S 79 KA 1907/06 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
79
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KA 1907/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag wird zurückgewiesen. Die Kosten trägt die Antragstellerin. Der Streitwert beträgt 1 Million Euro.

Gründe:

I.

Die Antragsstellerin wendet sich mit dem vorliegenden Verfahren gegen den vom Antragsgegner am 18. Juli 2006 bzw. 19. September 2006 gefassten Beschluss über die Aufnahme kurzwirksamer Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes Mellitus Typ II in die Anlage 10 der Arzneimittelrichtlinien und den damit verbundenen Verordnungsausschluss sowie gegen den Beschluss vom 10. April 2008, mit dem die Arzneimittelrichtlinie in Anlage 10 geändert wurde und nunmehr um den folgenden Satz ergänzt wurde: "Die gilt nicht für Patienten mit Allergie gegen den Wirkstoff Humaninsulin, bei denen trotz Intensivierung der Therapie eine stabile adäquate Stoffwechsellage mit Humaninsulin nicht erreichbar ist, dies aber mit kurzwirksamen Insulinanaloga nachweislich gelingt, bei denen aufgrund unverhältnismäßig hoher Humaninsulindosen eine Therapie mit kurzwirksamen Insulinanaloga im Einzelfall wirtschaftlicher ist."

Die Antragstellerin ist pharmazeutische Unternehmerin und vertreibt unter anderem die Arzneimittel H und H-M. Beide Arzneimittel sind zentral für die gesamte Europäische Union zugelassen; dies bedeutet, dass die Zulassung von der Europäischen Kommission erteilt worden ist. Die Antragstellerin ist laut Fachinformation beider Arzneimittel als nationaler Vertriebspartner aufgeführt, d.h. die Antragstellerin vertreibt auf eigene Rechnung die Arzneimittel H und H-M in Deutschland und führt deshalb auch den Herstellerrabatt nach § 130 a SGB V an die gesetzlichen Krankenkassen ab. H und H-M gehören zu den so genannten Insulinanaloga. Die Insulinanaloga sind gentechnologisch hergestellte Arzneimittel, die auf Basis der Molekülstruktur des Humaninsulins durch eine Modifikation der Aminosäuresequenz entwickelt wurden. Es handelt sich dabei um ein dem Insulin ähnliches Molekül. Ziel der Insulinanaloga ist, dass diese schneller resorbiert werden, als normales Insulin. Die Antragstellerin trägt vor, dass in Deutschland ca. 200.000 Patienten mit Typ 2 Diabetes Mellitus auf Insulinanaloga eingestellt worden sind.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die Beschlüsse des Antragsgegners rechtswidrig seien. Sie führt aus, dass der Verordnungsausschluss Artikel 3 und 12 Grundgesetz verletze. Außerdem seien die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage nach § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht erfüllt. Die Entscheidung bezüglich des Ausschlusses von Insulinanaloga sei fehlerhaft zu Stande gekommen. Es habe keine Anhörung zum Berichtsplan durch das IQWiG stattgefunden. Außerdem liege die Besorgnis der Befangenheit der Entscheidungsträger beim IQWiG vor, die Transparenzrichtlinie 98/105/EWG sei nicht beachtet worden. Außerdem habe der Antragsgegner nicht zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Verordnungsausschusses angehört. Darüber hinaus verstoße die Bewertung durch den Antragsgegner gegen allgemein anerkannte Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. Weiterhin seien die Interessen der zu behandelnden chronisch Kranken nicht berücksichtigt. Es sei außerdem so, dass die wissenschaftliche Bewertung durch das IQWiG nicht zutreffend sei und insgesamt die Entscheidung unverhältnismäßig sei. Der Antragsgegner habe allein wegen der Preisunterschiede zu dem Mittel des Verordnungsausschlusses gegriffen. Dies sehe das SGB V so nicht vor.

Es sei zwar richtig, dass Rabattverträge mit allen großen Krankenkassen abgeschlossen worden seien, die Marktverdrängung werde dadurch aber nicht verhindert. Es gebe einen realen Verlust von circa 10 Millionen Euro von Oktober 2006 bis Februar 2007. Dieser Verlust errechne sich aufgrund des Preisrückgangs durch die Rabattverträge. Außerdem seien auch die Mengen der Verordnung durch die Beschlüsse des Antragsgegners zurückgegangen. Durch die Abänderung des Beschlusses habe sich eine zusätzliche Beeinträchtigung der Antragstellerin ergeben, denn bisher hätten sich die Ausnahmen in der Begründung befunden, so dass der Arzt auf der Grundlage des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V mit besonderer Begründung abweichen konnte. Nunmehr hat der Arzt die Möglichkeit in weiteren Fällen zu verordnen, so dass die gering geschätzte Ausnahmequote der Rabattverträge nicht mehr richtig und diese Vertragskalkulation praktisch nicht änderbar sei.

Dem ist der Antragsgegner entgegengetreten. Er ist der Auffassung, dass ein Anordnungsgrund nicht gegeben sei. Nach § 130 a Abs. 8 SGB V sei die Möglichkeit zum Abschluss von Rabattverträgen und somit die Verordnungsfähigkeit der Präparate von Anbeginn an hergestellt gewesen. Allein die Tatsache, dass das Analoginsulin auf dem Preisniveau des Humaninsulins abgesenkt werden müsse, ließe nicht die Rechtswidrigkeit der Beschlüsse folgen. Da die Antragstellerin solche Rabattverträge mit allen großen Krankenkassen abgeschlossen habe, bestehe keine Gefahr, dass sie aus dem Markt verdrängt werde. Sie habe auch einen Umsatzeinbruch nicht glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsanspruch sei für den Antragsgegner auch nicht erkennbar, da das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Es sei auch eine Anhörung erfolgt und der Antragsgegner habe sich mit den Stellungnahmen und den Argumenten des IQWiG auseinander gesetzt. Dementsprechend sei auch materiell-rechtlich kein Anspruch zu erkennen. Aus der Nutzungsbewertung des IQWiG ergebe sich, dass kurzwirksame Insulinanaloga bei Typ 2 Diabetes im Vergleich zum Humaninsulin keinen therapeutischen Zusatznutzen hätten, so dass die Bewertung nicht habe positiv ausfallen können. Selbst wenn man davon ausginge, dass bei Entscheidungsträgern des IQWiG Befangenheit vorgelegen habe, hätte dies keine Auswirkungen, da kein Verwaltungsverfahren bei dem IQWiG durchgeführt werde, sondern erst durch die Umsetzung der Bewertung durch den Antragsgegner ein Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt werde, da erst dessen Entscheidungen Außenwirkungen haben. Außerdem habe der Antragsgegner keine Zweifel an der unparteiischen Tätigkeit des IQWiG. Der Antragsgegner weist außerdem darauf hin, dass auch die Rechtsprechung des BSG generell von Phase 3 Studien ausgehe. Dies basiere auf dem herrschenden Bewertungsmaßstab des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V. Die Beigeladenen haben sich dem Vortrag des Antragsgegners angeschlossen.

Der Bevollmächtigte der Antragstellerin beantragt,

bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorläufig den Beschluss der Antragsgegnerin vom 18. Juli 2006 / 19. September 2006 in der Fassung des Beschlusses vom 10. April 2008 zum Verordnungsausschluss der Insulinanaloga in der Anlage 10 zu den Arzneimittelrichtlinien aufzuheben, hilfsweise festzustellen, dass der Beschluss der Antragsgegnerin vom 18. Juli 2006 / 19. September 2006 in der Fassung des Beschlusses vom 10. April 2008 zum Verordnungsausschuss der Insulinanaloga in der Anlage 10 zu den Arzneimittelrichtlinien rechtswidrig ist.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge zurückzuweisen. II.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (2. Alternative). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorliegen. Im vorliegenden Verfahren ist schon ein Anordnungsgrund nicht erkennbar. Bei der so genannten Regelungsanordnung ist der Anordnungsgrund die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile. Es soll vermieden werden, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird, bevor er wirksam Rechtsschutz erlangen kann. Wesentliche Nachteile im Sinne von Abs. 2 Satz 2 liegen dann vor, wenn bei der Interessenabwägung nach den Umständen des Einzelfalles für den Betroffenen nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Nach Auffassung der Kammer ist hier der Antragstellerin zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, auch wenn bis zur Rechtskraft einer Entscheidung in der Hauptsache noch einige Zeit vergehen kann. Die Antragstellerin hat durch den Abschluss der Rabattverträge erreicht, dass die nach ihren Angaben circa 200.000 Patienten weiterhin mit Insulinanaloga behandelt werden können. Demzufolge ist nicht zu befürchten, dass der Marktanteil der Antragstellerin wegbricht. Einziger Nachteil der Rabattverträge ist, dass die Antragstellerin die von ihr vertriebenen Medikamente nicht mehr mit dem Preis vertreiben kann, wie sie es vorher in Deutschland getan hat. Die Kammer kann jedoch nicht erkennen, dass durch diese Tatsache die Antragstellerin in ihrer Existenz bedroht ist. Es mag zwar richtig sein, dass die Antragstellerin aufgrund dessen einige Arbeitsplätze in Deutschland aufgeben muss, aber allein dies führt nicht zu einer Existenzbedrohung der Antragstellerin, die hier Berücksichtigung finden würde. Sie hat insofern ihren Vortrag selbst auch dahingehend konkretisiert, dass sie nicht glaubhaft machen kann, dass die Einstellung des Forschungsstandortes H und die damit zusammenhängenden Entlassungen Folge der ersten Beschlüsse des Antragsgegners sind. Allein die Tatsache, dass die Antragstellerin Verluste hinnehmen muss, kann aber nicht zu der hier begehrten einstweiligen Anordnung führen. Auch die Tatsache, dass die Antragstellerin nicht mit allen Krankenkassen Rabattverträge hat, kann unberücksichtigt bleiben, da sie selbst vorgetragen hat, dass sie mit allen großen Krankenkassen diese Rabattverträge abgeschlossen hat, so dass das Gros der mit Insulinanaloga behandelten Patienten darunter fällt. Außerdem ist durch die neue Beschlusslage vom 10. April 2008 eine weitere Klarstellung bezüglich der Verordnungsfähigkeit des Insulinanaloga gegeben, so dass für weitere Patienten eine Verordnung des Insulinanaloga schon aus diesem Grunde ermöglicht wird. Die Kammer ist der Auffassung, dass die Antragstellerin nicht glaubhaft machen konnte, dass eine wirtschaftliche Gefährdung für sie bestehen würde und aus diesem Grunde bereits der Anordnungsgrund hier zu verneinen war.

Darüber hinaus ist auch der Anordnungsanspruch nach Auffassung der Kammer nicht erfüllt. Die Beschlüsse des Antragsgegners vom 18. Juli 2006 / 19. September 2006 und 10. April 2008 sind nicht offensichtlich rechtswidrig. Die Kammer konnte nicht feststellen, dass das Verfahren des IQWiG zur Bewertung des Insulinanalogas zu beanstanden gewesen wäre und dementsprechend die Bewertung durch den Antragsgegner fehlerbehaftet oder sogar willkürlich vorgenommen worden wäre. Vielmehr ist die von der IQWiG vorgenommene Auswahl der Studien nachvollziehbar. Auch die dementsprechend von dem Antragsgegner erfolgte Bewertung ist nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO. Der Streitwert richtet sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin an diesem Verfahren unter Beachtung der Vorläufigkeit der hier begehrten einstweiligen Regelung. Danach war der Streitwert entsprechend den Angaben der Antragstellerin auf 1 Million Euro festzusetzen.
Rechtskraft
Aus
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