Die von § 8a Abs 3 HeilM-RL geforderte Vergleichbarkeit der Schädigungen mit denen der Anlage 2 muss sowohl hinsichtlich der Diagnose als auch der Diagnosegruppe bzw. des Indikationsschlüssels gegeben sein.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 10.06.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Streitig ist die Genehmigung einer langfristigen Heilmittelversorgung.
Der 1945 geborene Kläger ist bei der Beklagten als Rentner gesetzlich krankenversichert. Er leidet u.a. an einem chronischen Schmerzsyndrom bei Zustand nach interlaminärer Fensterung LWK L4/5 von links mit Sequestrektomie und Nukleotomie im Jahr 2015 und nach einer ventraler Diskektomie der HW 5/6 und 6/7 im Jahr 2003.
1. Der Kläger kontaktierte die Beklagte am 25.10.2017 telefonisch und beklagte die Ablehnung der Verlängerung einer Langfristverordnung. Die Beklagte bat um aktuelle Befundberichte, eine ärztliche Verordnung und einen entsprechenden Antrag. Am 20.11.2017 beantragte der Kläger die Langfristigkeit seiner Erkrankung(en) gemäß § 8a der Heilmittel-Richtlinie (HeilM-RL) festzustellen und die erforderliche Heilmitteltherapie zu genehmigen. Er legte eine ärztliche Verordnung des M (Krankenhaus B R1) vom 26.10.2017 vor, nach Maßgabe des Katalogs (6x Krankengymnastik und 6x Warmpackungen) unter dem Indikationsschlüssel WS2a bei Diagnose ICD-10 M54.4 (Lumboischialgie) sowie ärztliche Atteste des M, des R und einen Bericht der behandelnden B. Mit Bescheid vom 01.12.2017 lehnte die Beklagte die Genehmigung ab, da das beim Kläger vorliegende Krankheitsbild zwar schwerwiegend sei, aber nicht von einer Vergleichbarkeit mit den gelisteten Erkrankungen ausgegangen werden könne. Es könne eine reguläre Verordnung von Heilmitteln erfolgen.
2. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Seine Erkrankungen seien nach Art, Schwere und Dauer den gelisteten Erkrankungen vergleichbar. Der MDK stellte in seinem Gutachten vom 23.05.2018 fest, dass die Diagnose ICD-10 M54.4 keine Erkrankung sei, die mit der in Anlage 2 der HeilMR zu § 32 Abs. 1a SGB gelisteten Krankheiten vergleichbar wäre. Eine kontinuierliche physiotherapeutische Behandlung könne nicht regelhaft als förderlich für die Symptomatik einer chronischen Schmerzstörung angesehen werden. Vielmehr sei eine intervallweise, symptomorientierte Verordnung von Heilmitteln oftmals zielführend und zweckmäßig. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2018 den Widerspruch als unbegründet zurück.
3. Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben und sein Begehren auf eine Langfristgenehmigung von Heilmitteln in Form von Krankengymnastik und Warmpackungen weiterverfolgt.
Das SG hat die ärztlichen Unterlagen des M und die über den Kläger beim ZBFS Regensburg geführten Schwerbehindertenakten beigezogen. Es hat den G mit der Erstattung des Gutachtens nach Untersuchung des Klägers beauftragt. Der Kläger ist nicht zur Untersuchung erschienen und hat den Gutachter abgelehnt, da dieser kein Neurochirurg sei. Das SG hat den Antrag auf Ablehnung des Gutachters mit Beschluss vom 24.06.2019 als unzulässig sowie im Übrigen auch unbegründet abgewiesen und das Gutachten nach Aktenlage erstellen lassen. G ist zu dem Ergebnis gelangt, dass kein mit den in der Anlage 2 zu den HeilM-RL aufgeführten Erkrankungen vergleichbarer Fall eines langfristigen Behandlungsbedarfs besteht. Es finde sich keine Vergleichbarkeit mit den aufgeführten Wirbelsäulenerkrankungen, zudem seien keine Nervenerkrankungen, insbesondere keine Paresen oder neurologischen Ausfallerscheinungen dokumentiert. Daher seien Verordnungen im Regelfall bzw. nach § 8 HeilM-RL sind ausreichend. Zur Erreichung des Behandlungsziels (Linderung der Beschwerden, keine Verschlimmerung der Erkrankung) seien Physiotherapie und gelegentliche Wärmebehandlung sinnvoll, nicht jedoch Lymphdrainagen.
Der Kläger hat vorgetragen, weder das Gutachten des MDK noch das des G würden die Ablehnung der begehrten Genehmigung rechtfertigen. Nur ein Neurochirurg mit Spezialkenntnissen im Bereich der Spinalstenose habe die erforderliche Qualifikation für die Beurteilung der medizinischen Situation des Klägers. Zudem sei eine Genehmigungsfiktion eingetreten.
Der Kläger führt eine weitere Klage vor dem SG (S 2 KR 1114/19) auf Langfristgenehmigung von Lymphdrainagen auf der Basis einer vertragsärztlichen Verordnung vom 11.10.2018.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.06.2020 abgewiesen. Es fehle nach dem überzeugenden gerichtlich eingeholten Gutachten an den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Langfristgenehmigung. Eine fiktive Genehmigung nach § 32 Abs. 1a S. 3 SGB V sei mangels Antragstellung am 25.10.2017 nicht eingetreten.
4. Dagegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. LSG eingelegt und zur Begründung wiederholend vorgetragen, dass der Gutachter nicht anerkannt werde und eine fiktive Genehmigung eingetreten sei. Ein Antrag nach § 109 SGG wurde nicht gestellt, da unter den behandelnden Ärzten keiner als Gutachter gewonnen werden konnte.
Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 09.10.2020 nach § 153 Abs. 5 SGG auf die Berichterstatterin übertragen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 10.06.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 01.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.07.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Langfristgenehmigung von Heilmitteln zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die die Verwaltungsakte der Beklagten. Auf diese wird ergänzend Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte und statthafte (§§ 143, 144 Abs.1 S. 1 Nr. 1 SGG) Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Die Klage gegen den Bescheid vom 01.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.07.2018 ist als Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft.
Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Genehmigung einer langfristigen Heilmittelbehandlung mit Krankengymnastik und Warmpackungen hat. Das LSG folgt nach eigener Prüfung und Würdigung den zutreffenden Feststellungen zum Sachverhalt und rechtlichen Wertungen des SG, macht sich diese zu Eigen (§ 153 Abs. 2 SGG) und ergänzt zur Vermeidung von Wiederholungen in der gebotenen Kürze wie folgt:
1. Die Genehmigungsfiktion nach § 32 Abs. 1a S. 3 SGB V ist nicht eingetreten. Der Kläger hat bei seinem Telefonat am 25.10.2017 keinen fiktionsfähigen Antrag gestellt. Erst mit der Zusendung der objektiv erforderlichen medizinischen Unterlagen am 20.11.2017 ist die Frist in Gang gesetzt worden (§ 32 Abs. 1a S. 4 SGB V). Die Beklagte hat innerhalb der 4-Wochen-Frist mit Bescheid vom 01.12.2017 entschieden. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass sich die Genehmigungsfiktion nur auf die konkret beantragten verordnungsgestützten Maßnahmen beziehen. Das sind vorliegend - auf der Basis der vertragsärztlichen Verordnung des M vom 26.10.2017 - jeweils 6x Physiotheraie und Wärmebehandlung.
2. Die Voraussetzungen der §§ 27 Abs. 1, 32 Abs. 1a SGB V iVm § 8a HeilM-RL (Richtlinie über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung in der Version vom 01.01.2018 bis 31.12.2020, BAnz AT 23.11.2017 B1) liegen nicht vor.
a) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB V fallen auch Heilmittel hierunter, zu denen gemäß § 19 Abs. 3 Nr. 3 HeilM-RL die Krankengymnastik und gemäß § 24 HeilM-RL auch die Thermotherapie gehört. Nach § 32 Abs. 1a SGB V regelt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in seiner Richtlinie nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V das Nähere zur Heilmittelversorgung von Versicherten mit langfristigem Behandlungsbedarf. Er hat insbesondere zu bestimmen, wann ein langfristiger Heilmittelbedarf vorliegt und festzulegen, ob und inwieweit ein Genehmigungsverfahren durchzuführen ist (§ 32 Abs. 1a S. 2 SGB V).
b) Die Verordnung von Heilmitteln erfolgt im Rahmen eines 3-Stufen-Schemas:
(1) Grundsätzlich sieht § 7 HeilM-RL eine Heilmittelverordnung im Regelfall vor. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 liegt der Heilmittelverordnung nach der Richtlinie in den jeweiligen Abschnitten des Heilmittelkatalogs ein definierter Regelfall zugrunde, der davon ausgeht, dass mit dem der Indikation zugeordneten Heilmittel im Rahmen der Gesamtverordnungsmenge des Regelfalls das angestrebte Therapieziel erreicht werden kann. Die Gesamtverordnungsmenge und die Anzahl der Behandlungen (Einheiten) je Verordnung im Regelfall ergeben sich aus dem Heilmittelkatalog.
(2) Nach § 8 Abs 1 HeilM-RL sind weitere Verordnungen möglich, wenn sich die Behandlung mit der nach Maßgabe des Heilmittelkatalogs bestimmten Gesamtverordnungsmenge nicht abschließen lässt (Verordnung außerhalb des Regelfalls, insbesondere längerfristige Verordnungen). Solche Verordnungen bedürfen einer besonderen Begründung mit prognostischer Einschätzung. Begründungspflichtige Verordnungen sind der zuständigen Krankenkasse vor Fortsetzung der Therapie zur Genehmigung vorzulegen. Nach Vorlage der Verordnung durch die oder den Versicherten übernimmt die Krankenkasse die Kosten des Heilmittels unabhängig vom Ergebnis der Entscheidung über den Genehmigungsantrag, längstens jedoch bis zum Zugang einer Entscheidung über die Ablehnung der Genehmigung.
(3) § 8a HeilM-RL bestimmt die Möglichkeit der Versorgung von Versicherten mit langfristigen Heilmittelbedarf für einen längeren Zeitraum. Langfristiger Heilmittelbedarf im Sinne von § 32 Abs 1a SGB V besteht, wenn sich aus der ärztlichen Begründung die Schwere und Langfristigkeit der funktionellen/strukturellen Schädigungen, der Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der nachvollziehbare Therapiebedarf des Versicherten ergibt (§ 8a Abs 1 HeilM-RL). Vom Vorliegen eines langfristigen Heilmittelbedarfs ist nach § 8a Abs 2 Satz 1 HeilM-RL auszugehen, wenn eine in der Anlage 2 der HeilM-RL gelistete Diagnose in Verbindung mit der jeweils aufgeführten Diagnosegruppe des Heilmittelkatalogs vorliegt. In diesem Fall findet ein Antrags- und Genehmigungsverfahren nicht statt. Wenn keine der Diagnosen erfüllt ist, jedoch eine Vergleichbarkeit der vorliegenden schweren dauerhaften funktionellen/strukturellen Schädigungen mit denen besteht, die bei den in der Anlage 2 genannten Diagnosen zu erwarten sind, trifft die Krankenkasse auf Antrag die Feststellung darüber, ob ein langfristiger Heilmittelbedarf iSv § 32 Abs 1a SGB V vorliegt und die notwendigen Heilmittel langfristig genehmigt werden können (§ 8a Abs 3 HeilM-RL). Hierfür ist eine Genehmigung erforderlich. Die von § 8a Abs 3 HeilM-RL geforderte Vergleichbarkeit der Schädigungen mit denen der Anlage 2 muss sowohl hinsichtlich der Diagnose als auch der Diagnosegruppe bzw. des Indikationsschlüssels gegeben sein.
c) Es fehlt vorliegend an den Voraussetzungen der Stufe (3).
Es wird auf der Basis der aktenkundigen medizinischen Dokumentation der behandelnden Ärzte und der Gutachten des MDK sowie des G Folgendes festgestellt: Der Kläger leidet im zu beurteilenden Zeitraum nach einem operationspflichtigen Bandscheibenvorfall im Jahr 2015 vorrangig unter einer chronischen Lumboischialgie (ICD-10 M54.4 bei Indikationsschlüssel WS2: Wirbelsäulenerkrankungen mit prognostisch längerdauernden Behandlungsbedarf).
aa) Die Erkrankungen des Klägers sind unstreitig nicht in der Anlage 2 der HeilM-RL aufgeführt, so dass die Genehmigung durch die Beklagte nicht entbehrlich ist.
bb) Es besteht keine Vergleichbarkeit mit den Krankheiten der Diagnoseliste.
Ein längerdauernder Behandlungsbedarf - wie ihn der behandelnde Arzt des Klägers M attestiert und der vorliegend streitgegenständlichen Verordnung vom 26.10.2017 zugrunde legt - ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht mit einer Vergleichbarkeit mit Erkrankungen, die eine Langfristgenehmigung erlauben, gleichzusetzen. Ein längerdauernder Behandlungsbedarf aufgrund chronischer Erkrankungen kann zur Einordnung in die Stufe (2) führen, nur bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - die beim Kläger nicht gegeben sind - in die Stufe (3).
Eine vergleichbare schwere dauerhafte funktionelle/strukturelle Schädigung liegt dann vor, wenn die bei dem Versicherten bestehenden funktionellen/strukturellen Schädigungen vergleichbar mit der Schwere und Dauerhaftigkeit der Schädigungen sind, wie sie bei Diagnosen aus der Anlage 2 zu erwarten sind (§ 8a Abs. 5 S. 2 HeilM-RL). Eine Schwere und Langfristigkeit im Sinne von § 8a Abs.3 HeilM-RL kann sich auch aus der Summe mehrerer einzelner funktioneller/struktureller Schädigungen und Beeinträchtigungen der individuellen Aktivitäten ergeben.
G hat schlüssig und überzeugend in Auswertung der umfangreichen medizinischen Dokumentation und in Bestätigung des Gutachtens des MDK festgestellt, dass beim Kläger keine funktionellen oder strukturellen Schädigungen vorliegen, die eine Vergleichbarkeit mit den Diagnosen in Anlage 2 ermöglichen. Mangels neurologischer Ausfallerscheinungen verneinte der Sachverständige überzeugend eine besondere Schwere der klägerischen Erkrankung.
Der wiederholte Vortrag des Klägers, nur ein Neurochirurg könne sein Krankheitsbild bewerten, kann die Überzeugungskraft des Gutachtens des G in keiner Weise erschüttern. Bandscheibenvorfälle und Spinalstenosen können in den Fachdisziplinen Neurologie, Neurochirurgie und Orthopädie je nach Einzelfall mono- oder interdisziplinär, konservativ oder operativ behandelt werden. Ein Facharzt für Orthopädie ist zweifelsfrei geeignet, als gerichtlicher Sachverständiger die Vergleichbarkeit der derzeitigen dokumentierten Beschwerden des Klägers (Lumboischialgie, M54.4 aus dem Formenkreis der Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens) mit der Diagnose in Anlage 2 der HeilM-RL festzustellen bzw. auszuschließen.
Sofern beim Kläger weiterhin ein Heilmittelbedarf erforderlich ist, ist er auf eine Heilmittelverordnung im Regelfall oder außerhalb des Regelfalls nach § 8 HeilM-RL zu verweisen.
Die Berufung bleibt deshalb vollumfänglich ohne Erfolg und ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr.1 und 2 SGG).