L 7 AS 707/19 KL

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 707/19 KL
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Wenn eine Optionskommune Personal für die Erledigung von Vollzugsaufgaben des Bundes im Bereich des SGB II einsetzt, das die Kommune nicht selbst bezahlen muss (wie zB einen der Kommune überlassenen Staatsbeamten), hat der Bund der Optionskommune die Kosten zu erstatten, die der Kommune in dieser Zeit entstanden sind für vergleichbare kommunale Bedienstete, die alternativ für die Vollzugsaufgaben hätten eingesetzt werden können.

 

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 176.467,48 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für einen Teilbetrag in Höhe von 44.767,96 Euro ab dem 05. November 2019 und für einen Teilbetrag in Höhe von 131.899,52 Euro ab dem 09.Oktober 2020 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. 

III. Die Revision wird zugelassen. 

IV. Der Streitwert wird festgesetzt auf 177.854,96.


T a t b e s t a n d :

Der Kläger begehrt als Optionskommune von der Beklagten die Erstattung von Personalkosten für den Einsatz von bayerischen Staatsbeamten im Vollzug des SGB II iHv insgesamt 177.854,96 Euro.

Der Kläger unterhält als seit dem 01.01.2012 zugelassener Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§§ 6a Abs 2 SGB II, 1 KomtrZV nebst Anlage) ein Kommunales Jobcenter als besondere Einrichtung nach § 6a Abs 5 SGB II.

Zur Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB II wurden vom Kläger in der besonderen Einrichtung neben Kreisbeamten, tarifbeschäftigten Arbeitnehmern und Amtshilfekräften Staatsbeamte des Freistaates Bayern als Sachbearbeiter eingesetzt (Qualifikationsebene 3). Ein Staatsbeamter war bereits der Rechtsvorgängerin des Klägers, der damaligen Arbeitsgemeinschaft, vom Bayerischen Innenministerium mit Wirkung vom 01.01.2009 zugewiesen worden. Im Kommunalen Jobcenter des Klägers war dieser Staatsbeamte vom 01.01.2012 bis 30.04.2019 beschäftigt. Vom 01.04.2018 bis 30.04.2019 setzte der Kläger zusätzlich einen weiteren bayerischen Staatsbeamten ein.

Seit 2012 wurden die Personalkosten für den Staatsbeamten zwischen dem Kläger und der Beklagten mittels monatlichen Abschlägen und einer anschließenden Spitzabrechnung bis zum 31. März des Folgejahres ausgezahlt und abgerechnet, da der Kläger mit der Beklagten als Kostenträger weder eine Verwaltungsvereinbarung zum Mittelabruf abgeschlossen hat, noch am Haushalts-Kassen-Rechnungswesen-Verfahren (HRK-Verfahren) des Bundes teilnimmt.

Die Abrechnung bayerischer Staatsbeamter, die im Vollzug des SGB II eingesetzt werden, war von der zuständigen Prüfstelle der Beklagten bereits im Jahre 2007 beim Landkreis Würzburg als damaliger Optionskommune thematisiert, aber letztlich nicht beanstandet worden. Auch bei den Schlussabrechnungen mit dem Kläger ab dem Jahr 2012 blieb der Einsatz bayerischer Staatsbeamter zunächst unbeanstandet. Erstmals anlässlich der Schlussabrechnung für das Jahr 2016 wurde von der Beklagten der Einsatz des Staatsbeamten hinterfragt (Schreiben der Beklagten vom 11.8.2017), blieb aber auch hier zunächst unbeanstandet (Schreiben der Beklagten vom 10.11.2017).

Bei der Schlussabrechnung für das Jahr 2017 verweigerte die Beklagte mit Schreiben vom 08.11.2018 (und nochmals mit Schreiben vom 21.03.2019) dem Kläger die Erstattung seiner Personalkosten für den Staatsbeamten. Soweit die Beklagte dem Kläger grundsätzlich zur Erstattung seiner für den Vollzug des SGB II entstehenden Kosten verpflichtet sei, könne das für den eingesetzten Staatsbeamten nicht gelten. Dem Kläger seien für den vom Freistaat Bayern zur Verfügung gestellten Beamten keine abrechenbaren Kosten entstanden. Der Kostenbegriff sei kameral zu verstehen und umfasse nur kassenwirksame Zahlungsflüsse. Solche Zahlungsflüsse seien beim Kläger für den eingesetzten, vom Freistaat Bayern bezahlten Staatsbeamten nicht erfolgt.

Mit Schreiben vom 04.04.2019 forderte der Kläger die Beklagte auf, für das Jahr 2017 einen Betrag iHv 46.155,44 Euro bis spätesten 30.06.2019 zu zahlen; dieser Betrag entspreche 84,8% der Bruttoaufwendungen für den Staatsbeamten (ohne Rückstellungen für die Altersicherung).

Die Beklagte verweigerte die Zahlung. Aktuell seien die Haushaltsjahre 2016 und 2017 noch nicht mit allen bayerischen kommunalen Trägern abschließend geprüft. Insbesondere würde die Beklagte inzwischen gegen einzelne bayerische kommunale Träger, die ebenfalls bayerische Staatsbeamte eingesetzt haben, sogar Erstattungsforderungen geltend machen. Der Kläger solle ein Musterverfahren gegen die Beklagte führen, mit dem die Rechtslage bzgl der Abrechnung bayerischer Staatsbeamter geklärt werde.

Mit Schreiben vom 09.10.2019 beanstandete die Beklagte im Rahmen der Abrechnung für das Jahr 2018 den Einsatz zweier bayerischer Staatsbeamter durch den Kläger und die für diese geltend gemachten Kosten iHv 87.386,93 Euro (ohne Rückstellungen für die Altersicherung).

Mit Schreiben vom 24.10.2019, eingegangen am 04.11.2019, erhob der Kläger Klage beim Bayerischen Landessozialgericht und beantragte zunächst, die Beklagte zur Zahlung von 46.155,44 Euro (nebst Zinsen iHv fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit) an abrechenbaren Personalkosten für das Jahr 2017 zu verurteilen (mit entsprechendem Hilfsantrag auf Aufhebung der einschlägigen Bescheide für den Fall, dass die eine Zahlung ablehnenden Schreiben der Beklagten vom Gericht rechtlich als Verwaltungsakte eingeordnet würden; dieser Hilfsantrag wurde auf richterlichen Hinweis vom Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht weiter verfolgt).

Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 03.12.2019 auch die Jahresabrechnung für das Jahr 2016 bzgl der Abrechnung des bayerischen Staatsbeamten beanstandet und die im Rahmen der Abrechnung erfolgte Zahlung iHv 44.302,59 zurückgefordert hatte, erklärte der Kläger mit Schreiben vom 12.12.2019, dass er eine solche Rückzahlungspflicht nicht anerkenne, zahlte aber den Betrag unter Vorbehalt an die Beklagte zurück.

Am 03.08.2020 fand ein Erörterungstermin beim Bayerischen Landessozialgericht statt, bei dem die Beklagtenseite darlegte, dass der Kläger der Beklagten keine Rechnung des Freistaates Bayern vorlegen könne, mit dem Kosten des Klägers für den Einsatz des Staatsbeamten nachgewiesen bzw dokumentiert werden könnten. Seitens des Gerichts wurde vom Kläger eine Berechnung der konkreten Kosten für einen Kommunalbediensteten erbeten, der anstelle des eingesetzten Staatsbeamten im Bereich des SGB II vom Kläger hätte eingesetzt werden können.

Mit Schreiben vom 30.09.2020 teilte der Kläger mit, dass im Jahr 2017 fünf verschiedene kommunale Bedienstete für den Staatsbeamten theoretisch hätten eingesetzt werden können. Der Arbeitgeberaufwand habe für diese kommunalen Bediensteten zwischen 52.792,41 Euro und 69.953,41 Euro gelegen (Bruttoaufwendungen samt Sozialverischerungsbeiträgen). Bei der vom Gericht veranlassten hypothetischen Betrachtungsweise lasse sich im Nachhinein nicht mit absoluter Sicherheit rekonstruieren, welcher kommunale Bedienstete konkret im Bereich des SGB II hätte eingesetzt werden können. Der Kläger sei aber nach wie vor der Ansicht, dass allein die Kosten für den Staatsbeamten ausschlaggebend seien. Unter Berücksichtigung der finanzverfassungsrechtlichen Zweistufigkeit des Staatsaufbaus handle es sich bezüglich des Staatsbeamten um wirtschaftliche Verzichtsaufwendungen des Klägers.

Mit Schreiben vom 08.10.2020, eingegangen am 14.10.2020, erweiterte der Kläger seine Klage auf die Jahre 2016 und 2018 und damit summenmäßig insgesamt auf 177.854,96 Euro. Zusätzlich zu dem bereits geltend gemachten Betrag iHv 46.155,44 Euro für das Jahr 2017 fordert der Kläger nun auch die unterbliebenen Zahlungen für das Jahr 2018 für die beiden in diesem Jahr eingesetzten bayerischen Staatsbeamten iHv 87.396,93 Euro sowie für das Jahr 2016 den aufgrund der Rückerstattungsaufforderung durch die Beklagte vom Kläger unter Vorbehalt zurückgezahlten Betrag iHv 44.302,59 Euro für den im Jahr 2016 eingesetzten Staatsbeamten, damit zur ursprünglichen Klage 131.699,52 Euro mehr, insgesamt also 177.854,96 Euro. 

Mit Schreiben vom 19.03.2019 hatte der Kläger von der Beklagten bei der Jahresabrechnung 2018 für die beiden im Jahr 2018 eingesetzten Staatsbeamten nach Abzug des kommunalen Finanzierungsanteils die Zahlung von 87.396,93 Euro verlangt (Aufwendungen vor Abzug des kommunalen Finanzierungsanteils für den ganzjährig tätigen Staatsbeamten ohne Rückstellungen für die Alterssicherung 56.275,28 Euro und für den ab 01.04.2018 tätigen Staatsbeamten 46.786,84 Euro). Dies hatte die Beklagte im Rahmen der Schlussrechnung für 2018 mit Schreiben vom 09.10.2020 beanstandet und eine Zahlung insoweit verweigert.

Mit Schreiben vom 08.10.2020 legte der Kläger in der Anlage hierzu zwei auf den 24.09.2020 datierte Schreiben vor, aus denen sich der Brutto-Arbeitgeberaufwand für kommunale Bedienstete ergibt, die im Jahre 2016 und 2018 vom Kläger im Bereich des SGB II hätten eingesetzt werden können (im Jahr 2016 zwischen 57.595,18 Euro und 66.603,04 Euro und im Jahr 2018 entweder 62.979,57 Euro, 65.322,78 Euro, 67.704,54 oder 69.157,54 Euro). Im Jahr 2016 hätten nach den vorgelegten Unterlagen die Kosten für den günstigsten kommunalen Bediensteten damit (84,8% von 57.595,18 Euro=) 48.864,07 Euro betragen, im Jahr 2017 (84,8% von 52.792,41 Euro=) 44.767,96 Euro, im Jahr 2018 für einen ganzjährig Beschäftigten (84,8% von 62.979,57 Euro=) 53.406,67 Euro und für den neun Monate Beschäftigten (84,8% von 65.322,78 Euro= 55.393,72 Euro, davon wiederum drei Viertel von 12 Monaten=) 41.545,24 Euro.

Der Zahlungsanspruch ergebe sich aus § 6b Abs 2 Satz 1, Abs 2a SGB II iVm den Vorschriften der KoA-VV, mit denen Art 91e Abs 2 Satz, Abs 3 GG konkretisiert worden sei. Art 91e Abs 2 Satz 2 GG sei im Lichte von Art 104a Abs 1 GG und Art 106 Abs 8, 9 GG nur so zu verstehen, dass der Bund sämtliche Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Vollzug des SGB II zu tragen habe. Nach Art 91e Abs 2 Satz 2 GG trage die Beklagte bei der Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB II ua die Verwaltungskosten der besonderen Einrichtung des Klägers (mit Ausnahme der Aufwendungen für die Aufgaben nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II). Maßgebend sei die auf Grundlage der Ermächtigung des Art 84 Abs 2 GG erlassene KoA-VV als intersubjektive Verwaltungsvorschrift des Bundes. Der Zahlungsanspruch des Klägers ergebe sich für die Jahre 2016, 2017 und 2018 aus der Anwendung von § 8 KoA-VV.

§ 8 Abs 1 Satz 1 KoA-VV lege fest, dass erstattungsfähige Verwaltungskosten die personellen und sächlichen Aufwendungen für den Betrieb einer kommunalen Einrichtung nach dem SGB II seien. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise handle es sich bei den Personalkosten für Staatsbeamte um solche personellen Aufwendungen. Dies ergebe sich aus den kommunalrechtlichen Gesamtzusammenhängen, wobei hier auch das verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht des Klägers aus Art 28 GG zu beachten sei. Der Staatsbeamte sei dem Kläger nach Art 37 Abs 3 Satz 3 BayLkrO vom Freistaat Bayern zur Aufgabenwahrnehmung nach dem SGB II zugeteilt worden; dieser habe Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis wahrgenommen, für die entsprechend Art 53 Abs 2 Satz 1 BayLkrO an dessen Stelle ein kommunaler Bediensteter staatliche Aufgaben habe erledigen müssen. Hätte der Kläger anstelle des Staatsbeamten einen kommunalen Bediensteten in der besonderen Einrichtung nach § 6a Abs 5 SGB II eingesetzt, wäre die Beklagte zur Erstattung der Kosten für den kommunalen Bediensteten verpflichtet gewesen. Insoweit ergebe sich haushaltsrechtlich eine "Verzichts-Aufwendung" des Klägers. 

Diese Verzichts-Aufwendungen seien als personelle Aufwendungen anzusehen. Der Begriff der "Aufwendungen" werde in der KoA-VV nicht weiter definiert, auch wenn die Überschrift von Abschnitt 2 der KoA-VV laute "Abrechnung von Aufwendungen". Die Begriffe "Auszahlungen" bzw "Ausgaben" iS der §§ 4, 5 KoA-VV würden nicht synonym verwendet. Soweit § 6 Abs 2 KoA-VV den Kostenbegriff mit realen Zahlungseingängen verbinde, stehe ein solcher Kostenbegriff einem wirtschaftlichen Aufwendungsbegriff nicht entgegen. Die von der Beklagten geforderten realen Zahlungsvorgänge gäbe es statt beim Kläger beim Freistaat Bayern für den Staatsbeamten und beim Kläger für die ersatzweise anderweitig tätigen kommunale Bediensteten, so dass beim Kläger zumindest mittelbare Personalkosten anfielen, die rechtlich als Aufwendungen iS der KoA-VV zu werten seien. 

Denn die Kosten müssten nach dem Wortlaut von § 8 KoA-VV nur "für den Betrieb der Einrichtung" anfallen, nicht "im" Betrieb. Diese Auslegung werde von § 8 Abs 4 Nr 3 Satz 2 KoA-VV gestützt; diese Vorschrift stelle für die Fallgestaltung der Arbeitnehmerüberlassung seinem Wortlaut nach ausdrücklich auf Kosten für den Einsatz der betreffenden Personen "in" der Einrichtung ab. Eine solche Einschränkung auf anfallende Kosten "im" Betrieb lasse sich dem Wortlaut von § 8 Abs 1 Satz 1 KoA-VV gerade nicht entnehmen, so dass im Umkehrschluss von § 8 Abs 1 Satz 1 Ko-AVV alle mittelbare Aufwendungen "für" den Betrieb erfasst seien. 

Auch aus § 16 KoA-VV, wonach die Abrechnung grundsätzlich in tatsächlicher Höhe zu erfolgen habe, lasse sich nichts Anderes schließen. Die mittelbaren Aufwendungen für den anderweitig eingesetzten kommunalen Bediensteten seien beim Kläger so angefallen, genauso wie die Kosten für den Staatsbeamten beim Freistaat Bayern.

Sollten mittelbare Personalkosten nicht von § 8 Abs 1 Satz 1 KoA-VV erfasst sein, so handle es sich zumindest um nach § 8 Abs 2 Nr 1 KoA-VV erstattungsfähige Aufwendungen. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift müssten keine kassenwirksamen Verwaltungsaufwendungen beim Kläger entstanden seien. Aus dem Wortlaut der Vorschrift, die im Konjunktiv abgefasst sei (Kosten, die entstanden "wären"), werde deutlich, dass die Vorschrift auf fiktive Verwaltungskosten abstelle. Solche fiktiven Kosten wären dem Kläger entstanden, wenn er anstelle des Staatsbeamten einen kommunalen Bediensteten eingesetzt hätte. Aus Art 37 Abs 3 BayLkrO ergebe sich, dass der Staatsbeamte als Dritter iS der Vorschrift angesehen werden müsse, da Dienstherr als Dritter im Sinne dieser Vorschrift der Freistaat Bayern gewesen sei und der zugewiesene Staatsbeamte der Dienstaufsicht des Landrats unterstehe, der diesem gegenüber auch weisungsbefugt iS der Vorschrift sei.

Hilfsweise müsse § 8 Abs 2 Nr 1 KoA-VV analog angewendet werden iVm § 8 Abs 4 Nr 3 KoA-VV. Aus diesen Vorschriften ergebe sich der Rechtsgedanke, dass Personalaufwendungen erstattungsfähig seien, auch wenn sie für den Betrieb der besonderen Einrichtung nur mittelbar angefallen seien. Ein solcher auf Aufgaben bezogener Aufwendungsbegriff entspreche dem Ausgabenbegriff in Art 91e Abs 2 Satz GG.

Zumindest habe der Kläger einen Anspruch aus Vertrauensschutz bzw Treu und Glauben, nachdem die Beklagte jahrelang unbeanstandet die Kosten für Staatsbeamte übernommen habe.

Der Kläger macht mit seiner Klage ausdrücklich einen Zahlungsanspruch in Höhe der von ihm berechneten Kosten für den im Bereich des SGB II eingesetzten Staatsbeamten geltend; auf einen anderen kommunalen Beschäftigten dürfe nicht abgestellt werden. 

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 177.854,96 Euro zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz für die Teilbeträge iHv 46.155,44 Euro und von 131.899,52 Euro seit jeweiliger Rechtshängigkeit der beiden Teilbeträge.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.
Ein Zahlungsanspruch des Klägers sei nicht gegeben, da für die Staatsbeamten keine realen Zahlungsflüsse beim Kläger erfolgt seien und mittelbare Kosten, wie sie für die Kommunalbeamten außerhalb des Vollzugs des SGB II entstanden seien, nicht erstattungsfähig seien. Für die Erstattung von Aufwendungen aus dem Vollzug des SGB II gelte das Kameralprinzip, wonach nur tatsächlich entstandene Kosten erstattet werden können.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe keinen Anspruch auf die geltend gemachten Personalkosten. Ein Anspruch aus § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II iVm § 8 KoA-VV scheitere schon daran, dass der Kläger keine realen Zahlungen habe leisten müssen. Damit habe er keine "Aufwendungen" gehabt. Aufwendungen würden voraussetzen, dass es zu Verminderungen des Geldvermögens durch Abfluss von Zahlungsmitteln oder Eingehen von Verbindlichkeiten gekommen sei. Auch § 6 KoA-VV stütze dieses Verständnis des Begriffs "Aufwendungen, wenn dort von "realen" Zahlungsvorgängen die Rede sei.

Dies ergebe auch eine verfassungskonforme Auslegung von § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II. Bei Art 91e Abs 2 Satz 2 GG handle es sich um eine bereichsspezifische Spezialregelung, die in ihrem Anwendungsbereich sowohl die Art 83 ff GG als auch Art 104a GG verdränge. Daraus sei zu folgern, dass der in Art 91e Abs 2 Satz 2 GG verwendete Begriff der Aufwendungen identisch mit dem Ausgabenbegriff des Art 104a Abs 1 GG sei. Bzgl Art 104a Abs 1 GG sei es einhellige Meinung, dass nur kassenwirksame Zahlungen Ausgaben seien. Für Verwaltungsausgaben sei dies bei § 104a Abs 5 Satz 1 GG anerkannt. Der in Art 91e Abs 2 Satz 2 GG verwendete Begriff der "Aufwendungen" müsse daher verfassungkonform als "Ausgaben" bzw "Verwaltungsausgaben" iSd Art 104a GG verstanden werden. § 8 Abs 2 KoA-VV und § 8 Abs 4 Nr 3 KoA-VV würden diese Auslegung stützen.

Dass es zu kassenwirksamen Ausgaben beim Freistaat Bayern für den um Vollzug des SGB II eingesetzten Staatsbeamten gekommen sei, spiele keine Rolle. Art 91e Abs 2 Satz 2 GG sehe gerade keine Finanzierungspflicht des Bundes gegenüber den Ländern vor. Auch der von Klägerseite angeführte Rechtsgedanke des Art 106 Abs 9 GG führe hier nicht weiter, eine Zurechnung der Verwaltungsausgaben des Klägers zu den Verwaltungsausgaben des Freistaats wiederum im Ergebnis eine Finanzierungspflicht des Bundes gegenüber einem Land bedeuten würde, was Art 91e Abs 2 Satz 2 GG gerade nicht regle.

§ 8 Abs 2 Nr 1 KoA-VV, der eine Kostenerstattung bei Wahrnehmung der Aufgaben des SGB II durch Dritte ermögliche, sei nicht anwendbar, weil die Vorschrift voraussetze, dass der Kläger gegenüber dem Dritten, also dem Freistaat, weisungsbefugt sein müsse, was aber nicht der Fall sei.

§ 8 Abs 4 Nr 3 KoA-VV sei ebenfalls nicht einschlägig. Es fehle bereits an Aufwendungen, dh tatsächlichen Regelausgaben des Klägers. Auch handle es sich um keine Amtshilfe, also Hilfe im Einzelfall, sondern um die Übernahme eines ganzen Aufgabenbereichs durch den Staatsbeamten.

Vertrauensschutz und Treu und Glauben würden keine eigenständigen Anspruchsgrundlagen darstellen. Ohnehin sei der Beklagten nicht bekannt gewesen, dass der Kläger für den Einsatz der Staatsbeamten keine realen Verwaltungsausgaben habe tragen müssen.

Hilfsweise werde vorgetragen, dass die Höhe der erstattungsfähigen Verwaltungskosten durch § 8 Abs 2 Halbsatz 2 KoA-VV beschränkt sei. Aufwendungen für die Leistungserbringung durch einen Dritten seien nur solche Verwaltungskosten, die dem Kläger entstanden wären, falls der Kläger die Aufgabe selbst wahrgenommen hätte. Maßgeblich sei daher das Gehalt vergleichbar tätiger kommunaler Bediensteter. Hier seien solche Vergleichswerte nur unzureichend zu ermitteln.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. 

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet. Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung von 176.467,48 Euro verlangen.

Streitgegenstand ist vorliegend jeweils die Erstattung der jeweiligen Personalkosten für das vom Kläger zum Vollzug des SGB II in den Jahren 2016, 2017 und 2018 eingesetzte Personal.

1. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage i.S. des § 54 Abs. 5 SGG statthaft (vgl LSG BB Urteil vom 18.08.2020, L 20 AS 2625/17 KL Rz 40) und auch im Übrigen zulässig.

Das LSG ist erstinstanzlich nach § 29 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuständig; danach entscheiden die Landessozialgerichte über Klagen in Angelegenheiten der Erstattung von Aufwendungen nach § 6b SGB II.

Die örtliche Zuständigkeit des LSG Bayern folgt aus § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG.

2. Die Klage ist bezüglich der vom Kläger geltend gemachten Erstattungsforderung iHv 177.854,96 Euro zum Großteil, nämlich iHv 176.467,48 Euro, begründet. 

Der Klägerin hat insoweit einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte aus § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II iVm § 46 Abs 1 und Abs 3 SGB II. Bei den geltend gemachten Personalkosten iHv 176.467,48 Euro handelt es sich um "Aufwendungen" iSd § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II.

a) Nach § 6b Abs 2 SGB II (seit 27.07.2010 erfolgt auch mit dem durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes - Artikel 91e - vom 21.07.2010 - BGBl I 944 eingeführten Art 91e Abs 2 Satz 2 GG eine entsprechende Regelung), der die einfachgesetzliche Rechtsgrundlage zur finanzverfassungsrechtlichen in Art 106 Abs 8 GG darstellt, trägt der Bund die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten mit Ausnahme der Aufwendungen für Aufgaben nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II. Die Klägerin ist ein zugelassener kommunale Träger iSv Art 91e Abs 2 Satz 1 GG (gültig ab 01.01.2011) iVm § 6a SGB II sowie § 1 und der zugehörigen Anlage (Bayern Nr 2) der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Kommunalträger-Zulassungsverordnung - KomtrZV) vom 24.09.2004 (BGBl I 2349) und war damit im streitgegenständlichen Zeitraum an Stelle der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit (auch) Träger der Aufgaben nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB mit Ausnahme der sich aus den §§ 44b, 50, 51a, 51b, 53, 55, und 65d SGB II (bis 31.12.2010) bzw aus den §§ 44b, 48b, 50, 51a, 51b, 53, 55, 56 Absatz 2, §§ 64 und 65d SGB II ergebenden Aufgaben. 

Damit waren dem Kläger ua die Verwaltungskosten von der Beklagten zu erstatten, soweit es sich nicht um die Aufwendungen im Zusammenhang mit § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II handelt, für die auch im Rahmen eines nicht zugelassen kommunalen Trägers keine Zuständigkeit des Bundes, sondern eine kommunale Trägerschaft besteht. Zu erstatten sind vom Bund insoweit die Verwaltungskosten eines zugelassenen kommunalen Trägers, die nicht seinen Leistungsbereich nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II betreffen. Insofern ergibt sich aus § 6b Abs 2 Satz 2 iVm § 46 Abs 3 Satz 1 SGB II eine Pflicht zur Kostenerstattung durch den Bund im Umfang von 84,8% in Bezug auf die Gesamtverwaltungskosten.

Die Ermittlung der von der Beklagten zu erstattenden Verwaltungskosten richtet sich im Detail nach der von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestages beschlossenen KoA-VV, die die zwischen den Beteiligten bestehende Finanzbeziehung konkretisiert und eine Verordnung nach Art 84 Abs 2 GG bzw ab 01.01.2011 nach § 48 Abs 3 SGB II (danach ist nunmehr das BMAS mit Zustimmung des Bundesrates befugt, entsprechende Verwaltungsvorschriften zu erlassen) darstellt. Damit soll Einheitlichkeit, Transparenz und Rechtssicherheit bei der Abrechnung von Aufwendungen und der Bewirtschaftung von Bundesmitteln im HKR-Verfahren geschaffen, der Verwaltungsaufwand reduziert, das Abrechnungsverfahren vereinfacht und Doppelabrechnungen durch weitgehende Pauschalierung von Verwaltungskosten vermieden, ein verbindliches Verfahren bei der Berechnung und Bewirtschaftung des kommunalen Finanzierungsanteils an den Verwaltungskosten erreicht und eine Gleichbehandlung der zugelassenen kommunalen Träger mit anderen Organisationsformen sichergestellt werden (vgl dazu Begründung zur KoA-VV: BR-Drs 180/08, Seite 2). 

Die Vorschriften der KoA-VV sind grundsätzlich geeignet, diese Ziele zu verwirklichen (BayLSG Urteil vom 20.12.2017, L 11 AS 391/14 KL). Es wurde damit ein Ausgleich zwischen einer notwendigen weitgehenden Vereinheitlichung der Abrechnungsvorgänge und der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie iSv Art 28 Abs 2 GG hergestellt (so auch BR-Drs 180/08 Seite 92). Der Bundesrechnungshof sieht die Vorschriften der KoA-VV als geeignet an, die für Zeiträume vor deren Einführung von ihm festgestellten Mängel bei der Bemessung der vom Bund zu tragenden Verwaltungskosten zu beheben und die Einheitlichkeit der Abrechnung der Aufwendungen der zugelassenen kommunalen Träger sicherzustellen (vgl Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof vom 08.12.2008 - BT-Drs 16/11000 Seite 154). 

Allerdings ist die KoA-VV als Verwaltungsvorschrift nicht geeignet, einen gesetzlich aufgrund von § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II bestehenden Zahlungsanspruch eines kommunalen zugelassenen Trägers gegenüber dem Bund einzuschränken oder sogar auszuschließen. Ob und ggf in welcher Höhe ein Anspruch gegenüber dem Bund aufgrund des Vollzugs von Aufgaben des Bundes durch einen zugelassen Träger besteht, ergibt sich allein aus § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II. Soweit Kläger und Beklagte sich deshalb auf die Regelungen des KoA-VV beziehen und hieraus einen Anspruch herleiten bzw verneinen wollen, führt dies nicht weiter. In der KoA-VV ist die Fallgestaltung, dass ein bayerischer Staatsbeamter, den der Freistaat Bayern dem kommunalen zugelassenen Träger kostenfrei überlassen hat, Vollzugsaufgaben des Bundes erledigt, nicht geregelt. 

b) § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II verpflichtet die Beklagte zur Erstattung von "Aufwendungen", die dem Kläger beim Vollzug des SGB II entstanden sind. Was erstattungsfähige "Aufwendungen" iSd § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II sind, ist ausgehend von den verfassungsrechtlichen Vorgaben festzustellen.

Zu Recht geht die Beklagte zunächst davon aus, dass Ausgangspunkt für die Auslegung von § 6 Abs 2 SGB II die grundgesetzliche Vorgabe des Art 91e GG sein muss. § 6b Abs 2 SGB II setzt auf einfachgesetzlicher Ebene insoweit Art 91e Abs 2 Satz 2 des Grundgesetzes um, wonach der Bund die "notwendigen Ausgaben einschließlich der Verwaltungskosten" des kommunalen Trägers trägt, "soweit die Aufgaben bei einer Ausführung von Gesetzen" durch eine kommunale Einrichtung "vom Bund wahrzunehmen sind". Ebenfalls zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass zum Verständnis, was unter "notwendigen Ausgaben" iS von Art 91e Abs 2 Satz 2 GG zu verstehen ist, andere Normen, insbesondere Art 104a GG und Art 106 GG, grundsätzlich nicht außer Betracht bleiben dürfen. 

aa) Die konkreten Kosten des bayerischen Staatsbeamten kann der Kläger aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht verlangen. 

Art 104a GG regelt die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Land und schließt Zahlungen an eine Kommune durch den Bund aus. Der Bund erstattet einem Land dessen "Ausgaben", soweit diese dem Bund zurechenbar sind. Aus dieser Finanzregelung ergibt sich, dass der Kläger als Kommune keine Ausgaben des Freistaates Bayern vom Bund einfordern kann, auch nicht stellvertretend für den Freistaat Bayern oder als eigene Ausgaben irgendwelcher Art für den Vollzug des SGB II. 

Art 104a GG verbietet, § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II so auszulegen, dass eine Kommune Ausgaben vom Bund einfordern kann, die auf Landesebene und gerade nicht auf kommunaler Ebene entstanden sind. Die strikte Trennung von Bundes- und Länderhoheit setzt sich im Bereich der Finanzverfassung fort (vgl. Art. 104a Abs. 1, Art. 109 Abs. 1 GG) und wird mit Blick auf die Kommunen in Art. 106 Abs. 9 GG noch einmal ausdrücklich bestätigt (vgl BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 92). Im zweistufigen Bundesstaat des Grundgesetzes sind die Kommunen - unbeschadet ihrer finanzverfassungsrechtlichen Absicherung durch Art. 28 Abs. 2 Satz 3, Art. 106 Abs. 5 bis Abs. 8 GG - grundsätzlich Teil der Länder (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 90).

bb) Allerdings ergibt sich ein Anspruch des Klägers aus § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten für einen vergleichbaren kommunalen Bediensteten, der für den im Vollzug des SGB II eingesetzten Staatsbeamten hätte eingesetzt werde können. 

§ 6b Abs 2 Satz 1 SGB II ist im Lichte der verfassungsrechtlichen Sonderregelung des Art 91e Abs 2 Satz 2 und den Vorgaben aus Art 28 Abs 2 GG betreffend das kommunale Selbstverwaltungsrecht in diesem Sinne auszulegen.

aaa) In seiner Grundsatzentscheidung zu Art 91e GG hat das BVerfG das Zusammenspiel von Art 91e GG und Art 28 Abs 2 GG ausführlich dargestellt und dabei die Bedeutung von Art 28 Abs 2 GG für die Optionskommunen im Zusammenhang mit dem Vollzug von Aufgaben des Bundes im Bereich des SGB II besonders betont (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11). 

Die Regelung über die Kostentragung in Art 91e Abs 2 Satz 2 GG, wonach der Bund bei einer Aufgabenwahrnehmung durch Optionskommunen die Kosten trägt, soweit er dies auch im Regelfall des Art. 91e Abs. 1 GG täte, bedeutet in der Sache eine direkte Finanzierung kommunalen Verwaltungshandelns durch den Bund. Dies ermöglicht es, die Verteilung der Finanzierungslasten zwischen Bund und Ländern im Übrigen unangetastet zu lassen, in der Sache jedoch eine punktuelle Abweichung von den Grundsätzen des Art. 104a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5 GG vorzunehmen, wobei Art. 91e GG den allgemeinen Regelungen der Finanzverfassung vorgeht (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 88). Indem Art. 91e Abs. 2 GG unmittelbare Verwaltungs- und Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Optionskommunen herstellt, durchbricht er, wenn auch nur punktuell, die Zweistufigkeit des Staatsaufbaus der Bunderepublik Deutschland (BVerfG aaO Rz 89). 

Zusammen mit der Finanzierungsbefugnis hat der verfassungsändernde Gesetzgeber dem Bund auch die Möglichkeit einer Finanzkontrolle eröffnet. Ohne eine solche Finanzkontrolle bestünde die Gefahr, dass Vollzugs- und Finanzierungsverantwortung im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende auseinanderfallen und keine Anreize für ein wirtschaftliches und sparsames Verwaltungshandeln der Optionskommunen bestehen (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 92). Angesichts dieser verfassungsrechtlich ungewöhnlichen Konstellation hat der verfassungsändernde Gesetzgeber die Finanzbeziehungen in diesem eng abgegrenzten Bereich neu geordnet und dem Bund nicht nur die Finanzierungslast zugewiesen, sondern ihm auch die Befugnis wirksamer Finanzkontrolle eingeräumt (BVerfG aaO Rz 92).

Die (Rechts- und Fach-)Aufsicht über die Optionskommunen ist hingegen nicht Regelungsgegenstand von Art. 91e GG (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 98). Die Aufsicht über Gemeinden und Gemeindeverbände bleibt insoweit Sache der Länder. Art. 91e Abs. 2 GG räumt den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Chance darauf ein, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als sogenannte Optionskommune alleinverantwortlich wahrzunehmen (BVerfG aaO Rz 113). Hat der Gesetzgeber Kreisen und Gemeinden Aufgaben zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung zugewiesen, fällt deren Erledigung grundsätzlich in den Gewährleistungsbereich von Art. 28 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG (BVerfG aaO Rz 115).

Eine Regelung gemeindlicher Angelegenheiten in eigener Verantwortung, wie sie Art. 28 Abs. 2 GG garantiert, ist ohne eine gewisse Selbstständigkeit bei der Organisation der Aufgabenwahrnehmung nicht vorstellbar (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 117). Eine umfassende staatliche Steuerung der kommunalen Organisation widerspräche der vom Verfassungsgeber vorgefundenen und in Art. 28 Abs. 2 GG niedergelegten Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Zu der von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Gemeinden garantierten Eigenverantwortlichkeit gehört daher auch die Organisationshoheit. Sie gewährleistet den Gemeinden das grundsätzliche Recht, die Wahrnehmung der eigenen Aufgaben, Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten im Einzelnen festzulegen und damit auch über Gewichtung, Qualität und Inhalt der Entscheidungen zu befinden. Die Organisationshoheit von Gemeinden und Gemeindeverbänden verbietet Regelungen, die eine eigenständige organisatorische Gestaltungsfähigkeit der Kommunen ersticken würden. Zu ihr rechnet ferner die Möglichkeit, für die Wahrnehmung einzelner Verwaltungsaufgaben aus mehreren vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Organisationsformen auswählen zu können (BVerfG aaO Rz 117).

Die Organisationshoheit der Gemeinden und Gemeindeverbände erfasst sowohl den eigenen als auch den übertragenen Wirkungskreis (vgl BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 118). 

Der Gesetzgeber muss der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung tragen und ihnen bei der Ausgestaltung ihrer internen Organisation eine hinreichende (Mit-)Verantwortung für die organisatorische Bewältigung ihrer Aufgaben lassen (BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 119). Daraus folgt nicht nur, dass den Gemeinden insgesamt nennenswerte organisatorische Befugnisse verbleiben müssen, sondern auch, dass ihnen ein hinreichender organisatorischer Spielraum bei der Wahrnehmung der jeweiligen Aufgabenbereiche offengehalten wird. Unterschiede zwischen Selbstverwaltungsaufgaben und Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises mögen dabei eine Rolle spielen; in keinem Fall darf jedoch ausgeschlossen werden, dass die Gemeinden im Bereich ihrer inneren Organisation individuell auf die besonderen Anforderungen vor Ort durch eigene organisatorische Maßnahmen reagieren können (BVerfGE aaO Rz 119).

Die durch Art. 28 Abs. 2 GG verbürgte Organisationshoheit gestattet es den Kommunen, über ihre interne Organisation und Willensbildung grundsätzlich selbst zu entscheiden. Sie umfasst das Recht zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte und gewährleistet insoweit eine grundsätzliche Freiheit von staatlicher Reglementierung in Bezug auf die Art und Weise der Aufgabenerledigung (vgl BVerfGE Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11 Rz 128). Art. 28 Abs. 2 GG verbürgt auch die Befugnis der Gemeinden und Gemeindeverbände, über "Ob", "Wann" und "Wie" bei der Wahrnehmung der ihnen zugewiesenen Aufgaben im Rahmen der Gesetze grundsätzlich eigenverantwortlich zu entscheiden. 

bbb) Diese vom BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung zu Art 91e GG in anderem Zusammenhang dargestellten Grundsätze sind für die Auslegung von § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II gleichermaßen gültig und anzuwenden. 

Konkret bedeutet dies, dass es einem zugelassenen kommunalen Träger freigestellt ist, wie er intern den Vollzug des SGB II ausgestaltet. Eine Optionskommune muss frei von Finanzierungsüberlegungen den Vollzug des SGB II organisieren und gerade auch Personal ohne Vorgaben durch den Bund auswählen und einsetzen dürfen. Nur so ist gewährleistet, dass die Kommune ihre gesamten Aufgaben bestmöglich erledigen kann und vor allem auch intern die für die jeweilige Aufgabe am besten geeignete Person mit dem Vollzug dieser Aufgaben betrauen kann.

Würde eine Optionskommune durch ihre interne Organisation der Aufgabenerfüllung der Gefahr ausgesetzt, vom Bund die für den Vollzug des SGB II anfallenden Kosten nicht erstattet zu bekommen, würde dies einen nicht hinnehmbaren Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht bedeuten.

Wenn der Kläger einen kommunalen Bediensteten mit dem Vollzug des SGB II betraut hätte, hätte der Beklagte die Personalkosten für den kommunalen Bediensteten ohne Weiteres getragen. Diese Personalkosten für einen solchen kommunalen Bediensteten sind beim Kläger auch nach der Organisationsentscheidung, (gewissermaßen an dessen Stelle) einen bayerischen Staatsbeamten einzusetzen, entstanden und dem Vollzug des SGB II für den Bund ursächlich zuordenbar. Zur Beurteilung, ob bestimmte Mittelverwendungen oder Ausgaben des zugelassenen kommunalen Trägers "Aufwendungen" sind, ist darauf abzustellen, ob die Mittelverwendungen sich im Rahmen der dem SGB II zugrundeliegenden Ziele, Zwecke und Prinzipien bewegen (vgl Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, 05/21, § 6b SGB II Rz 6). 

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass der konkret mit dem Vollzug des SGB II betraute Staatsbeamte dem Kläger vom Freistaat Bayern kostenfrei zur Verfügung stand. Der Freistaat Bayern hatte der Kommune den Staatsbeamten nicht zum Vollzug von Bundesaufgaben kostenfrei überlassen, sondern zur Erfüllung von Landesaufgaben, ohne dass der Freistaat allerdings bei der Überlassung des Staatsbeamten Vorgaben für dessen Einsatz in der Kommune gemacht hatte, also unter Wahrung des Selbstverwaltungsrechts der Kommune. 

Für den kommunalen Bediensteten sind dem Kläger wegen der internen Aufgabenverteilung mittelbar "Aufwendungen" iSv § 6b Abs 2 Satz SGB II schon deshalb entstanden, weil der Vollzug des SGB II ohne Personal nicht möglich ist. Als mittelbare Aufwendungen sind diese nach § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II vom Bund zu erstatten, nachdem diese Aufwendungen "ursächlich" auf den Vollzug des SGB II zurückzuführen sind (vgl Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB, 05/21, § 46 SGB II Rz 44). 

Der Auslegung des Begriffs "Aufwendungen" in § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II dahingehend, dass auch mittelbare Aufwendungen davon umfasst sind, steht der in Art 91e Abs 2 Satz 2 GG verwendete Begriff der "Ausgaben" nicht entgegen. Auch wenn der Begriff der "Ausgaben" im Rahmen des Art 104a GG, der ebenfalls von "Ausgaben" spricht, möglicherweise als ein realer Zahlungsfluss zum Zwecke der konkreten Aufgabenerfüllung verstanden werden muss, ist der in Art 91e GG enthaltene Begriff der "Ausgaben" unabhängig von Art 104a GG in einem weiten Sinne von "Aufwendungen", die auch mittelbar entstehen können, zu verstehen. 

Art 91e GG ist nach der Rechtsprechung eine spezielle Vorschrift, die deshalb auch für sich genommen verstanden werden muss. Art 91e GG ist zum 27.07.2010 in Kraft getreten, wobei der Gesetzgeber beabsichtigte, dass aufgrund von Art 91e Abs 2 Satz 2 GG einem zugelassenen kommunalen Träger sämtliche entstehenden Aufwendungen ersetzt werden, wie es früher bereits in den bis dahin geltenden Fassungen des § 6b SGB II, die allesamt von "Aufwendungen" sprachen, vorgesehen war. Art 91e Abs 2 Satz 2 SGB II sollte durch Verwendung des Begriffes "Ausgaben" nicht einschränkend wirken im Hinblick auf "Aufwendungen", die vor Einführung von Art 91e GG nach § 6b Abs 2 SGB II insbesondere in der vom 01.01.2007 bis 31.12.2010 geltenden Fassung des § 6b Abs 2 SGB II vom 22.12.2006 zu erstatten gewesen wären.

cc) Im Ergebnis kann der Kläger aufgrund von § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II verlangen, was ihn der Einsatz eines vergleichbaren kommunalen Bediensteten anstelle des Staatsbeamten gekostet hätte, also die bei ihm real entstandenen mittelbaren "Aufwendungen" für den Vollzug des SGB II.

Der Kläger hat für die in Streit stehenden Jahre nachvollziehbar Kosten von kommunalen Bediensteten belegt, die anstelle der Staatsbeamten jeweils hätten eingesetzt werden können bzw die beim Vollzug staatlicher Aufgaben tatsächlich eingesetzt wurden, weil der Kläger in Ausübung seines kommunalen Selbstverwaltungsrechts den bzw die Staatsbeamten beim Vollzug des SGB II anderweitig eingesetzt hat. 

Im Jahr 2016 hätten nach den vorgelegten Unterlagen die Kosten für den günstigsten kommunalen Bediensteten (84,8% von 57.595,18 Euro=) 48.864,07 Euro betragen, im Jahr 2017 (84,8% von 52.792,41 Euro=) 44.767,96 und im Jahr 2018 für einen ganzjährig Beschäftigten (84,8% von 62.979,57 Euro=) 53.406,67 Euro, für den neun Monate Beschäftigten (84,8% von 65.322,78 Euro=55.393,72 Euro, davon wiederum drei Viertel von 12 Monaten=) 41.545,24 Euro.

Die eingesetzten Staatsbeamten waren nach diesen Berechnungen in den Jahren 2016 und 2018 durchwegs kostengünstiger als vergleichbare kommunale Bedienstete, so dass der Kläger in diesen Jahren auch summenmäßig voll obsiegt.

Soweit der Kläger für das Jahr 2017 für den eingesetzten Staatsbeamten 46.177,28 Euro verlangt, sind diesem nur die Kosten für einen vergleichbaren kommunalen Bediensteten iHv 44.767,96 Euro zuzusprechen, mithin 1.387,48 Euro weniger als geltend gemacht, und die Klage ist im Ergebnis insoweit iHv 1.387,48 Euro abzuweisen.

3. Dem Kläger steht ab Rechtshängigkeit der Hauptforderung (§ 94 SGG) auch ein Anspruch auf Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB zu (vgl LSG BB Urteil vom 18.08.2020, L 20 AS 2625/17 KL Rz 90ff, vgl auch BSG Urteil vom 12. November 2015, B 14 AS 50/14 R Rz 33). 

Nach § 291 BGB hat der Schuldner eine Geldschuld von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Zinspflicht beginnt dabei wegen § 187 Abs. 1 BGB mit dem Folgetag der Rechtshängigkeit (vgl LSG BB Urteil vom 18.08.2020, L 20 AS 2625/17 KL Rz 90), hier bezüglich der zunächst für das Jahr 2017 mit Klageerhebung am 04.11.2019 geltend gemachten Forderung iHv 46.155,44 Euro, bei der der Kläger mit einem Teilbetrag iHv 44.767,96 Euro erfolgreich war, also ab 05.11.2019, und bezüglich der für die Jahre 2016 und 2018 mit Fax vom 08.10.2020 im Wege der Klageerweiterung geltend gemachten Forderung iHv insgesamt 131.899,52 Euro ab 09.10.2020.

Der Zinssatz beträgt danach für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dass der Zinssatz mit einer bestimmten Anzahl von Prozentpunkten "über" dem Basiszinssatz definiert ist, bedeutet nicht, dass Anspruch auf eine Mindestverzinsung in Höhe der Festzahl besteht (vgl LSG BB Urteil vom 18.08.2020, L 20 AS 2625/17 KL Rz 90; vgl auch BSG Urteil vom 25. Oktober 2018, B 7 AY 2/18 R, Rz 22f).

Der Zinssatz ist nicht etwa auf die Höhe des Verzugszinssatzes nach § 6b Abs. 5 Satz 3 SGB II, der für das Jahr 3 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beträgt, zu begrenzen (LSG BB Urteil vom 18.08.2020, L 20 AS 2625/17 KL Rz 91). 

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Nachdem der Kläger nur mit einem geringen Teil der geltend gemachten Forderung unterlegen ist, erscheint es nicht unbillig, der Beklagten die gesamten Kosten aufzuerlegen.

5. Die Revision wird gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

6. Der Streitwert war gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz - GKG, da die Klage für die einzelnen Jahre und Personen bezifferte Geldleistungen betrifft, in Höhe der insgesamt in Streit stehenden Geldleistung festzusetzen. 
 

Rechtskraft
Aus
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