B 2 U 37/00 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 37/00 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 17. Oktober 2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Ehemann der Klägerin an einer Berufskrankheit (BK) gelitten hat und ihr deshalb nach dessen Tod als Rechtsnachfolgerin gegen die Beiklagte ein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente zusteht.

Die Klägerin ist die Witwe des im Jahre 1932 geborenen und am 4. Februar 1998 verstorbenen Theobald R (Versicherter). In den Jahren 1947 bis 1950 absolvierte dieser eine Tischlerlehre und war anschließend in der Tischlerei seines Vaters bis zum Jahr 1956 beschäftigt. In den Jahren 1957 bis 1966 betrieb er dieses Unternehmen selbständig, von Juni 1966 bis August 1992 war er in einer Tischlerei des Landes Berlin in einer Jugendstrafanstalt angestellt. Aufgrund einer Satzungsänderung der damals zuständigen Norddeutschen Holz-Berufsgenossenschaft zum 1. Januar 1958 verlor er die Eigenschaft als Pflichtversicherter. Von der Möglichkeit zur freiwilligen Versicherung machte er für die Zeit seiner selbständigen Tätigkeit keinen Gebrauch.

Im April 1997 zeigte das Krankenhaus Zehlendorf in Berlin den Verdacht einer BK an. In dem daraufhin von der Beklagten eingeleiteten Verwaltungsverfahren gab der Versicherte an, bis Mai 1966 bei der Norddeutschen Holz-Berufsgenossenschaft als Selbständiger versichert gewesen zu sein; Unterlagen über die Zeit von 1957 bis 1966 besitze er nicht. Die Beklagte holte sodann weitere Auskünfte bei behandelnden Ärzten, dem Arbeitgeber und der Eigenunfallversicherung Berlin ein. In seiner Stellungnahme vom 21. Juli 1997 stellte der Technische Aufsichtsdienst (TAD) fest, daß sich unter Zugrundelegung einer Tätigkeit als Tischler in den Jahren 1950 bis 1966 für die kumulative Asbest-Dosis ein Wert von 27 sogenannten Faserjahren ergebe. In seiner im Auftrag der Beklagten gefertigten gutachtlichen Stellungnahme vom 31. Juli 1997 empfahl der Facharzt für Arbeitsmedizin Prof. Dr. B die Anerkennung einer BK nach Nr 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), wobei davon auszugehen sei, daß die Erkrankung am 1. März 1997 begonnen habe. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei auf 100 vH einzuschätzen. Am 15. August 1997 stimmte die Gewerbeärztin Dr. S des Landesinstituts für Arbeitsmedizin - Landesgewerbearzt - dieser Einschätzung zu. In einer weiteren Stellungnahme vom 16. Dezember 1997 gelangte der TAD zu der Einschätzung, für die Zeit von Januar 1950 bis Dezember 1957 ergebe sich eine kumulative Asbest-Dosis von etwa 13 Faserjahren.

Mit Bescheid vom 20. Januar 1998 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK nach Nr 4104 der Anlage zur BKV mit der Begründung ab, Voraussetzung für die Anerkennung einer BK seien 25 Faserjahre. Für den Zeitraum bis 1957 habe eine Asbestfaserdosis von etwa 13 Faserjahren ermittelt werden können, die Tätigkeit von 1958 bis 1966 sei nicht zu berücksichtigen, weil eine Versicherung nicht bestanden habe. Für die Zeit von 1966 bis 1992 habe keine Exposition mit Asbest vorgelegen.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren teilte der TAD am 18. März 1998 mit, für die Lehrzeit des Versicherten ergebe sich eine zusätzliche Asbestbelastung von etwa 4 Faserjahren; insgesamt führe dies zu 17 Faserjahren. Am 28. Mai 1998 stellte der Facharzt für Lungenheilkunde Prof. Dr. L im Auftrage der Beklagten beim Versicherten ein lokal fortgeschrittenes kleinzelliges Bronchialkarzinom fest. Die kumulative Asbest-Dosis von 13 Faserjahren würde zwar für die Anerkennung als BK nicht ausreichen, durch die versicherte Tätigkeit sei die Krankheit aber wesentlich mitverursacht worden. Der Versicherungsfall sei im März 1997 eingetreten. Nach dem Tode des Versicherten am 4. Februar 1998 teilte die Beklagte der Klägerin, die dessen Widerspruchsverfahren fortführte, durch Schreiben vom 10. Juli 1998 mit, unter Berücksichtigung der Lehrzeit könnten 17 Faserjahre zugrunde gelegt werden, was für eine Anerkennung der BK nach Nr 4104 der Anlage zur BKV nicht ausreiche. Auch seien die Voraussetzungen der übrigen Fallgruppen dieser BK nicht erfüllt, da nach dem Gutachten des Prof. Dr. L weder eine Asbeststaublunge noch eine asbeststaubbedingte Erkrankung der Pleura beim Versicherten bestanden habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 1998 wies die Beklagte den Widerspruch unter Verweisung auf ihren Bescheid vom 20. Januar 1998 und ihr Schreiben vom 10. Juli 1998 zurück.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. Juni 1999). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 17. Oktober 2000). Gegenstand des Berufungsverfahrens sei der Anspruch der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten auf Gewährung von Verletztenrente nach dem Versicherten. Zwar beziehe sich das Urteil des SG auf die Gewährung von Hinterbliebenenrente, doch handele es sich dabei lediglich um eine Falschbezeichnung, weil die Hinterbliebenenrente weder im angefochtenen Bescheid noch im Gerichtsverfahren Gegenstand des Streites gewesen sei. Ebenfalls nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens sei die Frage einer Entschädigung der Erkrankung des Versicherten wie eine BK gemäß § 551 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw gemäß § 9 Abs 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Der angefochtene Bescheid behandele diese Frage nicht. Soweit das Urteil des SG hierauf eingehe, hätte eine Sachentscheidung nicht ergehen dürfen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 17. Oktober 2000 habe die Klägerin nach richterlichem Hinweis die Berufung insoweit teilweise gemäß § 156 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zurückgenommen.

Der Klägerin stehe auch als Rechtsnachfolgerin des Versicherten iS des § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) kein Anspruch auf Verletztenrente nach dem Versicherten zu, weil diesem zu Lebzeiten kein Anspruch dieser Art zugestanden habe. Die Voraussetzungen der Nr 4104 der Anlage zur BKV seien im Falle des Versicherten nicht erfüllt. Zwar stehe fest, daß er jedenfalls seit dem Jahre 1997 an einer Lungenkrebserkrankung gelitten habe. Ebenso stehe fest, daß die im Berufsleben erfolgte Belastung des Versicherten mit Asbestfaserstaub mit Wahrscheinlichkeit für das Lungenkrebsleiden ursächlich gewesen sei, welches zu einer MdE von 100 vH geführt habe. Insbesondere seien die vom Versicherten im versicherten Zeitraum von 1947 bis 1957 zurückgelegten rechnerischen 17 Faserjahre mit Wahrscheinlichkeit die wesentliche Ursache für das Lungenkrebsleiden des Versicherten gewesen.

Jedoch sei der Anspruch deswegen zu verneinen, weil die arbeitstechnischen Voraussetzungen der genannten BK nicht erfüllt seien. Diese setzten eine kumulative Asbestfaserstaubdosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren voraus. Zwar habe der Versicherte an seinem Arbeitsplatz insgesamt rechnerisch sogar mehr als 25 Faserjahre, nämlich in der Zeit von 1947 bis 1966 31 Faserjahre, zurückgelegt. Diese stellten aber keine 25 Faserjahre im Sinne der Nr 4104 der Anlage zur BKV dar, weil diese Vorschrift mindestens 25 versicherte Faserjahre voraussetze, die der Versicherte nicht erreicht habe. Denn versichert gewesen sei nur seine Tätigkeit in den Jahren 1947 bis 1957, und für diesen Zeitraum seien rechnerisch nur 17 und nicht 25 Faserjahre in Ansatz zu bringen. Das Erfordernis von 25 versicherten Faserjahren ergebe sich daraus, daß die Formulierung "am Arbeitsplatz" im Wortlaut der BK nach Nr 4104 der Anlage zur BKV iS von "am versicherten Arbeitsplatz" auszulegen sei. Dies ergebe sich aus Sinn und Zweck und systematischem Zusammenhang. So setze § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII für alle BKen voraus, daß sie der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erlitten habe. Diese Voraussetzungen habe der Versicherte nicht erfüllt; denn er sei für die Zeit ab dem 1. Januar 1958 weder kraft Gesetzes als Beschäftigter noch - nach erfolgter Satzungsänderung - kraft Satzung versichert gewesen und habe auch nicht von der Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung Gebrauch gemacht.

Die Vorschrift des § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII müsse auch so verstanden werden, daß die arbeitstechnischen Voraussetzungen insgesamt zwingend einer versicherten Tätigkeit zuzuordnen seien. Denn nach dem im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung maßgeblichen Versicherungsprinzip würden nur solche Risiken versichert und entschädigt werden, die bei unter Versicherungsschutz stehenden Tätigkeiten entstanden seien. Nichts anderes ergebe sich auch aus den Gesetzgebungsmaterialien zur Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (BR-Drucks 773/92 S 12 bis 14).

Zu keiner anderen Entscheidung führten schließlich die Grundsätze einer sogenannten "gemischten Tätigkeit", weil sich jedenfalls aufgrund der festgestellten jeweiligen durchschnittlichen Dosis bei den vom Versicherten verrichteten Tätigkeiten zumindest rechnerisch und mittelbar eine Zuordnung zu den einzelnen Zeiträumen vornehmen lasse.

Mit der - vom LSG - zugelassenen Revision rügt die Klägerin, ihr sei zu Unrecht die Verletztenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann mit der Begründung versagt worden, bei diesem sei keine BK iS der Nr 4104 der Anlage zur BKV aufgetreten. Die Auffassung des LSG, wonach die dort gebrauchte Formulierung "am Arbeitsplatz" wie "am versicherten Arbeitsplatz" auszulegen sei, werde von dem Wortlaut der BK nach Nr 4104 nicht gedeckt. Dieser sei eindeutig und bedürfe als solcher keiner weiteren Auslegung, erst recht keiner ergänzenden. Gegen die Auslegung des LSG spreche im übrigen der Wortlaut des § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII. Danach seien BKen solche Krankheiten, die durch Rechtsverordnung als BKen bezeichnet seien und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erleide. Die Vorschrift differenziere also zwischen der Krankheit als solcher und dem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Krankheit und der versicherten Tätigkeit. Dies spreche dagegen, die versicherte Tätigkeit begrifflich zur Voraussetzung der Krankheit zu machen.

Auch die Systematik spreche gegen die Auslegung des LSG und nicht dafür. Die Festlegung auf 25 Faserjahre in der BK Nr 4104 resultiere nicht aus gesetzgeberischem Ermessen, sondern beruhe auf der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, daß nach 25 Faserjahren das Lungenkrebsrisiko doppelt so hoch sei wie bei nicht belasteten Vergleichspersonen. Die genauen medizinischen Hintergründe seien in dem Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK nach Nr 4104 wiedergegeben. Daß diese Verdoppelung des Erkrankungsrisikos nichts mit der Frage zu tun habe, ob die belastete Tätigkeit an einem versicherten oder an einem nicht versicherten Arbeitsplatz verrichtet wurde, liege auf der Hand.

Die Frage, ob die belastende Tätigkeit ganz oder überwiegend an einem versicherten Arbeitsplatz verrichtet worden sei oder nicht, betreffe systematisch die Frage der haftungsbegründenden Kausalität, also die Frage, ob die BK Folge einer versicherten Tätigkeit sei oder nicht. Bei seiner Auslegung ziehe das LSG systemwidrig eine wesentliche Frage der haftungsbegründenden Kausalität in die "arbeitstechnischen Voraussetzungen" hinein. Dies werde offensichtlich, wenn man sich frage, was hiernach eigentlich noch im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität zu prüfen wäre: Wer 25 Faserjahre (oder mehr) am versicherten Arbeitsplatz zurückgelegt habe und dann an Lungenkrebs erkranke, bei dem stehe praktisch fest, daß er eine BK erlitten habe. Bei dieser Auslegung würde in systemwidriger Weise das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen und das Vorliegen der Erkrankung die haftungsbegründende Kausalität praktisch implizieren, ohne daß diese weiterer Prüfung bedürfte. Richtigerweise sei zunächst entsprechend dem Wortlaut der BK nach Nr 4104 zu prüfen, ob der Betreffende an Lungenkrebs erkrankt sei und ob er 25 Faserjahre am Arbeitsplatz zurückgelegt habe. Alsdann sei unter dem Gesichtspunkt der haftungsbegründenden Kausalität weiterhin zu prüfen, ob diese Erkrankung ihre wesentliche Ursache in der versicherten Tätigkeit finde. Allein dies entspreche dem Wortlaut und der üblichen Prüfungssystematik in der Unfallversicherung.

Hiergegen spräche auch nicht Sinn und Zweck des Gesetzes. Vorliegend sei das Risiko des Verstorbenen, an Lungenkrebs zu erkranken, durch die versicherte Tätigkeit (17 Faserjahre) gegenüber der Normalbevölkerung wesentlich erhöht gewesen. Dieses Risiko sei durch die Aufgabe der versicherten Tätigkeit nicht einfach entfallen. Wenn ein Schreiner 17 Jahre versicherte Tätigkeit ausgeübt und dann weitere 14 Jahre als nicht versicherter Selbständiger gearbeitet und sich dabei die Finger abgesägt habe, habe dies mit der früheren versicherten Tätigkeit natürlich nichts zu tun. Hier liege die Sache jedoch anders: Es sei die kumulative Asbestfaserstaub-Dosis von über 25 Faserjahren, die zur Verdoppelung des Krankheitsrisikos führe. Diese kritische Grenze habe der Versicherte hier nur bei Berücksichtigung der versicherten Faserjahre überschritten. Die nicht versicherten Faserjahre entsprächen nur ungefähr der Hälfte der kritischen Dosis. Insofern sei die Belastung während der versicherten Zeit hier zweifelsfrei Mitursache iS der Adäquanztheorie. Das LSG habe in seinem Urteil sogar ausgeführt, es sei davon überzeugt, daß die von dem Versicherten im Versichertenzeitraum von 1947 bis 1957 zurückgelegten rechnerischen 17 Faserjahre mit Wahrscheinlichkeit die wesentliche Ursache für das Lungenkrebsleiden des Klägers gewesen seien. Das LSG habe insoweit ersichtlich die Theorie der wesentlichen Bedingung angewandt. Die Auslegung der BK nach Nr 4104 durch das LSG führe unter Umständen auch zu grob unbilligen Ergebnissen, insbesondere dann, wenn ein Versicherter 24,5 Faserjahre bei versicherter Tätigkeit und allein 0,5 Faserjahre bei nicht versicherter Tätigkeit zurückgelegt hätte. Schließlich sei der Hinweis des LSG auf die sog "gemischten Tätigkeiten" nicht recht passend, weil dies eigentlich den "inneren Zusammenhang" zwischen der konkreten Verrichtung, die zu dem Arbeitsunfall geführt habe, und der versicherten Tätigkeit betreffe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 17. Oktober 2000 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr als Rechtsnachfolgerin des Versicherten Theobald R wegen der von diesem erlittenen Folgen einer Berufskrankheit der Nr 4104 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung Verletztenvollrente für die Zeit vom 1. März 1997 bis 28. Februar 1998 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

II

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat als Rechtsnachfolgerin (§ 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB I) des verstorbenen Versicherten keinen Anspruch auf Verletztenrente aus dessen Recht, weil dieser nicht an der BK nach Nr 4104 der Anlage zur BKV erkrankt war.

Gegenstand des Rechtsstreits ist, wie das LSG zutreffend entschieden hat, lediglich der ursprünglich vom Versicherten, nach dessen Tod von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Verletztenvollrente für die Zeit vom 1. März 1997 bis zum 28. Februar 1998, weil im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren nur über diesen Anspruch entschieden worden ist. Da die Klägerin im Berufungsverfahren gemäß § 156 SGG die Berufung zurückgenommen hat, soweit eine Entschädigung der Erkrankung des Versicherten wie eine BK (§ 551 Abs 2 RVO, § 9 Abs 2 SGB VII) in Betracht kommt, ist auch hierüber im Revisionsverfahren nicht zu entscheiden.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich gemäß § 212 SGB VII nach den Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels des SGB VII (§§ 1 bis 211 SGB VII); denn den bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG ist zu entnehmen, daß der geltend gemachte Versicherungsfall am 1. März 1997 und damit nach dem Inkrafttreten des SGB VII (1. Januar 1997) eingetreten ist (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes).

Nach Maßgabe des § 56 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 3 Satz 1 SGB VII haben Versicherte bei Verlust der Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls Anspruch auf Vollrente. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und BKen (§ 7 Abs 1 SGB VII). BKen sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Die hier allein in Betracht kommende BK nach Nr 4104 der Anlage zur BKV vom 31. Oktober 1997 (BGBl I 2623) wird wie folgt definiert:

Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs

- in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose)

- in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder

- bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren {25 x 106 [(Fasern/m3) x Jahre]}.

Hinsichtlich des Lungenkrebses, an dem der Versicherte nach den Feststellungen des LSG litt, war die vorgenannte Definition unter derselben Nummer bereits in der Anlage 1 der am 1. Dezember 1997 außer Kraft getretenen BKV vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) enthalten, in die sie durch Art 1 Nr 5 der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom 18. Dezember 1992 (BGBl I 2343) mit Wirkung vom 1. Januar 1993 (Art 2 Abs 1) und unter bestimmten Voraussetzungen mit Rückwirkung (Art 2 Abs 2) eingefügt worden ist. Bereits nach dem vor dem Jahre 1993 geltenden Recht war ein Lungenkrebs - wie in der ersten und zweiten Fallgruppe geregelt - dann als durch Asbest verursachte BK anzuerkennen, wenn neben der Krebserkrankung eine Asbestose oder eine durch Asbest verursachte Erkrankung der Pleura festgestellt werden konnte.

Nach der Begründung zu Art 1 Nr 5 des Entwurfs der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV (BR-Drucks 773/92 S 12/13) sind Asbestfasern kritischer Abmessungen generell geeignet, ua insbesondere Lungenkrebs zu verursachen. Wie für andere Tumore gilt auch hier, daß die Erkrankungswahrscheinlichkeit im wesentlichen vom Lebensalter, der individuellen Disposition sowie der in den Körper aufgenommenen kumulativen Dosis beruflicher und außerberuflicher Lungenkrebs erzeugender Noxen abhängt. Der dritten Fallgruppe der BK nach Nr 4104 liegt das gesicherte Wissen um Zusammenhänge von Ursache und Wirkung in Form von Dosis-Wirkungs-Beziehungen zugrunde, die sowohl in der Pharmakotherapie als auch in der Toxikologie, der experimentellen Krebsforschung, im Strahlenschutz und in der Arbeitsmedizin allgemein gültig sind. Die arbeitsmedizinisch-epidemiologischen Erkenntnisse sowohl bei durch Strahlen als auch bei durch Asbestfaserstaub verursachten Tumoren zeigen eine lineare Beziehung zwischen der Häufigkeit des Auftretens von Lungenkrebstodesfällen und den kumulativ berechneten Dosiswerten. Nach den genannten Verordnungsmaterialien ist die kumulative Dosis des krebserzeugenden Gefahrstoffs Asbest die Asbestfaseranzahl pro Kubikmeter Atemluft unter Berücksichtigung der zeitlichen Dauer der Einwirkung am Arbeitsplatz in Jahren. Als Maßeinheit der kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis hat sich international das "Faserjahr" durchgesetzt. Die Berechnung erfolgt anhand der durchschnittlichen Anzahl von Asbestfasern (F) kritischer Abmessungen pro Kubikmeter Atemluft am Arbeitsplatz (F/m3), multipliziert mit der Tätigkeitsdauer in Jahren (F/m3 x Jahre). Der in der Nr 4104 aufgeführte Grenzwert ist definiert als Exposition gegenüber einer durchschnittlichen Anzahl von 106 Fasern pro Kubikmeter Atemluft während einer Dauer von 25 Jahren mit der üblichen Zahl von achtstündigen Arbeitsschichten pro Tag.

Die Voraussetzungen der ersten und der zweiten Fallgruppe waren beim Versicherten schon deshalb nicht erfüllt, weil die im Widerspruchsbescheid vom 5. November 1998 iVm dem Schreiben vom 10. Juli 1998 von der Beklagten getroffene Feststellung, beim Versicherten habe weder eine Asbeststaublunge noch eine asbeststaubbedingte Erkrankung der Pleura bestanden, von der Klägerin nicht durch zulässige Rechtsbehelfe angegriffen worden, der Widerspruchsbescheid insoweit also bindend geworden ist (§ 77 SGG).

Beim Versicherten waren aber auch die Voraussetzungen der dritten Fallgruppe der BK nach Nr 4104 nicht gegeben. Zwar hat er nach den Feststellungen des LSG in der Zeit von 1947 bis 1966 rechnerisch insgesamt 31 Faserjahre zurückgelegt. Die Asbeststaubeinwirkungen geschahen bei rein wörtlicher Auslegung am Arbeitsplatz; denn unter diesem Begriff wird der Ort verstanden, an dem jemand seine Erwerbstätigkeit ausübt, gleichviel, ob als abhängig Beschäftigter oder als selbständig Tätiger. Wie das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, muß die Formulierung "am Arbeitsplatz" bei der dritten Fallgruppe der BK nach Nr 4104 jedoch in dem Sinne ausgelegt werden, daß es sich um einen Arbeitsplatz handeln muß, an dem eine versicherte Tätigkeit ausgeübt wird.

Es ist allgemein anerkannt, daß bei der Auslegung von Rechtsnormen nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern der Sinn einer Norm zu erforschen ist. Schon die Frage, ob der Wortlaut einer Vorschrift tatsächlich eindeutig ist, läßt sich ohne Auslegung nicht beantworten. Maßgeblich für das Verständnis einer Rechtsvorschrift ist der in ihrem Wortlaut zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetz- oder Verordnungsgebers, dh die ratio legis oder der Sinn und Zweck der Vorschrift, so daß der teleologischen, am Normzweck ausgerichteten Auslegung wesentliches Gewicht zukommt. Um den Sinn und Zweck einer Norm zu ermitteln, sind wiederum ihr Bedeutungszusammenhang und ihre Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen (vgl SozR 3-4100 § 134 Nr 9 mwN). Grundsätzlich zulässig ist in den danach zu ziehenden Grenzen eine sog teleologische Reduktion, dh eine Auslegung, die zu einer Einschränkung des Anwendungsbereichs einer Norm gegenüber ihrem Wortlaut führt (vgl BSG SozR 3-4100 § 117 Nr 22 mwN und BSG Urteil vom 15. Dezember 1999 - B 11 AL 37/99 R - DBlR 4599, AFG/§ 134; BVerwG DVBl 1995, 1309; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl, 391 ff; Brandenburg, Die teleologische Reduktion, 1983). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört die teleologische Reduktion zu den anerkannten Auslegungsregeln und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (vgl ua BVerfGE 88, 145, 166/167 und BVerfGE 97, 186, 196/197).

Das LSG hat im vorgenannten Sinne eine Reduktion für zulässig gehalten, weil dies sich aus Sinn und Zweck der in der BK nach Nr 4104 getroffenen Regelung, ihrem systematischen Zusammenhang sowie insbesondere aus dem ihr zugrunde liegenden Versicherungsprinzip ergebe. Der Senat hält dieses Argument für durchaus beachtlich, jedoch allein nicht für ausreichend zur Begründung der nur in Ausnahmefällen zulässigen Reduktion. Denn den genannten Kriterien kann - wie die Revision zu Recht anführt - auch im Rahmen der Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität Rechnung getragen werden, die § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII neben der Erfüllung der in der "Liste" bezeichneten Merkmale als weitere Voraussetzung für die Anerkennung einer BK verlangt.

Der Senat hält jedoch die genannte Reduktion für zwingend geboten, weil sie sich aus der der BKV zugrunde liegenden Ermächtigungsgrundlage des § 9 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 SGB VII ergibt. Diese Gesetzesvorschrift geht nicht nur ihrem Rang nach den Normen einer Rechtsverordnung vor. Letztere müssen von Verfassungs wegen (Art 80 Abs 1 des Grundgesetzes) vielmehr inhaltlich stets durch eine gesetzliche Ermächtigung gedeckt sein (BVerfGE 46, 120, 139); der Verordnungsgeber darf sich daher nicht über diese Ermächtigung hinwegsetzen (BVerfGE 51, 166, 173). Ein eindeutiges Abweichen einer Verordnungsvorschrift von der gesetzlichen Ermächtigung hat die Nichtigkeit dieser Vorschrift zur Folge (vgl BSGE 78, 20, 23 ff = SozR 3-2400 § 28n Nr 1; BSG SozR 3-8570 § 16 Nr 1). Läßt eine derartige Vorschrift mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu, so ist die Auslegung maßgebend, die von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist. Die Notwendigkeit einer solchen "gesetzeskonformen Auslegung" von Vorschriften einer Rechtsverordnung oder sonstigem nachrangigen Recht wird von der Rechtsprechung einhellig für erforderlich gehalten (vgl ua BSG SozR 3100 § 30 Nr 52; BSGE 64, 52, 57 = SozR 4100 § 138 Nr 23; BVerwGE 100, 323-335; BVerwGE 107, 38-45). Der Senat hält sie auch dann für geboten, wenn es - wie hier - um die von ihrem Wortlaut abweichende Auslegung einer Verordnungsvorschrift im Wege einer teleologischen Reduktion geht. Denn wenn eine solche einschränkende Auslegung schon aus dem Sinn und Zweck der auszulegenden Norm selbst abgeleitet werden kann, muß sie erst recht zulässig sein, wenn sie sich aus höherrangigem Recht zwingend ergibt. Solches ist hier der Fall.

9 Abs 1 Satz 2 Halbs 2 iVm Satz 1 SGB VII ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (vgl zum Umfang der Ermächtigung BSGE 84, 30, 32 ff = SozR 3-2200 § 551 Nr 12). Aus der Formulierung "durch ihre versicherte Tätigkeit" folgt nicht nur, daß der Verordnungsgeber in der Rechtsverordnung Fragen der Kausalität näher regeln, sondern auch, daß er keine Regelungen über Krankheiten treffen darf, die durch Einwirkungen verursacht sind, die nicht in Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. Dem trägt die BKV entweder dadurch Rechnung, daß in ihrer Anlage Krankheitsbilder bezeichnet werden, die typischerweise durch Einwirkungen am versicherten Arbeitsplatz entstehen, oder dadurch, daß neben der Bezeichnung von Krankheitsbildern und dem Ausmaß der Einwirkung in örtlicher und/oder zeitlicher Hinsicht Voraussetzungen festgelegt werden, mit denen der erforderliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit sichergestellt werden soll. Letzterer Alternative entsprechend enthält die BK nach Nr 4104 in ihrer dritten Fallgruppe neben der Bezeichnung des Krankheitsbildes (Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs) in örtlicher Hinsicht die Festlegung, daß die Einwirkungen am Arbeitsplatz stattgefunden haben müssen, womit bei gesetzeskonformer Auslegung nur der versicherte Arbeitsplatz gemeint sein kann. Des weiteren liegt in der Mindestanforderung von 25 Faserjahren eine zeitliche Komponente in Kombination mit dem Ausmaß der Einwirkungen (Näheres hierzu vgl Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK nach Nr 4104, BArbBl 1/1994 S 65). Auch insoweit dürfen bei gesetzeskonformer Auslegung zur Berechnung der Faserjahre nach der in der BK nach Nr 4104 vorgeschriebenen Formel nur solche Zeiten herangezogen werden, während der ein Erkrankter versichert war.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind im vorliegenden Fall nur die Zeiten von 1947 bis 1957 zur Berechnung der Faserjahre zu berücksichtigen, weil der Ehemann der Klägerin nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und daher gemäß § 163 SGG für den Senat bindenden Feststellungen des LSG nur in diesem Zeitraum versichert war. Wie das LSG - ebenfalls bindend - festgestellt hat, errechnen sich daraus nach der genannten Formel lediglich 17 Faserjahre. Damit lag der Versicherte aber deutlich unter der Mindestanforderung von 25 Faserjahren.

Da somit nicht einmal die Voraussetzungen der "Liste" erfüllt sind, bleibt für eine Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität kein Raum. Schon aus diesem Grunde können die von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelten Grundsätze über die "gemischte Tätigkeit" (vgl Urteil vom 22. August 2000 - B 2 U 18/99 R - HVBG-Info 2000, 2611 mwN) hier nicht herangezogen werden. Soweit die Revision vorträgt, die vom LSG getroffene Auslegung der BK nach Nr 4104 mache in systemwidriger Weise die vom Gesetz vorgeschriebene Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität praktisch überflüssig, kann dies nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Wie oben dargelegt, darf der Verordnungsgeber aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung des § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII in der BKV neben der Bezeichnung einer Krankheit als BK auch weitere Kriterien aufstellen, durch deren Erfüllung sichergestellt wird, daß ein Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der versicherten Tätigkeit besteht. Dies hat zwar in der Regel zur Folge, daß die Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität erleichtert wird. Keinesfalls wird dadurch jedoch diese auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung überflüssig. Sie kann etwa im Rahmen der BK nach Nr 4104 zu dem Ergebnis führen, daß trotz voller Erfüllung der "Listenvoraussetzungen" der Lungenkrebs nicht durch Asbestfaserstaub, sondern durch andere Umstände verursacht worden ist, zB durch übermäßiges Rauchen oder durch Metastasierung eines vom Lungenkrebs unabhängigen Krebsherdes. Auch überzeugt der Vorwurf der Revision nicht, die Auslegung der BK nach Nr 4104 durch das LSG führe unter Umständen auch zu grob unbilligen Ergebnissen. Denn dabei läßt sie unberücksichtigt, daß 25 Faserjahre eine Mindestanforderung darstellen und daß auch bei einem Versicherten, der in versicherter Tätigkeit diesen Wert knapp verfehlt, sein Leiden nicht als BK anerkannt werden kann. Im übrigen stand dem Ehemann der Klägerin in der Zeit, in der er als nicht pflichtversicherter Unternehmer tätig war (Januar 1958 bis Mai 1966), gemäß § 545 Abs 1 Nr 1 RVO das Recht zu, sich in der gesetzlichen Unfallversicherung freiwillig zu versichern. Da er hiervon keinen Gebrauch gemacht hat, erscheint es nicht als unbillig, wenn er bzw die Klägerin als seine Rechtsnachfolgerin nicht so behandelt werden, als sei er in der genannten Zeit freiwillig versichert gewesen.

Die Revision der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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