Die für die Zulässigkeit einer Berufung relevante Beschwer bestimmt sich bei einer Aufrechnung im Rahmen von SGB II-Leistungen nach der streitigen Höhe der Aufrechnungssumme im streitigen Bewilligungszeitraum
I. Die Berufungen gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 7. Januar 2020 werden verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Die Kläger machten im Klageverfahren sinngemäß eine verspätete Auszahlung der SGB II-Leistungen und eine rechtswidrige Aufrechnung der SGB II-Leistungen ab Mai 2019 geltend. Die Berufung richtet sich nur gegen die im Bewilligungsbescheide vom 23.4.2019 verfügte Aufrechnung für die Zeit ab Mai 2019.
Die 1981 bzw. 1983 geb. Kläger sind verheiratet und beziehen als Bedarfsgemeinschaft vom Beklagten seit Januar 2009 mit Unterbrechungen laufende Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Der Kläger zu 1 ist nach eigenen Angaben selbständig tätig, erzielt hieraus aber seit längerer Zeit keine Einnahmen.
Mit nicht bestandskräftigen endgültigen Bewilligungs-, Erstattungs- und Aufrechnungsbescheiden vom 3.1.2019 und 4.1.2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21.4.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.4.2020 forderte der Beklagte zunächst die Erstattung von 553,64 €, zuletzt 316,62 € und verfügte in den Bescheiden vom 4.1.2019 die Aufrechnung ab 1.3.2019 (vgl. S 16 AS 28/19; L 7 AS 79/20). Die Kläger bezogen von März bis April 2019 keine SGB II-Leistungen und beantragten erst wieder für die Zeit ab 1.5.2019 SGB II-Leistungen. Mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 23.4.2019 wurden den Klägern auf ihren Antrag vom 12.4.2019 für die Zeit vom 1.5.2019 bis 31.10.2019 monatlich 1.264 € bewilligt (764 € Regelleistungen und 500 € tatsächlicher Bedarf für die Kosten der Unterkunft und Heizung). Zugleich wurde verfügt, dass die Aufrechnung ab 1.5.2019 wegen der Erstattungsforderung aus den Bescheiden vom 4.1.2019 aufgenommen würde. Wegen der Aufrechnung legten die Kläger am 25.4.2019 Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.4.20 ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 23.7.2019 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Bereits am 28.6.2019 erhoben die Kläger Klage zum Sozialgericht Augsburg "gegen ständige Verzögerung der Zahlung und widerrechtliche Anrechnung trotz gerichtlicher Klärung". Der Beklagte zahle schon wieder nicht pünktlich aus. Das Gericht habe gegen diese Willkür und Verschleppung vorzugehen und dafür zu sorgen, dass der Beklagte die Leistungen zahle und "dies in voller Höhe, d.h. auch die widerrechtlich einbehaltenen Gelder endlich an uns auszahlt".
Der Beklagte erwiderte, dass die Klage unzulässig sei. Die Leistungen für Juli 2019 seien pünktlich ausgezahlt worden. Zum Nachweis legte er eine Auszahlungsliste vor. Danach wurden die SGB II-Leistungen für Mai bis Juli 2019 jeweils zum 1. des Monats in Höhe von 1.187,60 € ausbezahlt, 76,40 € wurden davon einbehalten.
Mit Urteil vom 7.1.2020 wurde die Klage als unzulässig abgewiesen. Die vorbeugende Unterlassungsklage, gerichtet auf künftige verzögerungsfreie Leistungen, sei unzulässig. Soweit sich die Klage gegen den Bescheid vom 4.1.2019 richte, sei sie wegen anderweitiger Rechtshängigkeit im Verfahren S 16 AS 28/19 unzulässig.
Mit Schreiben vom 12.2.2020 legten die Kläger Berufung beim Bay. Landessozialgericht ein. Wenn mehrere Verfahren zusammen abgeurteilt würden, habe das Sozialgericht diese zusammenzuführen und nicht einfach als unzulässig abzuurteilen. Mit Schreiben vom 29.10.2020 erteilten sie in allen anhängigen Verfahren ihr Einverständnis mit einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2 SGG.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 22.3.2021 wurden die Kläger aufgefordert, ihr Klagebegehren zu präzisieren. Nach Auffassung des Gerichts wendeten sich die Kläger im Berufungsverfahren allein gegen die Aufrechnung ab 1.5.2019 und nicht mehr gegen die vermeintlich verspätete Auszahlung. Die Berufung sei nicht statthaft, da die Aufrechnung nur einen Betrag von 458,40 € im laufenden Bewilligungsabschnitt betreffe. Für den Fall, dass dies anders gesehen werden sollte, wurden die Kläger aufgefordert, zum Nachweis der verspäteten Zahlung Kontoauszüge vorzulegen.
Die Kläger legten nachfolgend keine Kontoauszüge vor und argumentierten im Schreiben vom 24.3.2021, dass es richtig sei, dass es nur um 458,40 € gehe. Dies sei aber ganz klar ein Betrug. Nachdem der Beklagte den Klägern gegenüber seit Jahren Leistungen unterschlage, sei ein öffentliches Interesse gegeben und daher habe das Gericht endlich gegen die "betrügerischen Anrechnungen" vorzugehen.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 7.1.2020 aufzuheben und die im Bescheid vom 23.4.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.7.2019 verfügte Aufrechnung aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Berufungen der Kläger sind unzulässig und waren daher zu verwerfen.
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden. Die Beteiligten haben einer solchen Entscheidung schriftlich zugestimmt.
Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes einer Klage, die - wie hier - eine Geldleistung betrifft, insgesamt 750 € nicht übersteigt.
Dieser Gegenstandswert wird vorliegend mit 458,40 € nicht erreicht. Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist danach zu bestimmen, was das Sozialgericht dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was er davon mit seinen Berufungsanträgen weiterverfolgt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes kann niedriger sein als die Beschwer, wenn nämlich der Rechtsmittelkläger in der zweiten Instanz sein Begehren nicht in vollem Umfang weiterverfolgt, aber nicht höher (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 13. Auflage 2020, § 144 Rn 14).
Nach Auslegung der Schreiben vom 12.2.2020 und 22.3.2021 begehrten die Kläger im Berufungsverfahren allein die Aufhebung der Anrechnung ab Mai 2019 und wendeten sich in diesem Zusammenhang gegen die aus ihrer Sicht unzutreffende Begründung des Sozialgerichts zur Unzulässigkeit ihres Klagebegehrens wegen anderweitiger Rechtshängigkeit. Im laufenden Bewilligungsabschnitt vom 1.5.2019 bis 30.10.2019 betraf die Aufrechnung lediglich einen Betrag von 458,40 €. Der zulässige Streitgegenstand ist in zeitlicher Hinsicht längstens bis zum Ende des laufenden Bewilligungszeitraumes begrenzt. Die abschnittsweise Bewilligung von Leistungen führt zu einer zeitlichen Zäsur, die eine zeitliche Begrenzung des zulässigen Streitgegenstandes bewirkt (vgl. BSG vom 30.7.2008, B 14 AS 7/08 B, Rn 5; BSG vom 13.12.2016, B 4 AS 14/15 R, Rn 10; BSG vom 26.9.2013, B 14 AS 148/13 B; BSG vom 22.7.2010, B 4 AS 77/10 B, Rn 7). Dies gilt auch für eine Aufrechnung. Auch ist die Berufung nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässig, da vorliegend keine laufenden oder wiederkehrenden Leistungen für mehr als ein Jahr streitig sind. Betroffen sind nur sechs Monate.
Entgegen der Auffassung der Kläger ist ein öffentliches Interesse nicht gegeben bzw. führt ein solches nicht zur Statthaftigkeit der Berufung. Insofern ist der Wortlaut von § 144 Abs. 1 SGG eindeutig und lässt keine Ausnahmen zu.
Vor diesem Hintergrund erübrigen sich materiell-rechtliche Ausführungen zu den Voraussetzungen der Aufrechnung ab 1.5.2019 gemäß § 43 SGB II, insbesondere zur erforderlichen vorherigen Anhörung, Ermessensausübung und Bestandskraft der Erstattungsforderung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.