Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 4 J 19/87
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 11 J 86/89
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 13. Dezember 1988 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit streitig.
Der 1938 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger, lebt seit April 1963 in der Bundesrepublik Deutschland und verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Er war in verschiedenen Arbeiterberufen tätig und hat zuletzt arbeiterrentenversicherungspflichtig bei der Firma W., gefertigte Gußteile kontrolliert. Seit der Beendigung dieser Beschäftigung im Jahre 1980 – mit Ausnahme einer kurzzeitigen Beschäftigung 1982 – ist er arbeitslos.
Am 6. Juni 1986 beantragte der Kläger bei der Beklagten zum zweiten Mal – das erste Rentenverfahren blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 13. Dezember 1988, S-4/J-19/87) – die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit und legte einen Befundbericht des praktischen Arztes Dr. St. vom 30. Mai 1986 vor. Auf Veranlassung der Beklagten wurde er daraufhin in der sozialärztlichen Dienststelle Marburg untersucht. In ihrem Gutachten vom 23. Oktober 1986 diagnostizierte die Internistin Dr. A. bei dem Kläger ein Wirbelsäulensyndrom, eine larvierte Depression, eine Fettleber, eine Hyperurikämie, funktionelle Oberbauchbeschwerden und eine Hörminderung. Zum Leistungsvermögen führte sie aus, daß der Kläger noch leichte bis mittelschwere Arbeiten mit geringen Einschränkungen vollschichtig verrichten könne; eine Arbeitsunfähigkeit bestehe derzeit nicht.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag des Klägers daraufhin mit Bescheid vom 18. Dezember 1986 ab und führte zur Begründung aus, der Kläger könne unter Berücksichtigung der festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen mit Einschränkungen noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten verrichten, so daß keine Berufsunfähigkeit und erst recht keine Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Der Kläger erhob daraufhin am 12. Januar 1987 Klage zum Sozialgericht Marburg. Er machte geltend, er sei nicht mehr dazu in der Lage, Erwerbstätigkeit auszuüben.
Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Untersuchungsberichte des Klinikums der Philipps-Universität – Zentrum für Nervenheilkunde – (10.04.1987 und 25.11.1987), der Internistin Dr. G.-D. (21.04.1987) und des praktischen Arztes Dr. St. (24.09.1987) eingeholt. Darüber hinaus lag dem Gericht eine gutachtliche Stellungnahme des Dr. H. (23.12.1987), vorgelegt von der Beklagten, vor. Ferner ist von Amts wegen Beweis erhoben worden durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Fachgutachtens bei Dr. K ...
In seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachen vom 7. September 1988 diagnostizierte Dr. K. im Anschluß an eine ambulante Untersuchung bei dem Kläger einen depressiven Versagenszustand mit deutlich demonstrativen Zügen, die sich in verschiedenen Untersuchungssituationen häufig und deutlich wiederholten. Der Sachverständige mutete dem Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig Tätigkeiten ohne größere körperliche Anstrengungen, ohne Zeitdruck und ohne Wechselschichten zu.
Durch Urteil vom 13. Dezember 1988 hat das Sozialgericht die Klage sodann abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, daß der nach seinem beruflichen Werdegang auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbare Kläger unter Berücksichtigung der festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen noch leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen vollschichtig verrichten könne und deshalb weder berufsunfähig noch gar erwerbsunfähig sei.
Der Kläger hat gegen das ihm am 5. Januar 1989 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 18. Januar 1989 Berufung eingelegt. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und macht geltend, daß die angeblich demonstrative Haltung auf seine mangelhaften Deutschkenntnisse zurückzuführen sei, was andere als sprachliche Ausdrucksversuche hervorrufen müsse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 13. Dezember 1988 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Juni 1986 zu verurteilen, ihm Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit,
hilfsweise,
wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Juli 1986 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sieht sich in ihrer Auffassung durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts eine ergänzende Stellungnahme des Dr. K. (21.08.1989) eingeholt sowie einen Befundbericht des Dr. G. (06.01.1993) beigezogen. Desweiteren hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens bei Prof. Dr. W ... In seinem Gutachten vom 29. Dezember 1995 diagnostizierte Prof. Dr. W. bei dem Kläger zeitweilig leichtgradige ängstlich gefärbte depressive Verstimmungszustände bei hypochondrischer Persönlichkeitsentwicklung. Für eine depressive Erkrankung einschließlich einer larvierten Depression fehlten Art und Schwere der depressiven Symptomatik im effektiven Bereich sowie weitere Symptome einer solchen Erkrankung. Dem Kläger seien noch leichte Arbeiten ohne Zeitdruck und ohne Schichtarbeit sowie ohne schwere körperliche Anstrengung ganztags auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzumuten.
Auf Antrag des Klägers ist gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der von ihm benannte Nervenarzt Dr. B. gutachtlich gehört worden. Dr. B. gelangte in seinem Gutachten vom 11. Dezember 1996 zu dem Ergebnis, daß bei dem Kläger gelegentliche ängstlich-depressive Verstimmungszustände bei hypochondrischer Persönlichkeitsentwicklung, niedrige Intelligenz im Sinne einer Grenzdebilität, nicht ausreichend eingestellte Bluthochdruckkrankheit, Übergewicht, Magenbeschwerden bei Verdacht auf Magengeschwür, degenerative Wirbelsäulenbeschwerden mit gelegentlichem Wurzelreizsyndrom und Augenhintergrundveränderungen infolge Bluthochdruck vorlägen. Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen könne der Kläger noch leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit Einschränkungen (in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen, nicht unter Zwangshaltung, ohne Über-Kopf-Arbeiten, ohne Hebe- oder Bückarbeit und nicht auf Leitern und Gerüsten, ohne Zeitdruck und nur geistig einfachste Arbeiten ohne jegliche Anforderungen an die geistige Regsamkeit und ohne besondere Anforderungen an Aufmerksamkeit und Konzentration) vollschichtig verrichten. Diese Einschätzung hat der Dipl.-Psychologe W. in seinem psychologischen Zusatzgutachten vom 17. Dezember 1996 im wesentlichen geteilt: Aus psychologischer Sicht ließen sich eine Grenzdebilität sowie gelegentliche ängstlich-depressive Verstimmungszustände bei hypochondrischer Persönlichkeitsentwicklung diagnostizieren.
Wegen des weiteren Sachvortrags der Beteiligten und des Sachverhalts im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 146, 151 SGG).
Die Berufung ist jedoch sachlich nicht begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 13. Dezember 1988 ist nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 1986 ist zu Recht ergangen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit und erst recht keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Da der Kläger bereits für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 einen Anspruch auf Rentengewährung erhebt und den entsprechenden Rentenantrag vor dem 31. März 1992 gestellt hat, sind gemäß § 300 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) im vorliegenden Fall zunächst noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vor Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) und vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I 2261) maßgeblichen Fassung anzuwenden.
Rente wegen Berufsunfähigkeit erhält gemäß § 1246 Abs. 1 RVO, wer berufsunfähig ist und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer solchen Rente erfüllt. Nach § 1246 Abs. 2 Satz 1 RVO ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit, weil er nicht berufsunfähig im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung ist. Er kann noch einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen und auf diese Weise zumindest noch die Hälfte der Einkünfte eines mit ihm vergleichbaren Versicherten (sog. gesetzliche Lohnhälfte) erzielen.
Die Fähigkeit des Klägers, durch erlaubte Erwerbstätigkeit ein Arbeitsentgelt in nicht ganz unerheblichem Umfang zu erzielen (Erwerbsfähigkeit), ist im vorliegenden Fall durch verschiedene Gesundheitsbeeinträchtigungen herabgemindert. Zur Überzeugung des Senats steht fest, daß der Kläger nur noch leichte körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen (nur in wechselnder Körperhaltung, ohne Zwangshaltung, d.h. ohne Hebe- oder Bückarbeit, ohne Über-Kopf-Arbeiten, nicht unter Zeitdruck, nicht auf Leitern und Gerüsten, nur geistig einfache Arbeiten und keine Arbeiten unter Zeitdruck) vollschichtig verrichten kann. Diese Beurteilung des Leistungsvermögens ergibt sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände des vorliegenden Falles aus einer Gesamtschau der über den Gesundheitszustand des Klägers vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und medizinischen Gutachten.
Sowohl die Sachverständigen Dr. K. (neurologisch-psychiatrisches Fachgutachten vom 07.09.1988) und Prof. Dr. W. (nervenärztliches Gutachten vom 29.12.1995) als auch der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG gehörte Nervenarzt Dr. B. (Gutachten vom 11.12.1996) gelangten bei Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen zur Annahme eines noch vollschichtigen Leistungsvermögens für zumindest leichte körperliche Tätigkeiten.
Mit den von medizinischer Seite insgesamt getroffenen Feststellungen hält der Senat das Leistungsvermögen des Klägers für ausreichend geklärt und weitere Begutachtungen für nicht mehr geboten. Zweifel an der Richtigkeit der vorliegenden Gutachten ergeben sich für den Senat nicht. Die Ausführungen insbesondere der medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. W. und Dr. B. sind in sich schlüssig, widerspruchsfrei und überzeugend. Die jeweilige Leistungsbeurteilung wird in den von ihnen vorgelegten Gutachten nach eingehender Befunderhebung mit nachvollziehbarer und für den Senat einleuchtender Begründung aus den gestellten Diagnosen abgeleitet und steht im Einklang mit den übrigen Befundunterlagen der den Kläger behandelnden Ärzte. Anhaltspunkte für das Vorliegen weitergehender Gesundheitsbeeinträchtigungen mit zusätzlicher leistungsmindernder Bedeutung sind weder vom Kläger aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.
Unter Berücksichtigung seines noch vorhandenen Leistungsvermögens ist der Kläger nicht berufsunfähig. Denn seine Erwerbsfähigkeit ist nicht auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken.
Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit vom Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt nämlich § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO alle Tätigkeiten, die (objektiv) ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen (subjektiv) unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Das Gesetz räumt den Versicherten einen Anspruch auf Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit also nicht bereits dann ein, wenn sie ihren – versicherungspflichtig ausgeübten – "bisherigen Beruf” bzw. ihre "bisherige Berufstätigkeit” aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können. Vielmehr wird von den Versicherten verlangt, daß sie – immer bezogen auf ihren "bisherigen Beruf” – einen "zumutbaren beruflichen Abstieg” in Kauf nehmen und sich vor Inanspruchnahme der Rente mit einer geringerwertigen Erwerbstätigkeit zufrieden geben (BSGE 41, 129, 131). Nur wer sich nicht in dieser Weise auf einen anderen Beruf "verweisen” lassen muß, ist berufsunfähig im Sinne des Gesetzes.
"Zugemutet werden” im Sinne des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO können den Versicherten alle von ihnen – nach ihren gesundheitlichen Kräften und beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten – ausführbaren, auch berufsfremden Tätigkeiten, die nach der im Gesetz angeführten positiven Kennzeichnung – Ausbildung und deren Dauer, besondere Anforderungen, Bedeutung des Berufs im Betrieb –, d.h. nach ihrer Qualität dem bisherigen Beruf nicht zu fern stehen (vgl. z.B. BSGE 41, 129, 132 – ständige Rechtsprechung). Das zur Ausfüllung dieser Rechtssätze von der Rechtsprechung entwickelte sog. Mehr-Stufen-Schema unterscheidet dabei für Arbeiterberufe die Gruppe mit dem Leitberuf der Ungelernten – als unterste Gruppe –, die mittlere Gruppe mit dem Leitberuf der Angelernten, schließlich die Gruppe mit dem Leitberuf der Gelernten (Facharbeiter) und darüber die zahlenmäßig kleine Gruppe mit dem Leitberuf der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion bzw. der Facharbeiter mit besonders qualifizierten Tätigkeiten. Als im Sinne von § 1246 Abs. 2 Satz 2 zumutbaren beruflichen Abstieg hat die angeführte Rechtsprechung jeweils den Abstieg zur nächtniedrigeren Gruppe angenommen. Unabhängig davon können Versicherte mit dem Leitberuf des Ungelernten auf das gesamte allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden (vgl. etwa BSGE 55, 45 – ständige Rechtsprechung).
Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum sog. Mehr-Stufen-Schema, der sich der Senat angeschlossen hat, ist der Kläger im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der von ihm ausgeführten Versicherungspflichtigen Tätigkeiten in die Gruppe der ungelernten Arbeiter, bestenfalls jedoch in die Gruppe der Angelernten – nicht im oberen Bereich – einzuordnen. Er verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung und war im Hauptberuf zuletzt mit der Kontrolle von gefertigten Gußteilen beschäftigt. Bei diesem beruflichen Werdegang muß sich der Kläger auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen, die er gesundheitlich noch verrichten kann.
Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten, die sich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen müssen, grundsätzlich nicht geboten. Denn es gibt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Vielzahl von ungelernten Tätigkeiten, die nur mit leichen körperlichen Anforderungen verbunden sind. Das ist offenkundig und braucht entgegen der im Schriftsatz vom 16. Januar 1997 geäußerten Auffassung des Klägers nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich nicht in jedem Einzelfall aufs Neue belegt zu werden. Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, daß es in der Regel auch für Versicherte, deren Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist, noch Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang gibt.
Bei dem Kläger liegen unter Berücksichtigung des vom Senat festgestellten Leistungsvermögens auch keine besonderen Umstände vor, die die Ausübung solcher Tätigkeiten in ungewöhnlicher Weise erschweren. Für einen auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbaren ungelernten Versicherten ist die konkrete Bezeichnung von Verweisungstätigkeiten nur erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung festgestellt ist (BSG, Urteil vom 01.03.1994 – 4 RJ 43/83) oder wenn er wegen eines besonders gearteten Berufslebens deutlich aus dem Kreis vergleichbarer Versicherter herausfällt (BSG, Urteil vom 18.02.1981 – 1 RJ 174/79). Gravierende Einschränkungen in diesem Sinne liegen bei dem Kläger aber nicht vor. Es liegen auch keine Hinweise darauf vor, daß die Wiedereingliederungs- und Anpassungsfähigkeit des Klägers wesentlich eingeschränkt wäre. Auch die vom Senat und vom Kläger selbst benannten Sachverständigen haben anläßlich seiner Begutachtung keinerlei Anlaß gesehen, eine anderweitige Begutachtung noch zu empfehlen.
Dem Kläger ist der Arbeitsmarkt auch nicht verschlossen. Grundsätzlich ist bei vollschichtig leistungsfähigen und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisenden Versicherten davon auszugehen, daß es für diese Versicherten noch geeignete Tätigkeiten gibt (BSG – Urteil vom 27.04.1982 – 1 RJ 132/80). Ob die betreffenden Arbeitsplätze frei sind oder besetzt, ist für die Entscheidung des vorliegenden Falles unerheblich, denn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten, der wie der Kläger noch vollschichtig einsatzfähig ist, hängt nicht davon ab, ob das Vorhandensein von für ihn offenen Arbeitsplätzen für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten konkret festgestellt werden kann oder nicht. Der im Sinne der sog. konkreten Betrachtungsweise auf die tatsächliche Verwertbarkeit der Resterwerbsfähigkeit abstellende Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 10.12.1976 SozR 2200 § 1246 Nr. 13) kann bei noch vollschichtig einsatzfähigen Versicherten grundsätzlich nicht herangezogen werden. Ausnahmen können allenfalls dann in Betracht kommen, wenn ein Versicherter nach seinem Gesundheitszustand nicht dazu in der Lage ist, die an sich zumutbaren Arbeiten unter den in der Regel in den Betrieben üblichen Bedingungen zu verrichten, oder wenn er außerstande ist, Arbeitsplätze dieser Art von seiner Wohnung aus aufzusuchen (BSG, Urteil vom 27.02.1980 – 1 RJ 32/79). Ein solcher Ausnahmefall kann vorliegend jedoch nicht bejaht werden. Wenn der Kläger gleichwohl keinen Arbeitsplatz findet, den er nach seinem Leistungsvermögen noch auffüllen kann, so ergibt sich daraus allenfalls ein Anspruch gegen die Arbeitslosenversicherung, nicht aber ein Anspruch auf Gewährung von Versichertenrente gegen die Beklagte als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung.
Nach alledem ist der Kläger noch nicht berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 Satz 1 RVO. Die weitergehenden Voraussetzungen für das Vorliegen der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 1247 Abs. 2, Satz 1 RVO sind damit erst recht nicht erfüllt. Denn erwerbsunfähig ist ein Versicherter dieser Vorschrift zufolge erst dann, wenn sein Leistungsvermögen – stärker als im Falle der Berufsunfähigkeit – soweit herabgesunken ist, daß er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit (überhaupt) nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit streitig.
Der 1938 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger, lebt seit April 1963 in der Bundesrepublik Deutschland und verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Er war in verschiedenen Arbeiterberufen tätig und hat zuletzt arbeiterrentenversicherungspflichtig bei der Firma W., gefertigte Gußteile kontrolliert. Seit der Beendigung dieser Beschäftigung im Jahre 1980 – mit Ausnahme einer kurzzeitigen Beschäftigung 1982 – ist er arbeitslos.
Am 6. Juni 1986 beantragte der Kläger bei der Beklagten zum zweiten Mal – das erste Rentenverfahren blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 13. Dezember 1988, S-4/J-19/87) – die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit und legte einen Befundbericht des praktischen Arztes Dr. St. vom 30. Mai 1986 vor. Auf Veranlassung der Beklagten wurde er daraufhin in der sozialärztlichen Dienststelle Marburg untersucht. In ihrem Gutachten vom 23. Oktober 1986 diagnostizierte die Internistin Dr. A. bei dem Kläger ein Wirbelsäulensyndrom, eine larvierte Depression, eine Fettleber, eine Hyperurikämie, funktionelle Oberbauchbeschwerden und eine Hörminderung. Zum Leistungsvermögen führte sie aus, daß der Kläger noch leichte bis mittelschwere Arbeiten mit geringen Einschränkungen vollschichtig verrichten könne; eine Arbeitsunfähigkeit bestehe derzeit nicht.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag des Klägers daraufhin mit Bescheid vom 18. Dezember 1986 ab und führte zur Begründung aus, der Kläger könne unter Berücksichtigung der festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen mit Einschränkungen noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten verrichten, so daß keine Berufsunfähigkeit und erst recht keine Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Der Kläger erhob daraufhin am 12. Januar 1987 Klage zum Sozialgericht Marburg. Er machte geltend, er sei nicht mehr dazu in der Lage, Erwerbstätigkeit auszuüben.
Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Untersuchungsberichte des Klinikums der Philipps-Universität – Zentrum für Nervenheilkunde – (10.04.1987 und 25.11.1987), der Internistin Dr. G.-D. (21.04.1987) und des praktischen Arztes Dr. St. (24.09.1987) eingeholt. Darüber hinaus lag dem Gericht eine gutachtliche Stellungnahme des Dr. H. (23.12.1987), vorgelegt von der Beklagten, vor. Ferner ist von Amts wegen Beweis erhoben worden durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Fachgutachtens bei Dr. K ...
In seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachen vom 7. September 1988 diagnostizierte Dr. K. im Anschluß an eine ambulante Untersuchung bei dem Kläger einen depressiven Versagenszustand mit deutlich demonstrativen Zügen, die sich in verschiedenen Untersuchungssituationen häufig und deutlich wiederholten. Der Sachverständige mutete dem Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig Tätigkeiten ohne größere körperliche Anstrengungen, ohne Zeitdruck und ohne Wechselschichten zu.
Durch Urteil vom 13. Dezember 1988 hat das Sozialgericht die Klage sodann abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, daß der nach seinem beruflichen Werdegang auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbare Kläger unter Berücksichtigung der festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen noch leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen vollschichtig verrichten könne und deshalb weder berufsunfähig noch gar erwerbsunfähig sei.
Der Kläger hat gegen das ihm am 5. Januar 1989 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 18. Januar 1989 Berufung eingelegt. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und macht geltend, daß die angeblich demonstrative Haltung auf seine mangelhaften Deutschkenntnisse zurückzuführen sei, was andere als sprachliche Ausdrucksversuche hervorrufen müsse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 13. Dezember 1988 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Juni 1986 zu verurteilen, ihm Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit,
hilfsweise,
wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Juli 1986 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sieht sich in ihrer Auffassung durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt.
Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts eine ergänzende Stellungnahme des Dr. K. (21.08.1989) eingeholt sowie einen Befundbericht des Dr. G. (06.01.1993) beigezogen. Desweiteren hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens bei Prof. Dr. W ... In seinem Gutachten vom 29. Dezember 1995 diagnostizierte Prof. Dr. W. bei dem Kläger zeitweilig leichtgradige ängstlich gefärbte depressive Verstimmungszustände bei hypochondrischer Persönlichkeitsentwicklung. Für eine depressive Erkrankung einschließlich einer larvierten Depression fehlten Art und Schwere der depressiven Symptomatik im effektiven Bereich sowie weitere Symptome einer solchen Erkrankung. Dem Kläger seien noch leichte Arbeiten ohne Zeitdruck und ohne Schichtarbeit sowie ohne schwere körperliche Anstrengung ganztags auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzumuten.
Auf Antrag des Klägers ist gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der von ihm benannte Nervenarzt Dr. B. gutachtlich gehört worden. Dr. B. gelangte in seinem Gutachten vom 11. Dezember 1996 zu dem Ergebnis, daß bei dem Kläger gelegentliche ängstlich-depressive Verstimmungszustände bei hypochondrischer Persönlichkeitsentwicklung, niedrige Intelligenz im Sinne einer Grenzdebilität, nicht ausreichend eingestellte Bluthochdruckkrankheit, Übergewicht, Magenbeschwerden bei Verdacht auf Magengeschwür, degenerative Wirbelsäulenbeschwerden mit gelegentlichem Wurzelreizsyndrom und Augenhintergrundveränderungen infolge Bluthochdruck vorlägen. Unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen könne der Kläger noch leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit Einschränkungen (in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen, nicht unter Zwangshaltung, ohne Über-Kopf-Arbeiten, ohne Hebe- oder Bückarbeit und nicht auf Leitern und Gerüsten, ohne Zeitdruck und nur geistig einfachste Arbeiten ohne jegliche Anforderungen an die geistige Regsamkeit und ohne besondere Anforderungen an Aufmerksamkeit und Konzentration) vollschichtig verrichten. Diese Einschätzung hat der Dipl.-Psychologe W. in seinem psychologischen Zusatzgutachten vom 17. Dezember 1996 im wesentlichen geteilt: Aus psychologischer Sicht ließen sich eine Grenzdebilität sowie gelegentliche ängstlich-depressive Verstimmungszustände bei hypochondrischer Persönlichkeitsentwicklung diagnostizieren.
Wegen des weiteren Sachvortrags der Beteiligten und des Sachverhalts im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 146, 151 SGG).
Die Berufung ist jedoch sachlich nicht begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 13. Dezember 1988 ist nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 1986 ist zu Recht ergangen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit und erst recht keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Da der Kläger bereits für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 einen Anspruch auf Rentengewährung erhebt und den entsprechenden Rentenantrag vor dem 31. März 1992 gestellt hat, sind gemäß § 300 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) im vorliegenden Fall zunächst noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vor Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) und vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I 2261) maßgeblichen Fassung anzuwenden.
Rente wegen Berufsunfähigkeit erhält gemäß § 1246 Abs. 1 RVO, wer berufsunfähig ist und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer solchen Rente erfüllt. Nach § 1246 Abs. 2 Satz 1 RVO ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit, weil er nicht berufsunfähig im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung ist. Er kann noch einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen und auf diese Weise zumindest noch die Hälfte der Einkünfte eines mit ihm vergleichbaren Versicherten (sog. gesetzliche Lohnhälfte) erzielen.
Die Fähigkeit des Klägers, durch erlaubte Erwerbstätigkeit ein Arbeitsentgelt in nicht ganz unerheblichem Umfang zu erzielen (Erwerbsfähigkeit), ist im vorliegenden Fall durch verschiedene Gesundheitsbeeinträchtigungen herabgemindert. Zur Überzeugung des Senats steht fest, daß der Kläger nur noch leichte körperliche Tätigkeiten mit Einschränkungen (nur in wechselnder Körperhaltung, ohne Zwangshaltung, d.h. ohne Hebe- oder Bückarbeit, ohne Über-Kopf-Arbeiten, nicht unter Zeitdruck, nicht auf Leitern und Gerüsten, nur geistig einfache Arbeiten und keine Arbeiten unter Zeitdruck) vollschichtig verrichten kann. Diese Beurteilung des Leistungsvermögens ergibt sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände des vorliegenden Falles aus einer Gesamtschau der über den Gesundheitszustand des Klägers vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und medizinischen Gutachten.
Sowohl die Sachverständigen Dr. K. (neurologisch-psychiatrisches Fachgutachten vom 07.09.1988) und Prof. Dr. W. (nervenärztliches Gutachten vom 29.12.1995) als auch der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG gehörte Nervenarzt Dr. B. (Gutachten vom 11.12.1996) gelangten bei Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen zur Annahme eines noch vollschichtigen Leistungsvermögens für zumindest leichte körperliche Tätigkeiten.
Mit den von medizinischer Seite insgesamt getroffenen Feststellungen hält der Senat das Leistungsvermögen des Klägers für ausreichend geklärt und weitere Begutachtungen für nicht mehr geboten. Zweifel an der Richtigkeit der vorliegenden Gutachten ergeben sich für den Senat nicht. Die Ausführungen insbesondere der medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. W. und Dr. B. sind in sich schlüssig, widerspruchsfrei und überzeugend. Die jeweilige Leistungsbeurteilung wird in den von ihnen vorgelegten Gutachten nach eingehender Befunderhebung mit nachvollziehbarer und für den Senat einleuchtender Begründung aus den gestellten Diagnosen abgeleitet und steht im Einklang mit den übrigen Befundunterlagen der den Kläger behandelnden Ärzte. Anhaltspunkte für das Vorliegen weitergehender Gesundheitsbeeinträchtigungen mit zusätzlicher leistungsmindernder Bedeutung sind weder vom Kläger aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.
Unter Berücksichtigung seines noch vorhandenen Leistungsvermögens ist der Kläger nicht berufsunfähig. Denn seine Erwerbsfähigkeit ist nicht auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken.
Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit vom Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt nämlich § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO alle Tätigkeiten, die (objektiv) ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen (subjektiv) unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs unter besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Das Gesetz räumt den Versicherten einen Anspruch auf Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit also nicht bereits dann ein, wenn sie ihren – versicherungspflichtig ausgeübten – "bisherigen Beruf” bzw. ihre "bisherige Berufstätigkeit” aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können. Vielmehr wird von den Versicherten verlangt, daß sie – immer bezogen auf ihren "bisherigen Beruf” – einen "zumutbaren beruflichen Abstieg” in Kauf nehmen und sich vor Inanspruchnahme der Rente mit einer geringerwertigen Erwerbstätigkeit zufrieden geben (BSGE 41, 129, 131). Nur wer sich nicht in dieser Weise auf einen anderen Beruf "verweisen” lassen muß, ist berufsunfähig im Sinne des Gesetzes.
"Zugemutet werden” im Sinne des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO können den Versicherten alle von ihnen – nach ihren gesundheitlichen Kräften und beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten – ausführbaren, auch berufsfremden Tätigkeiten, die nach der im Gesetz angeführten positiven Kennzeichnung – Ausbildung und deren Dauer, besondere Anforderungen, Bedeutung des Berufs im Betrieb –, d.h. nach ihrer Qualität dem bisherigen Beruf nicht zu fern stehen (vgl. z.B. BSGE 41, 129, 132 – ständige Rechtsprechung). Das zur Ausfüllung dieser Rechtssätze von der Rechtsprechung entwickelte sog. Mehr-Stufen-Schema unterscheidet dabei für Arbeiterberufe die Gruppe mit dem Leitberuf der Ungelernten – als unterste Gruppe –, die mittlere Gruppe mit dem Leitberuf der Angelernten, schließlich die Gruppe mit dem Leitberuf der Gelernten (Facharbeiter) und darüber die zahlenmäßig kleine Gruppe mit dem Leitberuf der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion bzw. der Facharbeiter mit besonders qualifizierten Tätigkeiten. Als im Sinne von § 1246 Abs. 2 Satz 2 zumutbaren beruflichen Abstieg hat die angeführte Rechtsprechung jeweils den Abstieg zur nächtniedrigeren Gruppe angenommen. Unabhängig davon können Versicherte mit dem Leitberuf des Ungelernten auf das gesamte allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden (vgl. etwa BSGE 55, 45 – ständige Rechtsprechung).
Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum sog. Mehr-Stufen-Schema, der sich der Senat angeschlossen hat, ist der Kläger im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der von ihm ausgeführten Versicherungspflichtigen Tätigkeiten in die Gruppe der ungelernten Arbeiter, bestenfalls jedoch in die Gruppe der Angelernten – nicht im oberen Bereich – einzuordnen. Er verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung und war im Hauptberuf zuletzt mit der Kontrolle von gefertigten Gußteilen beschäftigt. Bei diesem beruflichen Werdegang muß sich der Kläger auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen, die er gesundheitlich noch verrichten kann.
Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten, die sich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen müssen, grundsätzlich nicht geboten. Denn es gibt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Vielzahl von ungelernten Tätigkeiten, die nur mit leichen körperlichen Anforderungen verbunden sind. Das ist offenkundig und braucht entgegen der im Schriftsatz vom 16. Januar 1997 geäußerten Auffassung des Klägers nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich nicht in jedem Einzelfall aufs Neue belegt zu werden. Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, daß es in der Regel auch für Versicherte, deren Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist, noch Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang gibt.
Bei dem Kläger liegen unter Berücksichtigung des vom Senat festgestellten Leistungsvermögens auch keine besonderen Umstände vor, die die Ausübung solcher Tätigkeiten in ungewöhnlicher Weise erschweren. Für einen auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbaren ungelernten Versicherten ist die konkrete Bezeichnung von Verweisungstätigkeiten nur erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung festgestellt ist (BSG, Urteil vom 01.03.1994 – 4 RJ 43/83) oder wenn er wegen eines besonders gearteten Berufslebens deutlich aus dem Kreis vergleichbarer Versicherter herausfällt (BSG, Urteil vom 18.02.1981 – 1 RJ 174/79). Gravierende Einschränkungen in diesem Sinne liegen bei dem Kläger aber nicht vor. Es liegen auch keine Hinweise darauf vor, daß die Wiedereingliederungs- und Anpassungsfähigkeit des Klägers wesentlich eingeschränkt wäre. Auch die vom Senat und vom Kläger selbst benannten Sachverständigen haben anläßlich seiner Begutachtung keinerlei Anlaß gesehen, eine anderweitige Begutachtung noch zu empfehlen.
Dem Kläger ist der Arbeitsmarkt auch nicht verschlossen. Grundsätzlich ist bei vollschichtig leistungsfähigen und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisenden Versicherten davon auszugehen, daß es für diese Versicherten noch geeignete Tätigkeiten gibt (BSG – Urteil vom 27.04.1982 – 1 RJ 132/80). Ob die betreffenden Arbeitsplätze frei sind oder besetzt, ist für die Entscheidung des vorliegenden Falles unerheblich, denn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten, der wie der Kläger noch vollschichtig einsatzfähig ist, hängt nicht davon ab, ob das Vorhandensein von für ihn offenen Arbeitsplätzen für die in Betracht kommenden Erwerbstätigkeiten konkret festgestellt werden kann oder nicht. Der im Sinne der sog. konkreten Betrachtungsweise auf die tatsächliche Verwertbarkeit der Resterwerbsfähigkeit abstellende Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 10.12.1976 SozR 2200 § 1246 Nr. 13) kann bei noch vollschichtig einsatzfähigen Versicherten grundsätzlich nicht herangezogen werden. Ausnahmen können allenfalls dann in Betracht kommen, wenn ein Versicherter nach seinem Gesundheitszustand nicht dazu in der Lage ist, die an sich zumutbaren Arbeiten unter den in der Regel in den Betrieben üblichen Bedingungen zu verrichten, oder wenn er außerstande ist, Arbeitsplätze dieser Art von seiner Wohnung aus aufzusuchen (BSG, Urteil vom 27.02.1980 – 1 RJ 32/79). Ein solcher Ausnahmefall kann vorliegend jedoch nicht bejaht werden. Wenn der Kläger gleichwohl keinen Arbeitsplatz findet, den er nach seinem Leistungsvermögen noch auffüllen kann, so ergibt sich daraus allenfalls ein Anspruch gegen die Arbeitslosenversicherung, nicht aber ein Anspruch auf Gewährung von Versichertenrente gegen die Beklagte als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung.
Nach alledem ist der Kläger noch nicht berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 Satz 1 RVO. Die weitergehenden Voraussetzungen für das Vorliegen der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 1247 Abs. 2, Satz 1 RVO sind damit erst recht nicht erfüllt. Denn erwerbsunfähig ist ein Versicherter dieser Vorschrift zufolge erst dann, wenn sein Leistungsvermögen – stärker als im Falle der Berufsunfähigkeit – soweit herabgesunken ist, daß er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit (überhaupt) nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved