L 20 VU 2/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 VU 8/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 VU 2/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zur Überprüfung eines bestandskräftig festgestellten Versorgungsanspruchs hinsichtlich des Zeitpunkts der Antragstellung und der Höhe des GdS Zur Gewährung von Beschädigtenrente nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz bzw. dem Häftlingshilfegesetz unter dem Gesichtspunkt des Beginns der Versorgung und der Höhe des GdS

 

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.11.2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Der Kläger begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens auf der Grundlage des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) bzw. des Häftlingshilfegesetzes (HHG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) die Anerkennung von Schädigungsfolgen aufgrund einer Inhaftierung in der ehemaligen DDR sowie die Gewährung einer Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 60 und zwar seit 1987.

Der 1958 geborene Kläger befand sich in der Zeit vom 10.04.1986 bis 20.05.1987 in verschiedenen Haftanstalten der DDR in Strafhaft (M, C bzw. K-Stadt). Im Anschluss an die Haftzeit wurde er in die Bundesrepublik Deutschland entlassen.

Erstmals am 15.06.1987 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt B die Feststellung von Schädigungsfolgen und Versorgung nach dem HHG. Mit seinem Antrag machte u.a. ein seelisches Leiden als Gesundheitsstörung geltend; ob dieses Leiden vorliege, könne erst nach Abschluss einer am 01.06.1987 beantragten Kur beurteilt werden.

Mit Bescheinigung vom 08.12.1987 nach § 10 Abs. 4 HHG wurde dem Kläger bescheinigt, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG und des § 9 Abs. 1 HHG vorlägen und Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HHG nicht gegeben seien.

Der Kläger absolvierte in der Zeit vom 12.01.1988 bis 09.02.1988 eine Kur in B1. Ausweislich des Abschlussberichts der Rehabilitationseinrichtung seien ein psychophysischer Erschöpfungszustand, eine vegetative Dystonie, eine Struma diffusa et nodosa sowie eine Akne vulgaris festgestellt worden. Der Kläger habe sich recht gut erholt, er sei psychisch aufgelockert gewesen. Subjektiv klage er über keine Beschwerden. Das frühere Haftgeschehen werde distanziert und gut reflektiert betrachtet.

Dies nahm die damals zuständige Versorgungsverwaltung des Landes B am 11.05.1988 zum Anlass, beim Kläger nachzufragen, welche Schädigungsfolgen verblieben seien und ob er seinen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung aufrechterhalte. Nachdem dieses Schreiben wegen eines Umzugs des Klägers nach N zurückgelaufen war, gab das Versorgungsamt B seine Akten zuständigkeitshalber an den Beklagten ab, der mit Schreiben vom 10.06.1988 erneut beim Kläger anfragte, ob und gegebenenfalls welche Haftschäden noch vorlägen.

Hierauf erklärte der Kläger mit Schreiben vom 26.06.1988, sein Wohlbefinden habe sich wieder vollständig normalisiert; der Kuraufenthalt sei dabei eine große Hilfe gewesen. Haftschäden seien daher momentan nicht vorhanden und seien auch nicht zu erwarten. Der Beklagte verfügte daraufhin das Weglegen der Akte mit dem Vermerk, dass "wegen fehlender Haftschäden nichts weiter zu veranlassen" sei.

Mit Beschluss des Landgerichts Magdeburg vom 21.06.1995 wurde der Kläger für die Haftzeit vom 10.04.1986 bis 20.05.1987 strafrechtlich gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1d) StrRehaG rehabilitiert.

Am 13.05.2005 stellte der damalige gesetzliche Betreuer des Klägers, Herr F., beim Beklagten einen Erstantrag auf Feststellung einer Behinderung und des Grades der Behinderung (GdB) nach § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch/SGB IX (a.F.). Als Gesundheitsstörungen wurden im Antrag Depression, Insomnie, labile Hypertonie, Schlaflosigkeit, Ängste und Blockaden genannt. Als Ursache der Gesundheitsstörungen wurde "sonstige Ursache" angegeben. Dazu vorgelegt wurden unter anderem folgende Unterlagen mit den im Folgenden in Auszügen wiedergegebenen Textpassagen:
- Befundbericht des Klinikums N, Klinik für Psychosomatik und psychotherapeutische Medizin, vom 16.03.2004: "Auslösend [Anm.: für die psychischen Beschwerden des Klägers] sieht Herr H. seine Wohnungsumsetzung im Frühjahr 2000. Damals musste er als Mieter die alte Wohnung zwangsweise räumen und wurde in eine neue Wohnung [...] versetzt, die eine im Vergleich zu den anderen Geschossen sehr dünne Außenwand (nur 26 cm) habe. Dadurch werde diese Wohnung von zwei Seiten von einer großen Hauptstraße [...] beschallt und er könne bei seiner Lärmempfindlichkeit nie zur Ruhe kommen und finde keinen erholsamen Schlaf. [...] 1983 wurde er von der Stasi verhaftet, weil er ausreisen wollte und wurde zu 2 Jahren und 5 Monaten Haft verurteilt."
- Psychologisches Gutachten des Diplompsychologen Stefan von Scheidt vom 22.09.2004: "Auch wenn davon auszugehen ist, dass die schwierigen und belastenden Erfahrungen während Herrn H.s Verhaftung und Haftzeit in der damaligen DDR (infolge seiner journalistischen Tätigkeit und seinem Ausreiseantrag) Spuren in seiner Seele hinterlassen haben, zeigt eine Analyse der Gesamtsituation, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit doch die aktuelle Wohnsituation ursächlich ist für den Großteil der aktuellen Symptomatik."
- Nervenärztliches Gutachten von Frau F1 (Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie) vom 29.04.2005: "1986 kam es zu einer Inhaftierung in der DDR. Nach über einem Jahr Haft wurde der Betroffene durch die BRD freigekauft und lebt seither im Westen. In den neunziger Jahren Berufstätigkeit in einer Druckerei, zeitweise auch als Pressereferent, sowie freiberufliche Tätigkeit als Buchautor. Nach der erfolgreichen Erstveröffentlichung eines Buches nur noch selbstständige Tätigkeit als Autor und Publizist. Seit dem Jahr 2000 beruflicher Stillstand, was aus Sicht des Betroffenen bedingt sei durch die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, verursacht durch die aktuelle Wohnsituation." Bei einem Gerichtsverfahren wegen seiner Wohnsituation habe er "so etwas wie ein Reinszenierungsgefühl der Verurteilung aus der früheren DDR erlebt."

Mit Bescheid vom 15.06.2005 wurde beim Kläger ein GdB von 50 anerkannt aufgrund folgender Gesundheitsstörung: Seelische Störung mit psychovegetativen Störungen.

Im Rahmen der Nachprüfung des klägerischen Gesundheitszustands durch den Beklagten im Jahr 2008 hat der Kläger mit Schreiben vom 02.07.2008 unter Bezugnahme auf eine beigefügte, über 20-seitige ärztliche Stellungnahme von W vom 12.02.2008 mitgeteilt, dass seine Gesundheitsstörungen geblieben seien, dass allerdings ihre eigentliche Ursache gefunden worden sei, nämlich in den gesundheitsschädlichen Auswirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Sendeanlagen in seinem Wohnumfeld.

Am 19.07.2005 teilte eine Mitarbeiterin (W1) der N GmbH dem Beklagten telefonisch mit, dass sie den Kläger in der Arbeitsvermittlung betreue. Dieser sei derzeit psychisch schwer erkrankt und führe dies auf seine frühere Haft in der DDR zurück. Um die Übersendung der entsprechenden Antragsformularblätter für die Beantragung von Leistungen nach dem StrRehaG werde gebeten. Hierauf übermittelte der Beklagte mit Schreiben vom 02.08.2005 das gewünschte Antragsformular an W1 unter dem Az. 15/31/StrRehaG und mit dem Betreff "Durchführung des strafrechtlichen Rehabilitationsgesetzes (StrRehaG) für A., , * 7. 5. 1958".

Mit Bescheid vom 15.11.2007 gewährte die Regierung von Mittelfranken - Ausgleichsamt - dem Kläger auf dessen Antrag vom 12.08.2007 eine monatliche besondere Zuwendung in Höhe von 250 € nach § 17a StrRehaG ab 01.09.2007.

Mit dem W1 übersandten Formular (vgl. dessen Betreff "Schreiben vom 02.08.2005 zum Aktenzeichen 15/31/StrRehaG, Angelegenheit: A., ") beantragte der Kläger (erst) am 26.11.2009 Leistungen nach dem StrRehaG.

Nach Beiziehung ärztlicher Befundberichte, einer Begutachtung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie G (Gutachten vom 10.08.2010) und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.09.2010 (Nervenärztin B: Der Vorschaden der Persönlichkeitsstörung sei mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten, insgesamt sei der im Schwerbehindertenrecht festgestellte GdB von 50 zutreffend) stellte der Beklagte mit Bescheid vom 08.10.2010 beim Kläger als Schädigungsfolgen der erlittenen Haft folgende Gesundheitsstörungen fest: Anlassbezogene Wiedererinnerungen mit Ängsten und auch Vermeidungsverhalten sowie Verschlimmerung einer vorbestehenden Persönlichkeitsstörung. Der GdS betrage 30. Ein Anspruch auf Gewährung einer Rente bestehe ab dem 01.11.2009. Die Entscheidungen über eine besondere berufliche Betroffenheit iSv § 30 Abs. 2 BVG und einen Berufsschadensausgleich würden zu einem späteren Zeitpunkt ergehen.

Wegen eines ihm nicht bekannten Betreuerwechsels beim Kläger schickte der Beklagte den Bescheid vom 08.10.2010 nicht an den aktuellen Betreuer, sondern an dessen Vorgängerin. Mit Schreiben vom 29.10.2010 teilte der Kläger dem Beklagten mit, er habe überrascht festgestellt, dass er Leistungen nach dem StrRehaG erhalten habe. Ein entsprechender Bescheid sei ihm nicht zugegangen. Er bitte daher um (nochmalige) Zusendung des Bescheids an seine Anschrift. Dies erledigte der Beklagte mit Schreiben vom 04.11.2010. Mit Schreiben vom 10.12.2010 bedankte sich der Kläger hierfür und wies auf die aktuell unklare Betreuungssituation bei ihm hin.

Am 25.01.2011 erhob der Kläger mit Schreiben vom selben Tag Widerspruch gegen den Bescheid vom 08.10.2010. Schäden an seinem Zahnbestand aufgrund der politischen Haftzeit seien zu Unrecht als Haftfolgeschäden nicht anerkannt worden. Der Beklagte erachtete den Widerspruch als verfristet und wertete das Schreiben als Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X hinsichtlich des Bescheids vom 08.10.2010.

Mit Schreiben vom 15.08.2011 zeigte Frau C. die gesetzliche Betreuung für den Kläger an und bat, den anfallenden Schriftverkehr mit ihr zu führen.

Am 24.08.2011 stellte der Kläger einen Antrag auf Überprüfung von Versorgungsansprüchen "auch in Ergänzung zum Widerspruch vom 25.01.2011". Seiner Auffassung nach bestünden Versorgungsansprüche unter Zugrundelegung der Erstantragstellung im Juni 1987. Aufgrund von in der Haft erlittenen Schäden im Zahnbereich sei außerdem der GdS auf mindestens 50 anzuheben.

Mit Bescheid vom 04.01.2012, adressiert an die gesetzliche Betreuerin Frau C., lehnte es der Beklagte ab, den Bescheid vom 08.10.2010 gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen. Der Widerspruch vom 25.01.2011 sei verfristet. weil der Bescheid vom 08.10.2010 dem Kläger durch die Übersendung einer Kopie des Bescheids mit allen Anlagen (mit Schreiben vom 04.11.2010) bekannt gegeben worden sei. Eine Anerkennung von Zahnschäden könne nicht erfolgen, denn es sei nicht mit der geforderten Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass die heute vorliegenden Zahnschäden auf die Inhaftierung zurückzuführen seien. Ein Antrag auf Gewährung von Rentenleistungen bzw. Anerkennung von Schädigungsfolgen nach dem HHG sei 1987 nicht gestellt worden; der Kläger habe damals ausdrücklich mitgeteilt, dass keine Haftschäden vorlägen und auch nicht zu erwarten seien. Der GdS sei mit 30 zutreffend festgestellt.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 25.01.2012 Widerspruch ein und machte geltend, dass in Folge der zu Unrecht erlittenen Haft bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Diese sei mit einem höheren GdS als 30 zu bewerten. Zudem habe er bereits im Juni 1987 einen Antrag beim Versorgungsamt in B gestellt, wobei erst im Jahr 2011 diagnostiziert worden sei, dass bei ihm bereits im Jahr 1988 eine dissoziative Identitätsstörung (DIS) vorgelegen habe. Außerdem sei ein zahnärztliches Gutachten notwendig, um die Zahnschädigung als Schädigungsfolge feststellen zu können.

Mit Bescheid vom 28.02.2012 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers vom 26.11.2009 auf Höherbewertung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit und auf Berufsschadensausgleich ab. Sofern Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erfolgversprechend und zumutbar seien, entstehe ein Anspruch auf Höherbewertung des GdS nach § 30 Abs. 2 BVG und auf Berufsschadensausgleich frühestens in dem Monat, in dem diese Maßnahmen abgeschlossen würden (§ 29 BVG). Nach den vorliegenden Unterlagen habe der Kläger Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben beantragt, was ihm mit Bescheid des Rentenversicherungsträgers vom 07.02.2012 auch dem Grunde nach bewilligt worden sei. Vor Abschluss dieser Maßnahmen bestehe weder Anspruch auf Höherbewertung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit noch auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs.

Der Kläger legte dagegen am 19.03.2012 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2017 zurückgewiesen wurde. Die hiergegen zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhobene Klage ist dort noch anhängig.

Zwischenzeitlich, am 27.04.2012, hatte der Klägerbevollmächtigte gegenüber dem Beklagten angezeigt an, dass er diesen nunmehr in den Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide vom 04.01.2012 und vom 28.02.2012 vertrete.

Nach Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens (vom 29.09.2013; Ärztin für Psychiatrie E1) erkannte der Beklagte - unter Zurücknahme des Bescheides vom 08.10.2010 - mit Teilabhilfebescheid vom 31.01.2014 als Schädigungsfolge iSd § 21 StrRehaG eine posttraumatische Belastungsstörung mit Anspruch auf Heilbehandlung nach dem BVG an. Der GdS betrage 50. Der Anspruch bestehe ab dem 01.11.2009.

Am 27.02.2014 legte der Kläger u.a. gegen den Teilabhilfebescheid vom 31.01.2014 Widerspruch ein, worauf der Beklagte ein zahnärztliches Gutachten (vom 06.07.2016) durch den Zahnarzt B2 erstellen ließ. Hierin wurde festgestellt, dass der Verlust von insgesamt sechs Zähnen (iSd der Entstehung bzw. iSd Verschlimmerung) als Schädigungsfolge anerkannt werden sollte. Eine Zuordnung, welche Zähne aufgrund der Haftbedingungen geschädigt worden seien, könne nicht mehr vorgenommen werden. Der GdS im Zahnbereich werde ohne Berücksichtigung einer Ursache mit 50 eingestuft, unter Berücksichtigung des Vorschadens und des Nachschadens sei ein GdS im Zahnbereich von 25 angemessen. Eine Auswirkung auf den GdS und GdB in allen Lebenslagen sei jedoch nicht gegeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2017 erkannte der Beklagte als weitere Schädigungsfolge den Verlust von sechs Zähnen bei erheblicher Zahnvorschädigung an. Auch für diese Schädigungsfolge bestehe ab 01.11.2009 Anspruch auf Heilbehandlung. Ein GdS sei damit nicht verbunden (GdS 0). Nur ein umfassender Zahnverlust könne mit einem GdS bewertet werden. Der Gesamt-GdS betrage damit unter Einbeziehung der mit Bescheid vom 31.01.2014 anerkannten Schädigungsfolge posttraumatische Belastungsstörung 50. Im Übrigen werde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.01.2012 zurückgewiesen. Der Antrag aus dem Jahr 1987 sei durch (zumindest konkludente) Rücknahme mit Schreiben vom 26.06.1988 erledigt. Auch im Jahr 2005 habe der Kläger keinen Antrag gestellt; es sei lediglich um die Übersendung eines Formularantrags gebeten worden. Ein schriftlicher oder zur Niederschrift gestellter Antrag liege nicht vor.

Hiergegen hat der Kläger am 12.04.2017 Klage zum SG Nürnberg erhoben (S 3 VU 8/17) mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 30.03.2017 zu verurteilen, Leistungen nach dem StrRehaG (vormals HHG) ab Antragstellung im Jahre 1987 zu gewähren. Darüber hinaus sei wegen der Zahnschäden bis zur Sanierung des Gebisses ein höherer GdS als 50 zuzuerkennen. Begründet hat er dies damit, dass über seinen Antrag vom Juni 1987 bisher nicht entschieden worden sei. Zudem rechtfertige der Verlust von sechs Zähnen als anerkannte Schädigungsfolge - zumindest bis zur Sanierung des Gebisses - die Erhöhung des GdS.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 21.11.2017 abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 04.01.2012 in der Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 31.01.2014 und des Widerspruchsbescheids vom 30.03.2017 sei rechtmäßig. Unstreitig seien vorliegend das Anerkenntnis einer posttraumatischen Belastungsstörung und der Verlust von sechs Zähnen als Schädigungsfolge iSd StrRehaG dem Grunde nach. Im Streit stehe auch nicht die Bewertung des GdS mit 50 für die psychischen Schäden. Soweit der Kläger eine vorübergehende Höherbewertung des GdS wegen der Anerkennung des Verlustes von sechs Zähnen fordere und Leistungen für die Zeit seit 1987, sei die Klage unbegründet.

Gegen das Urteil hat der Klägerbevollmächtigte für den Kläger Berufung beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Leistungen seien für die Zeit ab dem 01.06.1987 zu gewähren. Denn Leistungen nach dem HHG seien erstmals am 15.06.1987 beantragt worden. Über diesen Antrag sei nie entschieden worden. Im Reha-Abschlussbericht von B1 sei eine psychiatrische Erkrankung als Folge der Haft auch nicht ausgeschlossen worden. Der Kläger habe den Antrag vom Juni 1987 nicht, auch nicht konkludent, zurückgenommen.
Ungeachtet dessen seien im Jahr 2005 die Antragsformulare, mit denen der Antrag im November 2009 gestellt worden sei, nicht an den Betreuer des Klägers übersandt worden, obwohl der Beklagte aus dem damals laufenden Schwerbehindertenverfahren von der Anordnung der Betreuung gewusst habe. Der Betreuer habe diese Unterlagen nicht erhalten und daher auch nicht in Rücklauf bringen können. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen lägen damit zumindest seit dem Jahr 2005 vor.
Selbst Fachärzte hätten eine richtige Diagnose zu der haftbedingten psychischen Erkrankung des Klägers bis zur Untersuchung durch E1 im Jahr 2013 nicht stellen können. Deshalb habe auch der Kläger zur Frage der Schädigungsfolgen keine verbindliche Erklärung abgeben können.
Als Schädigungsfolge habe der Beklagte einen Verlust von sechs Zähnen anerkannt. Dies sei als umfassender Zahnverlust iSd Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) anzusehen und rechtfertige vor dem Hintergrund, unter dem der Zahnverlust eingetreten sei, einen GdS von 10 bis 20, so dass ein Gesamt-GdS von mindestens 60 vorliege.

Diese Argumentation hat der Kläger persönlich in über 35 selbst verfassten Schriftsätzen direkt an das LSG weiter ausgeführt bzw. wiederholt.

Im Rahmen des Berufungsverfahrens hat der Kläger die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (L 20 VU 1/18 ER) mit dem Ziel begehrt, eine (vorläufige) Nachzahlung von Beschädigtenrente in Höhe von insgesamt 10.000 € für die Jahre 2005 bis 2009 nach einem GdS von 50 zu erhalten. Diesen Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 03.12.2018 abgelehnt.

Mit Beschluss vom 24.01.2019 hat der Senat zunächst den PKH-Antrag des Klägers mangels Erfolgsaussicht abgelehnt. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 31.05.2019 mitgeteilt, dass der Kläger sein Mandat mit Ablauf des 31.05.2019 gekündigt habe.

Der Kläger hat im Folgenden mit zahlreichen weiteren Schriftsätzen seinen bisherigen Vortrag in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wiederholt bzw. vertieft, unter anderem zu den Vorgängen im Jahr 2005. Mit Schriftsatz vom 04.06.2019 hat sich Frau C. als gesetzliche Betreuerin des Klägers angezeigt und unter Berücksichtigung der neuen Argumente (erneut) die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt, da sie sich zur Prozessvertretung des Klägers fachlich nicht hinreichend in der Lage sehe.

Daraufhin hat der Senat mit Beschluss vom 19.08.2019 dem Kläger PKH bewilligt und, nachdem der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 18.09.2019 seine (erneute) Bevollmächtigung durch den Kläger bzw. dessen gesetzliche Betreuerin angezeigt hatte, mit Beschluss vom 25.09.2019 diesen dem Kläger für das Verfahren beigeordnet.
Mit Schriftsatz vom 16.12.2019 hat der Klägerbevollmächtigte ergänzend vorgetragen, dass im Jahr 1988 die Voraussetzungen für das erst später beim Kläger diagnostizierte posttraumatische Belastungssyndrom bereits vorgelegen hätten. Er habe jedoch keine professionelle Hilfe erhalten. Ärzte hätten Probleme gehabt, die Erkrankung zu diagnostizieren. Die schriftliche Erklärung des Klägers vom 26.06.1988, sein Wohlbefinden habe sich wieder vollständig normalisiert, Haftschäden seien daher momentan nicht vorhanden und auch nicht zu erwarten, habe vor diesem Hintergrund keine Aussagekraft und entfalte keine rechtliche Wirkung, weil er zu seiner Erkrankung damals keine fundierte Auskunft habe geben können. Es wäre Aufgabe des Beklagten gewesen, den Kläger frühzeitig psychologisch untersuchen zu lassen. Die posttraumatische Belastungsstörung hätte so womöglich viel früher diagnostiziert und behandelt werden können. Derartige Erkrankungen fänden in der Medizin jedoch erst in jüngerer Zeit mehr Beachtung. Es könne deshalb auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Bewertung des GdS für die psychischen Schäden mit 50 zu gering sei.
Mit dem Verlust von sechs Zähnen sei auch ein GdS von mindestens 10, eher aber von 20 verbunden. Für die Feststellung eines GdS sei diesbezüglich nicht der Verlust aller Zähne erforderlich. Ausreichend sei die Funktionsbeeinträchtigung des Gebisses, wie sie beim Kläger gegeben sei.
Der damalige Betreuer habe für den Kläger im Jahr 2005 keinen Antrag gestellt, der Kläger selbst sei dazu gesundheitlich nicht in der Lage gewesen. Dem Beklagten sei bekannt gewesen, dass der Kläger einen Betreuer habe; dennoch habe er die Antragsformulare nicht an den Betreuer oder den Kläger, sondern an W1 übermittelt. Insgesamt habe der Beklagte sich gegenüber dem Kläger nicht fürsorglich gezeigt.

Der Beklagte hat hierauf mit Schriftsatz vom 17.01.2020 erwidert, dass es für den Beklagten nach dem Kuraufenthalt des Klägers 1988 und dessen Mitteilung vom 26.06.1988 keinerlei Veranlassung oder Anhaltspunkte gegeben habe, weitere Nachfragen zu stellen oder gar eine Untersuchung zu veranlassen. Im Übrigen weise die Gegenseite selbst darauf hin, dass möglicherweise zur damaligen Zeit für das Erkrankungsbild der posttraumatischen Belastungsstörung und dessen Diagnose noch keine hinreichenden Erkenntnisse vorhanden gewesen seien. Der GdS für den Zahnschaden sei nach wie vor mit null zu bewerten. Eine Höherwertung käme nur dann in Betracht, wenn z.B. gemäß Nr. 7.4 der VMG ein umfassender Zahnverlust über ein halbes Jahr hinaus prothetisch nur unzureichend zu versorgen wäre. Gerade dies sei beim Kläger aber nicht der Fall, sein Zahnschaden wäre ohne weiteres hinreichend zu versorgen.

Die Berichterstatterin hat zur weiteren Aufklärung der Vorgänge im Jahr 2005 die N GMBH sowie Herrn F., den Betreuer des Klägers im Jahr 2005, angeschrieben und um Auskünfte gebeten. Die N GMBH hat mit Schreiben vom 28.04.2020 geantwortet, W1 sei seit vielen Jahren nicht mehr dort tätig; aus Datenschutzgründen besitze man keinerlei Unterlagen mehr über den Kläger und könne auch keine sonstigen Auskünfte geben. Herr F. hat mit Schriftsätzen vom 11.05.2020 und vom 18.05.2020 geantwortet, er sei nur vom 28.04.2005 bis 30.11.2005 gesetzlicher Betreuer des Klägers gewesen. Die Betreuung sei wegen fehlender Mitwirkung beendet worden. Er habe im Jahr 2005 nur einen Antrag auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises für den Kläger gestellt. Ein Sachverhalt mit einer W1, N GMBH, bzw. eine Beantragung von Leistungen nach dem BVG iVm dem StrRehaG sei ihm nicht bekannt, diesbezügliche Unterlagen seien ihm nicht zugegangen.

Der Beklagte hat auf Nachfrage mit Schriftsatz vom 25.06.2020 erklärt, aus seinen Akten sei ersichtlich, dass am 19.07.2005 W1 von der N GMBH sich beim Versorgungsamt Nürnberg telefonisch erkundigt habe und um Übersendung von Antragsformularen zur Beantragung von Leistungen nach dem StrRehaG für Herrn H gebeten habe. Mit Schreiben vom 02.08.2005 sei das Antragsformular wunschgemäß übermittelt worden. Als nach über drei Monaten kein Rücklauf zu verzeichnen gewesen sei, sei die Akte ins Archiv gegeben worden. Damals habe sich aus den Versorgungsakten nicht ergeben, dass für den Kläger eine Betreuung angeordnet gewesen sei. Ein Anlass bzw. eine Rechtsgrundlage dafür, die Schwerbehindertenakte beizuziehen, habe für das Versorgungsamt damals nicht bestanden. Dies wäre auch datenschutzrechtlich gar nicht zulässig gewesen. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die Antragstellung nach dem StrRehaG zwar schriftlich oder zur Niederschrift, aber ansonsten formfrei gewesen sei. Dem geschäftsfähigen Kläger oder auch seinem Betreuer wäre es somit jederzeit möglich gewesen, in einfacher Schriftform bzw. durch Vorsprache beim Versorgungsamt einen Antrag zu stellen, wenn man dies gewollt hätte.

Das Amtsgericht Nürnberg (Abteilung für Betreuungssachen) hat auf Bitte der Berichterstatterin das psychiatrische Gutachten des Arztes Herrn Z vom 22.05.2019 zur Frage der Betreuungsverlängerung für den Kläger übersandt. Demnach liege beim Kläger eine lange bestehende Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen mit vorwiegend selbstunsicheren und ängstlichen, aber auch schizoiden und dissozialen Anteilen vor. Der Umfang der erforderlichen Betreuung habe sich nicht geändert. Dennoch sei der Kläger geschäftsfähig und könne seinen Willen frei bekunden.
Am 22.09.2020 hat ein über dreistündiger Erörterungstermin mit dem Kläger, seinem Bevollmächtigten sowie einem Vertreter des Beklagten stattgefunden, bei dem die Möglichkeit eines Vergleichs, auch im Verfahren L 20 VU 2/19, intensiv diskutiert worden, aber letztlich gescheitert ist. Die gesetzliche Betreuerin des Klägers war nicht anwesend. In einem vorausgehenden Telefonat am 21.09.2020 mit der Berichterstatterin hatte der Klägerbevollmächtigte diesbezüglich erklärt, die Betreuerin begleite ihn nie zu Gerichtsterminen des Klägers. Er werde sie aber über den anstehenden Erörterungstermin in Kenntnis setzen.

In dem Erörterungstermin am 22.09.2020 hat der Kläger erklärt, W1 von der N GMBH habe gesagt, sie werde sich um einen Antrag wegen Haftentschädigung für ihn kümmern. W1 habe gewusst, dass bei ihm eine gesetzliche Betreuung vorliege. Dann habe das Fallmanagement durch die N GMBH geendet und sein Kontakt zu W1 sei abgebrochen. Erst im Rahmen einer tiefenpsychologischen Psychotherapie bei Frau S1 in N sei die Haftzeit (wieder) thematisiert worden. Damals habe sich der Kläger dann erinnert, dass W1 seinerzeit wegen einer Haftentschädigung habe tätig werden wollen. Deshalb habe er, der Kläger, bei der N GMBH nachgefragt, was daraus geworden sei. Er habe dann von der N GMBH oder von der ARGE die Antragsformulare, die offensichtlich W1 2005 für ihn bekommen habe, ohne Anschreiben zugesandt bekommen.

Der Klägerbevollmächtigte hat im Erörterungstermin erklärt, dass die Frage eine Höherbewertung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit in diesem Verfahren nicht Gegenstand sein solle und die Bescheide insofern nicht angefochten werden sollten. Hierzu sei vor dem SG Nürnberg ein eigenes Verfahren anhängig, das ruhe. Der Kläger hat dazu angemerkt, dass die DRV Nordbayern Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgelehnt habe. Deswegen sei ebenfalls eine Klage vor dem SG Nürnberg anhängig. Die Beklagte wolle dagegen eine besondere berufliche Betroffenheit nicht anerkennen, weil nach dem Grundsatz "Reha vor Rente" erstere vorrangig sei.

Im Nachgang zum Erörterungstermin am 22.09.2020 hat der Kläger sich nochmals mit mehreren Schriftsätzen an das LSG gewandt, unter anderen bemängelt, dass seine Betreuerin, Frau C., nicht in das Verfahren involviert werde, auch wenn er geschäftsfähig sei. Weiter hat er einen Protokollberichtigungsantrag gestellt, der mit Beschluss vom 23.11.2020 abgelehnt worden ist.

Die Berichterstatterin hat mit Schriftsätzen vom 02.10.2020 und 16.10.2020 den Klägerbevollmächtigten nochmals um Klärung mit Frau C. gebeten, ob diese trotz der Mandatierung des Klägerbevollmächtigten das Verfahren selbst betreiben möchte - mit der Konsequenz, dass der Kläger dann gemäß § 71 Abs. 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 53 Zivilprozessordnung (ZPO) als prozessunfähig zu behandeln wäre.

Der Klägerbevollmächtigte hat mit Schreiben vom 26.10.2020 den Berufungsantrag im Hinblick auf ein Bescheiddatum korrigiert und erwidert, dass die Ladung von Frau C. zu Terminen nicht erforderlich sei. Er habe bereits beim Telefonat am 21.09.2020 mit der Berichterstatterin erklärt, dass deshalb eine Ladung von Frau C. zu dem Termin am 22.09.2020 nicht nötig sei. Er habe aber das Sekretariat von Frau C. über den Termin informiert.

Mit weiterem Schriftsatz vom 19.11.2020 hat der Bevollmächtigte nochmals die gescheiterten Vergleichsverhandlungen im Verfahren S 15 VU 7/17 vor dem SG Nürnberg umrissen und erläutert, dass der Kläger sich bislang vergeblich um ein Darlehen zur Deckung des Eigenanteils einer zahnmedizinischen Behandlung bemüht habe. Er hat dies jedoch weder mit einem neuen Vergleichsvorschlag verbunden noch sonst ein Anliegen an den Beklagten oder den Senat herangetragen.

Der Kläger beantragt,

                    das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 21.11.2017 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 04.01.2012 in Gestalt des 
                    Teilabhilfebescheids vom 31.01.2014 sowie des Widerspruchsbescheids vom 30.03.2017 zu verpflichten, den Bescheid vom 08.10.2010 teilweise
                    zurückzunehmen und dem Kläger Beschädigtenrente nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz ab
                    dem 01.06.1987 nach einem (medizinischen) GdS von mindestens 60 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

                    die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (Beschädigtenversorgung und Feststellung nach dem SGB IX) sowie die Gerichtsakten der Verfahren L 20 VU 2/17, L 20 VU 1/18 ER, L 20 VU 2/19, S 3 VU 8/17, S 15 VU 7/17 und S 15 VU 3/18 ER Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG Nürnberg hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Streitgegenstand ist der (Überprüfungs-)Bescheid des Beklagten vom 04.01.2012 in Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 31.01.2014 sowie des Widerspruchsbescheids vom 30.03.2017, womit der Beklagte es abgelehnt hat, den Bescheid vom 08.10.2010 noch weitergehend aufzuheben und dem Kläger Beschädigtenrente nach einem höheren GdS als 50 und zudem bereits für die Zeit vor dem 01.11.2009 zu gewähren. Das dahingehende Begehren macht der Kläger zulässigerweise im Rahmen einer kombinierten Anfechtungsklage (bezüglich des Bescheids vom 04.01.2012 in Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 31.01.2014 sowie des Widerspruchsbescheids vom 30.03.2017), Verpflichtungsklage (bezüglich einer Änderung des Bescheids vom 08.10.2010) und Leistungsklage (bezüglich Beschädigtenrente nach einem höheren GdS als 50 und zwar bereits für die Zeit vor dem 01.11.2009) geltend (vgl. zur - nicht einheitlichen - Rspr. des Bundessozialgerichts - BSG - zur richtigen Klageart bei § 44 SGB X jurisPK, SGB X, Stand 23.03.2020, § 44 Rn. 154 ff. m.w.N.).

Nicht Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid vom 28.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.04.2017, mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers auf Höherbewertung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit und auf Berufsschadensausgleich abgelehnt hat. Dies ergibt sich zunächst schon aus den erst- und zweitinstanzlich gestellten Anträgen, die diese Bescheide nicht einbezogen haben, ebenso wie aus dem expliziten Hinweis des Klägerbevollmächtigten im Erörterungstermin am 22.09.2020, wonach eine Höherbewertung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein solle.

Die Einbeziehung der Bescheide vom 28.02.2012 und vom 03.04.2017 in den Streitstoff des vorliegenden Verfahrens ergibt sich auch nicht aus der Anwendung von § 96 Abs. 1 SGG. Nach dieser Vorschrift wird ein neuer Verwaltungsakt nur Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Bescheid vom 28.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.04.2017 hat die hier streitgegenständlichen Überprüfungsbescheide gerade nicht geändert, sondern es vielmehr bei dem darin festgestellten GdS belassen. Der Bescheid vom 28.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.04.2017 befasst sich bei der Prüfung, ob in der Person des Klägers die Voraussetzungen für eine Erhöhung des ihm zuzuerkennenden GdS in Anwendung von § 30 Abs. 2 BVG vorliegen, mit Fragen, die von den Beteiligten dieses Verfahrens und den hier angefochtenen Bescheiden nicht thematisiert werden. Auch aus dem Wortlaut des Bescheids vom 10.08.2010 ergibt sich, dass darin nur § 30 Abs. 1 BVG geprüft und beschieden werden sollte (während, so der Bescheidtext weiter, eine Entscheidung über die Voraussetzung des § 30 Abs. 2 BVG erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen solle). Nur insoweit hat der Bescheid regelnde Wirkung entfaltet, die von der Verwaltung in Anwendung von § 44 SGB X überprüft werden konnte. Allein dies kann nun auch vom Senat auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden (vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28.02.2019, L 10 VE 50/15).

Zwar handelt es sich bei der Feststellung des GdS insgesamt und der Berechnung der daraus folgenden Versorgung grundsätzlich um einen einheitlichen Streitgegenstand, weil der GdS im allgemeinen Erwerbsleben nach § 30 Abs. 1 BVG und das berufliche Betroffensein nach § 30 Abs. 2 BVG als Teilfaktoren des einheitlichen Rentenanspruchs nur Berechnungsmodalitäten für den nur einmal zu bildenden einheitlichen GdS darstellen (vgl. BSG, Urteile vom 06.10.1977, 9 RV 66/76, und vom 29.11.1973, 10 RV 617/72). Die besondere berufliche Betroffenheit ist lediglich ein Umstand, der ebenso wie andere - medizinische - Bemessungsfaktoren für den GdS in Betracht kommen soll (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.1979, 9 RV 56/78). Der Beklagte hat aber in den hier angegriffenen Bescheiden stets nur über die Höhe des "medizinischen" GdS entschieden und ausgeführt, über eine besondere berufliche Betroffenheit werde noch ein gesonderter Bescheid ergehen, was dann ja auch erfolgt ist. Daraus folgt, dass es sich bei dem vorliegend zu überprüfenden Bescheid vom 10.08.2010 insoweit um einen Teilbescheid handelt, als er eine Regelung nur zum "medizinischen" GdS trifft. Soweit er seinen Adressaten beschwert, konnte bzw. kann er angefochten, nach § 44 SGB X überprüft bzw. der Überprüfung im Rahmen einer Klage unterzogen werden. Angesichts der in der Praxis der Versorgungsverwaltungen nicht unüblichen getrennten Entscheidungen zu § 30 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BVG ist zum Schutz des geschädigten Menschen wie beantragt zuzulassen, die Versorgung und vorliegend insbesondere deren Beginn anhand nur des "medizinischen" GdS vorab zu überprüfen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.10.2014, L 6 VS 5037/13; a.A. wohl Bayer. LSG, Urteil vom 19.07.2011, L 15 VG 20/10, wobei auch hier darauf abgestellt wurde, was "opportun und vom Kläger [...] gewollt" sei).

Der Kläger hat - im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X - gegen den Beklagten weder Anspruch auf Beschädigtenrente nach einem höheren GdS als 50 noch darauf, dass dieser ihm Beschädigtenrente bereits für die Zeit vor dem 01.11.2009 gewährt.

Da der Beklagte in seinem Überprüfungsbescheid nach § 44 SGB X vom 04.01.2012 bzgl. der beiden genannte streitigen Aspekte in die Sachprüfung eingestiegen ist, ist auch im gerichtlichen Verfahren eine vollständige Überprüfung vorzunehmen (Bayer. LSG, Urteile vom 27.03.2015, L 15 VK 12/13, und vom 26.09.2017, L 15 VS 14/14).

Ob die Beklagte den Versorgungsanspruch des Klägers zu Recht unter Zugrundelegung des § 21 Abs. 1 StrRehaG geprüft hat oder ob hierfür § 4 Abs. 1 HHG heranzuziehen gewesen wäre, ist fraglich, im Ergebnis jedoch ohne Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits.

§ 21 Abs. 1 StrRehaG lautet (unverändert seit Inkrafttreten des StrRehaG am 04.11.1992):
"Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, erhält."

§ 4 Abs. 1 HHG lautet (unverändert sei Inkrafttreten des HHG am 01.01.1980):
"Ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Berechtigter, der infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz), soweit ihm nicht wegen desselben schädigenden Ereignisses ein Anspruch auf Versorgung unmittelbar auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes zusteht."
Der Kläger hat für seinen - für den Senat allein maßgeblichen (siehe dazu im Folgenden) - Antrag am 26.11.2009 das übersandte Formular für einen Antrag nach dem StrRehaG verwendet. Bei Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes sind die klägerischen Erklärungen allerdings so auszulegen, dass er für die aufgrund seines politischen Gewahrsams erlittenen Schädigungsfolgen gleich aufgrund welcher Anspruchsgrundlage entschädigt werden wollte (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.01.2016, L 11 VU 37/14).

Zwar können nach § 25 Abs. 2 Nr. 1 StrRehaG auch Personen, die - wie der Kläger - eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG bereits vor dem Inkrafttreten des StrRehaG am 04.11.1992 beantragt und erhalten haben, Ansprüche nach dem StrRehaG geltend machen, da ihnen die Durchführung eines weiteren Verfahrens nach dem StrRehaG nicht mehr zugemutet werden soll (BT-Drucks. 12/1608, Seite 24). Dies beschränkt sich jedoch auf die Ansprüche nach den §§ 17 bis 19 StrRehaG unter Anrechnung der Leistungen nach dem HHG. Den Inhabern einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG stehen dagegen keine Ansprüche auf Versorgung nach den §§ 21 bis 24 StrRehaG zu. Treffen nämlich wie im Falle des Klägers wegen ein und desselben Ereignisses (Haft) gleichartige Ansprüche auf Beschädigtenversorgung aus § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG und aus § 4 Abs. 1 HHG zusammen, so sind nach § 21 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG Leistungen nach § 21 StrRehaG nachrangig (vgl. Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, Vor § 21 StrRehaG Rn. 11, § 21 StrRehaG Rn. 13). Zwar ist diese Norm eigentlich eng formuliert. Nach ihrem Wortlaut versperrt sie den Weg in das StrRehaG nur, wenn der Betroffene auf Grund des anderen Gesetzes bereits Versorgung "erhält". Es dürfte aber gleichwohl nicht darauf ankommen, ob schon Leistungen bewilligt sind und gewährt werden. Der Gesetzgeber hat in seiner Gesetzesbegründung deutlich gemacht, dass er einen Vorrang des anderen Gesetzes schon dann begründen wollte, wenn "wegen desselben schädigenden Ereignisses ein Anspruch auf Versorgung unmittelbar aufgrund des BVG oder aufgrund von Gesetzen, die das BVG für anwendbar erklären, besteht" (BT-Drucks., a.a.O., Seite 27). An diesem Nachrang des StrRehaG ändert auch § 23 Abs. 1 StrRehaG nichts. Zwar wird nach dieser Vorschrift allein nach dem StrRehaG entschädigt, wenn Ansprüche nach § 21 StrRehaG mit anderen Ansprüchen nach dem BVG oder Gesetzen, die auf das BVG verweisen, zusammentreffen. Diese Norm erfasst jedoch nur Schädigungen auf Grund mehrerer, verschiedener schädigender Ereignisse (Knickrehm, a.a.O., § 23 StrRehaG Rn. 2), während § 21 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG konkurrierende Ansprüche erfasst, die - wie im Falle des Klägers - auf dieselbe Schädigung zurückzuführen sind (vgl. insg. LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 12.01.2017, L 6 VH 2746/15, und vom 23.02.2012, L 6 VU 6118/09; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.01.2016, L 11 VU 37/14).

Die Bescheide des Beklagten sind ungeachtet der ihnen zugrunde liegenden Rechtsgrundlage rechtmäßig ergangen.

Sie sind in formeller Hinsicht rechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere ist der Beklagte auch gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 HHG zuständig für die Entscheidung über Beschädigtenversorgung nach § 4 HHG. Die angefochtenen Bescheide leiden auch nicht an verfahrensrechtlichen Mängeln. Zwar hat der Beklagte zur Begründung jeweils auf das StrRehaG verwiesen und nicht auf das HHG, aber dies führt nicht zum - vollständigen - Fehlen einer Begründung iSv § 35 Abs. 1 SGB X.

Vor dem Hintergrund, dass die Anerkennung von Schädigungsfolgen nach dem StrRehaG und nach dem HHG nach identischen Maßstäben erfolgt - beide verweisen insbesondere auch auf § 30 BVG - ergeben sich vorliegend außerdem für die materiell-rechtliche Prüfung des klägerischen Anspruchs keine Unterschiede daraus, ob man als Anspruchsgrundlage § 4 HHG oder § 21 StrRehaG heranzieht. Dem Grunde nach ist sowohl § 21 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StrRehaG iVm § 1 Abs. 1 Nr. 1d) StrRehaG als auch § 4 Abs. 1 Halbsatz 1 HHG iVm § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG durch die dem Rechtsstreit zugrunde liegende politische Haft des Klägers erfüllt.

Streitig sind vorliegend allein der Zeitpunkt der Antragstellung sowie die Höhe des GdS.

Die in § 4 Abs. 1 HHG bzw. § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG genannte Versorgung ist im Einzelnen in den §§ 30 ff. BVG geregelt. Beschädigte erhalten nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BVG eine monatliche Grundrente, deren Höhe nach dem GdS gestaffelt ist. Dieser GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) heranzuziehen.

Die Beschädigtenversorgung beginnt mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Antragsmonat (§ 60 Abs. 1 Satz 1 BVG). Die Anträge in Versorgungsangelegenheiten sind schriftlich oder mündlich unter Aufnahme einer Niederschrift bei dem Versorgungsamt zu stellen, auch wenn für die Entscheidung das Landesversorgungsamt zuständig ist (§ 6 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - KOVVfG - idF des Gesetzes vom 06.05.1976).

Dies zugrunde gelegt hat der Kläger frühestens ab dem 01.11.2009 Anspruch auf Beschädigtenversorgung, denn sein Antrag ist erst am 26.11.2009 in schriftlicher Form beim Beklagten eingegangen. Aus der Zeit davor existiert kein Antrag, der einen Anspruch auf entsprechende Versorgung für die Zeit vor dem 01.11.2009 auslösen könnte, insbesondere weder aus dem Jahr 1987 noch aus dem Jahr 2005.

Der Kläger kann einen Anspruch nicht auf seinen am 15.06.1987 gestellten Antrag nach dem HHG stützen, denn diesen hat er mit Schreiben vom 26.06.1988 zurückgenommen. In diesem Schreiben erklärte der Kläger zwar nicht ausdrücklich, den Antrag zurückzunehmen. In ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.1980, 1 RJ 124/78; Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschluss vom 11.12.1991, 5 B 77/90) ist aber anerkannt, dass nach den auch im öffentlichen Recht geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen für die Auslegung von Willenserklärungen Anträge konkludent bzw. durch schlüssiges Verhalten als zurückgenommen angesehen werden können, soweit dem keine Formvorschriften entgegenstehen. Ob eine Antragsrücknahme vorliegt, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln.

Nicht zu entscheiden ist, ob eine Antragsrücknahme schriftlich zu erfolgen hat, soweit - wie vorliegend - ein Antrag gemäß § 6 KOVVfG der Schriftform bedurfte, denn problematisch ist nicht die Form der Erklärung vom 26.06.1988, die der Kläger selbst unterschrieben hat, sondern allein deren Bedeutungsgehalt. Maßgebend ist hierbei für die Auslegung einer Willenserklärung nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen musste. Bei Betrachtung der Gesamtumstände ist auch nach Auffassung des erkennenden Senates das Schreiben vom 26.06.1988 zweifelsfrei darauf gerichtet, das im Jahr 1987 in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren zur Feststellung von Leistungsansprüchen nach dem HHG zu beenden. Der Kläger hat in seinem Schreiben unmissverständlich mitgeteilt, dass "momentan" Haftschäden nicht vorhanden seien und er mit solchen auch nicht mehr rechne. In diesem Zusammenhang sind dem Schreiben auch keine Hinweise darauf zu entnehmen, dass der Kläger das Verfahren lediglich vorübergehend nicht betreiben wollte, so dass für einen verständigen Betrachter nur der Schluss zu ziehen war, dass der Kläger die Angelegenheit als abgeschlossen ansehen wollte, mithin den Antrag auf Versorgung zurücknahm, weil er weitere Leistungen vom Beklagten aktuell nicht begehrte.

Es gab auch keinerlei Anhaltspunkte bzw. Verpflichtung für den Beklagten zum damaligen Zeitpunkt, von Amts wegen weitere Ermittlungen bezüglich etwaiger dennoch bestehender haftbedingter Gesundheitsschäden des Klägers einzuleiten. Denn zum einen wird eine Beschädigtenversorgung nur auf Antrag gewährt (§ 60 Abs. 1 BVG). Zum anderen hat der Kläger im Schreiben vom 26.06.1988 explizit erklärt, sein Wohlbefinden habe sich wieder vollständig normalisiert, so dass insofern auch in tatsächlicher Hinsicht keine Veranlassung bestand. Weiter merkt die Klägerseite selbst an, dass das Erkrankungsbild des Klägers in den 1980er Jahren noch weitgehend unbekannt bzw. unberücksichtigt gewesen und auch in den folgenden Jahren von den Ärzten des Klägers nicht erkannt worden sei. Und schließlich weist auch E1 in ihrem Gutachten vom 29.09.2013 darauf hin, dass unmittelbar nach der Haftentlassung noch eine geringe Ausprägung der Störungsbilder beim Kläger bestand, die sich erst durch Wegfall der Kompensationsmöglichkeiten und zusätzliche Belastungen, insbesondere durch Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Einrichtungen und Behörden, ab ca. 2000 massiv gesteigert haben. Vor diesem Hintergrund erscheint es aus der Luft gegriffen, wenn der Klägerbevollmächtigte der Auffassung ist, der Beklagte hätte bereits 1988 von sich aus den Gesundheitszustand des Klägers weiter eruieren und gegebenenfalls aufgrund seiner Fürsorgepflicht auf eine (erneute) Antragstellung nach dem HHG hinwirken müssen.

Auch in den Jahren seit 2005 bis zu seinem Antrag am 26.11.2009 hat der Kläger keine Anträge gestellt, die einen Versorgungsanspruch nach dem BVG auslösen könnten. Allein durch den Anruf durch W1, N GMBH, am 19.07.2005 sollte ersichtlich noch kein Antrag gestellt, sondern lediglich ein solcher - durch Übersendung von Antragsformularen - vorbereitet werden.

Der Kläger ist auch nicht im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte er bereits im Juli 2005 einen Antrag auf Versorgung gestellt.

Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustands gerichtet, der bestünde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 SGB I, § 115 Abs. 6 SGB VI), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Er setzt demnach voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung, verletzt hat, dass dem Betroffenen ein Nachteil entstanden ist und dass die behördliche Pflichtverletzung (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten geführt hat. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (ständ. Rspr, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16.3.2016, B 9 V 6/15 R m.w.N.).

Auch wenn man davon ausgeht, dass dem Beklagten aufgrund des von Herrn F. für den Kläger geführten Schwerbehindertenverfahren die gesetzliche Betreuung des Klägers hätte bekannt sein müssen, lässt sich hieraus kein Pflichtverstoß des Beklagten im Zuge der Übersendung des Formularantrags an W1, N GMBH, ableiten.

Nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB X sind fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen (z.B. Antragstellung und damit auch Anforderung von Antragsformularen) natürliche Personen, die nach bürgerlichen Recht geschäftsfähig sind. Laut dem sich in der Schwerbehindertenakte des Klägers befindenden Beschluss des Amtsgerichts N vom 25.07.2005 über die Bestellung von Herrn F. zum Betreuer des Klägers bestand kein Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der geschäftsfähige Kläger konnte selbst Verfahrenshandlungen vornehmen, etwa ein Antragsverfahren nach dem StrRehaG einleiten bzw. W1 beauftragen oder mit ihr vereinbaren, ihm hierzu Antragsformulare zu beschaffen. Nur wenn der gesetzliche Betreuer ein Verwaltungsverfahren selbst initiiert oder an sich zieht und selbst positiv betreibt, gilt nach § 11 Abs. 3 SGB X iVm § 53 ZPO, dass allein dessen Verhalten im Verwaltungsverfahren maßgeblich und rechtswirksam ist, während der Betreute ab dem Zeitpunkt des Tätigwerdens des Betreuers als prozessunfähig bzw. im Falle von § 11 SGB X als verfahrensunfähig gilt (jurisPK, SGB X, Stand 22.06.2020, § 11 Rn. 46; Hauck/Noftz, Stand 12/2016, § 11 Rn. 59). Da Herr F. jedoch nicht selbst die Antragsformulare angefordert und damit das Verfahren initiiert hatte, war der Beklagte nicht verpflichtet, diesem die Formulare für einen Antrag nach dem StrRehaG zu übersenden, sondern durfte die Formulare auch direkt an den Kläger oder an die von diesem beauftragte W1 von der Arbeitsvermittlung schicken.

Ob das Antragsformular über vier Jahre deshalb nicht in den Rücklauf gebracht wurde, weil es bei der N GMBH oder beim Kläger unbearbeitet liegen blieb, kann dahingestellt bleiben. Dies ist jedenfalls nicht dem Beklagten zuzurechnen, sondern zeigt lediglich, dass dem Antrag nach dem StrRehaG damals keine Bedeutung mehr zugemessen wurde. Herr F. wusste davon auch gar nichts. Wenn er oder auch der Kläger selbst zu irgendeinem Zeitpunkt einen Antrag nach dem StrRehaG hätten stellen wollen, wäre dies auch ohne Formular jederzeit möglich gewesen.

Ferner kann der Kläger einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auch nicht auf die Behauptung stützen, der Beklagte hätte aufgrund seiner Erkenntnisse aus dem Schwerbehindertenverfahren von sich aus die Prüfung eines Versorgungsanspruchs in die Wege leiten oder den Kläger bzw. dessen Betreuer dahingehend beraten müssen, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Denn aus den vorgelegten Unterlagen im Schwerbehindertenverfahren (sowohl beim Erstantrag 2005 als auch im Rahmen der Nachprüfung 2008) ergeben sich keine derart sich aufdrängenden Hinweise auf gerade haftbedingte Gesundheitsstörungen des Klägers, die eine diesbezügliche Pflicht zur sog. Spontanberatung beim Beklagten hätten auslösen können. Zwar wurde in den oben zitierten Befundunterlagen die politische Haft wiederholt thematisiert, die maßgebliche Ursache für die Gesundheitsstörungen des Klägers wurde jedoch durchwegs in dessen aktueller Wohnsituation gesehen. Dieser Überzeugung war auch der Kläger selbst - auch noch im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens bezüglich der Feststellung nach dem SGB IX im Jahr 2008, wo er in einer eigenhändig verfassten Stellungnahme - unter Bezugnahme auf eine umfassende Stellungnahme von W2 - am 02.07.2008 geltend machte, dass die eigentlichen Ursachen seiner gesundheitlichen Probleme gefunden seien, nämlich hochfrequente elektromagnetische Sendeanlagen in seinem Wohnumfeld.

Angesichts all dessen musste es sich dem Beklagten nicht aufdrängen, dass die Gesundheitsstörungen des Klägers doch auch zu einem relevanten Teil haftbedingt sein könnten. Eine Pflichtverletzung des Beklagten im Hinblick auf eine unterlassene Antragstellung nach dem StrRehaG in der Zeit zwischen 2005 und 2009 liegt deshalb nicht vor.

Schließlich ist dem Kläger auch nicht auf der Grundlage des § 60 Abs. 1 Satz 1 und 2 oder Abs. 2 Satz 1 BVG Versorgung für Zeiträume vor der Antragstellung im Jahr 2009 zu leisten. Die Privilegierung des § 60 Abs. 1 BVG erfasst lediglich einen Erstantrag auf Versorgung (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2018, L 6 VK 4523/17; Bayer. LSG, Urteil vom 16.10.2018, L 15 VH 2/14; Knickrehm, a.a.O., § 60 BVG Rn. 3). Einen solchen hatte der Kläger aber bereits am 15.06.1987 gestellt, diesen jedoch am 26.06.1988 wieder zurückgenommen (vgl. oben). Darüber hinaus ist wegen der Zurücknahme des Antrags am 26.06.1988 ein Anspruch auf Versorgung durch den Beklagten nicht festgestellt worden, so dass auch eine Versorgung vor Antragstellung - im Wege einer Neufeststellung - auf der Grundlage des § 60 Abs. 2 Satz 1 BVG rechtlich ausgeschlossen ist.

Da dem klägerischen Versorgungsanspruch somit erst eine Antragstellung am 26.11.2009 zugrunde gelegt werden kann, ist es für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung, inwieweit bereits zu einem früheren Zeitpunkt haftbedingte Schädigungsfolgen bei ihm bestanden hatten bzw. mit welchem GdS diese zu bewerten wären.

Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass die anerkannten Schädigungsfolgen - die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen liegt vorliegend nicht im Streit - einen höheren Gesamt-GdS als 50 rechtfertigen würden.

Der Einzel-GdS von 50 in Bezug auf die posttraumatische Belastungsstörung, den der Beklagte berücksichtigt hat, wird seitens des Klägers nicht substantiiert in Frage gestellt und auch der Senat sieht keine Anhaltspunkte - insbesondere auch nicht im aktuellen psychiatrischen Gutachten des Herrn Z für das Amtsgericht Nürnberg vom 22.05.2019 - dafür, dass dieser Einzel-GdS zu niedrig wäre.

Soweit der Kläger geltend macht, bei Berücksichtigung seiner schädigungsbedingten Zahnschäden sei ein Gesamt-GdS von mindestens 60 gerechtfertigt, findet dies keine Stütze in den für die Beurteilung maßgebenden VMG. Bereits das SG hat hierzu in zutreffender Weise Folgendes ausgeführt:

"Auf Grundlage der bereits festgestellten Schädigungsfolgen kommt keine höhere Bewertung des GdS in Betracht. Nach § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) aufgestellt worden. Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG - Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und damit der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen.

Für die hier streitige Bemessung ist die GdS-Tabelle der VMG anzuwenden. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der GdS-Tabelle sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte (Teil B, Nr. 1 a). In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Teil A, Nr. 2 e genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).

Der umfassende Zahnverlust wird nach Teil B, Nr. 7.4 VMG mit einem GdS von 10 - 20 bewertet, wenn er über ein halbes Jahr hinaus prothetisch nur unzureichend zu versorgen ist. Nach Auffassung der Kammer liegt bei einem Verlust von sechs Zähnen bereits kein umfassender Verlust von Zähnen vor. Hier müsste zumindest die Hälfte der Zähne betroffen sein. Darüber hinaus kann durch Zahnersatz eine ausreichende Versorgung sichergestellt werden, weshalb beide Bedingungen nicht erfüllt sind. Die Schädigungsfolge des Verlustes von sechs Zähnen führt damit zu einem GdS von 0 v.H. und erhöht den GdS von 50 v.H. für die psychischen Störungen nicht. Der Gesamt-GdS verbleibt damit bei 50 v.H."

Ergänzend hierzu ist auszuführen, dass der vom Kläger geltend gemachte Gesamt-GdS allenfalls dann vorliegen könnte, sofern der Zahnverlust als umfassend anzusehen wäre und einen Einzel-GdS von 20 rechtfertigen würde. Dies ist im Falle des Klägers jedenfalls zu verneinen.

Nach den gemeinsamen Grundsätzen zum Gesamt-GdS (Teil A, Nr. 3 d) ee) VMG) führen, von Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdS von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdS von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Damit kann dahinstehen, ob ein Zahnverlust erst als umfassend anzusehen ist, wenn mindestens die Hälfte der Zähne - so das SG - schädigungsbedingt betroffen ist (für den Verlust von zwei Zähnen verneint: Thüringer LSG, Urteil vom 23.02.2012, L 5 VU 814/07). Eine Höherbewertung käme bei Beachtung der gemeinsamen Grundsätze (Teil A, Nr. 3 d) ee) VMG) vorliegend allenfalls in Betracht, wenn ein Einzel-GdS von 20 für den Zahnverlust anzunehmen wäre, d.h., wenn der Zahnverlust vergleichbar wäre mit einem Verlust erheblicher Teile des Alveolarfortsatzes mit wesentlicher, prothetisch nicht voll ausgleichbarer Funktionsbehinderung (vgl. GdS-Tabelle Teil B Nr. 7.4 VMG). Zu beachten ist auch, dass selbst bei einem Verlust eines Teiles des Unterkiefers mit schlaffer Pseudarthrose ohne wesentliche Beeinträchtigung der Kaufunktion und Artikulation ein GdS von 20 nicht gerechtfertigt ist (vgl. GdS- Tabelle Teil B Nr. 7.3 VMG). Eine derartig massive Einschränkung, d.h. eine wesentliche Beeinträchtigung der Kaufunktion und Artikulation - allein diese könnte einen Einzel-GdS von 20 rechtfertigen - ist aber nach dem (anerkannten) Zahnverlust von sechs Zähnen nicht nachvollziehbar. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass der Zahnverlust des Klägers über ein halbes Jahr hinaus prothetisch nur unzureichend zu versorgen wäre. Dass wegen der Finanzierung der angestrebten Versorgung tatsächlich wohl seit Jahren eine unzureichende zahnprothetische Versorgung beim Kläger vorliegt, kann einer unzureichenden Versorgung aus medizinischen Gründen - und nur hierauf kommt es im Rahmen der VMG an - nicht gleichgestellt werden.

Angesichts all dessen kann die Berufung unter keinem Gesichtspunkt Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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