L 1 SV 21/21 B

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 SV 11/21
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 SV 21/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Maßnahmen der Zugangsbeschränkung zu einem Gerichtsgebäude der Sozialgerichtsbarkeit aus Anlass der Corona-Pandemie in Gestalt einer Anordnung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes haben im Fall der Verfügung durch Gerichtspräsidenten ihre Rechtsgrundlage in deren Hausrecht. Für Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit derartiger Zugangsbeschränkungen ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (Abgrenzung zu BSG, Beschluss vom 01.04.2009, B 14 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6, juris und BSG, Beschluss vom 21.07.2014, B 14 SF 1/14 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 12, juris).

 

I. Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 25. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Beschwerde zum Bundessozialgericht wird nicht zugelassen.

G r ü n d e :

I.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Bf.) wendet sich gegen eine Verweisung des Rechtsstreits an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach. Zugrunde liegt ein Streit über die Rechtmäßigkeit von Zugangsbeschränkungen zum Gebäude des Sozialgerichts Nürnberg anlässlich der Corona-Pandemie und in Form eines erlassenen Maskenschutzkonzepts.

Mit Schreiben vom 06.05.2021 hat der Beschwerdeführer zum Sozialgericht Nürnberg Klage erhoben. Am Donnerstag den 29.05.2021 (gemeint wohl: 29.04.2021) seien im Sozialgericht Nürnberg seine Eingaben nicht angenommen worden. Er habe weder Zutritt erlangt noch seien die Eingaben im Eingangsbereich des Gerichts mit einem Eingangsstempel versehen worden. Ihm sei der Zutritt verweigert worden, weil er keinen Mund-Nasen-Schutz getragen habe. Er habe aber aus gesundheitlichen Gründen eine Maskenbefreiung.

Mit Schreiben vom 10.05.2021 hat die Präsidentin des Sozialgerichts Nürnberg den Bf. darauf hingewiesen, dass er durch sein wiederholtes Verhalten in der Vergangenheit gegen die Hausordnung verstoßen habe. Er habe das Gerichtsgebäude wiederholt ohne Tragen der vorgeschriebenen FFP2-Maske betreten, um Schriftsätze an der Pforte abzugeben, und sich unangemessen verhalten. Dadurch seien Mitarbeiter gesundheitlich gefährdet und belästigt worden und der Dienstbetrieb sei dadurch erheblich gestört worden. Es entbehre jeglicher Grundlage, Schriftstücke an der Pforte persönlich abzugeben mit dem Wunsch, den Eingangsstempel anzubringen. Am 29.04.2021 habe die Polizei eingesetzt werden müssen, weil der Bf. den Aufforderungen des Sicherheitsdienstes, das Gebäude zu verlassen, nicht gefolgt sei und keinerlei Einsicht gezeigt habe. In dem Schreiben wird dem Bf. im Falle eines weiteren Verstoßes gegen die Hausordnung zum Schutz der Mitarbeiter*innen und zur Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebs in Ausübung des Hausrechts der Präsidentin ein Hausverbot für das Gebäude des Sozialgerichts Nürnberg angekündigt. Der Bf. könne Schriftsätze beim Briefkasten des Sozialgerichts einwerfen, ihm werde eine Eingangsbestätigung zugesandt.

Das Sozialgericht hat die Beteiligten zu einer beabsichtigten Verweisung des Rechtsstreits an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach angehört. Die Betretungsuntersagung sei aus dem Hausrecht der Behörde abzuleiten. Streitigkeiten daraus seien der Verwaltungsgerichtsbarkeit zugeordnet. Mit Schreiben vom 18.05.2021 hat sich der Bf. gegen eine Verweisung ausgesprochen. Es handele sich um eine Streitigkeit, für die die Sozialgerichtsbarkeit zuständig sei. Er habe am 29.04.2021 und 06.05.2021 Gerichtsunterlagen an der Rechtsantragstelle abgeben wollen. Dies sei ihm versagt worden, weil er keine Maske getragen habe. Im Übrigen hat der Bf. inhaltlich zur Rechtswidrigkeit der Maskenpflicht und eines Hausverbotes vorgetragen. Er habe auch eine Maskenbefreiung, die anerkannt werden müsse. Der Beklagte und Beschwerdegegner (Bg.) hat auf das Schreiben an den Bf. vom 10.05.2021 Bezug genommen und die Dienstanweisung vom 31.03.2021 zur Umsetzung des Maskenschutzkonzepts vorgelegt. Danach darf das Sicherheitspersonal unter anderem Verfahrensbeteiligten, sonstigen Personen und Besuchern neben der Sicherheitskontrolle den Zutritt zum Gerichtsgebäude nur unter der Voraussetzung gewähren, dass diese einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz ab dem Betreten des Gerichtsgebäudes auf allen öffentlichen Verkehrsflächen tragen.

Mit Beschluss vom 25.05.2021 hat das Sozialgericht den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für unzulässig erklärt und die Klage an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach verwiesen. Es handele sich bei einem Streit in Bezug auf den Umfang des Hausrechts um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, für die die Verwaltungsgerichtsbarkeit, konkret das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach, zuständig sei.

Gegen den Beschluss hat der Bf. mit Schreiben vom 05.06.2021 Beschwerde eingelegt. Es gehe vorliegend um Gesundheitsfragen und daher um eine soziale bzw. sozialgerichtliche Angelegenheit. Im Übrigen hat er umfassend inhaltlich zur Rechtswidrigkeit der Maskenpflicht und eines Hausverbots vorgetragen. Mit Schreiben vom 01.07.2021 hat er seine Gründe im Wesentlichen wiederholt und Nachweise über seine gesundheitlichen Einschränkungen vorgelegt. Der Bg. hat unter Bezugnahme auf den Beschluss des Sozialgerichts die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, § 202 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), §§ 172, 173 SGG. Im Verfahren vor den Sozialgerichten tritt an die Stelle der in § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG genannten sofortigen Beschwerde die Beschwerde nach § 172 SGG (BSG, Beschluss vom 12.05.1998, B 11 SF 1/97 R, SozR 3-1500 § 51 Nr. 24, juris).

Die Beschwerde ist unbegründet, weil der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nach § 51 SGG nicht eröffnet ist. Gemäß § 51 Abs. 1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentliche-rechtliche Streitigkeiten in den in Nr. 1 bis 10 aufgeführten Angelegenheiten. Der Verwaltungsrechtsweg ist dagegen in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind, § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Vor die ordentlichen Gerichte gehören gemäß § 13 GVG die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zivilsachen) sowie die Strafsachen, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder auf Grund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind.

Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn es wie vorliegend an einer ausdrücklichen Sonderzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (vgl. nur GmSOGB, Beschluss vom 04.06.1974, GmS-OGB 2/73, BSGE 37, 292, juris; GmSOGB, Beschluss vom 29.10.1987, GmS-OGB 1/86, BGHZ 102, 280, juris; konkret zu einem von einem Träger der Grundsicherung verfügten Hausverbot siehe BSG, Beschluss vom 01.04.2009, B 14 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6, juris und BSG, Beschluss vom 21.07.2014, B 14 SF 1/14 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 12, juris). Dieser Grundsatz bestimmt die Auslegung sowohl von § 13 GVG als auch von § 40 VwGO und § 51 Abs. 1 SGG. Die Abgrenzung muss von der Sache her getroffen werden. Ausgangspunkt für die Prüfung ist deshalb die Frage, welcher Art das Klagebegehren nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt ist. Das bewirkt, dass regelmäßig die Gerichte anzurufen sind und zu entscheiden haben, die durch besondere Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den infrage stehenden Anspruch berufen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 10.01.1984, VI ZR 297/81, BGHZ 89, 250, juris; BSG, Beschluss vom 06.09.2007, B 3 SF 1/07 R, SozR 4-1720 § 17a Nr. 3, juris).

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist für Streitigkeiten über ein Hausverbot nur dann der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit gegeben, wenn ein Rechtsverhältnis zwischen der Behörde, die das Hausverbot ausspricht, und dem Adressaten des Hausverbots besteht und für Streitigkeiten aus diesem Rechtsverhältnis der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit eröffnet ist. Letzteres ist gegeben, wenn ein enger Sachzusammenhang zu den von der Behörde wahrzunehmenden Sachaufgaben besteht (BSG, Beschluss vom 21.07.2014, B 14 SF 1/14 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 12, juris unter Fortführung von BSG, Beschluss vom 01.04.2009, B 14 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6, juris; dem folgend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 01.04.2020, L 2 AS 664/19 B, juris, m. Anm. Hansen, jurisPR-SozR 19/2020 Anm. 6). Ein konkretes Rechtsverhältnis kann sich dabei aus dem Aufgabenbereich eines Sozialleistungsträgers ergeben, der gegenüber Antragstellern eröffnet ist. Namentlich hat das Bundessozialgericht in dem Aufgabenbereich der Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende ein gegenüber den Antragstellern bestehendes Rechtsverhältnis angenommen. Streitigkeiten hieraus hat es auf Grundlage von § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG wegen eines besonders engen Sachzusammenhangs der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen.

Vorliegend sind jedoch Zugangsbeschränkungen in Hausübung des Hausrechts der Gerichtsleitung eines Sozialgerichts strittig. Zwischen einem Sozialgericht und Verfahrensbeteiligten, Rechtssuchenden oder Besuchern besteht kein Rechtsverhältnis, welches vergleichbar zu dem Verhältnis zu einem Sozialleistungsträger einem konkreten sozialgerichtlichen Zuständigkeitsbereich zugeordnet werden könnte. Betroffen ist vielmehr das allgemein zwischen Bürgern und der Gerichtsbarkeit als Träger der Staatsgewalt bestehende Verhältnis. Der vorliegende Streitgegenstand wird auch bei weitem Verständnis nicht von den abdrängenden Sonderzuweisungen in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 10 SGG erfasst, es besteht kein vergleichbar enger Sachzusammenhang (vgl. auch Keller in: Meyer-Lade-wig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 51 Rn. 39 "Hausrecht, -verbot" m.w.N.). Es geht um Maßnahmen, die die Gerichtspräsidentin auf Grundlage ihres Hausrechts erlassen hat. Dieses ist Rechtsgrundlage für alle Maßnahmen im Gerichtsgebäude, die außerhalb des Sitzungsbereichs erfolgen (BVerfG, Beschluss vom 24.03.2012, 2 BvR 2405/11, juris Rn. 24 m.w.N.). Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bezogen auf Streitigkeiten über Hausverbote eines Grundsicherungsträgers ist somit nicht übertragbar.

Mangels Sonderzuweisung zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist daher maßgeblich, dass Streitigkeiten über Maßnahmen in Ausübung des Hausrechts (z.B. in Form von Zugangsbeschränkungen oder eines Hausverbots), welche der Abwendung der Störung des Dienstbetriebs einer Behörde oder einer sonstigen öffentlich-rechtlich organisierten Einrichtung dienen, nach allg. Meinung allein dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind und hierfür der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist, § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO (BSG, Beschluss vom 01.04.2009, B 14 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6, juris Rn. 11 m.w.N.; dem folgend BSG, Beschluss vom 21.07.2014, B 14 SF 1/14 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 12, juris; zu einer vom Präsidenten eines Landgerichts erlassenen Hausverfügung siehe auch BVerwG, Beschluss vom 17.05.2011, 7 B 17/11, juris; allg. Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, § 51 SGG (Stand: 28.07.2021), Rn. 307).

Die Maßnahme kann dagegen nur im Ausnahmefall privat-rechtlicher Natur sein, wenn die im Besitz oder Eigentum eines öffentlich-rechtlichen Verwaltungsträgers stehenden Räumlichkeiten - anders als vorliegend - allein zu fiskalischen Zwecken genutzt werden (BSG, Beschluss vom 01.04.2009, B 14 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6, juris Rn. 11 m.w.N.).

Für Zugangsbeschränkungen, die aufgrund der Corona-Pandemie bestehen, gelten insoweit keine Besonderheiten im Vergleich zu sonstigen Zugangsbeschränkungen, wie sie z.B. in Form von Durchsuchungen oder einer Ausweispflicht bestehen (vgl. zur Anordnung einer Mund-Nasen-Bedeckung im Gerichtsgebäude VG München, Beschluss vom 22.03.2021, M 30 E 21.1308, juris; zur allg. Rechtmäßigkeit von Eingangskontrollen vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.03.2010, 3 N 33/10, juris).

Das Sozialgericht hat den Rechtsstreit daher zu Recht gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das örtlich zuständige Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach (§§ 45, 52 Nr. 1 VwGO, Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO) verwiesen.

Das Beschwerdegericht hat über die Kosten des Beschwerdeverfahrens eine Entscheidung zu treffen. § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach im Falle der Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Gericht die Kosten im Verfahren vor dem angegangenen Gericht als Teil der Kosten behandelt werden, die bei dem Gericht erwachsen, an das der Rechts-streit verwiesen wird, findet unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens auf dieses keine Anwendung (BSG, Beschluss vom 01.04.2009, B 14 SF 1/08 R, SozR 4-1500 § 51 Nr. 6, juris). Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG, da weder der Bf. noch der Bg. in den Anwendungsbereich des § 183 SGG fallen. Gegenstand der Klage sind nicht sozialrechtliche Ansprüche, sondern die Rechtmäßigkeit öffentlich-rechtlicher Zugangsbeschränkungen zu einem Gerichtsgebäude. Da der Bf. im Beschwerdeverfahren unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Die weitere Beschwerde zum Bundessozialgericht wird vom Senat nicht zugelassen, da weder eine Rechtsfrage mit grundsätzlicher Bedeutung vorliegt noch der Senat von der Entscheidung eines obersten Gerichtshofs des Bundes oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht, § 17a Abs. 4 Satz 4, 5 GVG.

Rechtskraft
Aus
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