L 5 P 44/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 P 52/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 P 44/16
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Internetbewertungen haben als subjektive Einschätzungen für die Auswahl eines gerichtlichen Sachverständigen keine Relevanz

 

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 23. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d :

Streitgegenstand ist die Erstattung für in der Zeit vom 1.11.2012 bis 31.12.2016 angefallene Kosten der Grundpflege, der hauswirtschaftlichen Versorgung und der allgemeinen Beaufsichtigung.

1. Der am 1949 geborene Kläger ist gesetzlich pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Er leidet i.W. an einem angeborenen Nagel-Patella-Syndrom mit möglichen Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem. Er schildert früheren starken Alkoholkonsum sowie Missbrauch von Beruhigungsmitteln bei erstmaliger stationärer psychosomatischer Behandlung im Jahr 1977 in B. Ab 1985 bezog er eine Rente wegen Erwerbsminderung, seit 2009 bezieht er Altersrente. Ambulante Behandlungsberichte benennen als Erkrankungen Depression, hypochondrische Züge, Skoliose bei Beinverkürzung, Lumboischialgie, gastrointestinale Beschwerden, der behandelnde Neurologe/Psychiater K, A-Stadt, benennt zudem ein Messie-Syndrom. Wegen der Krankheits- und Behandlungshistorie sowie der Diagnosen im Übrigen wird auf Bl. 235 - 255 der Berufungsakten Bezug genommen.

Der Kläger war vom 16.11.2010 bis 31.01.2011 zunächst in vollstationärer und anschließend bis 23.02.2011 in teilstationärer Behandlung des Universitätsklinikums A-Stadt - Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie wegen der Aufnahmediagnosen schwere depressive Episode bei rezidivierender depressiver Störung, organisch-affektiver Störung bei Nagel-Patella-Syndrom sowie chronische Pankreatitis, Offenwinkelglaukom und Lidkantenentzündung. Nach einer Augenoperation mit eintretender depressiver Dekompensation führte das Universitätsklinikum wegen der genannten Diagnosen eine weitere stationäre Behandlung des Klägers im März 2011 durch. 

2. Am 13.11.2012 beantragte der Kläger Pflegeleistungen in Form von Sachleistungen (ambulanter Pflegedienst). Auf Grund persönlicher Begutachtung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bayern (MDK) am 04.12.2012 kam dieser im Gutachten vom 05.12.2012 zum Ergebnis, beim Kläger bestehe für Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung keinerlei Hilfebedarf, seine Alltagskompetenz sei nicht eingeschränkt. Mit Bescheid vom 10.12.2012 lehnte die Beklagte gestützt auf die MDK-Begutachtung eine Gewährung von Leistungen ab, welche keinen Zeitaufwand für Hilfeleistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung belegte. Im anschließenden Widerspruchsverfahren führte der Kläger i.W. aus, dass der Widerspruch "u.a. die Ausserachtlassung der Pflegestufe Null (0) zum Gegenstand habe". 

Mit weiterem Gutachten nach Untersuchung im häuslichen Umfeld vom 16.05.2013 stellte der MDK fest, in der Grundpflege bestehe kein Hilfebedarf. Der Zeitaufwand der hauswirtschaftlichen Versorgung betrage 30 Minuten täglich, die Alltagskompetenz des Klägers sei nicht eingeschränkt. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil erhebliche Pflegebedürftigkeit nicht vorliege; die zeitliche Voraussetzung von mehr als 45 Minuten täglich für Hilfen bei der Grundpflege sei nicht erreicht.

3. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Würzburg (SG) hat der Kläger die Gewährung von Leistungen der "Pflegestufe 0" begehrt. In einem parallelen Klageverfahren vor dem SG (Az.: S 13 P 139/13) hat die Beklagte zugesichert, der Widerspruch des Klägers vom 20.12.2012 werde als Antrag auf Gewährung von Leistungen nach §§ 45a SGB XI [in der bis 31.12.2016 gültigen Fassung (a.F.)] verstanden und rechtsmittelfähig verbeschieden. Zudem hat der Kläger einen Antrag auf Leistungen nach §§ 45 a f. SGB XI ab dem 21.05.2014 gestellt. Schließlich hat der Kläger am 21.05.2014 die Klage S 13 P 139/13 zurückgenommen.

4. Mit Bescheid vom 21.05.2014 lehnte die Beklagte die Gewährung von Betreuungsleistungen ab. Anlässlich einer erneuten Begutachtung vor Ort am 19.08.2014 kam der MDK zur Einschätzung, dass beim Kläger ein täglicher Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 1 Minute sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten bestehe. Die Alltagskompetenz des Klägers im Sinne des § 45 a SGB XI sei nicht erheblich eingeschränkt. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2015 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.05.2014 als unbegründet zurück.

Pflegeleistungen im Umfang der Pflegestufe 0 scheiterten auch daran, dass beim Kläger überhaupt kein Hilfebedarf bei der Grundpflege bestehe. Der vom MDK im Gutachten vom 20.08.2014 mitgeteilte Hilfebedarf von 1 Minute für die Unterstützung beim Waschen des Oberkörpers sei aufgrund der beim Kläger bestehenden Ressourcen nicht nachvollziehbar.

5. Gegen den Bescheid vom 21.05.2014/ Widerspruchsbescheid vom 30.04.2015, hat der Kläger Klage zum SG erhoben und das Begehren verfolgt, "ab 01.11.2012, hilfsweise ab 20.12.2012" sowie "ab 21.05.2014" zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45 b SGB XI (in der aktuellen, seit dem 01.01.2015 gültigen Fassung) bzw. zusätzliche Betreuungsleistungen im Sinne des § 45 b SGB XI (in der bis zum 31.12.2014 geltenden Fassung) zu erhalten. Zur Begründung hat der Kläger auf ein im Verfahren S 3 SB 39/12 eingeholtes Gutachten des S verwiesen.

6. Ein Antrag des Klägers auf Pflegeleistungen im einstweiligen Rechtschutz ist erfolglos geblieben (Beschlüsse SG, 02.12.2015 - S 9 P 132/15 ER sowie Bayer. LSG, 10.02.2019 - L 2 P 72/15 B ER).

7. Im anhängigen Klageverfahren hat das SG ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung im Wege eines Hausbesuchs der L, N-Stadt, beauftragt. Gegen die Sachverständige hat der Kläger Einwendungen erhoben, zudem hat er einen Untersuchungstermin abgesagt, so dass das SG ein Gutachten nach Aktenlage angeordnet hat. 

Die Sachverständige ist im Gutachten nach Aktenlage vom 04.01.2016 zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger unter anderem an einer Persönlichkeitsstörung mit mittelschweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten, kognitiven Störungen, Affekt- und Antriebsminderung leide. Es bestehe keinerlei Grundpflegebedarf. Auch sei der Kläger nicht aufgrund demenzbedingter Fähigkeitsstörungen, aufgrund einer geistigen Behinderung oder aufgrund einer psychischen Erkrankung auf Dauer in seiner Alltagskompetenz erheblich oder in erhöhtem Maße eingeschränkt. Auf die Ausführungen im Gutachten vom 04.01.2016 wird Bezug genommen. Der daraufhin vom Kläger mit Schreiben vom 25.01.2016 gestellte Antrag auf Ablehnung der Sachverständigen L wegen Besorgnis der Befangenheit ist ohne Erfolg geblieben (Beschluss des SG vom 22.03.2016, Beschluss des Bayer. LSG vom 12.05.2016 - L 2 SF 142/16 AB).

Mit Gerichtsbescheid vom 23. Juni 2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach § 45 a Abs. 2 SGB XI seien für die Bewertung, ob die Einschränkung der Alltagskompetenz auf Dauer erheblich ist, folgende Schädigungen und Fähigkeitsstörungen maßgebend:

1. unkontrolliertes Verlassen des Wohnbereiches (Weglauftendenz);

2. Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen;

3. unsachgemäßer Umgang mit gefährlichen Gegenständen oder potenziell gefährdenden Substanzen;

4. tätlich oder verbal aggressives Verhalten in Verkennung der Situation;

5. im situativen Kontext inadäquates Verhalten;

6. Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen;

7. Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten Depression oder Angststörung;

8. Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben;

9. Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus;

10. Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren;

11. Verkennen von Alltagssituationen und inadäquates Reagieren in Alltagssituationen;

12. ausgeprägtes labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten;

13. zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit aufgrund einer therapieresistenten Depression.

Der Kläger aber zähle nicht zu dem in § 45 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI definierten Personenkreis der Pflegebedürftigen der Pflegestufen I, II und III bzw. der Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht. Zum anderen liege beim Kläger keine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz im Sinne des § 45 a Abs. 2 SGB XI vor. Die gerichtliche Begutachtung habe ergeben, dass der Kläger über eine für die Grundpflege ausreichende Mobilität mit vollständig durchführbaren Funktionsgriffen und sicherer selbstständiger Steh-, Geh- und Transferfähigkeit verfüge. 

Für die grundpflegerische Versorgung des Klägers bestehe weder ein krankheits-bedingter Hilfebedarf noch würden tatsächlich von Pflegepersonen Hilfen für die Grund-pflege geleistet. Unter Berücksichtigung der Vorbegutachtungen sei festzustellen, dass der Kläger keinen regelmäßigen dauerhaften krankheitsbedingten Hilfebedarf für die Grund-pflege oder die hauswirtschaftliche Versorgung aufweise. Bezüglich der Einschränkung der Alltagskompetenz sei festzustellen, dass der Schwerpunkt der Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet aufgrund einer Persönlichkeitsstörung des Klägers liege. Da in dem Gutachten von S vom 28.02.2015 eine Depression ausgeschlossen worden sei, können Items des Assessment, die sich auf eine Depression beziehen, nicht mit "Ja" beantwortet werden. Eine therapieresistente Depression bestehe erst recht nicht.

8. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und sein Begehren auf zusätzliche Betreuungsleistungen weiterverfolgt unter Unterbreitung eines Vergleichsvorschlages auf Gewährung von Soziotherapie sowie in Bezugnahme auf neuere Befund und Behandlungsberichte weiterer akuter und stationärer Behandlungen, welche weitere Erkrankungen aufführen. Zudem hat er eine Begutachtung nach Aktenlage als Abstrafung gesehen. Ein gerichtlich eingeleitetes Güterichterverfahren ist nicht zustande gekommen.
Im Erörterungstermin vom 06.11.2017 hat der Kläger Einverständnis mit einer Begutachtung bei sich zuhause erklärt. Dazu hat er die Beauftragung eines männlichen Sachverständigen begehrt. Der Senat hat auf die seit 1.1.2017 geltende Rechtslage infolge der Reform des SGB XI hingewiesen. Darauf hat der anwaltlich vertretene Kläger seinen Antrag umgestellt und zur Niederschrift erklärt, er beantrage die Beklagte zu verurteilen für die Zeit bis 31.12.2016 die entstandenen Kosten für Grundpflege, hauswirtschaftliche Versorgung und allgemeine Beaufsichtigung zu erstatten und er werde diesen Anspruch noch weiter beziffern und belegen. Der Antrag auf Gewährung zusätzlicher Betreuungsleistungen als Sachleistung wird für den Zeitraum bis 31.12.2016 nicht aufrechterhalten. Diese Anträge wurden vorgelesen und genehmigt. 
Mit Schriftsatz vom 21.12.2017 hat der Kläger sodann in Anbetracht fehlender Belege sowie unter Vorlage aktueller medizinischer Dokumentation Kostenerstattung iHv 320 €, 120 € und 453,40 € für 2012 bis 2016 sowie 80 € für 2017 zu erstatten und zusätzliche Betreuungsleistungen ab 1.1.2017 beantragt.

Der Senat hat B, A-Stadt, mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Diesen Sachverständigen hat der Kläger abgelehnt und eine Begutachtung auf psychosomatischem Gebiet verlangt. B hat sodann den Gutachtensauftrag zurückgegeben. Der vom Gericht darauf beauftrage Sachverständige E hat den Gutachtensauftrag zurückgegeben. In der Folge hat der Kläger weitere medizinische Befunde vorgelegt, zwei weitere beauftragte Sachverständige haben den Gutachtensauftrag nicht erfüllen können.

Das Gericht hat M mit der Gutachtenserstellung beauftragt. Der Kläger hat diese abgelehnt und sich dazu auf negative Bewertungen der Internet-Plattform Jameda berufen.

Die Sachverständige M hat in Ihrem Gutachten nach Aktenlage vom 1.2.2020 ausgeführt, in der Zeit bis 31.12.2016 habe der Kläger keine der nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt:

1. unkontrolliertes Verlassen des Wohnbereiches (Weglauftendenz);

2. Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen;

3.    unsachgemäßer Umgang mit gefährlichen Gegenständen oder potenziell gefährdenden Substanzen;

4.    tätlich oder verbal aggressives Verhalten in Verkennung der Situation;

5.    im situativen Kontext inadäquates Verhalten;

6.    Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen;

7.    Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten Depression oder Angststörung;

8.    Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben;

9.    Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus;

10.    Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren;

11.    Verkennen von Alltagssituationen und inadäquates Reagieren in Alltagssituationen;

12.    ausgeprägtes labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten;

13.    zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit aufgrund einer therapieresistenten Depression.

Es bestünden keine Hinweise auf wesentliche Verschlechterungen des Gesundheitszustandes in Bezug auf Pflegestufe sowie auf Pflegegrad. Es sei kein regelmäßigerer täglicherer Hilfsbedarf vorhanden gewesen. Die Unsauberkeit und Unordentlichkeit seiner Wohnung habe der Kläger sehr wohl wahrgenommen, er sei gleichwohl zur Abfassung qualifizierter Schriftsätze in der Lage gewesen. Also habe er auch andere zielgerichtete Tätigkeiten wie das Aufräumen der Wohnung durchführen können. Eine psychiatrische Hilfe sei wegen mangelnder Mitarbeit des Klägers eingestellt worden. Die Persönlichkeitsstörung des Klägers sei durch Betreuung im 14-tägigen Rhythmus ausreichend kompensiert, so dass der Kläger vor Verwahrlosung bewahrt sei. Hilfsbedarf habe nicht bestanden. Bei Berücksichtigung der Rechtsänderung ab 1.1.2017 sei ein Bedarf von 3,75 Punkte bei großzügiger Wertung anzusetzen. Der Kläger hat sich dazu zunächst nicht geäußert.

Nach pandemiebedingter Abladung des Verhandlungstermins 19.3.2020 hat der Kläger Wiedereinsetzung geltend gemacht, sich gegen das Sachverständigengutachten verwahrt und dies u.a. mit der Nichtberücksichtigung eines Gutachtens sowie mit einer Vielzahl ärztlicher Unterlagen aus dem Jahr 2020 begründet. Diese wiederum betreffen insbesondere stationäre zahnärztliche Leistungen, eine Überweisung an eine radiologische Praxis wegen Blut im Urin zur Fertigung eines MRT, CT lehne der Kläger ab, eine weitere Radiologie-Überweisung wegen Lendenwirbelerkrankung sowie eine eintägige stationäre Krankenhausbehandlung wegen entgleisten Bluthochdrucks. Gerügt hat der Kläger zudem, dass die gerichtliche Sachverständige eine Behandlung 2008/2009 nicht beachtet habe und dass ein Gutachten nur nach Aktenlage erstellt sei. Auf einen gerichtlichen Hinweis zum Streitgegenstand hat der Kläger nicht geantwortet.

Der Kläger beantragt zuletzt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.04.2015 sowie des Gerichtsbescheids des SG Würzburg 23. Juni 2016 zu verurteilen, dem Kläger Kosten iHv 320 €, 120 € und 453,40 € für 2012 bis 2016 sowie 80 € für 2017 zu erstatten.

Die Beklagte hält das Gutachten der M für zutreffend und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Berufung (§§ 143, 151 SGG) bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Kostenerstattung für die Vergangenheit sowie auf sowie zusätzliche Betreuungsleistungen ab 1.1.2017. Insoweit sind die gegenständlichen Entscheidungen der Beklagten nicht zu beanstanden. 

1. Der Streitgegenstand der Berufung bestimmt sich durch den angefochtenen Gerichtsbescheid des SG und durch den zuletzt vor dem Bayer. LSG gestellten Antrag im Erörterungstermin vom 6.11.2017. Dort hat der anwaltlich vertretene Kläger ausweislich der Niederschrift begehrt, die Beklagte zu verurteilen für die Zeit bis 31.12.2016 die entstandenen Kosten für Grundpflege, hauswirtschaftliche Versorgung und allgemeine Beaufsichtigung zu erstatten, er werde diesen Anspruch noch weiter beziffern und belegen. Dieser Antrag wurde vorgelesen und genehmigt. Damit ist festzustellen, dass der Kläger in der Rechtsmittelinstanz vor dem Hintergrund der zum 1.1.2017 in Kraft getretenen Rechtsänderungen seine zunächst verfolgten weiteren Begehren nicht (mehr) der berufungsgerichtlichen Kontrolle unterstellt hat, so dass eine teilweise Berufungsrücknahme iSd § 156 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SGG vorliegt.
Zwar hat der Kläger mit Schriftsatz vom 21.12.2017 unter Ziff. 4 beantragt, "Der Antrag auf Gewährung von zusätzlichen Betreuungsleistungen als Sachleistungen wird ab 01.01.2017 wird aufrechterhalten". Diese Erklärung widerspricht jedoch dem vorherigen Antrag, welcher - wie die Niederschrift beweist - eine Nichtweiterverfolgung genau dieser Begehren zum Inhalt hatte. Somit erweist sich der Antrag im Schriftsatz vom 21.12.2017 als Rücknahme der Rücknahme des zweitinstanzlichen prozessualen Begehrens. Dies ist jedoch nicht möglich; Anhaltspunkte für eine Anfechtung der bedingungslos abgegebenen prozessualen Erklärung sind ebenso wenig feststellbar, wie Anhaltspunkte für einen Anfechtungsgrund.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten iHv 973,40 €. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die Gewährung zusätzlicher Betreuungsleistungen im Sinne des § 45 b SGB XI in der bis zum 31.12.2014 gültigen Fassung noch einen Anspruch auf die Gewährung zusätzlicher Betreuungs- und Entlastungsleistungen im Sinne des § 45 b SGB XI in der ab dem 01.01.2015 gültigen Fassung.

Zusätzliche Betreuungsleistungen bzw. zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen setzen voraus, dass der Versicherte die Voraussetzungen des § 45 a SGB XI erfüllt. Nach § 45 a Abs. 1 Satz 1 SGB XI erhalten lediglich Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, bei denen neben dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§§ 14 und 15 SGB XI) ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung gegeben ist, die entsprechenden Leistungen. Dies sind nach § 45 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI (1.) Pflegebedürftige der Pflegestufen I, II und III sowie (2.) Personen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht, mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, bei denen der MDK oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter in der Begutachtung nach § 18 SGB XI als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt haben, die dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben.

a. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nach den zutreffenden Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Senat schließt sich den dortigen Feststellungen und Wertungen an, macht diese sich nach eigener Prüfung zu Eigen und weist die Berufung aus den Gründen des SG zurück unter Absehung einer weiteren Darstellung, § 153 Abs. 1 SGG.

b. Darüber hinaus hat die Beweisaufnahme des Senats ergeben, dass der Kläger die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen im dargelegten Sinne nicht erfüllt. 

In Würdigung der vorgelegten und beigezogenen medizinischen Dokumentation sowie des Sachverständigens der M erfüllt der Kläger weder die Voraussetzungen der Pflegestufen I, II und III noch die weiteren gesetzlichen Anforderungen bei Nichterreichen der Pflegestufe I. Denn nachgewiesenermaßen konnte der Kläger seinen Alltag bewältigen, Gerichtskorrespondenzen führen, seine kognitiven Fähigkeiten waren nicht eingeschränkt und nur seine bewusstseinsnahe Priorisierung anderer Angelegenheiten und die Nichtkooperation mit Pflegehilfen hat dazu geführt, dass sein Wohnfeld sowie seine Haushaltsführung schlecht wurden. Insoweit waren aber Betreuungsleistungen in 14-tägigen Abstand über die psychiatrische Institutsambulanz sowie aufsuchende Pflege bei stationärer Behandlung in Krisensituationen ausreichend und adäquat. Anhaltspunkte für Weglauftendenz, Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen, inadäquater Umgang mit gefährlichen Gegenständen oder potenziell gefährdenden Substanzen, aggressives Verhalten in Situationsverkennung, im situativen Kontext inadäquates Verhalten, Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen sowie zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten Depression oder Angststörung, Störungen der höheren Hirnfunktionen mit Problemen der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben, Störung des Tag-/Nacht-Rhythmus, Unfähigkeit zum Tagesablaufsplan und zur -struktur, Verkennen von Alltagssituationen mit inadäquates Reagieren, ausgeprägtes labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten, zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit aufgrund therapieresistenter Depression sind - jedenfalls über zeitlich nur kurze Situationen hinaus - nicht feststellbar. Diesen überzeugenden Feststellungen und mit der medizinischen Dokumentation im Übrigen übereinstimmenden Wertung der Sachverständigen der M schließt sich der Senat an. Denn M weist als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie Zentralkompetenzen auf für die streitentscheidenden gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers auf. Die Sachverständige hat die gesamte medizinisch relevante Dokumentation erfasst sowie gewürdigt und ist zu schlüssigen Diagnosen, Einschätzungen der Behandlungsbedürftigkeit und -notwendigkeit sowie zu einer schlüssigen Einschätzung der Behandlungsbedürftigkeit gelangt. Diese ist in sich widerspruchsfrei.

c. Dem Begehren des Klägers auf Begutachtung durch einen Mann ist mangels sachlicher Gründe nicht zu entsprechen. 
Die vom Kläger angeführten Internetbewertungen der M haben mangels nachvollziehbarer Sachgrundlage als subjektive Online-Bekundungen keine Relevanz.
 
Die Begutachtung war von M nach Aktenlage durchzuführen, weil Kostenerstattung für die Zeit 2012 bis 2016 Gegenstand der Berufung ist, für welche eine aktuelle Begutachtung des Klägers keine zusätzlichen Erkenntnisquelle eröffnen kann sowie zusätzliche Betreuungsleistungen ab 1.1.2017. Für diese ergeben die neueren Befunde des Klägers keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der durch die von der Sachverständigen festgehaltenen Erkrankungen und Behinderungen des Klägers. Dies gilt in gleicher Weise auch für die weiteren vom Kläger vorgelegten umfangreichen medizinischen Dokumente, namentlich für die zuletzt am 30.04.2020 eingegangen ärztlichen Befunde. In Würdigung der dort dokumentierten Diagnosen und Therapien lässt sich eine wesentliche medizinische Änderung des Bedarfes an zusätzlichen Betreuungsleistungen nicht begründen, weil nur kurzfristige Behandlungsbedürftigkeit sowie eine adäquate Diagnostik und Therapie feststellbar ist. Insoweit ist weiter festzuhalten, dass Anhaltspunkte, welche Anlass für die Einholung einer weiteren sachverständigen Stellungnahme geben, nicht erkennbar sind. Dies gilt auch für die Rügen des Klägers, die Sachverständige hätte Behandlungen, namentlich aus 2008/2009 unbeachtet gelassen. Denn diese steht nicht in zeitlichem Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Leistungen und kann keinen zusätzlichen Bedarf begründen. Soweit der Kläger Dokumente für die Zeit ab 2017 vorlegt, namentlich, wenn er auf den Bedarf für künstliche Beatmung geltend macht, unterlässt es der Kläger, die hier strittigen Leistungen von den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung abzugrenzen. Insbesondere hatte er Leistungsansprüche nach dem SGB V nicht im vorliegenden Verfahren, sondern im Berufungsverfahren L 20 KR 125/19 vor dem Bayer. LSG geltend gemacht hat, welche also anderweitig rechtshängig sind. 

3. Rein vorsorglich ist für den Fall, dass die Rücknahme der teilweisen Rücknahme der Berufung zulässig wäre, also im vorliegenden Verfahren auch über zusätzliche Betreuungsleistungen sowie weitere Leistungen nach dem SGB XI ab 1.1.2017 zu befinden wäre, auszuführen, dass auch dann der Berufung auch der Erfolg versagt bliebe. Denn nach dem - wie dargelegt - überzeugenden Gutachten der M lassen sich insoweit ab 1.1.2017 keine Anhaltspunkte finden für entscheidungsrelevante Änderungen. Soweit der Kläger auf eine momentane Unfähigkeit, Kompressionsstrümpfe anzuziehen hingewiesen hatte im Schriftsatz vom 22.12.2017, fehlt es an Anhaltspunkten für eine dauerhafte Unfähigkeit. Zudem könnte diese Unfähigkeit keine weiteren Betreuungsleistungen wie begeht begründen, sondern allenfalls weiteren Pflegebedarf nach dem Modul 5 "Krankheits- und therapiebedingte Anforderungen und Belastungen". Davon aber sind die strittigen weiteren Betreuungsleistungen zu trennen. Darüber hinaus hat Frau M auch keine Anhaltspunkte für eine pflegeleistungsbegründende Änderung der Verhältnisse zum 1.1.2017 feststellen können. Auch dem schließt sich der Senat an.

Damit hat der Kläger keinen Anspruch auf die mit seinem Berufungsbegehren verfolgten Leistungen. Die Berufung bleibt deshalb vollumfänglich ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung er Revision sind nicht ersichtlich, § 160 Abs. 2 SGG

Rechtskraft
Aus
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