L 19 R 272/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 16 R 559/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 272/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

 

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.05.2020 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d :

Streitig ist die Höhe der Witwenrente.

Die am 11.02.1956 geborene Klägerin bezieht von der Beklagten eine Witwenrente aus der Versicherung ihres am 19.09.2017 verstorbenen Ehemanns A.. Die Beklagte hatte der Klägerin mit Bescheid vom 19.10.2017 ab dem 01.10.2017 eine große Witwenrente gewährt. Danach war ab dem 01.01.2018 (nach Ablauf des Sterbevierteljahres) monatlich an die Klägerin ein Betrag von 720,49 € auszuzahlen. Dieser Betrag ergab sich nach Minderung der in Höhe von 879,32 € festgestellten Witwenrente um anzurechnendes Einkommen von 73,85 € und nach Abzug der gesetzlichen Beitragsanteile in Höhe von 84,98 €.

Zur Ermittlung des anzurechnenden Einkommens verwies die Beklagte auf das Erwerbsersatzeinkommen der Klägerin, die von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Mitteldeutschland der Klägerin in Höhe von monatlich 1.153,80 € gewährte Erwerbsminderungsrente. Hiervon seien 13 % abzuziehen, so dass sich damit eine zu berücksichtigende Erwerbsminderungsrente von 1.003,81 € ergebe. Auf die Witwenrente sei das Einkommen anzurechnen, das das 26,4 -fache des aktuellen Rentenwertes von 31,03 € (Freibetrag) - d.h. den Betrag 819,19 € (31,03 € x 26,4) - übersteige. Da das Einkommen diesen Freibetrag um 184,62 € übersteige und hiervon 40 % anzurechnen seien, ergäbe sich ein anzurechnendes Einkommen von 73,85 €. 

Mit Rentenanpassung zum 01.07.2018 ergab sich für die Witwenrente nach Einkommensanrechnung und Abzug der gesetzlichen Beitragsanteile ein auszahlbarer Betrag von 743,31 € und für die Zeit ab 01.01.2019 ein Betrag von 742,07 €.

Mit Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2019 teilte die Beklagte mit, dass sich der Rentenbetrag der Witwenrente ab 01.07.2019 nach Einkommensanrechnung von 93,96 € nunmehr auf 844,00 € belaufe und hiervon die gesetzlichen Beitragsanteile in Höhe von 93,26 € abzuziehen seien, so dass ein Betrag von 750,74 € auszuzahlen sei.

Hiergegen wandte sich die Klägerin. Gegenüber der DRV Mitteldeutschland legte sie am 07.08.2019 Widerspruch gegen die Rentenanpassung ihrer Erwerbsminderungsrente zum 01.07.2019 und auch gegen die Rentenanpassung der Witwenrente zum 01.07.2019 ein. Der Abschlag von ihrer Erwerbsminderungsrente in Höhe von 10,8 % sei rückwirkend ab Rentenbeginn 01.04.2006 zu beheben. Der Abzug von 93,36 € von ihrer Witwenrente sei sittenwidrig und unmenschlich. Ihr verstorbener Ehemann habe 48 Jahre lang hart gearbeitet, damit sie eine sichere soziale, finanzielle Zukunft habe. Es gehe ihr um die Anrechnung von 40 % ihrer über den Freibetrag liegenden Erwerbsminderungsrente auf die Witwenrente (Schreiben 18.09.2019). 

Den an die Beklagte weitergeleiteten Widerspruch gegen die Mitteilung über die Rentenanpassung der Witwenrente zum 01.07.2020 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.10.2019 zurück. Auf Hinterbliebenenrenten sei Einkommen anzurechnen, das mit einer Rente zusammentreffe. Einkommen seien u.a. Leistungen, die erbracht werden, um Erwerbseinkommen zu ersetzen (Erwerbsersatzeinkommen). Hierzu gehörten auch Renten der gesetzlichen Rentenversicherung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Anrechenbar sei das Einkommen, das monatlich das 26,4 -fache des aktuellen Rentenwertes übersteige. Für die Einkommensanrechnung sei die Erwerbsminderungsrente (nach Abzug von 13 % von der Bruttorente) in Höhe von 1.105,92 € zu berücksichtigen. Der Freibetrag belaufe sich zum 01.07.2019 auf 872,52 € (aktueller Rentenwertes 33,05 € x 26,4). Das Einkommen übersteige den Freibetrag um 233,40 €. Hiervon seien 40 %, also 93,96 € anzurechnen. Die Rentenberechnungsvorschriften seien zwingender Natur. Ein Abweichen davon sei der Beklagten nicht möglich. 

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 02.10.2019 hat die Klägerin am 10.10.2019 Klage zum Sozialgericht Bayreuth erhoben. Es gehe ihr um die Abschläge sowohl der Witwenrente als auch der Erwerbsminderungsrente. Ihr verstorbener Ehemann habe die Witwenrente hart erarbeitet, damit diese ihr zugutekomme für einen schuldenfreien Lebensabend. Ihr Ehemann werde nun durch die Abschläge hart bestraft. Die Beklagte habe nicht über die Abschläge der Erwerbsminderungsrente entschieden. Ergänzend hat sie darauf hingewiesen, dass sie die Abschläge der Erwerbsminderungsrente ab 01.04.2006 und die der Witwenrente ab 19.09.2017 anficht (Schreiben vom 20.03.2020).

Die Beklagte hat unter dem 18.10.2019 mitgeteilt, dass sie den Widerspruch gegen die Anpassung der Erwerbsminderungsrente an die zuständige DRV Mitteldeutschland weitergeleitet habe. Die Anpassungsmitteilung, mit der die Witwenrente zum 01.07.2019 durch den Postrentendienst Berlin, Niederlassung Renten-Service, entsprechend den gesetzlichen Vorschriften angepasst worden sei, sei nicht zu beanstanden.

Mit Beschluss vom 07.11.2019 hat das Sozialgericht aus dem Verfahren ein weiteres Klageverfahren gegen den Abschlag der Erwerbsminderungsrente abgetrennt (S 16 R 607/19). 

Das Sozialgericht hat eine Auskunft von der DRV Mitteldeutschland vom 29.04.2020 zur Höhe der Erwerbsminderungsrente der Klägerin eingeholt. Zum 01.07.2019 betrug die Bruttorente 1.271,18 €.

Nach Anhörung hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11.05.2020 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, dass ab 01.07.2019 die von ihr bezogene Erwerbsminderungsrente nicht auf die große Witwenrente angerechnet werde. Die angefochtene Rentenanpassungsmitteilung beinhalte nach ihrem Verfügungssatz lediglich eine Regelung hinsichtlich der Rentenanpassung. Diese sei aufgrund des nach § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Bestimmung der Rentenwerte in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Alterssicherung der Landwirte und zur Bestimmung weiterer Werte zum 01.07.2019 (Rentenwertbestimmungsverordnung 2019 - RWBestV2019) vom 13.06.2019 geänderten aktuellen Rentenwerts vorzunehmen gewesen. Rentenanpassungsmitteilungen enthielten zwar selbstständig anfechtbare Verwaltungsakte, allerdings nur hinsichtlich der wertmäßigen Fortschreibungen eines bereits zuerkannten Werts des Rechts auf Rente durch Feststellung des Veränderungsfaktors. Insoweit werde nicht über den Geldwert des Rechts auf Rente, sondern ausschließlich über den Grad der Anpassung entschieden. Da der Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2019 kein weitergehender Regelungsgehalt zukomme und diese über ihren eigentlichen Regelungsgehalt hinaus nicht anfechtbar sei, könne die Klägerin schon allein aus diesem Grund nicht mit ihrem Begehren auf Nichtanrechnung der von ihr bezogenen Erwerbsminderungsrente durchdringen. Anhaltspunkte dafür, dass das Rechenwerk der Beklagten insoweit unzutreffend sein könnte bzw. dass die Beklagte von falschen Rechenwerten ausgegangen sei, seien weder von der Klägerin dargetan worden noch sonst erkennbar. 

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 20.05.2020 zum Bayer. Landessozialgericht. Sie und ihr Ehemann hätten ehrlich gearbeitet für eine finanziell sichere Zukunft und nicht für Abschläge bei der Witwenrente. Es handele sich hier um eine ungerechtfertigte Bereicherung des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber habe sich durch den Abschlag bei der Witwenrente betrügerisch bereichert. Sie werde so lange kämpfen, bis der Abschlag der Witwenrente bei ihr und anderen Personen rückwirkend aufgehoben werde, denn der Abschlag der Witwenrente sei sittenwidrig, unmenschlich und verfassungswidrig.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.05.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2019 zu verurteilen, der Klägerin ab dem 19.09.2017, hilfsweise ab dem 01.07.2019 große Witwenrente ohne Anrechnung ihrer Erwerbsminderungsrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.05.2020 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen. 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.05.2020 ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die gegen die Rentenanpassungsmitteilung des Postrentendienstes zum 01.07.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2019 gerichtete Klage abgewiesen. 

Die Klägerin begehrt mit ihrer gegen die Rentenanpassung gerichteten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht nur die Auszahlung eines höheren Hinterbliebenenrentenbetrages - eine unrichtige Rentenanpassung macht sie nicht geltend -, sondern vielmehr die Zuerkennung eines ohne Einkommensanrechnung berechneten Werts der Hinterbliebenenrente.

Dieses Klagebegehren ist bereits unzulässig, soweit die Klägerin eine rückwirkende Abänderung des Rentenbewilligungsbescheides vom 19.10.2017 begehrt. Dieser Bescheid ist bindend geworden und damit unanfechtbar. Denkbar wäre die Anfechtung einer ablehnenden Entscheidung der Beklagten, den Bewilligungsbescheid vom 19.10.2017 im Rahmen des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) abzuändern. Eine solche Entscheidung hat die Beklagte aber erkennbar nicht getroffen, so dass hierüber der Klageweg auch nicht eröffnet ist.

Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist darüber hinaus auch insgesamt unzulässig. Der gegen die Rentenanpassungsmitteilung zum 01.07.2019 gerichteten Klage fehlt es an der notwendigen Beschwer der Klägerin. Die Klägerin verkennt den Regelungsgehalt der angefochtenen Anpassungsmitteilung. Bei dieser durch den Postrentendienst im Auftrag der Beklagten ergangenen "Mitteilung" handelt es sich zwar um einen Verwaltungsakt, doch beschränkt sich dieser inhaltlich auf die wertmäßige Fortschreibung bereits zuerkannter Rentenrechte (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.1999 - B 4 RA 41/98 R - juris; BSG, Beschluss vom 17.10.2017- B 13 R 11/15 BH - juris). Insoweit hat dieser Verwaltungsakt nur einen begrenzten Regelungsgehalt (Änderung der wertmäßigen Bestimmung des Rentenrechts nach Änderung der Bemessungsgrundlage bzw. des aktuellen Rentenwerts). Eine erneute Regelung des Rentenanspruchs dem Grunde nach enthält er nicht: weder wiederholt er inhaltlich die bisherige Regelung noch begründet er das anzupassende Recht neu (BSG Urteil vom 23.03.1999 a.a.O.). Eine Überprüfung im Rechtsmittelverfahren kann somit allein in Hinblick auf den tatsächlichen Regelungsgehalt, der zukunftsgerichteten wertmäßigen Neubestimmung des Rentenwerts, in Betracht kommen. Diesen Inhalt greift die Klägerin jedoch nicht an.

Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass die Berufung auch in der Sache ohne Erfolg geblieben wäre. Die Anrechnung der Erwerbminderungsrente als Erwerbsersatzeinkommen im Sinne von §§ 18a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 18b Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ist nach Abzug eines Freibetrages in dem von § 97 SGB VI vorgeschriebenen Umfang auf die Witwenrente rechnerisch richtig erfolgt.

Die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden (vgl. bereits Beschlüsse des BVerfG vom 10.06.1998 - 1 BvR 1485/86 und vom 18.02.1998 - 1 BvR 1318/86, jew. juris). Die Rechtfertigung für die Anrechnung von Einkommen ist die Unterhaltsersatzfunktion dieser Renten. Es ist demnach stets zu berücksichtigen, ob und inwieweit eigenes Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen des leistungsberechtigten Hinterbliebenen vorliegt. Eine Verletzung des Eigentumsrechts aus Art 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ist hierin nicht zu sehen. Bei dem Anspruch auf Hinterbliebenenrente handelt es nicht um ein eigenständig erworbenes Recht des Hinterbliebenen aus seiner eigenen Versicherung, sondern um einen aus der Versicherung des Verstorbenen abgeleiteten Anspruch. Grundsätzlich unterfallen nur solche Rentenanwartschaften dem Eigentumsrecht nach Art 14 Abs. 1 GG, die auf eigenen Beitragsleistungen des Versicherten beruhen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.06.2006 - 1 BvL 9/00 - juris). Der verstorbene Ehemann der Klägerin hat zwar eigene Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet, daraus folgt aber kein geschütztes Eigentumsrecht für die Witwe im Sinne des Art 14 Abs. 1 GG (vgl. hierzu auch Urteile des Senats vom 28.05.2020 - L 19 R 121/19 und vom 15.07.2020 - L 19 728/18).

Nach alledem war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. 

Rechtskraft
Aus
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