L 17 U 284/96

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 5 U 45/92
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 284/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25. Oktober 1996 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob das Goodpasture-Syndrom des Klägers wie eine Berufskrankheit - BK - zu entschädigen ist.

Der 1951 geborene Kläger erlernte in den Jahren 1966 bis 1969 das Maler- und Lackiererhandwerk und war bis 1990 in diesem Beruf tätig.

Bei einer stationären Behandlung im Juni/Juli 1990 in der Nephrologischen Abteilung des Marienhospitals E ... wurde beim Kläger eine hämodialysepflichtige Niereninsuffizienz auf dem Boden eines Goodpasture-Syndroms festgestellt, die sich zu einer terminalen Niereninsuffizienz mit akuter Lungenbeteiligung entwickelte und zur beidseitigen Nephrektomie am 28.08.1990 führte. Chefarzt Dr. K ... teilte der Beklagten am 10.05.1991 mit, eine beruflich bedingte Erkrankung beim Kläger sei nicht auszuschließen, da es beim Goodpasture-Syndrom pathogenetisch zur Bildung von gegen die glomerulären und die Basalmembranen von Lungenkapillaren gerichteteten Antikörpern komme, was möglicherweise u.a. auch nach Giftexpositionen (z.B. Kohlenwasserstoffe) der Fall sei.

Nach Beiziehung von Arbeitgeberauskünften über die vom Kläger verrichteten Tätigkeiten und die dabei benutzten Arbeitsstoffe (Farben, Lacke, Lösungsmittel u.ä.) sowie des Vorerkrankungsverzeichnisses der Innungskrankenkasse A ... holte die Beklagte ein arbeitsmedizinisches Gutachten nach Aktenlage ein. Darin führte Dr. H ... in S ... am 21.07.1991 zusammenfassend aus, ein gesicherter Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung des Klägers sei nicht zu erkennen. Nach seiner Kenntnis sei eine Häufung von Nierenerkrankungen dieser Art als Folge beruflicher Schadstoffeinwirkungen noch nicht beschrieben worden, und über die Entstehungsursachen sei wenig bekannt. Es werde empfohlen, weitere medizinische Unterlagen über die Behandlung des Klägers beizuziehen und die Akte dem Staatlichen Gewerbearzt zur Beurteilung vorzulegen.

Die Beklagte zog daraufhin Entlassungsberichte von Dr. K ... vom 27.09.1990 und 07.01.1991 bei. Der Staatliche Gewerbearzt in B ... kam in einer Stellungnahme vom 14.10.1991 zu dem Ergebnis, daß Maler und Anstreicher im allgemeinen Lösemittelkonzentrationen in einer Größenordnung ausgesetzt seien, die ungefähr ein Zehntel der gültigen Grenzwerte entsprächen, so daß schon die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Entstehung einer BK nicht gegeben seien. Die epidemiologischen Daten aus dem Maler- und Lackiererhandwerk gäben keine Hinweise dafür, daß die beim Kläger aufgetretene Erkrankung in erhöhtem Maße beobachtet worden sei. Die Möglichkeit der Entstehung des Goodpasture-Syndroms durch Lösemittel sei aber nicht auszuschließen. In Übereinstimmung mit Dr. H ... könne derzeit die Anerkennung einer BK nach Nr. 1303 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKV - oder eine Entschädigung nach § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung - RVO - nicht vorgeschlagen werden.

Die Beklagte holte Auskünfte des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Arbeitsgemeinschaft der Bau-Berufsgenossenschaften über die dort bekannten Entschädigungsfälle eines Goodpasture-Syndroms ein und veranlaßte weitere Ermittlungen durch ihren Technischen Aufsichtsdienst - TAD -. Für ihn führte der Technische Aufsichtsbeamte - TAB - Dipl.-Ing. S ... am 13.02.1992 nach Befragung des Klägers und seiner früheren Arbeitgeber aus, während der Beschäftigung bei der Firma R ... vom 01.04.1966 bis 03.01.1970 sowie seit dem 02.03.1975 bis zuletzt habe der Kläger zu ca. 70 % allgemeine Malerarbeiten (Tapezierarbeiten, Verarbeiten von Dispersionsfarben, Alkydharzen und Acryllacken) ausgeführt. Holzschutz-, Spritzlackierarbeiten (Heizkörper) und Fußbodenverlegungen (Teppichboden) hätten 10 % seiner Tätigkeit ausgemacht und die übrigen 20 % seien Beschichtungsarbeiten an Hallen und Bunkern bei öffentlichen Auftraggebern wie Bundeswehr und Zoll gewesen. Bei den Tätigkeiten des Klägers bei den Firmen M ... im Jahre 1971 und S ... von 1972 bis Anfang 1975 habe es sich überwiegend um allgemeine Maler- und Lackiererarbeiten im privaten Bereich gehandelt und nur einmal habe er für ca. ein halbes Jahr Beschichtungsarbeiten an und in Silofahrzeugen ausgeführt. Teerfarben seien vom Kläger nicht verarbeitet worden.

Mit Bescheid vom 18.02.1992 lehnte die Beklagte Leistungen wegen der als BK geltend gemachten Nierenerkrankung ab, weil weder eine Listenerkrankung i.S.d. BKV noch eine Krankheit vorläge, die nach § 551 Abs. 2 RVO wie eine BK zu entschädigen sei. - Im Widerspruchsverfahren vertrat der Kläger die Auffassung, seine Erkrankung sei wie eine BK zu entschädigen. Aus der medizinischen Literatur und den Untersuchungen im Marienhospital E ... durch Dr. K ... ergebe sich eindeutig, daß seine Erkrankung besonders häufig bei dem Personenkreis der Maler und Lackierer aufträte, der beruflich Kohlenwasserstoffen ausgesetzt sei.

Mit Bescheid vom 14.07.1992 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. In den Gründen führte sie aus, es bestehe offenbar Einigkeit, daß eine sog. Listenkrankheit nicht vorliege, da das Goodpasture-Syndrom in der Liste der BK en nicht verzeichnet sei. Aber auch die Voraussetzungen für eine Entschädigung der Erkrankung wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO seien nicht erfüllt, weil keine neuen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über den ursächlichen Zusammenhang zwischen Krankheit und gefährdendem Stoff sowie darüber vorlägen, daß der Versicherte einer bestimmten Personengruppe angehöre, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sei, die eine derartige Erkrankung verursachten.

Der Kläger hat am 05.08.1992 beim Sozialgericht - SG - Münster Klage erhoben. Er hat weiterhin die Auffassung vertreten, neuere wissenschaftliche Erkenntnisse ließen den Schluß zu, daß Maler, Lackierer und Tankwarte durch den Kontakt mit Kohlenwasserstoffen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung der Gefahr ausgesetzt seien, durch Kohlenwasserstoffe und Lösungsmittel an einem Goodpasture-Syndrom zu erkranken.

Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat dem SG unter dem 08.04.1993 mitgeteilt, ihm lägen keine neuen medizinisch- wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einer Ursachen- Wirkungsbeziehung zwischen dem Umfang einer Tätigkeit mit Lösemitteln als Maler und Lackierer und der Erkrankung an einem Goodpasture- Syndrom vor.

Nach Einholung eines Befundberichts des behandelnden Arztes des Klägers P ... vom 14.07.1993 hat das SG von Prof. Dr. Dr. B ..., Institut für Arbeitsphysiologie an der Universität D ..., ein arbeitsmedizinisch- toxikologisches Gutachten eingeholt. Der Sachverständige - SV - ist am 17.12.1993 zu dem Ergebnis gelangt, daß beim Kläger keine BK nach der Anlage zur BKV, aber auch keine Erkrankung vorliege, die wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO zu entschädigen wäre. Zur Begründung hat er ausgeführt, als mögliche auslösende Faktoren für das Entstehen der Immunkrankheit "Good pasture-Syndrom" würden eine Penicillaminmedikation, eine Lösemittelexposition und als wesentliche bekannte Ursache ein vorausgehender grippaler Infekt diskutiert. Angesichts der Tatsache, daß der Manifestation des Goodpasture-Syndroms beim Kläger in einem zeitlichen Abstand von ca. drei Wochen eine Grippe vorausgegangen sei, könne die Exposition gegenüber Lösemitteln nicht als wesentlicher ursächlicher Faktor angesehen werden.

Der Kläger hat daraufhin bestritten, daß er seinerzeit tatsächlich an einer Grippe erkrankt gewesen sei. Das SG hat sodann eine Auskunft des damals behandelnden Arztes P ... vom 14.07.1994 eingeholt, dazu am 17.03.1995 die Ehefrau des Klägers als Zeugin gehört sowie Prof. Dr. Dr. B ... am 22.08.1995 erneut Stellung nehmen lassen, der folgendes ausgeführt hat: Entgegen der Diagnose des Hausarztes müsse nunmehr davon ausgegangen werden, daß dem Krankenhausaufenthalt im Sommer 1990 keine Grippeerkrankung vorausgegangen und die Symptomatik bereits weitgehend urämiebedingt gewesen sei. Zudem sei in der Zwischenzeit weitere relevante Literatur im wissenschaftlichen Schrifttum erschienen, insbesondere der sehr ausführliche Übersichtsartikel von Hotz (Occupational solvent exposure and chronic nephrotoxicity, in "Toxicology" 90 - 1994 -). Da somit sowohl seitens der fallspezifischen Aspekte als auch der generellen Literaturlage eine gegenüber seinem Vorgutachten unterschiedliche Ausgangssituation vorliege, müsse seine Schlußfolgerung im Gutachten vom 17.12.1993 revidiert werden. Nachdem die außerberufliche Ursache der akuten Grippeerkrankung weggefallen sei, blieben als überwiegend wahrscheinliche Ursache für das Entstehen des Goodpasture-Syndroms die beruflich bedingten Lösemittelexpositionen. Da auch eine Penicillaminmedikation beim Kläger nicht vorgelegen habe und nach den vorliegenden internationalen Übersichtsartikeln von Nelson und von Hotz Lösemitteleinwirkungen als grundsätzlich geeignet anzusehen seien, ein Goodpasture-Syndrom zu verursachen, spreche jetzt mehr für als gegen einen Sachzusammenhang. - Unter dem 09.11.1995 teilte der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung erneut mit, daß neue Erkenntnisse über den maßgeblichen Ursachenzusammenhang nicht vorlägen. Gleichwohl hielt Prof. Dr. Dr. B ... in einer weiteren Stellungnahme vom 16.02.1996 unter Hinweis auf eine weitere 1995 erschienene Arbeit von Stengel (B. Stengel et al.; Organic solvent exposure may increase the risk of glomerular nephropathies with chronic renal failure, International Journal of Epidemiology Vol. 24 No. 2, 427 ff., 1995) an seiner geänderten Auffassung fest.

Mit Urteil vom 25.10.1996 hat das SG - gestützt auf die Darlegungen des SV - die Beklagte verurteilt, das beim Kläger bestehende Goodpasture-Syndrom wie eine BK anzuerkennen und Verletztenrente dem Grunde nach zu gewähren. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 26.11.1996 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.12.1996 Berufung eingelegt. Sie trägt im wesentlichen vor, die Meinungsbildung der medizinischen Wissenschaft zu der Frage, ob organische Lösungsmittel möglicherweise die Häufigkeit von glomerulärer Nephropathie erhöhen bzw. ihren Verlauf verschlimmern, sei keinesfalls abgeschlossen. Es könne auch nicht davon gesprochen werden, daß die generelle Geeignetheit der Einwirkung von Lösungsmitteln für die Entstehung oder Verschlimmerung des Good pasture-Syndroms in der medizinischen Wissenschaft bereits allgemein anerkannt sei. Bei dieser Sachlage seien hier aber die Entschädigungsvoraussetzungen nach § 551 Abs. 2 RVO nicht gegeben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25.10.1996 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Der Senat hat von Dr. med. P ..., Diplom-Chemiker und Arzt für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin in C ...-R ..., ein arbeitsmedizinisches Fachgutachten vom 16.07.1997 und dazu von Prof. Dr. Dr. B ... eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme eingeholt. Auf den Inhalt dieser Stellungnahme vom 23.03.1998 und des Gutachtens von Dr. P ... sowie auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten "Heidelberger Malerstudie der ARGE-Bau", Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität Heidelberg, wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen. Die Verwaltungsakten der Beklagten lagen vor und waren ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist auch begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht i.S.v. § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -. Dieser hat keinen Anspruch auf die nach dem erstinstanzlichen Antrag allein streitige Anerkennung und Entschädigung des Goodpasture-Syndroms wie eine BK gemäß § 551 Abs. 2 RVO.

Der geltend gemachte Entschädigungsanspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da der Kläger Entschädigungsleistungen auch für Zeiten vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (Gesetzliche Unfallversicherung) - SGB VII - am 01.01.1997 begehrt (vgl. Art. 36 des Unfallversicherungs- Einordnungsgesetzes - UVEG -, § 212 SGB VII).

Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall, der nach § 547 RVO u.a. durch Gewährung von Verletztenrente zu entschädigen ist, auch eine BK. BK en sind nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO die Krankheiten, welche die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet. Die entschädigungspflichtigen BK en, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht werden, denen bestimmte Berufsgruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, wer den in der Liste der Anlage zur BKV bezeichnet.

Das Goodpasture-Syndrom, das - wie der Kläger meint - auf berufliche Einwirkungen von Lösemitteln zurückzuführen sei, ist weder in der Anlage (Liste der BK en) der BKV in der Fassung der 2. ÄndVO vom 18.12.1992 (BGBl. I 2324) noch in der Neufassung der BKV vom 31.10.1997 (BGBl. I 2623) ausdrücklich als BK-Folge benannt.

Soweit in der gewerbeärztlichen Stellungnahme die Möglichkeit einer Entschädigung nach der BK Nr. 1303 (Erkrankung durch Benzol, seine Homologe oder Styrol) erörtert worden ist, ist die Annahme dieser Listenerkrankung mit der zutreffenden Begründung verneint worden, Nierenschädigungen der beim Kläger vorliegenden Art seien als Folge der Einwirkung der in dieser BK-Nr. benannten Lösemittel und chemischen Stoffe nicht bekannt. Deshalb haben auch die im Gerichtsverfahren gehörten SV en übereinstimmend eine Entschädigungsmöglichkeit wegen einer sog. Listenerkrankung abgelehnt. Insoweit hat sich auch durch die o.a. Neufassung der BKV, durch die als neue BK die Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Encephalopathie durch organische Lösemittel oder deren Gemische) geschaffen wurde, nichts geändert, weil diese gänzlich andere Krankheitsbilder erfaßt. Danach kommt somit - und dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig - nur eine Entschädigung des Klägers nach § 551 Abs. 2 RVO in Betracht.

Nach dieser Vorschrift sollen die Unfallversicherungsträger im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 erfüllt sind. Wegen dieser Bezugnahme auf die Voraussetzungen des Abs. 1 muß feststehen, daß bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung solchen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, Krankheiten solcher Art zu verursachen. Voraussetzungen sind also:

1. Es muß eine bestimmte Personengruppe bei ihrer Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung bestimmtenEinwirkungen ausgesetzt sein;

2. diese Einwirkungen müssen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sein, Krankheiten solcher Art zu verursachen;

3. diese medizinischen Erkenntnisse müssen bei der letzten Ergänzung der Anlage zur BKV noch nicht in ausreichendem Maße vorgelegen haben oder ungeprüft geblieben sein;

4. der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der gefährdenden Arbeit muß im konkreten Fall hinreichend wahrscheinlichgemacht sein (vgl. BSG SozR 2200 § 551 Nr. 18).

Die Vorschrift des § 551 Abs. 2 RVO ist also keine "Härteklausel", nach der nur deshalb zu entschädigen wäre, weil die Nichtentschädigung für den Betroffenen eine individuelle Härte bedeuten würde (BSGE 44, 90, 93 = SozR 2200 § 551 Nr. 9; BSG SozR 2200 § 551 Nr. 27). Sie will auch nicht erreichen, daß jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK entschädigt werden soll (BSG SozR 2200 § 551 Nr. 18 und Nr. 27). Sie stellt vielmehr einen Kompromiß zwischen dem in § 551 Abs. 1 verankerten "Listensystem" und der von einigen Seiten gewünschten "Generalklausel" dar (BSG SozR 2200 § 551 Nr. 27 m.w.N., SozR 3-2200 § 551 Nr. 3). Die Vorschrift des § 551 Abs. 2 RVO zielt mithin nicht auf die Lückenlosigkeit des Schutzes für alle Versicherten ab, die an einer durch die Berufstätigkeit verursachten Krankheit leiden (BSG a.a.O.; vgl. auch BVerfG SozR 3-2200 § 551 Nr. 5). Sinn des § 551 Abs. 2 kann es deshalb nur sein, solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten wie eine BK zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der BK en aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Berufsgruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage zur BKV noch nicht vorhanden oder dem Verordnungsgeber nicht bekannt waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten (BSG SozR 2200 § 551 Nr. 27 m.w.N.).

Neue Erkenntnisse in diesem Sinne sind dann gegeben, wenn sie erst nach dem Erlaß der letzten Änderung der BKV gewonnen wurden oder zu diesem Zeitpunkt zwar im Ansatz vorhanden waren, sich aber erst danach zur "BK-Reife" verdichtet haben (BSGE 21, 296, 298; 35, 267, 268; 44, 90, 93 sowie BSG Urteil vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 -). Sind dem Verordnungsgeber medizinisch- wissenschaftliche Erkenntisse i.S.d. § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO entgangen, und hat er deshalb eine Neufassung der entsprechenden Nr. der Liste überhaupt nicht erwogen, ist § 551 Abs. 2 RVO anwendbar (BSG SozR 2200 § 551 Nr. 18). Neu sind die Erkenntnisse aber dann nicht mehr, wenn sie den Verordnungsgeber bereits veranlaßt haben, eine BK in die Liste aufzunehmen oder auch die Bezeichnung der Erkrankung richtigstellend oder erweiternd zu ändern (BSG BG 1967, 75, 76). Entsprechendes gilt, wenn der Verordnungsgeber aufgrund der vorliegenden Ermittlungsergebnisse es bereits abgelehnt hat, den Versicherungsschutz listenmäßig zu erweitern (BSGE 44, 90, 93; BSG SozR 2200 § 551 Nr. 18 m.w.N.). Entscheidend ist die BKV in der jeweils neuesten Fassung (BSGE 44, 90, 94; BSG SozR 2200 § 551 Nr. 18).

Von dieser Rechtsauffassung des BSG ausgehend, wonach es für die Anwendung von § 551 Abs. 2 RVO ausreicht, wenn die neuen medizinischen Erkenntnisse im Zeitpunkt der Entscheidung über den Entschädigungsanspruch bestehen (vgl. BSG Urteil vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 - HVBG Info 1997, 592 und BSG Urteil vom 21.01.1997 - 2 RU 7/96 -), vermag der erkennende Senat schon nicht festzustellen, daß jetzt in der medizinischen Wissenschaft hinreichend gefestigte Erkenntnisse über die Verursachung des Goodpasture-Syndroms durch Einwirkungen von Lösemitteln bestehen. Zwar handelt es sich beim Goodpasture-Syndrom um eine seltene Erkrankung und damit um einen Ausnahmefall, bei dem eine statistisch abgesicherte Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen in bestimmten Berufsgruppen und eine langfristige zeitliche Überwachung der artiger Krankheitsbilder (vgl. BSGE 53, 295, 298) nur schwer oder überhaupt nicht nachgewiesen werden können und daher auch nicht die Feststellung eines spezifischen Berufsrisikos zwingend erforderlich ist (BSG Urteil vom 14.11.1996 - 2 RU 9/96 -). Entscheidend ist hier, daß die generelle Geeignetheit der Einwirkung von Lösemitteln für die Entstehung von Goodpasture-Syndromen aus Einzelfallstudien und bisher ausgesprochenen Anerkennungen oder Erkenntnissen aus allgemeineren Studien nicht als gesichert angesehen werden kann (vgl. BSG, a.a.O.). Dabei stützt sich der Senat auf das Gutachten Dr. P ..., dem sich Prof. Dr. Dr. B ... in seiner Stellungnahme vom 23.03.1998 unter Aufgabe seiner gegenteiligen Beurteilung der Zusammenhangsfrage vom 22.08.1995 angeschlossen hat.

Danach ist von folgender medizinisch-wissenschaftlicher Sachlage auszugehen: Das Goodpasture-Syndrom gehört zur Gruppe der rapid progressiven Glomerulonephritiden. Dabei handelt es sich um eine Allergie vom Typ II, an der Immunglobuline der Klassen IgC und IgM beteiligt sind und die deutliche Züge eines autoimmunen Geschehens zeigen. Bekannt sind derartige Typ II-Reaktionen bei Transfusionszwischenfällen, bei der hämolytischen Anämie des Neugeborenen bei Resusfaktor-Inkompatibilität, bei der autoimmunhämolytischen Anämie, beim Morbus Basedow, beim Diabetes mellitus Typ I und bei der Hashimoto-Thyreoiditis.

Ob eine solche Immunerkrankung auch durch berufliche Einflüsse hervorgerufen werden kann, wird seit einigen Jahren diskutiert. Es ist bekannt, daß es eine Reihe von nierentoxischen organischen Verbindungen gibt, die zur Bildung sehr reaktionsfähiger freier Radikaler führen, welche die Membran der Niere und hierbei primär die Tubuli in den Nieren schädigen. Zusätzlich zur Tubulusschädigung wird ein ursächlicher Zusammenhang für die Entstehung einer Glomerulonephritis durch organische Lösemittel diskutiert, weil sich trotz widersprechender Ergebnisse in einigen Studien über durchschnittlich häufig eine Lösemittelexposition bei Patienten mit histologisch gesicherter Glomerulonephritis finden ließ. So ergeben sich aus der Arbeit von Hotz a.a.O., in der die bis 1994 erschienene wesentliche Literatur zusammengefaßt ist, zwar deutliche Hinweise für einen Kausalzusammenhang zwischen einer chronischen Lösemitteleinwirkung und der Glomerulonephritis. Jedoch handelt es sich bei diesen Arbeiten nur um Einzelfallberichte, denen sich ebenso wie den später erschienenen Arbeiten von Stengel (a.a.O.) und von Mutti (Organic Solvents and the Kidney J Occup Health 1996; 38: 162-169) keine eindeutigen Daten für die Entscheidung entnehmen lassen, ob die rapid progressive Glomerulonephritis durch Lösemitteleinwirkung hervorgerufen wird oder nicht. Ist damit aber entsprechend dem Umstand, daß die rapid progressive Glomerulonephritis bzw. das Goodpasture-Syndrom zwar durch Lösemitteleinwirkung hervorgerufen werden kann, die meisten rapid progressiven Glomerulonephritiden/ Goodpasture-Syndrome aber ohne erkennbare Ursache, d.h. idiopathisch (anlagebedingt) auftreten, zwar durchaus die Möglichkeit dieser Erkrankung durch Lösemittel gegeben, so reicht dies jedoch nicht für die erforderliche Feststellung, daß ausreichend gesicherte Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorliegen, welche den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Goodpasture-Syndrom und der Lösemitteleinwirkung belegen.

Der Senat hat um so weniger Anlaß, den überzeugenden Darlegungen Dr. P ... nicht zu folgen, als Prof. Dr. Dr. B ... in seiner vom Senat eingeholten Stellungnahme seine noch im erstinstanzlichen Verfahren vertretene Ansicht revidiert und sich der Auffassung Dr. P ... angeschlossen hat. Dabei hat Prof. Dr. Dr. B ... darauf hingewiesen, daß die von ihm seinerzeit noch nicht berücksichtigte, 1996 veröffentlichte Studie von Asal et. al. (Hydrocarbon exposure and chronical renal disease in Int. Arch. Occup. Environ. Health 68, 229-235) ergeben habe, daß bei langandauernder aber weniger starker Lösemittelexposition das Entstehen von Glomerulonephritiden im Vergleich zu der Annahme von Stengel und Mutti jetzt deutlich zu relativieren sei. Unter Berücksichtigung der Stärke der Lösemittelexposition und des Expositionsprofils beim Kläger sei - wie Dr. P ... zutreffend dargelegt habe - nur in Bezug auf die Streicharbeiten der Innenräume von 10 Bunkern und bei den Beschichtungsarbeiten in und an Silofahrzeugen von einer zeitweise erhöhten Lösemittelkonzentration auszugehen. Hat aber die Grenzwertüberschreitung von Lösemitteln nur in relativ seltenen Ausnahmefällen vorgelegen, so kann nach den einleuchtenden Ausführungen des SV Prof. Dr. Dr. B ... hier jedenfalls auch die individuelle haftungsausfüllende Kausalität nicht wahrscheinlich gemacht werden.

Liegen mithin keine hinreichend gesicherten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über den ursächlichen Zusammenhang zwischen rapid progressiven Glomerulonephritiden/ Goodpasture- Syndromen und Lösemittelexpositionen im allgemeinen vor - solche sind auch nicht in der "Heidelberger Malerstudie" beschrieben worden, wonach die Nephrotoxizität organischer Lösemittelgemische als gering einzuschätzen war -, so spricht hier gegen den individuellen Zusammenhang neben der nur zeitweilig geringfügig anzunehmenden erhöhten Lösemittelexposition des Klägers auch der Umstand, daß der akut-progressive Verlauf seiner Erkrankung nach chronischer Lösemittelexposition in der Phase der abnehmenden Exposition in den späten achtziger Jahren zudem untypisch für die Nierenschädigung durch Lösemittelexposition ist, auch wenn bei einem Autoimmunmechanismus Dosis-Wirkungsbeziehungen nicht unbedingt greifen.

Da sich nach alledem die angefochtene Entscheidung der Beklagten als rechtmäßig erweist, war das Urteil des SG abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Zur Revisionszulassung bestand kein Anlaß (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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