S 83 KA 1904/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
83
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 1904/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.

Tatbestand:

Streitgegenständlich ist ein Arzneimittelregress wegen der Verordnung von Prograf Kapseln mit dem Wirkstoff Tacrolimus im Quartal IV/2003.

Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Gastroenterologie. Er ist ärztlicher Leiter des Krankenhauses H und nimmt im Rahmen einer Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Am 17. Dezember 2003 verordnete der Kläger für die bei der Beigeladenen zu 2) gesetzlich krankenversicherte Patienten B K auf Kassenrezept Prograf Kapseln mit dem Wirkstoff Tacrolimus.

Am 20. September 2004 stellte die Beigeladene zu 2) wegen dieser Verordnung einen Antrag auf Feststellung eines sonstigen Schadens in Höhe von 953,86 EUR. Prograf sei zur Prophylaxe von Transplantatabstoßungen bei Nieren- oder Lebertransplantation zugelassen. Eine Transplantation gehe aus den Informationssystemen der Beigeladenen zu 2) jedoch nicht hervor.

Mit Schreiben vom 19. November 2004 nahm der Kläger gegenüber dem Prüfungsausschuss Stellung. Er führte unter anderem aus, dass bei der Patientin eine schwere Colitis indeterminata mit schwerer Panzytopenie und langanhaltender Agranulozytose bestanden habe. Zur Behandlung eines fulminanten Schubes sei Tacrolimus eingesetzt worden. Nach den Leitlinien der Fachgesellschaft hätten Calcineurinantagonisten die höchste Evidenz. Tacrolimus sei aber wegen etwas geringerer Nebenwirkungen vor Cyclosporin der Vorzug zu geben. Die Patientin ha-be nach der Entlassung noch der Fortsetzung von Tacrolimus bis zur kompletten Remission bedurft. Dass der Einsatz von Prograf einen Off-Label-Use darstelle, sei allgemein bekannt. Dass die Studienlage und die Leitlinien die Indikationen als medizinisch richtig ansähen, sei ebenfalls bekannt.

Mit Beschluss vom 1. November 2005 gab der Prüfungsausschuss dem Antrag der Beigeladenen zu 2) statt und setzte einen Regress in Höhe von 863,55 EUR, was den Verordnungskosten ab-züglich von Apothekenrabatt und der Zuzahlung der Patientin entsprach, fest. Am 10. Januar 2006 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Unter Fachexperten sei bekannt, dass Cyclosproin und Tacrolimus aus derselben Wirkgruppe seien und dass das Nebenwirkungsspektrum unter Tacrolimus geringer sei. Bei gleicher Wirksamkeit sei Tacrolimus das bessere Medikament für den Patienten. Zwar sei die Evidenzgraduierung in der externen Validität durch die Studienlage noch different, aber die Expertenmeinung gehe dahin, dass Tacrolimus wegen geringerer Nebenwirkungen vorgezogen werden sollte. Tacrolimus sei leitliniengerecht eingesetzt worden. In der Anlage zum Widerspruch fügte der Kläger Studienabstracts und die AWMF-Leitlinien bei fulminantem Schub bei. Hierauf wird Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 12. Oktober 2006 (schriftliche Fassung vom 24. November 2006) wies der Beklagte den Widerspruch zurück und bestätigte den festgesetzten Regress. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Die Verordnung sei nicht zulassungsgerecht erfolgt, sondern bei der Diagnose colitis ulcerosa. Die Zulässigkeit des Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung richte sich nach den Kriterien, die das BSG im Urteil vom 19. März 2002 (-B 1 KR 37/00 R-) festgelegt habe. Unumstritten sei, dass die bei der Patientin vorliegende Diagnose eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Er-krankung darstelle. Gemäß der Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung DCCV e.V. sei der Einsatz von Prograf Kapseln als Alternative (wegen Unverträglichkeit) zu Cyclosporin A zu sehen. Jedoch liege eine Phase-III-Studie ebenso wenig vor wie ein entsprechender fachlicher Konsens. Auch sei kein fachlicher Konsens zum bevorzugten Einsatz von Prograf Kapseln gegenüber Cyclosporin A erkennbar. Damit seien die Off-Label-Kriterien nicht erfüllt.

Hiergegen richtet sich die am 20. Dezember 2006 erhobene Klage, zu deren Begründung der Kläger insbesondere vorträgt, dass der vorliegende Off-Label-Use gerechtfertigt sei. Die Annahme, dass es zur Zulässigkeit des Off-Label-Use gesicherte medizinstatistische Daten über die Wirksamkeit des eingesetzten Arzneimittels zum Beispiel im Sinne einer Phase-III-Studie geben müsse, sei als kaum interessengerecht und unpraktikabel zurückzuweisen. Eine zu re-striktive Handhabung könne nicht überzeugen, weil beim Off-Label-Use dem zulassungsüberschreitenden Einsatz noch Versuchscharakter anhafte, dieser aber von den betreffenden Experten befürwortet werde. Die subjektiv geprägte Einschätzung begründe sich in der Regel in ei-genen ärztlichen Erfahrungen, wobei diese nicht auf einer Phase-II-Studie oder gar einer Pha-se-III-Studie beruhen müssten. Die restriktive Auslegung der Off-Label-Use-Kriterien sei auch wegen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 rechtsfehler-haft. Zwar sei der Hintergrund der BVerfG-Entscheidung hinsichtlich des Erkrankungsbilds und seiner Lebensbedrohung ein anderer als im vorliegenden Fall, aber die Aussagen des BVerfG griffen auch im vorliegenden Verfahren. Die Schranken des Off-Label-Use seien zu lockern, wie auch die Tumodex-Entscheidung des BSG zeige. Ärztliche Erfahrung als Wirksamkeitsnachweis könne ausreichen. Der Beklagte habe weder das Gesamtkrankheitsbild noch die jeweiligen Wirkstoffe richtig gewürdigt. Er – der Kläger – verfüge über langjährige klini-sche Erfahrung. Er sei Mitautor der Leitlinie Colitis ulcerosa der gastroenterologischen Fach-gesellschaft (DGVS) und der AWMF. Er habe aufgrund der vorliegenden Gefährdung der Patientin bei vorangegangener Knochenmarksdeplition (Leukopenie) durch Cyclosporin auf Pro-graf zurückgreifen müssen. Tacrolimus weise eine geringere Knochenmarkdeplition und Leukopenie als Nebenwirkung auf. Gemäß DCCV e.V. werde Tacrolimus bei Unverträglichkeit von Cyclosporin empfohlen. Die Wirksamkeit von Tacrolimus sei wissenschaftlich nachgewiesen. Entsprechende Nachweise habe er bereits im Widerspruchsverfahren eingereicht. Ein Schaden in festgestellter Höhe sei nicht entstanden, weil anderenfalls Cyclosporin A verordnet worden wäre. Die hierfür entstehenden Kosten in Höhe von 14,37 EUR pro Tagesdosis seien als ersparte Aufwendungen abzuziehen. Die Feststellung eines sonstigen Schadens setze Ver-schulden voraus. Die Verordnung sei nicht grob fahrlässig erfolgt, allenfalls liege unbewusste Fahrlässigkeit vor. Die vorliegende Erkrankung könne im weiteren Verlauf zur (Teil-) Resekti-on des Dickdarms führen, weshalb die Kriterien der Tumodex-Entscheidung auch hier anzuwenden seien. Die patientenbezogene Nutzen-Risiko-Analyse sei positiv. Die vorliegende Erkrankung sei sehr selten.

Der Kläger beantragt, den Beschluss des Beklagten vom 12. Oktober 2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er insbesondere auf seinen angefochtenen Bescheid.

Die Beigeladenen haben in der mündlichen Verhandlung keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, die vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angegriffene Bescheid des Beklagten, der nach ständiger Rechtsprechung des BSG alleiniger Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, weil er den Beschluss des Prüfungsausschusses ersetzt hat (vgl. z.B. BSG SozR 3 – 2500 § 106 Nr. 22, S. 118 f), ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Be-klagte hat den Regress zu Recht festgesetzt.

Rechtsgrundlage für den Regress ist § 24 der "Vereinbarung über die Verfahren zur Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit durch die Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (§ 106 SGB V)" vom 20. Juni 2003 (veröffentlicht im KV-Blatt 8/2003 – im Folgenden: PrüfV). Nach § 24 Abs. 1 S. 1 PrüfV entscheiden die Prüf-gremien auf Antrag einer Krankenkasse im Einzelfall über einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Vertragsarzt oder eine der Personen, für die er haftet, bei Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Gemäß Abs. 3 der Vorschrift ist ein Antrag ausgeschlossen, wenn der vermutete Schadensbetrag 50,- EUR nicht übersteigt. Für Anträge betreffend ausgeschlossener Arznei-, Heil- und Hilfsmittel gemäß gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen gilt keine Bagatellgrenze (§ 24 Abs. 3 S. 2 PrüfV). Bei § 24 Abs. 1 S. 1 PrüfV handelt es sich um eine für den vorliegenden Arzneimittelregress ausreichende Rechtsgrundlage, weil in Abs. 3 S. 2 der Norm deutlich wird, dass die Prüfgremien auch zur Festsetzung von Regressansprüchen wegen der Verordnung nicht verordnungs-fähiger Arzneimittel ermächtigt worden sind (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 26. No-vember 2008, -L 7 KA 13/05-, zit n. juris, Rn. 56, zur Vorgängervorschrift der PrüfV von 1994).

Der Kläger missachtete mit der streitgegenständlichen Verordnung das Wirtschaftlichkeitsgebot, weil das Medikament Prograf Kapseln mit dem Wirkstoff Tacrolimus nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnungsfähig ist. Die Verordnungsfähigkeit richtet sich der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgend (vgl. z.B. BSG, Urt. v. 30. September 1999, BSGE 85, 36 und Urt. v. 19. März 2002, BSGE 89, 184) nach dem Umfang der arzneimittelrechtlichen Zulassung. Die Verordnung eines Arzneimittels in einem Anwendungsgebiet außerhalb dieser Zulassung ist grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzli-chen Krankenversicherung möglich. Für Prograf/Tacrolimus besteht keine Zulassung für den Einsatz bei Colitis ulcerosa bzw. Colitis indeterminata.

Tacrolimus durfte auch nicht im Rahmen eines so genannten Off-Label-Use verordnet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSGE 89, 184; SozR 4-2500 § 31 Nr. 6), kommt die Verordnung eines Medikamentes außerhalb der von der Zulassung umfassten Anwendungsgebiete zu Lasten der GKV nur in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachteilig beein-trächtigenden) Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Daten-lage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn ent-weder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollier-ten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretba-ren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse ver-öffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwen-dungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund de-rer in einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorge-nannten Sinne besteht. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es fehlt bereits an ausrei-chenden Forschungsergebnissen. Eine Studie der Phase III oder ein Antrag auf Erweiterung der Zulassung liegen nicht vor. Für die Annahme ausreichender außerhalb eines Zulassungsverfah-rens gewonnener Erkenntnisse reichen die von dem Kläger eingereichten medizinischen Ab-handlungen nicht aus. Die drei Abstracts, die der Kläger zur Begründung seines Widerspruchs vorlegte, und auf die er auch zur Begründung seiner Klage zunächst Bezug genommen hat, betreffen allesamt Cyclosporin bei fulminantem Schub von colitis ulcerosa. Sie helfen nicht weiter, weil sie nicht den streitgegenständlichen Wirkstoff betreffen, selbst wenn Tacrolimus aus derselben Wirkstoffgruppe wie Cyclosporin stammen sollte. Die vom Kläger in der münd-lichen Verhandlung vorgelegten Auszüge aus verschiedenen Abstracts führen ebenfalls nicht weiter: Sie betreffen zum größten Teil die Therapie von Morbus Crohn oder anderer Diagno-sen. Die vorgelegten Auszüge aus der "PubMed Datenbank zu Tacrolimus und Colitis ulcero-sa" betreffen Berichte, die ganz überwiegend aus den Jahren 2004 und später stammen. Diese sind schon deswegen nicht beachtlich, weil es auf die Studienlage zum Zeitpunkt der Verord-nung ankommt. Die Beiträge von Fellermann et al. (2001) und Matsuhashi et al. (2000) sind nur Berichte über einen jeweiligen Einzelfall. Eine systematische Erprobung des Einsatzes von Tacrolimus ist darin nicht zu erkennen. Nur mit der Studie von Hogenauer et al. aus 2003 liegt eine Erprobung an immerhin neun Patienten vor. Damit wird das vom BSG geforderte Erkenntnisniveau allerdings bei weitem nicht erreicht. Verwertbare wissenschaftliche Untersuchungen müssen über die Phase II hinausgehen und sich von Umfang und Methodik einer Phase-III-Studie zumindest annähern. Dies folgt daraus, dass das BSG Forschungsergebnisse fordert, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen wer-den kann. Klarstellend hat das BSG (SozR 4-2500 § 31 Nr. 6, Rn. 16) ausgeführt, dass die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulas-sungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, wäh-rend und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich ist. An die Erkenntnisse, die außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnen werden, können keine geringeren Anforderungen gestellt werden. Demgemäß hilft auch die vom Kläger im Wider-spruchsverfahren vorgelegte AWMF-Leitlinie nicht weiter, zumal diese empfiehlt, den fulmi-nanten Schub mit systemischen Sterioden oder bei Vorliegen einer Kontraindikation mit intra-venösem Cyclosporin A zu behandeln. Tacrolimus ist nur ergänzend mit Evidenzklasse B auf-geführt, was – wie der Kläger selbst vorgetragen hat – auf der damaligen Studienlage beruht.

Die Off-Label-Kriterien könnten nur dann eingeschränkt sein, wenn es sich um die Behandlung einer so seltenen Erkrankung handelt, dass eine systematische wissenschaftliche Erprobung der Phase III ausgeschlossen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004, BSGE 93, 236-252 =SozR 4-2500 § 27 Nr. 1). Hierzu hat der Kläger zwar in der mündlichen Verhandlung vorge-tragen, es handele sich beim fulminanten Schub der Colitis ulcerosa um eine seltene Erkran-kung. Dies ändert vorliegend aber nichts. Denn das BSG hat in dem genannten Urteil Ausnah-men nur für Erkrankungen angenommen, die weltweit extrem selten auftreten und die deshalb im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden können. Dies ist bei der colitis ulcerosa offensichtlich nicht der Fall, wie die vermehrten internationalen Untersuchungen aus den Jahren 2004 und später, belegen.

Soweit der Kläger vorträgt, die vom BSG im Urteil vom 19. März 2002, a.a.O., aufgestellten Kriterien seien zu eng und durch die Rechtsprechung des BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, -1 BvR 347/98-, SozR 4-2500 § 27 Nr. 5 = BVerfGE 115, 25-51, überholt, ist dies unzu-treffend. Das BVerfG hat mit Nichtannahmebeschluss vom 30. Juni 2008 -1 BvR 1665/07-, NJW 2008, 3556, hier zit. n. juris, die Rechtsprechung des BSG zu den Kriterien für die Zuläs-sigkeit des Off-Label-Use zu Lasten der GKV ausdrücklich gebilligt (a.a.O., Rn. 9 und 10). Ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf bestimmte und spezielle Gesundheitsleistungen ergebe sich aus den Grundrechten nicht, und die gesetzlichen Krankenkassen seien nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar sei. Das in § 12 SGB V verankerte Wirtschaftlichkeitsgebot markiere die finanziellen Grenzen, die der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung von der Belastbarkeit der Beitragszahler und der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft gezogen würden. Die Verknüpfung der Wirtschaftlichkeit einer Leistung i.S.d. § 12 SGB V mit den An-forderungen des Arzneimittelrechts sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, weil das Arzneimittelrecht neben der Unbedenklichkeit auch die Prüfung der Qualität und der Wirk-samkeit des jeweiligen Arzneimittels mit einschließe. Nur das Vorliegen einer durch nahe Le-bensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage könne es geboten erscheinen lassen, auch solche ärztlich verantworteten Behandlungen in die Leistungspflicht der gesetzlichen Kranken-versicherung einzubeziehen, bei denen der Nachweis einer dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Qualität und Wirksamkeit der Behandlung noch nicht erbracht ist. Eine solche individuelle Notlage war bei der behandelten Patientin vor-liegend aber nicht gegeben. Nahe Lebensgefahr bestand nicht. Als mögliche Folge fehlender oder anderweitiger Behandlung hat der Kläger die (Teil-)Resektion des Dickdarms beschrie-ben. Dies ist mit naher Lebensgefahr nicht vergleichbar.

Im Übrigen geht es bei den vom BSG aufgestellten Kriterien zum Off-Label-Use darum, die GKV vor den finanziellen Folgen des Einsatzes nicht hinreichend erforschter Präparate bei be-stimmten Erkrankungen und die Patienten vor den gesundheitlichen Risiken eines solchen Ein-satzes zu schützen. Das Arzneimittelrecht bezweckt mit seinen Zulassungsanforderungen ein hohes Niveau an Wirksamkeit und Sicherheit der Arzneimittel. Es ist nicht Aufgabe der GKV, über den Off-Label-Use einen zweiten Weg der Arzneimittelzulassung zu eröffnen. Die Recht-sprechung des BSG ist deshalb als interessengerecht – gerade zur Gewährleistung eines hohen Maßes an Arzneimittelsicherheit – zu bewerten. Soweit einem Off-Label-Use noch Versuchs-charakter anhaftet, kommt seine Anwendung zu Lasten der GKV nicht in Betracht. Die GKV dient nicht der (mittelbaren) Finanzierung von Arzneimittelerprobungen. Auf subjektiv gepräg-te Einschätzungen und Erfahrungen des behandelnden Arztes kommt es deshalb nicht an.

Der streitgegenständliche Regress setzt kein Verschulden des Klägers voraus. Für die Festset-zung eines Regresses gegen einen Vertragsarzt wegen Verstößen gegen die Arzneimittelrichtli-nien bzw. wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel kommt es nach der Rechtsprechung des BSG auf ein Verschulden des Arztes nicht an (vgl. BSG, Beschl. v. 30. Mai 2006, -B 6 KA 14/06 B-, juris; LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 67 m.w.N.).

Der Regress ist schließlich auch der Höhe nach unter Berücksichtigung von Apothekenrabatt und Zuzahlung der Patientin in nicht zu beanstandender Weise festgesetzt worden. Soweit der Kläger gegen die Höhe des festgesetzten Regresses einwendet, im Falle rechtmäßigen Alterna-tivverhaltens wären der Beigeladenen zu 2) durch die Verordnung von Cyclosporin Kosten ent-standen, die schadensmindernd zu berücksichtigen seien, ist dies unbeachtlich. Denn scha-densmindernde Vorteile muss sich der Geschädigte bei der Ermittlung des eingetretenen Ver-mögensschadens grundsätzlich nur entgegenhalten lassen, wenn die Anrechnung dem Zweck des Schadenersatzes entspricht (normativer Schadensbegriff; vgl. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (MüKo) / Oetker § 249 Rd. 228 m.w.N.). Ob das der Fall ist, ist unter Berücksichtigung rechtlicher Wertungen außerhalb des Schadenersatzrechts zu bestimmen. Maßgeblich ist hierbei, dass die für die Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit maßgebenden Rechtsvorschriften (auch) dazu bestimmt sind, die Funktionsfähigkeit des kassenärztlichen Systems als Ganzes zu sichern, und dass dieser Zweck nicht durch die Anwendung bereiche-rungsrechtlicher Grundsätze unterlaufen werden darf. Diese Rechtsprechung ist auf Fälle des Schadenersatzes wegen unrechtmäßig veranlasster Leistungen zu übertragen. Eine andere Be-wertung würde es z.B. ermöglichen, dass nicht zugelassene Ärzte Leistungen zu Lasten der ge-setzlichen Krankenkassen veranlassen, ohne hierzu berechtigt und ohne an die für zugelassene Kassenärzte geltenden gesetzlichen und vertraglichen Einschränkungen gebunden zu sein (BSG, Urteil vom 21. Juni 1995, -6 RKa 60/94-, SozR 3-2500 § 95 Nr. 5; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 9. Mai 2006, -L 4 KA 14/04-, zit. n. juris). Der Festsetzung eines Schadens kann deshalb der Einwand ersparter Aufwendungen im Ergebnis nicht entgegengehalten werden (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 66).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 VwGO. Die außerge-richtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach §§ 197a SGG, 162 Abs. 3 VwGO nur erstat-tungsfähig, wenn das Gericht sie aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. Die Beigeladenen haben sich im Verfahren nicht zum Sach- und Streitstand geäußert und mangels abschließender Antragstellung auch kein eigenes Kostenrisiko übernommen (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), so dass kein Grund ersichtlich ist, ihre Kosten dem Kläger oder der Staatskasse aufzuerlegen.
Rechtskraft
Aus
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