Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 25 U 82/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 29/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Unfall der Klägerin vom 8. April 1991 im Beitrittsgebiet als Arbeitsunfall zu entschädigen ist.
Die 1923 geborene Klägerin war 1991 in wohnhaft. Sie unterrichtete an der Akademie für Gesundheit und Soziales in D „Grundfragen der politischen Ordnung“ im Rahmen einer Nachqualifizierung für Fürsorgerinnen. Vereinbart waren zunächst acht Vorlesungsstunden à 45 Minuten pro Woche an zwei Tagen (Freitag und Sonnabend). Die Vorlesungsstunden sollten mit je 80,-- DM pro Stunde vergütet werden. Die ersten Vorlesungen hielt die Klägerin am 22. und 23. März 1991, die nächsten am 5. und 6. April 1991. Am 8. April 1991 (Montag) stürzte die Klägerin in D auf dem Gehweg und zog sich eine traumatische Schulterluxation rechts und eine schalenförmige Absprengung im Bereich des Humeruskopfes rechts zu.
Die Beklagte erfuhr von dem Ereignis durch einen H-Arzt-Bericht der Dres. R und F vom 24. April 1995.
Im Rahmen des daraufhin eingeleiteten Verfahrens nahm die Beklagte u.a. den Aufnahmeschein der Medizinischen Akademie „K G C“ vom 8. April 1991, das Protokoll des Einsatzes des Rettungswagens, den Entlassungsbericht der Klinik für Chirurgie über den stationären Aufenthalt vom 8. bis zum 11. April 1991 sowie eine „Bestätigung zum Lehrauftrag“ vom 12. April 1991 zu den Akten. Zu den Umständen ihrer Dozententätigkeit gab die Klägerin unter dem 27. Dezember 1995 an, diese sei am Montag, den 11. Februar 1991 fernmündlich vereinbart worden; ein schriftlicher Arbeitsvertrag habe nicht vorgelegen. Für sie habe kein Zweifel bestanden, dass die Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erfolgen sollte. Zu den Umständen des Unfalls hatte sie unter dem 30. August 1995 mitgeteilt, am Sonntag die Nach- und Vorbereitungen für den kommenden Vorlesungsblock getätigt zu haben und sich am Montag, den 8. April 1995, ausgeruht gegen 10.00 Uhr auf den langen Rückweg nach S begeben zu haben. Nach Verlassen der Wohnung sei sie noch auf dem Fußgängerweg auf dem Weg zum Pkw über eine etwas höherstehende Steinplatte gestolpert und schwer gestürzt.
Durch Bescheid vom 15. Juli 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 8. April 1991 ab. Nach § 550 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) stehe auch der Weg von einer Unterkunft an der Arbeitsstätte zur ständigen Familienwohnung unter Versicherungsschutz. Voraussetzung sei jedoch, dass der Betroffene zum Unfallzeitpunkt zum Kreis der versicherten Personen gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO gehört habe. Danach seien in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehende Personen versichert. Kriterien für eine abhängige Beschäftigung seien die persönliche Abhängigkeit, die Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Dauer der Arbeitsleistung sowie fachliche Weisungen und die Eingliederung in das Unternehmen. Demgegenüber sei für die Selbständigkeit das unternehmerische Risiko maßgeblich. Der selbständig Tätige könne frei darüber entscheiden, in welcher Form und in welchem Umfang er für den jeweiligen Auftraggeber tätig werden wolle. Die im Lehrauftrag genannten Formulierungen ließen nur den Rückschluss auf eine im Wesentlichen weisungsfreie Tätigkeit zu. Die Entlohnung sei ausdrücklich nicht als Arbeitsentgelt, sondern als Honorar deklariert, die Versteuerung sei selbständig vorzunehmen gewesen. Für eine nach § 539 Abs. 2 RVO versicherte Tätigkeit sei es erforderlich, dass eine Tätigkeit wie ein Beschäftigter verrichtet werde. Dies gelte nicht für freie Mitarbeiter. Abgesehen davon seien die anspruchsbegründenden Tatsachen, ob nämlich das Verhalten des Versicherten zum Unfallzeitpunkt der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei, nicht mit der erforderlichen Gewissheit festzustellen. Vor dem 21. April 1995 habe kein Arzt eine Heilbehandlung zu Lasten der Unfallversicherung durchgeführt bzw. eine Unfallmeldung erstattet. Der damalige Arbeitgeber habe einen Unfall auf dem Heimweg nach S nicht bestätigen können.
Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, es habe ein Arbeitsvertrag vorgelegen, weil ihr Ort, Zeit sowie Inhalt der Lehrveranstaltung vorgeschrieben worden seien. Da sie in den Betrieb der Akademie eingegliedert gewesen sei, komme es auf die Frage, ob Lohnsteuer entrichtet worden sei, nicht an.
Durch Widerspruchsbescheid vom 21. April 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der vorliegenden vertraglichen Vereinbarung zufolge sei die Klägerin nicht an bestimmte Lehrinhalte oder Ausbildungsziele gebunden gewesen, sondern es sei nur die Durchführung einer Bildungsmaßnahme vereinbart worden. Die Klägerin sei weder verpflichtet gewesen, ausgefallene Unterrichtsstunden nachzuholen noch habe ein Anspruch auf bezahlten Urlaub bzw. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bestanden.
Mit der dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin ergänzend darauf verwiesen, dass über den Unterricht ein Lehrgangsbuch habe geführt werden müssen, in dem die Tätigkeit im Einzelnen eingetragen worden sei. Es habe sich um einen streng reglementierten Ausbildungsgang gehandelt, der durch zweckgebundene öffentliche Mittel des Arbeitsamtes und des Landes Sachsen finanziert worden sei. Sie habe zuvor in S die gleiche Tätigkeit mit den gleichen Merkmalen als Arbeitnehmerin ausgeübt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29. November 2001 hat die Klägerin angegeben, sich am 6. März 1991 persönlich mit der Zeugin W getroffen zu haben, wobei Ort und Zeit der Vorlesungen festgelegt sowie ein Stoffplan übergeben worden seien. Den Stoffplan hat die Klägerin in Kopie zur Akte gereicht. Des Weiteren hat das Sozialgericht CW als Zeugin vernommen, die zwei Kursbücher zur Weiterbildung für Fürsorger sowie Abrechnungen und Bestätigung vom 12. April 1991 vorgelegt hat. Die Zeugin hat angegeben, die Klägerin habe im Februar oder Anfang März Einblick in den Stoffplan genommen. Es sei vereinbart worden, dass sie 80,-- DM pro Unterrichtsstunde erhalte und Fahrt- und Übernachtungskosten selbst zu tragen habe. Ein Nachqualifizierungskurs habe insgesamt 550 Unterrichtsstunden umfasst, wobei 56 Stunden auf politische Grundlagen entfallen seien. Der Unterrichtsstoff sei durch das Curriculum vorgegeben gewesen. Bei den Abschlussprüfungen habe die Klägerin nicht mitwirken sollen. Die Klägerin habe kein Büro in der Akademie gehabt. Verhinderte Dozenten seien nicht bezahlt worden. In einem späteren Gespräch habe die Klägerin ihr erzählt, dass sie einen Spaziergang gemacht habe und auf dem schlechten Gehweg gestolpert sei. Sie habe keine Unfallanzeige gemacht, weil die Referentin nicht angestellt gewesen sei. Es sei in ihrer Freizeit passiert.
Durch Urteil vom gleichen Tag hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Gemäß § 215 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VII in Verbindung mit § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO seien die Vorschriften der RVO anzuwenden, weil der Arbeitsunfall vor dem 1. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetreten sei. Die Tätigkeit als Lehrbeauftragte bzw. Dozentin sei keine über §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO versicherte Tätigkeit, insbesondere habe keine Beschäftigung im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO vorgelegen. Dozenten seien regelmäßig nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig, wenn sie mit einer von vornherein zeitlich und sachlich beschränkten Lehrverpflichtung betraut seien, keine weiteren Pflichten zu übernehmen hätten und sich dadurch von den fest angestellten Lehrkräften erheblich unterschieden. Nur Lehrer, die insbesondere durch Übernahme weiterer Nebenpflichten in den Schulbetrieb eingegliedert seien und nicht nur stundenweise Unterricht erteilten, stünden in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Auch nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts sei für die Beurteilung der Arbeitnehmerstellung von Dozenten in der beruflichen Bildung entscheidend, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden sei. Eine Gesamtwürdigung aller Umstände ergebe, dass die für eine selbständige Tätigkeit der Klägerin sprechenden Elemente deutlich überwögen. Hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitszeit und dem Ort der Ausführung der Tätigkeit sei die Klägerin nicht frei gewesen. Als Lehrkraft bzw. Dozentin sei sie naturgemäß an den von der Akademie vorgegebenen Stundenplan gebunden gewesen. Daraus allein könne jedoch nicht schon auf den abhängigen Charakter der Tätigkeit geschlossen werden. Maßgeblich sei vielmehr, dass sie nicht weiter in den Unterrichtsbetrieb der Akademie eingegliedert gewesen sei und für ihre Tätigkeit als Dozentin das Unternehmerrisiko zu tragen gehabt habe. Nach ihrer eigenen Aussage habe sie Geld nur für die Stunden bekommen, die sie gehalten hatte. Sie habe auch das von der Akademie besorgte Apartment selbst bezahlen müssen. Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sei nicht vorgesehen gewesen. Da die Klägerin als Lehrbeauftragte nicht zum unfallversicherten Personenkreis gehöre, bedürfe es keinerlei Entscheidung, ob das äußere Ereignis überhaupt einen Arbeitsunfall im Sinne der §§ 548 Abs. 1 Satz 1, 550 Abs. 3 RVO darstelle.
Gegen das ihr am 2. April 2002 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 27. April 2002. Sie bleibe dabei, dass es sich um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Anerkennung des Ereignisses vom 8. April 1991 als Arbeitsunfall Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfall versicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Sie hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Entschädigung ihres Unfalls vom 8. April 1991 als Arbeitsunfall.
Da es sich bei dem Unfall der Klägerin um ein Ereignis mit Anknüpfung im Beitrittsgebiet handelt, ist die RVO nur nach Maßgabe der für das Beitrittsgebiet geltenden Übergangsvorschriften anzuwenden.
Gemäß § 1150 Abs. 2 RVO gelten Unfälle, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle im Sinne des Dritten Buches. Dies gilt nach Satz 2 Nr. 1 der Vorschrift nicht für Unfälle, die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch nicht zu entschädigen wären. Da der Beklagten der Unfall erst am 26. April 1995 bekannt geworden ist, kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin, die nach § 2 h der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeiten vom 11. April 1973 (Gesetzblatt I Nr. 22 S. 99) zum versicherten Personenkreis gehörte, auch einen Wegeunfall nach dem Recht der DDR erlitten hatte.
Nach dem danach allein Anwendung findenden Recht der RVO ist der Unfall der Klägerin nicht zu entschädigen, weil die Klägerin nicht zum versicherten Personenkreis gehört.
Nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO sind gegen Arbeitsunfall die aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten in der Unfallversicherung versichert. Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die Klägerin nicht in einem dafür erforderlichen abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig war. Abzustellen ist insoweit nicht auf die erst am 12. April 1991 abgefasste „Bestätigung zum Lehrauftrag“, sondern auf die Angaben der Zeugin W, die sich mit den Angaben der Klägerin insoweit decken, dass eine Tätigkeit von acht Stunden wöchentlich mit einer Vergütung von 80,-- DM pro 45 Minuten vereinbart war.
Allein die Tatsache, dass die Klägerin hinsichtlich Ort, Zeit und Lehrplan an die Vorgaben der Akademie gebunden war, begründet noch kein Beschäftigungsverhältnis, da anderenfalls alle Dozenten als abhängig Beschäftigte anzusehen wären. Demgegenüber ist sowohl nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als nach derjenigen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Bestehen eines Arbeitnehmerverhältnisses entscheidend, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist und in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und Weise seiner Erteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung gestalten kann (vgl. BAG, Urteil vom 19. November 1997 - 5 AZR 21/97 = NZA 1998, 595, 597). Vorliegend spricht gegen eine Eingliederung in den Unterrichtsbetrieb, dass die Klägerin nur eine zeitlich und sachlich begrenzte Dienstleistung erbringen sollte. Dies gilt auch dann, wenn entgegen den Angaben der Zeugin W, die einen geplanten Tätigkeitszeitraum bis Mai 1991 angegeben hat, auf die Angabe der Klägerin abgestellt wird, dass sich ihre Tätigkeit bis Jahresende 1991 erstrecken sollte. Denn die Klägerin war weder verpflichtet, für verhinderte Dozenten einzuspringen noch hatte sie Abschlussprüfungen vorzunehmen.
Des Weiteren war auch der Stoffplan nicht im Einzelnen vorgegeben. Vielmehr enthält der von der Klägerin hierzu eingereichte Plan zu dem Themenkomplex Grundfragen der politischen Ordnung nur den zeitlichen Umfang von 60 Stunden und den Hinweis „z.B. Grundgesetz, Grundrechte, Grundordnung. Sozialpolitische Grundlagen des Sozialsystems, Verfassung, Kommunalverfassung, Staatsaufbau, Verhältnis von Gesellschaft und Staat.“ Dadurch verblieb der Klägerin hinsichtlich der Ausgestaltung des Stoffes im Einzelnen ein weiter Spielraum.
Gegen ihre Stellung als Selbständige kann die Klägerin auch nicht einwenden, dass sie kein Unternehmerrisiko getragen hätte. Vielmehr verwirklichte sich das Unternehmerrisiko dahingehend, dass eine Vergütung nur für die geleisteten Stunden gewährt wurde. Demgegenüber hat der abhängig Beschäftigte auch einen Lohnanspruch im Krankheitsfall und in dem Fall, dass die Arbeitsleistung aus Gründen aus der Sphäre des Arbeitgebers nicht erbracht werden kann.
Die Klägerin gehört auch nicht zum versicherten Personenkreis nach § 539 Abs. 2 RVO. Danach sind gegen Arbeitsunfall ferner Personen versichert, die wie ein nach Absatz 1 Versicherter tätig werden. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich um eine Tätigkeit handelt, die arbeitnehmerähnlich ist, d.h. die Tätigkeit darf nicht der Tätigkeit eines freien Mitarbeiters ähnlich sein. Da es sich bei der Tätigkeit der Klägerin um eine freie Mitarbeit gehandelt hat, ist die Tätigkeit nicht arbeitnehmerähnlich im Sinne von § 539 Abs. 2 RVO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Unfall der Klägerin vom 8. April 1991 im Beitrittsgebiet als Arbeitsunfall zu entschädigen ist.
Die 1923 geborene Klägerin war 1991 in wohnhaft. Sie unterrichtete an der Akademie für Gesundheit und Soziales in D „Grundfragen der politischen Ordnung“ im Rahmen einer Nachqualifizierung für Fürsorgerinnen. Vereinbart waren zunächst acht Vorlesungsstunden à 45 Minuten pro Woche an zwei Tagen (Freitag und Sonnabend). Die Vorlesungsstunden sollten mit je 80,-- DM pro Stunde vergütet werden. Die ersten Vorlesungen hielt die Klägerin am 22. und 23. März 1991, die nächsten am 5. und 6. April 1991. Am 8. April 1991 (Montag) stürzte die Klägerin in D auf dem Gehweg und zog sich eine traumatische Schulterluxation rechts und eine schalenförmige Absprengung im Bereich des Humeruskopfes rechts zu.
Die Beklagte erfuhr von dem Ereignis durch einen H-Arzt-Bericht der Dres. R und F vom 24. April 1995.
Im Rahmen des daraufhin eingeleiteten Verfahrens nahm die Beklagte u.a. den Aufnahmeschein der Medizinischen Akademie „K G C“ vom 8. April 1991, das Protokoll des Einsatzes des Rettungswagens, den Entlassungsbericht der Klinik für Chirurgie über den stationären Aufenthalt vom 8. bis zum 11. April 1991 sowie eine „Bestätigung zum Lehrauftrag“ vom 12. April 1991 zu den Akten. Zu den Umständen ihrer Dozententätigkeit gab die Klägerin unter dem 27. Dezember 1995 an, diese sei am Montag, den 11. Februar 1991 fernmündlich vereinbart worden; ein schriftlicher Arbeitsvertrag habe nicht vorgelegen. Für sie habe kein Zweifel bestanden, dass die Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erfolgen sollte. Zu den Umständen des Unfalls hatte sie unter dem 30. August 1995 mitgeteilt, am Sonntag die Nach- und Vorbereitungen für den kommenden Vorlesungsblock getätigt zu haben und sich am Montag, den 8. April 1995, ausgeruht gegen 10.00 Uhr auf den langen Rückweg nach S begeben zu haben. Nach Verlassen der Wohnung sei sie noch auf dem Fußgängerweg auf dem Weg zum Pkw über eine etwas höherstehende Steinplatte gestolpert und schwer gestürzt.
Durch Bescheid vom 15. Juli 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 8. April 1991 ab. Nach § 550 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) stehe auch der Weg von einer Unterkunft an der Arbeitsstätte zur ständigen Familienwohnung unter Versicherungsschutz. Voraussetzung sei jedoch, dass der Betroffene zum Unfallzeitpunkt zum Kreis der versicherten Personen gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO gehört habe. Danach seien in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehende Personen versichert. Kriterien für eine abhängige Beschäftigung seien die persönliche Abhängigkeit, die Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Dauer der Arbeitsleistung sowie fachliche Weisungen und die Eingliederung in das Unternehmen. Demgegenüber sei für die Selbständigkeit das unternehmerische Risiko maßgeblich. Der selbständig Tätige könne frei darüber entscheiden, in welcher Form und in welchem Umfang er für den jeweiligen Auftraggeber tätig werden wolle. Die im Lehrauftrag genannten Formulierungen ließen nur den Rückschluss auf eine im Wesentlichen weisungsfreie Tätigkeit zu. Die Entlohnung sei ausdrücklich nicht als Arbeitsentgelt, sondern als Honorar deklariert, die Versteuerung sei selbständig vorzunehmen gewesen. Für eine nach § 539 Abs. 2 RVO versicherte Tätigkeit sei es erforderlich, dass eine Tätigkeit wie ein Beschäftigter verrichtet werde. Dies gelte nicht für freie Mitarbeiter. Abgesehen davon seien die anspruchsbegründenden Tatsachen, ob nämlich das Verhalten des Versicherten zum Unfallzeitpunkt der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei, nicht mit der erforderlichen Gewissheit festzustellen. Vor dem 21. April 1995 habe kein Arzt eine Heilbehandlung zu Lasten der Unfallversicherung durchgeführt bzw. eine Unfallmeldung erstattet. Der damalige Arbeitgeber habe einen Unfall auf dem Heimweg nach S nicht bestätigen können.
Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, es habe ein Arbeitsvertrag vorgelegen, weil ihr Ort, Zeit sowie Inhalt der Lehrveranstaltung vorgeschrieben worden seien. Da sie in den Betrieb der Akademie eingegliedert gewesen sei, komme es auf die Frage, ob Lohnsteuer entrichtet worden sei, nicht an.
Durch Widerspruchsbescheid vom 21. April 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der vorliegenden vertraglichen Vereinbarung zufolge sei die Klägerin nicht an bestimmte Lehrinhalte oder Ausbildungsziele gebunden gewesen, sondern es sei nur die Durchführung einer Bildungsmaßnahme vereinbart worden. Die Klägerin sei weder verpflichtet gewesen, ausgefallene Unterrichtsstunden nachzuholen noch habe ein Anspruch auf bezahlten Urlaub bzw. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bestanden.
Mit der dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin ergänzend darauf verwiesen, dass über den Unterricht ein Lehrgangsbuch habe geführt werden müssen, in dem die Tätigkeit im Einzelnen eingetragen worden sei. Es habe sich um einen streng reglementierten Ausbildungsgang gehandelt, der durch zweckgebundene öffentliche Mittel des Arbeitsamtes und des Landes Sachsen finanziert worden sei. Sie habe zuvor in S die gleiche Tätigkeit mit den gleichen Merkmalen als Arbeitnehmerin ausgeübt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29. November 2001 hat die Klägerin angegeben, sich am 6. März 1991 persönlich mit der Zeugin W getroffen zu haben, wobei Ort und Zeit der Vorlesungen festgelegt sowie ein Stoffplan übergeben worden seien. Den Stoffplan hat die Klägerin in Kopie zur Akte gereicht. Des Weiteren hat das Sozialgericht CW als Zeugin vernommen, die zwei Kursbücher zur Weiterbildung für Fürsorger sowie Abrechnungen und Bestätigung vom 12. April 1991 vorgelegt hat. Die Zeugin hat angegeben, die Klägerin habe im Februar oder Anfang März Einblick in den Stoffplan genommen. Es sei vereinbart worden, dass sie 80,-- DM pro Unterrichtsstunde erhalte und Fahrt- und Übernachtungskosten selbst zu tragen habe. Ein Nachqualifizierungskurs habe insgesamt 550 Unterrichtsstunden umfasst, wobei 56 Stunden auf politische Grundlagen entfallen seien. Der Unterrichtsstoff sei durch das Curriculum vorgegeben gewesen. Bei den Abschlussprüfungen habe die Klägerin nicht mitwirken sollen. Die Klägerin habe kein Büro in der Akademie gehabt. Verhinderte Dozenten seien nicht bezahlt worden. In einem späteren Gespräch habe die Klägerin ihr erzählt, dass sie einen Spaziergang gemacht habe und auf dem schlechten Gehweg gestolpert sei. Sie habe keine Unfallanzeige gemacht, weil die Referentin nicht angestellt gewesen sei. Es sei in ihrer Freizeit passiert.
Durch Urteil vom gleichen Tag hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Gemäß § 215 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VII in Verbindung mit § 1150 Abs. 2 Satz 1 RVO seien die Vorschriften der RVO anzuwenden, weil der Arbeitsunfall vor dem 1. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetreten sei. Die Tätigkeit als Lehrbeauftragte bzw. Dozentin sei keine über §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO versicherte Tätigkeit, insbesondere habe keine Beschäftigung im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO vorgelegen. Dozenten seien regelmäßig nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig, wenn sie mit einer von vornherein zeitlich und sachlich beschränkten Lehrverpflichtung betraut seien, keine weiteren Pflichten zu übernehmen hätten und sich dadurch von den fest angestellten Lehrkräften erheblich unterschieden. Nur Lehrer, die insbesondere durch Übernahme weiterer Nebenpflichten in den Schulbetrieb eingegliedert seien und nicht nur stundenweise Unterricht erteilten, stünden in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Auch nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts sei für die Beurteilung der Arbeitnehmerstellung von Dozenten in der beruflichen Bildung entscheidend, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden sei. Eine Gesamtwürdigung aller Umstände ergebe, dass die für eine selbständige Tätigkeit der Klägerin sprechenden Elemente deutlich überwögen. Hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitszeit und dem Ort der Ausführung der Tätigkeit sei die Klägerin nicht frei gewesen. Als Lehrkraft bzw. Dozentin sei sie naturgemäß an den von der Akademie vorgegebenen Stundenplan gebunden gewesen. Daraus allein könne jedoch nicht schon auf den abhängigen Charakter der Tätigkeit geschlossen werden. Maßgeblich sei vielmehr, dass sie nicht weiter in den Unterrichtsbetrieb der Akademie eingegliedert gewesen sei und für ihre Tätigkeit als Dozentin das Unternehmerrisiko zu tragen gehabt habe. Nach ihrer eigenen Aussage habe sie Geld nur für die Stunden bekommen, die sie gehalten hatte. Sie habe auch das von der Akademie besorgte Apartment selbst bezahlen müssen. Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sei nicht vorgesehen gewesen. Da die Klägerin als Lehrbeauftragte nicht zum unfallversicherten Personenkreis gehöre, bedürfe es keinerlei Entscheidung, ob das äußere Ereignis überhaupt einen Arbeitsunfall im Sinne der §§ 548 Abs. 1 Satz 1, 550 Abs. 3 RVO darstelle.
Gegen das ihr am 2. April 2002 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 27. April 2002. Sie bleibe dabei, dass es sich um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Anerkennung des Ereignisses vom 8. April 1991 als Arbeitsunfall Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfall versicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Sie hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Entschädigung ihres Unfalls vom 8. April 1991 als Arbeitsunfall.
Da es sich bei dem Unfall der Klägerin um ein Ereignis mit Anknüpfung im Beitrittsgebiet handelt, ist die RVO nur nach Maßgabe der für das Beitrittsgebiet geltenden Übergangsvorschriften anzuwenden.
Gemäß § 1150 Abs. 2 RVO gelten Unfälle, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten sind und die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle im Sinne des Dritten Buches. Dies gilt nach Satz 2 Nr. 1 der Vorschrift nicht für Unfälle, die einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch nicht zu entschädigen wären. Da der Beklagten der Unfall erst am 26. April 1995 bekannt geworden ist, kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin, die nach § 2 h der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher Tätigkeiten vom 11. April 1973 (Gesetzblatt I Nr. 22 S. 99) zum versicherten Personenkreis gehörte, auch einen Wegeunfall nach dem Recht der DDR erlitten hatte.
Nach dem danach allein Anwendung findenden Recht der RVO ist der Unfall der Klägerin nicht zu entschädigen, weil die Klägerin nicht zum versicherten Personenkreis gehört.
Nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO sind gegen Arbeitsunfall die aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten in der Unfallversicherung versichert. Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die Klägerin nicht in einem dafür erforderlichen abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig war. Abzustellen ist insoweit nicht auf die erst am 12. April 1991 abgefasste „Bestätigung zum Lehrauftrag“, sondern auf die Angaben der Zeugin W, die sich mit den Angaben der Klägerin insoweit decken, dass eine Tätigkeit von acht Stunden wöchentlich mit einer Vergütung von 80,-- DM pro 45 Minuten vereinbart war.
Allein die Tatsache, dass die Klägerin hinsichtlich Ort, Zeit und Lehrplan an die Vorgaben der Akademie gebunden war, begründet noch kein Beschäftigungsverhältnis, da anderenfalls alle Dozenten als abhängig Beschäftigte anzusehen wären. Demgegenüber ist sowohl nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als nach derjenigen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zum Bestehen eines Arbeitnehmerverhältnisses entscheidend, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist und in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und Weise seiner Erteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung gestalten kann (vgl. BAG, Urteil vom 19. November 1997 - 5 AZR 21/97 = NZA 1998, 595, 597). Vorliegend spricht gegen eine Eingliederung in den Unterrichtsbetrieb, dass die Klägerin nur eine zeitlich und sachlich begrenzte Dienstleistung erbringen sollte. Dies gilt auch dann, wenn entgegen den Angaben der Zeugin W, die einen geplanten Tätigkeitszeitraum bis Mai 1991 angegeben hat, auf die Angabe der Klägerin abgestellt wird, dass sich ihre Tätigkeit bis Jahresende 1991 erstrecken sollte. Denn die Klägerin war weder verpflichtet, für verhinderte Dozenten einzuspringen noch hatte sie Abschlussprüfungen vorzunehmen.
Des Weiteren war auch der Stoffplan nicht im Einzelnen vorgegeben. Vielmehr enthält der von der Klägerin hierzu eingereichte Plan zu dem Themenkomplex Grundfragen der politischen Ordnung nur den zeitlichen Umfang von 60 Stunden und den Hinweis „z.B. Grundgesetz, Grundrechte, Grundordnung. Sozialpolitische Grundlagen des Sozialsystems, Verfassung, Kommunalverfassung, Staatsaufbau, Verhältnis von Gesellschaft und Staat.“ Dadurch verblieb der Klägerin hinsichtlich der Ausgestaltung des Stoffes im Einzelnen ein weiter Spielraum.
Gegen ihre Stellung als Selbständige kann die Klägerin auch nicht einwenden, dass sie kein Unternehmerrisiko getragen hätte. Vielmehr verwirklichte sich das Unternehmerrisiko dahingehend, dass eine Vergütung nur für die geleisteten Stunden gewährt wurde. Demgegenüber hat der abhängig Beschäftigte auch einen Lohnanspruch im Krankheitsfall und in dem Fall, dass die Arbeitsleistung aus Gründen aus der Sphäre des Arbeitgebers nicht erbracht werden kann.
Die Klägerin gehört auch nicht zum versicherten Personenkreis nach § 539 Abs. 2 RVO. Danach sind gegen Arbeitsunfall ferner Personen versichert, die wie ein nach Absatz 1 Versicherter tätig werden. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich um eine Tätigkeit handelt, die arbeitnehmerähnlich ist, d.h. die Tätigkeit darf nicht der Tätigkeit eines freien Mitarbeiters ähnlich sein. Da es sich bei der Tätigkeit der Klägerin um eine freie Mitarbeit gehandelt hat, ist die Tätigkeit nicht arbeitnehmerähnlich im Sinne von § 539 Abs. 2 RVO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved