1. Einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Sicherungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die nach § 331 SGB III vorläufig eingestellten Leistungen nachträglich zur Auszahlung gebracht wurden.
2. Leistungen nach dem SGB II erhält nicht, wer seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in der Bundesrepublik Deutschland hat. Die Darlegungs- und Beweislast für den Umstand des Innehabens eines gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland trägt der Anspruchsteller.
3. Der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I ist im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise zu prüfen. Die Prognose hat alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen, bei denen es sich um subjektive, objektive, tatsächliche und rechtliche Umstände handeln kann.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 7. Juni 2021 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
G r ü n d e :
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Bf) wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts München, mit dem ihr Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt wurde. In der Sache begehrt sie die Nachzahlung sowie die Gewährung von (höheren) Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab Mai 2021.
Die 1980 geborene Bf ist polnische Staatsangehörige und wohnte zuletzt im Hotel J, A Allee, M, für das sie ausweislich der Rechnungen bis April 2021 monatlich 600 € pauschal schuldete.
Sie bezog laufend Leistungen nach dem SGB II vom Antrags- und Beschwerdegegner (Bg). Auf den Fortzahlungsantrag vom 08.12.2020 bewilligte der Bg der Bf mit Bescheid vom 10.12.2020 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs von 446 € monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis 30.06.2021. Die Bewilligung erfolge vorläufig, weil die tatsächlichen Kosten der Unterkunft erst nachträglich festgestellt werden könnten und eine Zahlung auf Rechnung erfolge.
Am 16.03.2021/18.03.2021 beantragte die Bf beim Bg, ihren Urlaub vom 17.03. bis zum 06.04.2021 "ins System" einzutragen bzw. die Genehmigung einer Ortsabwesenheit vom 22.03.2021 für 21 Tage. Dies genehmigte der Bg für die Zeit vom 22.03.2021 bis 11.04.2021 und bat um eine persönliche Vorsprache am 12.04.2021 (vgl. E-Mail vom 19.03.2021).
Mit E-Mail vom 13.04.2021 teilte die Bf dem Bg mit, dass sie krank sei und auf einen Arzttermin warte. Sie übersandte dem Bg am 22.04.2021 ein Attest in polnischer Sprache vom 21.04.2021 einer "M1 (specjalista psychiatra)", das nach ihren eigenen Angaben eine Krankschreibung vom 19.04.2021 bis 19.07.2021 beinhalte und eine Reiseunfähigkeit bescheinige. Hierauf erwiderte der Bg mit E-Mail vom 26.04.2021, dass das Attest nach Prüfung durch die Fachstelle nicht als Nachweis einer Transportunfähigkeitsbescheinigung anerkannt werde. Aus dem Attest gehe nicht hervor, dass eine Erkrankung oder Verletzung vorliege, die einen Rücktransport unter keinen Umständen ermögliche. Es werde gebeten, die Transportunfähigkeit in geeigneter Form nachzuweisen.
Im weiteren Verlauf teilte die Bf am 26./28.04.2021 mit, sie habe sich online umgemeldet. Aus versicherungstechnischen Gründen würde das Hotel keine Lagerung erlauben. Ein Bekannter von ihr würde die Sachen abholen. Mit einer weiteren E-Mail vom 26./28.04.2021 führte sie aus, sie werde sich in Polen für die Zeit der Krankschreibung eine Wohnung suchen, damit ihre Eltern ihre Ruhe hätten, sie seien krank und fast 80 Jahre alt. Sie mache in Polen eine Psychotherapie. Die Arzt- und Behandlungskosten, die sie erst privat zahle, erstatte die Krankenkasse. In M würde sie mindestens sechs Monate warten müssen, bis sie zu einem Facharzt gehen könne. Sie könne nicht reisen, das habe die Fachärztin in Polen festgestellt und in das Attest eingetragen. Sie müsse sich in Polen sehr schnell isolieren, da sie merkwürdige Symptome habe und ihre Eltern Angst vor einer möglichen Ansteckung hätten. Sie seien sehr alt und noch nicht gegen Corona geimpft.
Mit E-Mail vom 29.04.2021 teilte die Bf dem Bg sodann mit, dass aufgrund des Lockdowns alle Hotels geschlossen hätten und sie Fieber habe. Ihre Eltern würden ihr deshalb die Wohnung zur alleinigen Nutzung überlassen. Sie habe den Vertrag noch nicht unterschrieben. Sie legte einen handschriftlich und auf Deutsch verfassten Mietvertrag vom 29.04.2021 vor, wonach C ihrer Tochter, der Bf, die 50 qm große und voll möblierte Wohnung zur alleinigen Nutzung ab dem 01.05.2021 für 830 € (Kaltmiete 681 €, Nebenkosten 149 €) überlasse. Die Miete sei zum 1. des Monats fällig. Mit weiterer E-Mail vom 29.04.2021 unter dem Betreff "Mietobergrenze" erinnerte die Bf den Bg an die Beantwortung der Nachfrage bezüglich des Mietvertrages und fragte an, ob die Warmmiete bis maximal 830 € akzeptiert werde. Darauf sandte der Bg der Bf einen Link zur Mietobergrenze der Landeshauptstadt München zu. Mit Mail vom 30.04.2021 teilte die Bf dem Bg mit, dass sie davon ausgehe, dass der Bg den Mietvertrag akzeptiere, weil er nicht geantwortet habe. Die Kaution betrage zwei Monatsmieten, mithin 1660 €. Die Krankenkasse zahle die Ärzte, nicht eine Wohnung, so wie in M auch. Sie sei nicht stationär untergebracht.
Mit Schreiben vom 30.04.2021 teilte der Bg der Bf mit, dass er die Leistungen nach dem SGB II vorläufig ganz einstelle, weil die Bf ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Bg habe. Dem widersprach die Bf mit E-Mail vom 03.05.2021. Sie sei in Deutschland gemeldet und erhalte dort Leistungen. Sie habe sich umgemeldet und wohne in M im Moment kostenlos. In S verbleibe sie nur wegen der Erkrankung, deswegen sei die Miete in Polen zu zahlen, da sie das Hotel in M verlassen habe. Nach ihrer Rückkehr werde wieder die Miete in M fällig. Ihr gewöhnlicher Aufenthalt sei M. In S befinde sie sich nur krankheitsbedingt. Ihre Reiseunfähigkeit sei ärztlich bescheinigt, sie sei mit der Zahlungseinstellung nicht einverstanden. Seit 01.05.2021 habe sie zudem Mietschulden.
Der Bg zahlte der Bf die Regelleistung für die Monate Mai und Juni 2021 in Höhe von insgesamt 892 € am 14.06.2021 nach.
Mit Schreiben vom 16.06.2021 hörte der Bg die Bf zu einer (teilweisen) Aufhebung- und Erstattung von Leistungen für die Zeit vom 12.04.2021 bis 30.06.2021 in Höhe von 1554,47 € an.
Den Fortzahlungsantrag der Bf vom 28.06.2021 für die Zeit ab 01.07.2021, den diese von S/Polen stellte, dort unterzeichnete und mit der sie Unterkunftskosten für die Wohnung in S gemäß Mietvertrag vom 01.05.2021 begehrte, lehnte der Bg mit Bescheid vom 07.07.2021 ab. Die Bf habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, S. 2 SGB II. Der Bg adressierte den Ablehnungsbescheid an die von der Bf angegebene Adresse in Polen.
Bereits am 04.05.2021 stellte die Bf einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht M. Sie bitte um ihre reguläre Leistung, die sie Ende April nicht bekommen habe und um Übernahme der Miete in S. Sie sei während der genehmigten Ortsabwesenheit zu ihren Eltern nach S gereist; dort sei es zu einem erneuten Ausbruch ihrer psychischen Erkrankung gekommen. Sie habe deswegen eine Fachärztin für Psychiatrie aufgesucht, welche ihr eine Krankmeldung für drei Monate ausgestellt und ihr ausdrücklich verboten habe zu reisen. Ihre 75jährigen Eltern hätten ihr ihre Wohnung zur alleinigen Nutzung überlassen, da sie Symptome einer Corona-Infektion gezeigt habe und diese Angst vor einer Ansteckung gehabt hätten. Ihre Eltern würden kostenpflichtig seit 01.05.2021 bei Bekannten wohnen. Sie habe ihre Sachen bei einem Bekannten in M eingelagert und sich auch in M umgemeldet. Die Bf legte dem Sozialgericht eine E-Mail vom 29.04.2021 an das Bürgerbüro des Kreisverwaltungsreferats (KVR) vor, wonach unter der Adresse L Straße in M gemeldet sei, wo sie kostenlos wohne, einen auf den 30.04.2021 datierten von der Bf und C unterschriebenen Mietvertrag, wonach der Bf eine 50qm große, komplett möblierte Wohnung zur alleinigen Nutzung zu einem monatlichen Mietzins von 830 € überlassen wird, sowie das bereits beim Bg vorgelegte Attest vom 21.04.2021 (vgl. Bl. 4 der Akte des Sozialgerichts).
Mit Beschluss vom 07.06.2021 lehnte das Sozialgericht den Eilantrag ab. Die Bf begehre zum einen die Weiterzahlung der mit Bescheid vom 10.12.2020 bewilligten SGB II-Leistungen (Regelbedarf) als auch die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung für die angemietete Wohnung ihrer Eltern in S/Polen in Höhe von 830 € pro Monat. Die vorläufige Zahlungseinstellung nach §§ 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II, 331 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) stütze der Bg zu Recht auf eine nicht genehmigte Ortsabwesenheit. Nach § 7 Abs. 4a Satz 1 SGB II in der gemäß § 77 Abs. 1 SGB II weiter anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 23.12.2007 erhalte keine Leistungen nach dem SGB II, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhalte. Eine Erkrankung, wie sie von der Bf angeführt werde, bedeute nicht automatisch eine Reiseunfähigkeit, die zur Verlängerung des Auslandsaufenthaltes berechtige. Eine Reiseunfähigkeit habe die Bf vorliegend nicht substantiiert dargelegt. Die Bf könne ihre Ortsabwesenheit nicht auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes stützen. Ein Anordnungsanspruch bestehe auch nicht für die begehrte Übernahme der Kosten der Unterkunft für die von ihren Eltern angemietete Wohnung. Das SGB II kenne keine Rechtsgrundlage für die Übernahme von Unterkunftskosten im Ausland. Da bereits kein Anordnungsanspruch bestehe, könne dahinstehen, ob ein Anordnungsgrund gegeben sei. Der Beschluss wurde der Bf am 15.06.2021 laut Rückschein in Polen zugestellt.
Am 16.06.2021 hat die Bf beim Sozialgericht M Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt, die am 21.06.2021 an das Bayerischen Landessozialgericht weitergeleitet worden ist. Sie habe die Klinik wegen einer ärztlichen Bescheinigung angeschrieben und reiche diese nach. Sie habe am 12.04.2021 nicht nach M zurückkehren können, weil sie schon seit "Anfang KW 14" auf einen Arzttermin gewartet habe. Erst am 21.04.2021 habe sie einen Termin bekommen. Die Ärztin habe sie aus "gesetzlichen" Gründen nicht ab 12.04.2021 krankschreiben können, sondern erst ab dem 19.04.2021. Ein Todesfall in der Familie habe ihre schwere Depression verschlimmert, wegen totaler Erschöpfung könne sie nicht reisen. Sie habe ihre Eltern seit Monaten nicht gesehen und ein Recht auf Familienbesuch wahrgenommen. Der Bg müsse ihr die Leistung und Miete ab Mai zahlen. Wenn schon die Krankenkasse in der EU alle Kosten zahle, dann müsse auch der Bg ausnahmsweise krankheitsbedingt die Kosten tragen. Es gebe keine Grenzen im Schengen-Raum. Die Bf hat am 28.06.2021 erneut ein Attest vom 21.04.2021 der M1 (vgl. Bl. 47 der Akte des Landessozialgerichts) übersandt und dieses wie folgt selbst übersetzt: "Patientin ist krankgeschrieben vom 19.04.2021 bis zum 19.07.2021. In dieser Zeit ist sie reiseunfähig durch Geisteszustand: F50 F48. Das Attest wurde für den Arbeitgeber ausgestellt. Fachärztin für Psychiatrie M1". Die Ärztin betone die Reiseunfähigkeit. Am 06.07.2021 hat die Bf eine Kopie eines Kontoauszugs der Postbank (adressiert an die Bf unter der von ihr mitgeteilten Adresse in S/Polen) übersandt, aus dem am 17.06.2021 eine Gutschrift des Bg in Höhe von 892 € zu ersehen ist. Sie hat dazu mitgeteilt, dass der Bg nun die Leistungen April/Mai ohne Miete überwiesen habe. Die Miete und die Leistung für Juni würden immer noch fehlen.
Die Bf beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts M vom 07.06.2021 aufzuheben und den Bg zu verpflichten, der Bf die Regelleistung in Höhe von 446 € für Juni zu zahlen und für die Monate Mai und Juni 2021 weitere Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 830 € monatlich und für die Zeit ab Juli 2021 der Bf Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Bg hat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung werde auf die den Beschluss tragenden Gründe verwiesen. Mit Schreiben vom 07.07.2021 hat er ergänzt, dass die Regelleistung in Höhe von 446 € für den gesamten Bewilligungszeitraum bis 30.06.2021 auf das Konto der Bf überwiesen worden sei. Ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zur Anhörung vom 16.06.2021 sei bisher nicht erlassen worden. Im Übrigen werde auf den Ablehnungsbescheid vom 07.07.2021 hingewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der in elektronischer Form beigezogenen Verwaltungsakte des Bg Bezug genommen.
II.
Die zulässige - insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegte - Beschwerde ist in der Sache ohne Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht den Eilantrag abgelehnt.
Der Senat legt den Antrag der Bf dahingehend aus, dass diese die Zahlung der Regelleistung für den Monat Juni 2021 in Höhe von 446 € (dazu unter 1.), die Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für die Monate Mai und Juni 2021 in Höhe von monatlich 830 € für den behaupteten Bedarf an Kosten der Unterkunft und Heizung für die in S bewohnte Wohnung (dazu unter 2.) und zudem - vor dem Hintergrund des Ablehnungsbescheides vom 07.07.2021 - die Zahlung von Leistungen nach dem SGB II ab Juli 2021 in Höhe der Regelleistung sowie der Kosten der Unterkunft und Heizung (dazu unter 3.) begehrt.
1. Soweit die Bf am 06.07.2021 unter Hinweis auf die Nachzahlung von 892 € die Zahlung der Regelleistung für Juni 2021 im Wege einer statthaften Sicherungsanordnung (§ 86b Abs. 2 S. 1 SGG) begehrt, ist dieser Antrag bereits unzulässig.
Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung eines bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Die vorläufige Zahlungseinstellung gemäß § 331 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) stellt keinen Verwaltungsakt dar (vgl. Greiser in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 40 Rn. 60), weshalb eine Sicherungsanordnung, die der Sicherung eines bestehenden Zustandes dient, statthaft ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 25a). Da der Bg bislang keinen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid auf die Anhörung vom 16.06.2021 erlassen hat, liegt insbesondere kein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vor.
Für den Antrag ist das Rechtschutzbedürfnis entfallen, da eine gerichtliche Entscheidung der Bf keinen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil bringt; dem Begehren der Bf wurde bereits abgeholfen. Der Bg hat alle der Bf mit Bescheid vom 10.12.2020 bewilligten Leistungen nach dem SGB II zur Auszahlung gebracht. Die Leistungen nach dem SGB II werden gemäß § 42 Abs. 1 SGB II monatlich im Voraus erbracht. Ausweislich der vom Bg übermittelten Zahlungsübersicht wurde der Bf am 22.01.2021 die Regelleistung (446 €) für Februar 2021, am 19.02.2021 für März 2021 und am 24.03.2021 für April 2021 überwiesen. Bei dem am 14.06.2021 überwiesenen - und am 17.06.2021 bei der Bf auf dem Konto eingegangenen - Betrag in Höhe von 892 € handelt es sich um die Regelleistung für die Monate Mai und Juni 2021 und nicht, wie die Bf meint, um die Regelleistung für die Monate April und Mai.
2. Der Antrag der Bf auf Gewährung von Unterkunftskosten für die Monate Mai und Juni 2021 in Höhe von monatlich 830 € ist unbegründet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellt § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG dar, da der geltend gemachte Rechtsanspruch in der Hauptsache mittels einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend zu machen ist. Insoweit ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Bf ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die Bf ihr Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat die Bf glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 86b, Rn. 41). Die Entscheidung darf sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden; hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten zu verhindern (so BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, Rn. 9, juris).
Der Antrag ist zulässig. Insbesondere hat sich die Bf mit ihrem Antrag auf Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II als mit Bescheid vom 10.12.2020 bewilligt zuvor an den Bg gewandt. Über diesen Antrag hat der Bg bislang nicht entschieden.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedenfalls nicht eilbedürftig, weil ein Anordnungsgrund hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung nicht glaubhaft ist. Es sind keine konkreten Umstände dargelegt, aus denen sich schwerwiegende, drohende Nachteile für die Bf ergeben könnten, wenn kein Bedarf für Unterkunftskosten in Polen anerkannt wird. Zwar ist die eigene Wohnung der Lebensmittelpunkt der Bewohner, der auch verfassungsrechtlich besonders geschützt ist. Allerdings ist nicht glaubhaft, dass die Bf einer ernsthaften Mietzinsforderung ausgesetzt ist und sie bei ausbleibender Mietzahlung obdachlos werden würde.
Dies ergibt sich für den Senat zum einen daraus, dass die Bf zunächst gemeinsam mit ihren Eltern ab 22.03.2021 in deren etwa 50 qm großen Wohnung kostenfrei wohnte. Zum anderen sind die von der Bf geschilderten Gründe für die Anmietung der Wohnung widersprüchlich und deshalb insgesamt nicht glaubhaft: Sie begründete ihr Ansinnen nach einer eigenen Wohnung in Polen einerseits mit ihrer psychischen Erkrankung und dem Wunsch der Eltern nach Ruhe (E-Mail vom 26.04.2021) und andererseits mit bei ihr aufgetretenen Symptomen einer Covid19-Erkrankung und dem Schutz der Eltern vor einer Ansteckung (E-Mail vom 29.04.2021). Schließlich ist die Vermieterin der Wohnung die Mutter der Bf und es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese von ihrer Tochter, der Bf, ernsthaft eine Miete einfordert bzw. diese bei ausbleibender Mietzahlung der Wohnung verweisen würde. Überdies hat die Bf nicht dargetan, dass sie tatsächlich an Covid19 erkrankt war und eine Isolierung von ihren Eltern notwendig war.
Auf die Frage, ob für die Zeit von Mai bis Juni 2021 auch ein Anordnungsanspruch besteht, kommt es mangels Anordnungsgrund nicht an.
3. Auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung für die Zeit ab Juli 2021 ist ohne Erfolg.
Statthafte Antragsart ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG (vgl. dazu oben unter 2.).
Der Antrag ist zulässig. Zwar ist dem Senat nicht bekannt, ob die Bf gegen den Ablehnungsbescheid vom 07.07.2021 Widerspruch eingelegt hat. Allerdings hat die Bf in ihren Schreiben an das Gericht zum Ausdruck gebracht, dass sie über den Juni 2021 hinaus Leistungen begehrt und der Senat entscheidet innerhalb offener Widerspruchsfrist (vgl. § 84 SGG).
Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage hat die Bf keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 01.07.2021, weil die Bf ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) hat (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II).
Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, die 2. erwerbsfähig sind, die 3. hilfebedürftig sind und die 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der BRD haben.
In § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II ist das sog. Territorialitätsprinzip festgeschrieben (vgl. § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist im SGB II selbst nicht festgelegt, weswegen Rückgriff auf die in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I enthaltene Definition zu nehmen ist. Nach § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Der "gewöhnliche Aufenthalt" hat damit ein zeitliches ("nicht nur vorübergehend"), ein Umstandsmoment ("unter Umständen"), welches mit einer vorausschauenden Betrachtung künftiger Entwicklungen, die eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit des Aufenthalts, nicht aber dessen Lückenlosigkeit erfordern, festzustellen ist, und ein subjektives Moment (Wille der Person). Zur Ausfüllung dessen haben sich Behörden und Gerichte an den tatsächlichen Verhältnissen zu orientieren, d.h. an der Anwesenheit der Person an einem Ort, die nicht nur vorübergehender Natur ist, sondern zukunftsoffen den Lebensmittelpunkt ausmacht (vgl. dazu insgesamt: Leopold in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGBII, 5. Aufl., § 7 (Stand: 05.01.2021), § 7 Rn. 72ff). Das BSG hat aus § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I ein Dreistufenschema entwickelt, wonach (1.) der Aufenthalt, (2.) die Umstände des Aufenthaltes und (3.) eine Würdigung der Umstände des Aufenthalts vorzunehmen ist, wobei insbesondere zu ermitteln ist, ob der Betroffene am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Ob sich jemand gewöhnlich in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden, wobei alle für die Beurteilung der künftigen Entwicklung bei Beginn eines streitigen Zeitraums erkennbaren Umstände zu berücksichtigen sind. Die Prognose hat alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen, bei denen es sich um subjektive, objektive, tatsächliche und rechtliche Umstände handeln kann (BSG, Urteil vom 10.12.2013, B 13 R 9/13 R, Rn. 30). Maßgebend ist die vorausschauende Betrachtung (vgl. dazu insgesamt: Spellbrink in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Werkstand: 113. EL März 2021, SGB I, § 30 Rn. 19). Entscheidend kommt es deshalb darauf an, wo die Bf ihren Lebensmittelpunkt hat (vgl. BT-Drs. 16/1410, S. 27 zu Nr. 31). Die Beweislast für den Umstand des Innehabens eines gewöhnlichen Aufenthalts in der BRD trägt der Anspruchsteller (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 16.07.2008, L 11 B 487/08 SO ER).
Die überwiegenden Anknüpfungstatsachen sprechen dafür, dass die Bf ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu Beginn des hier maßgeblichen Zeitraums ab Juli 2021 in S/Polen hat und nicht mehr in der BRD und deshalb nicht anspruchsberechtigt nach dem SGB II ist.
Zwar gibt die Bf an, dass sie umgehend nach Beendigung ihrer wohl ärztlich attestierten Reiseunfähigkeit nach M zurückkehren werde und sich nur krankheitsbedingt in Polen aufhalte. Diesem von der Bf geäußerten Willen widersprechen jedoch alle erkennbaren äußeren Umstände.
Die Bf hält sich seit dem 22.03.2021 tatsächlich in S/Polen auf, wenngleich zunächst im Rahmen einer sog. genehmigten Ortsabwesenheit nach § 7 Abs. 4a SGB II.
Weiter hat die Bf Ende April 2021 ihr Zimmer in einer Pension in M aufgegeben und ihre Gegenstände bei einem Bekannten in M eingelagert. Dass sie sich unter der Adresse des Bekannten in M behördlich angemeldet hat, steht der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts in Polen nicht entgegen, weil die Bf stets ausführte, dort nicht zu wohnen und auch keine Wohnkosten zu schulden. Die Bf hat zudem vorgetragen, eine Wohnung in S/Polen von ihren Eltern angemietet zu haben und einen unbefristeten Mietvertrag ab Mai 2021 zwischen ihr und ihrer Mutter vorgelegt. Die Anmietung einer Wohnung unter Aufgabe der Wohnung in M ist ein starkes Indiz für einen zukunftsoffenen Aufenthalt in Polen. Überdies hat die Bf die Anmietung der Wohnung in S zum 01.05.2021 mit ihrer erforderlichen Isolierung aufgrund von Symptomen einer Covid19-Erkrankung begründet, ohne dies glaubhaft darzulegen. Denn weder gibt der Mietvertrag einen Hinweis auf eine nur kurzfristige Überlassung der Wohnung, noch ist dem Fortzahlungsantrag ab Juli 2021 ein Hinweis auf eine nur begrenzte Mietdauer zu entnehmen. Zuletzt hat die Bf den Fortzahlungsantrag für die Zeit ab Juli 2021 - der sich regelmäßig auf die folgenden sechs Monate erstreckt - in S/Polen ausgefüllt und unterschrieben. Auch darin macht sie eine Miete ab Juli 2021 für die von ihr angemietete Wohnung in S in Höhe von 830 € zukunftsoffen geltend.
Weiter spricht für einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt in Polen, dass die Bf dort eine Psychotherapie begonnen hat, die regelmäßig langfristig angelegt ist. Insoweit betont die Bf, dass sie in M viel länger auf eine Therapie hätte warten müssen, was ebenfalls für einen insoweit zielgerichteten Willen der Bf spricht, sich nunmehr zukunftsoffen in Polen aufzuhalten.
Überdies hat die Bf bereits ihrem deutschen Bankinstitut (Postbank) ihre aktuelle Adresse in Polen mitgeteilt, was sich aus dem zuletzt vorgelegten Kontoauszug ergibt. Auch dies spricht dafür, dass die Bf längerfristig in Polen bleiben wird. Schließlich ist die Bf sowohl für den Bg als auch für das Gericht allein unter der von ihr angegebenen Anschrift in Polen postalisch erreichbar.
Zudem spricht für die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts nach Polen, dass der von der Bf vorgebrachte Grund für eine nur befristet fehlende Rückkehrmöglichkeit nach dem Ende der genehmigten Ortsabwesenheit bis 11.04.2021 - nämlich eine krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit - nicht glaubhaft ist. Das von der Bf zuerst beim Bg und dem Sozialgericht vorgelegte und von ihr selbst übersetzte ärztliche Attest vom 21.04.2021, mit dem der Bf wohl eine Arbeits- und Reiseunfähigkeit vom 19.04.2021 bis 19.07.2021 bescheinigt wird, enthält bereits keine Diagnose ("Rozpoznanie"). Das später beim Landessozialgericht vorgelegte Attest, das ebenfalls das Datum 21.04.2021 trägt, enthält zwar anders als das erste vorgelegte Attest die Angaben "F50 F48", was auf die Diagnosen ICD-Code F50.- Essstörung sowie den ICD-Code F48.- Andere neurotische Störung hindeuten könnte. Allerdings ist nicht ersichtlich, dass dieses Attest auf einer erneuten Untersuchung der Bf beruht, und die dort aufgeführten Diagnosen weichen von der Schilderung der Bf, dass sie an einer schweren Depression und Erschöpfung leide ab. Insbesondere die Attestierung einer Arbeits-/Reiseunfähigkeit von drei Monaten - welche nach § 5 Abs. 4 S. 2 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie in Deutschland allenfalls für einen Monat zulässig wäre - erfordert die Angabe einer auf einer unmittelbaren Untersuchung beruhenden Diagnose, um die mit der Schwere der Erkrankung einhergehenden Einschränkungen nachvollziehen zu können. Daran fehlt es hier. Weiter ist nicht ersichtlich, dass die Bf aktuell durch die Corona-Pandemie an der Rückkehr nach Deutschland gehindert wäre. Polen ist derzeit kein Risikogebiet (vgl. www.auswaertiges-amt.de), so dass eine Einreise in die BRD auf dem Landweg von Polen möglich ist (vgl. § 5 Coronavirus-Einreiseverordnung idF vom 12.05.2021).
Auf die Frage, ob die Bf nach § 7 Abs. 4a SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, kommt es mangels gewöhnlichem Aufenthalt in der BRD nicht an. Nach § 7 Abs. 4a Satz 1 SGB II in der gemäß § 77 Abs. 1 SGB II weiter anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 23.12.2007 erhält keine Leistungen nach dem SGB II, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der EAO, definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend. Insoweit wird jedoch darauf hingewiesen, dass die bis 11.04.2021 genehmigte Ortsabwesenheit allenfalls nach § 3 Abs. 2 und 3 EAO um weitere drei Wochen bzw. höchsten drei Tage tageweise verlängert werden kann. Eine Genehmigungsfähigkeit einer Ortsabwesenheit im streitigen Zeitraum ab Juli 2021 scheidet im Anschluss an die genehmigte Ortsabwesenheit bis 11.04.2021 bereits aus diesem Grunde aus.
Auch auf die Frage, ob ein Anordnungsgrund besteht, kommt es mangels Anordnungsanspruch nicht an. Insoweit ist die Bf aber auf ihre bestehenden Selbsthilfemöglichkeiten hinzuweisen. Es ist nicht dargetan, dass die Bf nicht weiterhin über den 01.05.2021 bzw. 01.07.2021 hinaus kostenfrei bei ihren Eltern wohnen kann. Überdies wurden der Bf Mitte Juni 2021 892 € vom Bg nachgezahlt, so dass es der Bf zumutbar ist, ihren aktuellen Bedarf daraus zu decken. Schließlich hat die Bf vorgetragen, dass sie die Kosten der Psychotherapie in Polen vorfinanziert und nachträglich eine Erstattung von der Krankenkasse erhält. Auch dies spricht dafür, dass die Bf über bereite Mittel verfügt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.