Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 10 R 380/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 276/06
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.12.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren hat.
Die Klägerin ist 1955 geboren. Eine berufliche Ausbildung hat sie nicht absolviert; zuletzt war sie bis Oktober 1997 (Kündigung durch den Arbeitgeber) als Küchenhilfe beschäftigt.
Gegenstand dieses Verfahrens ist ein Antrag der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung vom 03.11.2003.
Vor diesem Antrag hatte die Klägerin bereits zweimal, nämlich in den Jahren 1999 und 2002, die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung beantragt. Nach Ablehnung der Rentenanträge war jeweils Klage zum Sozialgericht München (Az. S 14 RJ 1452/99 und S 6 RJ 982/02) erhoben geworden. In beiden gerichtlichen Verfahren waren Sachverständigengutachten eingeholt worden:
- Im Verfahren S 14 RJ 1452/99 hatte der nervenärztliche Gutachter Dr. P. (Gutachten vom 19.06.2000) bewusstseinsnahe tendenzielle Verhaltensweisen der Klägerin bei Rentenwunsch beschrieben. Der internistische Gutachter Dr. H. (Gutachten vom 24.10.2000) hielt die Beschwerdeschilderung der Klägerin für nicht glaubhaft und sah eine Aggravationstendenz mit deutlichem Hang zum Rentenbegehren. Keiner der Gutachter hatte eine zeitliche Leistungseinschränkung gesehen.
- Im Verfahren S 6 RJ 982/02 war die Klägerin chirurgisch-orthopädisch durch Dr. L. begutachtet worden (Gutachten vom 05.05.2003). Dr. L. beschrieb eine erhebliche Aggravationstendenz, die über den gesamten Zeitraum der Untersuchung durch laut schreiendes Weinen, Jammern und Stöhnen und diverse Befunddemonstrationen zum Ausdruck gekommen sei. Auch bei der psychiatrischen Begutachtung durch Dr. S. (Gutachten vom 25.08.2003) war eine ausgeprägte Verdeutlichungstendenz und Aggravation festgestellt worden. Eine zeitliche Leistungseinschränkung hatten die Gutachter nicht gesehen. Über eine "Aggravationstendenz bei Rentenwunsch" hatte auch der behandelnde Nervenarzt Dr. E. berichtet (Bericht vom 05.02.2002).
Beide Gerichtsverfahren waren durch Klagerücknahme beendet worden.
Rund eineinhalb Monate nach der im Verfahren S 6 RJ 982/02 erfolgten Klagerücknahme beantragte die Klägerin am 03.11.2003 erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie folgende Beschwerden an: "Psychisch, Bluthochdruck, Wirbelsäule, Nerven".
Am 11.12.2003 wurde die Klägerin durch die Internistin Dr. S. begutachtet. Die Gutachterin beschrieb eine mangelnde Mitarbeit bei den Funktionsprüfung und ein demonstratives Verhalten bezüglich der Bewegungseinschränkungen. Sie stellte folgende Diagnosen: Anpassungsstörung mit Somatisierung, Wirbelsäulensyndrom mit mäßiggradiger Funktionsbeeinträchtigung, mäßiggradiges Schulter-Arm-Syndrom beidseits, Gonalgien beidseits, erhebliches Übergewicht (103 kg bei 153 cm Körpergröße), Bluthochdruck, Strumaresektion 2001 ohne Hinweis für ein Rezidiv, rezidivierende Bronchitis, Senk-Spreizfüße beidseits und Hallux valgus. Im Vergleich zu den zuvor durchgeführten Begutachtungen habe sich keine wesentliche Befundveränderung ergeben. Die Klägerin sei in der Lage, leichte Arbeiten ohne wesentliche geistige Beanspruchung, nicht gefahrgeneigt, in Tagesschicht ohne viel Bücken und ohne Überkopfarbeit vollschichtig zu verrichten; einer Tätigkeit als Küchenhilfe könne die Klägerin nur noch unter drei Stunden täglich nachgehen.
Mit Bescheid vom 22.01.2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da eine Erwerbsminderung nicht vorliege. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben.
Am 29.01.2004 legte die Klägerin Widerspruch ein. Einem zur Begründung eingereichten Attest des Internisten Dr. S. vom 05.02.2004 ist zu entnehmen, dass dieser Arzt im Vordergrund eine schwerste soziale Anpassungsstörung verbunden mit einem anhaltenden depressiven Erschöpfungssyndrom und einer ausgeprägten Somatisierungstendenz sieht. Auslöser dafür sei die Kündigung ihres Arbeitsplatzes im Jahre 1997 gewesen, die sie als ungerecht und als Kränkung empfunden habe. Die Klägerin sei seit der Kündigung arbeitsunfähig und nicht einmal mehr in der Lage, den Haushalt zu besorgen. Nicht ganz so gravierend seien daneben orthopädische Leiden, ein Asthma bronchiale und ein Bluthochdruck. Nach seiner Überzeugung sei auszuschließen, dass die Klägerin jemals wieder arbeitsfähig werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 09.03.2004 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben. Die Bevollmächtigten der Klägerin haben die Klage unter Bezugnahme auf das Attest des Internisten Dr. S. vom 05.02.2004 und ein nervenärztliches Attest des Nervenarztes Dr. E. vom 19.03.2004 begründet (Schreiben vom 30.03.2004). Letzterer hat berichtet, dass er die Klägerin wegen einer schweren Depression mit Somatisierung behandelt habe. Die Depression sei chronifiziert und weder durch Gespräche noch durch Medikamente beeinflussbar. Zudem bestünden ganz offensichtliche körperliche Beschwerden (Übergewicht, Bluthochdruck, chronische Bronchitis). Er könne sich wegen der psychischen und internistischen Beschwerden eine Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht vorstellen.
Zur weiteren Sachaufklärung hat das Gericht Gutachten auf psychiatrischem und internistischem Fachgebiet in Auftrag gegeben.
Der psychiatrische Gutachter Dr. V. hat im Gutachten vom 26.04.2005 Folgendes ausgeführt:
Aufgrund des Verhaltens der Klägerin (die Klägerin sei latent aggressiv, keuchend, zunehmend hyperventilierend, mehrfach weinend und schreiend gewesen, habe sich vom Ehemann an- und auskleiden lassen und nur mit Hilfe des Ehemanns mit Mühe davon bewahrt werden können, sich von der Untersuchungsliege fallen zu lassen) sei eine Anamneseerhebung in der üblichen Form nicht möglich gewesen. Fragen zur biografischen und medizinischen Anamnese habe die Klägerin überhaupt nicht beantwortet. Die Angaben der Klägerin zu den aktuellen Beschwerden beschrieb der Gutachter als äußerst unpräzise ("Kopf ... Fuß ... Hände ... Schmerzen", "Schwindel"). Der neurologische Status sei weitgehend nicht pathologisch. Im psychischen Status hätten sich Hinweise auf eine psychotische Symptomatik, für kognitive Störungen oder für eine manifeste Depression nicht gefunden. Das Verhalten sei vielmehr geprägt von latenter Gereiztheit und Aggression sowie einer massiven Zentrierung des Denkens und Erlebens auf die beschriebenen Befindlichkeitsstörungen.
Bei der Untersuchung hätten ganz eindeutig demonstrative Verhaltensweisen im Vordergrund gestanden. Auffällig sei die Beschreibung demonstrativen oder aggravatorischen Verhaltens über viele Jahre. Die Klägerin wirke von ihrem Verhalten inzwischen sehr beherrscht und verstehe es, dies durchaus auch gezielt einzusetzen. Es bestehe nur der mögliche Verdacht auf eine inzwischen derart fixierte innerseelische Verankerung der beschriebenen Verhaltensmuster, dass sie durch Willensanstrengungen nicht mehr überwunden werden könnten, wahrscheinlich oder sicher könne dies aber nicht festgestellt werden.
Eine wesentliche Veränderung des Gesundheitszustandes habe sich seit der letzten psychiatrischen Untersuchung in Rentenverfahren im März 2002 (die Gutachterin Dr. V. hatte damals eine zum Großteil bewusstseinsnahe Ausgestaltung der Beschwerden beschrieben und war zu einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für leichte bis mittelschwere Arbeiten gekommen ) nicht ergeben.
Der Gutachter hat eine histrionische Persönlichkeitsstörung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Bei Berücksichtigung dieser Störungen sei die Klägerin noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses als Arbeiterin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten zu verrichten. Zu vermeiden seien besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, die Stresstoleranz, Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord oder mit Nacht- oder Wechselschicht.
Die internistische Gutachterin Dr. L. hat im Gutachten vom 06.07.2005 Folgendes erläutert:
Auf internistischem Fachgebiets lägen ein erhebliches Übergewicht (110 kg bei einer Körpergröße von 152 cm) sowie eine Störung des Fettstoffwechsels, eine leichte Hyperurikämieneigung und eine diabetische Stoffwechsellage, die eine Gewichtsreduktion angezeigt erscheinen lasse, vor. Eine Beeinträchtigung des beruflichen Leistungsvermögens resultiere daraus noch nicht. Zudem sei die Klägerin an einer essentiellen arteriellen Hypertonie im Rahmen eines metabolischen Syndroms bei Übergewicht erkrankt. Der Ausübung von körperlich leichten Tätigkeiten ohne seelische Belastungen stünden die Blutdruckwerte aber gerade tagsüber sicher nicht entgegen. Ein Anhalt für eine relevante arteriosklerotische Gefäßstenosierung bestehe trotz des erhöhten Arterioskleroserisikoprofils nicht. Bei der von der Klägerin zeitweise gezeigten Atemnot handle es sich um eine funktionelle Hyperventilation im Rahmen der seelischen Störung. Eine anhaltende relevante Lungenfunktionseinschränkung liege sicher nicht vor, wie Lungenfunktionsmessungen ergeben hätten. Vorbeschrieben sei jedoch eine Neigung zu Bronchitis, so dass Tätigkeiten mit Exposition gegenüber bronchialen Reizen (Kälte, Nässe usw.) nicht auf Dauer zugemutet werden sollten. Aufgrund einer Refluxkrankheit sei der Klägerin häufiges Bücken nicht zumutbar. Bezüglich der von der Klägerin angegebenen Gelenkbeschwerden sei darauf hinzuweisen, dass zu keinem Zeitpunkt ein Anhalt für ein primär entzündliches Gelenkleiden gegeben gewesen sei.
Unter Berücksichtigung der objektivierbaren Gesundheitsstörungen könne die Klägerin körperlich leichte Arbeiten aus wechselnder Arbeitsposition mit überwiegendem Sitzen in geschlossenen Räumen mehr als sechs Stunden täglich verrichten. Zu vermeiden seien schweres Heben und Tragen, besondere Belastungen von Wirbelsäule und Gelenken, die Exposition gegenüber Kälte, Nässe, Zugluft und bronchialen Reizen, besondere psychische Belastungen sowie Nacht- und Wechselschicht. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.
Auf den Hinweis des Gerichts vom 25.07.2005 auf die fehlenden Erfolgsaussichten hin haben die Bevollmächtigten des Klägers einen Arztbrief des behandelnden Nervenarztes Dr. E. vom 18.07.2005 vorgelegt, wonach sich das klinische Bild der Klägerin sowohl betreffend die körperlichen als auch die psychischen Beschwerden seit 1998 nicht geändert habe. Die Klägerin sei ganz fixiert auf ihren Körper und die körperlichen Beschwerden sowie die Ungerechtigkeiten vieler Gutachter, Ärzte und Gerichte, die ihrem Anspruch nach Rente wegen Erwerbsminderung nicht nachkämen. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen der abstrakten Feststellung der Erwerbsfähigkeit und dem klinischen Bild, bei dem man sich schwerlich vorstellen könne, dass die Klägerin in der Lage sei, auch nur leichte Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten.
Mit Urteil vom 08.12.2005 ist die Klage als unbegründet abgewiesen worden. Aus den eingeholten Gutachten ergebe sich, dass die Klägerin noch leichte Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne.
Am 25.04.2006 haben die Bevollmächtigten der Klägerin Berufung eingelegt.
Zur weiteren Sachaufklärung hat das Gericht Befundberichte bei den behandelnden Ärzten eingeholt und Behandlungsunterlagen beigezogen. Der Neurologe Dr. C. hat über eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation infolge eines Massenvorfalls der Halswirbelsäule C5/6 im Oktober 2005 berichtet. Er habe den Verdacht auf eine cervikale radikuläre Läsion C5/6 diagnostiziert. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R. hat mitgeteilt, dass er die Klägerin wegen einer Depression behandele; es bestehe eine deutliche Klagsamkeit und eine Somatisierungsneigung. Der Befund habe sich kontinuierlich verschlechtert. Der Orthopäde Dr. S. hat die Erkrankungen der Klägerin (u.a. LWS-Syndrom, Fingerpolyarthrose, Gonathrose, Impingement-Syndrom) als gleichbleibend beschrieben. Vom 22.06.2006 bis zum 17.07.2006 ist die Klägerin erstmals stationär-psychiatrisch in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie G. behandelt worden. Dort ist die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung mit derzeit schwerer Episode ohne psychotische Symptome gestellt worden. Die Klägerin sei in psychisch gut stabilisiertem Zustand entlassen worden.
Mit Schreiben vom 07.09.2006 haben die Bevollmächtigten der Klägerin die Berufung damit begründet, dass die behandelnden Ärzte die Erwerbsunfähigkeit bestätigt hätten. Die eingeholten Gutachten seien nicht überzeugend. Der Entlassungsbericht der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie G. widerlege die Einschätzung der Gutachter. Durch diesen stationären Aufenthalt sei der Schweregrad der nervenärztlichen Erkrankung belegt.
Im Auftrag des Gerichts ist die Klägerin psychiatrisch und chirurgisch begutachtet worden.
Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. hat im Gutachten vom 12.04.2007 Folgendes erläutert:
Die Klägerin habe angegeben, zuletzt zehn Jahre als Küchenhilfe gearbeitet zu haben. Nach der Kündigung der Arbeitsstelle sei es ihr seelisch sehr schlecht gegangen; die "Kündigung ohne Grund" habe sie "kaputt gemacht", sie habe keine Lust mehr zu leben. Jetzt könne sie nicht mehr arbeiten. Sie leide an Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Schmerzen an Händen und Füßen und Störungen in Händen und Beinen. Häufig trete ein Schwindel auf. Sie habe keine Kraft in den Händen.
Die neurologische Untersuchung habe sich bei mangelnder Kooperation und ausgeprägten Verdeutlichungstendenzen, begleitet von Jammern und Stöhnen, als schwierig gestaltet. Nach Ablenkung hätten die demonstrativen Verhaltensweisen nachgelassen. Motorische Defizite seien nicht objektivierbar. Beim Versuch der Ausführung des Zehen- und Fersenstandes sei die Klägerin sofort mit den Beinen zusammen gesackt, was organpathologisch bei gut ausgebildeter Muskulatur nicht erklärbar sei. Der Lasegue sei nicht überprüfbar gewesen, da die Klägerin dagegen gespannt habe. Die neurologische Untersuchung habe den Verdacht auf sensible Nervenwurzelreizerscheinungen im Bereich des linken Arms und der linken Hand ohne motorische Defizite ergeben.
In psychischer Hinsicht erscheine die Klägerin sehr auffällig durch Klagsamkeit, Agitiertheit, demonstratives, appellatives und aggravatorisches Verhalten. Die Grundstimmung sei depressiv, dysphorisch getönt. Die Klägerin sei aber außerordentlich stark auf die als ungerecht erlebte "Kündigung ohne Grund" und die Vorstellung, durch die Kündigung "seelisch kaputt gemacht" worden zu sein, fixiert. Hinweise für das Vorliegen einer endogenen Psychose bestünden nicht. Die Klägerin wirke ausgesprochen passiv und initiativegemindert. Die von ihr angegebenen Orientierungsstörungen und Gedächtnisstörungen seien eher auf mangelnde Kooperation oder ein pseudodementes Verhalten als auf ein organisches Psychosyndrom zurückzuführen. Die Persönlichkeit sei sehr wahrscheinlich überwiegend von histrionischen Persönlichkeitszügen geprägt.
Laborchemische Untersuchungen bezüglich des verordneten Schmerzmittels und der Antidepressiva hätten Werte unterhalb der Messgrenze ergeben. Dies bedeute, dass die Klägerin entgegen ihren eigenen Angaben und den Angaben des Ehemanns die verordneten Medikamente nicht einnehme; dies spreche für eine fehlende Behandlungsbereitschaft und einen geringen Leidensdruck.
Bei der Klägerin lägen folgende Gesundheitsstörungen vor: Dysthymie im Sinne einer chronisch-depressiven Entwicklung nach Arbeitsplatzverlust, differenzialdiagnostisch rezidivierende depressive Störung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Rentenneurose, histrionische Persönlichkeit, Spannungskopfschmerzen, HWS- und LWS-abhängige Beschwerden bei degenerativen Veränderungen ohne neurologische Funktionsausfälle. Eine schwerergradig ausgeprägte Depression, die Grund für eine Berentung sein könnte, liege nicht vor. Vom Gesamtaspekt her würden bei der Klägerin neurotische und aggravatorische Verhaltensweisen vorliegen. Die Klägerin nehme trotz des von ihr geschilderten Ausmaßes der psychischen Beschwerden keine Medikamente ein. Das Ausmaß der geschilderten Beschwerden stehe daher nicht in Übereinstimmung mit der Inanspruchnahme therapeutischer Hilfen. Auch würden die körperlichen Beschwerden (Schmerzen) von der Klägerin wenig konsistent vorgebracht; bei der jetzigen Begutachtung habe sie Beschwerden vor allem in der linken Körperseite geschildert, während bei der Begutachtung im Jahre 2003 Schmerzen im Bereich der rechten Körperhälfte angegeben worden seien. Bei anderen Gutachtern habe die Klägerin diffuse Schmerzen am ganzen Körper ohne nähere Präzisierung geschildert. Organpathologisch seien die Schmerzen nur teilweise durch den Massenvorfall C 5/6 erklärbar.
Die von der Klägerin bei der jetzigen und auch früheren Begutachtungen gezeigte Aggravation und demonstrative Verhaltensweisen seien vor dem Hintergrund der histrionischen Persönlichkeitsstörung und des Rentenbegehrens zu sehen. Es sei eine Bewusstseinsnähe bei der Ausgestaltung des Beschwerdebildes anzunehmen. Andererseits zeige sich bei dem nun über fast 10 Jahre gehenden Krankheitsverlauf, dass es bei der Klägerin zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensgestaltung gekommen sei, wie sich aus ihrer Schilderung des Tagesablauf ergebe; dies könnte sogar auf eine maligne Regression hindeuten. In einem derartigen Fall könnte die Überbewertung der gesundheitlichen Beschwerden dem willentlichen Zugriff der Klägerin entglitten sein. Es stelle sich hier jedoch die Frage, weshalb die Klägerin während der Untersuchung spontan, von sich aus, mehrfach angegeben habe, regelmäßig die verordneten Medikamente einzunehmen, was mit dem fehlenden Serumspiegel erschüttert sei. Die Angaben der Klägerin seien daher inkonsistent und zum Teil nicht glaubhaft, was für überwiegend bewusstseinsnah dargebotene Verhaltensweisen und zweckgerichtete Tendenzen spreche. Sehr wahrscheinlich ziehe die Klägerin auch aus der Rolle als Schwerkranke innerhalb der Familie einen sekundären Krankheitsgewinn.
Trotz der unverkennbar bestehenden ausgeprägten psychopathologischen Auffälligkeiten seitens der Klägerin ist die Gutachterin, begründet mit der Bewusstseinsnähe der dargebotenen Verhaltensweisen und Beschwerden und dem zweckgerichteten Verhalten, von einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen der Klägerin für leichte körperliche Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen (keine Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, mit besonderem Zeitdruck oder besonderen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, das Umstellungs- und Anpassungsvermögen, mit Heben und Tragen schwerer Lasten und mit häufigem Bücken) ausgegangen.
Der Arzt für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. D. hat im Gutachten vom 18.04.2007 Folgendes ausgeführt:
Die Klägerin habe Kopfschmerzen und Nacken- bzw. Rückenschmerzen diffuser Art geschildert; auch die ganze linke Seite täte ihr weh. Die Klägerin habe angegeben, einfach keine Lust mehr zu haben; sie sei mit den Nerven am Ende. Sie sei in Tränen ausgebrochen und habe sich über die aus ihrer Sicht ohne Grund ausgesprochene Kündigung erregt.
Die bei der Untersuchung gewonnenen Untersuchungsergebnisse (zur Beweglichkeit) seien nur eingeschränkt verwertbar, da die Klägerin bei diversen Untersuchungen dagegen gespannt habe. Eindeutige Gelenkdefizite seien nicht zu ermitteln. Der bekannte Massenvorfall bei C5/6 habe keine motorischen Defizite hinterlassen. Die Röntgenbilder würden keine höhergradigen degenerativen Veränderungen zeigen, weder im Bereich des Beckens noch im Bereich der HWS. Auf den vorgelegten Aufnahmen der Kniegelenke und der rechten Schulter sei ein fassbares Korrelat für die angegebenen Schmerzen nicht erkennbar. Atrophien lägen nicht vor.
Auf seinem Fachgebiet hat der Gutachter ein LWS-Syndrom ohne Nachweis höhergradiger radiologischer degenerativer Veränderungen mit pseudoradikulären Beschwerden, ein HWS-Syndrom mit linksseitigen pseudoradikulären Beschwerden ohne Nachweis eines peripheren oder sensomotorischen Defizits, einen Zustand nach Carpaltunnelsyndrom-Operation beidseits und Gonalgien diagnostiziert.
Aufgrund der vorliegenden Beschwerden könne die Klägerin noch leichte Tätigkeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen mehr als sechs Stunden täglich verrichten. Zu vermeiden seien Arbeiten im Freien, mit gehäuftem Bücken, Heben und Tragen von Lasten über 7,5 kg, Besteigen von Leitern und Gerüsten und Treppensteigen. Die Arbeit solle im Wechselrhythmus erfolgen. Der Anmarschweg zur Arbeitsstätte sei nach den objektivierbaren Befunden nicht gemindert.
Auf Antrag der Bevollmächtigten der Klägerin vom 30.04.2007gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Orthopäde Dr. S. die Klägerin begutachtet. Im Gutachten vom 09.06.2008 hat er Folgendes beschrieben:
Die Klägerin leide an einer Cervicobrachialgie und Cephalgie, einem vertebragenen Schwindel bei Uncovertebralarthrose, einem degenerativen Facettensyndrom der LWS, einer Spinalkanalstenose L4/5 mit Claudicatio spinalis, einer Gonarthrose beidseits mit Reizkniebildung, einem Impingement-Syndrom beidseits, einem Hallux valgus beidseits und an einer Fingerpolyarthrose.
Durch diese Erkrankungen komme es zu Schmerzen multilokulär, vor allem jedoch zu Bewegungseinschränkungen in der HWS, in den Schultergelenken und der LWS. Es bestehe ein gesicherter Massenvorfall C5/6 mit Dysästhesien im Nervenversorgungsgebiet, welche vom Neurologen im Sinne einer Radikulopathie verifiziert worden seien. Durch die Uncovertebralarthrose würden häufig Schwindelattacken mit Gangunsicherheit entstehen. Ausdruck der Spinalkanalstenose L4/5 seien eine Krampfneigung und Missempfindungen in beiden Beinen. Durch die Gonarthrosen beidseits ergebe sich ein Schonhinken, ein verlangsamtes Gangbild und eine verkürzte Gehstrecke.
Der Gesundheitszustand der Klägerin unterliege nicht raschen Veränderungen, sondern beruhe auf einer kontinuierlichen Verschlechterung.
Der Klägerin seien schwere, mittelschwere und auch leichte Tätigkeiten nicht mehr, auch nicht weniger als drei Stunden zumutbar. Auch könne die Klägerin eine Wegstrecke von 500 m nicht mehr zu Fuß zurücklegen. Dieser Zustand bestehe seit November 2003.
Unter Vorlage von zwei prüfärztlichen Stellungnahmen vom 26.06.2008 und 29.07.2008 hat die Beklagte am Gutachten des Dr. S. beanstandet, das dessen Diagnosen teilweise nur das von der Klägerin permanent vorgebrachte Beschwerdebild wiedergeben würden, nicht aber den objektiven Krankheitszustand, der Gutachter also die demonstrativen Angaben der Klägerin übernommen habe, ohne dass korrelierende Befunde angegeben werden könnten. Die vom Gutachter angefertigten Röntgenaufnahmen seien von derart schlechter Qualität, dass sich keine validen Befunde, Beurteilungen oder Diagnosen ableiten lassen würden. Die Annahme einer neurologischen Schädigung im Sinne einer Radikulopathie sei unzutreffend, da lediglich der Verdacht darauf diagnostiziert worden sei. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes sei nicht belegt. Der Schluss, das Leistungsvermögen sei auch für leichte Tätigkeiten auf unter drei Stunden abgesunken, sei nicht nachvollziehbar, insbesondere nicht die Aussage, dass dieser Zustand bereits seit November 2003 bestehe. Dieser Feststellung stünden mehrere Gutachten entgegen, insbesondere das chirurgische Gutachten des Dr. L. vom 05.05.2003. Zudem hat die Beklagte ausgeführt, dass das Verhalten der Klägerin im Gegensatz zu den Vorbegutachtungen offensichtlich unauffällig gewesen sei, zumindest habe der Gutachter Dr. S. keine ungewöhnlichen Verhaltensweisen beschrieben.
Nach dem Hinweis des Gerichts, dass die Einwendungen der Beklagten gegen das Gutachten des Dr. S. überzeugend erscheinen würden (Schreiben vom 19.08.2008), haben die Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 09.09.2008 ein ärztliches Attest des Dr. S. vom 02.09.2008 übersandt. Darin hat dieser darauf hingewiesen, dass eine Beurteilung der depressiven Grundstimmung der Klägerin nicht Umfang seines Gutachtens gewesen sei, da er orthopädisch ausgerichtet sei. Eine grundsätzliche Melancholie könne er selbstverständlich befürworten, wolle sich dazu aber nicht näher äußern, da dies nicht in sein Fachgebiet falle. Sein Gutachten beruhe auf den orthopädischen fassbaren Krankheitsbildern. Die Stellungnahme der Beklagten halte er in diesem Zusammenhang für gegenstandslos.
In der mündlichen Verhandlung vom 30.10.2008 hat die Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.12.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 22.01.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 03.11.2003 Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Vertreterin der Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat lagen die Prozessakten beider Rechtszüge, die Akten des Sozialgerichts München zu den Aktenzeichen S 14 RJ 1452/99 und S 6 RJ 982/02 und die Akten der Beklagten vor. Zur Ergänzung des Sachverhalts, insbesondere hinsichtlich des Vortrags der Prozessbeteiligten, wird hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht München ist im Urteil vom 08.12.2005 zutreffend davon ausgegangen, dass eine zeitliche Leistungsminderung bei der Klägerin nicht bewiesen ist und sie daher keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung gem. 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) hat.
Voraussetzung für die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ist u.a. eine rentenrechtlich relevante Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Bei der Prüfung, ob eine Erwerbsminderung vorliegt, kommt es nicht auf den bisherigen Beruf an, sondern darauf, ob mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen noch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich verrichtet werden können.
Sofern das Leistungsvermögen bei sechs oder mehr Stunden liegt, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Erwerbsminderung nicht vorliegt und dem Versicherten der Arbeitsmarkt nicht verschlossen ist (vgl. Niesel, in: Kasseler Kommentar, § 43 SGB VI, Rn. 34). Das - gegebenenfalls durch gewisse qualitative gesundheitliche Einschränkungen erhöhte - Risiko, einen offenen Arbeitsplatz zu finden, trägt die Arbeitslosenversicherung und nicht die Rentenversicherung (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 27.05.1977, Az.: 5 RJ 28/76). Im Rahmen der Frage, ob Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren ist, ist es damit grundsätzlich unerheblich, wie die Chancen eines Versicherten auf dem Arbeitsmarkt sind.
Ausnahmsweise ist auch bei vorliegender sechsstündiger Erwerbsfähigkeit von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes und damit von einer Erwerbsminderung auszugehen, wenn ein Versicherter den Weg zur Arbeitsstelle nicht zurücklegen kann. Zur Erwerbsfähigkeit gehört nämlich auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können (vgl. BSG SozR 2200 § 1247 Nrn. 47, 50, 53, 56). Dabei kommt es nicht auf den konkreten Weg vom Wohnort zu einer Arbeitsstelle oder zur Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels an, sondern darauf, welche Wege üblich sind. Nach der Rechtsprechung des BSG zum bis zum 31.12.2000 geltenden Recht (vgl. SozR 2200 § 1247 Nr. 56) kann eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes wegen fehlender Wegefähigkeit grundsätzlich angenommen werden, wenn nur noch eine Gehfähigkeit vorhanden ist, die maximal 500 m Wegstrecke zulässt. Diese Grundsätze zur Wegefähigkeit gelten in gleicher Weise für das ab dem 01.01.2001 geltende Recht (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28.08.2002, Az: B 5 RJ 12/02 R).
Versicherte, deren Leistungsvermögen sich am allgemeinen Arbeitsmarkt orientiert, sind grundsätzlich auf jede erwerbswirtschaftliche Tätigkeitsart verweisbar, die keine formale Ausbildung erfordert. In diesen Fällen besteht daher nach ständiger Rechtsprechung des BSG auch grundsätzlich kein Anlass zur Benennung einer spezifischen Verweisungstätigkeit, weil auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung steht, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteile vom 18.04.1978, Az.: 4 RJ 55/77; vom 28.08.1991, Az.: 13/5 RJ 47/90).
Die anspruchsbegründenden Tatsachen, also insbesondere der Umstand, dass das Leistungsvermögen eines Versicherten allein wesentlich bedingt durch Krankheit oder Behinderung ab einem bestimmten Zeitpunkt dauerhaft derart herabgesunken ist, dass er mit seinem Restleistungsvermögen nicht mehr in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, müssen im Vollbeweis nachgewiesen sein.
Der Vollbeweis erfordert, dass die Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen müssen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht - BayLSG -, Urteil vom 26.07.2006, Az.: L 16 R 100/02; BSG, Urteil vom 14.12.2006, Az.: B 4 R 29/06 R). Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, Az.: 2 RU 43/84). Oder in anderen Worten gesagt - das Gericht muss von der zu beweisenden Tatsache mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgehen können (vgl. BSG, Urteil vom 02.02.1978, Az.:8 RU 66/77). Es darf kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr bestehen (vgl. BayLSG, Urteil vom 26.07.2006, Az.: L 16 R 100/02).
Kann das Gericht die genannten Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen, gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. BSG, Urteil vom 29.06.1967, Az.: 2 RU 198/64). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht im Vollbeweis nachgewiesen werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten möchte, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 24.10.1957, Az.:10 RV 945/55). Denn für das Vorliegen der rechtsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen der Erwerbsminderung trägt der Versicherte die Darlegungs- sowie die objektive Beweislast (vgl. BSG, Urteil vom 23.10.1996, Az.: 4 RA 1/96).
Im vorliegenden Fall hat der Senat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Klägerin nur noch weniger als sechs Stunden leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter gewissen qualitativen Einschränkungen verrichten könnte. Dies wäre aber im Vollbeweis nachzuweisen, um dem Begehren der Klägerin Rechnung tragen zu können. Auch eine Einschränkung der Wegefähigkeit ist nicht bewiesen. Von einer Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI ist damit nicht auszugehen.
Die Klägerin gibt orthopädische und psychische Beschwerden an. Nach den Angaben ihres behandelnden Hausarztes Dr. S. im Attest vom 05.02.2004, die insofern plausibel erscheinen, stehen bei der Klägerin die für das psychische Gebiet angegebenen Beschwerden im Vordergrund. Auch sie selbst hat im Übrigen zur Begründung ihres Rentenantrags an erster Stelle psychische Beschwerden angeführt.
Die bei der Klägerin vorliegenden psychischen Beschwerden sind nicht so stark ausgeprägt, dass daraus eine zeitliche Leistungsminderung resultieren würde. Die Annahme ihres Hausarztes Dr. S., dass eine schwerste soziale Anpassungsstörung verbunden mit einem anhaltenden depressiven Erschöpfungssyndrom gegeben wäre, hat sich bei den durchgeführten Begutachtungen durchweg nicht bestätigen lassen.
Sowohl der psychiatrische Gutachter im Verfahren vor dem Sozialgericht als auch die vom Senat beauftragte Sachverständige auf diesem ärztlichen Fachgebiet haben, wie auch schon die in früheren Rentenverfahren beauftragten Sachverständigen, eine tiefergehende psychische Erkrankung nicht feststellen können. Eine histrionische Persönlichkeitsstörung und eine somatoforme Schmerzstörung, nach den Angaben der Gutachterin Dr. M. auch eine Dysthymie und eine Rentenneurose bei Kopfschmerzen und Wirbelsäulenbeschwerden können eine zeitliche Leistungseinschränkung auf unter sechs Stunden täglich nach der übereinstimmenden und für den Senat nachvollziehbaren Einschätzung der Sachverständigen nicht begründen. Soweit die Klägerin bei Begutachtungen Orientierungsstörungen und Gedächtnisstörungen angegeben hat, ist der Senat davon überzeugt, dass derartige Störungen von der Klägerin zielgerichtet und aggravatorisch angegeben worden sind, um der Erfüllung ihres Rentenwunsches näher zu kommen. Eine derartige überzeichnete und zweckgerichtete Beschreibung ihrer Beschwerden haben im Übrigen alle Gutachter, nicht nur auf dem nervenärztlichen Fachgebiet, mit Ausnahme des Orthopäden Dr. S. beschrieben. Auch der behandelnde Nervenarzt Dr. E. hat in seinem Bericht vom 05.02.2002 eine Aggravationstendenz bei Rentenwunsch angegeben.
Wie von den nervenärztlichen Gutachtern thematisiert, kann eine derartige Ausgestaltung des Beschwerdebildes, wie es bei der Klägerin gegeben ist, bei entsprechend langer Aufrechterhaltung und Fixierung auch Krankheitswert erreichen. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine zunächst willentlich erfolgte Überbewertung der gesundheitlichen Beschwerden verselbstständigt, dem willentlichen Zugriff des Betroffenen entgleitet und dadurch der Zustand einer willentlichen Anstrengung nicht mehr zugänglich ist. Davon kann bei der Klägerin nicht ausgegangen werden. Zwar erhält sie den von ihr als ganz massiv geschilderten Beschwerdezustand nunmehr bereits seit zehn Jahren aufrecht und hat offensichtlich - jedenfalls wenn ihren Angaben zum Tagesablauf gefolgt wird - bereits eine nicht unerhebliche Reduzierung des Alltagslebens auf sich genommen. Auf der anderen Seite gibt es jedoch gewichtige Indizien dafür, dass die von der Klägerin dargebotenen Verhaltensweisen nach wie vor bewusstseinsnah ausgestaltet sind und zielgerichtet eingesetzt werden. Dafür spricht zum einen, dass die Klägerin bei der Begutachtung durch Frau Dr. M., offensichtlich ohne entsprechende Nachfrage durch die Sachverständige, mehrfach auf die Einnahme der ihr verordneten Arzneimittel hingewiesen hat. Ganz abgesehen davon, dass ein derartiges Vorbringen in einem gewissen Widerspruch zu ihren sonstigen Angaben, z.B. zu ihrer Biographie, die oft durch Gedächtnislücken geprägt sind, steht, haben die Blutuntersuchungen der Gutachterin auch ergeben, dass die Klägerin derartige Arzneimittel nicht einnimmt. Dies belegt, dass die Klägerin mit der Angabe zu den angeblich eingenommenen Arzneimitteln zielgerichtet ihren schlechten psychischen Gesundheitszustand, auf den sich aus der Einnahme von Arzneimitteln ein gewisser Rückschluss ziehen lassen würde, dokumentieren wollte. Die Klägerin ist also sehr wohl noch in der Lage, durch den zielgerichteten Einsatz bestimmter Ausführungen zu ihrem Gesundheitszustand den Eindruck massiver Beschwerden zu erwecken. Dies belegt, dass eine Verselbstständigung der übertrieben dargestellten Beschwerden noch nicht eingetreten ist. Gegen eine krankheitswertige Verselbstständigung der Beschwerden und für eine bewusstseinsnahe Ausgestaltung durch die Klägerin spricht auch, dass als einziger Gutachter Dr. S. eine Aggravation oder Verdeutlichung der Beschwerden durch die Klägerin nicht beschrieben hat und auch die von ihm erhobenen Funktionswerte (insbesondere Bewegungsmaße) teilweise deutlich besser als die bei den Vorbegutachtungen erhobenen Werte sind, was darauf hindeutet, dass eine Aggravation der Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. S. nicht oder zumindest nicht in so großem Umfang wie bei früheren Begutachtungen erfolgt ist, also ihre Beschwerdeausgestaltung von der jeweiligen Untersuchungssituation abhängig ist. Die Tatsache, dass die Klägerin bei einer Begutachtung durch einen Arzt ihres Vertrauens - Dr. S. ist nicht nur gemäß § 109 SGG als Gutachter benannt worden, sondern auch der behandelnde Orthopäde der Klägerin - ihre Beschwerden nicht (so deutlich) aggraviert wie sonst dargestellt hat, belegt, dass die Kläger nach wie vor in der Lage ist, ihre angeblichen Beschwerden bei Bedarf entsprechend überzeichnet darzustellen. Von einer Verselbstständigung der übertrieben geschilderten Beschwerden ist daher nicht auszugehen. Schließlich belegt die fehlende Medikamenteneinnahme auch, dass die Beschwerden nicht so stark ausgeprägt sein können, wie sie die Klägerin angibt; denn anderenfalls wäre ihr Leidensdruck so hoch, dass sie die in derartigen Fällen medizinisch angezeigten Arzneimittel auch einnehmen würde.
Auch aufgrund der orthopädischen Beschwerden lässt sich eine zeitliche Leistungsminderung nicht begründen. Soweit der gemäß § 109 benannte Gutachter Dr. S. eine zeitliche Leistungsreduzierung auf unter drei Stunden täglich zu erkennen meint, ist diese Einschätzung nicht nachvollziehbar. Entsprechend massiv ausgeprägte Befunde, die eine derartige Leistungseinschränkung begründen könnten, liegen - auch nach den im Gutachten des Dr. S. festgehaltenen objektiven Befunden - nicht vor.
Der Gutachter Dr. S. sieht aufgrund der orthopädischen Erkrankungen Schmerzen an verschiedenen Stellen, vor allem jedoch Bewegungseinschränkungen im Bereich von HWS, LWS und Schultergelenken und legt diese Gesichtspunkte seiner Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung zu Grunde. Beide Aspekte können aber nicht überzeugen. Denn die vom Gutachter genommenen Bewegungsmaße stellen keine so deutlichen Abweichungen vom Normzustand dar, als dass sich daraus Hinweise für eine so massive Beeinträchtigung ergeben würden, dass eine zeitliche Leistungseinschränkung plausibel wäre.
Die Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung infolge der vorliegenden Schmerzen lässt sich nicht begründen. Irgendwelche überzeugenden Anhaltspunkte, dass die von der Klägerin behaupteten - und offenbar vom Gutachter weitgehend unreflektiert zugrunde gelegten - Schmerzen auch tatsächlich vorliegen, lassen sich nicht finden. Zwar ist die Beurteilung von Schmerzen grundsätzlich problematisch, da es objektive Methoden zur unmittelbaren Messung der Schmerzes nicht gibt. Liegen jedoch Schmerzen erheblichen Ausmaßes vor, lassen sich Indizien finden, die zu einer Objektivierung der Schmerzangaben beitragen. Dies wären beispielsweise Muskelminderungen infolge Schonhaltung, Bewegungseinschränkungen zur Schmerzvermeidung oder auch psychische Probleme, wie sie im vorliegenden Falle durch die psychiatrischen Gutachter nicht verifiziert werden konnten. Indizien, wie sie von einem Orthopäden zu erkennen wären, hat Dr. S. nicht beschrieben. Es liegt der Eindruck sehr nahe, dass der Gutachter die subjektiven Beschwerdeangaben der Klägerin als objektive Fakten zu Grunde gelegt hat, ohne eine Objektivierung auch nur ansatzweise zu versuchen. Dabei hat er sich nicht damit auseinander gesetzt, dass zahlreiche Hinweise auf ein demonstratives/aggravato- risches Verhalten der Klägerin (nicht nur in den Gutachten, sondern auch im Bericht des behandelnden Nervenarztes Dr. E. vom 05.02.2002: "Aggravationstendenz bei Rentenwunsch") vorliegen und es daher angezeigt gewesen wäre, die von der Klägerin angegebenen Beschwerden auf ihre Objektivierbarkeit zu überprüfen. Dies hat der Gutachter nicht gemacht.
Nicht nachvollziehbar ist beim Gutachten gemäß § 109 SGG auch, dass der Gutachter von einer Claudicatio spinalis, einem Hinken infolge einer Spinalkanalstenose ausgeht. Zwar ist es richtig, dass aus einer Enge des Spinalkanals im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule bei entsprechender Kompression der Nervenwurzeln sich ein Hinken ergeben kann. Im vorliegenden Fall sind aber derartige neurologische Schäden nicht belegt. Vielmehr ist bei den durchgeführten nervenärztlichen Begutachtungen eine neurologische funktionelle Schädigung nicht festgestellt worden. Auch von den behandelnden Ärzten sind neurologische Schäden im Bereich der Lendenwirbelsäule, die zu einer Claudicatio spinalis führen könnten, nie verifiziert worden ist. Zudem hat der Gutachter selbst im Rahmen seines neurologischen Befundes als pathologisch im Wesentlichen nur ein herabgesetztes Gefühlsempfinden, nicht aber weitergehende funktionelle neurologische Schäden beschrieben.
Ob die vom Gutachter vorgenommene Befundung der von ihm angefertigten Röntgenaufnahmen nachvollziehbar ist oder die Aufnahmen von so schlechter Qualität sind, dass sich daraus keine sicheren Aussagen treffen lassen können, wie dies die Beklagte beanstandet, kann letztlich dahingestellt bleiben, da nicht die radiologischen Befunde, sondern die funktionellen Einschränkungen, auf die sich aus Röntgenaufnahmen nicht zwingend zurückschließen lässt, maßgeblich sind.
In sich widersprüchlich ist das Gutachten des Dr. S. auch insofern, als er einerseits eine kontinuierliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes infolge der degenerativen Veränderungen beschreibt, andererseits davon ausgeht, dass der bei der Klägerin jetzt vorliegende Zustand bereits seit November 2003 bestehe. Zum einen ist aufgrund des im Verfahren S 6 R 982/02 des Sozialgerichts München eingeholten orthopädisch-chirurgischen Gutachtens des Dr. L. vom 05.05.2003, das inhaltlich überzeugend ist, davon auszugehen, dass eine zeitliche Leistungseinschränkung damals nicht vorgelegen hat. Die Annahme des Gutachters Dr. S., dass bereits im November 2003 die zeitliche Leistungsfähigkeit der Klägerin auf unter drei Stunden gesunken sein sollte, ist demgegenüber nicht nachvollziehbar, da nichts ersichtlich ist, was auf eine massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin zwischen Mai und November 2003 hindeuten könnte und der Gutachter Dr. S. keinerlei Hinweise gegeben hat, warum er so stark von der Einschätzung des Dr. L. im Jahre 2003 abweicht. Zudem belegt ein Vergleich der objektiven Messwerte zur Beweglichkeit der Klägerin, wie sie in den beiden vorgenannten orthopädischen Begutachtung erhoben worden sind, dass eine massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Kläger nicht eingetreten ist. Widersprüchlich ist das Gutachten des Dr. S. bezüglich der von ihm im Gutachten angegebenen Verschlechterung schließlich deshalb, weil er an anderer Stelle, nämlich bei der Abgabe des vom Senat angeforderten Befundberichts vom 31.07.2006, jedenfalls für den Zeitraum seiner Behandlung (ab Oktober 2005) ausdrücklich angegeben hat, die Befunde seien gleichbleibend gewesen.
Aus den aufgezeigten Gründen kann der Senat auch der Einschätzung des Dr. S. nicht folgen, dass die Wegefähigkeit der Klägern eingeschränkt wäre. Irgendwelche nachvollziehbaren objektiven Befunde, die eine Reduzierung der Gehfähigkeit auf unter 500 m viermal am Tag begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Wie der chirurgische Gutachter Dr. D. überzeugend erläutert hat, liegen keine höhergradigen degenerativen Veränderungen im Bereich der Hüfte und der unteren Extremitäten vor. Eine neurologisch bedingtes Hinken ist - wie bereits ausgeführt - auszuschließen.
Die bei der Klägerin vorliegenden degenerativen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule und der Extremitäten können daher eine zeitliche Leistungseinschätzung, wie sie vom Gutachter Dr. S. getroffen worden ist, nicht erklären. Dem Gutachten ist nicht zu folgen.
Wie das Gutachten der Dr. L. vom 06.07.2005 auf internistischem Fachgebiet ergeben hat, liegen auf diesem Fachgebiet keine rentenrelevanten Erkrankungen vor. Anhaltspunkte, dass sich diesbezüglich seit der Begutachtung maßgebliche Änderungen ergeben hätten, haben sich im Verfahren nicht ergeben. Weitere Ermittlungen waren insofern nicht angezeigt.
Der gesundheitliche Zustand der Klägerin lässt es nach wie vor zu, dass sie zumindest leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich nachgeht. Eine Erwerbsminderung liegt daher nicht vor. Da die Klägerin keine qualifizierte Anlerntätigkeit (Anlern- oder Ausbildungszeit von mehr als 12 Monaten) oder gar Facharbeitertätigkeit ausgeübt hat, kommt auch ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gem. § 240 SGB VI hier nicht in Betracht.
Die Berufung ist als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass die Klage im Ergebnis erfolglos geblieben ist.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren hat.
Die Klägerin ist 1955 geboren. Eine berufliche Ausbildung hat sie nicht absolviert; zuletzt war sie bis Oktober 1997 (Kündigung durch den Arbeitgeber) als Küchenhilfe beschäftigt.
Gegenstand dieses Verfahrens ist ein Antrag der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung vom 03.11.2003.
Vor diesem Antrag hatte die Klägerin bereits zweimal, nämlich in den Jahren 1999 und 2002, die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung beantragt. Nach Ablehnung der Rentenanträge war jeweils Klage zum Sozialgericht München (Az. S 14 RJ 1452/99 und S 6 RJ 982/02) erhoben geworden. In beiden gerichtlichen Verfahren waren Sachverständigengutachten eingeholt worden:
- Im Verfahren S 14 RJ 1452/99 hatte der nervenärztliche Gutachter Dr. P. (Gutachten vom 19.06.2000) bewusstseinsnahe tendenzielle Verhaltensweisen der Klägerin bei Rentenwunsch beschrieben. Der internistische Gutachter Dr. H. (Gutachten vom 24.10.2000) hielt die Beschwerdeschilderung der Klägerin für nicht glaubhaft und sah eine Aggravationstendenz mit deutlichem Hang zum Rentenbegehren. Keiner der Gutachter hatte eine zeitliche Leistungseinschränkung gesehen.
- Im Verfahren S 6 RJ 982/02 war die Klägerin chirurgisch-orthopädisch durch Dr. L. begutachtet worden (Gutachten vom 05.05.2003). Dr. L. beschrieb eine erhebliche Aggravationstendenz, die über den gesamten Zeitraum der Untersuchung durch laut schreiendes Weinen, Jammern und Stöhnen und diverse Befunddemonstrationen zum Ausdruck gekommen sei. Auch bei der psychiatrischen Begutachtung durch Dr. S. (Gutachten vom 25.08.2003) war eine ausgeprägte Verdeutlichungstendenz und Aggravation festgestellt worden. Eine zeitliche Leistungseinschränkung hatten die Gutachter nicht gesehen. Über eine "Aggravationstendenz bei Rentenwunsch" hatte auch der behandelnde Nervenarzt Dr. E. berichtet (Bericht vom 05.02.2002).
Beide Gerichtsverfahren waren durch Klagerücknahme beendet worden.
Rund eineinhalb Monate nach der im Verfahren S 6 RJ 982/02 erfolgten Klagerücknahme beantragte die Klägerin am 03.11.2003 erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab sie folgende Beschwerden an: "Psychisch, Bluthochdruck, Wirbelsäule, Nerven".
Am 11.12.2003 wurde die Klägerin durch die Internistin Dr. S. begutachtet. Die Gutachterin beschrieb eine mangelnde Mitarbeit bei den Funktionsprüfung und ein demonstratives Verhalten bezüglich der Bewegungseinschränkungen. Sie stellte folgende Diagnosen: Anpassungsstörung mit Somatisierung, Wirbelsäulensyndrom mit mäßiggradiger Funktionsbeeinträchtigung, mäßiggradiges Schulter-Arm-Syndrom beidseits, Gonalgien beidseits, erhebliches Übergewicht (103 kg bei 153 cm Körpergröße), Bluthochdruck, Strumaresektion 2001 ohne Hinweis für ein Rezidiv, rezidivierende Bronchitis, Senk-Spreizfüße beidseits und Hallux valgus. Im Vergleich zu den zuvor durchgeführten Begutachtungen habe sich keine wesentliche Befundveränderung ergeben. Die Klägerin sei in der Lage, leichte Arbeiten ohne wesentliche geistige Beanspruchung, nicht gefahrgeneigt, in Tagesschicht ohne viel Bücken und ohne Überkopfarbeit vollschichtig zu verrichten; einer Tätigkeit als Küchenhilfe könne die Klägerin nur noch unter drei Stunden täglich nachgehen.
Mit Bescheid vom 22.01.2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da eine Erwerbsminderung nicht vorliege. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben.
Am 29.01.2004 legte die Klägerin Widerspruch ein. Einem zur Begründung eingereichten Attest des Internisten Dr. S. vom 05.02.2004 ist zu entnehmen, dass dieser Arzt im Vordergrund eine schwerste soziale Anpassungsstörung verbunden mit einem anhaltenden depressiven Erschöpfungssyndrom und einer ausgeprägten Somatisierungstendenz sieht. Auslöser dafür sei die Kündigung ihres Arbeitsplatzes im Jahre 1997 gewesen, die sie als ungerecht und als Kränkung empfunden habe. Die Klägerin sei seit der Kündigung arbeitsunfähig und nicht einmal mehr in der Lage, den Haushalt zu besorgen. Nicht ganz so gravierend seien daneben orthopädische Leiden, ein Asthma bronchiale und ein Bluthochdruck. Nach seiner Überzeugung sei auszuschließen, dass die Klägerin jemals wieder arbeitsfähig werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 09.03.2004 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben. Die Bevollmächtigten der Klägerin haben die Klage unter Bezugnahme auf das Attest des Internisten Dr. S. vom 05.02.2004 und ein nervenärztliches Attest des Nervenarztes Dr. E. vom 19.03.2004 begründet (Schreiben vom 30.03.2004). Letzterer hat berichtet, dass er die Klägerin wegen einer schweren Depression mit Somatisierung behandelt habe. Die Depression sei chronifiziert und weder durch Gespräche noch durch Medikamente beeinflussbar. Zudem bestünden ganz offensichtliche körperliche Beschwerden (Übergewicht, Bluthochdruck, chronische Bronchitis). Er könne sich wegen der psychischen und internistischen Beschwerden eine Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht vorstellen.
Zur weiteren Sachaufklärung hat das Gericht Gutachten auf psychiatrischem und internistischem Fachgebiet in Auftrag gegeben.
Der psychiatrische Gutachter Dr. V. hat im Gutachten vom 26.04.2005 Folgendes ausgeführt:
Aufgrund des Verhaltens der Klägerin (die Klägerin sei latent aggressiv, keuchend, zunehmend hyperventilierend, mehrfach weinend und schreiend gewesen, habe sich vom Ehemann an- und auskleiden lassen und nur mit Hilfe des Ehemanns mit Mühe davon bewahrt werden können, sich von der Untersuchungsliege fallen zu lassen) sei eine Anamneseerhebung in der üblichen Form nicht möglich gewesen. Fragen zur biografischen und medizinischen Anamnese habe die Klägerin überhaupt nicht beantwortet. Die Angaben der Klägerin zu den aktuellen Beschwerden beschrieb der Gutachter als äußerst unpräzise ("Kopf ... Fuß ... Hände ... Schmerzen", "Schwindel"). Der neurologische Status sei weitgehend nicht pathologisch. Im psychischen Status hätten sich Hinweise auf eine psychotische Symptomatik, für kognitive Störungen oder für eine manifeste Depression nicht gefunden. Das Verhalten sei vielmehr geprägt von latenter Gereiztheit und Aggression sowie einer massiven Zentrierung des Denkens und Erlebens auf die beschriebenen Befindlichkeitsstörungen.
Bei der Untersuchung hätten ganz eindeutig demonstrative Verhaltensweisen im Vordergrund gestanden. Auffällig sei die Beschreibung demonstrativen oder aggravatorischen Verhaltens über viele Jahre. Die Klägerin wirke von ihrem Verhalten inzwischen sehr beherrscht und verstehe es, dies durchaus auch gezielt einzusetzen. Es bestehe nur der mögliche Verdacht auf eine inzwischen derart fixierte innerseelische Verankerung der beschriebenen Verhaltensmuster, dass sie durch Willensanstrengungen nicht mehr überwunden werden könnten, wahrscheinlich oder sicher könne dies aber nicht festgestellt werden.
Eine wesentliche Veränderung des Gesundheitszustandes habe sich seit der letzten psychiatrischen Untersuchung in Rentenverfahren im März 2002 (die Gutachterin Dr. V. hatte damals eine zum Großteil bewusstseinsnahe Ausgestaltung der Beschwerden beschrieben und war zu einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für leichte bis mittelschwere Arbeiten gekommen ) nicht ergeben.
Der Gutachter hat eine histrionische Persönlichkeitsstörung und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Bei Berücksichtigung dieser Störungen sei die Klägerin noch in der Lage, unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses als Arbeiterin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten zu verrichten. Zu vermeiden seien besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, die Stresstoleranz, Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord oder mit Nacht- oder Wechselschicht.
Die internistische Gutachterin Dr. L. hat im Gutachten vom 06.07.2005 Folgendes erläutert:
Auf internistischem Fachgebiets lägen ein erhebliches Übergewicht (110 kg bei einer Körpergröße von 152 cm) sowie eine Störung des Fettstoffwechsels, eine leichte Hyperurikämieneigung und eine diabetische Stoffwechsellage, die eine Gewichtsreduktion angezeigt erscheinen lasse, vor. Eine Beeinträchtigung des beruflichen Leistungsvermögens resultiere daraus noch nicht. Zudem sei die Klägerin an einer essentiellen arteriellen Hypertonie im Rahmen eines metabolischen Syndroms bei Übergewicht erkrankt. Der Ausübung von körperlich leichten Tätigkeiten ohne seelische Belastungen stünden die Blutdruckwerte aber gerade tagsüber sicher nicht entgegen. Ein Anhalt für eine relevante arteriosklerotische Gefäßstenosierung bestehe trotz des erhöhten Arterioskleroserisikoprofils nicht. Bei der von der Klägerin zeitweise gezeigten Atemnot handle es sich um eine funktionelle Hyperventilation im Rahmen der seelischen Störung. Eine anhaltende relevante Lungenfunktionseinschränkung liege sicher nicht vor, wie Lungenfunktionsmessungen ergeben hätten. Vorbeschrieben sei jedoch eine Neigung zu Bronchitis, so dass Tätigkeiten mit Exposition gegenüber bronchialen Reizen (Kälte, Nässe usw.) nicht auf Dauer zugemutet werden sollten. Aufgrund einer Refluxkrankheit sei der Klägerin häufiges Bücken nicht zumutbar. Bezüglich der von der Klägerin angegebenen Gelenkbeschwerden sei darauf hinzuweisen, dass zu keinem Zeitpunkt ein Anhalt für ein primär entzündliches Gelenkleiden gegeben gewesen sei.
Unter Berücksichtigung der objektivierbaren Gesundheitsstörungen könne die Klägerin körperlich leichte Arbeiten aus wechselnder Arbeitsposition mit überwiegendem Sitzen in geschlossenen Räumen mehr als sechs Stunden täglich verrichten. Zu vermeiden seien schweres Heben und Tragen, besondere Belastungen von Wirbelsäule und Gelenken, die Exposition gegenüber Kälte, Nässe, Zugluft und bronchialen Reizen, besondere psychische Belastungen sowie Nacht- und Wechselschicht. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.
Auf den Hinweis des Gerichts vom 25.07.2005 auf die fehlenden Erfolgsaussichten hin haben die Bevollmächtigten des Klägers einen Arztbrief des behandelnden Nervenarztes Dr. E. vom 18.07.2005 vorgelegt, wonach sich das klinische Bild der Klägerin sowohl betreffend die körperlichen als auch die psychischen Beschwerden seit 1998 nicht geändert habe. Die Klägerin sei ganz fixiert auf ihren Körper und die körperlichen Beschwerden sowie die Ungerechtigkeiten vieler Gutachter, Ärzte und Gerichte, die ihrem Anspruch nach Rente wegen Erwerbsminderung nicht nachkämen. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen der abstrakten Feststellung der Erwerbsfähigkeit und dem klinischen Bild, bei dem man sich schwerlich vorstellen könne, dass die Klägerin in der Lage sei, auch nur leichte Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten.
Mit Urteil vom 08.12.2005 ist die Klage als unbegründet abgewiesen worden. Aus den eingeholten Gutachten ergebe sich, dass die Klägerin noch leichte Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne.
Am 25.04.2006 haben die Bevollmächtigten der Klägerin Berufung eingelegt.
Zur weiteren Sachaufklärung hat das Gericht Befundberichte bei den behandelnden Ärzten eingeholt und Behandlungsunterlagen beigezogen. Der Neurologe Dr. C. hat über eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation infolge eines Massenvorfalls der Halswirbelsäule C5/6 im Oktober 2005 berichtet. Er habe den Verdacht auf eine cervikale radikuläre Läsion C5/6 diagnostiziert. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R. hat mitgeteilt, dass er die Klägerin wegen einer Depression behandele; es bestehe eine deutliche Klagsamkeit und eine Somatisierungsneigung. Der Befund habe sich kontinuierlich verschlechtert. Der Orthopäde Dr. S. hat die Erkrankungen der Klägerin (u.a. LWS-Syndrom, Fingerpolyarthrose, Gonathrose, Impingement-Syndrom) als gleichbleibend beschrieben. Vom 22.06.2006 bis zum 17.07.2006 ist die Klägerin erstmals stationär-psychiatrisch in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie G. behandelt worden. Dort ist die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung mit derzeit schwerer Episode ohne psychotische Symptome gestellt worden. Die Klägerin sei in psychisch gut stabilisiertem Zustand entlassen worden.
Mit Schreiben vom 07.09.2006 haben die Bevollmächtigten der Klägerin die Berufung damit begründet, dass die behandelnden Ärzte die Erwerbsunfähigkeit bestätigt hätten. Die eingeholten Gutachten seien nicht überzeugend. Der Entlassungsbericht der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie G. widerlege die Einschätzung der Gutachter. Durch diesen stationären Aufenthalt sei der Schweregrad der nervenärztlichen Erkrankung belegt.
Im Auftrag des Gerichts ist die Klägerin psychiatrisch und chirurgisch begutachtet worden.
Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. hat im Gutachten vom 12.04.2007 Folgendes erläutert:
Die Klägerin habe angegeben, zuletzt zehn Jahre als Küchenhilfe gearbeitet zu haben. Nach der Kündigung der Arbeitsstelle sei es ihr seelisch sehr schlecht gegangen; die "Kündigung ohne Grund" habe sie "kaputt gemacht", sie habe keine Lust mehr zu leben. Jetzt könne sie nicht mehr arbeiten. Sie leide an Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Schmerzen an Händen und Füßen und Störungen in Händen und Beinen. Häufig trete ein Schwindel auf. Sie habe keine Kraft in den Händen.
Die neurologische Untersuchung habe sich bei mangelnder Kooperation und ausgeprägten Verdeutlichungstendenzen, begleitet von Jammern und Stöhnen, als schwierig gestaltet. Nach Ablenkung hätten die demonstrativen Verhaltensweisen nachgelassen. Motorische Defizite seien nicht objektivierbar. Beim Versuch der Ausführung des Zehen- und Fersenstandes sei die Klägerin sofort mit den Beinen zusammen gesackt, was organpathologisch bei gut ausgebildeter Muskulatur nicht erklärbar sei. Der Lasegue sei nicht überprüfbar gewesen, da die Klägerin dagegen gespannt habe. Die neurologische Untersuchung habe den Verdacht auf sensible Nervenwurzelreizerscheinungen im Bereich des linken Arms und der linken Hand ohne motorische Defizite ergeben.
In psychischer Hinsicht erscheine die Klägerin sehr auffällig durch Klagsamkeit, Agitiertheit, demonstratives, appellatives und aggravatorisches Verhalten. Die Grundstimmung sei depressiv, dysphorisch getönt. Die Klägerin sei aber außerordentlich stark auf die als ungerecht erlebte "Kündigung ohne Grund" und die Vorstellung, durch die Kündigung "seelisch kaputt gemacht" worden zu sein, fixiert. Hinweise für das Vorliegen einer endogenen Psychose bestünden nicht. Die Klägerin wirke ausgesprochen passiv und initiativegemindert. Die von ihr angegebenen Orientierungsstörungen und Gedächtnisstörungen seien eher auf mangelnde Kooperation oder ein pseudodementes Verhalten als auf ein organisches Psychosyndrom zurückzuführen. Die Persönlichkeit sei sehr wahrscheinlich überwiegend von histrionischen Persönlichkeitszügen geprägt.
Laborchemische Untersuchungen bezüglich des verordneten Schmerzmittels und der Antidepressiva hätten Werte unterhalb der Messgrenze ergeben. Dies bedeute, dass die Klägerin entgegen ihren eigenen Angaben und den Angaben des Ehemanns die verordneten Medikamente nicht einnehme; dies spreche für eine fehlende Behandlungsbereitschaft und einen geringen Leidensdruck.
Bei der Klägerin lägen folgende Gesundheitsstörungen vor: Dysthymie im Sinne einer chronisch-depressiven Entwicklung nach Arbeitsplatzverlust, differenzialdiagnostisch rezidivierende depressive Störung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Rentenneurose, histrionische Persönlichkeit, Spannungskopfschmerzen, HWS- und LWS-abhängige Beschwerden bei degenerativen Veränderungen ohne neurologische Funktionsausfälle. Eine schwerergradig ausgeprägte Depression, die Grund für eine Berentung sein könnte, liege nicht vor. Vom Gesamtaspekt her würden bei der Klägerin neurotische und aggravatorische Verhaltensweisen vorliegen. Die Klägerin nehme trotz des von ihr geschilderten Ausmaßes der psychischen Beschwerden keine Medikamente ein. Das Ausmaß der geschilderten Beschwerden stehe daher nicht in Übereinstimmung mit der Inanspruchnahme therapeutischer Hilfen. Auch würden die körperlichen Beschwerden (Schmerzen) von der Klägerin wenig konsistent vorgebracht; bei der jetzigen Begutachtung habe sie Beschwerden vor allem in der linken Körperseite geschildert, während bei der Begutachtung im Jahre 2003 Schmerzen im Bereich der rechten Körperhälfte angegeben worden seien. Bei anderen Gutachtern habe die Klägerin diffuse Schmerzen am ganzen Körper ohne nähere Präzisierung geschildert. Organpathologisch seien die Schmerzen nur teilweise durch den Massenvorfall C 5/6 erklärbar.
Die von der Klägerin bei der jetzigen und auch früheren Begutachtungen gezeigte Aggravation und demonstrative Verhaltensweisen seien vor dem Hintergrund der histrionischen Persönlichkeitsstörung und des Rentenbegehrens zu sehen. Es sei eine Bewusstseinsnähe bei der Ausgestaltung des Beschwerdebildes anzunehmen. Andererseits zeige sich bei dem nun über fast 10 Jahre gehenden Krankheitsverlauf, dass es bei der Klägerin zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensgestaltung gekommen sei, wie sich aus ihrer Schilderung des Tagesablauf ergebe; dies könnte sogar auf eine maligne Regression hindeuten. In einem derartigen Fall könnte die Überbewertung der gesundheitlichen Beschwerden dem willentlichen Zugriff der Klägerin entglitten sein. Es stelle sich hier jedoch die Frage, weshalb die Klägerin während der Untersuchung spontan, von sich aus, mehrfach angegeben habe, regelmäßig die verordneten Medikamente einzunehmen, was mit dem fehlenden Serumspiegel erschüttert sei. Die Angaben der Klägerin seien daher inkonsistent und zum Teil nicht glaubhaft, was für überwiegend bewusstseinsnah dargebotene Verhaltensweisen und zweckgerichtete Tendenzen spreche. Sehr wahrscheinlich ziehe die Klägerin auch aus der Rolle als Schwerkranke innerhalb der Familie einen sekundären Krankheitsgewinn.
Trotz der unverkennbar bestehenden ausgeprägten psychopathologischen Auffälligkeiten seitens der Klägerin ist die Gutachterin, begründet mit der Bewusstseinsnähe der dargebotenen Verhaltensweisen und Beschwerden und dem zweckgerichteten Verhalten, von einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen der Klägerin für leichte körperliche Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen (keine Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, mit besonderem Zeitdruck oder besonderen Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, das Umstellungs- und Anpassungsvermögen, mit Heben und Tragen schwerer Lasten und mit häufigem Bücken) ausgegangen.
Der Arzt für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. D. hat im Gutachten vom 18.04.2007 Folgendes ausgeführt:
Die Klägerin habe Kopfschmerzen und Nacken- bzw. Rückenschmerzen diffuser Art geschildert; auch die ganze linke Seite täte ihr weh. Die Klägerin habe angegeben, einfach keine Lust mehr zu haben; sie sei mit den Nerven am Ende. Sie sei in Tränen ausgebrochen und habe sich über die aus ihrer Sicht ohne Grund ausgesprochene Kündigung erregt.
Die bei der Untersuchung gewonnenen Untersuchungsergebnisse (zur Beweglichkeit) seien nur eingeschränkt verwertbar, da die Klägerin bei diversen Untersuchungen dagegen gespannt habe. Eindeutige Gelenkdefizite seien nicht zu ermitteln. Der bekannte Massenvorfall bei C5/6 habe keine motorischen Defizite hinterlassen. Die Röntgenbilder würden keine höhergradigen degenerativen Veränderungen zeigen, weder im Bereich des Beckens noch im Bereich der HWS. Auf den vorgelegten Aufnahmen der Kniegelenke und der rechten Schulter sei ein fassbares Korrelat für die angegebenen Schmerzen nicht erkennbar. Atrophien lägen nicht vor.
Auf seinem Fachgebiet hat der Gutachter ein LWS-Syndrom ohne Nachweis höhergradiger radiologischer degenerativer Veränderungen mit pseudoradikulären Beschwerden, ein HWS-Syndrom mit linksseitigen pseudoradikulären Beschwerden ohne Nachweis eines peripheren oder sensomotorischen Defizits, einen Zustand nach Carpaltunnelsyndrom-Operation beidseits und Gonalgien diagnostiziert.
Aufgrund der vorliegenden Beschwerden könne die Klägerin noch leichte Tätigkeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen mehr als sechs Stunden täglich verrichten. Zu vermeiden seien Arbeiten im Freien, mit gehäuftem Bücken, Heben und Tragen von Lasten über 7,5 kg, Besteigen von Leitern und Gerüsten und Treppensteigen. Die Arbeit solle im Wechselrhythmus erfolgen. Der Anmarschweg zur Arbeitsstätte sei nach den objektivierbaren Befunden nicht gemindert.
Auf Antrag der Bevollmächtigten der Klägerin vom 30.04.2007gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Orthopäde Dr. S. die Klägerin begutachtet. Im Gutachten vom 09.06.2008 hat er Folgendes beschrieben:
Die Klägerin leide an einer Cervicobrachialgie und Cephalgie, einem vertebragenen Schwindel bei Uncovertebralarthrose, einem degenerativen Facettensyndrom der LWS, einer Spinalkanalstenose L4/5 mit Claudicatio spinalis, einer Gonarthrose beidseits mit Reizkniebildung, einem Impingement-Syndrom beidseits, einem Hallux valgus beidseits und an einer Fingerpolyarthrose.
Durch diese Erkrankungen komme es zu Schmerzen multilokulär, vor allem jedoch zu Bewegungseinschränkungen in der HWS, in den Schultergelenken und der LWS. Es bestehe ein gesicherter Massenvorfall C5/6 mit Dysästhesien im Nervenversorgungsgebiet, welche vom Neurologen im Sinne einer Radikulopathie verifiziert worden seien. Durch die Uncovertebralarthrose würden häufig Schwindelattacken mit Gangunsicherheit entstehen. Ausdruck der Spinalkanalstenose L4/5 seien eine Krampfneigung und Missempfindungen in beiden Beinen. Durch die Gonarthrosen beidseits ergebe sich ein Schonhinken, ein verlangsamtes Gangbild und eine verkürzte Gehstrecke.
Der Gesundheitszustand der Klägerin unterliege nicht raschen Veränderungen, sondern beruhe auf einer kontinuierlichen Verschlechterung.
Der Klägerin seien schwere, mittelschwere und auch leichte Tätigkeiten nicht mehr, auch nicht weniger als drei Stunden zumutbar. Auch könne die Klägerin eine Wegstrecke von 500 m nicht mehr zu Fuß zurücklegen. Dieser Zustand bestehe seit November 2003.
Unter Vorlage von zwei prüfärztlichen Stellungnahmen vom 26.06.2008 und 29.07.2008 hat die Beklagte am Gutachten des Dr. S. beanstandet, das dessen Diagnosen teilweise nur das von der Klägerin permanent vorgebrachte Beschwerdebild wiedergeben würden, nicht aber den objektiven Krankheitszustand, der Gutachter also die demonstrativen Angaben der Klägerin übernommen habe, ohne dass korrelierende Befunde angegeben werden könnten. Die vom Gutachter angefertigten Röntgenaufnahmen seien von derart schlechter Qualität, dass sich keine validen Befunde, Beurteilungen oder Diagnosen ableiten lassen würden. Die Annahme einer neurologischen Schädigung im Sinne einer Radikulopathie sei unzutreffend, da lediglich der Verdacht darauf diagnostiziert worden sei. Eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes sei nicht belegt. Der Schluss, das Leistungsvermögen sei auch für leichte Tätigkeiten auf unter drei Stunden abgesunken, sei nicht nachvollziehbar, insbesondere nicht die Aussage, dass dieser Zustand bereits seit November 2003 bestehe. Dieser Feststellung stünden mehrere Gutachten entgegen, insbesondere das chirurgische Gutachten des Dr. L. vom 05.05.2003. Zudem hat die Beklagte ausgeführt, dass das Verhalten der Klägerin im Gegensatz zu den Vorbegutachtungen offensichtlich unauffällig gewesen sei, zumindest habe der Gutachter Dr. S. keine ungewöhnlichen Verhaltensweisen beschrieben.
Nach dem Hinweis des Gerichts, dass die Einwendungen der Beklagten gegen das Gutachten des Dr. S. überzeugend erscheinen würden (Schreiben vom 19.08.2008), haben die Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 09.09.2008 ein ärztliches Attest des Dr. S. vom 02.09.2008 übersandt. Darin hat dieser darauf hingewiesen, dass eine Beurteilung der depressiven Grundstimmung der Klägerin nicht Umfang seines Gutachtens gewesen sei, da er orthopädisch ausgerichtet sei. Eine grundsätzliche Melancholie könne er selbstverständlich befürworten, wolle sich dazu aber nicht näher äußern, da dies nicht in sein Fachgebiet falle. Sein Gutachten beruhe auf den orthopädischen fassbaren Krankheitsbildern. Die Stellungnahme der Beklagten halte er in diesem Zusammenhang für gegenstandslos.
In der mündlichen Verhandlung vom 30.10.2008 hat die Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.12.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 22.01.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 03.11.2003 Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Vertreterin der Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat lagen die Prozessakten beider Rechtszüge, die Akten des Sozialgerichts München zu den Aktenzeichen S 14 RJ 1452/99 und S 6 RJ 982/02 und die Akten der Beklagten vor. Zur Ergänzung des Sachverhalts, insbesondere hinsichtlich des Vortrags der Prozessbeteiligten, wird hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht München ist im Urteil vom 08.12.2005 zutreffend davon ausgegangen, dass eine zeitliche Leistungsminderung bei der Klägerin nicht bewiesen ist und sie daher keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung gem. 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) hat.
Voraussetzung für die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ist u.a. eine rentenrechtlich relevante Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Bei der Prüfung, ob eine Erwerbsminderung vorliegt, kommt es nicht auf den bisherigen Beruf an, sondern darauf, ob mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen noch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich verrichtet werden können.
Sofern das Leistungsvermögen bei sechs oder mehr Stunden liegt, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Erwerbsminderung nicht vorliegt und dem Versicherten der Arbeitsmarkt nicht verschlossen ist (vgl. Niesel, in: Kasseler Kommentar, § 43 SGB VI, Rn. 34). Das - gegebenenfalls durch gewisse qualitative gesundheitliche Einschränkungen erhöhte - Risiko, einen offenen Arbeitsplatz zu finden, trägt die Arbeitslosenversicherung und nicht die Rentenversicherung (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 27.05.1977, Az.: 5 RJ 28/76). Im Rahmen der Frage, ob Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren ist, ist es damit grundsätzlich unerheblich, wie die Chancen eines Versicherten auf dem Arbeitsmarkt sind.
Ausnahmsweise ist auch bei vorliegender sechsstündiger Erwerbsfähigkeit von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes und damit von einer Erwerbsminderung auszugehen, wenn ein Versicherter den Weg zur Arbeitsstelle nicht zurücklegen kann. Zur Erwerbsfähigkeit gehört nämlich auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können (vgl. BSG SozR 2200 § 1247 Nrn. 47, 50, 53, 56). Dabei kommt es nicht auf den konkreten Weg vom Wohnort zu einer Arbeitsstelle oder zur Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels an, sondern darauf, welche Wege üblich sind. Nach der Rechtsprechung des BSG zum bis zum 31.12.2000 geltenden Recht (vgl. SozR 2200 § 1247 Nr. 56) kann eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes wegen fehlender Wegefähigkeit grundsätzlich angenommen werden, wenn nur noch eine Gehfähigkeit vorhanden ist, die maximal 500 m Wegstrecke zulässt. Diese Grundsätze zur Wegefähigkeit gelten in gleicher Weise für das ab dem 01.01.2001 geltende Recht (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28.08.2002, Az: B 5 RJ 12/02 R).
Versicherte, deren Leistungsvermögen sich am allgemeinen Arbeitsmarkt orientiert, sind grundsätzlich auf jede erwerbswirtschaftliche Tätigkeitsart verweisbar, die keine formale Ausbildung erfordert. In diesen Fällen besteht daher nach ständiger Rechtsprechung des BSG auch grundsätzlich kein Anlass zur Benennung einer spezifischen Verweisungstätigkeit, weil auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung steht, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteile vom 18.04.1978, Az.: 4 RJ 55/77; vom 28.08.1991, Az.: 13/5 RJ 47/90).
Die anspruchsbegründenden Tatsachen, also insbesondere der Umstand, dass das Leistungsvermögen eines Versicherten allein wesentlich bedingt durch Krankheit oder Behinderung ab einem bestimmten Zeitpunkt dauerhaft derart herabgesunken ist, dass er mit seinem Restleistungsvermögen nicht mehr in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, müssen im Vollbeweis nachgewiesen sein.
Der Vollbeweis erfordert, dass die Tatsachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen müssen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht - BayLSG -, Urteil vom 26.07.2006, Az.: L 16 R 100/02; BSG, Urteil vom 14.12.2006, Az.: B 4 R 29/06 R). Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 30.04.1985, Az.: 2 RU 43/84). Oder in anderen Worten gesagt - das Gericht muss von der zu beweisenden Tatsache mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgehen können (vgl. BSG, Urteil vom 02.02.1978, Az.:8 RU 66/77). Es darf kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr bestehen (vgl. BayLSG, Urteil vom 26.07.2006, Az.: L 16 R 100/02).
Kann das Gericht die genannten Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen, gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. BSG, Urteil vom 29.06.1967, Az.: 2 RU 198/64). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht im Vollbeweis nachgewiesen werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten möchte, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 24.10.1957, Az.:10 RV 945/55). Denn für das Vorliegen der rechtsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen der Erwerbsminderung trägt der Versicherte die Darlegungs- sowie die objektive Beweislast (vgl. BSG, Urteil vom 23.10.1996, Az.: 4 RA 1/96).
Im vorliegenden Fall hat der Senat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Klägerin nur noch weniger als sechs Stunden leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter gewissen qualitativen Einschränkungen verrichten könnte. Dies wäre aber im Vollbeweis nachzuweisen, um dem Begehren der Klägerin Rechnung tragen zu können. Auch eine Einschränkung der Wegefähigkeit ist nicht bewiesen. Von einer Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI ist damit nicht auszugehen.
Die Klägerin gibt orthopädische und psychische Beschwerden an. Nach den Angaben ihres behandelnden Hausarztes Dr. S. im Attest vom 05.02.2004, die insofern plausibel erscheinen, stehen bei der Klägerin die für das psychische Gebiet angegebenen Beschwerden im Vordergrund. Auch sie selbst hat im Übrigen zur Begründung ihres Rentenantrags an erster Stelle psychische Beschwerden angeführt.
Die bei der Klägerin vorliegenden psychischen Beschwerden sind nicht so stark ausgeprägt, dass daraus eine zeitliche Leistungsminderung resultieren würde. Die Annahme ihres Hausarztes Dr. S., dass eine schwerste soziale Anpassungsstörung verbunden mit einem anhaltenden depressiven Erschöpfungssyndrom gegeben wäre, hat sich bei den durchgeführten Begutachtungen durchweg nicht bestätigen lassen.
Sowohl der psychiatrische Gutachter im Verfahren vor dem Sozialgericht als auch die vom Senat beauftragte Sachverständige auf diesem ärztlichen Fachgebiet haben, wie auch schon die in früheren Rentenverfahren beauftragten Sachverständigen, eine tiefergehende psychische Erkrankung nicht feststellen können. Eine histrionische Persönlichkeitsstörung und eine somatoforme Schmerzstörung, nach den Angaben der Gutachterin Dr. M. auch eine Dysthymie und eine Rentenneurose bei Kopfschmerzen und Wirbelsäulenbeschwerden können eine zeitliche Leistungseinschränkung auf unter sechs Stunden täglich nach der übereinstimmenden und für den Senat nachvollziehbaren Einschätzung der Sachverständigen nicht begründen. Soweit die Klägerin bei Begutachtungen Orientierungsstörungen und Gedächtnisstörungen angegeben hat, ist der Senat davon überzeugt, dass derartige Störungen von der Klägerin zielgerichtet und aggravatorisch angegeben worden sind, um der Erfüllung ihres Rentenwunsches näher zu kommen. Eine derartige überzeichnete und zweckgerichtete Beschreibung ihrer Beschwerden haben im Übrigen alle Gutachter, nicht nur auf dem nervenärztlichen Fachgebiet, mit Ausnahme des Orthopäden Dr. S. beschrieben. Auch der behandelnde Nervenarzt Dr. E. hat in seinem Bericht vom 05.02.2002 eine Aggravationstendenz bei Rentenwunsch angegeben.
Wie von den nervenärztlichen Gutachtern thematisiert, kann eine derartige Ausgestaltung des Beschwerdebildes, wie es bei der Klägerin gegeben ist, bei entsprechend langer Aufrechterhaltung und Fixierung auch Krankheitswert erreichen. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine zunächst willentlich erfolgte Überbewertung der gesundheitlichen Beschwerden verselbstständigt, dem willentlichen Zugriff des Betroffenen entgleitet und dadurch der Zustand einer willentlichen Anstrengung nicht mehr zugänglich ist. Davon kann bei der Klägerin nicht ausgegangen werden. Zwar erhält sie den von ihr als ganz massiv geschilderten Beschwerdezustand nunmehr bereits seit zehn Jahren aufrecht und hat offensichtlich - jedenfalls wenn ihren Angaben zum Tagesablauf gefolgt wird - bereits eine nicht unerhebliche Reduzierung des Alltagslebens auf sich genommen. Auf der anderen Seite gibt es jedoch gewichtige Indizien dafür, dass die von der Klägerin dargebotenen Verhaltensweisen nach wie vor bewusstseinsnah ausgestaltet sind und zielgerichtet eingesetzt werden. Dafür spricht zum einen, dass die Klägerin bei der Begutachtung durch Frau Dr. M., offensichtlich ohne entsprechende Nachfrage durch die Sachverständige, mehrfach auf die Einnahme der ihr verordneten Arzneimittel hingewiesen hat. Ganz abgesehen davon, dass ein derartiges Vorbringen in einem gewissen Widerspruch zu ihren sonstigen Angaben, z.B. zu ihrer Biographie, die oft durch Gedächtnislücken geprägt sind, steht, haben die Blutuntersuchungen der Gutachterin auch ergeben, dass die Klägerin derartige Arzneimittel nicht einnimmt. Dies belegt, dass die Klägerin mit der Angabe zu den angeblich eingenommenen Arzneimitteln zielgerichtet ihren schlechten psychischen Gesundheitszustand, auf den sich aus der Einnahme von Arzneimitteln ein gewisser Rückschluss ziehen lassen würde, dokumentieren wollte. Die Klägerin ist also sehr wohl noch in der Lage, durch den zielgerichteten Einsatz bestimmter Ausführungen zu ihrem Gesundheitszustand den Eindruck massiver Beschwerden zu erwecken. Dies belegt, dass eine Verselbstständigung der übertrieben dargestellten Beschwerden noch nicht eingetreten ist. Gegen eine krankheitswertige Verselbstständigung der Beschwerden und für eine bewusstseinsnahe Ausgestaltung durch die Klägerin spricht auch, dass als einziger Gutachter Dr. S. eine Aggravation oder Verdeutlichung der Beschwerden durch die Klägerin nicht beschrieben hat und auch die von ihm erhobenen Funktionswerte (insbesondere Bewegungsmaße) teilweise deutlich besser als die bei den Vorbegutachtungen erhobenen Werte sind, was darauf hindeutet, dass eine Aggravation der Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. S. nicht oder zumindest nicht in so großem Umfang wie bei früheren Begutachtungen erfolgt ist, also ihre Beschwerdeausgestaltung von der jeweiligen Untersuchungssituation abhängig ist. Die Tatsache, dass die Klägerin bei einer Begutachtung durch einen Arzt ihres Vertrauens - Dr. S. ist nicht nur gemäß § 109 SGG als Gutachter benannt worden, sondern auch der behandelnde Orthopäde der Klägerin - ihre Beschwerden nicht (so deutlich) aggraviert wie sonst dargestellt hat, belegt, dass die Kläger nach wie vor in der Lage ist, ihre angeblichen Beschwerden bei Bedarf entsprechend überzeichnet darzustellen. Von einer Verselbstständigung der übertrieben geschilderten Beschwerden ist daher nicht auszugehen. Schließlich belegt die fehlende Medikamenteneinnahme auch, dass die Beschwerden nicht so stark ausgeprägt sein können, wie sie die Klägerin angibt; denn anderenfalls wäre ihr Leidensdruck so hoch, dass sie die in derartigen Fällen medizinisch angezeigten Arzneimittel auch einnehmen würde.
Auch aufgrund der orthopädischen Beschwerden lässt sich eine zeitliche Leistungsminderung nicht begründen. Soweit der gemäß § 109 benannte Gutachter Dr. S. eine zeitliche Leistungsreduzierung auf unter drei Stunden täglich zu erkennen meint, ist diese Einschätzung nicht nachvollziehbar. Entsprechend massiv ausgeprägte Befunde, die eine derartige Leistungseinschränkung begründen könnten, liegen - auch nach den im Gutachten des Dr. S. festgehaltenen objektiven Befunden - nicht vor.
Der Gutachter Dr. S. sieht aufgrund der orthopädischen Erkrankungen Schmerzen an verschiedenen Stellen, vor allem jedoch Bewegungseinschränkungen im Bereich von HWS, LWS und Schultergelenken und legt diese Gesichtspunkte seiner Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung zu Grunde. Beide Aspekte können aber nicht überzeugen. Denn die vom Gutachter genommenen Bewegungsmaße stellen keine so deutlichen Abweichungen vom Normzustand dar, als dass sich daraus Hinweise für eine so massive Beeinträchtigung ergeben würden, dass eine zeitliche Leistungseinschränkung plausibel wäre.
Die Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung infolge der vorliegenden Schmerzen lässt sich nicht begründen. Irgendwelche überzeugenden Anhaltspunkte, dass die von der Klägerin behaupteten - und offenbar vom Gutachter weitgehend unreflektiert zugrunde gelegten - Schmerzen auch tatsächlich vorliegen, lassen sich nicht finden. Zwar ist die Beurteilung von Schmerzen grundsätzlich problematisch, da es objektive Methoden zur unmittelbaren Messung der Schmerzes nicht gibt. Liegen jedoch Schmerzen erheblichen Ausmaßes vor, lassen sich Indizien finden, die zu einer Objektivierung der Schmerzangaben beitragen. Dies wären beispielsweise Muskelminderungen infolge Schonhaltung, Bewegungseinschränkungen zur Schmerzvermeidung oder auch psychische Probleme, wie sie im vorliegenden Falle durch die psychiatrischen Gutachter nicht verifiziert werden konnten. Indizien, wie sie von einem Orthopäden zu erkennen wären, hat Dr. S. nicht beschrieben. Es liegt der Eindruck sehr nahe, dass der Gutachter die subjektiven Beschwerdeangaben der Klägerin als objektive Fakten zu Grunde gelegt hat, ohne eine Objektivierung auch nur ansatzweise zu versuchen. Dabei hat er sich nicht damit auseinander gesetzt, dass zahlreiche Hinweise auf ein demonstratives/aggravato- risches Verhalten der Klägerin (nicht nur in den Gutachten, sondern auch im Bericht des behandelnden Nervenarztes Dr. E. vom 05.02.2002: "Aggravationstendenz bei Rentenwunsch") vorliegen und es daher angezeigt gewesen wäre, die von der Klägerin angegebenen Beschwerden auf ihre Objektivierbarkeit zu überprüfen. Dies hat der Gutachter nicht gemacht.
Nicht nachvollziehbar ist beim Gutachten gemäß § 109 SGG auch, dass der Gutachter von einer Claudicatio spinalis, einem Hinken infolge einer Spinalkanalstenose ausgeht. Zwar ist es richtig, dass aus einer Enge des Spinalkanals im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule bei entsprechender Kompression der Nervenwurzeln sich ein Hinken ergeben kann. Im vorliegenden Fall sind aber derartige neurologische Schäden nicht belegt. Vielmehr ist bei den durchgeführten nervenärztlichen Begutachtungen eine neurologische funktionelle Schädigung nicht festgestellt worden. Auch von den behandelnden Ärzten sind neurologische Schäden im Bereich der Lendenwirbelsäule, die zu einer Claudicatio spinalis führen könnten, nie verifiziert worden ist. Zudem hat der Gutachter selbst im Rahmen seines neurologischen Befundes als pathologisch im Wesentlichen nur ein herabgesetztes Gefühlsempfinden, nicht aber weitergehende funktionelle neurologische Schäden beschrieben.
Ob die vom Gutachter vorgenommene Befundung der von ihm angefertigten Röntgenaufnahmen nachvollziehbar ist oder die Aufnahmen von so schlechter Qualität sind, dass sich daraus keine sicheren Aussagen treffen lassen können, wie dies die Beklagte beanstandet, kann letztlich dahingestellt bleiben, da nicht die radiologischen Befunde, sondern die funktionellen Einschränkungen, auf die sich aus Röntgenaufnahmen nicht zwingend zurückschließen lässt, maßgeblich sind.
In sich widersprüchlich ist das Gutachten des Dr. S. auch insofern, als er einerseits eine kontinuierliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes infolge der degenerativen Veränderungen beschreibt, andererseits davon ausgeht, dass der bei der Klägerin jetzt vorliegende Zustand bereits seit November 2003 bestehe. Zum einen ist aufgrund des im Verfahren S 6 R 982/02 des Sozialgerichts München eingeholten orthopädisch-chirurgischen Gutachtens des Dr. L. vom 05.05.2003, das inhaltlich überzeugend ist, davon auszugehen, dass eine zeitliche Leistungseinschränkung damals nicht vorgelegen hat. Die Annahme des Gutachters Dr. S., dass bereits im November 2003 die zeitliche Leistungsfähigkeit der Klägerin auf unter drei Stunden gesunken sein sollte, ist demgegenüber nicht nachvollziehbar, da nichts ersichtlich ist, was auf eine massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin zwischen Mai und November 2003 hindeuten könnte und der Gutachter Dr. S. keinerlei Hinweise gegeben hat, warum er so stark von der Einschätzung des Dr. L. im Jahre 2003 abweicht. Zudem belegt ein Vergleich der objektiven Messwerte zur Beweglichkeit der Klägerin, wie sie in den beiden vorgenannten orthopädischen Begutachtung erhoben worden sind, dass eine massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Kläger nicht eingetreten ist. Widersprüchlich ist das Gutachten des Dr. S. bezüglich der von ihm im Gutachten angegebenen Verschlechterung schließlich deshalb, weil er an anderer Stelle, nämlich bei der Abgabe des vom Senat angeforderten Befundberichts vom 31.07.2006, jedenfalls für den Zeitraum seiner Behandlung (ab Oktober 2005) ausdrücklich angegeben hat, die Befunde seien gleichbleibend gewesen.
Aus den aufgezeigten Gründen kann der Senat auch der Einschätzung des Dr. S. nicht folgen, dass die Wegefähigkeit der Klägern eingeschränkt wäre. Irgendwelche nachvollziehbaren objektiven Befunde, die eine Reduzierung der Gehfähigkeit auf unter 500 m viermal am Tag begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Wie der chirurgische Gutachter Dr. D. überzeugend erläutert hat, liegen keine höhergradigen degenerativen Veränderungen im Bereich der Hüfte und der unteren Extremitäten vor. Eine neurologisch bedingtes Hinken ist - wie bereits ausgeführt - auszuschließen.
Die bei der Klägerin vorliegenden degenerativen Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule und der Extremitäten können daher eine zeitliche Leistungseinschätzung, wie sie vom Gutachter Dr. S. getroffen worden ist, nicht erklären. Dem Gutachten ist nicht zu folgen.
Wie das Gutachten der Dr. L. vom 06.07.2005 auf internistischem Fachgebiet ergeben hat, liegen auf diesem Fachgebiet keine rentenrelevanten Erkrankungen vor. Anhaltspunkte, dass sich diesbezüglich seit der Begutachtung maßgebliche Änderungen ergeben hätten, haben sich im Verfahren nicht ergeben. Weitere Ermittlungen waren insofern nicht angezeigt.
Der gesundheitliche Zustand der Klägerin lässt es nach wie vor zu, dass sie zumindest leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich nachgeht. Eine Erwerbsminderung liegt daher nicht vor. Da die Klägerin keine qualifizierte Anlerntätigkeit (Anlern- oder Ausbildungszeit von mehr als 12 Monaten) oder gar Facharbeitertätigkeit ausgeübt hat, kommt auch ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gem. § 240 SGB VI hier nicht in Betracht.
Die Berufung ist als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass die Klage im Ergebnis erfolglos geblieben ist.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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