt werden. Dagegen legte die Klägerin fristgerecht Widerspruch ein. Diesen begründete sie damit, dass die Lohnsteuerklassen frei wählbar seien. Die Verordnung des Ministeriums erscheine ihr nicht rechtmäßig zu sein. Mit Bescheid vom 31.03.2008 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Klägerin hat fristgerecht Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Sie erläuterte hier, dass sich das Nettoeinkommen der beiden Ehegatten nach dem Steuerklassenwechsel zusammen nur um 35,44 Euro monatlich verschlechtert habe. Insbesondere gibt sie an, dass der Ehemann Brutto 2371,08 Euro und sie brutto 2058,61 Euro verdiene. Sie habe bis Dezember 2006 nur in Teilzeit gearbeitet und die damalige Wahl der Steuerklassen habe den Einkünften entsprochen. Erst seit Januar 2007 arbeite sie wieder in Vollzeit. Aufgrund einer Information der Mitarbeitervertretung ihres Arbeitgebers hätten sie sich zu einem Wechsel der Steuerklassen entschieden, um höheres Elterngeld zu erhalten. Deshalb erfolgte im März 2007 auch der Wechsel in die Steuerklasse III. Die Klägerin beantragt: Den Bescheid vom 15.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, des Bundeselterngeld unter Berücksichtigung des Lohnsteuerklassenwechsels im März 2007 neu zu berechnen und zu verbescheiden.
der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er ist der Meinung, dass die Grundsätze einer rechtsmissbräuchlichen Rechtsausübung -die auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zurückzuführen sei - anzuwenden sind. Ein schutzwürdiges Interesse für den Steuerklassenwechsel könne er nicht erkennen. Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 15.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2008 verletzt die Klägerin hinsichtlich der Heranziehung der Lohnsteuerklasse V für die Berechnung des Elterngeldes in ihren Rechten und war daher aufzuheben.
Nach dem am 01.01.2007 in Kraft getretenen § 2 Abs. 1 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 67% des in den 12 Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist die Summe der positiven Einkünfte aus Land und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz. 1 Nr.1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach Maßgabe der Abs. 7 bis 9 zu berücksichtigen.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bundeselterngeld berechnet auf der Grundlage der von ihr tatsächlich erzielten Nettoeinkünfte. Gemäß § 2 Abs. 7 BEEG ist als Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Personen einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte Überschuss der Einnahmen in Geld oder Geldeswert über die mit einem Zwölftel des Pauschbetrages nach § 9a Abs. 1 Satz. 1 Nr. 1 Buchstabe a EStG anzusetzenden Werbungskosten zu berücksichtigen. Nach Satz 2 sind als auf die Einnahmen entfallenden Steuern, die abgeführte Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer, im Falle einer Steuervorauszahlung der auf die Einnahmen entfallende monatliche Anteil anzusehen. Grundlage der Einkommensermittlung sind die entsprechenden monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers. Danach hat die Klägerin seit März 2007 ein höheres Nettogehalt bezogen. Deshalb ist dieses höhere Nettogehalt grundsätzlich der Berechnung des Elterngeldes zu Grunde zu legen. Dafür spricht allein der Wortlaut des Gesetzes, der von der abgeführten Lohnsteuer spricht.
Im streitgegenständlichen Bescheid hat der Beklagte nach § 2 Abs. 1 und Abs. 7 BEEG für die Klägerin ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 906,96 Euro angesetzt. Dabei hat er rechtswidrig den Wechsel in die Lohnsteuerklasse III, welcher im März 2007 erfolgte, unberücksichtigt gelassen. Der Gesetzgeber hat im Bundeselterngeldgesetz keinerlei Einschränkungen hinsichtlich des Lohnsteuerklassenwechsels vorgenommen. § 2 BEEG zielt nur auf das durchschnittliche monatlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit ab. Grundlage der Berechnung ist demnach das tatsächlich zugeflossene Nettoeinkommen. Hätte der Gesetzgeber hier Einschränkungen vornehmen wollen, so hätte er diese ohne weiteres ins Gesetz aufnehmen können, wie er das in § 133 Abs. 3 SGB III auch getan hat.
Der Beklagte beruft sich bei der Nichtanerkennung des Steuerklassenwechsels auf die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erlassenen Richtlinien zum Bundeselterngeld. Die darin gemachten Vorgaben zur Beurteilung eines Steuerklassenwechsels sind nach Meinung der Kammer ohne Parlamentsvorbehalt nicht geeignet, in die Rechte des Bürgers einzugreifen. Der Parlamentsvorbehalt besagt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), dass staatliches Handeln in grundlegenden Bereichen durch Parlamentsgesetz legitimiert sein muss. Der parlamentarische Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen in ihren Grundzügen selbst zu treffen und darf dies nicht anderen Normgebern oder der Exekutive überlassen. (vgl BVerfGE 83, 130, 142; 95, 267, 307 f; 98, 218, 251; 108, 282, 311 f, jeweils mwN). Verfassungsrechtlich bedenklich ist es daher, wenn aufgrund einer Richtlinie der Exekutive und damit reinen verwaltungsinternen Durchführungsbestimmungen ohne Außenwirkung ein Eingriff in Rechte des Bürgers erfolgt. Denn eine außenwirksame Rechtsetzung darf einer dazu nicht befugten Verwaltungsinstanz nicht überlassen werden, denn damit würde der Gewaltenteilungsgrundsatz verletzt.
Wenn, wie festgestellt, nach dem Gesetz Einschränkungen nicht vorgesehen sind, kommen die allgemeinen Grundsätze des Rechts zur Anwendung. Zu diesen allgemeinen Grundsätzen gehört auch der im § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zum Ausdruck kommende Grundsatz von Treu und Glauben. Der Beklagte kann sich demnach auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben berufen, wenn ein Rechtsmissbrauch vorgelegen hat. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG - (vgl. BSG 10. Senat vom 22.03.1995, Aktenzeichen:10 RAr 1/94). ist grundsätzlich anerkannt, dass ein Recht auf eine Sozialleistung nicht geltend gemacht werden kann, wenn dies sozial unangemessen geschieht und wenn es der rechtsethischen Funktion des Rechts widerspricht. Der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs orientiert sich am Schutzzweck der Norm, wobei grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Berechtigte den ihm zustehenden Anspruch im gesetzlich vorgegebenen Rahmen mit legalen Mitteln ausschöpfen kann (vgl. BSG vom 27. November 1986, BSGE 61, 54, 58 = SozR 2200 § 583 Nr. 5; allgemein zum Rechtsmissbrauch: BSG vom 23. Oktober 1984, BSGE 59, 40, 45 = SozR 3800 § 1 Nr 5; BSG vom 19. Mai 1978, BSGE 46, 187, 189 = SozR 2200 § 315a Nr. 7, jeweils mwN)
Die Kammer konnte ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin durch den Wechsel der Lohnsteuerklasse aber nicht erkennen. Dies ergibt eine Abwägung zwischen dem Schutzzweck des Elterngeldes und den legalen Mitteln, welche die Eltern ausgeschöpft haben.
Für die Kammer war dabei auch ausschlaggebend, dass ein Wechsel der Lohnsteuerklasse ein grundsätzlich zulässiges Verhalten darstellt. Insbesondere floss in die Überlegungen der Kammer auch die Tatsache ein, dass bei den Beratungen in der zweiten und dritten Lesung zum Bundeselterngeldgesetz im Bundestagsprotokoll (BT-Plenarprotokoll 16/55) eindeutige Aussagen zu einem Lohnsteuerklassenwechsel enthalten sind. Danach haben sowohl die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium als auch Vertreterinnen von CDU/CSU und SPD des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ausdrücklich zu einem Lohnsteuerklassenwechsel geraten. Debattiert wurde dabei die Frage, ob Frauen, welche mit Lohnsteuerklasse V besteuert werden, durch die Berechnung des Elterngeldes benachteiligt sind. Dabei wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jederzeit ein Wechsel der Lohnsteuerklasse für die Zukunft möglich ist (vgl. Protokoll 16/55. vom 29.09.2006 S. 5356). Explizit wurde von Fachpolitikerinnen der Koalition sogar gesagt, dass dann, wenn eine Frau eine andere Steuerklasse wählt, dies auch der Berechnung des Elterngeldes zugrunde gelegt wird. Die Kammer folgert daraus, dass dem Gesetzgeber die Problematik des Lohnsteuerklassenwechsels beim Elterngeld durchaus bewusst gewesen ist, er sich aber dennoch einer einschränkenden gesetzlichen Regelung verschlossen hat.
Das Bundeselterngeld unterliegt bei der Besteuerung dem Progressionsvorbehalt. Damit ist es zwar nicht selbst steuerpflichtig, erhöht aber den Steuersatz des zu versteuernden Einkommens, § 32b EStG. Dies entspricht nach Berechnungen des Steuerberaterverbands Berlin-Brandenburg einer faktischen Steuer von 13 % auf das Elterngeld. Dies gilt sowohl für zusammen veranlagte Ehepaare als auch für alleinstehende Elterngeldbezieherinnen, die einen Teil des Jahres vor oder nach dem Elterngeldbezug steuerpflichtiges Einkommen erzielt haben. Damit besteht in fast allen Fällen eine durch das Elterngeld ausgelöste höhere Steuerpflicht, welche sich besonders hoch bei Niedrigverdienern auswirkt. Dies resultiert aus der Tatsache, dass der Steuersatz hier überproportional ansteigt. Viele Eltern werden deshalb hier noch unangenehme Überraschungen erleben. Es kann daher nach Überzeugung der Kammer den Elterngeldberechtigten nicht angelastet werden, wenn sie im Gegenzug im Vorfeld die Steuerklassen wechseln. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Elterngeld über einen Zeitraum von 12 Monaten vor der Geburt berechnet wird, so dass sich der Lohnsteuerklassenwechsel nie während des gesamten Berechnungszeitraums auswirken kann. Im hier streitigen Fall erfolgte der Wechsel der Lohnsteuerklasse im Monat März 2007 und damit wirkte er sich nur für fünf Monate in der Berechnung aus.
Der Sachverhalt liegt damit völlig anders, als bei der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Bezug von Mutterschaftsgeld. Dieses wird aufgrund des Einkommens der letzten drei Monate vor der Geburt berechnet. Aus diesem Grund wirkt sich ein Lohnsteuerklassenwechsel, der nur für drei Monate von den Ehepartnern getragen werden muss, auch sofort und in beträchtlicher Höhe auf die Berechnung des Mutterschaftsgeldes aus. Das BAG hat sich in der Entscheidung vom 18.09.1991, Az: 5 AZR 581/90 auch auf den § 113 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) als Argumentationshilfe gestützt. Gleichwohl hat es dann aber wegen der Unterschiede im Sozial- und Arbeitsrecht betont, dass es bei dieser Entscheidung allein auf § 242 BGB ankam und § 113 AFG keinesfalls analog angewendet wurde. Dies wurde damit begründet, dass wegen der schnelleren Berechnungs- und Auszahlungsnotwendigkeit im Sozialrecht und der dort vorherrschenden Massenverwaltung, Missbrauchstatbestände klar und eindeutig gefasst werden müssen, um sie in der Verwaltungspraxis handhabbar zu machen. Das Urteil des BAG spricht daher für die Auffassung der Kammer, dass der Gesetzgeber hier eine klare gesetzliche Grundlage hätte schaffen müssen, wenn er den Wechsel der Lohnsteuerklasse hätte ausschließen wollen. Die Entscheidung des BSG, auf die sich der Beklagte ebenfalls beruft, betraf nach Meinung der Kammer einen völlig anders gelagerten Fall und befasste sich mit der Rechtsmissbräuchlichkeit der Verjährungseinrede (wobei das BSG dabei einen Rechtsmissbrauch nur bei einem grob treuwidrigen Verhalten angenommen hätte).
Der Beklagte hat damit zu Unrecht den Steuerklassenwechsel im März 2007 unberücksichtigt gelassen. Die Weigerung des Beklagten führte ansonsten in diesem Fall auch zu dem befremdlichen Ergebnis, dass die an sich brutto fast gleich viel verdienenden Ehegatten in ihrer Rechtsposition erheblich beeinträchtigt werden. Denn sie hätten, was absolut nachvollziehbar ist, die Lohnssteuerkombination IV/IV gewählt. Eine solche Kombination wäre aber auch nach der Einlassung des Beklagten zu akzeptieren gewesen. Das Elterngeld der Klägerin wäre damit aber höher als das von der Beklagten zuerkannte. Die Klägerin wird damit durch die Weigerung des Beklagten schlechter gestellt. Im o.g. Urteil des BAG wurde der Lohnsteuerklassenwechsel der Klägerin in die Klasse III zwar als rechtsmissbräuchlich angesehen, gleichwohl wurde der Arbeitgeber aber dazu verurteilt, die Lohnsteuerklasse IV zu Grunde zu legen. Aber selbst dies hat der Beklagte verweigert. Da die Kammer aber davon überzeugt ist, dass ein Rechtsmissbrauch hier nicht anzunehmen ist, war der Beklagte zu verpflichten, einen neuen Bescheid über die Höhe des Elterngeldes unter Berücksichtigung des Lohnsteuerklassenwechsels in die Steuerklasse III ab März 2007 zu erlassen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
II. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des Elterngeldes, insbesondere ob der Wechsel der Klägerin von der Lohnsteuerklasse V in die Lohnsteuerklasse III rechtsmissbräuchlich war. Die Klägerin ist die Mutter des am 2007 geborenen Kindes L ... Sie beantragte am 16.11.2007 die Gewährung von Elterngeld für die ersten 12. Monate nach der Geburt des Kindes. Im März 2007 wechselte sie von Lohnsteuerklasse V auf III. Dies begründete sie damit, dass dies auf Anraten der Mitarbeitervertretung des Arbeitgebers erfolgt sei, um ein höheres Elterngeld zu erlangen. Dass dies als rechtsmissbräuchlich angesehen werden könnte, wurde erst viel später publik. Sie hätte dann die Lohnsteuerklasse IV gewählt, wenn sie gewusst hätte, dass dies akzeptiert werde. Sie seien hier falsch beraten worden. Mit Bescheid vom 15.01.2008 wurde der Antrag bewilligt und ein Elterngeld in Höhe von 649,38 Euro/mtl., berechnet nach der Lohnsteuerklasse V, gezahlt. Da der Lohnsteuerklassenwechsel der Klägerin in die Steuerklasse III nicht im Sinne der Richtlinie zum Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) nachvollziehbar sei (der Ehemann verdiene immer noch mehr), könne er nicht berücksichtigt werden. Dagegen legte die Klägerin fristgerecht Widerspruch ein. Diesen begründete sie damit, dass die Lohnsteuerklassen frei wählbar seien. Die Verordnung des Ministeriums erscheine ihr nicht rechtmäßig zu sein. Mit Bescheid vom 31.03.2008 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Klägerin hat fristgerecht Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Sie erläuterte hier, dass sich das Nettoeinkommen der beiden Ehegatten nach dem Steuerklassenwechsel zusammen nur um 35,44 Euro monatlich verschlechtert habe. Insbesondere gibt sie an, dass der Ehemann Brutto 2371,08 Euro und sie brutto 2058,61 Euro verdiene. Sie habe bis Dezember 2006 nur in Teilzeit gearbeitet und die damalige Wahl der Steuerklassen habe den Einkünften entsprochen. Erst seit Januar 2007 arbeite sie wieder in Vollzeit. Aufgrund einer Information der Mitarbeitervertretung ihres Arbeitgebers hätten sie sich zu einem Wechsel der Steuerklassen entschieden, um höheres Elterngeld zu erhalten. Deshalb erfolgte im März 2007 auch der Wechsel in die Steuerklasse III. Die Klägerin beantragt: Den Bescheid vom 15.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, des Bundeselterngeld unter Berücksichtigung des Lohnsteuerklassenwechsels im März 2007 neu zu berechnen und zu verbescheiden.
der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er ist der Meinung, dass die Grundsätze einer rechtsmissbräuchlichen Rechtsausübung -die auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zurückzuführen sei - anzuwenden sind. Ein schutzwürdiges Interesse für den Steuerklassenwechsel könne er nicht erkennen. Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 15.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2008 verletzt die Klägerin hinsichtlich der Heranziehung der Lohnsteuerklasse V für die Berechnung des Elterngeldes in ihren Rechten und war daher aufzuheben.
Nach dem am 01.01.2007 in Kraft getretenen § 2 Abs. 1 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 67% des in den 12 Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist die Summe der positiven Einkünfte aus Land und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz. 1 Nr.1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach Maßgabe der Abs. 7 bis 9 zu berücksichtigen.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bundeselterngeld berechnet auf der Grundlage der von ihr tatsächlich erzielten Nettoeinkünfte. Gemäß § 2 Abs. 7 BEEG ist als Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Personen einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte Überschuss der Einnahmen in Geld oder Geldeswert über die mit einem Zwölftel des Pauschbetrages nach § 9a Abs. 1 Satz. 1 Nr. 1 Buchstabe a EStG anzusetzenden Werbungskosten zu berücksichtigen. Nach Satz 2 sind als auf die Einnahmen entfallenden Steuern, die abgeführte Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer, im Falle einer Steuervorauszahlung der auf die Einnahmen entfallende monatliche Anteil anzusehen. Grundlage der Einkommensermittlung sind die entsprechenden monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers. Danach hat die Klägerin seit März 2007 ein höheres Nettogehalt bezogen. Deshalb ist dieses höhere Nettogehalt grundsätzlich der Berechnung des Elterngeldes zu Grunde zu legen. Dafür spricht allein der Wortlaut des Gesetzes, der von der abgeführten Lohnsteuer spricht.
Im streitgegenständlichen Bescheid hat der Beklagte nach § 2 Abs. 1 und Abs. 7 BEEG für die Klägerin ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 906,96 Euro angesetzt. Dabei hat er rechtswidrig den Wechsel in die Lohnsteuerklasse III, welcher im März 2007 erfolgte, unberücksichtigt gelassen. Der Gesetzgeber hat im Bundeselterngeldgesetz keinerlei Einschränkungen hinsichtlich des Lohnsteuerklassenwechsels vorgenommen. § 2 BEEG zielt nur auf das durchschnittliche monatlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit ab. Grundlage der Berechnung ist demnach das tatsächlich zugeflossene Nettoeinkommen. Hätte der Gesetzgeber hier Einschränkungen vornehmen wollen, so hätte er diese ohne weiteres ins Gesetz aufnehmen können, wie er das in § 133 Abs. 3 SGB III auch getan hat.
Der Beklagte beruft sich bei der Nichtanerkennung des Steuerklassenwechsels auf die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erlassenen Richtlinien zum Bundeselterngeld. Die darin gemachten Vorgaben zur Beurteilung eines Steuerklassenwechsels sind nach Meinung der Kammer ohne Parlamentsvorbehalt nicht geeignet, in die Rechte des Bürgers einzugreifen. Der Parlamentsvorbehalt besagt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), dass staatliches Handeln in grundlegenden Bereichen durch Parlamentsgesetz legitimiert sein muss. Der parlamentarische Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen in ihren Grundzügen selbst zu treffen und darf dies nicht anderen Normgebern oder der Exekutive überlassen. (vgl BVerfGE 83, 130, 142; 95, 267, 307 f; 98, 218, 251; 108, 282, 311 f, jeweils mwN). Verfassungsrechtlich bedenklich ist es daher, wenn aufgrund einer Richtlinie der Exekutive und damit reinen verwaltungsinternen Durchführungsbestimmungen ohne Außenwirkung ein Eingriff in Rechte des Bürgers erfolgt. Denn eine außenwirksame Rechtsetzung darf einer dazu nicht befugten Verwaltungsinstanz nicht überlassen werden, denn damit würde der Gewaltenteilungsgrundsatz verletzt.
Wenn, wie festgestellt, nach dem Gesetz Einschränkungen nicht vorgesehen sind, kommen die allgemeinen Grundsätze des Rechts zur Anwendung. Zu diesen allgemeinen Grundsätzen gehört auch der im § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zum Ausdruck kommende Grundsatz von Treu und Glauben. Der Beklagte kann sich demnach auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben berufen, wenn ein Rechtsmissbrauch vorgelegen hat. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG - (vgl. BSG 10. Senat vom 22.03.1995, Aktenzeichen:10 RAr 1/94). ist grundsätzlich anerkannt, dass ein Recht auf eine Sozialleistung nicht geltend gemacht werden kann, wenn dies sozial unangemessen geschieht und wenn es der rechtsethischen Funktion des Rechts widerspricht. Der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs orientiert sich am Schutzzweck der Norm, wobei grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Berechtigte den ihm zustehenden Anspruch im gesetzlich vorgegebenen Rahmen mit legalen Mitteln ausschöpfen kann (vgl. BSG vom 27. November 1986, BSGE 61, 54, 58 = SozR 2200 § 583 Nr. 5; allgemein zum Rechtsmissbrauch: BSG vom 23. Oktober 1984, BSGE 59, 40, 45 = SozR 3800 § 1 Nr 5; BSG vom 19. Mai 1978, BSGE 46, 187, 189 = SozR 2200 § 315a Nr. 7, jeweils mwN)
Die Kammer konnte ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin durch den Wechsel der Lohnsteuerklasse aber nicht erkennen. Dies ergibt eine Abwägung zwischen dem Schutzzweck des Elterngeldes und den legalen Mitteln, welche die Eltern ausgeschöpft haben.
Für die Kammer war dabei auch ausschlaggebend, dass ein Wechsel der Lohnsteuerklasse ein grundsätzlich zulässiges Verhalten darstellt. Insbesondere floss in die Überlegungen der Kammer auch die Tatsache ein, dass bei den Beratungen in der zweiten und dritten Lesung zum Bundeselterngeldgesetz im Bundestagsprotokoll (BT-Plenarprotokoll 16/55) eindeutige Aussagen zu einem Lohnsteuerklassenwechsel enthalten sind. Danach haben sowohl die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium als auch Vertreterinnen von CDU/CSU und SPD des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ausdrücklich zu einem Lohnsteuerklassenwechsel geraten. Debattiert wurde dabei die Frage, ob Frauen, welche mit Lohnsteuerklasse V besteuert werden, durch die Berechnung des Elterngeldes benachteiligt sind. Dabei wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jederzeit ein Wechsel der Lohnsteuerklasse für die Zukunft möglich ist (vgl. Protokoll 16/55. vom 29.09.2006 S. 5356). Explizit wurde von Fachpolitikerinnen der Koalition sogar gesagt, dass dann, wenn eine Frau eine andere Steuerklasse wählt, dies auch der Berechnung des Elterngeldes zugrunde gelegt wird. Die Kammer folgert daraus, dass dem Gesetzgeber die Problematik des Lohnsteuerklassenwechsels beim Elterngeld durchaus bewusst gewesen ist, er sich aber dennoch einer einschränkenden gesetzlichen Regelung verschlossen hat.
Das Bundeselterngeld unterliegt bei der Besteuerung dem Progressionsvorbehalt. Damit ist es zwar nicht selbst steuerpflichtig, erhöht aber den Steuersatz des zu versteuernden Einkommens, § 32b EStG. Dies entspricht nach Berechnungen des Steuerberaterverbands Berlin-Brandenburg einer faktischen Steuer von 13 % auf das Elterngeld. Dies gilt sowohl für zusammen veranlagte Ehepaare als auch für alleinstehende Elterngeldbezieherinnen, die einen Teil des Jahres vor oder nach dem Elterngeldbezug steuerpflichtiges Einkommen erzielt haben. Damit besteht in fast allen Fällen eine durch das Elterngeld ausgelöste höhere Steuerpflicht, welche sich besonders hoch bei Niedrigverdienern auswirkt. Dies resultiert aus der Tatsache, dass der Steuersatz hier überproportional ansteigt. Viele Eltern werden deshalb hier noch unangenehme Überraschungen erleben. Es kann daher nach Überzeugung der Kammer den Elterngeldberechtigten nicht angelastet werden, wenn sie im Gegenzug im Vorfeld die Steuerklassen wechseln. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Elterngeld über einen Zeitraum von 12 Monaten vor der Geburt berechnet wird, so dass sich der Lohnsteuerklassenwechsel nie während des gesamten Berechnungszeitraums auswirken kann. Im hier streitigen Fall erfolgte der Wechsel der Lohnsteuerklasse im Monat März 2007 und damit wirkte er sich nur für fünf Monate in der Berechnung aus.
Der Sachverhalt liegt damit völlig anders, als bei der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Bezug von Mutterschaftsgeld. Dieses wird aufgrund des Einkommens der letzten drei Monate vor der Geburt berechnet. Aus diesem Grund wirkt sich ein Lohnsteuerklassenwechsel, der nur für drei Monate von den Ehepartnern getragen werden muss, auch sofort und in beträchtlicher Höhe auf die Berechnung des Mutterschaftsgeldes aus. Das BAG hat sich in der Entscheidung vom 18.09.1991, Az: 5 AZR 581/90 auch auf den § 113 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) als Argumentationshilfe gestützt. Gleichwohl hat es dann aber wegen der Unterschiede im Sozial- und Arbeitsrecht betont, dass es bei dieser Entscheidung allein auf § 242 BGB ankam und § 113 AFG keinesfalls analog angewendet wurde. Dies wurde damit begründet, dass wegen der schnelleren Berechnungs- und Auszahlungsnotwendigkeit im Sozialrecht und der dort vorherrschenden Massenverwaltung, Missbrauchstatbestände klar und eindeutig gefasst werden müssen, um sie in der Verwaltungspraxis handhabbar zu machen. Das Urteil des BAG spricht daher für die Auffassung der Kammer, dass der Gesetzgeber hier eine klare gesetzliche Grundlage hätte schaffen müssen, wenn er den Wechsel der Lohnsteuerklasse hätte ausschließen wollen. Die Entscheidung des BSG, auf die sich der Beklagte ebenfalls beruft, betraf nach Meinung der Kammer einen völlig anders gelagerten Fall und befasste sich mit der Rechtsmissbräuchlichkeit der Verjährungseinrede (wobei das BSG dabei einen Rechtsmissbrauch nur bei einem grob treuwidrigen Verhalten angenommen hätte).
Der Beklagte hat damit zu Unrecht den Steuerklassenwechsel im März 2007 unberücksichtigt gelassen. Die Weigerung des Beklagten führte ansonsten in diesem Fall auch zu dem befremdlichen Ergebnis, dass die an sich brutto fast gleich viel verdienenden Ehegatten in ihrer Rechtsposition erheblich beeinträchtigt werden. Denn sie hätten, was absolut nachvollziehbar ist, die Lohnssteuerkombination IV/IV gewählt. Eine solche Kombination wäre aber auch nach der Einlassung des Beklagten zu akzeptieren gewesen. Das Elterngeld der Klägerin wäre damit aber höher als das von der Beklagten zuerkannte. Die Klägerin wird damit durch die Weigerung des Beklagten schlechter gestellt. Im o.g. Urteil des BAG wurde der Lohnsteuerklassenwechsel der Klägerin in die Klasse III zwar als rechtsmissbräuchlich angesehen, gleichwohl wurde der Arbeitgeber aber dazu verurteilt, die Lohnsteuerklasse IV zu Grunde zu legen. Aber selbst dies hat der Beklagte verweigert. Da die Kammer aber davon überzeugt ist, dass ein Rechtsmissbrauch hier nicht anzunehmen ist, war der Beklagte zu verpflichten, einen neuen Bescheid über die Höhe des Elterngeldes unter Berücksichtigung des Lohnsteuerklassenwechsels in die Steuerklasse III ab März 2007 zu erlassen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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