S 16 AS 352/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16.
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AS 352/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 77/16
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

T a t b e s t a n d :

Der Kläger steht im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) beim Beklagten.

Der Kläger begehrt im Rahmen einer Feststellungsklage die Feststellung, ob bereits tatsächlich ein sanktionsfähiges Rechtsverhältnis besteht oder ob es sich im vorliegenden Fall nicht wegen des vorliegenden Einigungsmangels um das Nichtbestehen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages handelt.

Am 20.02.2013 wurde dem Kläger eine Eingliederungsvereinbarung vorgelegt. Der Kläger unterschrieb diese, ergänzte seine Unterschrift jedoch mit dem Zusatz "unter Vorbehalt (1) der rechtlichen Prüfung, (2) dass das Grundgesetz in keiner Weise außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt wird".

Am 03.04.2013 erhob der Kläger Feststellungsklage. Ihm war eine Eingliederungsvereinbarung vom 20.02.2013 zur Unterschrift vorgelegt worden. Er unterzeichnete diese, wobei er unter seiner Unterschrift wie folgt ergänzte: "Unterschrift unter Vorbehalt, (1) der rechtlichen Prüfung, (2) dass das Grundgesetz in keiner Weise außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt wird." Der Kläger beantragt insbesondere "festzustellen, ob bereits tatsächlich ein sanktionsfähiges Rechtsverhältnis besteht oder ob es sich in diesem Fall (nicht von vorneherein) wegen des vorliegenden Einigungsmangels gemäß § 58 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) Abs. 1 in Verbindung mit und aufgrund § 154 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), um das Nichtbestehen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages handelt.

Am 18.04.2013 erließ der Beklagte einen Eingliederungsbescheid gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II als Verwaltungsakt. Eine Eingliederungsvereinbarung sei wegen der Unterschrift nur unter Vorbehalt bisher nicht zu Stande gekommen. Im Eingliederungsbescheid vom 18.04.2013 wurde u.a. Folgendes geregelt:

"[...]
1.  Ihr Träger für Grundsicherung das Jobcenter Oberallgäu unterstützt Sie mit folgenden Leistungen:
- Wir unterbreiten Ihnen Vermittlungsvorschläge, soweit geeignete Stellenangebote vorliegen.

- Wir unterstützen Ihre Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von angemessenen nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 SGB III, sofern Sie diese zuvor beantragt haben.

- Wir unterstützen Ihre Bewerbungsaktivitäten nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 SGB III durch Übernahme von angemessenen und nachgewiesenen Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen, sofern die Kostenübernahme vor Fahrtantritt durch Sie beantragt wurde.

2. Pflichten von Herrn B.

  - Sie reichen dem Jobcenter Oberallgäu bis spätestens 03.05.2013 eine allumfängliche Musterbewerbung per E-Mail ein.
  - Sie unternehmen während der Gültigkeitsdauer der Eingliederungsvereinbarung monatlich - beginnend mit dem Datum der Unterzeichnung - jeweils mindestens 4 Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und legen bis spätestens zum 5. des Folgemonats (beginnend ab dem 05.06.2013) folgende Nachweise vor: Kopien der Anschreiben, Eigenbemühungsliste, Eingangsbestätigung der Bewerbung, Absagen.
  - Bei der Stellensuche sind auch befristete Stellenangebote und Angebote von Zeitarbeitsfirmen einzubeziehen.
  - Sie bewerben sich zeitnah, d.h. spätestens am dritten Tage nach Erhalt des Stellenangebotes, auf Vermittlungsvorschläge, die Sie von der Agentur für Arbeit/dem Träger der Grundsicherung erhalten haben. Als Nachweis über Ihre unternommenen Bemühungen füllen Sie die dem Vermittlungsvorschlag beigefügte Antwortmöglichkeit aus und legen diese vor. Sollte es sich um eine aufwendige Bewerbung handeln, beträgt die Bewerbungsfrist max. 7 Tage.

   (Hinweis: Auf die Ihnen zugesandten/ausgehändigten Vermittlungsvorschläge haben Sie sich zusätzlich zu bewerben, diese zählen nicht zu den von Ihnen monatlich selbst nachzuweisenden Eigenbemühungen.)

  - Herr B. verpflichtet sich jede Änderung in seinen persönlichen und/oder wirtschaftlichen Verhältnissen (insbesondere Arbeitsaufnahme, Änderungen im Einkommen, Krankheit, Umzug, Änderung der Bedarfsgemeinschaft) unverzüglich dem Jobcenter Oberallgäu mitzuteilen.

  Wie Ihnen bereits mehrfach, zuletzt am 20.02.13, durch das Jobcenter Oberallgäu mitgeteilt wurde, können Sie eine selbständige Tätigkeit als Nebenerwerb weiter ausüben. Allerdings darf diese selbständige Tätigkeit nicht zu einer zeitlichen Einschränkung für eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt führen. Auf bestehende Verträge oder finanzielle Verpflichtungen kann der Träger der Grundsicherung keine Rücksicht mehr nehmen.
[...]"

Mit Schreiben vom 23.04.2013 legte der Kläger hiergegen Widerspruch ein. Er verwies auf die Eingliederungsvereinbarung vom 20.02.2013, die, wenn auch unter Vorbehalt, zu Stande gekommen sei. Bei genauer Prüfung stelle er gravierende einseitige Nachteile für sich in Form einer gegebenenfalls erfolgenden Totalsanktion fest. Das Jobcenter seinerseits habe keinerlei Sanktionen zu befürchten. Unter normalen Gesichtspunkten sei der Vertrag höchst sittenwidrig. Während der Gültigkeit dieser unter Vorbehalt unterzeichneten Eingliederungsvereinbarung sei ein Vorgehen nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II nicht möglich. Der Antragsteller verweist auf die Entscheidung des BSG, Az: B 14 AS 195/11 R vom 14.02.2013. Demnach dürfe ein Verwaltungsakt erst erlassen werden, wenn eine Eingliederungsvereinbarung grundlos abgelehnt werde. Eine grundlose Ablehnung liege durch ihn gerade nicht vor. Die vorhandene Eingliederungsvereinbarung sei nicht, wie erforderlich, zunächst gekündigt worden. Eine solche Kündigung sei nach seiner Auffassung aber wegen des derzeit anhängigen Gerichtsverfahrens gar nicht möglich. Daneben liege ein Nichtigkeitsgrund nach § 44 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vor.

Bei Erlass des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2013 wurde die Passage in der Eingliederungsvereinbarung über die Eigenbemühungen wie folgt geändert:

"[...]
- Herr B. reicht dem Jobcenter Oberallgäu bis spätestens 17.05.2013 eine allumfängliche Musterbewerbung per E-Mail ein.
    
- Sie unternehmen während der Gültigkeitsdauer des Eingliederungsbescheids monatlich - beginnend ab Mai 2013 - jeweils mindestens 4 Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und legen bis spätestens zum 5. des Folgemonats (beginnend ab dem 05.06.2013) folgende Nachweise vor: Kopien der Anschreiben, Eigenbemühungsliste, Eingangsbestätigung der Bewerbung, Absagen. [...]"

Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Der Beklagte erließ am 18.04.2013 eine Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt für die Zeit vom 25.04.2013 bis 24.10.2013. Nach Erlass des den Widerspruch zurückweisenden Widerspruchsbescheides vom 30.04.2015 erhob der Kläger Klage unter dem Az. S 16 AS 536/13. Dieses Verfahren wurde mit Beschluss vom 30.05.2015 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit dem Verfahren S 16 AS 352/13 verbunden. Im Hinblick auf den Eingliederungsverwaltungsakt vom 18.04.2013 hatte der Kläger unter dem Az. S 16 AS 428/13 ER auch einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, der mit Beschluss vom 25.04.2013 abgelehnt wurde. Auch der in der gleichen Angelegenheit in offener Beschwerdefrist erneut gestellte Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unter dem Az. S 16 AS 542/13 wurde abgelehnt.

Die verbundenen Verfahren wurden zunächst mit Ladung vom 06.08.2015 auf den 27.08.2015 geladen. Am 26.08.2015 stellte der Kläger einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden der 16. Kammer, welcher mit Beschluss des Vorsitzenden der 1. Kammer vom 24.09.2015 für unbegründet erklärt wurde. Daraufhin erfolgte die erneute Ladung durch den Vorsitzenden der 16. Kammer auf den 21.10.2015. Mit Schreiben vom 14.10.2015 informierte der Kläger den Vorsitzenden der 1. Kammer darüber, dass er gegen dessen Beschluss sofortige Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht eingereicht habe. Gleichzeitig stellte er den Antrag auf Absetzung der für den 21.10.2015 bestimmten Termine.

Der Kläger beantragt festzustellen,
ob bereits ein sanktionsfähiges Rechtsverhältnis besteht, oder ob es sich von vornherein wegen Vorliegen eines Einigungsmangels um das Nichtbestehen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages handelt.

Weiter beantragt der Kläger
die Aufhebung des Bescheides vom 18.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2013.

Der Beklagte beantragt,
     die Klage abzuweisen

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Akten des Beklagten und des Gerichts verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Vorab ist festzustellen, dass der Vorsitzende des 16. Kammer an einer Mitwirkung bei der Entscheidung nicht durch die vom Kläger beim Bayerischen Landessozialgericht erhobene sofortige Beschwerde gehindert ist. Die anders lautende Auffassung des Klägers übersieht, dass sein Ablehnungsgesuch zu diesem Zeitpunkt bereits abgelehnt worden war, so dass das Verbot, andere als unaufschiebbare Amtshandlungen vorzunehmen (§ 201 Sozialgerichtsgesetz - SGG - in Verbindung mit § 47 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO -) der Entscheidung durch den zuvor abgelehnten Richter nicht mehr entgegensteht (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18.12.2007 Az. 1 BvR 1273/07 Rn. 26, zitiert nach Juris). Etwas anderes kann auch nicht deshalb gelten, weil der Kläger ein nicht zulässiges Rechtsmittel ergreift.

Soweit der Kläger einen Feststellungsantrag gestellt hat, ist diese schon unzulässig. Er ist nicht auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtet, sondern offenkundig darauf, eine gutachtliche Stellungnahme des Gerichts einzuholen "ob bereits tatsächlich ein sanktionsfähiges Rechtsverhältnis besteht oder...". Ein derartiger Antrag ist im Feststellungverfahren unzulässig.

Die Klage ist auch unbegründet, soweit sie sich gegen den Bescheid vom 18.04.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.04.2013 richtet.

Die vom Kläger geltend gemachte Sperrwirkung der Feststellungsklage bezüglich der unter Vorbehalt unterzeichneten Eingliederungsvereinbarung existiert nicht. Der Kläger muss sich schon entscheiden, ob er eine Eingliederungsvereinbarung unterschreibt oder diese mit einem Zusatz versieht, die eine Einigung verhindert. Die vom Antragsteller verwendete Formulierung ist zur Überzeugung des Gerichts ursächlich für einen offenen Einigungsmangel im Sinne des § 154 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Das vom Kläger gewählte Vorgehen, einerseits ein Verfahren zu betreiben, das die Frage des Bestehens eines Vertrages zum Gegenstand hat aber andererseits dem Vertrag sperrende Wirkung zusprechen zu wollen, ist widersprüchlich.

Nachdem der Kläger die Eingliederungsvereinbarung vom 20.02.2013 nur unter Vorbehalt unterzeichnet hatte, war eine Einigung nicht zu Stande gekommen (s.o.). Der Beklagte war deshalb nicht mehr gehalten, vorrangig die Handlungsform einer einvernehmlichen Eingliederungsvereinbarung zu wählen. Vielmehr stand ihm auch nach der Rechtsprechung des 14. Senats des Bundessozialgerichts der Weg über den Verwaltungsakt offen. Der Beklagte durfte hier zur Überzeugung des Gerichts die Verhandlungen mit dem Kläger über eine Anschlusseingliederungsvereinbarung als gescheitert betrachten.

Die Eingliederungsvereinbarung begegnet auch inhaltlich keinen Bedenken.

Die vom Kläger gerügte Rechtsfolgenbelehrung ist korrekt. Sie nimmt insbesondere auf die beim Kläger konkret gegebene Situation (Vorsanktion 60 %) Bezug. Auf die Rechtmäßigkeit der Rechtsfolgenbelehrung könnte sich der Antragsteller in diesem Verfahren aber ohnehin nicht berufen. Dies würde erst bei der Prüfung einer Sanktionsfeststellung relevant.

Soweit der Kläger sinngemäß vorträgt, bei der ihm beim nächsten Verstoß drohenden Sanktion in Form des vollständigen Wegfalls von Leistungen, selbst bei einem relativ geringen Verstoß, liege eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor, kann auch dies nicht erkannt werden. Die Tatsache, dass der nächste Verstoß zu einem vollständigen Wegfall des Leistungsanspruches für die Dauer von drei Monaten führen würde, ist nicht Folge des nächsten Verstoßes alleine. Der vollständige Wegfall von Leistungen gemäß § 31a Abs. 1 Satz 4 SGB II setzt schließlich die Sanktionen nach § 31a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB II im engen zeitlichen Zusammenhang (vgl. § 31a Abs. 1 Satz 4 SGB II) voraus. Schließlich sind Pflichtverletzungen, für die der Kläger tatsächlich einen wichtigen Grund darlegen und nachweisen kann, nicht geeignet, eine Sanktion auszulösen (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II).

Soweit der Kläger befürchtet, in diesem Zusammenhang seine lebensnotwendige Ernährung nicht mehr sicherstellen zu können, wird auf § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II hingewiesen. Nach dieser Vorschrift kann ein Leistungsbezieher bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 % des maßgebenden Regelbedarfs in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen beantragen. In diesem Zusammenhang kommt insbesondere die Bewilligung von Lebensmittelgutscheinen in Betracht.

Ist schon die Rechtswidrigkeit des Eingliederungsbescheides nicht erkennbar, so sind erst Recht keine Fehler ersichtlich, die gemäß § 40 SGB X die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes zur Folge haben könnten.

Soweit der Kläger im Rahmen seines Befangenheitsantrags geltend gemacht hat, der Vorsitzende übersehe bzw. ignoriere den von ihm geführten Nachweis der Tatsache, dass er die unter Vorbehalt unterzeichnete Eingliederungsvereinbarung vom 20.02.2013 zeitnah zurückgesandt habe, weist die Kammer daraufhin, dies durchaus gesehen zu haben. Es ist allerdings nicht entscheidungsrelevant, wann genau der Versuch einer einvernehmlichen Eingliederungsvereinbarung tatsächlich als gescheitert zu betrachten ist. Nach dem Vortrag des Klägers war dies nur schon früher der Fall. Es ist für das vorliegende Verfahren nicht von Belang, ob der Kläger das unter Vorbehalt unterzeichnete Formular zeitnah oder erst später eingereicht hat. Vor diesem Hintergrund bleibt von diesem Vorgang nicht mehr als das der Beklagte sich im Rahmen der Korrespondenz jedenfalls ungenau bis unzutreffend eingelassen hat. Für das streitgegenständliche Begehren haben sich daraus keine Konsequenzen ergeben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

 

Rechtskraft
Aus
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