L 8 B 38/06 SO ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 14 SO 106/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 8 B 38/06 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eingliederungshilfeleistungen-Suchterkrankung
Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen eine einstweilige Anordnung zur Weiterbewilligung von Eingliederungshilfeleistungen nach dem Sozialgesetz Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) an die Antragstellerin.

Die am 1967 geborene Antragstellerin bezog im November 2005 nach der Trennung von ihrem Ehemann gemeinsam mit ihrer im Jahr 1993 geborenen Tochter eine Wohnung in H ... Seither bezieht sie von der Arbeitsgemeinschaft zur Grundsicherung für Arbeitsuchende im Landkreis Halberstadt (ARGE) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).

Am 21. März 2006 stellte sie beim Landkreis Halberstadt einen Antrag auf sonstige Leistungen der Sozialhilfe (Fünftes bis Neuntes Kapitel SGB XII). Zur Begründung des Antrags gab sie an, seit dem 6. März 2006 die Tagesstätte für Suchtkranke zu besuchen. Nach einer Entgiftung im Krankenhaus H. habe sie Kontakt zur dortigen Suchtberatung aufgenommen. Durch den Umzug nach H. und die Trennung von ihrem Ehemann habe sie keine feste Tagesstruktur mehr und befinde sich in einer psychischen Belastungssituation. Haltsuchend benötige sie die Einbindung in suchttherapeutische Angebote. Außerdem besuche sie die Frauengruppe des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB). In einer Erklärung gab sie an, ihr Ziel sei es, dauerhaft abstinent zu leben. Mit der Veränderung ihres Lebensumfeldes wolle sie einen abstinenten Neubeginn mit Hilfe der Tagesstätte und neuer sozialer Kontakte schaffen. Seit ihrer stationären Entgiftung in der Zeit vom 26. Oktober bis 5. November 2005 lebe sie abstinent. Sie habe beim Rentenversicherungsträger noch keinen Antrag auf eine stationäre Rehabilitationsbehandlung gestellt, weil sie sich erst eingewöhnen und neu orientieren müsse. Sie lebe mit ihrer psychisch ebenfalls instabilen Tochter zusammen, die sie nicht allein lassen könne. Sie habe derzeit den Kopf noch nicht frei für eine Therapie.

Das Sozialamt des damaligen Landkreises Halberstadt wertete den Antrag als einen solchen auf Eingliederungshilfe gemäß §§ 53, 54 SGB XII zur Betreuung in der teilstationären Einrichtung der ASB-Tagesstätte für seelisch behinderte Menschen infolge Sucht. Auf Anforderung des Sozialamtes erstellte Dipl.-Med. Wi. , Fachärztin für Psychiatrie des gemeinsamen Gesundheitsamtes der Landkreise Wernigerode, Halberstadt und Quedlinburg, unter Benennung der Diagnose F10.2 Alkoholabhängigkeitssyndrom, ein amtsärztliches Gutachten vom 17. Juli 2006 und führte darin aus: "Zustandsbeschreibung: Nach ca. 10jährigem kontinuierlichen Alkoholkonsum mit Toleranzentwicklung und vegetativen Entzugserscheinungen ist Frau W. nun seit Oktober 05 trocken. Eine stationäre Entgiftung 2003 blieb ohne anhaltenden Erfolg. Aktuell zog Frau W. in ein anderes soziales Umfeld, trennte sich vom Ehemann, den sie bzw. sein Verhalten als ausschlaggebend für ihren Alkoholkonsum angab. Die Akzeptanz suchtkrank zu sein, ist noch wenig ausgeprägt. Suchtverhalten, Rückfallbearbeitung, überhaupt das Thema Sucht als Krankheit sind Dinge, mit denen sich Frau W. noch unzureichend auseinandergesetzt hat." Als Nebendiagnose benannte die Amtsärztin ein depressives Syndrom. Es bestehe eine Alkohol-Suchterkrankung (seit mindestens 10 Jahren). Eine Hospitalisierungssymptomatik bestehe im Hinblick auf die Grunderkrankung nicht, ebenso keine Suizidgefahr. Die Antragstellerin sei aufgrund einer Suchtkrankheit seelisch wesentlich behindert. Zur psychosozialen Kompetenz führte die Amtsärztin aus, die kognitiven Funktionen seien nicht bis gering eingeschränkt. Die psychischen Grundleistungsfunktionen seien in Bezug auf Belastbarkeit und Selbstvertrauen gering bis erheblich eingeschränkt, Antrieb und Ausdauer seien gering eingeschränkt. Bei den sozialen Grundleistungsfunktionen seien Kontaktfähigkeit, Selbständigkeit, Bindungsfähigkeit und lebenspraktische Kompetenz gering eingeschränkt, lediglich die Konfliktlösungsfähigkeit sei gering bis erheblich eingeschränkt. Zu den notwendigen Fördermaßnahmen und Trainingsangebote führte sie zum Punkt Lebenspraktisches Training zur Alltagsbewältigung aus: "Frau W. lebt in neuem sozialem Umfeld, benötigt im Umgang mit Zeit, Wahrnehmung persönlicher Interessen, Lebensplanung und Teilnahme an Aktivitäten der Unterstützung. Frau W. beschreibe, vorwiegend " aus Frust und Langeweile" getrunken zu haben und mache dafür die Ehe verantwortlich. Nach Trennung ... muss sie lernen, ihren Tag zu strukturieren, sich zu belasten und eine neue Lebensplanung vorzunehmen." Zur Unterstützung und Begleitung bei der Aufnahme sozialer Beziehungen führte sie aus, die Antragstellerin habe wenig Kontakt zur Familie. Während der Ehe seien soziale Kontakte vom Ehemann unterbunden worden, so dass sie sich nun neue Kontakte aufbauen müsse. Dabei benötige sie Unterstützung. Im Kommunikations- und Sozialtraining sollten selbstvertrauensfördernde Module zur Anwendung kommen. In Krisensituationen seien Bewältigungsstrategien gemeinsam zu erarbeiten und umzusetzen. Zur Eingliederung in den Arbeits- und Ausbildungsbereich führte sie aus, die Antragstellerin müsse beraten und begleitet werden, da sie mehrere Jahre nicht erwerbstätig gewesen sei. Die Amtsärztin schätzte ein, dass die Antragstellerin nicht erwerbsfähig sei und die Erwerbsunfähigkeit sich noch auf einen Zeitraum von sechs Monaten erstrecken werde, empfahl eine einjährige Eingliederungsmaßnahme bei der Tagesstätte für seelisch Behinderte und führte zur Begründung aus: "Nach jahrelanger, alkoholgeprägter sozialer Isolation benötigt Frau W. Hilfe zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Damit verbunden muss eine Akzeptanz und Auseinandersetzung zunächst mit dem Krankheitsbild "Sucht" erfolgen, nicht nur in einzelnen Beratungen, sondern im Kontakt mit anderen Betroffenen und Beratern. Anleitungen zur Tagesstruktur sind z. Z noch notwendig. Hierbei ist auch anzumerken, dass die depressive Verstimmung ebenfalls die eigenst. Wiedereingliederung behindert. Eine Therapie wurde angeraten. "

Mit Bescheid vom 24. Juli 2006 bewilligte der Landkreis Halberstadt im Namen des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe der Antragstellerin für den Zeitraum vom 6. März 2006 bis zum 31. August 2006 Eingliederungshilfe durch Kostenübernahme gemäß §§ 53, 54 SGB XII wegen des Leitsyndroms seelische Behinderung in der Einrichtung Tagesstätte für seelisch Behinderte infolge Sucht in H ... Es würden Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderte Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX gewährt. Der Landkreis Halberstadt informierte die Tagesstätte über das Kostenanerkenntnis und bat um Vorlage eines Entwicklungsberichts bis zum 15. August 2006, sofern eine Verlängerung der Hilfe notwendig werden sollte. Mit Schreiben vom 11. August 2006 regte der Landkreis Halberstadt bei der ARGE eine Überprüfung der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin an, denn diese werde im amtsärztlichen Gutachten für nicht erwerbsfähig gehalten.

Am 11. August 2006 fertigte die Sachbearbeiterin des Landkreises Halberstadt folgenden Vermerk über ein Gespräch mit einer Frau M. von der ASB-Tagesstätte: "Frau W. hatte seit der letzten Entgiftung im November 2005 keinen Rückfall mehr. Sie hat sich sehr gut in die Tagesstätte integriert und macht große Fortschritte. Als das Gutachten durch Frau Wi. erstellt wurde, hatte Frau W. große psychische Probleme, da der getrennt lebende Ehemann nicht mit der Trennung zurecht kam und mit Suizid drohte. Frau W. hatte während dieser Zeit Depressionen und weinte ständig. Sie wurde jedoch NICHT rückfällig. Frau Wi. hat aufgrund der Depression eine Psychotherapie angeraten. Da sich der Gesundheitszustand jedoch plötzlich gebessert hat, wurde zunächst davon abgesehen. Frau W. lebt seit der Trennung mit ihrer Tochter zusammen in H. , der Ehemann lebt in Hessen. Sie hatte seit einem dreiviertel Jahr keinen Rückfall mehr und sieht für eine Entwöhnungsbehandlung momentan keinen Bedarf. Da die Tochter (12 Jahre alt) durch die Trennung ebenfalls instabil ist, möchte Frau W. sie nicht für mehrere Wochen allein lassen. Die Tochter müsste dann während dieser Zeit zum Vater, was nach Aussage der Mutter für sie nicht förderlich wäre. Frau W. hätte dann Probleme, sich bei einer Reha auf ihre eigenen Bedürfnisse zu konzentrieren, weil sie sich um ihre Tochter kümmern möchte und sich dazu auch gut in der Lage fühlt. Im Einzelfall wird aufgrund der guten Prognose auf eine Entwöhnung verzichtet. Frau W. hat vor sechs Wochen auf Anraten von Frau Wi. einen Antrag auf EU-Rente gestellt. Außerdem besucht sie die Frauenselbsthilfegruppe des ASB."

Mit Schreiben vom 11. August 2006 beteiligte der Landkreis Halberstadt den rehabilitationspädagogischen Fachdienst der Antragsgegnerin zur Beurteilung des Hilfebedarfs. im Schreiben vom 16. August 2006 führte die Gutachterin Dipl.-Med. S. der Antragsgegnerin aus: Nach Aktenlage könne aus Sicht des Fachdienstes die vorgeschlagene Eingliederungshilfe nicht befürwortet werden. Unter Beachtung des Nachranges der Sozialhilfe solle sich die Antragstellerin in eine psychotherapeutische Behandlung begeben, um dort die Voraussetzungen für eine mit Erfolg geprägte Eingliederungshilfe zu erlangen.

Mit Schreiben vom 28. August 2006 führte P. We. vom ASB H. zum Tagesstättenbesuch der Antragstellerin aus, das Sozialamt sei bereits umfangreich informiert worden. Durch den Besuch der Tagesstätte stabilisiere sich der Zustand der Antragstellerin, jedoch bestehe nach fachlicher Erkenntnis die hohe Wahrscheinlichkeit, dass ohne die Eingliederungshilfe eine Verschlechterung der Situation und damit eine Verschlimmerung der seelischen Behinderung zu erwarten sei. Im häuslichen Umfeld seien derzeit die Probleme verschärft, da der getrennt lebende Ehemann einen zweiten Suizidversuch unternommen habe. Infolge dessen lebe nunmehr auch der Sohn, der bislang beim Vater gewohnt habe, bei der Antragstellerin. Die Antragstellerin benötige umfangreiche Begleitung. Sie beginne am 1. September 2006 eine psychotherapeutische Behandlung. Mit beiden Maßnahmen könnten die Folgen der seelischen Behinderungen infolge Sucht gemildert und der Antragstellerin die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden.

Mit Schreiben vom 30. August 2006 beantragte die Antragstellerin beim Landkreis Halberstadt die Weiterbewilligung der Kosten für den Besuch der Tagesstätte ab 1. September 2006 und führte aus, sie fühle sich noch nicht arbeitsfähig. Sie kümmere sich jetzt um beide Kinder und benötige die Unterstützung durch die Tagesstätte dringend. Ohne diese Hilfe könne sie noch nicht abstinent leben.

Mit Bescheid vom 30. August 2006 lehnte der Landkreis Halberstadt im Namen des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe den Antrag auf Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff. SGB XII ab dem 1. September 2006 (Weiterbewilligung) ab. Er führte zur Begründung aus: Die Antragstellerin gehöre zwar zum Kreis der seelisch Behinderten infolge Sucht; die Fortführung der Eingliederungsmaßnahme habe jedoch keine hinreichende Erfolgsaussichten, da die Antragstellerin bislang keine Entwöhnungsbehandlung durchgeführt habe. Zudem sei davon auszugehen, dass die am 1. September 2006 beginnende psychotherapeutische Behandlung eher dem derzeitigen Bedarf der Antragstellerin entspreche als die beantragte Eingliederungsmaßnahme.

Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Antragstellerin am 6. September 2006 Widerspruch ein und führte u.a. aus: Zwischen den Terminen beim Psychotherapeuten lägen jeweils mehrere Tage, an denen sie keine Hilfe bei der Bewältigung ihres Suchtproblems habe. Sie benötige die tägliche Hilfe in der Tagesstätte. Wegen ihrer schulpflichtigen Kinder könne sie sich nicht für drei Monate in eine stationäre Behandlung begeben. Mit einem weiteren Schreiben vom 4. September 2006 beantragte die Klägerin die Bewilligung eines betreuten Wohnens. Diese Hilfe gewährleiste nicht denselben Umfang der Unterstützung wie die Tagesstätte für Suchtkranke, biete jedoch soviel Hilfe, dass sie nicht ganz ohne Orientierung sei.

Soweit aus den Verwaltungsvorgängen ersichtlich wurde bislang weder über den Widerspruch noch über den weiteren Antrag der Antragstellerin entschieden.

Am 27. September 2006 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Magdeburg (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Antragsgegnerin beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Die am 1. September 2006 begonnene Psychotherapie decke ihren Hilfebedarf nicht ab. Die bislang erlebte Betreuung in der Tagesstätte ermögliche ihr eine kontinuierliche Suchtaufarbeitung und die damit verbundene Stabilisierung sowie Hilfe bei der Bewältigung der alltäglichen Probleme. Zugleich ermögliche sie ihr, am Nachmittag ihre beiden in ihrem Haushalt lebenden Kinder zu betreuen. Ihr müsse schon vor Entscheidung über ihren Widerspruch ermöglicht werden, weiterhin die Tagesstätte zu besuchen, da ansonsten mit einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes und dem Rückfall in alte Suchtmuster zu rechnen sei.

Mit Beschluss vom 12. Oktober 2006 hat das SG die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin über den 31. August 2006 hinaus bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Betreuung in der Tagesstätte des ASB H. zu gewähren. Die Antragstellerin benötige aufgrund ihrer seelischen Behinderungen Maßnahmen der Eingliederungshilfe in Form der Betreuung in einer Tagesstätte für seelisch Behinderte. Nach den bisherigen amtsärztlichen Feststellungen sei die Weitergewährung der Leistungen indiziert.

Gegen den ihr am 17. Oktober 2006 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 10. November 2006 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung der Beschwerde hat sie vorgetragen, für die erwerbsfähige Antragstellerin seien über das SGB II Leistungen nach SGB III in Verbindung mit SGB IX vorrangig gegenüber Eingliederungshilfeleistungen nach SGB XII. Insbesondere § 33 Abs. 6 SGB III sehe im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch psychologische und pädagogische Hilfen sowie solche zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz (§ 33 Abs. 6 Nr. 5 SGB IX) vor. Nur wenn der Hilfebedarf der Antragstellerin nicht durch die genannten vorrangigen Leistungen gedeckt werden könne, bleibe Raum für andere ergänzende Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII. Eine vorrangige Verpflichtung zur Leistung habe die Antragsgegnerin nicht. Zur Gewährung der geeigneten Hilfe sei eine qualifizierte Bedarfssituation maßgeblich, die hier nicht ersichtlich sei. Es ergebe sich nicht aus den ärztlichen Einschätzungen, dass hier die nach § 16 Abs. 2 SGB II in Betracht kommenden Leistungen der Teilhabe und Eingliederung ins Arbeitsleben und der Besuch der Frauengruppe des ASB nicht ausreichten, um den Hilfebedarf der Antragstellerin bei der Strukturierung des Alltags, sozialen Kontakten sowie zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft wegen sozialer Isolation zu decken.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. Oktober 2006 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie führt aus, sie benötige die umfassende Hilfe der Tagesstätte.

Auf Nachfrage des Senats hat die Antragstellerin eine am 6. Dezember 2006 vom ASB – Soziale Beratungsstelle – ausgestellte Bescheinigung vorgelegt, nach der die Antragstellerin seit November 2005 regelmäßig die suchtspezifische Frauengruppe des ASB in H. besuche. Es handele sich um eine professionell geleitete Gruppe, die sich einmal monatlich treffe. Weiterhin nehme die Antragstellerin bei entsprechendem Hilfebedarf Termine in der Suchtberatungsstelle wahr. Aus der vorgelegten Anwesenheitsliste der Tagesstätte des ASB H. für Dezember 2006 und Januar 2007 ergibt sich, dass sich die Antragstellerin täglich in der Tagesstätte aufgehalten hat. Weiterhin hat die Antragstellerin erklärt, sie nehme stets die einmal wöchentlich stattfindende Psychotherapie wahr. Schließlich hat die Antragstellerin das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Agentur für Arbeit vom 7. Dezember 2006 vorgelegt: Der Gutachter DM G. benennt als vermittlungs- und beratungsrelevante Gesundheitsstörungen: Alkoholabhängigkeit (gegenwärtig abstinent) und ständig wiederkehrende depressive Episoden mit ausgeprägter Angstsymptomatik. Zum Leistungsbild wird ausgeführt, die Antragstellerin könne täglich weniger als drei Stunden mittelschwere Arbeit verrichten. Dies gelte ausschließlich für Tätigkeiten unter geschützten Bedingungen, gegebenenfalls unter erforderlicher Anleitung und Aufsicht, jedoch nicht für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Antragstellerin sei voraussichtlich über sechs Monate vermindert oder nicht leistungsfähig. Zur sozialmedizinischen Beurteilung wird ausgeführt: "Bei Frau W. handelt es sich um ein seelisches Leiden vom Grad einer Behinderung, welches zurzeit noch einer Therapie bedarf. Ursächlich handelt es sich um die Folgen einer Alkoholkrankheit bei jetzt allerdings bestehender Abstinenz. Im Rahmen der bisherigen Therapie im Sinne von Begleitbetreuung, Anleitung und Beratung sei es zu einer deutlichen Besserung des Gesundheitszustandes und damit auch zu einem Leistungszuwachs gekommen, allerdings wird der psychische Zustand noch nicht als so stabil angesehen, dass ein erfolgreiches Bestehen ohne die bisherigen schützenden Maßnahmen für möglich gehalten wird. Der bisherige Teilerfolg würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufs Spiel gesetzt. Ausschließlich bei Fortführen der bisherigen Maßnahmen könne mit günstiger Prognose gerechnet werden. Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation stehen im Vordergrund."

Zu den vorgelegten Unterlagen hat die Antragsgegnerin ausgeführt, dass nicht angezweifelt werde, dass die Antragstellerin einen Hilfebedarf habe. Es sei allerdings nicht festzustellen, dass dieser Hilfebedarf vorrangig durch den Träger der Sozialhilfe durch die Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für den Besuch der Tagesstätte nach dem SGB XII zu decken sei, ohne dass der vorrangig zuständige Leistungsträger entsprechend der Möglichkeiten des SGB II eine Leistungsgewährung geprüft habe. Der Gutachter der Agentur für Arbeit empfehle zur Behandlung der seelischen Leiden der Antragstellerin die im Vordergrund stehenden Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation. Zur Stabilisierung des psychischen Zustands seien jedoch weiterhin Begleitbetreuung, Anleitung und Beratung nötig. Die benötigten Hilfen bestünden in den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie in den Leistungen der Agentur für Arbeit gemäß den §§ 6, 6a in Verbindung mit § 33 Abs. 6 SGB IX sowie § 16 SGB II in Form von medizinischen, psychologischen und pädagogischen Hilfe. Sollte darüber hinaus eine qualifizierte Bedarfssituation vorliegen, die die Gewährung von Eingliederungshilfe erfordere, könnten die vorgenannten Leistungen durch Eingliederungshilfeleistungen nach dem SGB XII ergänzt werden. In welcher Art und in welchem Maß Leistungen zu gewähren seien, liege jedoch in der Entscheidungskompetenz des Sozialhilfeträgers (§ 17 SGB XII). Hierbei sei auch die aktuelle Einschätzung des Amtsarztes vom 9. Januar 2007 zu berücksichtigen.

Der Amtsarzt Dr. med. E. gelangte in seinem "amtsärztlichen Zeugnis" zu dem Ergebnis, die Antragstellerin sei körperlich in der Lage, mindestens drei Stunden täglich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig zu sein. Aus psychiatrischer Sicht bestehe Arbeitsfähigkeit für mindestens drei Stunden am Tag. Unabhängig davon seien die Psychotherapie und die suchtspezifischen Maßnahmen fortzusetzen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Beschwerdeakte, die Verfahrensakte des Sozialgerichts sowie die Verwaltungsvorgänge des Landkreises Halberstadt verwiesen. Diese waren Grundlage der Entscheidungsfindung.

II.

Die nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach Maßgabe des § 173 SGG frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht Magdeburg mit dem angegriffenen Beschluss vom 12. Oktober 2006 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig – bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens – Sozialhilfe in Form der Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die teilstationäre Betreuung in der ASB Tagesstätte H. zu gewähren.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO den Anspruch auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) sowie die Dringlichkeit der Entscheidung des Gerichts (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen. Bei der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist von den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auszugehen. Eine einstweilige Anordnung, mit der Leistungen nach dem SGB XII gewährt werden, ist regelmäßig nur dann notwendig, wenn eine gegenwärtige akute Notlage zu beseitigen ist.

Hinsichtlich der geltend gemachten Kosten der teilstationären Unterbringung der Antragstellerin in der Tagesstätte des ASB in H. besteht ein Anordnungsanspruch; sie hat glaubhaft gemacht, dass sie gegen die Antragsgegnerin einen entsprechenden Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen gemäß §§ 53, 54 SGB XII hat.

Nach § 53 SGB XII erhält derjenige Leistungen der Eingliederungshilfe, der wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Beeinträchtigung bedroht ist, wenn und solange den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgaben der Eingliederungshilfe erfüllt werden können. Dass die Antragstellerin zu dem Personenkreis des § 53 SGB XII zählt, ist zwischen den Beteiligten unstreitig und steht zur Überzeugung des Senats fest. Die Antragstellerin gehört zur Personengruppe der seelisch behinderten Menschen im Sinne von § 3 Nr. 3 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung vom 1. 12. 1975, Bundesgesetzblatt I S. 433, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 27. 12. 2003, Bundesgesetzblatt I S. 3022). Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es nach § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Dazu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, sowie auch, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen (§ 53 Abs. 3 Satz 2 SGB XII).

Von den Leistungen nach § 53 SGB XII sind diejenigen zur Eingliederung in Arbeit nach den §§ 14 ff. SGB II abzugrenzen. Zentrale Zielrichtung dieser Leistungen ist – trotz der normierten Pflicht zur umfassenden Unterstützung des jeweiligen Hilfebedürftigen in § 14 Satz 1 SGB II – die Teilhabe am Arbeitsleben. Die über § 16 SGB II anwendbaren Regelungen des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) richten die Leistungserbringung final auf die Ziele der Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben aus (vgl. Oppermann in Spellbrink/Eicher: Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts 2003 § 5 RN. 52). Maßnahmen müssen erforderlich sein zur Erhaltung oder Erlangung des Arbeitsplatzes, d. h. zur Teilhabe am Arbeitsleben (vgl. § 97 SGB III). Auch mögliche psychologische und pädagogische Leistungen werden gewährt, um das vorgegebene Ziel der positiven Entwicklung der Teilhabe am Arbeitsleben zu erreichen. Der Förderrahmen beschränkt sich in der Regel auf die durch die angestrebte Berufsausübung ausgelösten Bedarfslagen (vgl. BSG, Urteil vom 26.10.2004, Az. B 7 AL 16/04 R, FEVS 56, 385). Maßnahmen, die ohne unmittelbaren Bezug zur Berufsausübung zum Bestandteil der persönlichen Lebensführung gehören, die eine Verbesserung der Lebensqualität bewirken sowie elementare Grundbedürfnisse befriedigen und sich so nur mittelbar auf eine Arbeitsaufnahme auswirken, sind grundsätzlich nicht durch Leistungen der Förderungen der Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne der Vorschriften des SGB III und der §§ 14 ff. SGB II förderungsfähig, sondern gegebenenfalls im Wege der Förderung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gemäß § 55 SGB IX und der Eingliederungshilfe (§§ 53, 54 SGB XII). Entscheidend ist, welchem Lebensbereich die begehrte Leistung schwerpunktmäßig zuzuordnen ist (vgl. BSG, a.a.O.; BSG, Urteil vom 9. 11. 1983, Az. 7 RAr 48/82, SozR 4100 § 56 RN 14, zitiert nach juris, RN 33).

Im vorliegenden Fall lässt sich aus den fachlichen Unterlagen nicht eindeutig beurteilen, wo konkret der maßgebliche Hilfebedarf der Antragstellerin schwerpunktmäßig verankert ist. Es überlagern sich mehrere Konfliktfelder, die offensichtlich diagnostisch nicht hinreichend geklärt bzw. voneinander abgegrenzt sind. Zu der langjährigen Alkoholabhängigkeit treten weitere psychische Probleme, die teilweise möglicherweise medizinisch durch Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung – hier in Form der Psychotherapie – zu lösen sind. Hinzu kommt die Sonderkonstellation, dass aufgrund der familiären Situation der Antragstellerin, die für zwei minderjährige schulpflichtige Kinder verantwortlich ist, eine stationäre Alkoholentwöhnungsbehandlung zu Lasten des Rentenversicherungsträgers als Rehabilitationsträger derzeit unzumutbar ist.

Ungeachtet der aufgelisteten Abgrenzungsschwierigkeiten und des Fehlens eines aussagekräftigen Entwicklungsberichts der Tagesstätte sowie einer strukturierten Hilfeplanung hat die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Weitergewährung der bislang gewährten Eingliederungshilfeleistungen. Denn trotz der unzureichenden Beurteilungsgrundlagen steht im vorliegenden Fall fest, dass die Antragstellerin einer intensiveren Betreuung – auch zur Strukturierung ihres Tagesablaufs – bedarf. Dieser Betreuungsbedarf besteht unabhängig von einer Eingliederung in Arbeit; er bezieht sich insbesondere auf die persönliche Lebensführung, die Kommunikation mit der Außenwelt und die Bearbeitung der Suchtproblematik. Damit liegt der Schwerpunkt des Hilfebedarfs bei der Eingliederung in die Gesellschaft i.S.v. § 53 SGB XII. Offensichtlich ist im vorliegenden Fall zudem, dass die einmal wöchentlich stattfindende Psychotherapiesitzung sowie die Teilnahme bei der einmal monatlich stattfindenden suchtspezifischen Frauengruppe des ASB H. (1,5 Stunden) nicht ausreichen, den Hilfebedarf der Antragstellerin bei der Tagesstrukturierung zu decken.

Insoweit sind generell Tagesstätten in der Form der teilstationären Einrichtungen als ein Zwischenglied zwischen ambulanter und stationärer Hilfeform geeignet. Sie bieten bei üblicherweise werktäglich ganztätigen Öffnungszeiten im Tagesverlauf die insbesondere von Suchtpatienten oftmals benötigte verlässliche Anlaufstelle. Zum Angebot gehört zudem eine Tagesstrukturierung, ggf. einschließlich einer Basisversorgung sowie üblicherweise Förderung, Beratung und Begleitung zu einer selbstbestimmten Lebensführung. Es erfolgt ein Eingehen auf die bei seelischer Behinderung infolge Sucht typischen Defizite, wie Kontaktschwierigkeiten, Ängste, soziale Isolation, Antriebsarmut sowie Problemen bei der sinnvollen Alltagsgestaltung durch Beschäftigungsangebote und Einzelmaßnahmen.

Zwar sind die Einwände des Reha-Pädagogischen Fachdienstes der Antragsgegnerin im Schreiben vom 16. August 2006 nicht von der Hand zu weisen. Insbesondere sieht der Senat die Problematik der unzureichenden Aufklärung der sozialen Situation und der Diagnostik der Antragstellerin. Er teilt aber nicht die Schlussfolgerung der Gutachterin, die Durchführung einer psychotherapeutischen Behandlung sei geeignet und ausreichend und zudem Voraussetzung für eine erfolgversprechende Eingliederungshilfemaßnahme.

Im vorliegenden Fall ist offensichtlich, dass allein die einmal wöchentlich stattfindende Psychotherapie nicht geeignet ist, den Hilfebedarf der Antragstellerin abzudecken. Zudem greift hier der allgemeine Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe nach § 2 SGB XII nicht. Nach § 2 Abs. 1 SGB XII erhält Sozialhilfe – insoweit sind alle Leistungen nach dem SGB XII gemeint – nicht, wer die erforderliche Leistungen von anderen, insbesondere Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Leistungen nach dem SGB XII scheiden auch dann aus, wenn am Hilfesuchenden realisierbare Ansprüche oder Rechte als bereite Mittel zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen (vgl. Wahrendorf, a.a.O., § 2 RN 11). Nur wenn die nach § 16 SGB II – ggf. i.V.m. § 33 SGB IX – in Betracht kommenden Leistungen den Bedarf der Antragstellerin vollständig decken können und für diese erreichbar sind, schließen sie Leistungen nach dem SGB XII (vollständig) aus. Hier stellen jedoch denkbare Leistungen nach § 16 SGB II keine für die Antragstellerin bereiten Mittel dar; denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die ARGE Halberstadt der Antragstellerin Leistungen der psychosozialen Betreuung nach § 16 SGB II geprüft oder angeboten hätte. Zudem ist die Antragsgegnerin ist gemäß § 14 Abs. 2 SGB IX als zuständigen Rehabilitationsträger zur Erbringung (aller notwendigen) Rehabilitationsleistungen zuständig.

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellt der Rehabilitationsträger, bei dem zuerst Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die begehrte Leistung zuständig ist. Stellt dieser (erst angegangene) Leistungsträger bei der Prüfung seine Unzuständigkeit fest, hat er gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Leistungsträger zuzuleiten. Unterlässt er diese Weiterleitung, hat er selbst den Rehabilitationsbedarf unverzüglich selbst festzustellen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX); er ist dann für die Leistungsgewährung zuständig geworden (vgl. SGB Schleswig, a.a.O.; in Anschluss an BSG, Urteil vom 26.10.2004, Az. B 7 AL 16/04 R, SozR 4 – 3250, § 14 Nr. 1, zitiert nach juris; ebenso LSG Hamburg, Beschluss vom 11.7.2005, Az. L 4 B 125/05 ER SO, RdLH 2005, S. 177, zitiert nach juris; ebenso: BSG, Urteil vom 25.06.2008; Az.: B 11b AS 19/07, zitiert nach juris).

So verhält es sich im Falle der Antragstellerin. Maßgeblich sind insoweit ihre Anträge auf Eingliederungshilfeleistungen vom 21. März 2006 (Erstantrag) und 30. August 2006 (Antrag auf Weitergewährung) an das Sozialamt des damaligen Landeskreises Halberstadt – und nicht ihre Anträge auf Alg II-Leistungen bei der ARGE. Zwar sieht das SGB II konzeptionell vor, dass mit dem Erstantrag der Hilfebedarf umfassend gemäß § 14 Satz 1 SGB II geprüft wird, dies bedeutet indes nicht, dass alle über die Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehenden Leistungen antragsunabhängig erbracht werden. Vielmehr besteht – wie schon im Bereich der Leistungen nach dem SGB III (§ 323 Abs. 1 Satz 3 und 4 sowie Abs. 2 SGB III) – für besondere Leistungen (hier weitere Leistungen nach § 16 Abs. 2 SGB II) ein gesondertes Antragserfordernis, soweit sie nicht bereits von Amts wegen erbracht werden.

Nach Aktenlage hat die Antragsgegnerin, die sich insoweit das Tätigwerden des von ihr herangezogenen damaligen Landkreises Halberstadt als örtlichen Träger der Sozialhilfe zurechnen lassen muss, weder den Erstantrag noch den Folgeantrag der Antragstellerin vom 30. August 2006 innerhalb von zwei Wochen an einen anderen, ihrer Auffassung nach zuständigen, Rehabilitationsträger weitergeleitet. Der vormalige Landkreis Halberstadt, der als Sozialhilfeträger und zugleich Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX angegangen wurde, ist von seiner Zuständigkeit für eine Eingliederungsmaßnahme nach dem SGB XII ausgegangen.

Damit ist – ungeachtet der ursprünglichen sachlichen Zuständigkeit – die Antragsgegnerin als erstangegangener Träger nach § 14 Abs. 1 SGB IX im Außenverhältnis zur Antragstellerin im Hinblick auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation für behinderte Menschen vorgesehen sind, zuständig geworden (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2008, a.a.O., RN 15f.). Denn die Regelung des § 14 SGB IX ist lex spezialis zu der ebenfalls denkbaren Anwendung des § 43 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I), weil sie zu den Instrumenten der Koordination der Rehabilitationsleistungen und der Kooperation der Rehabilitationsträger des SGB IX gehört (vgl. BSG, Urteil vom 26. April 2004, a.a.O). Solange die Leistungspflicht eines anderen Rehabilitationsträger nicht (rechtskräftig) festgestellt ist, ändert sich die durch § 14 SGB IX begründete Zuständigkeit der Antragsgegnerin nicht. Die Antragsgegnerin hat den Hilfebedarf der Antragstellerin festzustellen und die geeignete Hilfe in eigener Zuständigkeit zu gewähren. Solange der konkrete Hilfebedarf der Antragstellerin nicht abschließend geklärt ist, hat sie jedenfalls gegen die Antragsgegnerin aus §§ 53, 54 SGB XII i.V.m. § 14 Abs. 2 SGB IX einen Anspruch auf Weitergewährung der bisherigen Eingliederungshilfemaßnahme durch Übernahme der Kosten ihres Besuches der Tagesstätte des ASB in H ... Denn diese bislang gewährte Hilfe ist einerseits nicht offensichtlich ungeeignet und andererseits besteht ein Betreuungsbedarf, der deutlich über die einmal wöchentlich stattfindende Psychotherapie, die einmal monatliche Teilnahme an der Frauengruppe und gelegentliche Besuche bei der Suchtberatung hinausgeht. Insoweit kann der Umstand, dass die Antragstellerin bislang noch keine stationäre Alkoholentwöhnungsbehandlung (AEB) durchgeführt hat, ihr im Hinblick auf die begehrte Hilfe nicht entgegengehalten werden.

Es besteht zudem ein Anordnungsgrund, der sich aus dem fortbestehenden Bedarf an der Eingliederungsmaßnahme ergibt. Bei Wegfall der tagesstrukturierenden Betreuung durch die Tagesklinik besteht angesichts der besonderen sozialen Problematik des Einzelfalls für die Antragstellerin eine erhebliche Rückfallgefahr. Es ist daher erforderlich, die Leistungen sofort zur Verfügung zu stellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

gez. Lauterbach gez. Bücker gez. Kawa
Rechtskraft
Aus
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