L 3 U 21/99

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 U 248/98
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 21/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Januar 1999 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger wegen eines Vorfalles, den der Kläger als Arbeitsunfall einstuft, Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren hat.

Der am 29. September 1953 geborene Kläger leidet unter anderem an einer schizo-affektiven Psychose (ICD - 9 295.7). Am 29. November 1995 ereignete sich der hier streitbefangene Vorfall in der ... Universität Berlin, bei der der Kläger im Schreibdienst beschäftigt war. Gegen 15.00 Uhr beschimpfte der Kläger zunächst einen Professor der ... Universität als „Nazischwein“, stürzte danach im Kopierraum mit lautem Geschrei auf den Professor zu und trieb diesen in die Ecke. Auf Grund dieses Vorfalles kündigte die ... Universität am 7. Dezember 1995 das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos. Der Kläger befand sich darauf hin in stationärer psychiatrischer Behandlung.

Am 3. Februar 1997 ging bei der Beklagten eine vom Kläger selbst gefertigte Unfallmeldung ein, in der er den vorgenannten Vorfall als Arbeitsunfall, ihn selbst betreffend, qualifizierte. Die Beklagte holte darauf hin unter anderem eine Auskunft der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik Berlin vom 4. August 1997 ein, die als Anlage einen Arztbrief vom 4. April 1997, gefertigt von der selben Klinik und gerichtet an die behandelnde Ärztin des Klägers, enthielt. Hierin wurden der vor allem psychiatrische Gesundheitszustand des Klägers und die vorgenommene Therapie beschrieben. Ferner holte die Beklagte eine Auskunft der ... Universität Berlin vom 4. November 1997 ein. Darin vertrat die Universität den Standpunkt, bei dem Vorfall vom 29. November 1995 handele es sich nicht um einen Arbeitsunfall, weil der tät-liche Angriff vom Kläger selbst ausgegangen sei. Mit Bescheid vom 2. März 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 29. November 1995 mit der Begründung ab, es habe sich von dem Ereignis vom 29. November 1995 nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt, weil es sich hierbei nicht um ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirken-des Ereignis, welches zu einem Gesundheitsschaden geführt habe, gehandelt habe. Das Ereignis habe vielmehr auf einem schicksalhaften Erkrankungszustand beruht. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 1998 zurück: Ein Unfallgeschehen habe nicht vorgelegen. Das Ereignis vom 29. November 1995 sei als Folge des schicksalhaft bestehenden und seit Jahren Behandlungsbedürftigkeit notwendig machenden Erkrankungszustandes des Klägers eingetreten.

Bereits vor Erteilung des Widerspruchsbescheides, nämlich am 31. März 1998, hatte der Kläger eine von ihm als Zwischenfeststellungsklage bezeichnete Klage beim Sozialgericht Berlin zum Zwecke der Beweissicherung erhoben. Nach Erteilung des Widerspruchsbescheides hat er das Verfahren fortgesetzt. Mit Urteil vom 4. Januar 1999 hat das Sozialgericht, welches die Klage als auf die Gewährung von Entschädigungsleistungen gerichtet angesehen hat, abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Arbeitsunfall liege nicht vor.

Gegen dieses ihm am 29. Januar 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. Februar 1999 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin eingelegt. Er meint, es müsse ein Beweissicherungsverfahren durchgeführt werden. Bei dem Ereignis vom 29. November 1995, welches durch den starken psychischen Druck des Arbeitsverhältnisses auf den Kläger ausgelöst worden sei, handele es sich um einen Arbeitsunfall. Als dessen Folge sei eine Gesundheitsstörung in der Gestalt einer schweren Körperverletzung durch elfmonatigen Aufenthalt in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik entstanden. Der Rechtsstreit solle dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin vorgelegt werden. Der behandelnde Arzt Dr. Sch und der Zeuge D von der den Kläger betreuenden psychosozialen Einrichtung sollten als Zeugen gehört werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Januar 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. März 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 29. November 1995 Heilbehandlung, Verletztengeld und Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsakten der Beklagten, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§ 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, ihm steht kein Anspruch auf die beantragten Leistungen zu.

Maßgebend sind vorliegend die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), denn der vom Kläger geltend gemachte Versicherungsfall ist vor dem 1. Januar 1997 eingetreten (vgl. § 212 Siebentes Sozialgesetzbuch - SGB VII -). Der Kläger begehrt wegen der Folgen des Ereignisses vom 29. November 1995 Heilbehandlung, Verletztengeld und Verletztenrente. Diese drei Leistungsarten setzen gemäß § 547 RVO den Eintritt eines Arbeitsunfalls voraus. Arbeitsunfall ist gemäß § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet. Zwar war der Kläger in einem Arbeitsverhältnis nach § 539 Nr. 1 RVO beschäftigt, als sich das Ereignis vom 29. November 1995 ereignete. Es handelte sich jedoch hierbei nicht um einen Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Unfall ist ein körperlich schädigendes, von außen her einwirkendes, zeitlich begrenztes Ereignis (vgl. u.a. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 28. Juli 1977, 2 RU 15/76; Urteil vom 22. März 1983, 2 RU 14/82; ständige Rechtsprechung). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus dem sonstigen gesamten Akteninhalt ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der in die Auseinandersetzung mit dem Kläger verwickelte Professor der Technischen Universität Berlin auf den Kläger körperlich eingewirkt hat. Auch eine sonstige, vom Kläger selbst, von anderen Personen oder von Gegenständen ausgelöste körperliche Einwirkung auf den Kläger, ist nicht ersichtlich. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch dann nicht, wenn das Vorbringen des Klägers hypothetisch als wahr unterstellt wird, die Umstände des Arbeitsverhältnisses hätten auf ihn einen derart starken psychischen Druck ausgeübt, dass es infolge dieser seelischen Belastung zu dem Ereignis vom 29. November 1995 gekommen sei. Denn selbst wenn diese geschilderten Umstände tatsächlich vorgelegen haben sollten, würden sie nicht die Voraussetzungen eines Unfalles im Sinne der vorgenannten Definition erfüllen. Eine derartige, zeitlich nicht begrenzte Einwirkung stellt keinen Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung dar.

Der Senat sah keinerlei Veranlassung, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Insbesondere war es nicht geboten, die vom Kläger benannten Zeugen zu hören. Denn diese hätten allenfalls über die Auswirkungen des Ereignisses vom 29. November 1995 auf den Kläger Auskunft geben können, nicht jedoch über das Geschehen selbst. Auf die Auswirkungen des Ereignisses vom 29. November 1995 kam es jedoch schon deswegen nicht mehr an, weil - wie bereits ausgeführt - dieses Ereignis keinen Arbeitsunfall darstellte. Eine Vorlage des Rechtsstreits an den Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin. wie vom Kläger angeregt, war gleichfalls nicht vorzunehmen, weil es hierfür an einer gesetzlichen Grundlage mangelt. Darüber hinaus hat der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin durch Beschluss vom 21. Februar 2000 (VerfGH 95/99, 108/99 und 116/99) die Verfassungsbeschwerden des Klägers, u.a. auch bezogen auf das vorliegende, damals noch anhängige Verfahren, verworfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
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