L 11 AL 327/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 AL 915/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 327/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.07.2001 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 30.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.1999 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Insolvenzgeld (InsG).

Der am 1943 geborene Kläger war bei der Firma B. E. in F. beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis wurde durch Kündigung des Arbeitgebers vom 14.10.1998 beendet.

Auf seine dagegen zum Arbeitsgericht Nürnberg erhobene Klage wurde im Versäumnisurteil vom 22.12.1998 - 2 Ca 9065/98 - festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Firma E. erst zum 26.10.1998 aufgelöst wurde. Gleichzeitig wurde die Firma E. verurteilt, an den Kläger den noch ausstehenden Lohn für die Monate September und Oktober 1998 in Höhe von 5.958,75 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 03.12.1998 zu zahlen.

Mit Beschluss vom 27.01.1999 lehnte das Amtsgericht Nürnberg - Konkursgericht - den Antrag der AOK Bayern auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen von Herrn B. E. mangels Masse ab (Az: 80 N 628/98).

Mit Schreiben vom 18.03.1999 teilte der Bevollmächtigte des Klägers diesem mit, der Gerichtsvollzieher habe im Verlaufe des Zwangsvollstreckungsverfahrens festgestellt, dass Herr E. die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Die Beklagte müsse nun InsG erstatten. Falls er noch diesbezügliche Fragen habe, solle sich der Kläger an seinen Bevollmächtigten wenden.

Am 21.04.1999 beantragte der Kläger daraufhin die Gewährung von InsG bei der Beklagten für den Zeitraum vom 01.09.1998 bis 14.10.1998.

Mit Bescheid vom 30.07.1999 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da der Kläger die Antragsfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) versäumt habe.

Der hiergegen am 10.08.1999 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 08.10.1999).

Dagegen hat der Kläger am 18.10.1999 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben.

Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 17.07.2001 verurteilt, dem Kläger InsG zu gewähren. Der Kläger habe seinen Antrag innerhalb der Nachfrist des § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III gestellt. Diese Nachfrist könne er in Anspruch nehmen, da er die Ausschlussfrist von zwei Monaten gem § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III aus Gründen versäumt habe, die von ihm nicht zu vertreten wären. Der Kläger sei erst kurz vor Ende der Frist (am 29.03.1999) durch das Schreiben seines Bevollmächtigten vom 18.03.1999 auf die Möglichkeit der Beantragung von InsG bei der Beklagten hingewiesen worden. Beim Verstreichenlassen der Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III sei kein Verschulden des Klägers erkennbar, da er die Antragsfrist habe ausschöpfen dürfen. Unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeitsstruktur, der Abweisung des Insolvenzantrags durch das Amtsgericht Nürnberg erst am 27.01.1999 und dem Umstand, dass dem Kläger eine ausreichende Zeit zur Beratung und Überlegung zur Verfügung stehen müsse, sei es ihm nicht zumutbar gewesen, innerhalb der verbliebenen Zeit bis zum Fristende einen Antrag auf Gewährung von InsG zu stellen.

Gegen das ihr am 03.08.2001 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 22.08.2001 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.

Die Antragsfrist nach § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III sei vom 28.01.1999 bis 27.03.1999 gelaufen. Durch das Vollstreckungsprotokoll des Obergerichtsvollziehers K. vom 25.09.1999 und dem Schreiben seines Anwaltes vom 18.03.1999 sei der Kläger auf die Möglichkeit der Beantragung von InsG hingewiesen worden. Entgegen der Auffassung des SG werde dem Kläger die Nachfrist des § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) nicht eröffnet, wenn das von ihm nicht zu vertretene Antragshindernis während des Laufs der Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III weggefallen ist und es ihm unter den gegebenen Umständen bei Anwendung der zumutbaren Sorgfalt möglich gewesen wäre, diese Antragsfrist einzuhalten. Zwischen der Kenntnisnahme des Klägers von der Zahlungsunfähigkeit seines früheren Arbeitgebers hätte jedoch ein Zeitraum von 12 Tagen gelegen, innerhalb dessen es ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre, einen Antrag auf InsG zu stellen. Dazu hätte es lediglich eines Telefonanrufes bedurft, nicht jedoch einer Zusammenstellung und Beifügung von Unterlagen. Diese hätten auch nachgereicht werden können. Auch das BSG gehe in seiner Rechtsprechung davon aus, dass ein Zeitraum von knapp einer Woche ausreichend sei, um die Ausschlussfrist zu wahren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Nürnberg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zum BSG zuzulassen.

Da es sich im § 324 Abs 3 SGB III um materiell-rechtliche Ausschlussfristen handle, sei die Beklagte gehalten, Nachsicht bei der Versäumung dieser Ausschlussfrist zu üben. Der Kläger habe nach Zugang des Schreibens vom 18.03.1999 unter Berücksichtigung der normalen Postlaufzeiten zunächst seine Unterlagen für den Antrag zusammenzustellen gehabt. Da ein Versicherter grundsätzlich nach § 324 Abs 3 SGB III zwei Monate Zeit für die Antragstellung zur Verfügung habe, sei nicht ersichtlich, warum der Kläger, der kurz vor Fristablauf des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III von dem möglicherweise eingetretenen Insolvenzereignis erfahren habe, sofort den Antrag stellen müsse. § 324 Abs 3 SGB III stelle im Übrigen eine spezialgesetzliche Regelung des Rechtsinstituts der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dar. Es sei deshalb nicht einzusehen, weshalb dem Kläger in § 324 Abs 3 SGB III kürzere Überlegungsfristen eingeräumt werden sollten, als bei der Versäumung von Rechtsmittelfristen bzw Antragsfristen, in denen § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Monatsfrist eröffnet. Da das BSG die Frage des Wegfalls des Hindernisses innerhalb der Antragsfrist nicht abschließend geklärt hat, werde angeregt, die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen.

Die Beteiligten haben sich im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 12.09.2002 mit einer Entscheidung des Berufungsverfahrens durch den Berichterstatter ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Prozessakten des Arbeitsgerichtes Nürnberg, des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG). Im Einverständnis mit den Beteiligten konnte die Entscheidung ohne weitere mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter ergehen (§§ 124 Abs 2, 155 Abs 3 und 4 SGG).

In der Sache erweist sich die Berufung auch als begründet, denn das SG hat im angefochtenen Urteil vom 17.07.2001 die Beklagte zu Unrecht zur Zahlung von InsG an den Kläger vom 01.09.1998 bis 14.10.1998 verurteilt, da der Kläger die Antragsfrist des § 324 Abs 3 SGB III versäumt hat.

InsG ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen (§ 324 Abs 3 Satz 1 SGG). Hat der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht vertreten hat, so wird InsG geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird (§ 324 Abs 3 Satz 2 SGG). Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (§ 324 Abs 3 Satz 3 SGB III).

Nachdem das Amtsgericht Nürnberg - Insolvenzgericht - den Antrag der AOK Bayern auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die Firma E. am 27.01.1999 mangels Masse abgelehnt hatte (= Insolvenzereignis iSd § 183 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III), begann die Antragsfrist nach § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III am 28.01.1999 zu laufen und endete am 27.03.1999. Der Kläger hatte durch das Schreiben seines Bevollmächtigten vom 18.03.1999, in dem dieser ihn auf die Möglichkeit der Beantragung von InsG bei der Beklagten hingewiesen hatte, von der Antragsmöglichkeit erfahren. Er hat jedoch erst am 21.04.2001 und somit außerhalb der Ausschlussfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III einen entsprechenden Antrag bei der Beklagten gestellt.

Entgegen der Auffassung des Klägers begann die Antragsfrist nach § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III nicht erst mit dem Zeitpunkt der Kenntnis von der Möglichkeit der Beantragung von InsG bei der Beklagten zu laufen. Der Gesetzgeber hat im SGB III die Regelung getroffen, dass bei nicht zu vertretender Versäumung der zweimonatigen Antragsfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III eine weitere Zweimonatsfrist in § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III eröffnet ist, die zwar erst mit dem Wegfall des Hindernisses zu laufen beginnt, aber voraussetzt, dass die Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III unvertretbar versäumt worden ist. Fällt das Hindernis jedoch - wie im vorliegenden Fall - schon während des Laufes der Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III weg, so ist die weitere Frist des § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III nicht eröffnet. Maßgeblich bleibt vielmehr die erste Frist. Diese Rechtsauffassung, die das BSG in ständiger Rechtsprechung zur wortgleichen Bestimmung des § 141 e Abs 1 AFG in der Fassung des 5.AFG-ÄndG vom 23.07.1979 (BGBl I, 1189) vertreten (vgl BSGE 55, 284; BSG vom 16.11.1984 - 10 RAr 17/83; BSG vom 10.04.1985 - 10 RAr 11/84) und der sich das BayLSG angeschlossen hat, aufzugeben, besteht kein Anlass. Ein Antragsteller kann eine ihm gesetzlich eingeräumte Frist zwar voll ausnutzen, dh seinen Antrag erst am letzten Tag dieser Frist stellen. Das bedeutet aber nicht, dass diese Frist unterbrochen oder gehemmt wird, wenn der Berechtigte während ihres Laufes zeitweise unverschuldet an der Antragstellung gehindert ist. So ist etwa auch für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung einer gesetzlichen Verfahrensfrist nach § 67 SGG die unverschuldete Versäumung Voraussetzung für die Wiedereinsetzung. Auch hier beginnt die einmonatige Antragsfrist mit dem Wegfall des Hindernisses. War das Hindernis jedoch schon während des Laufes der eigentlichen Frist weggefallen, so ist die Versäumung zu vertreten, wenn es dem Berechtigten unter den gegebenen Umständen bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt möglich gewesen wäre, die Frist einzuhalten. Würde man der Rechtsansicht des Klägers folgen, dass die weitere Frist des § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III in jedem Fall mit dem Wegfall des Hindernisses eröffnet wird, gleichgültig, ob dieser Zeitpunkt vor oder nach Ablauf der Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III liegt, würde dies wieder zu der früheren Rechtsauffassung des BSG führen, dass bei nicht zu vertretender Unkenntnis - jedenfalls eines Ablehnungsbeschlusses - eine Antragsfrist von zwei Monaten erst mit der tatsächlichen Kenntnis beginnt. Dies entspricht jedoch nicht der gesetzlichen Fassung des § 324 Abs 3 SGB III. Da der Kläger mit seinem Antrag vom 21.04.1999 die Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III versäumt hatte, hätte ihm die weitere Frist des § 324 Abs 3 Satz 2 SGB III nur zur Verfügung gestanden, wenn er die Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III aus Gründen, die von ihm nicht zu vertreten sind, versäumt hat. Weil er dabei jede Fahrlässigkeit zu vertreten hat, wäre das nur der Fall gewesen, wenn er ohne fahrlässig zu handeln, diese Frist nicht einhalten konnte (vgl BSG aaO). Nachdem der Kläger jedoch durch das Schreiben seines Bevollmächtigten vom 18.03.1999 von der Möglichkeit der Beantragung von InsG bei der Beklagten erfahren hatte, war es ihm bis zum Ablauf der Antragsfrist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III am 27.03.1999 möglich, einen entsprechenden Antrag zu stellen, ohne dazu weitere Unterlagen oder Beweismittel vorlegen zu müssen (vgl BSG vom 14.08.1984 - 10 RAr 18/83).

Wegen Versäumung der Frist des § 324 Abs 3 Satz 1 SGB III hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von InsG. Das Urteil des SG vom 17.07.2001 war deshalb aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 30.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.1999 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG), da das BSG in den oben genannten Entscheidungen die hier streitige Rechtsfrage zum wortgleichen § 141 e Abs 1 AFG aF bereits geklärt hat.
Rechtskraft
Aus
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