Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 13 P 39/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 P 115/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Münster vom 5. Juli 2000 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger beansprucht die Gewährung von Pflegegeld der Stufe III statt nach der Stufe II. Die Beteiligten streiten im wesentlichen, ob eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Person jedenfalls seit Dezember 1997 für die Pflege des Klägers im Bereich der Körperpflege, der Ernährung (ohne Kochen und Einkaufen) sowie im Bereich der Mobilität (= Grundpflege) statt der für die Einstufung in die Pflegestufe II erforderlichen Zeit von wenigstens 120 Minuten täglich - wie für die Einstufung in die Pflegestufe III u.a. notwendig - mindestens 240 Minuten mehr an Pflegezeit aufwenden muß, als die, die für ein gleichaltriges gesundes Kind anfällt (§ 15 Abs 2 und 3 des Sozialgesetzbuches (SGB) XI).
Der Kläger ist am 10.3.1989 geboren und lebt in einem Haushalt mit Vater, Stiefmutter und mehreren zwischen 1984 und 1994 geborenen gesunden Geschwistern. Er hat am 14. Mai 1989 einen Schädelhirntrauma erlitten - soweit bekannt: im Auto der Eltern bei einem Autounfall, bei dem die leibliche Mutter ums Leben gekommen ist. Der Kläger leidet möglicherweise deshalb an geistiger Behinderung mit sprachlicher Retardierung bei wohl i.ü. im wesentlichen vollständiger organischer Gesundheit. Das Versorgungsamt hat ihm einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Nachteilsausgleiche "G" und "H" zuerkannt. Die Pflege des Kindes besorgt im wesentlichen die Stiefmutter. Jedenfalls seit Anfang 1996 besucht der Kläger eine Schule für geistig Behinderte; er wird idR gegen 7 Uhr 30 mit dem Bus abgeholt und gegen 15 Uhr, Freitags gegen 13 Uhr zurückgebracht.
Gestützt auf ein Schreiben des Kinderarztes Dr. B ... aus W ... vom 16.8.1994 beantragte der Vater des Kindes Ende 1994 die Gewährung von Pflegegeld. Der Arzt M ... vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MdK) befand in seinem auf Veranlassung der AOK erstellten Gutachten vom 13.9./15.11.1995, nach Angaben der Stiefmutter bedürfe der Junge ständiger Aufsicht: er leide an ausgeprägter Unruhe, Aggressivität und Konzentrationsstörung; er neige zu ständigem Unfug, was schon zur Gefährdung des Geschwisterkindes geführt habe, welches er schon zweimal von der Couch geworfen habe und dem er schon die Atemwege zugehalten habe; die pflegebegründende Diagnose laute: "Geistige Behinderung und Verdacht auf das Vorliegen eines hyperkinetischen Syndroms"; es bedürfe eines imperativen Anleitens durch die Mutter beim Sich-Sauberhalten und Kleiden; der Junge werfe Essen herum und stopfe sich Brot in die Nase; zum Wasserlassen gehe er allein; er müsse während des Stuhlgangs beaufsichtigt werden, weil er sonst herumlaufe; anschließend müsse er gereinigt werden; er schlafe von 20 bis 6 Uhr durch. Der Arzt M ... schätzte den Gesamtpflegeaufwand im Bereich der Grundpflege vor Abzug des Bedarfs eines gleichaltrigen gesunden Kindes auf eine Zeit von täglich zwischen 128 und 143 Minuten und erklärte, nach Abzug der altersgemäßen Richtwerte von 35 Minuten bei der Körperpflege und 10 Minuten bei der Mobilität verbleibe im grundpflegerischen Bereich ein Restzeitaufwand unter eineinhalb Stunden, also die Pflegestufe I; der überwiegende Teil der Pflege entfalle auf nichtberücksichtigungsfähige allgemeine Aufsicht. Mit Bescheid vom 16.11.1995 gewährte die AOK Gütersloh dem Kläger Pflegegeld der Stufe I. Im sich anschließenden Widerspruchsverfahren gelangte u.a. ein Arztbrief der Drs. K ... und D ... vom Neuropädiatrischen Bereich der Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde an der Universität Münster vom 16.2.1996 zu den Akten. Die Ärzte berichteten über eine ambulante Untersuchung des Klägers am 14.2.1996 und teilten mit: der Junge besuche inzwischen die Körper- und Geistigbehindertenschule in Warendorf; Hauptproblem seien Aggressivität und Hyperaktivität; die psychopathologischen Befunde seien sicherlich als Residualzustand nach dem Schädelhirntrauma anzusehen, wozu die familiäre Belastungssituation verstärkend beitragen könne. Dr. S ...e und die Pflegefachkraft H ... befanden in ihrem auf Veranlassung der AOK nach Lage der Akten erstellten Gutachten vom 11.9.1996, aus den neuen Unterlagen ergäben sich keine veränderten Gesichtspunkte; weil aber das Kind am 10.3.1996 das 7. Lebensjahr vollendet habe, sei ein geringerer Abzug für ein gleichaltriges gesundes Kind vorzunehmen; dadurch komme es zu einer weiteren Anrechenbarkeit von 30 Minuten, und unter Berücksichtigung des im Erstgutachten ermittelten berücksichtigungsfähigen Zeitaufwandes von eineinhalb Stunden zur Annahme der Pflegestufe II ab März 1996. Dem entsprach die AOK mit Bescheid vom 12.9.1996 und gewährte dem Kläger ab dem 1.3.1996 Pflegegeld der Stufe II.
Mit Schreiben vom 28.2.1997 verlangte der Vater des Klägers die Umstufung nach Pflegestufe III, weil sein Sohn nie alleingelassen werden könne und immer beaufsichtigt werden müsse. In einem zu den Akten gegebenen Zeugnis der H ...-T ...-Schule - Private Schule für Geistigbehinderte des Caritas- Verbandes für den Kreis W ... - vom 2.6.1997 für das Schuljahr 1996/97 heißt es u.a.: der Kläger sei manchmal auch freundlich zu seinen Mitschülern; er decke seinen Frühstückstisch allein, wisse, was man dazu brauche, und bestelle auch im Laden an der Wursttheke, was auf seinem Einkaufszettel stehe. Dr. W ... vom MDK schätzte den täglichen Hilfebedarf des Klägers im Bereich der Grundpflege in seinem Gutachten vom 23.7./4.8.1997 auf 127 Minuten (52 Minuten Körperpflege, 45 Minuten Ernährung und 30 Minuten für Hilfe beim Aufstehen/Zu-Bett-Gehen sowie beim An- und Auskleiden). Der Vater und/oder die später hinzugekommene Stiefmutter hatten dem Arzt nunmehr mitgeteilt, der Junge müsse nachts zum Wasserlassen geführt werden; er werde nachts einmal geweckt bzw. er stehe nachts mehrfach auf, wecke die Geschwister und schalte das Fernsehen ein. Die AOK teilte dem Kläger mit Bescheid vom 6.8.1997 mit, sie sehe keine Möglichkeit, ihm die Pflegestufe III zuzubilligen.
Den hier maßgeblichen Höherstufungsantrag stellte der Vater des Klägers mit Datum des 18.12.1997. Im auf Veranlassung der Beklagten erstellten Gutachten von Dr. M ...-T ... vom 24.3./14.4.1998 heißt es erneut, das Kind schlafe ab 20 Uhr durch. Dr. M ...-T ... ermittelte einen täglichen Grundpflegebedarf von 145 Minuten (73 Minuten Körperpflege, 45 Minuten Ernährung und 22 Minuten im Bereich der Mobilität). Die Beklagte entschied mit Bescheid vom 16.4.1998, nach dem Gutachten des MDK bestehe keine Möglichkeit, Leistungen nach Stufe III zu gewähren. Die damaligen Bevollmächtigten des Klägers erhoben am 18.5.1998 Widerspruch und trugen vor, es sei ein durchschnittlicher täglicher Pflegeaufwand von sechseinhalb Stunden anzusetzen; es sei ständige Beaufsichtigung erforderlich - auch beim Spielen draußen und bei Nacht, bei jedem einzelnen Toilettengang, da selbst Kontrolle beim Wasserlassen und beim Stuhlgang nicht möglich sei, und in Form des Beruhigens nach Albträumen und des Einfangens des planlos im Haus umherirrenden Kindes. Dr. T ... vom MDK erklärte dazu mit Datum des 29.09./1.10.1998 nach Lage der Akten, die Behauptung der Rechtsanwälte, daß der Junge auch Hilfe während der Nacht benötige, sei "schlichtweg nicht glaubhaft", da die Eltern beim Hausbesuch am 24.3.1998 angegeben hätten, daß das Kind ab 20 Uhr durchschlafe. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 23.6.1999 unter Erläuterung der gesetzlichen Grundlagen für die Einstufung nach dem SGB XI zurück.
Der Kläger hat durch seine damaligen Bevollmächtigten am 19.7.1999 Klage erhoben.
Nachdem der MDK (Dr. T ...) sich mit Datum des 13./14.12.1999 ein weiteres Mal nach Lage der Akten geäußert hatte, hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von dem Arzt Dr. H ... aus M ... Dr. H ... hat den Jungen am 9.3.2000 untersucht sowie Vater, Stiefmutter und eine 9-jährige Schwester befragt. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 5.4.2000 zu dem Ergebnis gelangt, es liege ein Grundpflegebedarf von 147 Minuten vor. Im Einzelnen benötige das Kind regelmäßig täglich Hilfe im Bereich/beim/bei der Körperpflege 54 Minuten aus Waschen 5 Minuten zweimal täglichen Duschen 25 Minuten
Zahnpflege 10 Minuten
Kämmen 2 Minuten
Darmentleerung 10 Minuten
Blasenentleerung 2 Minuten
Ernährung
60 Minuten aus mundgerechten Zubereiten der Nahrung
10 Minuten Aufnahme der Nahrung
50 Minuten Mobilität
33 Minuten aus
Aufstehen und Zu-Bett-Gehen 10 Minuten An- und Auskleiden 23 Minuten.
Das SG Münster hat die Klage - nach Hinweis auf diese Möglichkeit - mit Gerichtsbescheid vom 5. Juli 2000 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach übereinstimmender Beurteilung des MDK und des Sachverständigen Dr. H ... sei mit einem täglichen Grundpflegemehrbedarf von 147 bzw. 145 Minuten der für die Pflegestufe III erforderliche Grundpflegemehrbedarf von 240 Minuten bei weitem nicht erreicht.
Der Kläger hat gegen den seinen früheren Bevollmächtigten am 12.7.1999 zugestellten Gerichtsbescheid am Montag, dem 14.8.2000 Berufung eingelegt. Die Bevollmächtigten haben mit Schriftsatz vom 7.5.2001 vorgetragen: der Kläger stehe um 6 Uhr auf; anschließend werde er von seinen Eltern angezogen, gewaschen und für den Tag vorbereitet; auch das Frühstück erfolge unter Aufsicht der Eltern; um 7 Uhr 30 werde der Kläger durch eine Pflegeeinrichtung abgeholt und um 16 Uhr zurückgebracht; bis 16 Uhr sei daher von einem Pflegeaufwand von zwei Stunden auszugehen; nach 16 Uhr werde der Kläger gefüttert; anschließend geduscht, da er sich nach Verrichtung der Notdurft nicht selbst reinigen könne; das bedeute, daß bis 17 Uhr weitere eineinhalb Stunden Pflegebedarf entstünden; von 17 Uhr bis ca. 19 Uhr 30 spiele der Kläger unter Aufsicht der Eltern; ab 19 Uhr 30 nehme er wieder unter Aufsicht der Mutter die Mahlzeit ein; anschließend werde er gewaschen bzw. - falls erforderlich - erneut geduscht; zwischen 19 Uhr 45 und 21 Uhr 15 werde der Kläger umgezogen und auf das Schlafen vorbereitet; der Kläger stehe nachts um 2 bis 3 Uhr auf und sei dann regelmäßig verwirrt; er habe Albträume, die ihn an seinen Unfall erinnerten; es brauche 45 Minuten, bis er wieder beruhigt sei.
Vom Berichterstatter mit Schreiben vom 29.07.2002 u.a. auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum "allgemeinen Aufsichtsbedarf" hingewiesen, haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 27.08.2002 mitgeteilt, sie legten das Mandat nieder. Für den Kläger und Berufungskläger ist zur mündlichen Verhandlung am 29.8.2002 niemand erschienen. Die Benachrichtigung vom Termin ist seinem Bevollmächtigten und dem Vater des Klägers am 16.07.2002 zugestellt worden. Mit der Terminsnachricht ist daraufhingewiesen worden, daß auch in Abwesenheit des Klägers und eines Bevollmächtigten des Klägers verhandelt und entschieden werden könne.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 05.07.2000 zurückzuweisen.
Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze in beiden Rechtszügen verwiesen. Außer der Streitakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen: ein Band Verwaltungsakten der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Obgleich für den Kläger zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, konnte der Senat verhandeln und entscheiden, denn der Kläger ist - mit Hinweis auf diese Möglichkeit - ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung am 29.8.2002 geladen worden (§ 153 Abs 1 iVm § 110 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), § 126 SGG; Bundessozialgericht (BSG) in SozR Nr 5 zu § 110 SGG). Es bestand kein Anlaß, die mündliche Verhandlung zu vertagen. Der Kläger hat um Terminsverlegung auch nach Niederlegung des Mandats durch seine Bevollmächtigten nicht ersucht, und die Anordnung des Erscheinens des gesetzlichen Vertreters und Vaters des Klägers sowie die Ladung der Pflegeperson und Stiefmutter als Zeugin waren lediglich erfolgt, um Widersprüchlichkeiten im Vortrag der Familie insbesondere zur Frage des nächtlichen Hilfebedarfs des Klägers nachgehen zu können, auf die es entscheidend aber nicht ankam, weil etwa das Erfordernis regelmäßiger nächtlicher Hilfe nur ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal ist, das erfüllt sein muß, um eine Einstufung in die Pflegestufe III zu ermöglichen (§ 15 Abs 1 S. 1 Nr 3 SGB XI), während der vom Kläger geltend gemachte Anspruch schon daran scheitern mußte, daß das weitere Erfordernis der Notwendigkeit eines täglichen Grundpflegebedarfs von mindestens vier Stunden (§ 15 Abs 3 Nr 3 SGB XI) nicht festgestellt werden konnte.
Der Senat mußte daher die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Münster vom 5. Juli 2000 als unbegründet zurückweisen. Er ist dabei, wie schon das SG, den tatsächlichen Feststellungen des Sachverständigen Dr. H ... zum Hilfebedarf des Klägers gefolgt, der dabei in der Tat im wesentlichen in Übereinstimmung mit den Feststellungen der Ärzte des MDK steht.
An der Richtigkeit dieser Feststellungen zu zweifeln, bestand keinerlei Anlaß. Die Berechnungen und Angaben, die demgegenüber der Kläger durch seine früheren Bevollmächtigten gemacht hat, vermochten deshalb nicht zu überzeugen, weil dort im wesentlichen lediglich Zeiten addiert werden, die die Stiefmutter mit dem Kind zusammen verbringt, während der Gesetzgeber die Gelegenheiten, bei denen Hilfe anfällt, und die bei Ermittlung des hier maßgeblichen Hilfebedarfs berücksichtigt werden dürfen, in § 14 Abs 4 SGB XI abschließend aufgezählt hat. Zu diesen, vielfach mitgeteilten Verrichtungen der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nr 1 - 3 SGB XI), neben denen zusätzlich Hilfe im hauswirtschaftlichen Bereich anfallen muß (§ 14 Abs 4 Nr 4 iVm § 15 Abs 3 SGB XI), gehört etwa das hier ins Feld geführte Spielen innerhalb und außerhalb des Hauses ebensowenig die Nagelpflege.
Darüber hinaus wirkt sich zu Lasten des Klägers aus, daß sein Hauptproblem auf einem Gebiet liegt, das der Gesetzgeber durch die Pflegeversicherung nicht hinreichend abdecken lassen zu können geglaubt hat: die Hilfsbedürftig keit des Klägers ist vornehmlich durch geistig/psychische Störungen, durch seine Aggressivität, bedingt und verlangt Hilfe im wesentlichen in Form einer allgemeinen d.h. nicht unmittelbar auf die o.a. Verrichtungen des § 14 Abs 4 SGB XI bezogenen Aufsicht. Wie dem Kläger bereits mit Schreiben vom 29.07.2002 erläutert, ist ein solcher allgemeiner Aufsichtsbedarf, der nicht Gegenstand der in § 14 Abs 4 SGB XI abschließend aufgeführten "Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens" ist, nach der Rechtsprechung des BSG bei Einstufung nach dem SGB XI nicht zu berücksichtigen (etwa Urt.v. 26.11.1998 B 3 P 12/97 = USK 98 111 und Parallellentsch. v. 26.11.1998 B 3 P 13/97 R = SozR 3-3300 § 14 Nr 8). Einbezogen ist danach insbesondere nicht der Aufsichtsbedarf von geistig Behinderten wegen aggressiven und autoaggressiven Verhaltens. Auch das Beruhigen schlafgestörter, geistig behinderter Kinder ist keine Hilfe beim Zu-Bett-Gehen im Sinne von § 14 SGB XI, und es kann auch nicht als Pflegebedarf bei einer anderen Grundverrichtung berücksichtigt werden (so BSG Urt.v. 29.4.1999 B 3 P 7/98 R). Deshalb mußte der wesentlichste Teil des vom Kläger geltend gemachten 6½-stündigen Pflegeaufwandes - nicht nur die Beaufsichtigung beim Spielen u.ä. - völlig außer Ansatz bleiben.
Den Aufsichtsbedarf aber, der etwa aus der Aggressivität des Klägers resultiert u n d der sich auch auf die o.a. Verrichtungen unmittelbar auswirkt, haben sowohl die Ärzte des MDK als auch der Sachverständige - gemessen an den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (RL) - durchaus nicht unangemessen bewertet. So wird etwa allein für die Nahrungsaufnahme (ohne Einkaufen, Kochen und "mundgerechte Zubereitung") allseits ein Hilfebedarf von bis zu 50 Minuten täglich angenommen, weil der Junge zwar physisch/motorisch wohl allein die Nahrung aufnehmen könnte, dabei aber etwa mit Essen wirft. Demgegenüber sehen die RL für die Aufnahme einer Hauptmahlzeit einen Zeitkorridor von 15 bis 20 Minuten vor.
Selbst wenn man im Tatsächlichen von dem, was bislang von der Klägerseite im Laufe des Verfahrens in doch sehr unterschiedlicher Weise mitgeteilt worden ist, das Schlimmste als gegeben annimmt, bleibt danach ein Hilfebedarf, der deutlichst unter dem für die Einstufung in die Pflegestufe III u.a. erforderlichen Grundpflegemehrbedarf von täglich mindestens 240 Minuten liegt. Die im wesentlichen mit dem Klagevortrag identischen Einwendungen der Berufung sind dabei und auch vom Sachverständigen Dr. H ... bereits berücksichtigt und von diesem - wie etwa das neuerlich behauptete zweimal tägliche Duschen - im wesentlichen als gegeben hingenommen worden. Dennoch ist auch Dr. H ... im Ergebnis zu einem Grundpflegemehrbedarf von nur 147 Minuten gelangt, der selbst die Einstufung in die Pflegestufe II nur dann erlaubt, wenn man den nach § 15 Abs 2 SGB XI abzuziehenden Pflegebedarf für gesunde gleich altrige Kinder nicht allzuhoch einschätzt!
Den Feststellungen des Versorgungsamtes schließlich konnte hier nur anhaltsweise Bedeutung beigemessen werden (vgl. BSG Urt.v. 8.6.93 1 RK 43/92 = USK 93 69; Urt.v. 2.7.97 9 RVs 9/96 und Urt.v. 26.11.98 B 3 P 20/97 R = SGb 00,217).
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Es bestand kein Anlaß, die Revision zuzulassen, denn weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ab und beruht auf dieser Abweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Tatbestand:
Der Kläger beansprucht die Gewährung von Pflegegeld der Stufe III statt nach der Stufe II. Die Beteiligten streiten im wesentlichen, ob eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Person jedenfalls seit Dezember 1997 für die Pflege des Klägers im Bereich der Körperpflege, der Ernährung (ohne Kochen und Einkaufen) sowie im Bereich der Mobilität (= Grundpflege) statt der für die Einstufung in die Pflegestufe II erforderlichen Zeit von wenigstens 120 Minuten täglich - wie für die Einstufung in die Pflegestufe III u.a. notwendig - mindestens 240 Minuten mehr an Pflegezeit aufwenden muß, als die, die für ein gleichaltriges gesundes Kind anfällt (§ 15 Abs 2 und 3 des Sozialgesetzbuches (SGB) XI).
Der Kläger ist am 10.3.1989 geboren und lebt in einem Haushalt mit Vater, Stiefmutter und mehreren zwischen 1984 und 1994 geborenen gesunden Geschwistern. Er hat am 14. Mai 1989 einen Schädelhirntrauma erlitten - soweit bekannt: im Auto der Eltern bei einem Autounfall, bei dem die leibliche Mutter ums Leben gekommen ist. Der Kläger leidet möglicherweise deshalb an geistiger Behinderung mit sprachlicher Retardierung bei wohl i.ü. im wesentlichen vollständiger organischer Gesundheit. Das Versorgungsamt hat ihm einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Nachteilsausgleiche "G" und "H" zuerkannt. Die Pflege des Kindes besorgt im wesentlichen die Stiefmutter. Jedenfalls seit Anfang 1996 besucht der Kläger eine Schule für geistig Behinderte; er wird idR gegen 7 Uhr 30 mit dem Bus abgeholt und gegen 15 Uhr, Freitags gegen 13 Uhr zurückgebracht.
Gestützt auf ein Schreiben des Kinderarztes Dr. B ... aus W ... vom 16.8.1994 beantragte der Vater des Kindes Ende 1994 die Gewährung von Pflegegeld. Der Arzt M ... vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MdK) befand in seinem auf Veranlassung der AOK erstellten Gutachten vom 13.9./15.11.1995, nach Angaben der Stiefmutter bedürfe der Junge ständiger Aufsicht: er leide an ausgeprägter Unruhe, Aggressivität und Konzentrationsstörung; er neige zu ständigem Unfug, was schon zur Gefährdung des Geschwisterkindes geführt habe, welches er schon zweimal von der Couch geworfen habe und dem er schon die Atemwege zugehalten habe; die pflegebegründende Diagnose laute: "Geistige Behinderung und Verdacht auf das Vorliegen eines hyperkinetischen Syndroms"; es bedürfe eines imperativen Anleitens durch die Mutter beim Sich-Sauberhalten und Kleiden; der Junge werfe Essen herum und stopfe sich Brot in die Nase; zum Wasserlassen gehe er allein; er müsse während des Stuhlgangs beaufsichtigt werden, weil er sonst herumlaufe; anschließend müsse er gereinigt werden; er schlafe von 20 bis 6 Uhr durch. Der Arzt M ... schätzte den Gesamtpflegeaufwand im Bereich der Grundpflege vor Abzug des Bedarfs eines gleichaltrigen gesunden Kindes auf eine Zeit von täglich zwischen 128 und 143 Minuten und erklärte, nach Abzug der altersgemäßen Richtwerte von 35 Minuten bei der Körperpflege und 10 Minuten bei der Mobilität verbleibe im grundpflegerischen Bereich ein Restzeitaufwand unter eineinhalb Stunden, also die Pflegestufe I; der überwiegende Teil der Pflege entfalle auf nichtberücksichtigungsfähige allgemeine Aufsicht. Mit Bescheid vom 16.11.1995 gewährte die AOK Gütersloh dem Kläger Pflegegeld der Stufe I. Im sich anschließenden Widerspruchsverfahren gelangte u.a. ein Arztbrief der Drs. K ... und D ... vom Neuropädiatrischen Bereich der Klinik und Poliklinik für Kinderheilkunde an der Universität Münster vom 16.2.1996 zu den Akten. Die Ärzte berichteten über eine ambulante Untersuchung des Klägers am 14.2.1996 und teilten mit: der Junge besuche inzwischen die Körper- und Geistigbehindertenschule in Warendorf; Hauptproblem seien Aggressivität und Hyperaktivität; die psychopathologischen Befunde seien sicherlich als Residualzustand nach dem Schädelhirntrauma anzusehen, wozu die familiäre Belastungssituation verstärkend beitragen könne. Dr. S ...e und die Pflegefachkraft H ... befanden in ihrem auf Veranlassung der AOK nach Lage der Akten erstellten Gutachten vom 11.9.1996, aus den neuen Unterlagen ergäben sich keine veränderten Gesichtspunkte; weil aber das Kind am 10.3.1996 das 7. Lebensjahr vollendet habe, sei ein geringerer Abzug für ein gleichaltriges gesundes Kind vorzunehmen; dadurch komme es zu einer weiteren Anrechenbarkeit von 30 Minuten, und unter Berücksichtigung des im Erstgutachten ermittelten berücksichtigungsfähigen Zeitaufwandes von eineinhalb Stunden zur Annahme der Pflegestufe II ab März 1996. Dem entsprach die AOK mit Bescheid vom 12.9.1996 und gewährte dem Kläger ab dem 1.3.1996 Pflegegeld der Stufe II.
Mit Schreiben vom 28.2.1997 verlangte der Vater des Klägers die Umstufung nach Pflegestufe III, weil sein Sohn nie alleingelassen werden könne und immer beaufsichtigt werden müsse. In einem zu den Akten gegebenen Zeugnis der H ...-T ...-Schule - Private Schule für Geistigbehinderte des Caritas- Verbandes für den Kreis W ... - vom 2.6.1997 für das Schuljahr 1996/97 heißt es u.a.: der Kläger sei manchmal auch freundlich zu seinen Mitschülern; er decke seinen Frühstückstisch allein, wisse, was man dazu brauche, und bestelle auch im Laden an der Wursttheke, was auf seinem Einkaufszettel stehe. Dr. W ... vom MDK schätzte den täglichen Hilfebedarf des Klägers im Bereich der Grundpflege in seinem Gutachten vom 23.7./4.8.1997 auf 127 Minuten (52 Minuten Körperpflege, 45 Minuten Ernährung und 30 Minuten für Hilfe beim Aufstehen/Zu-Bett-Gehen sowie beim An- und Auskleiden). Der Vater und/oder die später hinzugekommene Stiefmutter hatten dem Arzt nunmehr mitgeteilt, der Junge müsse nachts zum Wasserlassen geführt werden; er werde nachts einmal geweckt bzw. er stehe nachts mehrfach auf, wecke die Geschwister und schalte das Fernsehen ein. Die AOK teilte dem Kläger mit Bescheid vom 6.8.1997 mit, sie sehe keine Möglichkeit, ihm die Pflegestufe III zuzubilligen.
Den hier maßgeblichen Höherstufungsantrag stellte der Vater des Klägers mit Datum des 18.12.1997. Im auf Veranlassung der Beklagten erstellten Gutachten von Dr. M ...-T ... vom 24.3./14.4.1998 heißt es erneut, das Kind schlafe ab 20 Uhr durch. Dr. M ...-T ... ermittelte einen täglichen Grundpflegebedarf von 145 Minuten (73 Minuten Körperpflege, 45 Minuten Ernährung und 22 Minuten im Bereich der Mobilität). Die Beklagte entschied mit Bescheid vom 16.4.1998, nach dem Gutachten des MDK bestehe keine Möglichkeit, Leistungen nach Stufe III zu gewähren. Die damaligen Bevollmächtigten des Klägers erhoben am 18.5.1998 Widerspruch und trugen vor, es sei ein durchschnittlicher täglicher Pflegeaufwand von sechseinhalb Stunden anzusetzen; es sei ständige Beaufsichtigung erforderlich - auch beim Spielen draußen und bei Nacht, bei jedem einzelnen Toilettengang, da selbst Kontrolle beim Wasserlassen und beim Stuhlgang nicht möglich sei, und in Form des Beruhigens nach Albträumen und des Einfangens des planlos im Haus umherirrenden Kindes. Dr. T ... vom MDK erklärte dazu mit Datum des 29.09./1.10.1998 nach Lage der Akten, die Behauptung der Rechtsanwälte, daß der Junge auch Hilfe während der Nacht benötige, sei "schlichtweg nicht glaubhaft", da die Eltern beim Hausbesuch am 24.3.1998 angegeben hätten, daß das Kind ab 20 Uhr durchschlafe. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 23.6.1999 unter Erläuterung der gesetzlichen Grundlagen für die Einstufung nach dem SGB XI zurück.
Der Kläger hat durch seine damaligen Bevollmächtigten am 19.7.1999 Klage erhoben.
Nachdem der MDK (Dr. T ...) sich mit Datum des 13./14.12.1999 ein weiteres Mal nach Lage der Akten geäußert hatte, hat das SG Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von dem Arzt Dr. H ... aus M ... Dr. H ... hat den Jungen am 9.3.2000 untersucht sowie Vater, Stiefmutter und eine 9-jährige Schwester befragt. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 5.4.2000 zu dem Ergebnis gelangt, es liege ein Grundpflegebedarf von 147 Minuten vor. Im Einzelnen benötige das Kind regelmäßig täglich Hilfe im Bereich/beim/bei der Körperpflege 54 Minuten aus Waschen 5 Minuten zweimal täglichen Duschen 25 Minuten
Zahnpflege 10 Minuten
Kämmen 2 Minuten
Darmentleerung 10 Minuten
Blasenentleerung 2 Minuten
Ernährung
60 Minuten aus mundgerechten Zubereiten der Nahrung
10 Minuten Aufnahme der Nahrung
50 Minuten Mobilität
33 Minuten aus
Aufstehen und Zu-Bett-Gehen 10 Minuten An- und Auskleiden 23 Minuten.
Das SG Münster hat die Klage - nach Hinweis auf diese Möglichkeit - mit Gerichtsbescheid vom 5. Juli 2000 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach übereinstimmender Beurteilung des MDK und des Sachverständigen Dr. H ... sei mit einem täglichen Grundpflegemehrbedarf von 147 bzw. 145 Minuten der für die Pflegestufe III erforderliche Grundpflegemehrbedarf von 240 Minuten bei weitem nicht erreicht.
Der Kläger hat gegen den seinen früheren Bevollmächtigten am 12.7.1999 zugestellten Gerichtsbescheid am Montag, dem 14.8.2000 Berufung eingelegt. Die Bevollmächtigten haben mit Schriftsatz vom 7.5.2001 vorgetragen: der Kläger stehe um 6 Uhr auf; anschließend werde er von seinen Eltern angezogen, gewaschen und für den Tag vorbereitet; auch das Frühstück erfolge unter Aufsicht der Eltern; um 7 Uhr 30 werde der Kläger durch eine Pflegeeinrichtung abgeholt und um 16 Uhr zurückgebracht; bis 16 Uhr sei daher von einem Pflegeaufwand von zwei Stunden auszugehen; nach 16 Uhr werde der Kläger gefüttert; anschließend geduscht, da er sich nach Verrichtung der Notdurft nicht selbst reinigen könne; das bedeute, daß bis 17 Uhr weitere eineinhalb Stunden Pflegebedarf entstünden; von 17 Uhr bis ca. 19 Uhr 30 spiele der Kläger unter Aufsicht der Eltern; ab 19 Uhr 30 nehme er wieder unter Aufsicht der Mutter die Mahlzeit ein; anschließend werde er gewaschen bzw. - falls erforderlich - erneut geduscht; zwischen 19 Uhr 45 und 21 Uhr 15 werde der Kläger umgezogen und auf das Schlafen vorbereitet; der Kläger stehe nachts um 2 bis 3 Uhr auf und sei dann regelmäßig verwirrt; er habe Albträume, die ihn an seinen Unfall erinnerten; es brauche 45 Minuten, bis er wieder beruhigt sei.
Vom Berichterstatter mit Schreiben vom 29.07.2002 u.a. auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum "allgemeinen Aufsichtsbedarf" hingewiesen, haben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 27.08.2002 mitgeteilt, sie legten das Mandat nieder. Für den Kläger und Berufungskläger ist zur mündlichen Verhandlung am 29.8.2002 niemand erschienen. Die Benachrichtigung vom Termin ist seinem Bevollmächtigten und dem Vater des Klägers am 16.07.2002 zugestellt worden. Mit der Terminsnachricht ist daraufhingewiesen worden, daß auch in Abwesenheit des Klägers und eines Bevollmächtigten des Klägers verhandelt und entschieden werden könne.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 05.07.2000 zurückzuweisen.
Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze in beiden Rechtszügen verwiesen. Außer der Streitakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen: ein Band Verwaltungsakten der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Obgleich für den Kläger zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, konnte der Senat verhandeln und entscheiden, denn der Kläger ist - mit Hinweis auf diese Möglichkeit - ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung am 29.8.2002 geladen worden (§ 153 Abs 1 iVm § 110 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), § 126 SGG; Bundessozialgericht (BSG) in SozR Nr 5 zu § 110 SGG). Es bestand kein Anlaß, die mündliche Verhandlung zu vertagen. Der Kläger hat um Terminsverlegung auch nach Niederlegung des Mandats durch seine Bevollmächtigten nicht ersucht, und die Anordnung des Erscheinens des gesetzlichen Vertreters und Vaters des Klägers sowie die Ladung der Pflegeperson und Stiefmutter als Zeugin waren lediglich erfolgt, um Widersprüchlichkeiten im Vortrag der Familie insbesondere zur Frage des nächtlichen Hilfebedarfs des Klägers nachgehen zu können, auf die es entscheidend aber nicht ankam, weil etwa das Erfordernis regelmäßiger nächtlicher Hilfe nur ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal ist, das erfüllt sein muß, um eine Einstufung in die Pflegestufe III zu ermöglichen (§ 15 Abs 1 S. 1 Nr 3 SGB XI), während der vom Kläger geltend gemachte Anspruch schon daran scheitern mußte, daß das weitere Erfordernis der Notwendigkeit eines täglichen Grundpflegebedarfs von mindestens vier Stunden (§ 15 Abs 3 Nr 3 SGB XI) nicht festgestellt werden konnte.
Der Senat mußte daher die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Münster vom 5. Juli 2000 als unbegründet zurückweisen. Er ist dabei, wie schon das SG, den tatsächlichen Feststellungen des Sachverständigen Dr. H ... zum Hilfebedarf des Klägers gefolgt, der dabei in der Tat im wesentlichen in Übereinstimmung mit den Feststellungen der Ärzte des MDK steht.
An der Richtigkeit dieser Feststellungen zu zweifeln, bestand keinerlei Anlaß. Die Berechnungen und Angaben, die demgegenüber der Kläger durch seine früheren Bevollmächtigten gemacht hat, vermochten deshalb nicht zu überzeugen, weil dort im wesentlichen lediglich Zeiten addiert werden, die die Stiefmutter mit dem Kind zusammen verbringt, während der Gesetzgeber die Gelegenheiten, bei denen Hilfe anfällt, und die bei Ermittlung des hier maßgeblichen Hilfebedarfs berücksichtigt werden dürfen, in § 14 Abs 4 SGB XI abschließend aufgezählt hat. Zu diesen, vielfach mitgeteilten Verrichtungen der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nr 1 - 3 SGB XI), neben denen zusätzlich Hilfe im hauswirtschaftlichen Bereich anfallen muß (§ 14 Abs 4 Nr 4 iVm § 15 Abs 3 SGB XI), gehört etwa das hier ins Feld geführte Spielen innerhalb und außerhalb des Hauses ebensowenig die Nagelpflege.
Darüber hinaus wirkt sich zu Lasten des Klägers aus, daß sein Hauptproblem auf einem Gebiet liegt, das der Gesetzgeber durch die Pflegeversicherung nicht hinreichend abdecken lassen zu können geglaubt hat: die Hilfsbedürftig keit des Klägers ist vornehmlich durch geistig/psychische Störungen, durch seine Aggressivität, bedingt und verlangt Hilfe im wesentlichen in Form einer allgemeinen d.h. nicht unmittelbar auf die o.a. Verrichtungen des § 14 Abs 4 SGB XI bezogenen Aufsicht. Wie dem Kläger bereits mit Schreiben vom 29.07.2002 erläutert, ist ein solcher allgemeiner Aufsichtsbedarf, der nicht Gegenstand der in § 14 Abs 4 SGB XI abschließend aufgeführten "Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens" ist, nach der Rechtsprechung des BSG bei Einstufung nach dem SGB XI nicht zu berücksichtigen (etwa Urt.v. 26.11.1998 B 3 P 12/97 = USK 98 111 und Parallellentsch. v. 26.11.1998 B 3 P 13/97 R = SozR 3-3300 § 14 Nr 8). Einbezogen ist danach insbesondere nicht der Aufsichtsbedarf von geistig Behinderten wegen aggressiven und autoaggressiven Verhaltens. Auch das Beruhigen schlafgestörter, geistig behinderter Kinder ist keine Hilfe beim Zu-Bett-Gehen im Sinne von § 14 SGB XI, und es kann auch nicht als Pflegebedarf bei einer anderen Grundverrichtung berücksichtigt werden (so BSG Urt.v. 29.4.1999 B 3 P 7/98 R). Deshalb mußte der wesentlichste Teil des vom Kläger geltend gemachten 6½-stündigen Pflegeaufwandes - nicht nur die Beaufsichtigung beim Spielen u.ä. - völlig außer Ansatz bleiben.
Den Aufsichtsbedarf aber, der etwa aus der Aggressivität des Klägers resultiert u n d der sich auch auf die o.a. Verrichtungen unmittelbar auswirkt, haben sowohl die Ärzte des MDK als auch der Sachverständige - gemessen an den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (RL) - durchaus nicht unangemessen bewertet. So wird etwa allein für die Nahrungsaufnahme (ohne Einkaufen, Kochen und "mundgerechte Zubereitung") allseits ein Hilfebedarf von bis zu 50 Minuten täglich angenommen, weil der Junge zwar physisch/motorisch wohl allein die Nahrung aufnehmen könnte, dabei aber etwa mit Essen wirft. Demgegenüber sehen die RL für die Aufnahme einer Hauptmahlzeit einen Zeitkorridor von 15 bis 20 Minuten vor.
Selbst wenn man im Tatsächlichen von dem, was bislang von der Klägerseite im Laufe des Verfahrens in doch sehr unterschiedlicher Weise mitgeteilt worden ist, das Schlimmste als gegeben annimmt, bleibt danach ein Hilfebedarf, der deutlichst unter dem für die Einstufung in die Pflegestufe III u.a. erforderlichen Grundpflegemehrbedarf von täglich mindestens 240 Minuten liegt. Die im wesentlichen mit dem Klagevortrag identischen Einwendungen der Berufung sind dabei und auch vom Sachverständigen Dr. H ... bereits berücksichtigt und von diesem - wie etwa das neuerlich behauptete zweimal tägliche Duschen - im wesentlichen als gegeben hingenommen worden. Dennoch ist auch Dr. H ... im Ergebnis zu einem Grundpflegemehrbedarf von nur 147 Minuten gelangt, der selbst die Einstufung in die Pflegestufe II nur dann erlaubt, wenn man den nach § 15 Abs 2 SGB XI abzuziehenden Pflegebedarf für gesunde gleich altrige Kinder nicht allzuhoch einschätzt!
Den Feststellungen des Versorgungsamtes schließlich konnte hier nur anhaltsweise Bedeutung beigemessen werden (vgl. BSG Urt.v. 8.6.93 1 RK 43/92 = USK 93 69; Urt.v. 2.7.97 9 RVs 9/96 und Urt.v. 26.11.98 B 3 P 20/97 R = SGb 00,217).
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Es bestand kein Anlaß, die Revision zuzulassen, denn weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ab und beruht auf dieser Abweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
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