L 1 KR 195/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 2105/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 195/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt, ihm einen "treppensteigfähigen Elektrorollstuhl" zur Verfügung zu stellen.

Er ist 1961 geboren und Versicherter der Beklagten. Sein behandelnder Orthopäde Dr. M verordnete ihm unter dem 19. August 2004 "einen elektrischen Rollstuhl mit Treppensteighilfe" und gab dazu die Diagnosen Arthrose OSG rechts (M 19.9 R) und Rollstuhlfahrer (R 25.2 V) an. Der Kläger beantragte am 17. August 2004 einen E-Rollstuhl, mit dem er auch Treppen befahren könne. Auf entsprechende Nachfrage der Beklagten teilte Dr. M in Beantwortung eines entsprechenden Fragebogen mit, der Kläger leide an einer Arthrose OSG rechts, einem Zustand nach Unterschenkelfraktur links und an einer Osteochondrosis dissecans des rechten Knies. Bei der Frage nach Funktionsdefiziten kreuzte er für "untere Extremitäten" Stufe 3 an ("mit Unterstützung unter 15 Meter") hinsichtlich Koordination und Gleichgewichtstufe 2 ("erhebliche Ataxie, erhebliche Schwindel"), hinsichtlich "kardiopulmonalen Systems" Stufe 1 ("eine Etage steigen oder NYHA II") sowie der oberen Extremitäten ebenfalls Stufe 1 ("eingeschränkt schmerzfrei beweglich"). Die Frage nach "Nutzung eines Rollstuhles im häuslichen Bereich aktiv" wird bejaht, passive Nutzung verneint, ebenso Nutzung auf der Straße. Die Frage, ob der Patient in der Lage sei, sich mit der erforderlichen Sicherheit im Rollstuhl fortzubewegen, ist bejaht. Zur Frage, warum ein Faltrollstuhl nicht ausreiche, gab der Arzt an, der Patient "komme die Treppe nicht hoch".

Im Auftrag der Beklagten gab der Medizinische Dienst der Krankenkassen Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) unter dem 23. September 2004 eine gutachterliche Stellungnahme ab. Die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl sei nicht notwendig. Es läge auch eine ausreichende Fahrtüchtigkeit des Klägers vor. Hinsichtlich der beantragten Treppensteighilfe sei eine abschließende Beurteilung nicht möglich, da die Wohnverhältnisse nicht bekannt seien. Auf Nachfrage der Beklagten teilte Dr. M mit Schreiben vom 19. Oktober 2004 mit, der Kläger verlasse die Wohnung ca. einmal am Tag. Er wiege ungefähr 130 kg. Es gebe keine Begleitperson. Dieser benötige deshalb einen Selbstfahrer. Das Treppenhaus sei seines Erachtens groß genug für den Einsatz eines Treppensteigegerätes. Es müssten damit 3 1/2 Stockwerke zurückgelegt werden. Der Kläger könne sich nicht selber fort bewegen, da er über starke Rücken- und Gelenkschmerzen klage. Er sei in seiner Beweglichkeit stark eingeschränkt. Zusätzlich bestünden Atemnot und Vertigo.

Der Beklagte lehnte daraufhin den Leistungsantrag "gemäß ärztlicher Verordnung vom 19. August 2004 für einen elektrischen Rollstuhl und eine Treppensteighilfe" mit Bescheid vom 26. Oktober 2004 ab. Ein Anspruch auf einen Elektrorollstuhl bestehe nicht. Nach § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) hätten Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die erforderlich seien, um eine Behinderung auszugleichen. Der Kläger sei durch den vorhandenen, manuell zu bedienenden Rollstuhl zweckmäßig und ausreichend versorgt. Voraussetzung für ein Treppensteiggerät sei aus medizinischer Sicht, dass die vorhandene Restmobilität so gering sei, dass aus eigener Kraft bzw. mit Hilfe einer Begleitperson Treppen nicht mehr überwunden werden könnten. Auch benötige ein solches Gerät eine Begleitperson zur Bedienung. Mit einem Treppensteigegerät könne ein Elektrorollstuhl nicht transportiert werden. Die Tragelast dürfe auch maximal nur 130 kg betragen (Person plus Rollstuhl).

Der Kläger erhob Widerspruch. Ein E-Rollstuhl mit Treppensteighilfe sei für ihn ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich. Das Gehen nur mit Gehstützen schädige seine Gesundheit. Ein Handselbstfahrer sei nicht zweckmäßig da u. a. ein Bewegen der Räder mit seinem Ganglion an der rechten Hand sehr schmerzhaft sei. Er wolle einen Elektrorollstuhl mit integrierter Treppensteige, wie er ihn bereits einmal selbst gekauft habe.

Die Beklagte versorgte den Kläger sodann mit einem Faltrollstuhl in Überbreite (Bewilligung vom 3. November 2004).

Am 21. Juni 2006 wurde der Kläger vom MDK untersucht. Er war dort mit seinem Leichtgewichtsrollstuhl erschienen. Er gab dort an, seinen Rollstuhl stelle er in der Hausdurchfahrt und schließe ihn dort ab. In der Wohnung habe er keinen Rollstuhl, sondern er habe sich selbst aus einer Kiste und Rädern ein Gefährt gebaut. Der Gutachter diagnostizierte Epicondilytis beider Ellenbogen, Adipositas per magna -der Kläger habe 140 kg angegeben bei einer Körpergröße von 195 cm-, Chondropathie patellae sowie Arthrose des oberen Sprunggelenkes. Die berichteten heftigen und multiplen Belastungsbeschwerden im Bereich der oberen und unteren Extremitäten, die Kreislaufsensationen und der Schwindel seien aus den vorliegenden medizinischen Befundberichten nicht schlüssig nachzuvollziehen. Die Unterschenkelfraktur von 1998 sei folgenlos ausgeheilt. Auch aus der Thrombose des linken Unterschenkels sei eine nachhaltige funktionelle Einschränkung im Sinne von Rollstuhlabhängigkeit nicht abzuleiten. Zwischenzeitliche gravierende Erkrankungen oder Traumata seien nicht bekannt.

Es sei nicht begründet zu erkennen, dass das medizinische Rehapotential ausgeschöpft sei. Es werde empfohlen, den Versicherten zum Antrag einer adäquaten Rehamaßnahme zu motivieren mit dem Ziel einer weitgehenden Mobilisation des Versicherten aus dem Rollstuhl. Solle dies fehlschlagen, so erscheine der Umzug in eine behindertengerechte Wohnung als adäquater als ein Behinderungsausgleich in der hier angestrebten Weise. Eine Versorgung mit Treppenraupen sei nicht möglich, da diese mit maximal 130 kg (einschließlich Rollstuhl) belastet werden dürften.

Mit Schreiben vom 13. Juli 2005 teilte der Kläger mit, 168 kg zu wiegen. Das Rehabilitationspotential sei seines Erachtens ausgeschöpft (Schreiben vom 19. Juli), da er andere Mobilitätsmöglichkeiten erfolglos getestet habe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2005 unter Bezugnahme auf die Beurteilungen des MDK zurück.

Hier gegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Das Selbstfahren sei unzumutbar schmerzvoll. Das Treppenklettern mit Gehstützen verschlimmere seine Leiden.

Das SG hat die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Diese hat vergeblich versucht, den Kläger zu Hause aufzusuchen und hat nur das Treppenhaus besichtigt. Auf Terminangebote in der Praxis habe er nicht reagiert. Die Sachverständige hat nach Aktenlage die Diagnosen Fettleibigkeit, Abnutzungserscheinungen des Skelettsystems, Zustand nach abgeheilten Unterschenkelbruch links 1998, Zustand nach tiefer Unterschenkelvenenthrombose mit postthrombotischen Syndrom sowie psychovegetative Überlagerung gestellt. Sie ist zu dem Ergebnis gelangt, die Notwendigkeit eines Elektrorollstuhls mit Treppensteigfunktion sei nicht ableitbar. Nach ihrer Internetrecherche im Hilfsmittelverzeichnis gebe es zudem keinen Elektrorollstuhl, mit dem übergewichtige Patienten selbstständig Treppen überwinden könnten. Selbst wenn sich allerdings ein geeigneter Elektrorollstuhl finden lassen sollte, erscheine es aus medizinischer Sicht sehr schwierig, im Rollstuhl sitzend, die drei Haustüren zu öffnen und bis in die dritte Etage zu gelangen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11. Januar 2007 abgewiesen. Die Erforderlichkeit der beantragten Versorgung mit einem Elektrorollstuhl sei aus medizinischer Sicht nicht zu begründen. Daraus folge ohne weiteres, dass auch die Voraussetzungen für die Versorgung mit einem Treppensteiggerät nicht erfüllt seien.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, in welchem er sein Vorbringen wiederholt.

Auf Veranlassung des Senats hat der MDK ein Folgegutachten nach Aktenlage erstellt. Aus fachgutachterlicher Sicht sei bei einem ca. 168 kg Wiegenden eine Versorgungsmöglichkeit mit einem treppensteigfähigen Elektrorollstuhl ausgeschlossen. Für die Alternative eines Treppensteig-Gerätes sei die Führung durch eine Begleitperson notwendig vorgesehen (Hilfsmittelverzeichnis-Nummer 18.65.01.1006 C-Max der Firma AAT). In das Hilfsmittelverzeichnis seien auch die Produktgruppe 18.65.01.2000 bis 2999 Treppenraupen aufgenommen. Eine Treppenraupe sei indiziert, wenn Behinderte regelmäßig Treppen überwinden müssten, z. B. in Haus und Wohnung, die Treppe geeignet sei, um mit einer Treppenraupe gefahren zu werden und ein kompatibler Rollstuhl zur Verfügung stehe. Die Position 18.65.01.2003 (Treppenkuli Firma Barthels) habe jedoch wiederum eine maximale Gewichtsbelastbarkeit von 150 kg. Ein Treppenkuli der Fa. Sanitrans habe zwar eine Traglast von 200 kg, sei jedoch nicht in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen.

Der Kläger weist zu diesem Gutachten darauf hin, auch an einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule zu leiden. Er beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Berlin vom 11. Januar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm einen treppensteigfähigen Rollstuhl zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung musste zurückgewiesen werden. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Gerichtsbescheid wird nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verwiesen.

Dem Kläger steht – derzeit – kein Anspruch auf den gewünschten treppensteigfähigen Elektrorollstuhl zu.

Nach § 33 SGB V haben Versicherte einen Anspruch gegen ihre Krankenkasse u. a. auf Versorgung mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V durch Rechtsverordnung ausgeschlossen sind. Hier geht es um ein "anderes Hilfsmittel", das erforderlich ist, um eine Behinderung auszugleichen. Der streitige Elektrorollstuhl mit Treppenhilfe ist weder ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, noch ist er durch Rechtsverordnung als Hilfsmittel ausgeschlossen. Er ist jedoch - wie bereits vom SG ausgeführt- bezogen auf die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls - nicht erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen.

Im Berufungsverfahren haben sich keine Anzeichen ergeben, welche die Annahme des SG, aus medizinischen Gründen sei das begehrte Hilfsmittel nicht erforderlich, auch nur möglicherweise unrichtig erscheinen erlassen könnten. Der Kläger braucht keinen treppensteigfähigen Elektrorollstuhl, solange das Rehapotential nicht ausgeschöpft ist. Gleiches gälte für eine –nicht beantragte- Raupe. Ob es theoretisch überhaupt einen selbstfahrbaren Elektrorollstuhl mit Treppensteigfunktion gibt, kann aus diesem Grund dahin gestellt bleiben. Ausweislich der sachverständigen Ausführungen des MDK gibt es jedoch angesichts des hohen Körpergewichts eine solche Kombinationslösung nicht.

Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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