L 6 U 820/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 5 U 4142/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 820/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird des Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 17. Dezember 2007 und der Bescheid vom 3. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2006 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 13. Februar 2006 bis 2. Dezember 2007 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen trägt die Beklagte ein Viertel.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Verletztenrente.

Die 1963 geborene, als Verkäuferin in einem Edeka-Markt beschäftigte Klägerin stürzte am 21. Februar 2005 auf dem Weg zur Arbeit auf einem vereisten Gehweg und verdrehte sich den rechten Fuß. Bei diesem von der Beklagten als versicherter Wegeunfall anerkannten Ereignis zog sie sich einen Bruch durch das körperferne Ende des rechten Wadenbeins - vielfach ungenauer als Sprunggelenksfraktur bezeichnet - zu. Unter konservativer Therapie kam es zu einer verzögerten Knochenheilung und lokalen vegetativen Störungen, die der behandelnde Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. H. im Befundbericht vom 28. Juni 2005 als Morbus Sudeck diagnostizierte. Die Beklagte übernahm die Kosten für die von ihm vorgeschlagene erweiterte ambulante Physiotherapie (Schreiben vom 23. August 2005). Auch nach deren Abschluss berichtete Dr. H. im Zwischenbericht vom 22. September 2005 von fortbestehenden Schmerzen. Im Befundbericht vom 24. Oktober 2005 rechnete er mit zwei bis drei weiteren Wochen der Arbeitsunfähigkeit und einem vorübergehenden Verbleiben einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade. Die Beklagte veranlasste eine Vorstellung bei Prof. Dr. W. in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. (BG-Unfallklinik). Dieser führte im ambulanten Untersuchungsbericht mit fachärztlicher Stellungnahme vom 7. Februar 2006 aus, es bestünden noch glaubhafte Restbeschwerden im rechten Sprunggelenk. Ab dem 13. Februar 2006 sei wieder von Arbeitsfähigkeit der Klägerin auszugehen; sollte der Arbeitsversuch scheitern, käme ein stationäres Heilverfahren in Betracht. Dr. H. bestätigte in der Mitteilung des D-Arztes vom 10. Februar 2006 den Eintritt der Arbeitsfähigkeit ab 13. Februar 2006 und schätzte die verbleibende MdE auf 20 vom Hundert (v. H.). Die Klägerin nahm am 13. Februar 2006 ihre bisherige Arbeit wieder in vollem Umfang auf, brach sie jedoch aufgrund persistierender Beschwerden im Bereich des rechten Sprunggelenks ab. Am 23. März 2006 stellte sie sich deswegen ambulant in der BG-Unfallklinik vor (Befundbericht vom 27. März 2006). Vom 25. April bis 16. Mai 2006 wurde dort ein stationäres Heilverfahren durchgeführt. Im Entlassbericht vom 18. Mai 2006 diagnostizierte Prof. Dr. W. eine verheilte Außenknöchelfraktur rechts mit Restbeschwerden. Die Behandlung sei nun endgültig abgeschlossen. Ab dem 20. Mai 2006 bestehe eine vollschichtige und uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit. Eine MdE verbleibe nicht.

Nachfolgend konnte der Verdacht auf eine Nervenschädigung nicht bestätigt werden. Die Fachärztin für Neurologie Dr. O. sah im Befundbericht vom 7. Juli 2006 die von der Klägerin immer noch beschriebene Beschwerdesymptomatik im Zusammenhang mit dem bereits zuvor diagnostizierten Morbus Sudeck.

Im Ersten Rentengutachten vom 10. Juli 2006 beschrieb Dr. H. (das Gutachten wurde wegen seiner Abwesenheit nach Diktat von seinem Praxiskollegen Dr. Sch. unterzeichnet) eine diskrete Schwellung am rechten Sprunggelenk. Die Haut habe etwas kühl gewirkt. Die Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk sei fast aufgehoben gewesen, die Zehenbeweglichkeit zur Hälfte eingeschränkt. Die subjektiv von der Klägerin geäußerten Beschwerden im rechten Sprunggelenk erachtete er als glaubhaft. Die MdE bewertete er ab dem 13. Februar 2006 mit 10 v. H.

Mit Bescheid vom 3. August 2006 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen des Arbeitsunfalls ab. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei nicht um wenigstens 20 v. H. gemindert. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis zum 12. Februar 2006 bestanden.

Hiergegen richtete sich der am 21. August 2006 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch der Klägerin, die auf nach wie vor bestehende Schmerzen hinwies. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Einschätzung der MdE im Ersten Rentengutachten entspreche den üblichen Sätzen bei gleichartigen Verletzungen und Verletzungsfolgen in der gesetzlichen Unfallversicherung. Dabei komme es vor allem auf die bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen an. ÜblicherW. mit einem funktionellen Befund verbundene subjektive Beeinträchtigungen (Schmerzen) seien mit dem MdE-Grad, welcher der Beeinträchtigung entspreche, mit abgegolten. Die MdE sei nach dem Umfang der Funktionsbeeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben einzuschätzen. Auf etwaige Behinderungen bei der konkreten beruflichen Tätigkeit oder im Privatleben sei nicht abzustellen.

Deswegen erhob die Klägerin am 10. November 2006 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage. Sie trug vor, ihr Sprunggelenk sei in Dislokation verheilt. Sie habe nach wie vor erhebliche Beschwerden, wenn sie über einen Zeitraum von mehr als 20 Minuten gehe, stehe und sich bewegen müsse. Der Fuß werde nach längerem Stehen taub und blockiere immer wieder. Als Verkäuferin stehe sie fast den gesamten Tag und erlebe die Unfallfolgen stets als subjektive Beeinträchtigung. Sie sei durch den Unfall in besonderem Maße betroffen. Anders wäre es vielleicht, wenn sie eine vorwiegend sitzende Tätigkeit und die Gelegenheit hätte, den Fuß hochzulegen, um ein Anschwellen zu verhindern.

Das SG holte das fachorthopädische/traumatologische Gutachten von PD Dr. H. vom 27. Mai 2007 ein. Dieser führte aus, bei der Klägerin stehe nicht so sehr die letztendlich knöchern ausgeheilte Fraktur selbst im Vordergrund, sondern die durch den Unfall hervorgerufene Reflexdystrophie, an deren Folgen sie bis heute leide und deren vollständige Ausheilung fraglich sei. Die Reflexdystrophie sei leichtgradig ausgeprägt und im Verlauf von etwa anderthalb Jahren teilweise wieder abgeklungen. Die MdE liege auf Dauer bei 10 v. H.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstellte Dr. A. das unfall- und sozialmedizinische Gutachten vom 7. August 2007. Er führte aus, es liege ein verzögerter Heilverlauf im Sinne einer Sudeck’schen Dystrophie vor. Die damit verbundene Herabsetzung der Trage- und Belastungsfähigkeit des rechten Beines, die Störung der Statik und Dynamik mit Gangstörungen, Muskelverschmächtigungen, röntgenographischen Veränderungen, dauernd notwendiger Therapieintervention und das subjektive Beschwerdebild bedingten eine MdE um 20 v. H., für die Zeit bis Ablauf des zweiten Jahres nach dem Unfall eine solche um 30 v. H. Die Beklagte wandte hierzu ein, Rentenbegutachtung sei Funktionsbegutachtung. Die erhobenen Messwerte würden nur eine MdE um 10 v. H. rechtfertigen.

Im November 2007 trat wegen Schmerzen im rechten Fuß bei der Klägerin erneut bis zum 2. Dezember 2007 Arbeitsunfähigkeit ein (Nachschaubericht und Mitteilung von Dr. H. vom 6. November und 17. Dezember 2007).

Mit Urteil vom 17. Dezember 2007 wies das SG die Klage ab. Eine MdE um 20 v. H. komme nach den Erfahrungswerten in der unfallmedizinischen Literatur erst in Betracht, wenn das obere Sprunggelenk im Winkel von 90° bis 110° zum Unterschenkel versteift sei. Dr. H. habe die Reflexdystrophie als geringgradig bezeichnet. Die Bemessung der MdE mit 10 v. H. sei folgerichtig. Dr. A. habe keine Befunde angeführt, die auf darüber hinausgehende Gesundheitsstörungen oder konkrete Funktionseinschränkungen hinwiesen.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 23. Januar 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. Februar 2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie trägt vor, Dr. A. habe seine Einschätzung der MdE begründet und legt hierzu dessen Zusatzgutachten vom 23. April 2008 vor.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Heilbronn vom 17. Dezember 2007 und des Bescheids vom 3. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Oktober 2006 zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v. H. zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für überzeugend. Zu dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. H. trägt sie vor, anhand der erhobenen funktionellen Befunde könne kein Zweifel bestehen, dass eine rentenberechtigende MdE sicher nicht vorliege. Sie verkenne nicht, dass belastungsabhängige (Rest-)Beschwerden angenommen werden könnten. Ein durchgängiger und außergewöhnlicher Schmerzzustand, welcher ausnahmsweise zu einer rentenauslösenden MdE führen könnte, sei jedoch nicht nachweisbar.

Der Senat hat das fachorthopädische Gutachten von Dr. H. vom 16. Juni 2008 eingeholt. Dieser beschrieb bei der Klägerin schmerzhafte Funktionsstörungen im rechten oberen Sprunggelenk offenbar auf dem Boden einer Sudeck Erkrankung. Die verbliebene Bewegungseinschränkung sei diskret und würde an sich nur eine MdE um 10 v.H. rechtfertigen. Jedoch sei unter zusätzlicher Berücksichtigung der von der Klägerin geschilderten Beschwerden, die sich einer ärztlichen Objektivierung entzögen, die Annahme einer MdE um 20 v.H. gerechtfertigt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft und zulässig.

Die Berufung ist zum Teil auch begründet. Der Klägerin stand für die Zeit vom 13. Februar 2006 bis 2. Dezember 2007 dem Grunde nach ein Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu. Insoweit hätte das SG die Klage nicht abweisen dürfen. Für den nachfolgenden Zeitraum konnte sich der Senat indessen keine Überzeugung mehr von einem fortbestehenden Anspruch auf eine Verletztenrente verschaffen, sodass die Berufung unter Abänderung der angefochtenen Bescheide im Übrigen zurückzuweisen war.

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche über den Versicherungsfall hinaus wenigstens um 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Die MdE richtet sich gem. § 56 Abs. 2 SGB XII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.

Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleidet. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang, vgl. BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr. 92 S 257; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 19), dass die Verrichtung zu dem Unfallereignis geführt hat und letzteres einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (BSGE 94, 269), für einen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente jedoch von entscheidender Bedeutung.

Der Sturz der Klägerin auf dem Weg zur Arbeit am 21. Februar 2005, bei dem sie sich einen Bruch durch das körperferne Ende des rechten Wadenbeins zugezogen hat - so die genaue Bezeichnung von Dr. H., die inhaltlich aber keinen Unterschied zu der sonst erfolgten, ungenaueren Bezeichnung einer Sprunggelenksfraktur rechts beinhaltet -, stellt einen versicherten Arbeitsunfall (Wegeunfall gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) dar. Das hat die Beklagte im Bescheid vom 3. August 2006 festgestellt. Ebenso wenig ist umstritten, dass der Bruch inzwischen knöchern ohne wesentliche Deformität ausgeheilt ist, die Knochenheilung jedoch verzögert und mit lokalen vegetativen Störungen im Sinne einer Sudeck-Erkrankung verbunden war und nach wie vor eine Bewegungseinschränkung besteht. Davon geht auch der Senat aus.

In der Zusammenschau der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten und unter Berücksichtigung des im Übrigen dokumentierten Krankheitsverlaufs ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass für die Zeit vom 13. Februar 2006 bis 2. Dezember 2007 bei der Klägerin eine MdE um 20 v. H., nachfolgend jedoch nur noch um 10 v. H. vorlag.

Der Streit zwischen den Beteiligten beschränkt sich im Wesentlichen auf die Frage, ob und inwieweit die von der Klägerin geschilderten Schmerzen im Hinblick auf die eher geringgradig objektivierten Funktionseinschränkungen bei der Bewertung der MdE "zusätzlich" zu berücksichtigen sind.

Der Senat teilt die Auffassung von Dr. H., dass die objektiv von ihm in seinem Gutachten vom Juni 2008 beschriebenen Bewegungsmaße nur eine MdE um 10 v. H. rechtfertigen. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit in der unfallmedizinischen Literatur erfolgten Bewertungen für ähnliche Funktionseinschränkungen. Grundsätzlich zu Recht hat das SG darauf hingewiesen, dass eine MdE um 20 v. H. etwa nur dann gerechtfertigt ist, wenn das obere Sprunggelenk im Winkel von 90° bis 110° zum Unterschenkel versteift ist (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 746). Auch der Hinweis der Beklagten, in der Rentenliteratur werde eine MdE um 20 v. H. erst angenommen, wenn das obere und untere Sprunggelenk völlig versteift seien, ist zutreffend (Mehrhoff, Meindl, Murr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl., S. 170). Im Vergleich dazu sieht der Senat angesichts der von Dr. H. nur noch als diskret beschriebenen Bewegungseinschränkung auch unter Berücksichtigung der angegebenen Schmerzen (Weiteres hierzu unten) ab 2. Dezember 2007 keine Rechtfertigung mehr, von einer MdE um 20 v. H. auszugehen. Etwas Anderes gilt jedoch für die Zeit davor. Denn ein ausschließlicher Vergleich der bei der Klägerin gegebenen Bewegungseinschränkungen mit einer Versteifung wird ihrem Beschwerdebild nicht gerecht. Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Gelenke können schwerwiegender als eine Versteifung sein (so die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Ausgabe 2008, S. 111). In der unfallmedizinischen Literatur wird zwar ausgeführt, der Grad der MdE beim Morbus Sudeck sei nach den üblichen Kriterien, insbesondere der Stärke der Funktionsstörung, einzuschätzen. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass die entscheidende Funktion des Beines im schmerzfreien Gang gesehen wird: Bein- und Fußgelenke müssen in Funktionsstellung schmerzfrei belastbar sein (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 474 u. 745). Eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung ist im Behandlungsverlauf der Klägerin hinreichend dokumentiert; die behandelnden Ärzte und die Sachverständigen haben diesbezüglich schon früh die Diagnose eines Morbus Sudeck gestellt bzw. gehen zwischenzeitlich zumindest von Restbeschwerden nach einem solchen aus. Auch aus der von der Klägerin angegebenen Medikation und der noch zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. H. durchgeführten Lymphdrainage und Krankengymnastik ergibt sich klar ein ausgeprägtes Beschwerdebild.

Allerdings lässt sich im zeitlichen Ablauf doch eine deutliche Tendenz zur Besserung der funktionellen Einschränkungen erkennen. Dies ergibt sich aus der nachfolgenden tabellarischen Aufstellung der von dem Gutachter und den Sachverständigen beschriebenen Bewegungsmaße:

Dr. H. Juli 2006 Dr. H. Mai 2007 Dr. A. August 2007 Dr. H. Juni 2008 OSG rechts 0/0/30 0/0/20 0/0/20 5/0/30 links 20/0/30 15/0/40 25/0/45 15/0/35 USG rechts aufgehoben 2/5 4/5 nicht eingeschränkt Zehen 1/2 3/5 4/5 nicht eingeschränkt

Trotz nicht näher nachvollziehbarer Unterschiede in der Beschreibung der Bewegungsmaße des (gesunden) linken oberen Sprunggelenks und dem von Dr. H. beschriebenen Bewegungsmaß des rechten oberen Sprunggelenks, das der Senat als "Ausreißer" sieht, geht daraus deutlich hervor, dass sich die Situation am rechten Sprunggelenk und Fuß im Laufe der Zeit verbessert hat. Von einer dynamischen Entwicklung geht auch Dr. A. aus, der - wenn auch hinsichtlich der Höhe nicht überzeugend - bei der Bewertung der MdE, wie der Senat, eine zeitliche Abstufung vornahm.

Da Dr. H. bereits für die von ihm beschriebenen, im Vergleich zu den zuvor erhobenen, besseren Bewegungsmaße eine MdE um 10 v. H. als gerechtfertigt ansah, sieht der Senat unter nochmaligem Hinweis auf den Umstand, dass schmerzhafte Bewegungseinschränkungen nicht eins zu eins mit einer Versteifung verglichen werden können, eine Rechtfertigung für eine höhere MdE in der Zeit davor.

Dafür spricht zudem, dass, worauf auch die Beklagte hinweist, außergewöhnliche Schmerzen bei der Bestimmung der MdE zusätzlich zu berücksichtigen sind bzw. der entscheidende Vergleichsmaßstab der schmerzfreie Gang ist (s.o.: Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 745). Für das Vorliegen außergewöhnlicher Schmerzen spricht die bereits von Dr. H. im Befundbericht vom 28. Juli 2005 eigenständig gestellte Diagnose eines posttraumatischen Morbus Sudeck. Auch Prof. Dr. W. erachtete im Untersuchungsbericht vom 7. Februar 2006 die von der Klägerin geäußerten Restbeschwerden als glaubhaft. Soweit er im Befund- und Entlassbericht vom 18. Mai 2006 - nachdem die am 13. Februar 2006 aufgenommene Arbeit wieder abgebrochen werden musste - annahm, eine weitere Therapie und Diagnostik sei entbehrlich, wurde dies durch den weiteren Krankheitsverlauf, insbesondere durch die nach wie vor erfolgte Krankengymnastik und Lymphdrainage sowie die für notwendig erachtete neurologische Abklärung widerlegt. Insoweit misst der Senat der von Prof. Dr. W. geäußerten Ansicht, eine MdE verbleibe nicht, keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Die von Dr. H. gestellte Diagnose eines Morbus Sudeck wurde von Dr. O. in ihrem neurologischen Befundbericht vom 7. Juli 2006 ausdrücklich bestätigt. Überraschend erscheint, dass Dr. H. im Ersten Rentengutachten zu dem Ergebnis kam, dass die Erwerbsfähigkeit um 10 v. H. gemindert sei, da er noch in der Mitteilung vom 10. Februar 2006 von einer verbleibenden MdE um 20 v. H. ausging. Dabei ist nicht ersichtlich, dass sich etwa durch die stationäre Behandlung im April/Mai 2006 zwischen seinen beiden Äußerungen eine erhebliche Besserung im Gesundheitszustand ergeben hatte.

PD Dr. H. wertete in seinem Gutachten vom Mai 2007 die Schmerzerkrankung als "Residuen bei einem stattgehabten Morbus Sudeck". Die Haut auf der rechten Seite beschrieb er als leicht überwärmt gegenüber links und etwas schwitzig. Eine von ihm am rechten Unterschenkel und oberen Sprunggelenksbereich beschriebene leichte Hyperhydrosis konnte er ursächlich nicht sicher vom Tragen des Kompressionsstrumpfes abgrenzen. Im Übrigen hielt auch er die "starken Beschwerden" insbesondere im unteren Sprunggelenk für glaubhaft und reproduzierbar. Damit kann aber seine nachfolgende Einordnung als Morbus Sudeck leichten Ausprägungsgrades nicht in Einklang gebracht werden. Der Senat hält diese Einschätzung, auf die sich das SG ausdrücklich bezog, nicht für überzeugend. Zu bemängeln ist hinsichtlich des Gutachtens von PD Dr. H. zudem, dass sich darin kaum anamnestische Angaben der Klägerin zu ihren Beschwerden, zur Bewältigung ihrer Arbeit, ihres Haushalts und zur Freizeitgestaltung finden. Seine Bewertung ist daher kaum nachvollziehbar.

Dr. A. hat in seinem Gutachten die Klagen/Beschwerden der Klägerin wiedergegeben. Allerdings in einer gegenüber dem Gutachten von Dr. H. kürzeren Fassung. Im Übrigen entnimmt der Senat dem Gutachten von PD Dr. H., dass er vom Fortbestehen eines Morbus Sudeck ausgeht. Dies steht in Übereinstimmung mit dem Umstand, dass noch im November/Dezember 2007 Arbeitsunfähigkeit wegen Schmerzen im rechten Fuß eintrat.

Hingegen zeigten sich Dr. H. bei der Begutachtung am 4. Juni 2008 keine objektiven Anzeichen einer fortbestehenden Sudeckerkrankung mehr. So erwiesen sich Hautfarbe und Hauttemperatur an den Gliedmaßen als normal. Die gleichwohl von der Klägerin auch ihm gegenüber beschriebenen Beschwerden konnte er nicht objektivieren, hielt sie jedoch auch nicht für unwahrscheinlich.

Soweit Dr. H. wegen dieser Beschwerden die nach den Bewegungsmaßen nur gerechtfertigte MdE um 10 v. H. auf 20 v. H. erhöhte, kann der Senat dem zwar für die Zeit bis zum 2. Dezember 2007 folgen, jedoch nicht mehr für den Zustand, der sich Dr. H. zum Zeitpunkt seiner Begutachtung zeigte. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass dem entgegensteht, dass sich die Fußsohlenbeschwielung annähernd seitengleich erwies und im Bereich beider unteren Gliedmaßen keine deutliche einseitige Muskelverminderung erkennbar war. Überzeugend wendet die Beklagte ein, dass der Annahme dauerhafter außergewöhnlicher Schmerzen auch entgegensteht, dass die Klägerin zusätzlich zu ihrer Erwerbstätigkeit einen Vier-Personen-Haushalt in einem 220 Quadratmeter großen Reihenhaus auf zwei Etagen im Wesentlichen ohne fremde Hilfe versorgt. Gutachtlich konnten von Dr. H. keine Befunde erhoben werden, die auf eine schmerzbedingte wesentliche Schonung hinweisen.

Der Senat verkennt nicht, dass die Klägerin auch zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. H. Lymphdrainage und Krankengymnastik in erheblichem Umfang in Anspruch nahm. Allerdings äußerte Dr. H. hierzu, dass eine endlose Fortsetzung dieser Therapie keinen Sinn macht, mithin medizinisch nicht - mehr - indiziert ist.

Vor diesem Hintergrund sieht der Senat eine MdE um 20 v. H. bis zum Ende der im November 2007 neu eingetretenen und am 2. Dezember 2007 beendeten Arbeitsunfähigkeit für gerechtfertigt an. Dafür spricht, dass nachfolgend nicht mehr von einer objektivierbaren Sudeck-Erkrankung ausgegangen werden kann. Auch der Senat hat keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der noch immer von der Klägerin geschilderten (Rest-)Beschwerden. Die dauerhafte Feststellung einer MdE um 20 v. H., auch über den 2. Dezember 2007 hinaus, hält er gleichwohl nicht für gerechtfertigt, da die deutlich besser gewordenen Bewegungsmaße zu berücksichtigen sind. Im unteren Sprunggelenk und in der Zehenbeweglichkeit zeigten sich Dr. H. gar keine Einschränkungen mehr, die verbliebene Einschränkung im oberen Sprunggelenk bezeichnete Dr. H. nicht einmal mehr als "leicht", sondern nur noch als "diskret". Die von der Klägerin nach wie vor geschilderten Beschwerden sind, selbst wenn sie als außergewöhnlich erachtet würden, daher bei einer Bewertung mit einer MdE um 10 v. H. ausreichend berücksichtigt.

Der Senat folgt hinsichtlich der Bewertung der MdE nicht der Einschätzung von Dr. A ... Seinem Gutachten ist entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeangaben der Klägerin nicht durch eine Überprüfung, welchen alltäglichen Anforderungen sie noch gerecht werden kann, kritisch hinterfragt wurden. Zudem haben sich seit seiner Begutachtung die Bewegungsmaße der Klägerin im rechten Fuß verbessert. Der von ihm in der ergänzenden Stellungnahme vom 23. April 2008 dargelegte Zusammenhang der Bewegungseinschränkung mit Verkürzungen der Weichteile, der Muskulatur und der Sehnen infolge einer lang anhaltenden Weichteilschwellung kann nicht nachvollzogen werden. Jedenfalls kommt diesem Gesichtspunkt angesichts der von Dr. H. als nunmehr fast frei beschriebenen Beweglichkeit keine entscheidende Bedeutung zu.

Der Berufung war mithin in dem im Tenor beschriebenen Umfang stattzugeben. Im Übrigen war sie zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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