L 18 R 346/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 R 250/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 R 346/05
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu beachtende europarechtliche Grundsatz, es bestehe eine Verpflichtung, von der Behörde eines anderen Mitgliedstaates ausgestellte Urkunden zu beachten, sofern deren Richtigkeit nicht durch konkrete, auf den Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt ist, ist als Beweisregel im Hinblick auf Wortlaut, Sinn und Zweck des § 33a Abs.2 SGB I auch im Verhältnis zu anderen als EU-Mitgliedstaaten ein geeigneter Orientierungsmaßstab.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.04.2005 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Streitig ist, ob die Beklagte an den Kläger eine neue Versicherungsnummer mit geändertem Geburtsdatum zu vergeben hat.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und hält sich seit 1975 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Mit Eintritt in die Deutsche Rentenversicherung wurde ihm am 14.03.1978 auf der Grundlage seiner Angaben eine Versicherungsnummer mit dem Geburtsdatum "1960" erteilt.

Am 28.08.1997 beantragte der Kläger die Berichtigung des Geburtsdatums in der Versicherungsnummer auf den "1955" und legte zur Begründung verschiedene Unterlagen vor (Urteile des Landgerichts - Zivil - O. vom 03.07.1997 und 09.07.1997, Militärdienstbescheinigungen vom 09.10.1997 und 05.02.1986, die Wehrdienstbescheinigung vom 20.02.1986, den Auszug aus dem Personenstandsregister für die Sozialversicherungsanstalt vom 18.12.1997, Schulbescheinigungen der Schule der Gemeinde B. und der Gemeinde H./TR vom 10.12.1997). Mit Schriftsatz vom 10.06.1998 übersandte die AOK Bayern - Die Gesundheitskasse - einen Auszug aus dem Personenstandsregister aufgrund eines Antrags des Klägers vom 11.05.1998. Am 28.07.1998 teilte das Ausländeramt der Beklagten mit, dass der Kläger am 16.06.1975 in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen sei und sich mit dem Geburtsdatum "1960" angemeldet habe. Mit Bescheid vom 15.12.1998 lehnte die Beklagte die Berichtigung des Geburtsdatums in der Versicherungsnummer im Wesentlichen mit der Begründung ab, es lägen keine Unterlagen vor, die im erforderlichen Umfang nachweisen könnten, dass der Kläger früher als 1960 geboren sei. Das türkische Gerichtsurteil enthalte keine Fakten, die eine Änderung des Geburtsdatums nachvollziehbar belegen könnten. Die Gründe, die das türkische Gericht dazu bewogen hätten, dem Antrag des Klägers auf Änderung des Geburtsdatums zu entsprechen, überzeugten nicht. In den Urteilsgründen werde auch die Frage, wie es zu der angeblich falschen Ersteintragung gekommen sei, nicht erörtert. Alle Unterlagen, die nach der Gerichtsentscheidung ausgestellt worden seien, könnten keine eigene Beweiskraft entfalten, da sie Ausfluss dieses Gerichtsurteils seien. Bei dem behaupteten Geburtsdatum "1955" ergebe sich eine Schulbeendigung im Alter von 16 Jahren. Dies sei unwahrscheinlich. Nur die nachträglich noch eingereichte Schulbescheinigung vom 12.05.1998 trage das beantragte Geburtsdatum. Diese Eintragung erscheine zweckgerichtet, zumal sowohl der Antrag auf Ausstellung dieser Bescheinigung als auch die daraufhin ausgestellte Bescheinigung offenbar von der gleichen Person ausgefertigt worden seien.

Den hiergegen am 04.01.1998 eingelegten Widerspruch, mit dem der Kläger vortrug, das Direktorat des Volksschulwesens der Gemeinde H. habe am 12.05.1998 bestätigt, dass er am 25.09.1962 in die 1.Schulklasse eingeschult worden sei, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2000 zurück. Sowohl die Wehrdienstbescheinigung vom 06.05.1987 als auch die Schulbescheinigungen der Priester- und Predigerschule in O. vom 12.04.1973 und der Grundschule der Gemeinde B. über den Abschluss der Grundschule am 12.05.1971 bestätigten das Geburtsjahr 1960. Die nachträglich eingereichten Schulbescheinigungen vom 12.05.1998 reichten dabei zum Nachweis des tatsächlichen Geburtsdatums nicht aus.

Hiergegen hat der Kläger am 04.04.2000 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und Kopien aus dem Schülerregister der Grundschule der Gemeinde
B. vorgelegt. Die Schulbücher seien für die Distrikte und Gemeinden, in denen sie geführt worden seien, echte Urkunden iS des § 33a Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Hingegen hat die Beklagte insbesondere die Auffassung vertreten, dass aus den vorgelegten Kopien des Schülerregisters der Grundschule der Gemeinde B. nicht erkennbar sei, aufgrund welcher Unterlagen das Geburtsdatum 1955 und zu welchem Zeitpunkt dieses Geburtsdatum eingetragen worden sei. Bei dem Auszug aus dem Schülerregister der Grundschule der Gemeinde B. handele es sich nicht um eine Urkunde iS des § 33a Abs.2 Nr.2 SGB I. Eine Urkunde iS dieser Vorschrift müsse geeignet und bestimmt sein, im Rechtsverkehr Beweis über das tatsächliche Datum der Geburt zu erbringen. Dies sei jedoch bei einer Schulbescheinigung, die lediglich den Sinn und Zweck habe, die Tatsache des Schulbesuchs und des Schulabschlusses nachzuweisen, zu verneinen.

Mit Urteil vom 18.04.2005 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.12.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2000 verurteilt, an den Kläger eine neue Versicherungsnummer unter Zugrundelegung eines Geburtsdatums "1955" zu vergeben. Der Anspruch auf Berichtigung einer Versicherungsnummer richte sich nach den §§ 147 und 152 Nr.3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) iVm der Verordnung über die Vergabe und Zusammensetzung der Versicherungsnummer (VNrV). Ob eine Versicherungsnummer unrichtig sei, bestimme sich nach § 33a SGB I. Die Vorschrift des § 33a SGB I enthalte dabei keine Beschränkung auf eine Berücksichtigung nur bestimmter Arten von Urkunden, sodass sich der Urkundenbegriff iS dieser Vorschrift nach den allgemeinen Bestimmungen richten müsse. Dass nur Urkunden zu berücksichtigen seien, deren Original vor der ersten Angabe des Versicherten ausgestellt worden sei, bedeute dabei nicht, dass das Original der Urkunde vorliegen müsse (vgl. BSG SozR 3-1200 § 33a Nr.4). Aus der im Klageverfahren vorgelegten Originalurkunde des Schülerregisters der Grundschule der Gemeinde B. ergebe sich, dass der Kläger am 24.09.1962 in der Schule angemeldet worden sei; gleichzeitig sei darin vermerkt, dass er 1955 geboren sei. Diese beiden Angaben seien in sich logisch und widerspruchsfrei. Die Einschulung im Jahr 1962 schließe geradezu das bisher geführte Geburtsjahr 1960 aus. An der Echtheit der Urkunde bestünden keine vernünftigen Zweifel. Bei dem Auszug aus dem Schülerregister handele es sich um eine Urkunde iS dieser gesetzlichen Vorschrift. Im Hinblick auf den weiten Urkundenbegriff könne nicht verlangt werden, dass eine Urkunde iS des § 33a SGB I nur dann vorliege, wenn diese speziell einen Nachweis des Geburtsdatums erbringen solle. Dies widerspreche zum einen dem allgemeinen weiten Urkundenbegriff und zum anderen dem Sinn und Zweck des § 33a SGB I. Es wäre selbst fraglich, ob ein Reisepass eine solche Urkunde wäre. Denn auch ein Reisepass sei nicht in erster Linie dazu ausgestellt, ein Geburtsdatum zu dokumentieren; insbesondere sei aber der Schutzgedanke des § 33a SGB I zu bedenken. Diese Vorschrift solle im Wesentlichen einem Missbrauch vorbeugen. Vorliegend sei eine solche missbräuchliche Verwendung aber gerade nicht ersichtlich.

Hiergegen richtet sich die beim Bayer.Landessozialgericht am 12.05.2005 eingegangene Berufung der Beklagten. Der Kläger habe am 16.06.1975 einen gültigen Reisepass mit dem Geburtsdatum "1960" vorgelegt. Bereits am 18.04.1969 sei das Geburtsdatum "1960" beim türkischen Standesamt registriert worden. Das Geburtsjahr 1960 weise auch die Urkunde aus, wonach der Kläger vom 13.03.1987 bis 13.05.1987 seinen Wehrdienst abgeleistet habe. Aus einer Bescheinigung des Generalkonsulats der Türkei vom 20.02.1986, die ebenfalls das Geburtsdatum "1960" ausweise, gehe zudem hervor, dass die zweimonatige Pflichtwehrübung am 15.03.1987 begonnen und am 15.05.1987 geendet habe. Nach der Seite 4 des Versicherungsverlaufs habe der Kläger bis zum 13.03.1987 Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Der Versicherungsverlauf enthalte dann eine Lücke und werde mit Pflichtbeitragszeiten am 18.05.1987 fortgesetzt. Der bescheinigte zweimonatige Wehrdienst passe genau in den ansonsten geschlossenen Versicherungsverlauf, der zudem auf dem Geburtsdatum "1960" aufbaue. Ein vom Kläger behauptetes Geburtsdatum "1955" sei schon mit seinem Versicherungsleben nicht in Einklang zu bringen. Ausgehend von einem Geburtsjahr 1955 müsse der Kläger bereits über 30 Jahre alt gewesen sein, als er seinen zweimonatigen Wehrdienst in der Türkei angetreten habe. Dies sei aus den Erfahrungen mit Vergleichsfällen nicht wahrscheinlich. Der Kläger habe bereits im Verwaltungsverfahren eine Reihe verschiedener Unterlagen vorgelegt, aus denen das Geburtsjahr 1960 hervorgehe. Er könne nicht bereits am 24.09.1962 eingeschult worden sein, weil er dann die Grundschule fast neun Jahre besucht hätte. Er habe für seine Erklärung für den überlangen Besuch der Grundschule, nämlich dass er mehrfach sitzen geblieben sei, keinen Beweis erbracht. Die Richtigkeit des Schülerregisters sei durch konkrete, auf den Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt worden, weil der Kläger die Grundschule fast neun Jahre besucht hätte. Dies würde bedeuten, dass der Kläger jedes Schuljahr wiederholt hätte. Dies sei nach den vorliegenden Angaben offenbar nicht der Fall.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.04.2005 aufzuheben und
die Klage gegen den Bescheid vom 15.12.1998 in der Gestalt des Wider-
spruchsbescheides vom 14.03.2000 abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg
vom 18.04.2005 zurückzuweisen.

Allein die Bestätigung des Direktorats für das Volksschulwesen der Gemeinde
H., aus der sich ergebe, dass er bereits 1962 und 1963 wegen Krankheit und Unregelmäßigkeiten sitzen geblieben sei, spreche dafür, dass er nicht 1960 geboren sein könne. Der Sinn der Urkunde könne nur dahingehend ausgelegt werden, dass niemand mit zwei Jahren im Jahr 1962 bereits eingeschult werde, 1955 somit das richtige Geburtsjahr sein müsse. Die Militärdienstbescheinigungen beruhten auch nur auf der Herbeiholung von Dokumenten und Urkunden der Wehrpflichtakte des Betroffenen. Selbst wenn die Beklagte meine, diese Urkunde sei nicht errichtet worden, um das Geburtsdatum zu dokumentieren, so solle sie doch bedenken, dass der Primärzweck dieser Urkunde gewesen sei, nachzuweisen, wann er als Schüler eingeschult worden sei. Dies sei 1962 gewesen. Wenn dann in der gleichen Spalte auch das Geburtsdatum 1955 auftauche, so sei dies in sich schlüssig und ein echter Beweis dafür, dass er nicht im Jahr 1960 geboren sein könne. Es sei nicht verschwiegen worden, dass er aufgrund der schulischen Situation (mehr Fehlzeiten als der Besuch der Schule) nahezu jede Klasse, ebenso wie seine Leidensgenossen, habe wiederholen müssen. Er habe am 24.09.1962 die 1.Klasse besucht und sei in den Schuljahren 62/63, 63/64 und 66/67 ebenfalls sitzen geblieben.

Der Senat hat die Versichertenakte der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern, die Akten der Beklagten und des SG mit den Az: S 6 R 773/08 und
S 8 RJ 250/00 beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Gerichtsakte verwiesen.


Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -)

Die Berufung erweist sich jedoch als nicht begründet.

Zu Recht hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.12.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.03.2000 verurteilt, an den Kläger eine neue Versicherungsnummer unter Zugrundelegung eines Geburtsdatums "1955" zu vergeben. Denn dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Berichtigung einer Versicherungsnummer nach den §§ 147 in der Fassung vom 18.12.1989 (gültig ab 01.01.1992 bis 31.12.2001), 152 Nr.3 in der Fassung vom 13.06.1994 (gültig ab 18.06.1994 bis 06.11.2001) SGB VI iVm der VNrV zu.

Nach § 147 Abs.1 Satz 1 SGB VI kann der Träger der Rentenversicherung für Personen eine Versicherungsnummer vergeben, wenn dies zur personenbezogenen Zuordnung der Daten für die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe nach diesem Gesetzbuch erforderlich oder dies durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmt ist. Für die nach diesem Buche versicherten Personen hat er eine Versicherungsnummer zu vergeben, Satz 2.

Nach § 147 Abs.2 Satz 1 SGB VI setzt sich die Versicherungsnummer einer Person aus der Bereichsnummer des die Versicherungsnummer vergebenden Trägers der Rentenversicherung, dem Geburtsdatum, dem Anfangsbuchstaben des Geburtsnamens, der Seriennummer, die auch eine Aussage über das Geschlecht einer Person enthalten darf, und der Prüfziffer zusammen.

Näher geregelt sind die Vergabe und die Zusammensetzung der Versicherungsnummer in der VNrV. Nach § 2 Abs.3 Satz 1 VNrV enthalten die Stellen 3 - 8 der Versicherungsnummer das Geburtsdatum. Für die zwischen den Beteiligten streitige Vergabe einer neuen Versicherungsnummer wegen Unrichtigkeit des in der bisherigen Versicherungsnummer eingetragenen Geburtsdatums ist § 1 Abs.5 VNrV einschlägig. Danach wird eine Versicherungsnummer nur einmal vergeben und nicht berichtigt. Ist das Geburtsdatum oder die Seriennummer unrichtig, erhält der Versicherte eine neue Versicherungsnummer. Die insoweit unrichtige Versicherungsnummer ist nicht mehr zu verwenden und als "nicht verwendbar" zu kennzeichnen.

Ob eine Versicherungsnummer unrichtig ist, bestimmt sich nach § 33a SGB I. Sind Rechte oder Pflichten davon abhängig, dass eine bestimmte Altersgrenze erreicht oder nicht überschritten ist, ist das Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten oder Verpflichteten oder seiner Angehörigen gegenüber einem Sozialleistungsträger oder, soweit es sich um eine Angabe im Rahmen des Dritten oder Sechsten Abschnitts des Vierten Buches handelt, gegenüber dem Arbeitgeber ergibt, § 33a Abs.1 SGB I. Von einem nach Abs.1 maßgebenden Geburtsdatum darf nur abgewichen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, dass
ein Schreibfehler vorliegt oder
sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach Abs.1 ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt, Abs.2.

Die Absätze 1 und 2 gelten für Geburtsdaten, die Bestandteil der Versicherungsnummer oder eines anderen in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuches verwendeten Kennzeichens sind, entsprechend, Abs.3.

Bei der durch Art.2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderen Gesetzen (1.SGB III-ÄndG) vom 16.12.1997 (BGBl I, 2970, 2981) eingeführten Vorschrift des § 33a SGB I war die gesetzgeberische Absicht, die rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch Änderung von Geburtsdaten zu verhindern und den Verwaltungsaufwand bei den deutschen Sozialleistungsträgern durch diese Beweisregel zu mindern (vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drucks 13/8994 S.67 zu Art.1; Eicher/Hase/Rauschen-bach SGB I, § 33a SGB I, Rdnrn. 1 - 3). § 33a SGB I enthält eine eigenständige Definition des im Geltungsbereich des SGB für altersabhängige Rechte und Pflichten maßgebenden Geburtsdatums.

Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt das Schülerregister der Grundschule der Gemeinde B., von dem der Kläger im Klageverfahren dem SG Kopien vorgelegt hat, eine Urkunde iS des § 33a Abs.2 Nr.2 SGB VI dar, aus der sich ergibt, dass das ursprünglich von ihm angegebene Geburtsdatum "1960" unrichtig ist.

In Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28.04.2004 (B 5 RJ 33/03 R) geht der Senat davon aus, dass sich der Begriff der Urkunde iS von § 33a Abs.2 Nr.2 SGB I nach den allgemeinen Bestimmungen richtet und eine Beschränkung auf die Berücksichtigung nur bestimmter Urkunden der Vorschrift nicht zu entnehmen ist (s. hierzu auch BSG Urteil vom 05.04.2001
B 13 RJ 35/00 R - BSGE 88, 89 = SozR 3-1200 § 33a Nr.4; Urteil vom 31.01.2002 - B 13 RJ 9/01 R - veröffentlicht in juris). Danach sind Urkunden alle durch Niederschrift verkörperten Erklärungen, die geeignet sind, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen (vgl. BSG Urteil vom 05.04.2001, aaO, mwN). Für die Auffassung, eine Urkunde iS des § 33a Abs.2 Nr.2 SGB I müsse von einer Behörde oder sonstigen Stelle ausgestellt sein und diese müsse für die Bestätigung personenstandsrechtlich relevanter Tatsachen zuständig sein (s. BayLSG Urteil vom 21.07.2001 - L 20 RJ 102/01 - veröffentlicht in juris), gibt das Gesetz keinen Anhaltspunkt. § 33a Abs.2 Nr.2 SGB I verlangt auch nicht, dass das Geburtsdatum als solches in der Urkunde ausdrücklich und vollständig vermerkt ist; es "ergibt" sich aus der Urkunde auch, wenn die durch die Urkunde bewiesenen Tatsachen zur vollen Überzeugung des Gerichts auf ein abweichendes Geburtsdatum iS des
§ 33a Abs.2 Nr.2 SGB I schließen lassen (BSG Urteil vom 28.04.2004, aaO).

Nach den allgemeinen Bestimmungen ist als Urkunde iS von § 33a Abs.2 Nr.2 SGB I - ebenso wie in § 21 Abs.1 Nr.3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und § 118 Abs.1 Satz 1 SGG iVm § 415 Zivilprozessordnung (ZPO) - jede schriftliche Verkörperung eines Gedankens zu verstehen (BSG Urteil vom 05.04.2001, aaO; vgl. auch von Wulffen, SGB X, Komm., 6.Aufl, § 21 Rdnr. 9; Roller in Hand Komm - SGG, 2003, § 118 Rdnr. 35; Schreiber in Münchener Komm. zur ZPO, Bd.2, 2.Aufl. 2000, § 415 Rdnr. 1, Reichold in Thomas/ Putzo, ZPO - Komm. 24.Aufl., Vorbemerkung zu § 415 Rdnr.1). Der Aussteller und die Art und Weise der Ausstellung sind unerheblich. Selbst Fotokopien stellen nach diesen all-gemeinen Bestimmungen Urkunden dar (BSG Urteil vom 05.04.2001 - BSGE 88, 89, 93 = SozR 3-1200 § 33a Nr.4 S 20; BVerwG Beschluss vom 03.01.1986
- 9 B 399/85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr.29).

Zu Recht ist das SG daher davon ausgegangen, dass für die Beurteilung der Frage, ob sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach Abs.1 ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt, nicht nur Personenstandsunterlagen bzw. nur solche Urkunde herangezogen werden können, die das Geburtsdatum selbst unmittelbar dokumentieren. Somit handelt es sich bei dem Auszug aus dem Schülerregister um eine Urkunde iS des § 33a Abs.2 Nr.2 SGB I.

Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger lediglich - vom Notar beglaubigte - Fotokopien des Original-Schülerregisters vorgelegt hat. Dass nur Urkunden zu berücksichtigen sind, deren Original vor der ersten Angabe des Versicherten ausgestellt worden ist, bedeutet nämlich nicht, dass das Original der Urkunde vorliegen muss (vgl. BSG Urteil vom 05.04.2001, aaO mwN).

Zwar enthält der Auszug aus dem Schülerregister nicht ausdrücklich das Datum der Originalurkunde. Aus dem Inhalt des Schülerregisters ergibt sich jedoch, dass die Originalurkunde "Schülerregister" während des Schulbesuchs ausgestellt worden sein muss, denn der Vater des Klägers hat als Erziehungsberechtigter unterschrieben. Damit ist das Schülerregister als Originalurkunde jedenfalls vor dem Zeitpunkt der Angabe des Klägers nach Abs.1 des § 33a SGB I ausgestellt worden. Aus den dargelegten Gründen ist es auch unerheblich, dass sich aus der Urkunde das konkrete Geburtsdatum nach Tag und Monat nicht ergibt, sondern lediglich das Geburtsjahr "1955". Jedenfalls ist das vorgelegte Schülerregister eine Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach Abs.1 des § 33a SGB I ausgestellt worden ist und ist daher "richtiger" als das bisher angegebene und von der Beklagten angenommene Geburtsdatum (siehe auch HessLSG Urteil vom 28.03.2003 - L 13 RJ 872/97 -).

Rechtsfolge ist, dass von dem Geburtsdatum der ersten Angabe des Klägers iS des § 33a Abs.1 SGB I abgewichen werden darf. Mit dem Wort "darf" wird dem Leistungsträger dabei kein Ermessensspielraum eingeräumt. Vielmehr hat es den Sinn einer Ermächtigung und Befugnis (vgl. BSG Urteil vom 05.04.2001, aaO mwN).

Die Ermächtigung ("darf") im Abs.2 des § 33a SGB I hat jedoch nicht zwangsläufig die rechtliche Konsequenz, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen der Nr.2 des § 33a Abs.2 SGB I von dem nach Abs.1 maßgebenden Geburtsdatum abgewichen werden muss. Das der Erstangabe iS von § 33a Abs.1 SGB I entsprechende Geburtsdatum ist nicht automatisch durch ein Geburtsdatum zu ersetzen, das in einer älteren Urkunde verzeichnet ist. Vielmehr ist nach den allgemeinen Grund-sätzen des Beweisrechts zu entscheiden, ob aus einer älteren Urkunde sich
nunmehr ein anderes Geburtsdatum "ergibt" (BSG, Urteil vom 31.01.2002
- B 13 RJ 9/01 R -). Danach resultiert aus den Grundsätzen, die sich der Entscheidung des EuGH in der Sache Dafeki vom 02.12.1997 (EuGHE I 1997, 6761 = SozR 3-7670 § 66 Nr.1) entnehmen lassen, grundsätzlich eine Verpflichtung der deutschen Stellen, von der Behörde eines anderen Staates ausgestellte Urkunden zu beachten, sofern deren Richtigkeit nicht durch konkrete, auf den Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt ist (vgl. BSG Urteil vom 05.04.2001 - BSGE 88, 89, 95 = SozR 3-1200 § 33a Nr.4).

Dass dieser Orientierungssatz auch im Verhältnis zu Staaten gelten muss, die nicht Mitglied der Europäischen Union (EU) sind, lässt sich nach Auffassung des Senats schon aus § 33a SGB I folgern, der eine Unterscheidung nach dem Herkunftsland der Urkunde nicht trifft. Dabei können die für die Maßgeblichkeit des Geburtsdatums relevanten Urkunden im Rahmen der Beweiswürdigung auch unter dem Gesichtspunkt geprüft werden, ob sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Durchführung eines Verfahrens zur Änderung des Geburtsdatums im Heimatstaat wesentlich mit dem Ziel verfolgt worden ist, in Deutschland eine Sozialleistung missbräuchlich in Anspruch zu nehmen. Insoweit kann einerseits der zeitliche Zusammenhang zwischen der Änderung des amtlich registrierten Geburtsdatums und der Inanspruchnahme von Sozialleistungen sowie andererseits auch von Bedeutung sein, über welchen Zeitraum das dokumentierte geänderte Geburtsdatum von einem Versicherten bereits geführt worden ist.

Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass sich aus dem vorgelegten Auszug aus dem Schülerregister der türkischen Gemeinde B. das Geburtsjahr des Klägers "1955" ergibt. Darin ist nämlich nicht nur das Geburtsjahr des Klägers, sondern auch der Eintritt in die Schule bescheinigt worden; diese beiden Angaben sind in sich widerspruchsfrei. Bei einer Einschulung im Jahr 1962 ist ein Geburtsjahr 1955 plausibel und nachvollziehbar. Eine Einschulung im Jahr 1962 schließt hingegen das bisher geführte Geburtsdatum "1960" aus. Darüber hinaus enthält der Auszug aus dem Schülerregister detaillierte Angaben über das Vorrücken des Klägers in die nächste Klasse bzw. darüber, dass er in den Schuljahren 1962 bis 1963, 1963 bis 1964 und 1966 bis 1967 sitzen geblieben ist. An der Echtheit der Urkunde bestehen keine vernünftigen Zweifel; insbesondere spricht für die Echtheit der Urkunde, dass das Schülerregister über die Angaben bezüglich des Klägers hinaus im gleichen Umfang Angaben zu den anderen Schülern (Geburtsjahr, Geburtsort, leibliche Vorfahren) enthält.

Konkrete, auf den Einzelfall bezogene Anhaltspunkte, die die Richtigkeit des Schülerregisters in Frage stellen, sind weder ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen.

Die Richtigkeit des Schülerregisters wird nicht durch einen zeitnah mit dem Antrag vom 28.08.1997 auf Berichtigung des Geburtsdatums in der Versicherungsnummer gestellten Rentenantrag in Frage gestellt. Denn der Kläger hat - wie aus der beigezogenen Akte der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern ersichtlich ist - erst am 10.04.2007 einen Rentenantrag gestellt.

Soweit die Beklagte auf die vom Kläger vorgelegten Unterlagen hinweist, die nach dem gemäß § 33a Abs.1 SGB I maßgeblichen Zeitpunkt ausgestellt worden sind, aus denen sich das Geburtsjahr "1960" ergebe, lassen sich daraus schon deshalb nicht ernstliche Zweifel an die Richtigkeit des Inhalts des Schülerregisters herleiten, weil unterschiedliche Angaben bezüglich des Geburtsjahres die von § 33a Abs.2 SGB I zu regelnde zugrunde liegende Fallkonstellation ist. Dass die vom Kläger iS des § 33a Abs.1 SGB 1 gemachten Angaben durch Unterlagen belegt sind, hindert nicht die Anwendbarkeit des Abs.2 des § 33a SGB I.

Der Senat vermag auch der Argumentation der Beklagten, das vom Kläger behauptete Geburtsdatum "1955" sei schon mit dessen Versicherungsleben nicht in Einklang zu bringen, nicht zu folgen. Insoweit weist die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung darauf hin, dass aus einer Bescheinigung des Generalkonsulats der Türkei vom 20.02.1986, die ebenfalls das Geburtsdatum "1960" ausweise, hervorgehe, dass eine zweimonatige Pflichtwehrübung am 15.03.1987 begonnen und am 15.05.1987 geendet habe. In diesem Zusammenhang verweist die Beklagte ausdrücklich auf Seite 4 des Versicherungsverlaufs des Klägers. Danach habe der Kläger bis zum 13.03.1987 Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Der Versicherungsverlauf enthalte dann eine Lücke und werde mit Pflichtbeitragszeiten am 18.05.1987 fortgesetzt. Der bescheinigte zweimonatige Wehrdienst passe genau in den ansonsten geschlossenen Versicherungsverlauf, der zudem auf dem Geburtsdatum "1960" aufbaue. Ausgehend von einem Geburtsjahr "1955" wäre der Kläger bereits über 30 Jahre alt gewesen, als er seinen zweimonatigen Wehrdienst in der Türkei angetreten habe. Dies sei aus der Erfahrung der Beklagten mit Vergleichsfällen nicht wahrscheinlich.

Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich dem Umstand, dass der zweimonatige Wehrdienst genau in den ansonsten geschlossenen Versicherungsverlauf passt, kein Argument für das Geburtsdatum des Klägers entnehmen. Ebenso- wenig sagt der Beginn der Entrichtung von Pflichtbeiträgen lt. Gesamtkontospiegel am 07.09.1977 über das Geburtsdatum des Klägers aus. Auch die Ableistung der zweimonatigen Grundausbildung bei der Artillerie-Brigade im Zeitraum vom 13.03.1987 bis 13.05.1987 lässt keinen Schluss auf das Geburtsdatum des Klägers zu, zumal der Kläger auch bei einem unterstellten Geburtsdatum im Jahr "1960" bei Ableistung der Wehrübung bereits 27 Jahre gewesen wäre.

Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Schülerregisters ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger - worauf die Beklagte hinweist - die Grundschule fast neun Jahre besucht hat. In diesem Zusammenhang ist auch die Einlassung des Klägers, er habe mehr Fehlzeiten gehabt als die Schule besucht und sei nahezu jede Klasse - ebenso wie seine Leidensgenossen - sitzen geblieben, als glaubhaft zu berücksichtigen.

Zusammenfassend ist das Schülerregister als Urkunde seinem Charakter nach geeignet, die Richtigkeit des darin angegebenen Geburtsdatums zu belegen.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, § 160 Abs.2 Nrn 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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